Arme Kinder starten mit Nachteilen – reiche erben Erfolg und ein langes Leben

Neue Langzeitstudie zeigt: Wohlstand schafft Vorteile durch Selbstkontrolle, Wohlbefinden, Netzwerke – und wirkt bis in Gesundheit und Lebenserwartung hinein

Bundeskanzler Friedrich Merz forderte jüngst im Bundestag einen „neuen Konsens der Gerechtigkeit“. Es gehe, so Merz, „um nichts weniger als um Gerechtigkeit“ – und darum, was dieser Begriff in unserer Zeit bedeutet. Diese politische Forderung trifft auf aktuelle Forschung, die deutlich macht, wie stark Herkunft, Wohlstand und Netzwerke das Leben von Kindern und Jugendlichen prägen – von der Karriere bis hin zur Gesundheit und Lebenserwartung.

Das Märchen von der Leistungsgesellschaft

Die Ergebnisse einer neuen Untersuchung der Concordia University in Montreal stellen die Frage neu, ob in modernen Gesellschaften tatsächlich Leistung, Fleiß und Talent über Erfolg entscheiden – oder doch eher der Geldbeutel und die Kontakte der Eltern.

Die Forschenden haben Daten der British Cohort Study ausgewertet, einer Langzeiterhebung mit knapp 6.800 Kindern. Sie alle wurden 1970 geboren und bis ins Erwachsenenalter begleitet. Ergebnis: Kinder aus wohlhabenden Familien haben wesentlich bessere Chancen, schon mit Mitte zwanzig eine Führungsposition einzunehmen.

„Wohlstand bedeutet die Möglichkeit zu haben, Hobbys nachzugehen, zu reisen und eine gute Schule zu besuchen“, erklärt Studienautor Steve Granger. „Diese Möglichkeiten helfen, soziales Kapital aufzubauen – also Ressourcen und Chancen, die wir durch unsere Netzwerke erwerben.“

Vermögen wirkt – Geld öffnet Türen

Vermögen wirkt gleich mehrfach: Es sorgt für materielle Sicherheit, ermöglicht Zugang zu guter Bildung und eröffnet Erfahrungen, die wiederum Kontakte nach sich ziehen. Auch wenn die Studie Selbstkontrolle und psychisches Wohlbefinden als Vermittler herausstellt, spielt die finanzielle Ausgangslage eine kaum zu unterschätzende Rolle.

„Frühe Widrigkeiten – sei es eine dysfunktionale Familie, berufliche Unsicherheit, ständige Umzüge oder wirtschaftliche Belastungen – können Kindern wichtige Ressourcen vorenthalten“, so Granger. „Diese Erfahrungen behindern ihre Entwicklung und wirken bis ins Erwachsenenalter hinein.“

Netzwerke als Karriere-Sprungbrett

Neben dem Geld sind es die Netzwerke der Eltern, die entscheidend sind. In den Befragungen berichteten Jugendliche schon mit 16 Jahren, ob sie jemals durch familiäre Beziehungen an einen Arbeitsplatz gekommen waren. Die Daten zeigen: Wer gut vernetzte Eltern hat, profitiert oft direkt beim Einstieg in den Arbeitsmarkt.

Das widerspricht der liberalen Erzählung, dass jede und jeder „seines Glückes Schmied“ sei. Zwar spielen Talent und Anstrengung eine Rolle – doch der Zugang zu Gelegenheiten, Praktika oder ersten Jobs ist ungleich verteilt.

Gesundheit und Lebenserwartung – ein doppelter Vorteil

Die ungleichen Startbedingungen wirken sich nicht nur auf Karrierewege aus, sondern auch auf Gesundheit und Lebenszeit. Wer in einer wohlhabenden Familie aufwächst, hat besseren Zugang zu medizinischer Versorgung, gesunder Ernährung und sicheren Wohnumfeldern. Zahlreiche Studien zeigen, dass die Lebenserwartung zwischen einkommensstarken und einkommensschwachen Gruppen in westlichen Gesellschaften oft um zehn Jahre oder mehr auseinanderliegt.

Reichtum verschafft also nicht nur bessere Chancen auf Bildung und Karriere, sondern auch höhere Chancen auf ein langes und gesundes Leben. Wenn also derzeit so viele Reiche und Prominente ihren 90. oder gar 100. Geburtstag feiern, ist das kein Zufall, sondern schlicht das Ergebnis einer besseren medizinischen Versorgung. Damit stellt sich die Frage nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit noch grundlegender: Wenn Herkunft über beruflichen Erfolg, Gesundheit und Lebensdauer entscheidet, kann von gleichen Chancen kaum die Rede sein.

