Forschung: Wie viel Musik liegt in unseren Genen?

Studie zeigt: Der Musikgenuss ist zum Teil vererbbar – unabhängig von musikalischem Talent

Warum lieben manche Menschen Musik über alles – während sie andere eher kalt lässt? Eine aktuelle Studie, veröffentlicht in Nature Communications, liefert eine spannende Antwort: Unsere Fähigkeit, Musik zu genießen, ist zum Teil genetisch bedingt. Rund 54 Prozent der individuellen Unterschiede im Musikerleben lassen sich laut den Forscher:innen auf Vererbung zurückführen.

Besonders interessant: Die genetischen Einflüsse auf das musikalische Belohnungsempfinden sind nicht identisch mit denen, die für musikalisches Talent oder das allgemeine Belohnungsempfinden verantwortlich sind. Das bedeutet: Auch wer kein ausgeprägtes musikalisches Gehör hat, kann Musik als tief bereichernd empfinden – und umgekehrt. Die Freude an Musik ist also nicht allein eine Frage von Training oder Umwelt, sondern auch von Veranlagung.

Zudem entdeckte das internationale Forschungsteam, dass verschiedene Facetten des Musikgenusses – etwa die emotionale Wirkung, das Bedürfnis, im Takt zu tanzen, oder das gemeinsame Musizieren – durch unterschiedliche genetische Komponenten beeinflusst werden. Musikempfinden ist somit ein komplexes Zusammenspiel mehrerer biologischer und psychologischer Faktoren.

„Diese Ergebnisse zeigen, dass Musik auf einzigartige Weise unser Belohnungssystem anspricht – und das auf Grundlage individueller genetischer Anlagen“, erklärt Miriam Mosing, Seniorautorin der Studie und Forscherin am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt. „Das bedeutet aber nicht, dass Umweltfaktoren unwichtig wären. Vielmehr formen Gene und Erfahrungen gemeinsam unser Verhältnis zur Musik.“

Wie kam man zu diesen Ergebnissen?

Die Studie wurde von einem internationalen Team unter der Leitung der Max-Planck-Institute für Psycholinguistik (Nijmegen) und für empirische Ästhetik (Frankfurt) durchgeführt. Zur Ermittlung der genetischen Einflüsse nutzten die Forscher:innen ein bewährtes Zwillingsdesign: Sie verglichen die Ähnlichkeit im Musikempfinden zwischen eineiigen und zweieiigen Zwillingen.

In Zusammenarbeit mit dem Karolinska-Institut in Schweden analysierten sie die Daten von über 9.000 Zwillingen – darunter Angaben zur Freude an Musik, zur Wahrnehmung musikalischer Merkmale (wie Rhythmus oder Tonhöhe) sowie zum allgemeinen Belohnungsempfinden. Durch diesen Ansatz konnten sie den Einfluss genetischer und umweltbedingter Faktoren voneinander trennen.

Zukunft der Musikforschung in Deutschland

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wurde in Deutschland das erste nationale Zwillingsregister mit dem Namen „Gertrud“ ins Leben gerufen – ein Gemeinschaftsprojekt des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin. Ziel ist es, die Wechselwirkungen zwischen Genen, Umwelt und Verhalten künftig noch genauer untersuchen zu können. Interessierte Zwillinge können sich unter www.gertrud.info registrieren.

Originalpublikation:

Bignardi, G., Wesseldijk, L. W., Mas-Herrero, E., Zatorre, R. J., Ullén, F., Fisher, S. E., & Mosing, M. A. (2025). Twin Modelling Reveals Partly Distinct Genetic Pathways to Music Enjoyment. Nature Communications. https://doi.org/10.1038/s41467-025-58123-8

Quelle: Pressemitteilung Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik




OECD-Bericht: So beeinflusst die digitale Welt das Leben von Kindern

Die internationale Wirtschaftsorganisation fordert mehr Schutz, bessere Daten und gemeinsame Verantwortung

Fast jedes Kind ist heute online – und das immer früher. Schon 93 Prozent der Zehnjährigen hatten laut internationalen Bildungsstudien 2021 Zugang zum Internet, 70 Prozent besitzen ein eigenes Smartphone. Bei den 15-Jährigen ist die digitale Welt längst Alltag: 98 Prozent haben ein internetfähiges Smartphone, 96 Prozent Zugriff auf einen Computer oder ein Tablet zu Hause. In manchen Ländern verbringen Jugendliche über 60 Stunden pro Woche online – fast ein Vollzeitjob.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sieht darin große Chancen – aber auch wachsende Risiken. In ihrem neuen Bericht „How’s Life for Children in the Digital Age?“ fordert sie ein umfassendes Umdenken: Kinder brauchen Schutz, Orientierung und Unterstützung – nicht nur online, sondern auch in ihrem realen Umfeld.

