Grundschulkinder und Jugendliche rund 111 Minuten täglich im Netz

59 Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen können sich ein Leben ohne Internet nicht vorstellen

Chatten, Videos schauen, Informationen suchen: So gut wie alle Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 18 Jahren (98 Prozent) nutzen ein Smartphone oder Tablet. Letzlich setzen mittlerweile ja auch voraus, dass Kinder sich viele notwendigen Informationen aus dem Netz ziehen können. Selbst die Jüngsten zwischen sechs und neun Jahren (95 Prozent) nutzen zumindest eines dieser beiden Geräte. Mit diesen oder anderen Geräten verbringen Deutschlands Kinder und Jugendliche im Alter ab sechs Jahren jeden Tag im Schnitt fast zwei Stunden (111 Minuten) im Netz.

Die Online-Zeit steigt mit dem Alter stark an: So sind Sechs- bis Neunjährige durchschnittlich 49 Minuten pro Tag im Internet und Zehn- bis Zwölfjährige eine Stunde und 27 Minuten. Jugendliche ab 13 Jahren verbringen über zwei Stunden im Netz: 13- bis 15-Jährige zwei Stunden und 20 Minuten, 16- bis 18-Jährige zwei Stunden und 46 Minuten. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie im Auftrag des Digitalverbands Bitkom, für die mehr als 900 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren befragt wurden. Die Angaben beruhen auf Selbstauskünften der Kinder und Jugendlichen, bei den jüngeren im Beisein der Eltern.

Kinder haben immer früher Kontakt mit Smartphone und Tablet

Sehr früh kommen Kinder und Jugendliche mit digitalen Medien und Geräten in Kontakt. 88 Prozent der Sechs- bis 18-Jährigen verbringen zumindest ab und zu Zeit im Internet. Fast genauso viele (87 Prozent) nutzen selbstständig oder zusammen mit ihren Eltern ein Smartphone. Acht von zehn Kindern und Jugendlichen (80 Prozent) nutzen Tablets – vor allem die Jüngeren zwischen sechs und neun Jahren (86 Prozent).

Mit dem Alter nimmt die Tablet-Nutzung leicht ab. 85 Prozent der Zehn- bis Zwölfährigen verwenden Tablets, unter den 16- bis 18-Jährigen noch 74 Prozent. Smartphones hingegen gehören ab dem Grundschulalter zum Alltag dazu: Während 66 Prozent der Sechs- bis Neunjährigen Smartphones nutzen, sind es bei den Zehn- bis Zwölfjährigen 92 Prozent und ab dem Alter von zwölf Jahren gibt es kaum ein Kind ohne Smartphone.

Viele Kinder und Jugendliche haben schon früh ein eigenes Gerät: So geben 36 Prozent der Sechs- bis Neunjährigen an, ein Tablet zu besitzen, ab zehn Jahren ist es mehr als die Hälfte. Insgesamt besitzt jede oder jeder Zweite zwischen sechs und 18 Jahren ein Tablet (50 Prozent). Auch der Smartphone-Besitz (gesamt: 71 Prozent) steigt mit dem Alter rasant: Während 21 Prozent der Sechs- bis Neunährigen ein eigenes Handy besitzen, sind es unter den Zehn- bis Zwölfährigen schon 86 Prozent und bei den 13- bis 15-Jährigen sogar 95 Prozent.

Das bedeutet aber auch, dass bei den Sechs- bis Neunjährigen 64 Prozent kein Tablet und 79 Prozent kein Smartphone besitzen. Erst in der weiterführenden Schule scheint der Großteil der Eltern geneigt, ihren Kindern ein solches Gerät zu beschaffen. Vorher verfügt der weitaus größte Teil eben über keines der beiden Geräte, womit Grundschulehrkräfte nicht annehmen dürfen, dass ihre Schüler und Schülerinnen darüber verfügen können.

Im Langzeit-Vergleich kommen Kinder und Jugendliche der Bitkom-Studie zufolge immer früher mit digitalen Endgeräten in Kontakt. Im Jahr 2014 nutzten lediglich 20 Prozent der Sechs- bis Siebenjährigen ab und zu ein Smartphone, aktuell sind es 64 Prozent. Bei den Zehn- bis Elfjährigen stieg der Nutzungsanteil von 57 Prozent im Jahr 2014 auf 87 Prozent im Jahr 2022. Auch bei den 16- bis 18-Jährigen ist die Handy-Nutzung heute nochmals ausgeprägter und stieg von 88 Prozent (2014) um weitere neun Prozentpunkte auf 97 Prozent.

