Trotz Kita-Ausbau: Oma und Opa weiter dringend gefragt

Neue Broschüre des BiB und des DIW Berlin zur Kinderbetreuung durch die Großeltern

Großeltern spielen bei der Betreuung von Kindern eine große Rolle – und das hat sich auch durch den Kita-Ausbau in Deutschland kaum verändert, wie eine eben in Berlin vorgestellte Studie zeigt. Das zweijährige Forschungsprojekt des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) weist auf der Basis repräsentativer Daten nach, dass Oma und Opa ein wichtiger Bestandteil und eine Hilfe im Leben von jungen Familien sind. Der Anteil der Jungen und Mädchen unter sechs Jahren, deren Großeltern nach Bedarf oder regelmäßig an der Betreuung beteiligt sind, liegt in Deutschland bei über 50 Prozent. Regelmäßig werden in einer normalen Woche zwischen 20 und 40 Prozent der Mädchen und Jungen unter 10 Jahren von den Großeltern beaufsichtigt.

Wichtige Komponente im Leben von jungen Familien

Oma und Opa werden nicht nur aus emotionalen, sondern auch aus ganz praktischen Gründen gebraucht: Zwar besuchen neun von zehn Vorschul-Kindern in Deutschland eine Kita, dennoch kümmern sich Großeltern – größtenteils Großmütter – zusätzlich um jedes zweite Klein- und Vorschulkind. „Großelternbetreuung ist in den letzten Jahren trotz Kita-Ausbau weitgehend konstant geblieben, sie ist eine wichtige Komponente im Leben von jungen Familien, und hilft den Eltern“, erläutert Professorin C. Katharina Spieß, die mit ihrem Team seit Juni 2020 am Projekt „Oma und Opa gefragt?“ geforscht hat. Eltern, die dazu keine Möglichkeit hätten, wünschten sich in großem Maß eine stärkere Einbindung von Oma und Opa – das äußerten rund zwei Drittel der im Panel abgebildeten Familien.

Im Westen Deutschlands sind die Großeltern am Nachmittag neben den Eltern bei jungen Kindern sogar die Hauptbetreuungsform, im Osten werden sie am Nachmittag dabei sehr häufig mit der Kita kombiniert, beispielsweise um die (Randzeiten-) Umsorgung der unter 10-Jährigen sicherzustellen.

Augenmerk auf „Betreuungs-Patchwork“

Allerdings zeigt die Studie auch: Wenn Oma- und Opa-Betreuung in Kombination mit zu vielen Bezugspersonen – ganztags Kita, danach Großeltern und dann Eltern – genutzt wird, können sich negative Effekte im sozio-emotionalen Bereich ergeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder zwischen drei und fünf Jahren sozio-emotional instabiler sind, erhöht sich um 36 Prozent, wenn Mädchen und Jungen „im Ganztag“ sind und zusätzlich von den Großeltern betreut werden. Diese Effekte sind für Kinder, die nur halbtags eine Kita besuchen, nicht zu beobachten.

„Die Familien- und Bildungspolitik muss sich der Frage stellen, wie eine stabile und damit qualitativ gute Betreuungsumwelt in Kitas und dem schulischen Ganztag bei einer Kombination mehrerer Betreuungsformen gesichert werden kann“, so Johannes Hauenstein, Vorstand der Stiftung Ravensburger Verlag, die das Forschungsprojekt gefördert hat. Etwa den Wechsel der Fachkräfte in den Kitas auf ein notwendiges Maß reduzieren, indem das Arbeitsumfeld so attraktiv gemacht wird, dass die Pädagoginnen und Pädagogen hier über einen längeren Zeitraum arbeiten und das aus Sicht der Kita-Kinder idealerweise in Vollzeit.

Zufriedene Mütter haben sozio-emotional stabilere Kinder

Wissenschaftlich bis jetzt selten belegt, konnten die Forscherinnen nun empirisch messbar nachweisen: Helfen Großeltern mit, unterstützt das vor allem die Mütter, die nach wie vor die Hauptbetreuungsperson sind. Zwei Effekte kann man beobachten: Die Mütter sind zufriedener mit ihrer Kinderbetreuungs-Situation und mit ihrer eigenen Freizeit. Erstere steigt um elf Prozent, die Zufriedenheit mit der Freizeit erhöht sich sogar um 14 Prozent. Diese Effekte sind besonders groß in Haushalten mit Kindern bis sechs Jahren.

Bei den Vätern sind die Effekte auf die Zufriedenheit nicht so groß. Diese Zahlen zeigen, wie Oma und Opa die Entwicklung der Mädchen und Jungen entscheidend mitprägen, so Spieß: „Die Steigerung der mütterlichen Zufriedenheit hat einen direkten Zusammenhang mit der kindlichen Entwicklung. Salopp gesagt: Zufriedene Mütter haben sozio-emotional stabilere Kinder.“

Handlungsempfehlungen

„Um Einbußen in der Betreuungsqualität und damit Belastungen der Kinder zu verhindern, ist es unerlässlich, in Kitas oder dem schulischen Ganztag eine stabile Betreuungsumwelt zu bieten,“ folgern die Wissenschaftler:innen. Ein wichtiger Faktor dafür sei, dass Kinder so oft wie möglich von denselben pädagogischen Fachkräften betreut würden – an einem Betreuungstag, aber auch über die Kita-Zeit hinweg. Dies wiederum setze für die Fachkräfte ein so attraktives Arbeitsumfeld voraus, dass sie über einen längeren Zeitraum darin verbleiben möchten. Da nicht alle Familien auf Großeltern zurückgreifen können, sollte es zudem möglich sein, mithilfe der Unterstützung von ehrenamtlichen oder professionellen „Großelterndiensten“ Ausgleich zu schaffen.

Die Befunde der Studie zur Großelternbetreuung machen insgesamt deutlich, dass Eltern vor großen Herausforderungen stehen – auch wenn Kitas weiter ausgebaut werden.

Die Analysen basieren auf Daten des pairfam-Panels, des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und der DJI-Kinderbetreuungsstudie KiBS. Diese Daten wurden in Abhängigkeit der Fragestellung und der Verfügbarkeit für die Jahre 1997-2020 ausgewertet.

Quelle: Presseabteilung Stiftung Ravensburger und BiB




Anrechnung der Erzieherinnenkompetenzen auf den Bachelor Soziale Arbeit

AnKE-Verfahren ermöglicht seit über 10 Jahren Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf das Studium der Sozialen Arbeit

Erzieher:innen bringen mit ihrer Ausbildung sowie ihrer praktischen Berufserfahrung wichtige Kompetenzen für eine Tätigkeit in der Sozialen Arbeit mit. Aus diesem Grund wurde 2010 die Einführung des Verfahrens „Anrechnung der Kompetenzen von Erzieherinnen und Erziehern auf den Bachelor Soziale Arbeit“ (AnKE) an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) beschlossen und 2012 per Senatsbeschluss in den Allgemeinen Bestimmungen für Prüfungsordnungen (ABPO) verankert. Studierende der Sozialen Arbeit, die eine staatliche Anerkennung zur Erzieherin bzw. zum Erzieher nachweisen, können sich hiermit vier Module, also ein Semester, auf ihr Studium anrechnen lassen und gewinnen so mehr Zeit, neben dem Studium weiter in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe tätig zu sein. Dabei kommen wiederum ihre zusätzlich an der Hochschule erworbenen Kompetenzen zum Tragen.