Fakten auf einen Blick: So digital leben Kinder heute

  • 93 Prozent der Zehnjährigen hatten 2021 Internetzugang (2011: 85 Prozent)
  • 70 Prozent der Zehnjährigen besitzen ein eigenes Smartphone
  • 98 Prozent der 15-Jährigen in OECD-Ländern haben ein Smartphone mit Internet
  • Mindestens 50 Prozent der 15-Jährigen verbringen 30+ Stunden/Woche mit digitalen Geräten
  • In Ländern wie Lettland sind es bis zu 43 Prozent, die 60+ Stunden/Woche online sind

Chancen ja – aber nicht um jeden Preis

Digitale Technologien bieten Kindern viele Möglichkeiten: Sie fördern Lernen, Kreativität und soziale Kontakte. Doch die Risiken sind real:

  • Cybermobbing nimmt zu
  • Übermäßige Nutzung kann zu Stress, Schlafproblemen und Isolation führen
  • 17 Prozent der Jugendlichen fühlen sich nervös oder ängstlich ohne ihre Geräte
  • 27,6 Prozent geben an, in sozialen Netzwerken schon falsche Informationen geteilt zu haben

Besonders problematisch wird es, wenn Kinder den Umgang mit digitalen Medien nicht mehr steuern können: Wenn Online-Aktivitäten den Schlaf, die Schulleistungen oder das Selbstwertgefühl beeinträchtigen, sprechen Fachleute von problematischer oder sogar suchtähnlicher Nutzung.

Was Kinder besonders belastet – laut OECD-Bericht

  • Vergleich mit idealisierten Bildern auf Social Media
  • Cybermobbing und Online-Druck
  • Fehlende echte soziale Kontakte
  • Passive Mediennutzung ohne Interaktion
  • Familiäre Belastungen wie Konflikte oder wenig Unterstützung

Und was hilft? Ein gemeinsamer, ganzheitlicher Ansatz

Die OECD schlägt vor, auf vier Säulen zu setzen:

  1. Klare Regeln und kindgerechte Technik
    Digitale Dienste müssen sicher gestaltet werden – mit Schutzfunktionen und Altersgrenzen.
  2. Digitale Bildung für alle
    Kinder brauchen Medienkompetenz – aber auch Eltern, Lehrkräfte und Betreuer müssen mitziehen.
  3. Alltagstaugliche Hilfen für Familien
    Eltern brauchen Unterstützung, um Risiken zu erkennen und digitale Routinen gesund zu gestalten.
  4. Kinder mitentscheiden lassen
    Ihre Sichtweisen und Erfahrungen sind entscheidend, um gute Politik für sie zu machen.

Was noch fehlt: Bessere Daten, mehr Forschung

Ein großes Problem bleibt: Vieles wissen wir noch nicht genau. Die Forschung zur digitalen Kindheit ist oft korrelativ statt kausal, und in vielen Ländern fehlen belastbare Daten zur Bildschirmzeit, Art der Nutzung und den Auswirkungen.

Die OECD fordert daher:

  • Mehr und bessere Datenerhebung
  • Langzeitstudien zum digitalen Verhalten von Kindern
  • Einbindung von Fachwissen aus Gesundheit, Bildung und Sozialarbeit
  • Berücksichtigung vulnerabler Gruppen – etwa Kinder mit psychischen Belastungen

Neue Technologien, neue Herausforderungen

Künstliche Intelligenz (KI) und Virtual Reality (VR) bringen neue Chancen – aber auch neue Risiken. KI kann beim Lernen helfen, aber auch Fehlinformationen und Datenschutzprobleme verursachen. VR kann in der Bildung oder Therapie helfen, birgt aber Gefahren wie Reizüberflutung oder Realitätsverlust, besonders für kleine Kinder.

Deshalb gilt: Neue Technik braucht kluge Regeln, sichere Gestaltung, Zeitlimits – und erwachsene Aufsicht.

Fazit: Kinder brauchen mehr als WLAN

Die digitale Welt ist für Kinder heute selbstverständlich – sie soll sie stärken, nicht überfordern. Dafür braucht es einen Schulterschluss von Politik, Bildung, Forschung, Familien und Unternehmen. Die OECD zeigt: Nur wenn wir die Offline- und Online-Welten zusammendenken, können wir das Wohlergehen der nächsten Generation sichern.