Messenger- und Streaming-Dienste sind beim Nachwuchs am beliebtesten

Die Zeit im Netz verbringen Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 18 Jahren am liebsten mit Chatten oder Video-Streaming. So verschicken mehr als acht von zehn Kindern und Jugendlichen zumindest gelegentlich Chat-Nachrichten (86 Prozent) und schauen Filme, Serien und Co. (83 Prozent) im Netz. 71 Prozent hören Radio oder Musik und 69 Prozent suchen Informationen für Schule oder Ausbildung. Sechs von zehn spielen Online-Games (61 Prozent). Vier von zehn Kindern und Jugendlichen ab zehn Jahren informieren sich über aktuelle politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachrichten (38 Prozent). Etwa ein Viertel shoppt online (23 Prozent).

YouTube ist die meist genutzte Online-Plattform

Die große Beliebtheit von Videos und Streaming zeigt sich in der Plattformnutzung: Über alle Altersgruppen hinweg dominiert das Videoportal YouTube. So nutzen 82 Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen zumindest ab und zu die Internetseite oder App. Mit großem Abstand folgt Instagram. Auf dieser sozialen Plattform ist etwas mehr als die Hälfte (54 Prozent) aktiv – die Nutzung nimmt mit dem Alter jedoch stark zu: Während erst 17 Prozent der Zehn- bis Zwölfjährigen auf Instagram Zeit verbringen, sind es unter den 13- bis 15-Jährigen schon 60 Prozent und 84 Prozent bei den 16- bis 18-Jährigen. TikTok (gesamt: 50 Prozent) hingegen büßt mit dem Alter an Interesse ein. So nutzen zwar knapp zwei Drittel der 13- bis 15-Jährigen (63 Prozent) die Video-Plattform, die Älteren zwischen 16 und 18 Jahren allerdings nur noch zur Hälfte (52 Prozent). Deutlich geringer ist das Interesse an Facebook und Twitter: So nutzen nur zwölf Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen Twitter und elf Prozent Facebook. Von drei Prozent bzw. vier Prozent unter den 10- bis 12-Jährigen steigen die Werte bei den 16- bis 18-Jährigen auf 21 Prozent für Twitter und 17 Prozent für Facebook.

Bei den Kurznachrichtendiensten und Messenger-Apps dominiert WhatsApp die Kommunikation. Hier versenden 82 Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen häufig Text-, Bild- oder Sprachnachrichten, weitere zehn Prozent manchmal. Mit deutlichem Abstand folgt Snapchat, worüber sich 52 Prozent häufig oder manchmal austauschen. Den iPhone-basierten Dienst iMessage nutzt noch etwa jede oder jeder Vierte in dieser Altersgruppe (23 Prozent) zumindest manchmal, Skype jede oder jeder Fünfte (20 Prozent). Andere Dienste wie Facebook-Messenger (zwölf Prozent) oder Telegram (acht Prozent) werden von den wenigsten verwendet.

69 Prozent achten in sozialen Netzwerken auf ihre Privatsphäre

Dabei achten viele Kinder und Jugendliche nach eigenen Angaben auf ihre Privatsphäre. So wissen 69 Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen, die mindestens ein soziales Netzwerk nutzen, wie sie dort aktiv ihre Privatsphäre-Einstellungen ändern können. 22 Prozent wissen, dass es solche Einstellungen gibt, aber nicht, wie sie diese ändern können. Lediglich sechs Prozent ist die Möglichkeit unbekannt. Wer weiß, wie es geht, macht davon häufig Gebrauch: 83 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit entsprechendem Vorwissen haben ihre Privatsphäre-Einstellungen bereits aktiv geändert.

Grundsätzlich machen Kinder und Jugendliche viele positive Erfahrungen im Internet: 68 Prozent der 10- bis 18-Jährigen finden es gut, online immer mit Freundinnen, Freunden oder ihrer Klasse in Kontakt sein zu können. Etwa jede und jeder Dritte (31 Prozent) hat über das Netz schon neue Freundschaften geschlossen. Zudem haben knapp zwei Drittel (64 Prozent) online ihr Wissen erweitern können und ein Viertel (25 Prozent) hat so seine Leistungen in der Schule oder Ausbildung verbessert. Ob für das soziale Leben, zum Lernen oder einfach zur Unterhaltung: sechs von zehn Kindern und Jugendlichen (59 Prozent) können sich nicht vorstellen, nie wieder online zu sein.

