Kinderwohl in Deutschland: Deutlicher Absturz im internationalen Vergleich

UNICEF-Studie zeigt: Lebenszufriedenheit und schulische Leistungen von Kindern in Deutschland rückläufig – Platz 25 im Vergleich von 43 wohlhabenden Ländern

In zahlreichen wohlhabenden Ländern, darunter auch Deutschland, haben sich die Rahmenbedingungen für ein gesundes und förderliches Aufwachsen von Kindern in den vergangenen fünf Jahren verschlechtert. Dies zeigt ein neuer Bericht des UNICEF-Forschungsinstituts Innocenti, der umfassende Daten aus den Jahren 2018 und 2022 aus 43 Mitgliedsstaaten der OECD und EU auswertet.

Besonders auffällig ist der Abwärtstrend in Deutschland: Während das Land 2020 noch Rang 14 belegte, liegt es inzwischen auf Platz 25. Gründe dafür sind unter anderem ein deutlicher Rückgang bei den schulischen Leistungen und der allgemeinen Lebenszufriedenheit junger Menschen. Die besten Bedingungen für Kinder bieten laut Bericht derzeit die Niederlande und Dänemark, gefolgt von Frankreich.

Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland, betont: „Die Ergebnisse zeigen, wie dringend wir in Deutschland mehr für benachteiligte Kinder tun müssen. Die geplante Ausweitung des Startchancen-Programms sowie die angekündigte Strategie zur Förderung der psychischen Gesundheit von Kindern sind Schritte in die richtige Richtung.“

Der Bericht mit dem Titel „Report Card 19: Child Well-Being in an Unpredictable World“ analysiert aktuelle Entwicklungen in zentralen Bereichen des kindlichen Wohlbefindens: psychische und körperliche Gesundheit, schulische und soziale Fähigkeiten sowie digitale Kompetenzen. Gleichzeitig werden Ursachen für die teils negativen Trends benannt und politische Handlungsempfehlungen formuliert.

Leistungsabfall in Schule und steigender psychischer Druck

Besonders gravierend ist der Rückgang grundlegender Fähigkeiten wie Lesen und Rechnen. In 21 von 38 Ländern sank der Anteil der Kinder mit grundlegenden Kompetenzen in diesen Bereichen um mehr als fünf Prozent. Deutschland verzeichnete einen Rückgang von 73 Prozent (2018) auf 60 Prozent (2022) – lediglich die Niederlande und Zypern erlebten noch stärkere Einbußen.

Auch die psychische Gesundheit bereitet Sorgen: In 15 von 26 Ländern nahm die Lebenszufriedenheit junger Menschen deutlich ab. Während 2018 noch drei Viertel der deutschen Jugendlichen mit ihrem Leben zufrieden waren, sank dieser Wert 2022 auf 68 Prozent.

Übergewicht bleibt konstant – Mediennutzung nicht pauschal problematisch

Der Anteil übergewichtiger Kinder blieb in Deutschland bei rund 25 Prozent stabil. Auffällig ist, dass laut UNICEF-Bericht der Zusammenhang zwischen digitaler Mediennutzung und negativen Effekten auf das Wohlbefinden nicht so eindeutig ist, wie oft vermutet: Kinder bewegen sich heute nicht weniger als früher, und die Nutzung von Smartphones oder sozialen Medien führt nicht zwangsläufig zu schlechteren schulischen Leistungen oder Unzufriedenheit.

Eltern-Kind-Beziehungen als Schlüsselfaktor

Ein zentraler Einflussfaktor für das kindliche Wohlbefinden ist laut Studie die Beziehung zu den Eltern. Kinder, die regelmäßig mit ihren Eltern sprechen, berichten häufiger von hoher Lebenszufriedenheit.

UNICEF fordert gezielte Maßnahmen

Um die Situation von Kindern zu verbessern, spricht UNICEF Deutschland sich für folgende Schritte aus:

  • Ausbau der Prävention und Unterstützung im Bereich psychischer Gesundheit, insbesondere für besonders gefährdete Kinder;
  • Zugang zu gesunder Ernährung für alle Kinder, etwa durch tägliche Schulmahlzeiten;
  • Förderung von Basiskompetenzen und digitalen Fähigkeiten, insbesondere für Kinder aus benachteiligten Haushalten, durch Programme wie die Startchancen-Schulen und den Ausbau von Ganztagsangeboten;
  • Stärkere Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen, etwa durch eine Kinderbeauftragtenstelle auf Bundesebene und mehr kinderfreundliche Kommunen.