Zur Rolle der OECD

Die OECD spielt im Bereich Kinder und Digitalisierung eine zunehmend wichtige Rolle, indem sie Daten sammelt, internationale Standards entwickelt und Regierungen bei der Ausarbeitung wirksamer Politikstrategien unterstützt. Ziel ist es, die Chancen der digitalen Welt für Kinder nutzbar zu machen – ohne dabei die Risiken für ihre Entwicklung, Gesundheit und Sicherheit zu übersehen.

Quelle: „How’s Life for Children in the Digital Age?“

Gernot Körner




Mehr als Noten: Was Musik Kindern wirklich bringt

Warum Musikunterricht nicht klüger macht – aber trotzdem unverzichtbar ist

Musikunterricht wird oft als Wundermittel für die kindliche Entwicklung gepriesen. Die Hoffnung: Wer ein Instrument lernt, wird nicht nur musikalischer, sondern auch intelligenter, besser im Rechnen, Lesen und Denken. Doch eine umfassende Metaanalyse zeigt: Diese Erwartungen sind oft überzogen.

Große Studie – ernüchterndes Ergebnis

Bereits 2020 werteten Dr. Giovanni Sala (Fujita Health University, Japan) und Prof. Fernand Gobet (London School of Economics) 54 Studien mit rund 7.000 Kindern aus. Ihr Ziel war es, herauszufinden, ob Musikunterricht auch über das Musizieren hinaus kognitive Fähigkeiten wie logisches Denken, Sprachverständnis oder Mathematik verbessert.

Das Ergebnis: Bei sorgfältig durchgeführten Studien – mit klaren Kontrollgruppen und zufälliger Zuteilung – zeigte sich kein nachweisbarer Einfluss von Musikunterricht auf allgemeine Intelligenz oder schulische Leistungen. Kurz: Musik macht nicht automatisch klüger.

Warum dieser „kognitive Schub“ meist ausbleibt

Der sogenannte Transfer-Effekt erklärt, warum. Fähigkeiten lassen sich nur schwer auf völlig andere Bereiche übertragen. Wer Klavier spielt, verbessert seine musikalischen Fertigkeiten – aber diese übertragen sich nicht automatisch auf Mathematik oder Sprachtests.

Musik wirkt anders – und tiefgreifend

Doch das heißt nicht, dass Musikunterricht unwirksam ist. Im Gegenteil: Er wirkt auf anderen Ebenen – und diese sind für die kindliche Entwicklung mindestens ebenso wichtig.

Musik fördert nachweislich das Selbstbewusstsein von Kindern. Ein Instrument zu beherrschen, ein Musikstück zu lernen und aufzuführen – das gibt Erfolgserlebnisse, stärkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und macht stolz. In einer Zeit, in der Kinder oft unter Leistungsdruck stehen, ist das ein unschätzbarer Wert.

Zudem bietet Musik einen Raum für Kreativität und freien Ausdruck. Anders als viele Schulfächer verlangt sie nicht nur korrektes Denken, sondern erlaubt Emotionen, Fantasie und Individualität. Kinder lernen, sich nonverbal auszudrücken – durch Klang, Rhythmus und Bewegung.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Freude, die Musik vermittelt: Singen, Musizieren oder gemeinsames Musikhören wecken Begeisterung, fördern soziale Bindungen und schaffen Momente echter Lebendigkeit – im Klassenzimmer wie im Alltag.

Auch sprachlich ein Gewinn

Darüber hinaus zeigen Forschungen des Max-Planck-Instituts für Neurowissenschaften, dass Musik und Sprache ähnliche Bereiche im Gehirn aktivieren. Das erklärt, warum Musikunterricht oder aktives Musikhören gerade die Sprachentwicklung unterstützen kann – ein bedeutender Aspekt für jüngere Kinder.

Fazit: Musikunterricht ist kein Intelligenz-Booster – aber ein Bildungsgewinn

Musik allein steigert vielleicht nicht die Intelligenz – doch sie leistet einen entscheidenden Beitrag zur emotionalen, kreativen und sozialen Entwicklung. Sie stärkt das Selbstwertgefühl, fördert Ausdruckskraft und lässt Kinder erleben, dass Lernen Spaß machen kann.

