Hohe Sensibilität für Geschlechtergerechtigkeit aber Mangel an Konzepten
Forschungsgruppe: Schutz vor geschlechtsbezogener Gewalt in Schleswig-Holsteins Kindertagesstätten und Schulen ausbaufähig
Eine hochschulübergreifende Forschungsgruppe zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Bildungsinstitutionen in Schleswig-Holstein hat gemeinsam mit dem Landesverband Frauenberatung Schleswig-Holstein (LFSH) ihre Ergebnisse aus einer landesweiten Befragung im Jahr 2022 veröffentlicht. Die Forschungsgruppe, bestehend aus Prof. Dr. Melanie Groß (Fachhochschule Kiel), Prof. Dr. Christiane Micus-Loos und Dipl.-Päd. Esther van Lück (beide Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) hat das Projekt mit Unterstützung des LFSH und der interministeriellen Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Istanbul-Konvention umgesetzt.
Einblicke in die Fortschritte zur Umsetzung des Schutzes von Mädchen und Frauen
207 Kindertagesstätten und 104 Schulen verschiedener Schultypen aus ganz Schleswig-Holstein haben sich an der Online-Umfrage beteiligt und somit Einblicke in die Fortschritte zur Umsetzung des Schutzes von Mädchen und Frauen vor Gewalt und Diskriminierung gegeben.
Hohe Sensibilität für das Thema
„Sehr erfreulich ist die Tatsache, dass in den befragten Kindertagesstätten eine insgesamt vergleichsweise hohe Sensibilität für das Thema Geschlechtergerechtigkeit festzustellen ist. Etwa 71 Prozent von ihnen haben dieses für alle Kinder wichtige Thema in ihrer pädagogischen Arbeit verankert“, sagt Prof. Dr. Melanie Groß (FH Kiel). Dennoch fehlen nach wie vor konkrete Konzepte zum Umgang mit geschlechtsbezogener Gewalt. 68 Prozent der Kindertagesstätten geben an, dass sie keine Verfahrensregelungen bei geschlechtsbezogener Gewalt haben, sondern stattdessen auf bewährte Konzepte zum Umgang mit Gewalt allgemein zurückgreifen. „Diese Situation ist dann problematisch, wenn geschlechtsspezifische Aspekte von Gewalt nicht in ihren Ursachen bearbeitet werden, was für die Prävention dringend erforderlich ist“, sagt Katharina Wulf, Geschäftsführerin des LFSH. Hierfür bräuchte es in den Kitas aber auch mehr Know-how:
Fort- und Weiterbildungsprogramme sind gewünscht
Etwas mehr als Dreiviertel der befragten Kitas geben an, dass sie sich ein verbindliches Fort- und Weiterbildungsprogramm für alle Fach- und Lehrkräfte zum Thema geschlechtsbezogene Gewalt wünschen, damit sie in der Kita eine bessere Präventionsarbeit leisten können.
Auch den Schulen fehlen die Konzepte
„Auch die Schulen machen sich auf den Weg“, sagt Prof. Dr. Christiane Micus-Loos (CAU). „Immerhin haben 41 Prozent der Schulen das Thema geschlechtsbezogene Gewalt in ihrer Schule fest verankert, allerdings fehlt es noch weitestgehend an Konzepten zum Umgang mit geschlechtsbezogener Gewalt – lediglich 20 Prozent der Schulen können auf solche Konzepte zurückgreifen“, erklärt Micus-Loos. Auch in den Schulen wird Unterstützung zum Thema gesucht: 60 Prozent der befragten Schulen wünschen sich ein umfassendes Internetportal mit Informationen zum Thema und etwas mehr als jede zweite Schule sagt, dass es in der Lehramtsausbildung in den Hochschulen Pflichtmodule zum Thema geschlechtsbezogene Gewalt bräuchte.
Transgeschlechtliche und intergeschlechtliche Kinder selten mitgedacht
Die Forschungsgruppe hat auch danach gefragt, inwieweit in den befragten Institutionen der Schutzauftrag auch gegenüber transgeschlechtlichen und intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen umgesetzt wird: „Die wenigsten der Befragten denken bei ihren Aktivitäten zum Thema geschlechtsbezogene Gewalt oder Geschlechtergerechtigkeit auch diese Gruppen mit – hier braucht es noch viel Wissensaufbau in Schulen und Kitas“, sagt Prof. Dr. Melanie Groß.
Es gibt noch viel zu tun
„Es ist noch viel zu tun“, schreibt eine teilnehmende Person, die für ihre Kita an der Befragung teilgenommen hat. Darauf verweist auch Esther van Lück (CAU): „Wir haben Handlungsempfehlungen entwickelt, die die Bedarfe auf der Ebene der Organisationen, der Ausbildungen und der Kompetenzerweiterung von Fach- und Lehrkräften umfassen – auf all diesen Ebenen brauchen Kindertagesstätten und Schulen langfristige Veränderungen, Ressourcen und Unterstützungen, damit Kinder und Jugendliche ausreichend vor geschlechtsbezogener Gewalt geschützt werden können.“
Istanbul-Konvention
Die Istanbul-Konvention ist ein internationales Übereinkommen, das 2018 von Deutschland ratifiziert wurde. Die Konvention zielt auf den besseren Schutz vor geschlechtsbezogener und häuslicher Gewalt sowie die Beseitigung von Diskriminierung und Ungleichheit von Frauen. Die Konvention betont dabei u. a. die Bedeutung der Bildungsinstitutionen für die Prävention.
Originalpublikation:
Weitere Informationen und Ergebnisse sind in Form von Fact-Sheets online abrufbar unter:
https://www.fh-kiel.de/fileadmin/data/presse/studien/fact_sheet_kita_umsetzung_istanbul_konvention_sh_25.11.2024.pdf
https://www.fh-kiel.de/fileadmin/data/presse/studien/fact_sheet_schule_umsetzung_istanbul_konvention_sh_25.11.2024.pdf
Frauke Schäfer, Fachhochschule Kiel