Hintergrund zur Report-Card-Serie

Die „Report Card“-Berichte des UNICEF-Forschungszentrums Innocenti analysieren regelmäßig die Lage von Kindern in einkommensstarken Ländern. Die aktuelle Ausgabe „Report Card 19“ ist direkt mit der vorherigen Untersuchung von 2020 („Report Card 16“) vergleichbar und basiert auf Indikatoren zu psychischem und physischem Wohlergehen sowie zu schulischen Kompetenzen. Dazu gehören etwa Daten zur Lebenszufriedenheit (OECD PISA), Kindersterblichkeit (UN IGME), Übergewicht (NCD-RisC) sowie schulische und soziale Fähigkeiten (PISA 2022).

Über UNICEF

UNICEF ist das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen. Es arbeitet in über 190 Ländern daran, die Lebensbedingungen von Kindern zu verbessern – mit Entwicklungsprogrammen, humanitärer Hilfe und politischem Engagement. In Deutschland tragen rund 7.000 Ehrenamtliche dazu bei, Kinderrechte bekannter zu machen und deren Umsetzung voranzutreiben.

Laden Sie hier den neuesten UNICEF-Bericht Report Card 19 (2025) herunter (Englisch). Informationen zur vergleichbaren Report Card 16 von 2020 finden Sie hier.




Praxisbörse Kindheitspädagogik 2025 an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe

Mit Trägern und Einrichtungen aus dem Feld der Kindheitspädagogik ins Gespräch kommen

Am Mittwoch, 4. Juni 2025, findet von 16:30 bis ca. 18:30 Uhr die „Praxisbörse Kindheitspädagogik 2025“ an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe (PHKA) statt. Veranstaltet wird das Event von der Fachschaft sowie der Praxisstelle Kindheitspädagogik der PHKA.

Die Praxisbörse richtet sich an Studierende aller Fachrichtungen, pädagogische Fachkräfte in Ausbildung sowie alle Interessierten, die sich über berufliche Perspektiven im Bereich der Kindheitspädagogik informieren möchten. Die Teilnehmenden haben die Möglichkeit, mit Vertreter:innen von 17 Trägern und Einrichtungen aus verschiedenen Bereichen – darunter Flüchtlingssozialarbeit, Hilfen zur Erziehung, Kinderschutz, Kindertageseinrichtungen, Heilpädagogik und Kinderinteressenvertretung – ins Gespräch zu kommen, sich über konkrete Arbeitsfelder zu informieren und individuelle Fragen zu klären.

Die Veranstaltung bietet einen praxisnahen Einblick in die vielfältigen Berufsfelder der Kindheitspädagogik und schafft Raum für Austausch und Vernetzung.

Ort:

Foyer von PHKA-Gebäude 1
Bismarckstraße 10
76133 Karlsruhe
Baden-Württemberg, Deutschland

Zeit:

Mittwoch, 04.06.2025, 16:30 – 18:30 Uhr

Eintritt:

Kostenlos, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Zielgruppe:

Studierende, pädagogische Fachkräfte in Ausbildung, interessierte Öffentlichkeit

Website der Pädagogische Hochschule Karlsruhe

https://www.ph-karlsruhe.de

Quelle: Pressemitteilung Pädagogische Hochschule Karlsruhe




Spurensuche im Hyänenkot: Wie das Wollnashorn an den Bodensee kam

Ein neues Erklärvideo zeigt, wie Umweltgenomik faszinierende Einblicke in die Eiszeit liefert – und macht komplexe Forschung für Kinder verständlich

Wo heute Spaziergängerinnen und Radfahrer am Bodenseeufer unterwegs sind, stapften vor Jahrtausenden Mammuts, Höhlenlöwen – und Wollnashörner. Dass diese längst ausgestorbenen Tiere einst in der Region lebten, belegen heute keine Knochenfunde, sondern weitaus unscheinbarere Spuren: fossiler Kot, Bodensediment – und moderne DNA-Analysen.