Musik ist kein Wundermittel für schulische Höchstleistungen – aber ein unverzichtbarer Teil ganzheitlicher Bildung.

https://link.springer.com/article/10.3758/s13421-020-01060-2

Gernot Körner




Fortbildung: Die Übergänge im Bildungssystem im Blick

60. Tagung der Sektion Sonderpädagogik der Pädagogischen Hochschule Heidelberg: „Transitionen in Bildungsverläufen“

Unter dem Leitthema „Transitionen in Bildungsverläufen“ findet vom 22. bis 24. September 2025 an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg die 60. Tagung der Sektion Sonderpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) statt.

Im Mittelpunkt der Fachtagung stehen Übergänge im Bildungssystem – sogenannte Transitionen –, die sowohl für junge Menschen als auch für pädagogische Fachkräfte große Bedeutung haben. Diese Übergänge reichen vom Eintritt in die Kindertagesstätte über den Wechsel von der Grundschule in weiterführende Schulformen bis hin zum Übergang ins Berufsleben oder Studium.

Wechsel der Lebensphasen

Das deutsche Bildungssystem ist durch zahlreiche solcher Übergänge geprägt. Dabei geht es nicht nur um organisatorische Wechsel, sondern um bedeutsame Lebensphasen, die gezielte pädagogische Begleitung erfordern. Gerade für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf stellen Übergänge oft kritische Punkte in ihren Bildungsbiografien dar.

Die Tagung greift aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse auf und beleuchtet, wie Übergänge inklusiv gestaltet und Ausgrenzung vermieden werden können. Im Fokus stehen dabei unter anderem:

  • Der Übergang in den Elementarbereich und von dort in die Schule,
  • Wechsel innerhalb der Schullaufbahn, etwa von der Grund- in die Sekundarstufe,
  • sowie der Übergang von der Schule in Berufsausbildung, Studium oder selbstständiges Wohnen.

Zunehmend komplexer und individueller

Übergänge werden zunehmend komplexer und individueller – sie dauern länger, verlaufen weniger vorhersehbar und fordern neue Formen der Unterstützung. Die Tagung bietet Raum für den interdisziplinären Austausch von Forschung und Praxis zu diesen Herausforderungen.

Interessierte aus Wissenschaft, Lehre und Praxis sind herzlich eingeladen, sich zu beteiligen und aktuelle Beiträge zu Forschung, Konzepten und Praxisprojekten einzubringen.

Hinweise zur Teilnahme

Einreichung von Abstracts noch bis 25. Mai 2025 – Anmeldung zur Tagung ab 1. Juni 2025 unter https://www.conftool.net/dgfe2025hd/index.php?page=index




Soziale Teilhabe: Was Kinder und Jugendliche wirklich brauchen

Laut der neuen Bertelsmann-Studie sind für Kinder und Jugendliche vor allem ihre Freund*innen und die digitale Teilhabe wichtig

Kinder und Jugendliche wünschen sich vor allem eines: soziale Teilhabe. Das zeigt die aktuelle Studie „Bedarfe von Kindern und Jugendlichen für ein gelingendes Aufwachsen“ der Bertelsmann Stiftung. Demnach sind Freundschaften und zwischenmenschliche Beziehungen für junge Menschen zwischen zehn und 15 Jahren zentral für ein gutes Leben. Rund ein Drittel der Befragten nennt soziale Kontakte zu Freund*innen und Gleichaltrigen als wichtigste Lebensgrundlage – noch vor der eigenen Familie, die von etwa 20 Prozent an zweiter Stelle genannt wird.

Dabei zeigt sich: Soziale Beziehungen sind auch im digitalen Raum von großer Bedeutung. Mehr als die Hälfte der befragten Kinder und Jugendlichen (54 Prozent) gibt an, auf Handy und mobiles Internet am wenigsten verzichten zu können. Digitale Teilhabe ist somit eng mit sozialer Teilhabe verknüpft.

Finanzielle Mittel als Schlüssel zur Teilhabe

Die finanziellen Prioritäten der jungen Generation spiegeln diese Bedürfnisse deutlich wider. Für neun von zehn Kindern und Jugendlichen ist es wichtig, Geld für gemeinsame Aktivitäten mit Freund*innen zur Verfügung zu haben. Auch Konsumgüter wie Kleidung, Technik oder Kosmetik (67 Prozent), Hobbys (61 Prozent) sowie Internet und Telefon (55 Prozent) stehen weit oben auf der Liste. Bemerkenswert: Rund die Hälfte der Befragten möchte zudem Geld sparen – ein Hinweis auf ein ausgeprägtes Bewusstsein für die eigene finanzielle Situation.

Erfreulich ist, dass sich das Taschengeld kaum nach dem Einkommen der Eltern richtet. Auch Haushalte mit geringerem Einkommen bemühen sich, ihren Kindern eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit zu ermöglichen.