Gesellschaftliche Gerechtigkeit auf dem Prüfstand

Die Befunde werfen Fragen nach Gleichheit der Chancen auf. Wenn Vermögen und soziale Netzwerke schon früh Weichen stellen, wird die Idee eines fairen Wettbewerbs fragwürdig. Kinder aus benachteiligten Familien müssen oft doppelt so hart arbeiten, ohne vergleichbare Chancen auf Förderung oder Protektion.

Gleichzeitig zeigt die Studie: Interventionen sind möglich. Selbstkontrolle und psychisches Wohlbefinden lassen sich durch stabile Umfelder, schulische Unterstützung und außerschulische Aktivitäten fördern. Die Forschenden regen an, diese Ressourcen gezielt zu stärken und zugleich Unternehmen stärker in die Verantwortung zu nehmen, Talente auch jenseits privilegierter Herkunft zu fördern.

„Sozialneid“ – ein Kampfbegriff gegen Gerechtigkeit

In gesellschaftlichen Debatten wird die Forderung nach gleichen Chancen häufig mit dem Schlagwort „Sozialneid“ abgetan. Doch diese Vokabel ist weniger eine sachliche Diagnose als eine rhetorische Abwehrstrategie: Sie verunglimpft berechtigte Anliegen nach fairen Startbedingungen als Neidreaktion.

Wer aber nüchtern auf die Daten blickt, erkennt: Es geht nicht um Neid, sondern um fundamentale Fragen der Gerechtigkeit. Kinder aus armen Familien leben kürzer, sind häufiger krank und haben geringere Chancen auf Bildung und beruflichen Aufstieg. Das zu kritisieren, bedeutet nicht Neid – sondern den Anspruch auf eine Gesellschaft, in der Herkunft nicht über Lebenschancen entscheidet.

Schlussfolgerung für die Politik

Für die Politik bedeutet dies: Ein „neuer Konsens der Gerechtigkeit“, wie ihn Bundeskanzler Merz einfordert, muss zwar auch über Steuerfragen oder Bildungspolitik geführt werden. Er muss zudem die tiefgreifenden Zusammenhänge zwischen Herkunft, Gesundheit und Lebenschancen berücksichtigen. Wenn die Bundesregierung den Anspruch auf mehr Gerechtigkeit ernst nimmt und nicht nur leere Worthülsen von sich geben will, muss sie Strukturen schaffen, die allen Kindern unabhängig vom Elternhaus faire Chancen ermöglichen – auf gute Bildung, stabile Gesundheit und eine Zukunft, in der Leistung nicht länger hinter Vermögen und Beziehungen zurückstehen muss.

Mag dies alles auch längst bekannt sein, steckt doch der Hauptgrund für die Radikalsierung vieler demokratischer Gesellschaften darin. Eine wirkliche faire soziale Gerechtigkeit böte deshalb viele Chancen auf ein friedliches Leben für alle in Wohlstand. Eine glückliche Kindheit, mehr Motivation und damit bessere Leistungen zählen dazu.

Zur Studie: Early family socioeconomic status and later leadership role occupancy (Journal of Organizational Behavior, 2023): https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/job.2730

Gernot Körner




Mitbestimmung stärkt Demokratie und Motivation in Schule und Ganztag

Neue Studie: Wo Lernende mitentscheiden, wachsen Motivation, Selbstwirksamkeit und Demokratiekompetenzen – besonders im Ganztag

Schulen sind mehr als Lernorte – sie sind Erfahrungsräume für demokratisches Handeln. Das zeigt die aktuelle Meldung „Schulen können die Demokratie noch stärker machen – wenn sie richtig unterstützt werden“, die neue Daten zur Beteiligung von Schüler:innen zusammenfasst (zur Meldung). Dort, wo Lernende mitbestimmen, sind demokratische Kompetenzen und empfundene Selbstwirksamkeit stärker ausgeprägt – besonders in Ganztagsschulen.

„Unsere Demokratie braucht engagierte junge Menschen, die gelernt haben, ihre Stimme zu erheben, unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen und Kompromisse zu finden.“

(Brigitte Mohn)

Was die Daten zeigen

Die Studie „Demokratisierung des Lernens in Schule“ macht deutliche Lücken sichtbar: 63 % der Befragten können selten oder nie über Unterrichtsthemen mitbestimmen, 55 % haben kaum Einfluss auf Methoden und Materialien, 41 % geben an, Lehrkräften selten oder nie Feedback zum Unterricht mitteilen zu können. Nur etwa die Hälfte glaubt, Entscheidungen beeinflussen zu können, die die gesamte Schule betreffen. Besonders in Gymnasien ohne Ganztag erleben Jugendliche wenig Mitbestimmung (Studienhinweis in der Meldung).