Junge Zuschauerinnen und Zuschauer im Fokus

Das neue Erklärvideo „Ein Häufchen Detektivarbeit – Wie das Wollnashorn an den Bodensee kam“, produziert von der Universität Konstanz in Zusammenarbeit mit dem Animationsstudio Midnight Motion, macht Umweltforschung greifbar – wortwörtlich. Es richtet sich besonders an junge Zuschauerinnen und Zuschauer, die erfahren, wie Wissenschaftlerinnen wie Umweltgenomikerin Dr. Laura Epp mithilfe genetischer Untersuchungen die Vergangenheit rekonstruieren.

Archäologische Spurensuche mit Hightech

Im Mittelpunkt des Films stehen Proben, die Tausende Jahre alt sind – darunter sogenannte Koprolithen, versteinerter Kot aus Hyänenhöhlen in Süddeutschland. Was für Laien unspektakulär klingt, ist für die Forschung eine Goldgrube: Die darin enthaltene Umwelt-DNA erlaubt Rückschlüsse auf ausgestorbene Tiere und frühere Lebensräume. So konnte das Team um Laura Epp unter anderem das Vorkommen des europäischen Wollnashorns in der Bodenseeregion belegen.

Doch das Video zeigt nicht nur spektakuläre Ergebnisse, sondern auch, wie Wissenschaft funktioniert: mit Geduld, viel Analysearbeit – und manchmal auch einer Prise Humor.

Wissenschaft zum Weitergeben

Das Erklärvideo ist unter einer Creative-Commons-Lizenz (CC BY-ND 4.0) erschienen und darf frei verwendet, aber nicht verändert oder neu vertont werden. Es eignet sich besonders für den Einsatz im Schulunterricht, in Museen, bei Bildungsveranstaltungen oder im Familienprogramm.

📽️ Zum Video: Ein Häufchen Detektivarbeit – Wie das Wollnashorn an den Bodensee kam
📚 Mehr zur Forschung: Website der Universität Konstanz

Quelle: Pressemitteilung Helena Dietz, Stabsstelle Kommunikation und Marketing, Universität Konstanz




Unangemessene Werbung auf Kinderwebseiten trotz gesetzlicher Verbote

Trotz gesetzlicher Verbote stoßen Kinder auf Lern- und Spieleseiten im Netz regelmäßig auf sexuelle, medizinische und kommerzielle Werbung

Von außen sehen sie harmlos aus: Lernplattformen, Spieleportale und Wissensseiten für Kinder unter 13 Jahren. Doch wer genauer hinschaut, entdeckt dort Werbung, die alles andere als kindgerecht ist. Eine aktuelle Untersuchung von Forschenden der Radboud-Universität (Niederlande), der KU Leuven (Belgien) und der Ruhr-Universität Bochum bringt nun systematisch ans Licht, womit junge Nutzerinnen und Nutzer tatsächlich konfrontiert werden. Die Ergebnisse sind erschreckend – und zeigen auch, dass gesetzliche Schutzvorgaben im digitalen Raum praktisch ins Leere laufen.

„Es war eine bunte Mischung mit einigen alarmierenden Inhalten“, sagt Informatik-Professorin Dr. Veelasha Moonsamy von der Ruhr-Universität Bochum. Gemeinsam mit ihrem Team analysierte sie rund 2.000 Webseiten, die speziell auf Kinder ausgerichtet sind. Dabei wurden etwa 70.000 Werbeanzeigen gesammelt – eine enorme Datenmenge, die durch die dynamische Struktur vieler Webseiten zustande kam: „Die Werbeanzeigen ändern sich alle paar Minuten“, erklärt Moonsamy.

Werbung, die Kinder nicht sehen sollten

Insgesamt fanden die Forschenden 1.003 Anzeigen, die sie als unangemessen einstuften. Darunter Werbung für Verlobungsringe und Dessous, für Diätpillen und Partnerbörsen. Auch Anzeigen für Tests auf Depression oder Homosexualität sowie für Sexspielzeug und Chatangebote mit anzüglich gekleideten Frauen waren Teil des Materials.

Dabei ist die Rechtslage eigentlich klar: Werbung, die Kinder gefährden oder in ihrer Entwicklung beeinträchtigen könnte, ist verboten. Doch die Realität im Netz sieht anders aus. „Eigentlich gibt es Gesetze, die regeln, mit welchen Anzeigen Kinder konfrontiert werden dürfen“, betont Moonsamy. „Aber sie werden nicht eingehalten.“

Gesetzlicher Schutz bleibt Theorie

Ein Kernproblem liegt in der technischen Infrastruktur des Internets: Werbeanzeigen werden häufig automatisch und zentral gesteuert, unabhängig davon, für wen die jeweilige Webseite gedacht ist. Es gibt keine technische Unterscheidung zwischen Seiten für Kinder und solche für Erwachsene – und somit auch keine Filterung im Anzeigennetzwerk.