Geldmangel schränkt soziale Teilhabe ein

Trotz grundsätzlich optimistischer Zukunftsperspektiven äußern viele junge Menschen Sorgen um die finanzielle Lage der Familie. Fast die Hälfte macht sich häufig oder zumindest gelegentlich Gedanken über das vorhandene Geld. Etwa ebenso viele berichten, dass sie sich regelmäßig Dinge nicht leisten konnten, die Freund*innen gekauft haben. Besonders deutlich wird: Wer für Unternehmungen mit dem Freundeskreis selbst aufkommen muss, erlebt finanzielle Engpässe oft als soziale Ausgrenzung.

„Nur die Existenz abzusichern, reicht nicht“, betont Antje Funcke, Familienpolitik-Expertin der Bertelsmann Stiftung. „Kinder und Jugendliche brauchen auch finanzielle Mittel, um aktiv am sozialen Leben teilnehmen zu können.“ Das bestätigt auch das JugendExpert*innenTeam, das die Studie begleitet hat. In der Begleitbroschüre „Mit uns!“ schreiben die Jugendlichen: „Wer nicht genug Geld hat, bleibt oft zuhause – und das kann auf Dauer einsam machen.“

Teilhabe braucht neue Rahmenbedingungen

Aktuelle staatliche Leistungen wie das Bürgergeld oder das Bildungs- und Teilhabepaket greifen zu kurz, wenn es um die tatsächlichen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen geht. Die Studie plädiert daher für eine Neuausrichtung existenzsichernder Leistungen – unter Berücksichtigung sozialer und digitaler Teilhabe. Ebenso wichtig sei der systematische Einbezug junger Menschen in politische und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse. Kinder und Jugendliche sind Expert*innen ihrer eigenen Lebenswelt – ihre Perspektiven müssen stärker berücksichtigt werden.

Gleichzeitig brauche es mehr kostenfreie Angebote in Bereichen wie Bildung, Freizeit, Sport und Kultur. Nur so lasse sich echte Teilhabe ermöglichen. Eine rein finanzielle Unterstützung genüge nicht – notwendig sei ein Zusammenspiel aus Geldleistungen und einer gut ausgebauten sozialen Infrastruktur.

Mitbestimmung im Schulalltag gewünscht

Auch im schulischen Umfeld äußern Kinder und Jugendliche ein starkes Bedürfnis nach Mitgestaltung. Zwar sind die meisten mit ihrer Schule grundsätzlich zufrieden, doch rund die Hälfte fühlt sich bei der Auswahl von Lerninhalten und Arbeitsmethoden nicht ausreichend beteiligt. Besonders Grundschulkinder bemängeln mangelnde Mitsprachemöglichkeiten.

Dabei ist Mitbestimmung ein entscheidender Motivationsfaktor: 95 Prozent der Befragten wünschen sich interessante Aufgaben, 94 Prozent genug Pausen und freie Zeit, und 93 Prozent eine zugängliche Lehrkraft, bei der man Fragen stellen kann.

„Kinder und Jugendliche besuchen ihre Schule nachweislich lieber, wenn sie das Gefühl haben, diese mitgestalten zu können“, erklärt Arne Halle, Schulpolitik-Experte der Bertelsmann Stiftung. Eine stärkere Beteiligung der Schüler*innen würde nicht nur die Zufriedenheit erhöhen, sondern auch das Lernen effektiver gestalten.

Zur Studie

Die Ergebnisse stammen aus einer bundesweiten, repräsentativen Befragung von 1.037 Kindern und Jugendlichen im Alter von zehn bis 15 Jahren sowie einer ergänzenden Elternbefragung. Zusätzlich fanden qualitative Gruppendiskussionen mit Grundschulkindern statt. Die Studie wurde im November und Dezember 2023 von der iconkids & youth international research GmbH durchgeführt und vom Institut für soziale Arbeit e.V. Münster ausgewertet. Besonderes Merkmal: Junge Menschen waren nicht nur Teil der Befragung, sondern auch aktiv an der Konzeption und Interpretation beteiligt – ein wichtiger Schritt hin zu mehr echter Beteiligung. In der Broschüre „Mit uns!“ kommentieren einige Jugendliche die Studie:

Quelle: Pressemitteilung Bertelsmann Stiftung




Kinderstimmen bauen Brücken – Singen kann mehr sein als Musikunterricht

Eine neue Studie aus Finnland zeigt, wie Kinder ihre Stimme nutzen, um Räume zu gestalten und gehört zu werden.