45 Prozent haben negative Erfahrungen im Internet gemacht

Allerdings haben 35 Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen das Gefühl, online zu viel Zeit zu verbringen. Und auch negative Erlebnisse gehören für sie dazu: 45 Prozent haben bei der Netz-Nutzung bereits schlechte Erfahrungen gemacht. So haben 19 Prozent Inhalte gesehen, die ihnen Angst eingeflößt haben. Etwa jede oder jeder Sechste (17 Prozent) wurde schon einmal beleidigt oder gemobbt – unter den Zwölf- bis 13-Jährigen gibt sogar fast ein Viertel (23 Prozent) an, im Netz Opfer von Mobbing oder Beleidigungen geworden zu sein. Dass Lügen über sie verbreitet wurden, sagten zwölf Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen. Sexuelle Belästigung ist ein Problem, das vor allem Mädchen betrifft: So wurde bereits fast jedes zehnte Mädchen im Alter zwischen zehn und 18 Jahren von Gleichaltrigen im Netz sexuell belästigt (9 Prozent), jedes zwanzigste Mädchen von Erwachsenen (fünf Prozent). Jungen werden hingegen sehr viel seltener damit konfrontiert (ein Prozent bzw. zwei Prozent).

Kontrolle durch Eltern nimmt mit steigendem Alter der Kinder und Jugendlichen ab

Die Rolle der Eltern bei der Mediennutzung nimmt erwartungsgemäß mit dem Alter stark ab. So dürfen drei Viertel (76 Prozent) der Sechs- bis Neunährigen sowie 58 Prozent der 10- bis 12-Jährigen nur eine bestimmte Zeit online sein. Bei den 13- bis 15-Jährigen trifft das noch auf drei von zehn zu (30 Prozent), bei den 16- bis 18-Jährigen lediglich auf fümf Prozent. Insgesamt erhalten vier von zehn Kindern und Jugendlichen ab sechs Jahren (41 Prozent) zeitliche Vorgaben. Komplettes Online-Verbot erhalten auch mal 31 Prozent von ihren Eltern – 39 Prozent der Sechs- bis Neunjährigen, aber nur neun Prozent der 16- bis 18-Jährigen. Weiterhin sagen 44 Prozent der Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren, dass ihre Eltern ihnen bei der Internetnutzung nichts verbieten – unter den Sechs- bis Neunjährigen haben nur zwei Prozent alle Freiheiten. Insgesamt gibt ein Fünftel der Sechs- bis 18-Jährigen (19 Prozent) an, nichts vorgeschrieben zu bekommen.

Allerdings bekommen 59 Prozent der Kinder und Jugendlichen von ihren Eltern erklärt, was online erlaubt ist und was nicht. Bei den Sechs- bis Neunjährigen sind es 60 Prozent und bei den 16- bis 18-Jährigen noch knapp die Hälfte (47 Prozent). Das Posten von privaten Inhalten thematisieren insbesondere die Eltern bei ihrem Zwölf- bis 15-jährigen Nachwuchs (75 Prozent) – insgesamt wird bei 59 Prozent aller Kinder und Jugendlichen darüber gesprochen. Generell redet nur ein Drittel (34 Prozent) der Eltern regelmäßig mit ihren Kindern über deren Online-Erfahrungen.

Quelle: Pressemitteilung Bitkom




Wie Kinder sauber werden können

Keine Frage der Erziehung, sondern der biologischen Entwicklung

Mag es auch das Natürlichste der Welt sein. Bis ein Kind sein Geschäft selbstständig auf der Toilette erledigen kann, ist viel Zeit und eine Menge Geduld nötig. Dabei können alle, die mit Kindern leben, ganz schön unter Druck geraten. Denn die ganze Geschichte stinkt im Laufe der Jahre nicht nur mehr. Viel schwieriger ist es, mit den Ratschlägen von  so genannten Expertinnen und Experten und erfahrenen Kolleginnen und Kollegen klar zu kommen. Da gibt es jede Menge gut gemeinte Tipps und Tricks, damit die Kinder schnell keine Windel mehr brauchen. Sollte ihnen im Laufe der Zeit jemand empfehlen, das Kind

  • regelmäßig auf die Toilette zu setzen, bis etwas kommt,
  • es zu wecken, um es aufs Töpfchen zu setzen,
  • gegen Abend weniger trinken zu lassen,
  • für eine nasse Hose zu bestrafen oder
  • für eine trockene Hose zu belohnen,

gehen sie bitte darüber hinweg. Im besten Fall erreichen sie mit diesen Methoden nichts. In allen anderen Fällen tun Sie dem Kind wirklich etwas Übles an. Das Ergebnis ist nichts Gutes.

Warum die Kontrolle von Darm und Blase so kompliziert ist

Denn damit ihr Kind Darm und Blase erfolgreich kontrollieren kann, müssen alle an Ausscheidungs-Funktionen beteiligten anatomischen Strukturen intakt sein. Zudem müssen die zur Steuerung notwendigen Nervenbahnen vollständig ausreifen. Dabei geht es um höchst komplizierte Vorgänge, die einige Jahre Entwicklungszeit brauchen. Schauen wir uns mal die Entwicklungsstufen an. In Ihrem Buch, „Wie Kinder richtig sauber werden“, unterscheidet die Verhaltensbiologin Dr. Gabriele Haug Schnabel vier Schritte, bis ein Kind nicht mehr einkotet.