„Das Internet gibt es seit Jahrzehnten. Es ist ein komplexes System, das seine bestimmte Funktionsweise hat, und man kann nicht einfach grundlegend etwas ändern. Das könnte alles zusammenbrechen lassen“, erklärt Moonsamy. Dennoch bleibt die Frage, warum bestehende Regeln nicht wirksam durchgesetzt werden – und warum es noch immer keinen flächendeckenden Schutz für Kinder im Netz gibt.

Was Eltern tun können

Eltern sind mit dieser Situation oft überfordert. Welche Tools helfen wirklich, um Kinder zu schützen? Wie funktioniert verhaltensbasierte Werbung? Und wie kann man als Familie digitale Kompetenz aufbauen? Antworten auf diese Fragen liefert der ausführliche Artikel von Veelasha Moonsamy im Wissenschaftsmagazin Rubin der Ruhr-Universität Bochum. Darin gibt sie praxisnahe Tipps – und fordert eine konsequentere Regulierung auf politischer und technischer Ebene.

👉 Der vollständige Beitrag ist hier zu finden: Rubin-Magazin.

Quelle: Pressemitteilung von Dr. Julia Weiler, Dezernat Hochschulkommunikation, Ruhr-Universität Bochum




Forschung: Wie viel Musik liegt in unseren Genen?

Studie zeigt: Der Musikgenuss ist zum Teil vererbbar – unabhängig von musikalischem Talent

Warum lieben manche Menschen Musik über alles – während sie andere eher kalt lässt? Eine aktuelle Studie, veröffentlicht in Nature Communications, liefert eine spannende Antwort: Unsere Fähigkeit, Musik zu genießen, ist zum Teil genetisch bedingt. Rund 54 Prozent der individuellen Unterschiede im Musikerleben lassen sich laut den Forscher:innen auf Vererbung zurückführen.

Besonders interessant: Die genetischen Einflüsse auf das musikalische Belohnungsempfinden sind nicht identisch mit denen, die für musikalisches Talent oder das allgemeine Belohnungsempfinden verantwortlich sind. Das bedeutet: Auch wer kein ausgeprägtes musikalisches Gehör hat, kann Musik als tief bereichernd empfinden – und umgekehrt. Die Freude an Musik ist also nicht allein eine Frage von Training oder Umwelt, sondern auch von Veranlagung.

Zudem entdeckte das internationale Forschungsteam, dass verschiedene Facetten des Musikgenusses – etwa die emotionale Wirkung, das Bedürfnis, im Takt zu tanzen, oder das gemeinsame Musizieren – durch unterschiedliche genetische Komponenten beeinflusst werden. Musikempfinden ist somit ein komplexes Zusammenspiel mehrerer biologischer und psychologischer Faktoren.

„Diese Ergebnisse zeigen, dass Musik auf einzigartige Weise unser Belohnungssystem anspricht – und das auf Grundlage individueller genetischer Anlagen“, erklärt Miriam Mosing, Seniorautorin der Studie und Forscherin am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt. „Das bedeutet aber nicht, dass Umweltfaktoren unwichtig wären. Vielmehr formen Gene und Erfahrungen gemeinsam unser Verhältnis zur Musik.“

Wie kam man zu diesen Ergebnissen?

Die Studie wurde von einem internationalen Team unter der Leitung der Max-Planck-Institute für Psycholinguistik (Nijmegen) und für empirische Ästhetik (Frankfurt) durchgeführt. Zur Ermittlung der genetischen Einflüsse nutzten die Forscher:innen ein bewährtes Zwillingsdesign: Sie verglichen die Ähnlichkeit im Musikempfinden zwischen eineiigen und zweieiigen Zwillingen.

In Zusammenarbeit mit dem Karolinska-Institut in Schweden analysierten sie die Daten von über 9.000 Zwillingen – darunter Angaben zur Freude an Musik, zur Wahrnehmung musikalischer Merkmale (wie Rhythmus oder Tonhöhe) sowie zum allgemeinen Belohnungsempfinden. Durch diesen Ansatz konnten sie den Einfluss genetischer und umweltbedingter Faktoren voneinander trennen.

