Kinderhilfswerk publiziert Arbeitshilfe zu Kinderrechten für Richterinnen und Richter

DKHW: Kinderrechte müssen im Justizsystem flächendeckend umgesetzt werden

Eine Sammlung von Praxisbeispielen zur Umsetzung einer kindgerechten Justiz in den Bundesländern sowie eine Handreichung für Richterinnen und Richter als Arbeitshilfe zur Ausgestaltung einer kindgerechten Justiz im Familiengerichts- und Strafverfahren hat das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) eben veröffentlicht.

Auf dem Weg zur kindgerechten Justiz

Die Publikation „Auf dem Weg zur kindgerechten Justiz. Ein erster Blick in die gute Praxis der Bundesländer“ stellt Maßnahmen und Projekte einzelner Gerichte und Bundesländer zur Umsetzung der Kinderrechte in Gerichtsverfahren vor. Damit macht sie zum einen den sehr unterschiedlichen Umsetzungsstand einer kindgerechten Justiz in den Bundesländern sichtbar und soll zum anderen die Landesjustizministerien, aber auch einzelne Gerichte zur Adaption erfolgreicher Maßnahmen anregen.

„Verfahren entsprechen oft nicht den menschenrechtlichen Anforderungen“

„Gerichtliche Verfahren, sei es im Bereich des Straf- oder Familienrechts, sind für die betroffenen Kinder und Jugendlichen häufig schwer verständlich, belastend und haben nicht selten existentielle und höchstpersönliche Fragen zum Gegenstand. Zugleich zeigen zahlreiche Studien auf, dass ihre Situation in behördlichen und gerichtlichen Verfahren in Deutschland oftmals weder den internationalen menschenrechtlichen Anforderungen noch den Leitlinien des Europarates für eine kindgerechte Justiz entspricht. Obwohl Verfahren ihre Interessen betreffen und die Entscheidungen weitreichende Folgen für ihr Leben haben, werden Kinder häufig nicht kindgerecht beteiligt und angehört. Dabei bestehen zudem große regionale Unterschiede. Es darf aber nicht von den Verfahrensbeteiligten oder dem Gericht im Einzelfall abhängen, ob die Rechte des Kindes im Verfahren umgesetzt werden. Deshalb brauchen wir in Deutschland eine flächendeckende Stärkung der Kinderrechte im Justizsystem.“ So erklärt Anne Lütkes, Vizepräsidentin des DKHW, den Umstand, der zur Veröffentlichung der Arbeitshilfe geführt hat.

Kinderrechte in Verhandlungen besser erkennen

Die „Handreichung für Richter*innen – Arbeitshilfe zur Ausgestaltung einer kindgerechten Justiz im Familiengerichts- und Strafverfahren“ soll Richterinnen und Richter dabei unterstützen, die Kinderrechte in gerichtlichen Verfahren als solche besser zu erkennen und die gesetzlichen Möglichkeiten zu ihrer Umsetzung umfassend auszuschöpfen. Dabei stehen besonders die Verbesserung der Qualität der Anhörungen sowie der Vernehmungen von Kindern und Jugendlichen, der Zugang und die Beteiligung am Recht und die Stärkung interdisziplinärer Kooperationen im Vordergrund.

Empfehlungen in die Alltagspraxis integrieren

Der Qualifikation von Richterinnen und Richtern im Umgang mit Kindern kommt in einem kindgerechten Justizsystem eine besondere Bedeutung zu. Wie Kinder ein gerichtliches Verfahren wahrnehmen, hängt maßgeblich davon ab, wie die sie anhörenden Richterinnen und Richter ihnen begegnen. Um passgenau an der gängigen gerichtlichen Praxis anzuknüpfen, wurden die dargestellten Empfehlungen ausschließlich von Expertinnen und Experten aus der Praxis und Wissenschaft zusammengetragen. Dadurch wird gewährleistet, dass die Empfehlungen sich niedrigschwellig in die tägliche praktische Arbeit von Richterinnen und Richter integrieren lassen.

Möglichkeiten aufgrund von Handlungsunsicherheiten oft nicht ausgeschöpft

„Aus der Zusammenarbeit und Konsultationsprozessen mit relevanten Akteuren der Zielgruppe, vor allem Richterinnen und Richtern, wissen wir, dass bei ihnen ein besonderes Interesse an interdisziplinären Kenntnissen im Umgang mit Kindern besteht. Eine hohe Arbeitsauslastung, mangelnde Ressourcen und fehlende Fortbildungsplätze erlauben es allerdings nicht immer, im gewünschten Maß an Qualifikationsmaßnahmen teilnehmen zu können. Zudem werden in der Praxis die gesetzlichen Möglichkeiten häufig aufgrund von Handlungsunsicherheiten beteiligter Akteure nicht ausgeschöpft.

So wird etwa die richterliche Videovernehmung von Minderjährigen, die Opfer von schwerwiegenden Gewalt- und Sexualstraftaten geworden sind, bei den meisten Gerichten immer noch nicht eingesetzt oder nur unzureichend ausgeführt. Hier müssen Bund und Länder geeignete Rahmenbedingungen dafür schaffen, um Richterinnen und Richter bei der Gestaltung kindgerechter Verfahren zu unterstützen. Dazu gehört neben einem breiten, qualitativ hochwertigen und interdisziplinären Fortbildungsangebot vor allem auch eine angepasste Personalbedarfsplanung. Auch hier besteht großer Handlungsbedarf“, sagt Lütkes.

Zum Download der Handreichung und der Publikation

Die „Handreichung für Richter*innen – Arbeitshilfe zur Ausgestaltung einer kindgerechten Justiz im Familiengerichts- und Strafverfahren“ und die Publikation „Auf dem Weg zur kindgerechten Justiz. Ein Blick in die gute Praxis der Bundesländer“ können unter www.dkhw.de/kindgerechtejustiz heruntergeladen werden. Ein Kernforderungspapier des Deutschen Kinderhilfswerkes zur kindgerechten Justiz findet sich unter https://www.dkhw.de/kernforderungen/kindgerechte-justiz.

Quelle: Pressemitteilung des Deutschen Kinderhilfswerkes