Durchlässigkeit von der Ausbildung zum Studium

Seit mittlerweile zehn Jahren eröffnet AnKE Erzieherinnen und Erziehern mit staatlicher Anerkennung die Chance auf vielfältige berufliche Einsatzmöglichkeiten in allen Bereichen der Sozialen Arbeit“, freut sich Prof. Dr. Barbara Klein, Dekanin des Fachbereichs Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt UAS. „Die Frankfurt UAS leistet damit die allseits geforderte Erhöhung des Anteils akademisch qualifizierter Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und schafft – ganz nach dem Prinzip des Lebenslangen Lernens – die Durchlässigkeit von der Ausbildung zum Studium.“

Die Nachfrage nach Anrechnung ist groß

Die Nachfrage nach Anrechnung ist groß – seit Start von AnKE haben mehr als 700 Studierende unter Anrechnungsbedingungen studiert. Insgesamt stellen rund 30 Studierende pro Semester einen Antrag auf Anrechnung ihrer Ausbildung. Die Erzieher:innen reduzieren durch das AnKE-Verfahren ihr Studium der Sozialen Arbeit um 30 ETCS oder 1 Semester. „Ermöglicht wurde das Anrechnungsverfahren insbesondere durch die Kooperation mit den inzwischen 13 hessischen Fachschulen für Sozialwesen, Fachrichtung Sozialpädagogik, mit denen wir erst kürzlich unsere Kooperationsvereinbarung erneuert haben“, ergänzt Prof. Dr. Carola Berneiser, Studiendekanin des Fachbereichs Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt UAS. „Mit Blick auf den Theorie- und Praxistransfer, auf den wir großen Wert legen, und unseren Auftrag, den Blick auf den sozialen Wandel und ständig veränderte Lebenslagen zu richten, sehen wir in der Kooperation zwischen unserer Hochschule und den Fachschulen eine besondere Chance. Denn ‚gemeinsam‘ können wir am besten auf die Bedarfe in der Praxis reagieren und Menschen ausbilden, die professionell mit Kindern arbeiten können.“

Bundesweites Best-Practice-Beispiel

Das AnKE-Verfahren wurde 2010 in Kooperation mit ursprünglich zehn hessischen Fachschulen für Sozialpädagogik (heute als „Fachschule für Sozialwesen, Fachrichtung Sozialpädagogik“ bezeichnet) entwickelt. Dazu glichen Vertreter:innen der Frankfurt UAS, der Fachschulen, eines öffentlichen sowie eines freien Trägers der Jugendhilfe die Lehrpläne der Fachschulen mit dem Modulhandbuch des Bachelor-Studiengangs auf ihre Anrechnungsfähigkeit ab. Seit dem Wintersemester 2010/11 läuft das Verfahren, dessen Entwicklung in das bis 2017 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit über zwei Millionen Euro geförderte Projekt „MainCareer – Offene Hochschule“ der Frankfurt UAS eingebettet war. Der Fokus lag dabei auf der Entwicklung und Erprobung von Konzepten, die einen Beitrag zur Durchlässigkeit zwischen Berufspraxis und Studium der Informatik, Pflege und Sozialen Arbeit leisten. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) würdigte das AnKE-Verfahren bereits im Mai 2013 als bundesweites Best-Practice-Beispiel.

Kontakt: Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit, Simone Strecker, Telefon: +49 69 1533-2603, E-Mail: aaek@fb4.fra-uas.de

Weitere Informationen zum AnKE-Verfahren an der Frankfurt UAS unter http://www.frankfurt-university.de/anke.

Friederike Mannig




GEW: „Ungleiches ungleich behandeln!“

Abschlusspressekonferenz des außerordentlichen Gewerkschaftstages der Bildungsgewerkschaft

„Ungleiches muss ungleich behandelt werden! Wir müssen endlich dafür sorgen, dass die Gelder da ankommen, wo sie am dringendsten benötigt werden: in benachteiligten Stadtvierteln und Regionen. Dafür haben wir einen neuen Verteilungsschlüssel entwickelt, der für mehr Chancengleichheit sorgt“, sagte GEW-Vorsitzende Maike Finnern während der Abschlusspressekonferenz des außerordentlichen Gewerkschaftstages der Bildungsgewerkschaft am Freitag in Leipzig. Dieser Schlüssel nehme die unterschiedliche Wirtschaftskraft der Länder in den Blick. Er berücksichtige die Kriterien Finanzleistung, soziale Bedürftigkeit sowie Bildungsstand der Menschen und Bevölkerungsstruktur. Die Berechnung der Verteilung der Mittel erfolge bundesweit und könne bis auf die lokale Ebene heruntergebrochen werden. „Es ist nicht akzeptabel, dass Bildungserfolg und Lebenschancen der Menschen von der Postleitzahl abhängen“, betonte Finnern.

Königsteiner Schlüssel lenkt Gelder in falsche Kanäle

Sie erläuterte, dass der „Königsteiner Schlüssel“, nach dem zurzeit Bundesmittel verteilt werden, Gelder in die falschen Kanäle lenke. „Aktuell gilt das Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben. Die Folge: Schülerinnen und Schüler erhalten in Bayern im Schnitt 910 Euro für digitale Endgeräte, in Bremen mit viel mehr ärmeren Familien aber nur 228 Euro“, unterstrich die GEW-Vorsitzende. Der Grund: Der „Königsteiner Schlüssel“ verteile die Bundesmittel zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungszahl an die Länder. „Wir mahnen Bund und Länder, unverzüglich Verhandlungen zu einem sozial gerechten Verteilungsmodus aufzunehmen und den ‚Königsteiner Schlüssel‘ einzumotten. Dafür stellen wir unsere Studie mit Vorschlägen für einen anderen Verteilungsschlüssel gerne als Grundlage zur Verfügung“, hob Finnern hervor. Sie forderte die Ampelregierung auf, die Bundesmittel für die – im Koalitionsvertrag vereinbarte – finanzielle Förderung von mehr als 4.000 allgemein- und berufsbildenden Schulen nach einem gerechten, sozial-indizierten Verteilungsschlüssel an die Länder auszuzahlen.

Integration geflüchteter Kinder

„Bildung kann nicht warten“, stellte Uschi Kruse, Vorsitzende der GEW Sachsen, mit Blick auf die Integration geflüchteter Kinder und Jugendlicher in die Bildungseinrichtungen in Deutschland fest. „Unsere Kitas und Schulen müssen ein sicherer Zufluchtsort für alle Geflüchteten sein. Gerade traumatisierte Kinder brauchen besonders gut ausgestattete Bildungseinrichtungen. Bund und Länder müssen die Voraussetzungen schaffen, damit alle geflüchteten Kinder und jungen Menschen so schnell wie möglich in Kitas, Schulen, Hochschulen oder eine berufliche Qualifizierung aufgenommen werden können.“

Die Lehrenden sind nach gut zwei Jahren Corona-Pandemie vor dem Hintergrund eines dramatischen Fachkräftemangels am Limit. Für ihr weiteres Engagement brauchen sie dringend zusätzliche Unterstützung. „Wir erwarten, dass über 400.000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine in Schulen und Kitas integriert werden sollen, schon jetzt sind weit über 100.000 in der Bundesrepublik angekommen“, sagte Kruse. Deshalb benötigten die Bildungseinrichtungen dringend mehr finanzielle Mittel für Fachkräfte, Räume und Ausstattung, um ein gutes Bildungs- und Betreuungsangebot anzubieten. An Schulen würden vor allem Lehrkräfte für Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache (DaZ), Sozialarbeitende, Schulpsychologinnen und -psychologen, Fachkräfte für Traumata sowie Dolmetscherinnen und Dolmetscher gebraucht.