Mitbestimmung wirkt – im Unterricht und darüber hinaus

Wissenschaftlich gut belegt ist: Beteiligung stärkt Motivation und Verantwortung. Wenn Lernende mitentscheiden dürfen, was und wie sie lernen, fühlen sie sich ernst genommen – Unterricht lässt sich passgenauer zuschneiden, was Bildungserfolg und Chancengleichheit erhöht.

„Eine zukunftsfähige Schule ist ohne Beteiligung nicht mehr vorstellbar.“

(Arne‑Christoph Halle)

„Den Auftrag, junge Menschen für das Leben in einer sich schnell verändernden Gesellschaft vorzubereiten, können Schulen nur erfüllen, wenn sie sich selbst verändern. Dafür brauchen sie die politische Rückendeckung, die Mittel und die nötigen Freiheiten.“

(Arne‑Christoph Halle)

Empfehlungen: Freiräume, Feedback, Beteiligungsrechte

Die Befunde sind mit klaren Empfehlungen verknüpft: Feedback von Schüler:innen verbindlich und regelmäßig einbeziehen – etwa durch digitale Befragungen, wie sie in kommunalen Monitorings erprobt sind (z. B. UWE – Umwelt, Wohlbefinden und Entwicklung). Dazu gehören mehr Freiheiten in der Unterrichtsgestaltung und flexiblere Lehrpläne sowie eine Lern- und Prüfungskultur, in der Lernende mitbestimmen, was und wie sie lernen (Hintergründe und Materialien u. a. im Schulbereich von jungbewegt). Zentral ist die Qualifizierung von Schulleitungen und Lehrkräften, damit Beteiligung sinnvoll umgesetzt werden kann. Mitbestimmungsrechte der Schülervertretungen sollten gestärkt und enger in schulpolitische Diskussionen eingebunden werden. Für konkrete Situationen zeigt das multimediale Angebot Demokratiekosmos Schule (DEKOS), wie pädagogische Teams bei Antisemitismus und Rechtsextremismus sicher reagieren und demokratische Kultur im Alltag verankern können.

Gelebte Demokratie sichtbar machen

Wie Schulen Demokratie bereits sichtbar leben, illustrieren Auszeichnungen und Initiativen. Ein aktueller Bezugspunkt ist der Themenpreis Demokratiebildung im Rahmen des Deutschen Schulpreises – er würdigt Schulen, die Demokratie vorbildlich in ihren Alltag integrieren.

Studie und Methodik

Die Ergebnisse beruhen auf einer repräsentativen Online‑Befragung von 1.044 Schüler:innen an allgemeinbildenden Schulen (Alter 12–16 Jahre); Erhebungszeitraum: 8. November bis 1. Dezember 2024 (Details zur Erhebung in der Meldung). Ergänzende Materialien finden sich in den Projektseiten von jungbewegt sowie in thematischen Dossiers.

Mehr Inhalte der Bertelsmann Stiftung zum Thema:

Über die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen sowie die aus ihrer Sicht wichtigen Faktoren für gutes Lernen:

Kinder und Jugendliche wollen dazugehören – und wissen, was sie dafür brauchen

Über die Ansichten junger Menschen zu ihren Ausbildungschancen:

Risiko für den Berufsweg: Viele Schüler:innen wollen erst arbeiten, statt Ausbildung zu beginnen

Über das Potenzial von Gaming-Communitys für die Demokratieförderung:

Das demokratische Potenzial von Gaming-Communitys besser nutzen

Über die Bereitschaft junger Menschen zu politischem Engagement:

Mehr Engagement junger Menschen ist möglich – wenn sie sich ernst genommen fühlen




Smartphone-Verbot Schule: Mehrheit will klare Altersgrenzen

Neue Studie zeigt: Erwachsene befürworten Handyverbote an Schulen und fordern spätere Social-Media-Nutzung für Kinder – Welche Altersgrenzen Erwachsene empfehlen

Eine neue Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) zeigt, welche Regeln sich Erwachsene für Kinder wünschen:

  • Eigenes Smartphone: ab 12 Jahren
  • Social Media: ab 14 Jahren
  • Smartphone-Verbot Schule: an Grundschulen sowie ein Nutzungsverbot im Unterricht

„Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass Erwachsene ein Schutzbedürfnis für Kinder und Jugendliche sehen – gerade bei sozialen Medien“, erklärt Prof. Dr. C. Katharina Spieß, Direktorin des BiB.