Zukunft der Musikforschung in Deutschland

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wurde in Deutschland das erste nationale Zwillingsregister mit dem Namen „Gertrud“ ins Leben gerufen – ein Gemeinschaftsprojekt des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin. Ziel ist es, die Wechselwirkungen zwischen Genen, Umwelt und Verhalten künftig noch genauer untersuchen zu können. Interessierte Zwillinge können sich unter www.gertrud.info registrieren.

Originalpublikation:

Bignardi, G., Wesseldijk, L. W., Mas-Herrero, E., Zatorre, R. J., Ullén, F., Fisher, S. E., & Mosing, M. A. (2025). Twin Modelling Reveals Partly Distinct Genetic Pathways to Music Enjoyment. Nature Communications. https://doi.org/10.1038/s41467-025-58123-8

Quelle: Pressemitteilung Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik




OECD-Bericht: So beeinflusst die digitale Welt das Leben von Kindern

Die internationale Wirtschaftsorganisation fordert mehr Schutz, bessere Daten und gemeinsame Verantwortung

Fast jedes Kind ist heute online – und das immer früher. Schon 93 Prozent der Zehnjährigen hatten laut internationalen Bildungsstudien 2021 Zugang zum Internet, 70 Prozent besitzen ein eigenes Smartphone. Bei den 15-Jährigen ist die digitale Welt längst Alltag: 98 Prozent haben ein internetfähiges Smartphone, 96 Prozent Zugriff auf einen Computer oder ein Tablet zu Hause. In manchen Ländern verbringen Jugendliche über 60 Stunden pro Woche online – fast ein Vollzeitjob.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sieht darin große Chancen – aber auch wachsende Risiken. In ihrem neuen Bericht „How’s Life for Children in the Digital Age?“ fordert sie ein umfassendes Umdenken: Kinder brauchen Schutz, Orientierung und Unterstützung – nicht nur online, sondern auch in ihrem realen Umfeld.

Fakten auf einen Blick: So digital leben Kinder heute

  • 93 Prozent der Zehnjährigen hatten 2021 Internetzugang (2011: 85 Prozent)
  • 70 Prozent der Zehnjährigen besitzen ein eigenes Smartphone
  • 98 Prozent der 15-Jährigen in OECD-Ländern haben ein Smartphone mit Internet
  • Mindestens 50 Prozent der 15-Jährigen verbringen 30+ Stunden/Woche mit digitalen Geräten
  • In Ländern wie Lettland sind es bis zu 43 Prozent, die 60+ Stunden/Woche online sind

Chancen ja – aber nicht um jeden Preis

Digitale Technologien bieten Kindern viele Möglichkeiten: Sie fördern Lernen, Kreativität und soziale Kontakte. Doch die Risiken sind real:

  • Cybermobbing nimmt zu
  • Übermäßige Nutzung kann zu Stress, Schlafproblemen und Isolation führen
  • 17 Prozent der Jugendlichen fühlen sich nervös oder ängstlich ohne ihre Geräte
  • 27,6 Prozent geben an, in sozialen Netzwerken schon falsche Informationen geteilt zu haben

Besonders problematisch wird es, wenn Kinder den Umgang mit digitalen Medien nicht mehr steuern können: Wenn Online-Aktivitäten den Schlaf, die Schulleistungen oder das Selbstwertgefühl beeinträchtigen, sprechen Fachleute von problematischer oder sogar suchtähnlicher Nutzung.

Was Kinder besonders belastet – laut OECD-Bericht

  • Vergleich mit idealisierten Bildern auf Social Media
  • Cybermobbing und Online-Druck
  • Fehlende echte soziale Kontakte
  • Passive Mediennutzung ohne Interaktion
  • Familiäre Belastungen wie Konflikte oder wenig Unterstützung

Und was hilft? Ein gemeinsamer, ganzheitlicher Ansatz

Die OECD schlägt vor, auf vier Säulen zu setzen:

  1. Klare Regeln und kindgerechte Technik
    Digitale Dienste müssen sicher gestaltet werden – mit Schutzfunktionen und Altersgrenzen.
  2. Digitale Bildung für alle
    Kinder brauchen Medienkompetenz – aber auch Eltern, Lehrkräfte und Betreuer müssen mitziehen.
  3. Alltagstaugliche Hilfen für Familien
    Eltern brauchen Unterstützung, um Risiken zu erkennen und digitale Routinen gesund zu gestalten.
  4. Kinder mitentscheiden lassen
    Ihre Sichtweisen und Erfahrungen sind entscheidend, um gute Politik für sie zu machen.