Für den Einstieg der Schülerinnen und Schüler müssten ausreichend Willkommens-, Intensiv- oder Vorbereitungsklassen eingerichtet werden. Allerdings müsse dafür gesorgt werden, so die GEW-Landesvorsitzende, dass die Lernenden möglichst schnell am Regelunterricht teilnehmen können. Wichtig sei, dass ihnen von Anfang an Deutsch als Zweitsprache angeboten wird.

„Geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer sowie pädagogische Fachkräfte müssen schnell und niedrigschwellig an Schulen und Kitas einen Arbeitsplatz bekommen. Dabei müssen ihre Qualifikationen unbürokratisch anerkannt und mögliche (Nach-)Qualifizierungen angeboten werden“, betonte Kruse. Dazu gehörten kostenfreie, berufsspezifische Sprachkurse für Pädagoginnen und Pädagogen.

Quelle: Pressemitteilung GEW




GEW: „Fachkräftemangel dramatisch“

Bildungsgewerkschaft zum „Nationalen Bildungsbericht“: „Warnung vor Personalkollaps“ 

In vielen Schulen sei der Ausfall von Unterricht zur Regel geworden, so die GEW Vorsitzende Finnern. Lehrkräfte und Schulleitungen kämpften gegen den teils dramatischen Lehrkräftemangel, Erzieherinnen gegen den Fachkräftemangel in der frühkindlichen Bildung. „Der Handlungsbedarf an den Schulen, aber auch Kitas ist riesig“, sagte Finnern. Sie verwies auf eine mittlerweile dramatisch angewachsene Lücke beim Fachpersonal. Die Corona-Pandemie, die Integration der geflüchteten Kinder und Jugendlichen und die Unterfinanzierung des Bildungssystems stellten die Lehrenden vor große Herausforderungen.

Mit Teilzeit gegen Überbelastung

„Viele Beschäftigte im Bildungsbereich gehen in Teilzeitarbeit, um der persönlichen Überlastung zu entkommen“, unterstrich die GEW-Vorsitzende. „Das System befindet sich in einem Teufelskreis aus Überlastung durch Fachkräftemangel und Fachkräftemangel durch Überlastung. Es droht ein Personalkollaps.“ Die Länder müssten endlich die Ausbildungskapazitäten in Studium und Referendariat signifikant erhöhen. Zudem liege die Zahl der Abbrecherinnen und Abbrecher in manchen Lehramtsstudiengängen bei fast 50 Prozent, das weise auf erhebliche Mängel in den Studiengängen hin: „Das Studium muss studierbar werden, sonst verlieren wir während der Ausbildung viel zu viele junge Menschen.“ Außerdem müsse der Numerus clausus (NC), den es noch immer für viele Lehramtsausbildungen gebe, endlich fallen.

Forderung nach gemeinsamen Gesprächen

Finnern begrüßte in diesem Zusammenhang den Vorstoß der neuen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi. Diese hatte bei der Eröffnungsveranstaltung des GEW-Gewerkschaftstages „Bildung. Weiter denken!“ an den Dresdner Bildungsgipfel von 2008 erinnert. Es sei höchste Zeit, alle verantwortlichen Akteurinnen und Akteure erneut an einen Tisch zu holen und Bund und Länder zu verpflichten, ihr damaliges Versprechen einzulösen, zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Bildung und Forschung zu investieren.

Quelle Pressemitteilung GEW




Bildungssystem? Und es bewegt sich doch!

Nationaler Bildungsbericht widmet sich dem Schwerpunkt Bildungspersonal

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, Karin Prien, und die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger, haben gemeinsam mit dem Sprecher der Autorengruppe, Prof. Dr. Kai Maaz (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation), den Bericht „Bildung in Deutschland 2022“ vorgestellt. Der nunmehr neunte Bildungsbericht beschreibt die Gesamtentwicklung des deutschen Bildungswesens und widmet sich in seinem Schwerpunkt dem Bildungspersonal. Der Bildungsbericht erscheint alle zwei Jahre.

Der aktuelle Bericht bestätigt die positiven Entwicklungen im deutschen Bildungssystem:

  • Die Ausgaben für Bildung, Forschung und Wissenschaft betrugen im Jahr 2020 241 Milliarden Euro. Das entspricht 7,2 % am BIP und einer Steigerung von 0,5 Prozentpunkten gegenüber 2019. Die Ausgaben je Schülerin bzw. Schüler liegen mit 14.200 US-Dollar über dem OECD-Durchschnitt von 11.800 US-Dollar.
  • Die Zahl der Bildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer stieg gegenüber 2010 um 4 % (das entspricht 600.000 Personen). Dieser Zuwachs lässt sich auf vorübergehend hohe Geburtenzahlen, Zuzüge aus dem Ausland sowie dem Trend zum lebenslangen Lernen zurückführen.
  • Der Anstieg in der Bildungsbeteiligung geht 2020 mit einer Zunahme formaler Bildungseinrichtungen um 4 % (entspricht + 4.000 Einrichtungen) gegenüber 2010 einher. Dieser Ausbau erfolgt insbesondere im Bereich der Kindertagesbetreuung und der Hochschulstandorte.
  • Der langfristige Trend zur Höherqualifizierung setzt sich fort: Im Jahr 2020 verfügten 26 % der Bevölkerung über einen höheren beruflichen oder akademischen Abschluss (+ 5 Prozentpunkte gegenüber 2010).
  • Eine besondere Herausforderung für das Bildungssystem stellt nach wie vor der Anteil Erwachsener ohne beruflichen Abschluss oder Hochschulreife in der Bevölkerung dar. Dieser ist insbesondere bei Menschen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich hoch. Der Bericht zeigt hier jedoch auch, dass es den meisten dieser Menschen gelingt, einen Abschluss nachzuholen: Unter den 20-Jährigen sind nur 1,5% ohne Abschluss.
  • Die Zahl der Kinder, die in der Kindertagesbetreuung waren, lag 2021 in der Gruppe der 3- bis unter 6-Jährigen bei rund 92 %. In der Altersgruppe der unter 3-Jährigen ist die Beteiligungsquote in den letzten 10 Jahren um etwa 10 Prozentpunkte auf 34 % gestiegen.
  • Die zunehmende Bedeutung der Frühen Bildung zeigte sich insbesondere während der pandemiebedingten Einschränkungen der Betreuungsmöglichkeiten. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Bildungsungleichheit durch den teilweisen Ausfall der frühen institutionellen Bildung verstärkt hat. In besonderem Maß betrifft dies die Sprachbildungs- und Fördermaßnahmen von Kindern, die in Familien mit nichtdeutscher Familiensprache aufwachsen.
  • Sowohl das Angebot der Ganztagsbetreuung als auch deren Inanspruchnahme nehmen deutlich zu. Im Schuljahr 2020/21 sind 71 % aller Schulen Ganztagsschulen. Im Jahr 2005/06 traf dies lediglich auf 28 % aller Schulen zu. Über die Hälfte aller Grundschulkinder (1,62 Millionen) nutzten im Schuljahr 2020/21 Ganztagsbetreuung in Schulen. Zugleich ist davon auszugehen, dass der Bedarf an Ganztagsangeboten weiter steigt und in den nächsten 10 Jahren mehr als 500.000 zusätzliche Plätze (insbesondere in den alten Bundesländern) benötigt werden.
  • Herausforderungen in der beruflichen Ausbildung bestehen derzeit insbesondere durch fehlende Fachkräfte, Passungsprobleme und eine höhere Abbruchquote bei bestimmten sozialen Gruppen, aber auch durch die gestiegenen Unsicherheiten beim Berufseinstieg.
  • Die hohe Studiennachfrage hält weiter an. Nach vorläufigen Berechnungen lag die Anzahl der Studienanfängerinnen und -anfänger im Jahr 2020 zum siebten Mal in Folge über einer halben Million.
  • Bildungsverläufe in Deutschland sind sehr heterogen. Die Flexibilisierung und Öffnung des Bildungssystems ermöglichen vielfältige Bildungsbiografien. Die Flexibilisierung und die Öffnung des Bildungssystems schaffen neue Möglichkeiten zum Wechsel der Schulart sowie Nachholen von Abschlüssen. Dies ermöglicht eine stärkere individuelle Lebensgestaltung. Bei Bildungswegen und -übergängen zeigen sich dennoch migrationsspezifische sowie soziale Disparitäten.
  • Geschlechtsspezifische Disparitäten am Arbeitsmarkt bleiben bestehen: Trotz der verbesserten Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der gestiegenen Nachfrage in frauendominierten Berufen (z. B. im Gesundheits- und Sozialbereich), liegt die Erwerbsbeteiligung von Frauen unter der von Männern. Dies betrifft insbesondere Frauen mit niedrigem Bildungsabschluss.