Informationen verändern die Meinung

Ob Befragte über Chancen oder Risiken digitaler Medien informiert wurden, hatte direkten Einfluss auf ihre Antworten. Wer die Risiken wie Cybermobbing oder ungeeignete Inhalte vor Augen geführt bekam, sprach sich für ein durchschnittlich vier Monate höheres Mindestalter aus.

„Information wirkt“, fasst Mitautorin Dr. Sophia Schmitz zusammen. „Insbesondere, wenn die Risiken hervorgehoben werden, erhöht sich die Altersgrenze für eine eigenständige Nutzung digitaler Medien.“

Smartphone-Verbot Schule: Mehr als ein Handyverbot

Die Mehrheit der Erwachsenen befürwortet nicht nur ein Smartphone-Verbot an Schulen, sondern erwartet auch, dass Politik und Plattformbetreiber mehr Verantwortung übernehmen.

„Ein reines Handyverbot reicht nach Ansicht vieler Befragter nicht aus“, betont Spieß. Schulen sollen Kinder und Jugendliche befähigen, verantwortungsvoll mit digitalen Medien umzugehen und Medienkompetenz zu entwickeln.

Politische Bedeutung

Für die Forschenden sind die Ergebnisse ein Signal: „Erkenntnisse über den Effekt von Information auf Einstellungen können wertvolle Ansatzpunkte für politische Entscheidungen liefern“, so Spieß. „Etwa bei der Akzeptanz potenzieller Regelungen zu einem ‚digitalen Volljährigkeitsalter‘.“

Hintergrund zur Studie

Die Befragung basiert auf einer bundesweiten Stichprobe von 1.312 Erwachsenen. Im Rahmen eines „Surveyexperiments“ erhielten die Teilnehmenden unterschiedliche Informationen zu Chancen und Risiken digitaler Medien und gaben anschließend ihre Einschätzungen zu Altersgrenzen ab.

Originalpublikation:

Schmitz, Sophia; Spieß, C. Katharina; Düval, Sabine; Hübener, Mathias; Siegel, Nico: Digitale Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen. In: BiB.Aktuell 7/2025
https: www.bib.bund.de/Publikation/2025/BiB-Aktuell-2025-7


Digitale Mediennutzung: Verantwortung von Eltern und Fachkräften

Kinder wachsen mit digitalen Medien auf – zu Hause, in Kita und Schule. Die digitale Mediennutzung Kinder stellt Eltern und pädagogische Fachkräfte vor neue Aufgaben: Sie müssen Chancen und Risiken abwägen, Orientierung geben und Regeln entwickeln. Entscheidend ist, welche Inhalte in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt sinnvoll sind. Neue Schwerpunkte in der Elementarpädagogik erfordern daher immer eine sorgfältige Betrachtung.

Broschüre, 28 Seiten, ISBN 978-3-96304-619-3, 5 €




ADHS und Autismus: Wenn das Gehirn anders tickt

FernUni-Forschung zeigt, wie neurodivergente Menschen in Schule und Beruf besser unterstützt werden können

Immer mehr Eltern und Erzieher*innen beschäftigen sich mit den Themen ADHS bei Kindern oder Autismus im Alltag. Noch immer gibt es viele Vorurteile: „Zappelphilipp“, „Modekrankheit“ oder „sozial schwierig“. Doch Fachleute betonen: Menschen mit Autismus oder ADHS sind nicht krank – sie sind neurodivergent. Ihr Gehirn arbeitet anders, und genau das kann eine große Stärke sein.

Forschung für mehr Inklusion

Die Psychologin Dr. Kerstin Erdal untersuchte in ihrer Promotion an der FernUniversität in Hagen, wie sich Menschen mit ADHS und Autismus auf dem Arbeitsmarkt zurechtfinden. Heute forscht sie in Göteborg und arbeitet therapeutisch mit autistischen Erwachsenen. Ihre Ergebnisse zeigen:

  • Nur vier von zehn Menschen mit Autismus in Deutschland haben einen Arbeitsplatz.
  • Erwachsene mit ADHS haben oft Schwierigkeiten, ihre Stelle langfristig zu behalten.
  • Arbeitslosigkeit wirkt sich stark negativ auf die seelische Gesundheit aus.