1. Schritt: Das Kind nimmt wahr, dass sich sein Bauch ein- oder zweimal am Tag anders als sonst anfühlt. Er drückt, manchmal rumort er. „Wichtig für diese Entwicklungsstufe ist, dass die kindliche Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Körpergefühl gerichtet ist, das bald vertraut ist“, schreibt Haug-Schnabel.

2. Schritt: Das Kind kotet bewusst ein. In dieser Phase können sie auch gut erkennen, dass ihr Kind das Gefühl wieder erkennt und richtig zuordnet. Es unterbricht seine Aktivitäten und zieht sich an ein abgeschiedenes Plätzchen zurück oder macht es sich irgendwie bequem. Nun kann das Geschehen in aller Ruhe in die Windel gehen.

3. Schritt: Wenn das Kind soweit ist, das mitzuteilen, was gerade passiert ist „Stinker macht!“, ist der dritte Schritt, die „Meldung im Nachhinein“, geschafft.

Wichtig ist, positiv zu reagieren: „Hast Du es gemerkt? Prima! Dann gehen wir schnell die Windel wechseln.“

4. Schritt: Nach einiger Zeit kann das Kind die einen Stuhlgang ankündigenden „Empfindungen“ melden und passend „bearbeiten“, so dass die Chance besteht, noch rechtzeitig mit nacktem Po aufs Töpfchen zu kommen.

Über 90 Prozent aller Kinder schaffen das bis sie drei Jahre alt sind.

Entwicklung braucht Zeit

Deutlich komplizierter ist dagegen die Blasenkontrolle. Das liegt vor allem daran, dass das kleine Geschäft viel häufiger am Tag und mit weniger Regelmäßigkeit anfällt als das große. Es verlangt mehr Aufmerksamkeit. Die Blase perfekt zu beherrschen, kann vier bis fünf Jahre dauern. Mehr Komplexität verlangt auch mehr Entwicklungsschritte. Haug-Schnabel unterscheidet sieben:

1. Schritt: Das Kind erkennt die Signale im Blasenbereich.

2. Schritt: Es meldet das kleine Geschäft im Nachhinein.

3. Schritt: Das Kind zeigt deutlich, dass es den Harndrang spürt (trippeln, Beine zusammenpressen …) und versucht die Harnabgabe hinauszuzögern. Die richtige Reaktion wäre, auf das Kind zuzugehen und zu sagen: „Ich glaube, Du musst Pipi. Komm, wir versuchen mal, ob es ins Töpfchen plätschert.“ Aber nur vorschlagen, nicht erzwingen.

4. Schritt: Aufs Töpfchen oder zur Toilette gehen, wenn Harndrang verspürt wird.

5. Schritt: Harn abgeben, wenn die Blase noch nicht voll ist.

6. und 7. Schritt: Aufschieben, wenn die Blase voll ist und nachts aufwachen, wenn der Harndrang da ist.

Auf diesem Weg können sie ihr Kind positiv begleiten. Sie haben jedoch keine Chance, etwas zu beschleunigen. Ihr Kind lernt von ihnen durch Beobachtung, wann es Zeit ist zur Toilette zu gehen, wie viel Zeit es vorher einkalkulieren muss damit es noch rechtzeitig klappt, wo und wie es den passenden Ort findet – und was es dort machen muss. Seien sie also an der Seite ihres Kindes, aber drängen sie es nie. Es wird immer wieder Fortschritte, aber auch oftmals Rückschläge geben, etwa wenn das Kind im Spieleifer in die Hose pinkelt. Für das Kind ist die Geschichte ohnehin dann erst geschafft, wenn es allein auf die Toilette gehen darf und dort selbstständig zurechtkommt.

Kinder auf dem Weg zur Resilienz begleiten

Kinder stärken und sie in ihrer Entwicklung unterstützen. Das ist der Weg, Kinder körperlich, geistig und seelisch zu bilden. Auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse zeigen die Autorinnen, wie Sie dazu beitragen, dass Kinder zu starken Persönlichkeiten werden, die sich nicht in Angst, Gewalt oder Sucht flüchten. Ein umfassender Ratgeber für Eltern, Erzieher und Therapeuten.

Stark von Anfang an – Kinder auf dem Weg zur Resilienz begleiten
Gabriele Haug-Schnabel/Gabriele Schmid-Steinbrunner
Hardcover, 250 Seiten
ISBN/EAN: 978-3-934333-45-1
20 Euro




Wenn Papa nur noch traurig ist

Claudia Gliemann/Ann Cathrin Raab: Papas bunte Brücke – Papas Seele hat Schnupfen

Depression ist die psychische Volkskrankheit Nummer Eins. In Deutschland leiden laut RKI (Robert-Koch-Institut) fast elf Prozent der Frauen und knapp acht Prozent der Männer darunter, mehr als in den meisten anderen europäischen Ländern. Klar, dass auch ihre Kinder mitbekommen, dass Mama oder Papa anders sind als früher.

