Die Kinderarmut ist nur eine Fußnote wert
Der 6. Armuts- und Reichtumsbericht offenbart die wachsende soziale Ungleichheit
Der Reichtum wächst. Laut dem eben veröffentlichten World Wealth Report ist im Pandemiejahr 2020 die Zahl der Dollarmillionäre hierzulande um 69.100 auf mehr als 1,5 Millionen angestiegen. Dazu beigetragen haben steigende Aktienkurse und Immobilienpreise. Der Reichtum hat aber nicht unbedingt etwas mit Leistung zu tun. Der Anteil ererbter Vermögen macht mittlerweile rund 35 Prozent am Gesamtvermögen aus. Im reicheren Teil der Bevölkerung ist dieser Anteil prozentual schon deutlich höher. Hier liegt er bei fast 40 %. In absoluten Zahlen sieht die Rechnung dann noch einmal ganz anders aus. Bei einer etwas begüterteren Mitbürgerin mag das Vermögen vielleicht bei bei 60.000 Euro liegen. Ihr ererbter Anteil mit 35 % bei 21.000 Euro. Bei jemandem, der sich eben die erste Million zusammen hat, beträgt der Anteil mit 40 % dann schon 400.000 Euro. Wobei viele schon mit 60.000 Euro zufrieden wären.
Beklagenswerte Zustände
Warum wir darüber berichten? Weil eben der sechste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung erschienen ist. Dieser offenbart mehrere beklagenswerte Zustände. Einer davon ist, dass die Reichen wieder reicher geworden sind und damit die finanzielle Ungleichheit erneut gewachsen ist. Zwar sind auch die Gehälter in den unteren Einkommensbereichen gestiegen, einen Inflationsausgleich stellt das aber nicht dar. Noch immer sind die unteren Einkommensbereiche relativ stärker von Steuern und Abgaben betroffen. Und für jene, die mit ihren Familien auf günstige Mieten angewiesen sind, wird die Luft immer dünner. Die Zahl der Sozialwohnungen ist in 2020 um 26.000 zurückgegangen.
Besonders hohe Hürden für arme Kinder
„Kinder aus Elternhäusern mit niedrigem Einkommen oder auch geringerem Bildungsstatus waren bei der Bewältigung der pandemiebedingten Umstände besonders großen Hürden ausgesetzt“, heißt es im Bericht. Und weiter: „Infolge der Schließung von Einrichtungen der Kinderbetreuung und Schulen haben gerade erwerbstätige Mütter große Mehrfachbelastungen durch Distanzunterricht und Kinderbetreuung neben der Berufstätigkeit erlebt, auch wenn sich durchaus ein substantieller Teil der Väter stärker in der Familie engagiert hat.
Zurückhaltung angesichts sozialer Ungleichheit
Bevor wir hier aber weiter die Geschlechterrivalität befeuern, wäre es sicher sinnvoller, auf die sozialen Ungerechtigkeiten innerhalb unserer Gesellschaft einzugehen. Hier hält sich der Bericht allerdings zurück. „Kinderarmut“ spielt in dem Bericht aber keine Rolle. Schon allein der Begriff taucht nur ein einziges Mal auf. Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, findet dafür deutliche Worte: „Dass das Wort Kinderarmut im Bericht selbst nur einmal, und dann in einer Fußnote vorkommt, steht stellvertretend für die fehlende tiefergehende Auseinandersetzung mit den kindspezifischen Auswirkungen und Sichtweisen auf Armut im Bericht. Dies ist angesichts der Kinderarmutszahlen in Deutschland mehr als ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Und das Wort Kindergrundsicherung sucht man tatsächlich komplett vergebens.“ Nach Berechnungen des Deutschen Kinderhilfswerkes liegt der Anteil der unter 18-jährigen in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften derzeit bei rund 33 Prozent, obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland nur bei rund 16 Prozent liegt. Damit sind Kinder und Jugendliche mit ihren Familien in besonderem Maße von Armut betroffen.
Reiche geben dreimal mehr für ihre Kinder aus
Dementsprechend beklagt der Paritätische Wohlfahrtsverband die Ausgrenzung armer Kinder. Die vorgestellten Zahlen bewertet der Verband in seiner Erklärung als „beschämenden Ausdruck tiefer sozialer Ungleichheit“. Danach geben reiche Familien dreimal mehr für den Lebensunterhalt und die Teilhabe ihrer Kinder aus als arme. Der Verband weist darauf hin, dass Kinder aus einkommensarmen Familien seit Jahren immer weiter abgehängt werden und von gleichwürdiger sozialer und kultureller Teilhabe ausgeschlossen sind. Neben einer bedarfsgerechten, einkommensabhängigen Kindergrundsicherung fordert der Verband flächendeckende Lernmittelfreiheit, die auch notwendige IT-Ausstattung beinhaltet, sowie einen Rechtsanspruch auf Angebote der Jugendarbeit.
Kinderarmut einfach hingenommen?
„Es kann nicht angehen, dass Kinderarmut als gegeben hingenommen wird. Das, was für die Mehrheit Gleichaltriger selbstverständlich ist, bleibt armen Kindern aufgrund der Einkommenssituation ihrer Eltern versagt. Was es braucht, ist endlich eine beherzte Armutsbeseitigungspolitik”, fordert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Arme Familien seien gezwungen, notgedrungen an allem zu sparen, was über das physisch Überlebensnotwendige hinausgeht. „Das Gefühl nicht dazu zu gehören, ausgegrenzt zu sein und abseits stehen zu müssen, ist das Lebensgefühl armer Kinder in Deutschland“, beschreibt Schneider den Riss, der durch unsere Gesellschaft geht.
Familienverbände fordern Entlastung
Die in der AGF zusammengeschlossenen Familienverbände fordern deshalb, die Entlastung von Familien und die Bekämpfung der Kinderarmut effektiver zu gestalten. Der Bericht dokumentiere den Stillstand beim Abbau sozialer Ungleichheit und sozialer Benachteiligung von besonders belasteten Familien.
„Die im 6. Armuts- und Reichtumsbericht eindrücklich beschriebene Verfestigung von Armuts- und Reichtumslagen zeigt, dass die bisherige Politik nicht ausreicht, um Familienarmut zu verhindern und Aufstiegschancen für alle Kinder zu gewährleisten. Wir dürfen uns nicht an den hohen Anteil armer Kinder gewöhnen und dass ihnen die gesellschaftliche Teilhabe und die Perspektive auf einen sozialen Aufstieg verweigert wird“ fordert Sidonie Fernau, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen. „Besonders hohe Armuts- und Teilhaberisiken tragen Alleinerziehende, Familien mit drei und mehr Kindern und Familien mit Migrationsgeschichte.“
Recht ausführlich verweist der Bericht der Bundesregierung auf die bereits durchgeführten oder beschlossenen Maßnahmen. Tatsächlich hat sich gerade in der aktuellen Legislaturperiode auch einiges getan. Viele Maßnahmen, wie etwa die Mietpreisbremse zeigen aber, dass sie an der Realität scheitern, während die eigentlichen Ursachen für Armut und soziale Ungerechtigkeiten nicht grundsätzlich angegangen werden. Geld und Konzepte gibt es dagegen genug.
Die Langfassung des 6. Armuts- und Reichtumsberichts finden Sie hier
Quellen: 6. Armuts- und Reichtumsbericht der Bunderegierung, Pressemitteilungen: Deutsche Kinderhilfswerk, Paritätischer Wohlfahrtsverband und AGF