Diese Zahlen machen deutlich, dass mehr Inklusion in der Schule und im Arbeitsleben dringend notwendig ist – zum Wohle der Betroffenen und der gesamten Gesellschaft.

Individuelle Unterstützung macht den Unterschied

Ob in Schule, Ausbildung oder Beruf: Menschen mit ADHS oder Autismus profitieren von individuell zugeschnittenen Lösungen. Das können sein:

  • ein ruhiges Arbeitsumfeld,
  • klare Strukturen und verständliche Anweisungen,
  • Rückzugsmöglichkeiten,
  • technische Unterstützung oder
  • die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten.

Wenn Arbeitgeber*innen, Lehrkräfte oder Eltern die besonderen Bedürfnisse berücksichtigen, profitieren alle Seiten. Denn neurodivergente Menschen bringen häufig besondere Fähigkeiten mit: hohe Detailgenauigkeit, Kreativität oder die Fähigkeit, komplexe Prozesse neu zu strukturieren.

Stress wird intensiver erlebt

Erdals Forschung zeigt auch: Menschen mit ADHS und Autismus nehmen Stress stärker wahr. Neurowissenschaftliche Studien weisen auf Unterschiede in der Amygdala, der „Angstzentrale“ des Gehirns, hin. Diese machen Betroffene sensibler für Stress und emotionale Belastungen. Ohne Unterstützung drohen Einsamkeit oder psychische Erkrankungen.

Gleichzeitig gibt es Wege, Resilienz aufzubauen – etwa durch feste Routinen, klare Kommunikation, Bezugspersonen im Team oder gezielte Strategien zur Stressbewältigung.

Neurodivergente Stärken nutzen

Ob im Klassenzimmer oder am Arbeitsplatz: Neurodivergente Menschen haben viel zu geben. „Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels können wir es uns nicht leisten, auf ihre Talente zu verzichten“, betont Erdal. „Was wir brauchen, sind passende Rahmenbedingungen – und mehr Bewusstsein für ihre besonderen Fähigkeiten.“


ADS-Cover

ADS im Blick: Fachlich fundierte Ratgeber für Schule und Familie

ADS erfordert Wissen und konkrete Strategien. Die vier Ratgeber von Dr. Elisabeth Aust-Claus und OptiMind®-Konzept. Sie bieten praxisnahe Hilfen für Schule, Familie und Alltag – und eignen sich hervorragend, um Eltern fundierte Unterstützung zu empfehlen. Mehr dazu finden sie hier.





Kindergesundheit in Gefahr: Patientensicherheit braucht Systemwandel

Aktionsbündnis Patientensicherheit fordert bessere Versorgung und mehr Ressourcen für Kinder

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS), die KKH Kaufmännische Krankenkasse und die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) schlagen Alarm: Die Versorgung von Kindern im deutschen Gesundheitssystem ist unsicher und unterfinanziert. „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Dieser Satz ist mehr als eine medizinische Binsenweisheit, er ist ein Auftrag“, betonte APS-Vorsitzende Dr. Ruth Hecker. Versorgung müsse sich immer an Alter, Größe, Entwicklung und sprachlichen Fähigkeiten der jungen Patientinnen und Patienten orientieren.

Eine zentrale Rolle spielen dabei Eltern. Sie seien die Brücke zwischen Kind und Behandlungsteam, nehmen oft Veränderungen früh wahr und müssten stärker einbezogen werden: „Da sollten wir genau hinhören“, so Hecker.

Strukturelle Defizite in der Kindermedizin

Seit Jahren werde die Kindermedizin vernachlässigt, kritisiert der stellvertretende APS-Vorsitzende und Kinderchirurg Dr. Christian Deindl. „Kindermedizin bedeutet Zuwendung und Empathie und benötigt entsprechende zeitliche und personelle Ressourcen.“ Besonders die geplante Krankenhausreform gerät in die Kritik: DGKJ-Präsidentin Prof. Dr. Ursula Felderhoff-Müser warnt, die speziellen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen drohten aus dem Fokus gesundheitspolitischer Entscheidungen zu verschwinden.

Wachsende Ängste bei Eltern

Eine aktuelle forsa-Umfrage im Auftrag der KKH zeigt, dass die Unsicherheit bei Eltern wächst. 26 Prozent der Befragten mit Kindern bis 12 Jahren äußerten Ängste im Hinblick auf Klinikaufenthalte (2021: 19 Prozent). Hauptsorge sind Infektionen mit Krankenhauskeimen, gefolgt von Befürchtungen vor erneuten Operationen oder Narkosekomplikationen.