So geht es auch Nele. Ihr Vater arbeitet als Hochseilartist im Zirkus. Eigentlich ist er ein sehr fröhlicher Mensch. Doch seit kurzem ist er immer traurig, hat Angst, auf das Seil zu steigen und will eigentlich nur noch im Bett liegen. Er lacht nicht einmal mehr über Neles Kunststücke. Und das lastet ziemlich schwer auf ihrer Seele.

Zum Glück gibt es den Dummen August. Der ist natürlich gar nicht dumm, sondern ziemlich schlau. Er fragt Nele, wo ihr Lächeln geblieben sei. Und da bricht es aus ihr heraus. Sie macht sich Sorgen um ihren Vater, fragt sich, ob sie an der Traurigkeit schuld sei, ob sie etwas falsch gemacht habe, ob sie nicht gut genug sei.

Das ist das Brutale, wenn die Familie tiefgehenden Veränderungen unterliegt: Sie sind für Kinder nicht einzuordnen. Sie zweifeln an sich selbst. Grundsätzlich, existenziell. Deshalb brauchen sie Erwachsene, die sie dabei tatkräftig unterstützen, Geschehnisse einzuordnen und einen Weg aus der Misere hinaus zu finden.

Und die findet Nele. Im Dummen August, der ihr erklärt, was ihrem Papa hilft: Zeit, Zuwendung und ein guter Arzt oder Psychologe. Und natürlich Mama, die ihr bestätigt, dass sie ihren Mann lieb hat. So können sie gemeinsam eine bunte Brücke bauen, über die der kranke Hochseilartist gehen kann – zurück in die Manege.

Depression betrifft alle

Depressive brauchen Unterstützung des gesamten Umfeldes. Alle zusammen müssen wissen, dass es sich um eine Krankheit handelt. Nicht um Unwohlsein oder fehlenden Willen. Wenn es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen, dann braucht es auch ebendieses Dorf, um einen psychisch Kranken ins Leben und die Gemeinschaft zurückzuholen. Dabei brauchen allerdings auch alle aus dieser Gemeinschaft die Unterstützung der anderen: die Ehefrau, die Kollegen, die Freunde, aber vor allem die Kinder.

Das setzt Ann Cathrin Raab mit etwas kindlich-zittrigem Strich und vielen bunten Punkten in ihren Illustrationen angemessen um. Einfache Linien schaffen fröhliche oder traurige Gesichter, für Kinder in diesem Alter einfach zu erkennen, dabei aber niemals süßlich oder niedlich, sondern dem Ernst der Situation entsprechend.

Im Anhang erklärt Dr. Susanne Schmidt, die in einer psychosomatischen Klinik für Kinder und Jugendliche arbeitet, was Depression ist, was am besten hilft und wie Kinder sich Unterstützung holen können. Claudia Gliemann hat mit ihrer Buchreihe  Reihe Figuren geschaffen, die für Kinder in unterschiedlichen Altersstufen ab vier Jahren die Problematik der Depression nahe bringen. Es begann mit dem vielfach ausgezeichneten Bilderbuch „Papas Seele hat Schnupfen“, das nach kurzer Zeit auch als Hörbuch erarbeitet wurde. Nach diesem Erfolg erschien mit „Ein Muffin für Nele“ ein Sach- und Erzählbuch für Kinder ab sechs Jahren. „Eine bunte Brücke für Papa“, das hier vorgestellt wurde, ist ein klassisches Bilderbuch für Kinder ab vier Jahren. Gliemann hat weiterführend Unterrichtskonzepte und –materialien entwickelt und setzt sich in Schulklassen und sozialen Einrichtungen für die Belange von Kindern psychisch kranker Eltern ein.

Ralf Ruhl

Bibliographie:

Papas Seele hat Schnupfen – Papas bunte Brücke
Text: Claudia Gliemann
Illustration: Ann Cathrin Raab
Ab 4 Jahren
Hardcover
4-farbig illustriert
62 Seiten
ISBN 978-3-942640-16-9
Preis: 19,80 Euro




Massive Probleme beim Handschreiben nach Corona

Ergebnisse der Studie STEP 2022 – 850 Lehrkräfte befragt

Nachdem über 70 Prozent der Lehrkräfte bei ihren Schülerinnen und Schülern größere Probleme beim Handschreiben feststellen, sehen das Schreibmotorik Institut und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) die Notwendigkeit, das Schreiben von Hand über alle Klassenstufen hinweg gezielter zu fördern.