Das Schwerpunktkapitel zum Bildungspersonal kommt zu folgenden zentralen Befunden:

  • Die Zahl der im Bildungswesen Beschäftigten hat seit 2010 kontinuierlich zugenommen (+ 20 %). Der größte Zuwachs bis zum Jahr 2020 ist in der Frühen Bildung (+ 75 %) und an den Hochschulen (+25 %) zu verzeichnen. Diese Entwicklung geht mit einer zunehmenden Bildungsbeteiligung einher. Der Personalzuwachs stabilisiert so die Betreuungsrelation.
  • Personalgewinnung und Personalqualifizierung als vordringliche Aufgabe zur Sicherung qualitativ hochwertiger Bildungsangebote: In den Bereichen Frühe Bildung, Schule und Ganztagsangebote im Grundschulbereich wird bis 2025 zusätzliches Fachpersonal benötigt. Im Bereich Frühe Bildung werden bis zu 72.500 und in den Schulen etwa 30.000 Fachkräfte benötigt. Zur Umsetzung des Rechtsanspruches auf Ganztagsbetreuung wird der Bedarf bis 2030 auf bis zu 65.600 zusätzliche Fachkräfte geschätzt.
  • Ein hoher Anteil an wissenschaftlichem oder künstlerischem Personal ist befristet beschäftigt, knapp jeder oder jede zweite wissenschaftliche Mitarbeiterin oder Mitarbeiter (47 %) arbeitet in Teilzeit, Weiterbildnerinnen und Weiterbildner sind überwiegend auf Honorarbasis im Nebenerwerb tätig.

Der Bericht zeigt auch Entwicklungen und Problemlagen im Kontext der Corona-Pandemie auf:

  • Die Programme von Bund und Ländern (z.B. DigitalPakt Schule) haben den Ausbau digital unterstützter Bildungsangebote deutlich beschleunigt. Positive Entwicklungen beim Ausbau digitaler Bildungsangebote zeigen sich insbesondere an den Hochschulen.
  • Angebote der beruflichen Aus- und Weiterbildung sind durch wirtschaftliche Unsicherheiten von Unternehmen und Dienstleistungsanbietern sowie durch Einschränkungen bei der Durchführung beruflicher Ausbildungen stark rückläufig. Die Weiterbildungsteilnahme hingegen bleibt trotz kurzzeitiger Einbrüche durch die Teilnahme an digitalen Angeboten hoch.
  • Erste Schulleistungsstudien deuten darauf hin, dass die Kompetenzen von Grundschülerinnen und -schülern im Jahr 2021 im Vergleich zu Gleichaltrigen der Vorjahre gesunken sind.  
  • Das Belastungserleben von Schülerinnen und Schülern im Alter von 11 bis 17 Jahren ist während der Pandemie stark gestiegen. Fast jedes dritte Kind verzeichnet psychische Auffälligkeiten (vor der Pandemie betraf dies jedes fünfte Kind).

Karin Prien, Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein:
„Der Bericht zeigt sehr klar, dass die Kultusministerien in Deutschland den richtigen Weg eingeschlagen haben. Wir arbeiten auf Grundlage einer verlässlichen, empirischen Erhebung und entscheiden auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und nicht von Ideologie. Unsere Maßnahmen zeigen erste Erfolge: Die Zahl derjenigen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, sinkt. Besonders erfreulich ist, dass selbst diejenigen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, oft den Schulabschluss noch nachholen. Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen hängen aber nach wie vor stark vom sozialen Hintergrund des Elternhauses ab. Die Pandemie hat diese Entwicklung leider weiter verschärft. Deshalb haben Länder wie zum Beispiel Schleswig-Holstein sehr erfolgreich Programme wie unser Perspektivschulprogramm für Schulen in besonders fordernden Lagen aufgelegt, die sehr gute Ergebnisse zeigen. Der wesentliche Faktor für den Lernerfolg unserer Schülerinnen und Schüler sind gut ausgebildete Lehrkräfte. Es geht um Qualität und Quantität. Wir sind mit einem wachsenden Bedarf an pädagogischem Personal in Schulen und Kindertageseinrichtungen konfrontiert.

Dieses Problem haben die Länder erkannt und handeln, indem sie sich verstärkt auf die Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftequalifizierung konzentrieren. Wir brauchen kreative Ideen, um junge Menschen für den Beruf als Lehrerin und Lehrer zu gewinnen und neue Studienmodelle, um diese Bedarfe zu decken. Dazu gehören auch flexiblere Modelle des Einstiegs in den Lehrerberuf und des Umstiegs während des Studiums. Auch die Anzahl der Studienabbrecher beschäftigt uns: Gemeinsam mit Universitäten arbeiten wir daran, Maßnahmen zu etablieren, damit mehr junge Menschen ihr Lehramtsstudium erfolgreich abschließen. Die damit verbundene große Herausforderung hat die KMK erkannt und bereits auf der Sitzung in Lübeck im März dieses Jahres beschlossen, neben der zentralen Rolle der Quantität von Studienplätzen die Gestaltung der Ausbildung, Werbung für den Beruf, Quer- und Seiteneinstieg, multiprofessionelle Teams sowie die Sicherung von Qualität und Qualifikation in den Vordergrund zu stellen. Auf unserer gegenwärtigen 378. Plenarsitzung werden wir den entsprechenden Themenkatalog für eine Erarbeitung der Ständigen Wissenschaftliche Kommission beschließen.“