„In erster Linie fürchten 77 Prozent der besorgten Eltern eine Infektion mit Krankenhauskeimen“, erläutert Vijitha Sanjivkumar, Expertin für Kindergesundheit im Kompetenzteam Medizin der KKH. Knapp zwei Drittel sorgen sich außerdem vor Narkoserisiken oder erneuten Operationen. Gleichzeitig vertrauen immerhin 73 Prozent der Eltern dem Klinikpersonal.

Forderung nach Paradigmenwechsel

APS-Generalsekretär Joachim Maurice Mielert geht noch einen Schritt weiter: „Wir brauchen nicht nur eine Reform, sondern einen Paradigmenwechsel.“ Patientensicherheit müsse gesetzlich verankert werden – bislang scheue die Politik diesen Schritt aus Angst vor Haftungsrisiken und Kosten.

Konkrete Maßnahmen für mehr Sicherheit

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit, die KKH und die DGKJ fordern eine Reihe von Maßnahmen, um die Sicherheit von Kindern im Gesundheitssystem zu verbessern:

  • standardisierte Checklisten
  • doppelte Kontrollen bei Medikamentengaben
  • Dosierung nach Gewicht
  • pädiatrische Datenbanken in der elektronischen Verordnung
  • Aufbau einer „Speak-Up-Kultur“, die auch Eltern und junge Fachkräfte ermutigt, Bedenken offen anzusprechen

Alle Informationen stammen aus der Pressemitteilung des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS). Das APS ist ein bundesweites Netzwerk aus Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen, das sich seit 2005 für mehr Patientensicherheit in Deutschland einsetzt.




Gesunder Medienkonsum für Kinder: Empfehlungen des BIÖG für Eltern

Wie Eltern ihre Kinder im Umgang mit Smartphone, Tablet und Fernseher unterstützen können

Zum Beginn des neuen Schuljahres wird wieder über Handyverbote an Schulen diskutiert. Manche Bundesländer haben feste Regeln, andere überlassen die Entscheidung den Schulen. Für Eltern ist jedoch die zentrale Frage: Wie gelingt es, Kindern von klein auf einen gesunden Umgang mit Smartphone, Tablet und Fernseher zu vermitteln?

Das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG), früher Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), hat klare Empfehlungen veröffentlicht. Mit der Präventionskampagne „Ins Netz gehen“ möchte es Eltern Orientierung geben, um problematische Bildschirmzeit und eine mögliche Handysucht bei Kindern zu verhindern.

Bildschirmzeit bei Kleinkindern: klare Empfehlungen des BIÖG

Das BIÖG rät, dass Kinder unter drei Jahren am besten gar nicht fernsehen oder andere Bildschirmgeräte nutzen sollten. In diesem Alter sind direkte Sinneserfahrungen in der realen Welt entscheidend. Videospiele – auch einfache Lernspiele – sind frühestens ab vier Jahren geeignet. Apps auf Smartphones und Tablets sind in den ersten Lebensjahren nicht zu empfehlen und können problemlos durch gemeinsame Aktivitäten im Alltag ersetzt werden.

Handynutzung bei Kindern: Warnzeichen für problematisches Verhalten

Nicht jede intensive Nutzung von Smartphone oder Tablet ist gleich bedenklich. Eltern sollten jedoch aufmerksam werden, wenn Kinder ständig Nachrichten prüfen, gereizt reagieren, wenn sie das Handy nicht nutzen dürfen, oder gedanklich dauerhaft mit Spielen und sozialen Netzwerken beschäftigt sind. Weitere Warnzeichen sind erfolglose Versuche, die Nutzung einzuschränken, das Vernachlässigen von Schule, Hobbys oder Freundschaften sowie körperliche Symptome wie Schlafmangel, Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen. Auch das Verheimlichen oder Verharmlosen des eigenen Nutzungsverhaltens deutet auf eine problematische Mediennutzung hin.