An der STEP-Studie 2022 („Studie über die Entwicklung, Probleme und Interventionen zum Thema Handschreiben“) zum Schuljahr 2020/21 haben rund 850 Lehrkräfte aus dem Primar- und Sekundarbereich teilgenommen. Die Online-Umfrage des Schreibmotorik Instituts in Kooperation mit dem Verband Bildung und Erziehung (VBE) wurde nach 2015 und 2019 zum dritten Mal deutschlandweit durchgeführt.

„Das Ergebnis ist alarmierend“, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des VBE. „Kinder und Jugendliche, die schon vorher Schreibschwierigkeiten hatten, wurden in der Pandemie weiter abgehängt. Eine Ursache hierfür ist die personelle Unterdeckung, unter der Schulen seit Jahren leiden. Dies betrifft verstärkt die Grundschulen. Die notwendige individuelle Förderung, die auch im Schulgesetz verankert ist, kann deshalb nicht mehr geleistet werden.“

Lehrkräfte unzufrieden mit Schreibleistungen

Fast ein Drittel der Lehrkräfte im Primarbereich und sogar gut die Hälfte der Lehrkräfte im Sekundarbereich sind mit den Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler beim Handschreiben unzufrieden. Im vergangenen Schuljahr fand der Umfrage zufolge mit 48 Prozent knapp die Hälfte der Stunden als Distanz- oder Wechselunterricht statt. Anfang November 2020 wurde wegen der Corona-Pandemie das Leben in Deutschland ein zweites Mal weitgehend heruntergefahren. Erst ab Ende April 2021 wurden die Maßnahmen gelockert, was jedoch nur bedingt für die Schulen galt.

„Einen besonders starken Rückgang der Handschreibfertigkeiten gibt es infolge der Pandemie bei den Jungen, von denen ohnehin die Hälfte Probleme mit dem Handschreiben hat“, erläutert Marianela Diaz Meyer, Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts, die Ergebnisse der Studie. Hier machten drei Viertel der Lehrkräfte einen leichten oder sogar starken Einbruch der Leistung aus. Bei den Mädchen, von denen sich ein Drittel mit dem Schreiben von Hand schwertut, sehen 56 Prozent der Befragten eine leichte bis starke Verschlechterung. Aber auch bei denjenigen, die bislang durch gute Leistungen beim Handschreiben glänzten, sieht jede vierte Lehrkraft eine negative Entwicklung.

Eine intensivere Förderung empfohlen

Neun von zehn Lehrkräften (89 Prozent) empfehlen deshalb, die Schreibfertigkeiten mehr zu fördern – über alle Klassenstufen hinweg. Dieses Resultat der Umfrage stützt die Forderung von Diaz Meyer, eine Stunde pro Woche ins Handschreiben zu investieren. Forschungsergebnisse des Schreibmotorik Instituts mit Erstklässlern haben gezeigt, dass Kinder damit ermüdungsfreier und schneller schreiben können. In weiterführenden Schulen kann laut STEP-Studie nicht einmal die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler länger als eine halbe Stunde ohne Verkrampfungen oder Ermüdung schreiben. Expertin Diaz Meyer: „Wer nicht flüssig und in einer gewissen Geschwindigkeit schreiben kann, kann dem Unterricht auch oft nicht mehr richtig folgen und fällt in seinen Leistungen zurück.“ Dem stimmt der VBE-Bundesvorsitzende Beckmann zu: „Wir sehen dadurch eine ganze Reihe Probleme auf betroffene Kinder und Jugendliche zukommen. Handschreiben hat einen großen Einfluss auf den Lernprozess in Gänze und damit auf die gesamte Bildungsbiografie.“

„Schwierigkeiten bei der Schreibstruktur, im Tempo des Handschreibens sowie bei der Leserlichkeit sind die drei Hauptprobleme, die sich nach Angaben der Lehrkräfte durch den Distanz- und Wechselunterricht verstärkt haben“, erläutert Diaz Meyer weiter. Wie es um die Schreibstruktur bestellt ist, hat eine Lehrerin in der Befragung drastisch veranschaulicht. Sie habe Schülerinnen und Schülern nach dem Homeschooling erst wieder beibringen müssen, „dass man vom linken bis zum rechten Rand schreibt und weder in der Mitte des Papiers anfängt noch über den rechten Rand hinausschreibt.“ Die fehlende Schreibstruktur bemängelten insgesamt 76 Prozent der Lehrkräfte als häufig oder sehr häufig, zu langsames Schreiben 71 Prozent. Über die Unleserlichkeit der Handschrift ihrer Schülerinnen und Schüler klagten 65 Prozent.