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger:
„Der Bildungsbericht zeigt einmal mehr: Unser Bildungssystem muss besser werden. Es muss den Einzelnen bestmöglich fördern und dafür den Herausforderungen der Zeit gewachsen sein. Wir brauchen eine schnellere Digitalisierung der Bildung, eine bessere Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen und vor allem mehr Chancengerechtigkeit. Das alles wird jedoch nur im guten Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen gelingen. Der Digitalpakt oder das Corona-Aufholprogramm verdeutlichen das. Wir sollten künftig noch ehrgeiziger sein, um jungen Menschen Chancen zu eröffnen und das Aufstiegsversprechen zu erneuern. Davon profitiert jeder Einzelne und auch die Gesellschaft als Ganzes. Schließlich fehlen uns schon heute Fachkräfte, die Wachstum und Wohlstand sichern. Mit dem Startchancen-Programm wollen wir besonders sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler unterstützen. Denn der Bildungserfolg hängt nach wie vor stark von der sozialen Herkunft ab. Corona hat die Lage noch einmal verschärft. Das kann uns nicht ruhen lassen. Deshalb sind wir darüber bereits im intensiven Austausch mit den Ländern. Unser Ziel ist es, ein nachhaltiges Programm aufzusetzen, das bis zu 4000 allgemein- und berufsbildende Schulen mit besserer Infrastruktur, einem Chancenbudget und mehr Sozialarbeitern ausstattet. Die vergangenen zwei Jahre haben Kindern und Jugendlichen und auch dem Bildungs- und Betreuungspersonal viel abverlangt. Sie alle waren großen Belastungen ausgesetzt, die durch den Krieg in der Ukraine nicht weniger geworden sind. In dieser außergewöhnlichen Zeit wurde und wird Enormes geleistet. Das verdient Dank und Anerkennung.“

Zur Anlage des Bildungsberichts

Den seit 2006 alle zwei Jahre erscheinenden Bildungsbericht hat eine unabhängige Wissenschaftlergruppe unter Federführung des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation erarbeitet. Beteiligt sind das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V. (DIE), das Deutsche Jugendinstitut (DJI), das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi), das Soziologische Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (SOFI) sowie das Statistische Bundesamt (Destatis) und die Statistischen Ämter der Länder (StLÄ).
Die besondere Bedeutung des Bildungsberichts liegt darin, die verschiedenen Bildungsbereiche von Bildung im Lebenslauf in ihrem Zusammenhang und indikatorengestützt über größere Zeiträume darzustellen und so übergreifende Herausforderungen im deutschen Bildungssystem vergleichbar und sichtbar zu machen.

Den Bericht sowie weiterführende Materialien und Informationen finden Sie im Internet unter www.bildungsbericht.de

Quelle: Pressemitteilung Bundesregierung




Wie die Pandemie Grundschulkinder belastet

Bildungsforscher:innen der Bergischen Universität Wuppertal stellen erhöhte Aggressivität, Zukunftsängste und mangelhaftes soziales Lernen fest

Wie geht es Kindern nach zwei Jahren Corona? Dieser Frage gingen Bildungsforscher:innen der Bergischen Universität Wuppertal nach. In der ersten Jahreshälfte 2022 befragten sie deshalb in Kooperation mit einem Schulamtsbezirk in Köln zahlreiche Eltern, Lehrkräfte, Kinder und Schulleitungen über die aktuelle Situation in den Grundschulen. Das Ergebnis: Die vergangenen zwei Pandemie-Jahre haben deutliche Spuren hinterlassen.

„Ausgangslage für die Studie war die hohe Anzahl an Problemen, die viele Lehrkräfte während der Corona-Pandemie bei Kindern festgestellt haben“, erklärt Prof. Dr. Christian Huber vom Arbeitsbereich für Rehabilitationswissenschaften mit dem Förderschwerpunkt Emotional-Soziale Entwicklung an der Bergischen Universität. Gemeint sind zum einen sogenannte externalisierende Auffälligkeiten – also etwa Unterrichtsstörungen, Konflikte und Hyperaktivität – aber auch internalisierende Verhaltensprobleme, wie sozialer Rückzug und Angst. Und auch die Lehrkräfte selber fühlten sich überfordert und hätten vor allem das Problem, dass sie die inhaltlichen Rückstände nach den Lockdowns – wie etwa Lesen, Schreiben, Rechnen – nicht aufholen können.

Auffälligkeiten und Belastungen sorgen für schwierige Lernatmosphäre

Um die aktuelle Situation genauer zu analysieren, befragte das Team um Prof. Christian Huber über 1200 Grundschulkinder, rund 1150 Eltern, fast 150 Lehrkräfte und 22 Schulleitungen aus insgesamt 30 Grundschulen im Schulamtsbezirk 3 in Köln.

Dabei stellte sich heraus,

  • dass Kinder selbst eine stark erhöhte Aggressivität bei sich selbst wahrnehmen, was laut den Forscher*innen eher ungewöhnlich ist,
  • dass diese Aggressivität insbesondere bei Kindern feststellbar ist, die auch starke Zukunftsängste im Zuge der Corona-Pandemie entwickelt haben,
  • dass Kinder der dritten und vierten Klassen im Schnitt deutlich in ihrem sozialen Lernen, insbesondere bei der sozial-kognitiven Verarbeitung, zurückliegen, weil sie in der Coronazeit viele soziale Lernerfahrungen nicht machen konnten.

Neben der gesteigerten Aggressivität waren auch Ängste und depressive Symptome bei den Kindern erhöht. „Viele Grundschulkinder sitzen somit in einem Zustand in den Klassenzimmern, in dem inhaltliches Lernen nur schwer möglich sein dürfte“, so Christian Huber.

Die Studie ergab aber auch, dass etwa 30 Prozent der Lehrkräfte stark oder auch sehr stark belastet sind, etwa 10 Prozent so stark, dass man befürchten muss, dass sie perspektivisch ausfallen könnten.

„Die Ergebnisse sind insofern interessant, weil sie unter anderem zeigen, wie stark die Pandemie – und auch die Situation in der Ukraine – viele Kinder noch beschäftigt und wie stark insbesondere coronabedingte Sorgen mit extern- und internalisierenden Verhaltensproblemen zusammenhängen“, sagt Huber.

Gemeinsame Aufbereitung und soziale Kontakte jetzt besonders wichtig

Aus ihren Ergebnissen konnten die Forscher:innen einige Empfehlungen ableiten, wie die Situation für Kinder, Familien und Eltern jetzt aufbereitet werden und der Stress im System reduziert werden könnte. So sind zum Beispiel viele Kinder mit der Aufbereitung der Corona-Pandemie und der Kriegsereignisse alleine. „Die Aufbereitung dieser Erlebnisse sollte in den Familien, Schule und Ganztag Vorrang vor dem Aufholen des verpassten Lernstoffs haben – sonst werden sich die Verhaltensprobleme auch im kommenden Schuljahr nicht oder nur sehr langsam reduzieren“, schätzt der Professor.

Zum anderen vollziehe sich soziales Lernen bei Kindern meist im Umgang mit Gleichaltrigen. Dies war in der Pandemiezeit aber nicht oder nur erschwert möglich. „Alle sozialen Erfahrungen in Schule, Sport und Freizeit sind jetzt wichtig. Die Rolle von Eltern und Schulen ist dabei, Konflikte regelmäßig zu besprechen und Konfliktlösungen mit den Kindern zu erarbeiten“, weiß Christian Huber. Zusätzlich können auch Sozialtrainings und Elterncoachings ein Teil der Lösung sein. Hier müssen jetzt alle Kräfte einer Schulregion gebündelt und niederschwellige Angebote geschaffen werden.

Denise Haberger Pressestelle/Bergische Universität Wuppertal




Neue Publikation „Kindertagesbetreuung Kompakt 2021“

2021 erneut mehr Kinder bis zum Schuleintritt in Kindertagesbetreuung als im Vorjahr

Eben hat das Bundesfamilienministerium die siebte Ausgabe von „Kindertagesbetreuung Kompakt“ veröffentlicht. Die aktuellen Zahlen 2021 zum Ausbau und Betreuungsbedarf der Kindertagesbetreuung zeigen deutlich, dass die Anzahl der Kinder, die ein Angebot der Kindertagesbetreuung in Anspruch nehmen, weiter angestiegen ist und der Betreuungsbedarf von Kindern das Angebot in allen Altersgruppen weiterhin übersteigt. Allein bezogen auf Kinder im Grundschulalter liegt die Lücke zwischen Betreuungsquote und Betreuungsbedarf bei 19 Prozent. Der Betreuungsausbau muss deshalb konsequent fortgesetzt werden.