Singen – das klingt nach fröhlichen Kinderstimmen, nach Morgenkreis, nach Musikunterricht. Doch was bedeutet Singen eigentlich für Kinder selbst? Welche Rolle spielt es in ihrem Alltag, in ihrer Entwicklung, in ihrem Erleben von Gemeinschaft – besonders in einer zunehmend vielfältigen Gesellschaft? Die Dissertation „Kindergesangskulturen in kulturell vielfältigen finnischen Schulen und der Gesellschaft“ von Analía Capponi-Savolainen wirft einen frischen, interdisziplinären Blick auf das kindliche Singen. Die klassische Sängerin, Musikpädagogin und Doktorandin an der Universität der Künste Helsinki geht in ihrer Arbeit der Frage nach: Was bedeutet das Singen für Kinder – jenseits des Musikunterrichts? Ihre Antwort: Singen ist ein Medium kindlicher Selbstwirksamkeit und sozialer Teilhabe – besonders in einem schulischen Umfeld, das kulturell vielfältiger wird und Kindern dennoch oft nur begrenzte Räume zur Mitgestaltung bietet.

Eine neue Perspektive: Singökologie

Das zentrale Konzept von Capponi-Savolainen heißt „Singökologie“. Es beschreibt das Singen als Teil eines größeren ökologischen Gefüges, in dem Kinder leben, lernen und wachsen. Die Musikpädagogin beleuchtet vier Dimensionen, die zusammen ein umfassendes Bild ergeben: kindliche Entwicklung als existenzielle Erfahrung, das Erleben von Raum und Macht, Singen als Möglichkeit zur Handlung und Teilhabe (Affordanz) sowie ein ökologisches Systemdenken, das Schule als Brücke zwischen Kulturen begreift.

Die Studie wurde in einer kulturell vielfältigen Schule im Großraum Helsinki durchgeführt. Dafür interviewte Capponi-Savolainen 22 Erstklässler*innen und vier Lehrkräfte. Zudem ergänzte sie das Material durch ethnografische Beobachtungen und Tagebuchaufzeichnungen. Der besondere Ansatz: Die Stimmen der Kinder selbst standen im Mittelpunkt.

Singen als Ausdruck von Freiheit, Vertrauen und Selbstwirksamkeit

Was die Studie besonders eindrucksvoll zeigt: Kinder wissen bereits im jungen Alter, was Singen für sie bedeutet. Sie unterscheiden genau, ob sie im privaten oder öffentlichen Raum singen, ob sie dabei beobachtet werden oder sich unbeobachtet fühlen. Viele schaffen sich bewusst kleine „Gesangsräume“ – auf dem Schulhof, in ruhigen Momenten im Klassenzimmer, manchmal sogar heimlich. Diese Räume sind oft Rückzugsorte, aber auch Ausdruck von Mut, Kreativität und innerer Freiheit.

Singen hilft Kindern, mit Herausforderungen des Alltags umzugehen, sich mit anderen verbunden zu fühlen, ihre Gefühle zu ordnen oder sogar politische Botschaften zu senden – etwa, wenn sie durch ein Lied ihre Meinung oder Haltung ausdrücken. Es ist ein Medium der Teilhabe, in dem sie ihre kulturelle Identität sichtbar machen oder auch bewusst zurückhalten können.

Schule als Brücke – nicht nur als Lehrort

Die Schule spielt dabei eine doppelte Rolle. Einerseits wird das Singen dort oft als von Erwachsenen gesteuerte Aktivität erlebt – was nicht immer auf Zustimmung trifft. Andererseits bietet sie Kindern auch die Möglichkeit, sich mit anderen zu verbinden und Anerkennung zu erfahren. Die Qualität der Beziehungen im schulischen Raum – also wie sehr Kinder sich gesehen, gehört und respektiert fühlen – ist entscheidend dafür, ob sie das Singen als positive Erfahrung empfinden.

Capponi-Savolainen zeigt deutlich: Kinder suchen in der Schule aktiv nach Gelegenheiten, ihre Stimme zu erheben – manchmal buchstäblich. Und sie wünschen sich dabei mehr Raum zur Mitgestaltung.

Ein Appell an die Bildungswelt

Die Dissertation stellt damit gängige musikpädagogische Praktiken infrage, die oft stark auf Leistung, Technik und Reproduktion ausgerichtet sind. Stattdessen wird zu einem Perspektivwechsel aufgerufen: hin zu einem ökologischen Verständnis, das die Beziehung von Raum, Stimme, Handlung und Kultur in den Mittelpunkt stellt. Lehrkräfte, Ausbilder*innen und Forschende sind eingeladen, das Singen nicht nur als Unterrichtsinhalt zu begreifen, sondern als wesentlichen Teil kindlicher Weltaneignung.