Was noch fehlt: Bessere Daten, mehr Forschung

Ein großes Problem bleibt: Vieles wissen wir noch nicht genau. Die Forschung zur digitalen Kindheit ist oft korrelativ statt kausal, und in vielen Ländern fehlen belastbare Daten zur Bildschirmzeit, Art der Nutzung und den Auswirkungen.

Die OECD fordert daher:

  • Mehr und bessere Datenerhebung
  • Langzeitstudien zum digitalen Verhalten von Kindern
  • Einbindung von Fachwissen aus Gesundheit, Bildung und Sozialarbeit
  • Berücksichtigung vulnerabler Gruppen – etwa Kinder mit psychischen Belastungen

Neue Technologien, neue Herausforderungen

Künstliche Intelligenz (KI) und Virtual Reality (VR) bringen neue Chancen – aber auch neue Risiken. KI kann beim Lernen helfen, aber auch Fehlinformationen und Datenschutzprobleme verursachen. VR kann in der Bildung oder Therapie helfen, birgt aber Gefahren wie Reizüberflutung oder Realitätsverlust, besonders für kleine Kinder.

Deshalb gilt: Neue Technik braucht kluge Regeln, sichere Gestaltung, Zeitlimits – und erwachsene Aufsicht.

Fazit: Kinder brauchen mehr als WLAN

Die digitale Welt ist für Kinder heute selbstverständlich – sie soll sie stärken, nicht überfordern. Dafür braucht es einen Schulterschluss von Politik, Bildung, Forschung, Familien und Unternehmen. Die OECD zeigt: Nur wenn wir die Offline- und Online-Welten zusammendenken, können wir das Wohlergehen der nächsten Generation sichern.

Zur Rolle der OECD

Die OECD spielt im Bereich Kinder und Digitalisierung eine zunehmend wichtige Rolle, indem sie Daten sammelt, internationale Standards entwickelt und Regierungen bei der Ausarbeitung wirksamer Politikstrategien unterstützt. Ziel ist es, die Chancen der digitalen Welt für Kinder nutzbar zu machen – ohne dabei die Risiken für ihre Entwicklung, Gesundheit und Sicherheit zu übersehen.

Quelle: „How’s Life for Children in the Digital Age?“

Gernot Körner




Mehr als Noten: Was Musik Kindern wirklich bringt

Warum Musikunterricht nicht klüger macht – aber trotzdem unverzichtbar ist

Musikunterricht wird oft als Wundermittel für die kindliche Entwicklung gepriesen. Die Hoffnung: Wer ein Instrument lernt, wird nicht nur musikalischer, sondern auch intelligenter, besser im Rechnen, Lesen und Denken. Doch eine umfassende Metaanalyse zeigt: Diese Erwartungen sind oft überzogen.

Große Studie – ernüchterndes Ergebnis

Bereits 2020 werteten Dr. Giovanni Sala (Fujita Health University, Japan) und Prof. Fernand Gobet (London School of Economics) 54 Studien mit rund 7.000 Kindern aus. Ihr Ziel war es, herauszufinden, ob Musikunterricht auch über das Musizieren hinaus kognitive Fähigkeiten wie logisches Denken, Sprachverständnis oder Mathematik verbessert.

Das Ergebnis: Bei sorgfältig durchgeführten Studien – mit klaren Kontrollgruppen und zufälliger Zuteilung – zeigte sich kein nachweisbarer Einfluss von Musikunterricht auf allgemeine Intelligenz oder schulische Leistungen. Kurz: Musik macht nicht automatisch klüger.

Warum dieser „kognitive Schub“ meist ausbleibt

Der sogenannte Transfer-Effekt erklärt, warum. Fähigkeiten lassen sich nur schwer auf völlig andere Bereiche übertragen. Wer Klavier spielt, verbessert seine musikalischen Fertigkeiten – aber diese übertragen sich nicht automatisch auf Mathematik oder Sprachtests.

Musik wirkt anders – und tiefgreifend

Doch das heißt nicht, dass Musikunterricht unwirksam ist. Im Gegenteil: Er wirkt auf anderen Ebenen – und diese sind für die kindliche Entwicklung mindestens ebenso wichtig.