Medienerziehung in der Familie: Tipps für einen gesunden Umgang

Eltern spielen die wichtigste Rolle, wenn es darum geht, Bildschirmzeit zu begrenzen und Mediennutzung gesund zu gestalten. Das BIÖG empfiehlt:

  • Kinderschutzfunktionen am Gerät einrichten, damit ungeeignete Inhalte blockiert werden.
  • Klare Regeln für handyfreie Zeiten festlegen, zum Beispiel bei Mahlzeiten, bei Besuch oder vor dem Schlafengehen.
  • Benachrichtigungen reduzieren, damit das Smartphone weniger Ablenkung erzeugt.
  • Vorbild sein: Eltern, die bewusst mit digitalen Medien umgehen, erleichtern Kindern das Einhalten von Regeln.
  • Digitale Pausen erklären, damit Kinder verstehen, warum Bildschirmzeit begrenzt wird.
  • Freizeit abwechslungsreich gestalten, um Handy und Tablet in den Hintergrund zu rücken.

Handysucht bei Kindern erkennen und Hilfe finden

Wenn Eltern unsicher sind, ob ihr Kind bereits ein problematisches Nutzungsverhalten entwickelt hat, bietet das BIÖG auf seiner Plattform „Ins Netz gehen“ einen Selbsttest an. Kinder und Jugendliche erhalten dort eine Auswertung ihrer Smartphone-Nutzung und können bei Bedarf eine kostenlose Online-Beratung in Anspruch nehmen.

Weitere Informationen zu gesunder Mediennutzung

Eltern, die sich umfassend informieren möchten, finden praxisnahe Tipps auf den Seiten des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit unter www.ins-netz-gehen.de sowie auf dem Portal www.kindergesundheit-info.de. Beide Angebote unterstützen Familien dabei, Kinder altersgerecht an digitale Medien heranzuführen und Handynutzung sinnvoll zu begleiten.

Bildschirmzeit von Kindern bewusst begleiten

Medienerziehung beginnt früh. Eltern, die von Anfang an klare Regeln setzen, Bildschirmzeit begrenzen und Alternativen anbieten, helfen Kindern dabei, Smartphone und Tablet sinnvoll zu nutzen. So lernen Kinder, digitale Medien verantwortungsvoll einzusetzen – ohne dass Handy, Fernseher oder Konsole das Familienleben bestimmen.




Elternprogramme verhindern kein Übergewicht bei Kleinkindern

Internationale Studie zeigt: Frühprävention muss stärker auf Lebenswelten statt auf individuelles Verhalten setzen – großangelegte Analyse mit fast 29.000 Kindern

Eine im Fachjournal The Lancet veröffentlichte internationale Studie zeigt: Elternbasierte Präventionsprogramme sind wirkungslos, wenn es darum geht, Übergewicht bei Kleinkindern vorzubeugen. Analysiert wurden Daten aus 31 Interventionsstudien mit knapp 29.000 Kindern aus zehn Ländern. Die Programme setzten zwischen Schwangerschaft und dem ersten Geburtstag an und sollten Eltern dabei unterstützen, ihre Kinder zu gesunder Ernährung, ausreichend Schlaf und mehr Bewegung anzuleiten.

Das Ergebnis ist ernüchternd: Der Body-Mass-Index der Kinder unterschied sich im Alter von zwei Jahren nicht messbar zwischen Familien, die an den Programmen teilnahmen, und jenen ohne Teilnahme.

Wissenschaftliche Leitung in Rostock

Die Forschungskooperation TOPCHILD wurde von Prof. Dr. Anna Lene Seidler, Universitätsmedizin Rostock, geleitet. Sie wechselte im November von der University of Sydney nach Rostock und schloss die Arbeiten dort ab. Erstautorin ist Dr. Kylie Hunter von der University of Sydney.

„Die erste Lebensphase ist für viele Familien enorm herausfordernd. Zeit, Ressourcen und stabile Rahmenbedingungen fehlen oft, um gesundheitsförderliche Verhaltensweisen konsequent umzusetzen“, erklärt Prof. Seidler. Besonders Familien mit geringem Einkommen würden von solchen Programmen seltener erreicht – was bestehende soziale Ungleichheiten sogar verschärfen könne.

Strukturelle Lösungen statt Appelle an Eltern

Die Forschenden fordern daher ein Umdenken in der Adipositasprävention: Statt allein auf elterliches Verhalten zu setzen, müsse die Gestaltung der Lebenswelten von Kindern in den Fokus rücken. Entscheidend seien der Zugang zu Grünflächen, sichere Spielumgebungen, bezahlbares gesundes Schulessen und eine gute Verfügbarkeit frischer Lebensmittel.