Mehr Kinder besuchen Kindertagesbetreuung

Insgesamt besuchten 2.613.058 Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt ein Angebot der Kindertagesbetreuung. Das sind 48.343 Kinder mehr als im Vorjahr. Die Betreuungsquote der unter Dreijährigen betrug am 1. März 2021 34,4 Prozent. Bei Kindern im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt lag die Betreuungsquote bei 92,2 Prozent. Damit sind die Quoten im Vergleich zum Vorjahr zwar um jeweils 0,6 Prozentpunkte leicht gesunken, die sinkenden Zahlen beruhen unter anderem auf der weiterhin wachsenden Anzahl der Kinder dieser Altersgruppe in der Bevölkerung.

Zahl der betreuten Grundschulkinder leicht gesunken

Die Zahl der betreuten Grundschulkinder ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken: Zum Schuljahresbeginn 2021 wurden 1.621.000 Kinder in Hort- und Ganztagsschulangeboten gemeldet. Das sind 13.000 Grundschulkinder weniger als im Vorjahr und entspricht einem Rückgang um 0,5 Prozentpunkte. In den Jahren zuvor war die Anzahl der betreuten Kinder in Kita sowie Hort- und schulischen Ganztagsangeboten kontinuierlich angestiegen.

Betreuungsbedarf erfordert weiteren Ausbau

Nach den Zahlen der neuen Ausgabe von „Kindertagesbetreuung Kompakt“ wünschten sich 2021 insgesamt 46,8 Prozent der Eltern von Kindern unter drei Jahren einen Betreuungsplatz für ihr Kind. Hier liegt die Differenz zwischen Betreuungsquote und Betreuungsbedarf bei 12,4 Prozent. Bei Kindern im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt liegt die Differenz bei 3,6 Prozent, der Betreuungsbedarf liegt hier bei 95,8 Prozent. Bezogen auf Kinder im Grundschulalter äußerten 73 Prozent der Eltern einen Betreuungsbedarf. Einen Hort- oder Ganztagsplatz besuchten 54 Prozent. Damit gibt es auch hier eine Lücke von 19 Prozent zwischen Betreuungsquote und Betreuungsbedarf.

Maßnahmen zum Ausbau der Kindertagesbetreuung im Überblick:

Schutzsuchende Kinder und ihre Familien aus der Ukraine

Seit Beginn des Krieges ist die Anzahl der schutzsuchenden Kinder und ihrer Familien in Deutschland angestiegen. Für sie leisten Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege einen wichtigen Beitrag: Die Kinder finden sich in der neuen Situation schneller zurecht, knüpfen neue Kontakte und lernen die deutsche Sprache. Die schutzsuchenden Kinder haben mit dem Tag ihres Ankommens in Deutschland – wie alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr – einen Rechtsanspruch auf eine qualitativ hochwertige Bildung, Betreuung und Erziehung in einer Kita oder Kindertagespflege. Sie sollen in Deutschland einen guten Start haben und sich hier wohlfühlen. Der Bund unterstützt die Länder und Kommunen im Jahr 2022 mit insgesamt zwei Milliarden Euro bei ihren Mehraufwendungen für die schutzsuchenden Menschen aus der Ukraine. Darunter fällt auch die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für die Kindertagesbetreuung und Beschulung.

Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026

Um die Betreuungslücke, wenn Kinder nach der Kita eingeschult werden, zu schließen, ist der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder für Kinder und Eltern wichtig. Ab August 2026 haben zunächst alle Kinder der ersten Klasse einen Anspruch auf ganztägige Förderung. In den Folgejahren wird der Anspruch um jeweils eine Klassenstufe ausgeweitet. Ab August 2029 hat jedes Grundschulkind der Klassenstufen eins bis vier einen Anspruch auf ganztägige Betreuung. Der Bund unterstützt die Länder und Kommunen beim quantitativen und qualitativen Ganztagsausbau mit Finanzhilfen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro und beteiligt sich ab 2026 aufsteigend an den Betriebskosten.

Mehr Qualität in Kitas und Kindertagespflege

Gemeinsam mit den Ländern setzt sich der Bund außerdem für mehr Qualität ein. Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung beteiligt sich der Bund bis 2022 mit rund 5,5 Milliarden Euro an der Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung. Trotz vielfältiger positiver Entwicklungen zeigt der Monitoringbericht zum Gesetz zum Teil große Unterschiede zwischen den Ländern. Die Evaluation des Gesetzes zeigt Stellschrauben auf, an denen das Gesetz weiterentwickelt werden kann. Der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sieht daher vor, das Gute-KiTa-Gesetz auf der Grundlage der Ergebnisse des Monitorings und der Evaluation weiterzuentwickeln und dieses bis Ende der Legislaturperiode gemeinsam mit den Ländern in ein Qualitätsentwicklungsgesetz mit bundesweiten Standards zu überführen. Zusätzlich fördert das Bundesfamilienministerium die Qualitätsentwicklung durch mehrere Bundesprogramme. 2022 ist das Bundesprogramm „Integrationskurs mit Kind“ gestartet.

Die siebte Ausgabe von „Kindertagesbetreuung Kompakt“ finden Sie hier: www.bmfsfj.de/kita-kompakt




Gute Krippenpädagogik erfüllt die psychosozialen Bedürfnisse der Kinder

Die Qualität in der Entwicklungsbegleitung von Kindern bis zum 3. Lebensjahr ist in erster Linie eine Frage der Bindung!

Jede entwicklungsförderliche Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit vollzieht sich nur in Form eines sehr engen Bindungsgeschehens zwischen Kindern und Erwachsenen! Unter dieser Maxime betrachtet, kann eine Krippenpädagogik nur dann für Kinder entwicklungsförderlich sein, wenn ein Bindungserleben, getragen von Nähe, Aufmerksamkeit, Zuneigung, Sicherheitserleben, Interesse, Staunen, Neugierde und Zutrauen zur festen Alltagserfahrung von Kindern dazugehört.

Dabei ist es immer wieder und hauptsächlich der positiv erlebte, zwischenmenschliche Kontakt, der Kinder tag-/täglich motiviert, Kontakt zu sich selbst zu suchen, herzustellen und sich über die eigene Existenz zu freuen. Nur wenn dies gelingt, ist der erste – und gleichzeitig entscheidende – Schritt zur Aktivierung und zum Aufbau einer Selbstbildung des Menschen getan – mit einer lebenslangen Bedeutung.

Bildungsziel: Entdeckung der eigenen Lebensfreude und Lebenskunst

Wilhelm Schmid, der als Privatdozent an der Universität Erfurt lehrt, schreibt: „Ein früher Akt der Sorge ist der erste Schrei, eine erste Selbstbehauptung, aber das Kind bleibt noch abhängig von der Fürsorge anderer, ohne die es nicht leben könnte… Wie immer der Weg der Kindheit und des Heranwachsenden verläuft, es geht darum, den Umgang mit sich selbst zu erlernen und zur Sorge für sich selbst in der Lage zu sein, soll das eigene Lernen nicht von anderen abhängig bleiben. Nur über die Selbstsorge wird das Leben zu einem eigenen, und nur dort, wo es Selbstaneignung gibt, kann es Selbstverantwortung geben. Sich um sich zu kümmern und doch nicht die Unbekümmertheit dabei zu verlieren – das stellt das dynamische Zentrum der kindlichen Lebenskunst dar…“ (2003, S. 40).