Zu wenig Bewegung

„Kinder und Jugendliche bewegen sich immer weniger. Das ist ein wichtiger Grund für den deutlichen Leistungsabfall beim Handschreiben“, sagt Marianela Diaz Meyer. „Viele Aktivitäten, die die Motorik fördern, konnten in den vergangenen beiden Jahren nicht stattfinden. Zudem fehlt zuhause oft der Platz, sich kreativ zu entfalten“, ergänzt Beckmann. „Da wundert es nicht, dass während der Pandemie zuhause mehr Zeit vor Displays und Bildschirmen verbracht wurde.“ Jede zweite Lehrkraft attestiert Schülerinnen und Schülern einen häufigen Medienkonsum, 30 Prozent einen sehr häufigen.

„Der Einsatz digitaler Medien wird für die Zukunft des Lernens allerdings immer wichtiger. Das hat die Pandemie gezeigt“, sagt Beckmann. „Aber noch melden uns die Lehrkräfte zurück, dass die technischen Möglichkeiten die Vorteile von Stift und Papier beim Schreiben mit der Hand nicht ersetzen können.“ Stift und Papier sind für 97 Prozent der Lehrkräfte der Primarstufe und für 98 Prozent der Sekundarstufe die bevorzugten Schreibmedien.

Problematischer Lehrkräftemangel

Die Vorteile handschriftlicher Bewegungen gegenüber dem Tippen erklärt Diaz Meyer so: „Kaum etwas hat auf die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen einen derart großen Einfluss wie das Schreiben von Hand, weil dabei mehr als 30 Muskeln und 15 Gelenke koordiniert werden müssen. Dies aktiviert zwölf verschiedene Areale im Gehirn: von der Wahrnehmung über die Verarbeitung von Informationen bis hin zur motorischen Ausführung.“ Neurowissenschaftler hätten bei Gehirnscans entdeckt, dass beim Tippen viel weniger Hirnaktivität registriert wird, weil es sich dabei um die immer gleiche Bewegung handelt, egal ob man ein A oder S tippt.

Der Bundesvorsitzende des Bildungsverbandes, Udo Beckmann, nimmt beim Thema Handschreiben die Politik in die Verantwortung: „Die Probleme sind hausgemacht. Wir leiden seit Jahren an Lehrkräftemangel in den Schulen. Die Situation hat sich in den vergangenen Monaten durch Corona deutlich verschärft. Zudem müssen aktuell weit über 100.000 ukrainische Kinder und Jugendliche in den Unterricht integriert werden. Die Politik muss sich ehrlich machen und den Schulen, aber auch der Gesellschaft offen und transparent vermitteln, was unter den gegebenen Bedingungen leistbar ist und was nicht. Wie können wir dem Thema Handschreiben auch im Unterricht einen angemessenen Stellenwert einräumen? Trotz dieser enormen Arbeitsbelastung haben viele Lehrkräfte an der zeitintensiven Befragung teilgenommen. Das unterstreicht die Bedeutung, die dem Schreiben mit der Hand zugemessen wird.“




Trauriger Befund für Kitas und die Entwicklungschancen der Kinder

Neue Studie des Paritätischen illustriert die extrem angespannte Situation in Deutschlands Kitas

Der aktuelle Kita-Bericht des Paritätischen Gesamtverbandes, der auf einer Befragung von über 1000 Kindertageseinrichtungen aus dem gesamten Bundesgebiet basiert, illustriert die höchst angespannte Situation in Deutschlands Kitas: Arbeitsbelastung und Rahmenbedingungen während der Pandemie sowie vielerorts unzureichende Personalschlüssel und teilweise mangelhafte Ausstattung erschweren es, den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden und führen zu einer hohen Unzufriedenheit bei den pädagogischen Fachkräften. Nach der Studie verhindert der anhaltend hohe Fachkräftemangel bundesweit in jeder zweiten Kindertageseinrichtung, dass Kapazitäten vollständig ausgeschöpft werden. Der Paritätische fordert angesichts der alarmierenden Befunde konzertierte Anstrengungen aller politischen Ebenen zur Qualitätsentwicklung und Fachkräftegewinnung.