Fazit: Singen ist mehr als ein Lied

Was Kinder singen – und vor allem wie und wo sie es tun – sagt viel darüber aus, wie sie ihre Umwelt erleben und mitgestalten. Singen ist für sie ein Weg, sich selbst auszudrücken, ihre Umgebung zu beeinflussen und soziale Räume zu schaffen. Es ist eine leise, aber kraftvolle Stimme der Teilhabe.

Die Dissertation liefert damit einen wertvollen Beitrag zu einem zeitgemäßen Verständnis von Bildung und Kindheit – und zeigt, dass es sich lohnt, Kindern besser zuzuhören. Besonders dann, wenn sie singen.

Lesen Sie hier die gesamte Dissertation: https://taju.uniarts.fi/handle/10024/8492

Kontakt zu Analía Capponi-Savolainen: analia.capponi-savolainen@uniarts.fi

Gernot Körner




Neuer Online-Studiengang Soziale Arbeit an der Hochschule Emden/Leer

Flexibles Fernstudium für Berufstätige und Familienmenschen – jetzt bewerben bis 15. Juli

Ab dem Wintersemester 2025/26 bietet die Hochschule Emden/Leer erstmals einen berufsbegleitenden Online-Studiengang im Bereich Soziale Arbeit an. Mit dem neuen Angebot reagiert die Hochschule auf den gestiegenen Bedarf an qualifizierten Fachkräften in der Sozialen Arbeit und setzt zugleich auf mehr Flexibilität im Studium.

Wie Prof. Dr. Michael Herschelmann, Studiengangsleiter am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit, berichtet, wurde die Idee für das neue Studienformat bereits seit mehreren Jahren verfolgt. Auch soziale Einrichtungen in der Region hätten regelmäßig auf den Mangel an gut ausgebildetem Personal hingewiesen. Der neue Studiengang soll nun Abhilfe schaffen. „Mit diesem Studienangebot tragen wir zur Fachkräftesicherung in der Region bei“, so Herschelmann. Als staatliche Hochschule könne man zudem ein gebührenfreies Blended-Learning-Modell anbieten.

Acht Semester in Teilzeit

Der Bachelorstudiengang „Soziale Arbeit online“ ist auf acht Semester in Teilzeit ausgelegt und führt zur staatlichen Anerkennung. Zwei Drittel des Studiums finden online statt, ein Drittel in Präsenz an der Hochschule in Emden. Die Lehrinhalte werden über die Lernplattform OLAT bereitgestellt und können flexibel bearbeitet werden. Begleitend stehen die Lehrenden in Online-Sprechstunden als Lerncoaches zur Verfügung.

Das Angebot richtet sich an Studieninteressierte mit mindestens eineinhalb Jahren einschlägiger Vollzeit-Berufserfahrung (bzw. drei Jahren in Teilzeit), etwa an Berufstätige oder Menschen mit Familien- und Pflegeverantwortung, für die ein Vollzeitstudium in Präsenz nicht infrage kommt.

Breite Auswahl an Vertiefungsschwerpunkten

Die Hochschule Emden/Leer ist eine von neun Hochschulen in Deutschland, die dem Hochschulverbund BASA-online angehören. Dieser Zusammenschluss ermöglicht eine breite Auswahl an Vertiefungsschwerpunkten – unter anderem in der Kinder- und Jugendhilfe, im Bildungsbereich, im Sport oder in der öffentlichen Sozialverwaltung.

Bewerbungen für den Studiengang sind bis zum 15. Juli 2025 möglich.
Weitere Informationen unter:
👉 https://www.hs-emden-leer.de/studierende/fachbereiche/soziale-arbeit-und-gesundh…

Quelle: Pressemitteilung Hochschule Emden/Leer – Katrin Hellwig




Für einen notwendigen Perspektivwechsel auf das „schwierige Kind“

Tures, Andrea (Hrsg.): Das schwierige Kind? Herausforderndem Verhalten professionell begegnen

Schon das Fragezeichen hinter dem Buchtitel lässt aufhorchen und die Fragen aufkommen: ja, geht es um ein schwieriges Kind (als Etikettierung des ganzen Menschen) oder handelt es sich um ein Kind mit Schwierigkeiten in bestimmten Handlungsfeldern? Oder sind die Lebensbedingungen/ biographischen Einflüsse, denen das Kind ausgesetzt ist, schwierig? Sind es vielleicht die schwierigen, entwicklungshinderlichen Konzepte/ pädagogischen Strukturen in einer Einrichtung, die dem Kind Schwierigkeiten bereiten? … So macht schon der Titel mehr als neugierig und problematisiert die Formulierung >Das schwierige Kind<, wie es in den Köpfen und Sichtweisen sicherlich vieler pädagogischer Fachkräfte schnell bei einem Kind mit problembehafteten Ausdrucksformen herumgeistert.