Musik fördert nachweislich das Selbstbewusstsein von Kindern. Ein Instrument zu beherrschen, ein Musikstück zu lernen und aufzuführen – das gibt Erfolgserlebnisse, stärkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und macht stolz. In einer Zeit, in der Kinder oft unter Leistungsdruck stehen, ist das ein unschätzbarer Wert.

Zudem bietet Musik einen Raum für Kreativität und freien Ausdruck. Anders als viele Schulfächer verlangt sie nicht nur korrektes Denken, sondern erlaubt Emotionen, Fantasie und Individualität. Kinder lernen, sich nonverbal auszudrücken – durch Klang, Rhythmus und Bewegung.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Freude, die Musik vermittelt: Singen, Musizieren oder gemeinsames Musikhören wecken Begeisterung, fördern soziale Bindungen und schaffen Momente echter Lebendigkeit – im Klassenzimmer wie im Alltag.

Auch sprachlich ein Gewinn

Darüber hinaus zeigen Forschungen des Max-Planck-Instituts für Neurowissenschaften, dass Musik und Sprache ähnliche Bereiche im Gehirn aktivieren. Das erklärt, warum Musikunterricht oder aktives Musikhören gerade die Sprachentwicklung unterstützen kann – ein bedeutender Aspekt für jüngere Kinder.

Fazit: Musikunterricht ist kein Intelligenz-Booster – aber ein Bildungsgewinn

Musik allein steigert vielleicht nicht die Intelligenz – doch sie leistet einen entscheidenden Beitrag zur emotionalen, kreativen und sozialen Entwicklung. Sie stärkt das Selbstwertgefühl, fördert Ausdruckskraft und lässt Kinder erleben, dass Lernen Spaß machen kann.

Musik ist kein Wundermittel für schulische Höchstleistungen – aber ein unverzichtbarer Teil ganzheitlicher Bildung.

https://link.springer.com/article/10.3758/s13421-020-01060-2

Gernot Körner




Fortbildung: Die Übergänge im Bildungssystem im Blick

60. Tagung der Sektion Sonderpädagogik der Pädagogischen Hochschule Heidelberg: „Transitionen in Bildungsverläufen“

Unter dem Leitthema „Transitionen in Bildungsverläufen“ findet vom 22. bis 24. September 2025 an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg die 60. Tagung der Sektion Sonderpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) statt.

Im Mittelpunkt der Fachtagung stehen Übergänge im Bildungssystem – sogenannte Transitionen –, die sowohl für junge Menschen als auch für pädagogische Fachkräfte große Bedeutung haben. Diese Übergänge reichen vom Eintritt in die Kindertagesstätte über den Wechsel von der Grundschule in weiterführende Schulformen bis hin zum Übergang ins Berufsleben oder Studium.

Wechsel der Lebensphasen

Das deutsche Bildungssystem ist durch zahlreiche solcher Übergänge geprägt. Dabei geht es nicht nur um organisatorische Wechsel, sondern um bedeutsame Lebensphasen, die gezielte pädagogische Begleitung erfordern. Gerade für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf stellen Übergänge oft kritische Punkte in ihren Bildungsbiografien dar.

Die Tagung greift aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse auf und beleuchtet, wie Übergänge inklusiv gestaltet und Ausgrenzung vermieden werden können. Im Fokus stehen dabei unter anderem:

  • Der Übergang in den Elementarbereich und von dort in die Schule,
  • Wechsel innerhalb der Schullaufbahn, etwa von der Grund- in die Sekundarstufe,
  • sowie der Übergang von der Schule in Berufsausbildung, Studium oder selbstständiges Wohnen.

Zunehmend komplexer und individueller

Übergänge werden zunehmend komplexer und individueller – sie dauern länger, verlaufen weniger vorhersehbar und fordern neue Formen der Unterstützung. Die Tagung bietet Raum für den interdisziplinären Austausch von Forschung und Praxis zu diesen Herausforderungen.

Interessierte aus Wissenschaft, Lehre und Praxis sind herzlich eingeladen, sich zu beteiligen und aktuelle Beiträge zu Forschung, Konzepten und Praxisprojekten einzubringen.

Hinweise zur Teilnahme

Einreichung von Abstracts noch bis 25. Mai 2025 – Anmeldung zur Tagung ab 1. Juni 2025 unter https://www.conftool.net/dgfe2025hd/index.php?page=index