„Eltern leisten viel, aber sie können Übergewicht bei Kindern nicht im Alleingang verhindern“, betont Dr. Kylie Hunter. „Wir müssen die Umgebungen verbessern, in denen Kinder essen, lernen und spielen. Gesunde Entscheidungen müssen für alle einfacher werden – unabhängig vom Wohnort.“

Internationale Kooperation stärkt Forschungsstandort Rostock

An der Studie waren mehr als 70 Forschende aus 47 Institutionen beteiligt. Für die Universitätsmedizin Rostock ist die Leitung dieser größten Datensammlung zur frühkindlichen Adipositasprävention ein wichtiger Schritt, betont Prof. Dr. Bernd Krause, Dekan und Wissenschaftlicher Vorstand: „Diese Kooperation ist ein starkes Zeichen für den wissenschaftlichen Austausch über Ländergrenzen hinweg und stärkt den Forschungsstandort Rostock im internationalen Raum sichtbar.“

Die Professur von Prof. Seidler ist zudem ein zentraler Baustein für das entstehende Deutsche Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit (DZKJ) in Greifswald/Rostock. Dort soll die Forschung zu gesundheitlichen Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen künftig weiter intensiviert werden.




Erstmals mehr Kinder und Jugendliche fettleibig als untergewichtig

UNICEF-Report warnt vor wachsendem Gesundheitsrisiko

Zum ersten Mal in der Geschichte sind weltweit mehr Kinder und Jugendliche fettleibig als untergewichtig. Das geht aus dem aktuellen UNICEF-Report „Feeding Profit: How Food Environments are Failing Children“ hervor. Demnach ist jedes fünfte Kind im Alter von fünf bis 19 Jahren übergewichtig, jedes zehnte sogar fettleibig. Damit hat starkes Übergewicht Untergewicht als häufigste Form von Fehlernährung abgelöst.

Globale Entwicklung

Die Analyse stützt sich auf Daten aus über 190 Ländern. Seit dem Jahr 2000 ist der Anteil untergewichtiger Kinder von 13 Prozent auf 9,2 Prozent gesunken. Gleichzeitig hat sich der Anteil fettleibiger Kinder mehr als verdreifacht – von 3 Prozent auf 9,4 Prozent.

In den meisten Regionen der Welt tritt Fettleibigkeit inzwischen häufiger auf als Untergewicht, mit Ausnahme von Subsahara-Afrika und Südasien. Besonders hoch sind die Werte in Ländern mit hohem Einkommen: In Chile gelten 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen als adipös, in den USA und den Vereinigten Arabischen Emiraten jeweils 21 Prozent. In Deutschland ist ein Viertel der Fünf- bis 19-Jährigen übergewichtig, davon 8 Prozent adipös.

Ursachen und Einflussfaktoren

UNICEF sieht die Hauptursache in der allgegenwärtigen Verfügbarkeit und Vermarktung stark verarbeiteter Lebensmittel. Produkte mit hohem Gehalt an Zucker, Salz, ungesunden Fetten und Zusatzstoffen prägen zunehmend die Ernährung von Kindern und Jugendlichen. Sie sind billig, leicht zugänglich und werden – in Schulen, Geschäften wie auch über digitale Kanäle – intensiv beworben.

Besonders drastisch zeigt sich diese Entwicklung in den pazifischen Inselstaaten. Dort haben sich die Adipositas-Raten seit 2000 verdoppelt und erreichen Werte von bis zu 38 Prozent, etwa in Niue. Grund sei die Verdrängung traditioneller Ernährungsweisen durch importierte, energiereiche Fertigprodukte.

Folgen für Kinder und Gesellschaft

UNICEF warnt, dass Übergewicht im Kindes- und Jugendalter schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben kann. Betroffene Kinder haben ein höheres Risiko, an Bluthochdruck, Insulinresistenz und später an Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs zu erkranken.

Darüber hinaus kommt es häufiger zu schulischen Problemen, geringem Selbstwertgefühl und Ausgrenzung durch Mobbing. Einmal entstandene Fettleibigkeit bleibt oft bis ins Erwachsenenalter bestehen.

Die weltweiten Auswirkungen betreffen auch ganze Volkswirtschaften: Steigende Gesundheitskosten und sinkende Arbeitsproduktivität gelten als direkte Folge der zunehmenden Verbreitung von Übergewicht und Fettleibigkeit.

Politische Maßnahmen

Der Report verweist auf positive Beispiele staatlicher Interventionen. In Mexiko etwa ist der Verkauf von stark verarbeiteten Lebensmitteln und zuckerhaltigen Getränken in öffentlichen Schulen verboten. Über 34 Millionen Kinder profitieren dort von strengeren Vorgaben, die ihre tägliche Ernährung schützen sollen.