Wenn der Frage nachgegangen wird, wie Kinder durch frühe Lebenserfahrungen zu einer  „dynamischen Lebenskunst“ finden können, so ergeben sich u.a. folgende Antworten: Kinder bis zum dritten Lebensjahr müssen auch außerhalb ihrer familialen Erfahrungen in einer Sicherheit vermittelnden Umgebung aufwachsen, in der sie vor allem

• gegenwärtige, positive Handlungserlebnisse und tragfähige Beziehungspartnerschaften in all’ ihrer Vielschichtigkeit genießen können;
• immer wieder über eigene Entwicklungen und Stärken staunen können;
• mit Offenheit, Interesse und Neugierde die Herausforderungen des Alltags in einer angenehmen Umgebung suchen und sich ihnen mit Interesse zuwenden können;
• Zusammenhänge von Ereignissen erkennen und herstellen können, um einerseits bekannte Handlungsschritte zu wiederholen und andererseits aus einer Impulserkenntnis heraus neue Handlungsversuche zur Lösung von Problemen entdecken;
• neue, unbekannte Spielräume im Rahmen eigener Verhaltensvielfalten entwickeln;
• ihre Handlungsstrategien erproben, vertiefen und erweitern können;
• in möglichst vielen, für sie selbst bedeutsamen Situationen unbelastet mit sich umgehen können und sich selbst sagen: „Wie schön, dass ich geboren bin, dem Leben schenk’ ich einen Sinn.“

Die Macht der Gefühle

Über viele Jahrhunderte sahen Wissenschaftler/innen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen (auch der Psychologie) ebenso wie Laien die ‚Rationalität und Intelligenz des Menschen’ als die ‚Perle der Schöpfung’ an. Das hat sich inzwischen durch vielfältige Untersuchungen relativiert, ist doch demgegenüber bekannt, dass stets vor allen kognitiven Prozessen und Handlungsimpulsen die Emotionen die entscheidenden Impulse dafür geben, in welche Richtung gedacht und wie gehandelt wird. Es ist die „Macht der Gefühle“, die unser Leben steuert und inzwischen haben führende Emotionsforscher und Hirnspezialisten den Beweis dafür vorgelegt, wie Emotionen das gesamte Leben bestimmen. Dieses >Grundmuster der Gefühle< wird in erheblichem Maße auch durch die Qualität der Krippenpädagogik geprägt – nicht in erster Linie durch strukturelle Qualitäten sondern vielmehr durch die hohe Beziehungsfähigkeit der gleichzeitig sehr gut ausgebildeten elementarpädagogischen Fachkräfte.


Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik

Was brauchen Kinder für eine positiven Selbstentwicklung wirklich? Armin Krenz behandelt fach- und sachkundig und stets praxisnah das Thema der frühkindlichen Entwicklung, sei es im Bereich der Sprache, der Motorik, der sozialen Persönlichkeit oder der Kognition. Er zeigt auf, welch große Bedeutung die Beobachtung und Begleitung der kindlichen Entwicklung in der Pädagogik spielt, sei es im Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten oder zur Ermöglichung einer freien Spielpraxis, die die positive Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit erst ermöglicht.

Armin Krenz
Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik – Kinder sehen, verstehen und entwicklungsunterstützend handeln
Klappenbroschur, 200 Seiten
ISBN: 978-3-944548-02-9
24,95 €uro


Bindungen provozieren Bildungs- und Entwicklungswünsche

In Anbetracht dieser für die Pädagogik und Psychologie außergewöhnlich bedeutsamen Erkenntnisse aus der Neurobiologie sowie der Bindungsforschung besitzen diese fundamentalen Ergebnisse für elementarpädagogische Fachkräfte einen besonders hohen Bedeutungswert. Auf den Punkt gebracht heißt das: eine liebevolle, vertrauensvolle und verlässliche Bindung, die Kinder in ihren ersten (und auch weiteren) Lebensjahren neben ihren Eltern auch mit externen Personen erfahren und aufbauen können, ist die Grundlage für die Entstehung der oben genannten „Lebenskunst des Menschen“ und gleichzeitig die Basis für ein tiefes Selbstvertrauen, Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Nur durch eine tief erlebte Geborgenheit und Annahme sind Kinder in der Lage, ihre ‚Lebenswurzeln’ in Form von Sicherheit und Lebensfreude zu entwickeln und gleichzeitig vor einer Reihe seelischer Irritationen und Lebens einschränkender Ängste geschützt. So vielfältig die Verhaltensirritationen bei immer mehr Kindern ausgeprägt sind – vor allem Ängste, gewaltbereites Handeln, aggressives Verhalten, Anstrengungsvermeidungsverhalten, oppositionelles Widerstandsverhalten gegenüber Anforderungen oder eine generelle Antriebslosigkeit – , so deutlich haben unterschiedliche, epidemiologische Studien unter Beweis gestellt, dass diese und weitere problematischen Verhaltensweisen häufig direkt oder indirekt auf fehlende Bindungserfahrungen in der frühen Kindheit zurückgeführt werden können (vgl. Grossmann, K & Grossmann, K.E., 2012). So kommt immer wieder zum Ausdruck, dass eine als sicher erlebte Bindung ein wesentlicher Schutzfaktor gegen seelische Irritationen ist. Dieser Tatsache und der damit verbundenen Verantwortung haben sich sowohl die Institution Krippe als auch die Eltern und hier insbesondere die Mitarbeiter/innen in den Krippen zu stellen.

Bindungserlebnisse stärken die kindliche Entwicklung

In einer sicheren Bindung erleben Kinder vor allem Verbundenheit, Nähe, Zärtlichkeit, Fürsorge und Schutz. Sie haben das Gefühl, erwünscht und stets gern gesehen zu sein, sie bekommen den Körperkontakt, den sie brauchen, sie werden gestreichelt und merken: es kümmert sich jemand um mich, weil ich meiner Bezugsperson wichtig bin (vgl. Holmes, 2002).

Kennzeichen einer sicheren Bindung kommen vor allem dadurch zum Ausdruck, wenn Kinder

• die Bindungsperson als einen ‚grundsätzlich sicheren Hafen’ erleben, den sie bei Verunsicherungen, Ängsten und Verlassenheitsgefühlen gerne, freiwillig und selbstmotiviert aufsuchen,
• durch die Verhaltensweisen der Bindungspersonen Sicherheit und Hilfe erleben dürfen,
• bei Sorgen, Kummer und Trennung die Nähe zu ihrer Bindungsperson suchen,
• schon sehr früh durch intensive Bindungserfahrungen immer weniger auf Bindungserlebnisse angewiesen sind und sich mit einem Gefühl der inneren Grundsicherheit auf die „Erkundung der großen, weiten Welt“ einlassen und ihrem innewohnenden Forscherdrang nachgehen,
• Mit zunehmendem Alter motiviert und freiwillig über ihre Gefühle berichten und dabei emotionale Belastungen ebenso zum Ausdruck bringen wie Augenblicke der Freude und des tiefen Glücksempfindens.