Damit hat schon alleine der Titel des Buches für eine bedeutsame und wichtige Problematisierung der Zuordnung, es handele sich aufgrund eines bestimmten kindlichen Verhaltens um ein >schwieriges Kind<.

In 17 Fachartikeln, die diese Veröffentlichung beinhaltet, geht es um folgende Schwerpunkte, die gleichzeitig als Zielsetzung dienlich sind:

  • 1.) Nur mit einem konkreten, wissenschaftlich fundierten Hintergrundwissen können Fachkräfte eine professionelle Sichtweise entwickeln, durch die so genannte aggressive, desinteressierte, unsoziale, überdrehte, unkooperativ handelnde, systemsprengende Kinder nicht von vornherein als ‚verhaltensgestört‘ oder ‚therapie-/ veränderungsresistent‘ abgestempelt werden. Das führt zu einem Perspektivwechsel auf die Aspekte, was einem Kind fehlt, was es an ‚Seelenproviant‘ braucht und wo der tatsächliche Problemkern vorhanden ist.
  • 2.) Durch konkrete Hilfs-/Handlungsstrategien erfahren Leserinnen, was getan werden kann/ muss, um aus einer salutogenetischen Haltung heraus kritische Situationen in entwicklungsförderliche Veränderungsprozesse zu wandeln.
  • 3.) Nur durch das authentische Verstehen der Ursachen von herausforderndem Verhalten geschieht ein Perspektivwechsel auf das Kind – vom Negativ-Blick zum Konzept einer Arbeit, die sich auf das Kindeswohl und eine bedürfnisbefriedigende Pädagogik richtet.

Im ersten Teil des Fachbuches finden Leserinnen Grundlagen im Umgang mit herausforderndem Verhalten des Kindes (z.B. systematisches Handeln/ ethische Ausrichtung der Pädagogik/ Professionalität als unabdingbare Voraussetzung für eine bedürfnisorientierte Pädagogik).

Der zweite und umfangreichste Teil des Buches geht auf unterschiedliche Phänomene eines herausfordernden Verhaltens von Kindern ein (z.B. Verhaltensweisen, die so genannte >überdrehte, unkooperative und destruktiv handelnde, beißende, aggressive, theatralische, wilde, heikle, unsympathische, sprachlose< Kinder), wobei alle Beiträge ein festes Strukturmuster haben:

  • (a) Vermittlung von Wissensbausteinen, um das Kind zu verstehen und das gezeigte Verhalten des Kindes fachkompetent einordnen zu können;
  • (b) Vorstellung von konkreten Handlungsstrategien, Vorgehensweisen und Konzepten, um das Kind bei entwicklungsförderlichen Prozessen angemessen zu begleiten;
  • (c) Es folgt ein konkretes Beispiel aus der Praxis;
  • (d) Jedes Kapitel endet dann mit Hinweisen für Leitungskräfte/ Träger, welche Rahmenbedingungen und Strukturen die Praxisarbeit stabilisieren.

Außerdem werden Literaturhinweise, Podcasts/ Filme/ Videos und Weiterbildungshinweise gegeben. Merksätze, Reflexionsfragen, Kernbotschaften und Tipps werden in so genannten ‚Merkkästen‘ aufgeführt.

Fachkräfte in Krippen/ Kitas und Grundschulen werden dieses Fachbuch als einen großen Schatz entdecken, auch wenn es anstrengend ist, sich auf einen vollkommen neuen, aber notwendigen Perspektivwechsel einzulassen, sind es doch vor allem die Erwachsenen oder bestimmte, eingefahrene Arbeitsstrukturen, die die Kinder zu Symptomträgern werden lassen.

Armin Krenz

Tures, Andrea (Hrsg.): Das schwierige Kind? Herausforderndem Verhalten professionell begegnen.

Cornelsen/ Verlag an der Ruhr, Mülheim 2025. ISBN: 978-3-8346-5294-2. 288 Seiten, 34,99 €.