Im Grunde sind es immer die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben

(Wilhelm von Humboldt)

Eine qualitativ hochwertige Krippenpädagogik befriedigt psychosoziale Grundbedürfnisse der Kinder

Ergebnisse der Entwicklungspsychologie weisen deutlich darauf hin, dass gerade psychosoziale Grundbedürfnisse von Kindern in den ersten Lebensjahren einer dringenden und ständigen Sättigung bedürfen. Wenn in diesem Zusammenhang die Krippenpädagogik den Qualitätsanspruch erhebt, einen nachhaltig förderlichen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes zu haben, dann muss es den Fachkräften möglich sein, vor allem die basalen Grundbedürfnisse jedes Kindes zu befriedigen. Kinder müssen vielfältige Erfahrungen und Erlebnisse machen können, in denen sie

• Zeit mit bindungsnahen Menschen erleben, um sich selbst in den eigenen Entwicklungsmöglichkeiten wahrzunehmen und die Welt um sich herum zu entdecken;
• Ruhe in ihrer Entwicklungszeit erfahren, um sich nach eigenem Gutdünken in ihrer Krippenwelt umzuschauen und mit eigenen Gedankenimpulsen beschäftigen zu können;
• Liebe im Sinne einer personalen Annahme erleben, um ein Gefühl der Selbstannahme zu entwickeln und eine zunehmende Empathie für die lebende und dingliche Welt aufzubauen;
• Vertrauen durch andere spüren, um eigenen Stolz erleben zu dürfen und Leistungsbereitschaft weiterzuentwickeln;
• von ihren Entwicklungsbegleiter/innen verstanden werden, um in den vielfältigen Lebenssituationen und Lebensherausforderungen immer wieder Kontakt zu sich selbst herzustellen und eine Mitverantwortung für Situationsverläufe zu entdecken; 
• Sicherheit durch Nähe und feste (Sinn bedeutsame!!!) Regeln erfahren, um in einen nachhaltigen Prozess der Selbstentwicklung zu finden;
• Bewegung lebendig ausdrücken können, um durch selbstgewählte motorische Aktivitäten Stress abbauen und in eine gedankliche, emotionale und motorische Selbststeuerung kommen zu können;
• Intimität und Geheimnisse bejahend zuerkannt bekommen, um zu erkennen, dass es im Ausdrucksverhalten eine „öffentliche“ und eine „private“ Person gibt;
• Mitwirkung erleben und umsetzen dürfen, um ein individuelles, persönliches Wertigkeitsempfinden zu entwickeln;
• Erfahrungsräume erkunden können, und die Vielfalt der eigenen Entwicklungspotenziale zu entdecken;
• Gefühle (Freude, Angst, Wut, Trauer) ausdrücken dürfen, ihre Existenz akzeptieren und in die eigene Gefühlswelt bejahend zu integrieren;
• die eigene Sexualität annehmen und integrieren können, um sich im eigenen Körper rundherum wohlzufühlen;
• Gewaltfreiheit als ein besonders wichtiges „Lebensgut“ erfahren, um  in den vielfältigen, Angst auslösenden Alltagssituationen immer stärker angstfrei handeln zu können;
• Neugierde umsetzen können, um sich und der Welt lernmotiviert zu begegnen;
• Optimismus von anderen spüren sowie Respekt bzw. Achtung in der erlebten Kommunikation erfahren, um Lebensherausforderungen als Lernchancen anzusehen und mit konstruktiven Gedanken und Handlungsweisen selbst schwierige Situationen anzunehmen und lösen zu wollen.

Es sind also vor allem personale Kompetenzen der elementarpädagogischen Fachkräfte, die außerhalb des Elternhauses der Kinder für eine stabilisierende, persönlichkeitsförderliche und stark machende, ressourcenorientierte Entwicklung eine nicht zu unterschätzende Mitverantwortung mittragen.

Fazit:

Politische Mandatsträger und Wissenschaftler/innen, die sich zur Krippenpädagogik äußern, beziehen sich überwiegend bei Fragen zur pädagogischen Arbeit mit Kindern unter drei Jahren (!) auf Struktur- bzw. Organisationsdaten mit unterschiedlichsten Fragestellungen und Schwerpunkten.  Dabei wird den Ergebnissen der Bindungsforschung, Neurobiologie und Entwicklungspsychologie, was Kinder an Bindungserfahrungen für eine gedeihliche Entwicklung brauchen, kaum ein signifikanter Bedeutungswert beigemessen. Periphere Erwähnungen kommen vor – und hier muss ein dringender Perspektivwechsel vorgenommen werden!

Kinder brauchen liebenswerte Mitforscher/innen, geduldige, aufmerksame, staunende und achtsame, respektvolle und wertschätzende sowie selbsterfahrungsorientierte Entwicklungsbegleiter/innen, die mit ihnen gemeinsam den vielfältigen und unbekannten Geheimnissen der sie umgebenden LEBENSWELT auf die Spur kommen wollen. Dazu brauchen sie sicherlich auch beste Rahmenbedingungen, damit die Krippenpädagogik entwicklungsförderliche und –unterstützende Prozesse in Kindern wirksam werden lässt. Gleichwohl besitzt bei allen Fragestellungen zur Krippenqualität die Person eine a-priorierte Bedeutung, die als Ausgangspunkt aller Fragestellungen zum Mittelpunkt erklärt werden muss. 

Literaturhinweise:

Ainsworth, M.D.S. (2003). Feinfühligkeit versus Unfeinfühligkeit gegenüber den Mitteilungen von Babys. In: Grossmann, K.E. und Grossmann, K. (Hrsg.). Bindung und menschliche Entwicklung… Stuttgart: Klett-Cotta, S. 414-421

Bowlby, J. (2010). Frühe Bindung und kindliche Entwicklung. München, 6. Aufl.: Reinhardt

Damasio, A.R. (2003). Der Spinoza-Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen. München: List

Gebauer, K. (2012). Klug wird niemand von allein. Kinder fördern durch Liebe. Düsseldorf: Patmos

Grossmann, K. + Grossmann, K.E.(2012). Bindungen- das Gefüge psychischer Sicherheit. Stuttgart, 6. Aufl.: Klett-Cotta

Holmes, J. (2002). John Bowlby und die Bindungstheorie. München: Ernst Reinhardt

Krenz, A. (2019). Kinder brauchen Seelenproviant. Was wir ihnen für ein glückliches Leben mitgeben können. München 6. Aufl.: Kösel

Krenz, A. + Klein, F. (2013). Bildung durch Bindung. Frühpädagogik: inklusiv und beziehungsorientiert. Göttingen 2. Aufl.: Vandenhoeck + Ruprecht

Krenz, A.(2014). Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik. Kinder sehen, verstehen und entwicklungsunterstützend handeln. München: Burckhardthaus-Laetare

LeDoux, J.E. (2003). Das Netz der Persönlichkeit. Wie unser Selbst entsteht. Zürich/ Düsseldorf: Walter

Ostermayer, Edith (2015). Krippenkinder achtsam begleiten. Bildung und Betreuung von Kindern unter 3 Jahren. Freiburg: Herder 

Reisinger, Annette (2018). Unsere Krippe – ein Ort zum Wohlfühlen. München: Don Bosco

Schmid, W. (2002). Schönes Leben? Einführung in die Lebenskunst. Frankfurt, 5. Aufl.: Suhrkamp

Van Dieken, Christel (2012). Was Krippenkinder brauchen. Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern unter 3 Jahren. Freiburg: Herder

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz, Honorarprofessor a.D., Wissenschaftsdozent für Entwicklungspsychologie und Entwicklungspädagogik