Schlechte Ausstattung für Kitas in benachteiligten Sozialräumen

Erstmals untersucht wurde mit der Studie auch der Zusammenhang mit der sozialräumlichen Lage der Kindertageseinrichtungen. Der Befund: Unabhängig von der Pandemie fehlt es insbesondere für Kitas in benachteiligten Sozialräumen an gezielter Unterstützung. „Die Fachkräfte vor Ort leisten Tag für Tag Enormes unter vielerorts wirklich schweren Bedingungen. Gerade dort, wo viele Kinder in Armut aufwachsen oder auf besondere Unterstützung angewiesen sind, klagen auch die Kitas über schlechtere Ausstattung. Hier braucht es dringend gezielte und bessere Unterstützung”, fordert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Viele Kitas können den Bedürfnissen der Kinder nicht gerecht werden

Insgesamt gehen 60 Prozent der Teilnehmenden an der Befragung davon aus, dass sie mit dem gegenwärtigen Personalschlüssel den Bedürfnissen der Kinder nicht gerecht werden können. Kindertageseinrichtungen in benachteiligten Sozialräumen sind davon besonders betroffen. Defizite belegt der Bericht dabei unter anderem im Bereich der Sprachförderung: Je höher die sozialräumliche Benachteiligung, desto größer ist die Zahl der Kinder mit Unterstützungsbedarf bei der sprachlichen Bildung. Gleichzeitig könne dieser Bedarf mit dem gegenwärtigen Personalschlüssel überwiegend nicht gedeckt werden.

Strukturelle Defizite beim Personalschlüssel und der Kita-Finanzierung

Strukturelle Defizite werden nicht nur bei den Personal-Schlüsseln, sondern auch im Bereich der Kita-Finanzierung ausgemacht. Neu- und Ersatzanschaffungen seien kaum selbstverständlich. Mehr als ein Drittel der Teilnehmenden gibt zudem an, dass die vorgesehenen Finanzmittel nicht ausreichen, um die Kinder mit einer ausgewogenen Ernährung zu versorgen. „Die Befunde des Kita-Berichts sind erschütternd. Es ist schon ein Armutszeugnis, wenn es uns in diesem reichen Land nicht gelingt, jedem Kind eine gesunde Mahlzeit, bestmögliche Förderung in der individuellen Entwicklung und eine möglichst unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen”, so Schneider.

Zur Studie:

Der Kita-Bericht des Paritätischen erscheint inzwischen zum zweiten Mal. Die Studie gibt detaillierte Einblicke zum Stand der Qualitätsentwicklung und der praktischen Umsetzung des so genannten Gute-Kita-Gesetzes. Die Umfrage wurde gemeinsam mit Wissenschaftler*innen der Universität Osnabrück ausgewertet. Defizite wurden in allen Handlungsfeldern der frühen Bildung, Erziehung und Betreuung festgestellt. Insgesamt haben 1.171 Personen aus unterschiedlichen Kindertageseinrichtungen vollständig teilgenommen. Damit erfasst die Umfrage ein Fünftel aller Paritätischen Kindertageseinrichtungen in Deutschland. Die Teilnehmenden an der Umfrage kommen aus dem gesamten Bundesgebiet.

Hier geht es zur Studie




Besucher- und Ausstellerzahl bei didacta 2022 extrem rückläufig

koelmesse

Die Bildungsmesse verliert offensichtlich den Kontakt zur Zielgruppe

Vermeldete die Kölner Messe im Jahr 2019 noch 915 Aussteller und Ausstellerinnen und rund 100.000 Besucher und Besucherinnen, stellten in diesem Jahr noch 555 Unternehmen aus, deren Exponate lediglich rund 35.000 Menschen sehen wollten. Als Hauptgrund für diesen dramatischen Absturz wird die Corona-Krisen-Zeit genannt. Doch gerade die Sehnsucht nach direktem Austausch nach der dreijährigen Durststrecke ohne Bildungsmesse hätte doch eigentlich zu einem Ansturm von Ausstellenden und Besuchenden führen müssen. Einen kleinen Anteil für das Wegbleiben verschiedener Ausstellender, dürfte dem geschuldet sein, dass im Süden des Landes Ferienzeit war. Ein Grund für das Ausbleiben von rund 65 Prozent der Besucherinnen und Besucher, die zu einem Löwenanteil immer aus der Region kommen, ist das jedoch nicht.

Fehlen die Antworten auf drängende Fragen?

Insofern kann nur darüber spekuliert werden, warum die didacta den Kontakt zu ihrer Zielgruppe zunehmend verliert. Hat sich das Messekonzept überholt? Fehlen der Messe die Antworten auf die drängenden Fragen der pädagogischen Fachkräfte im Alltag? Einiges spricht dafür. Natürlich kann die didacta die Personalsituation oder die marode Situation vieler Bildungseinrichtungen nicht verbessern, aber ein starkes Signal der Solidarität sowie ein deutlicher Appell an Politik und Gesellschaft hätten sicher mehr bewirkt, als das stetige Propagieren digitaler Bildung von Geburt an. Tablets ersetzen keine pädagogischen Fachkräfte und reparieren keine maroden Schultoiletten oder -heizungen.

Erfrischendes seitens der Startups

Insofern konnte die didacta auch kein starkes Signal für die Zukunft der Bildung geben, wie vom Veranstalter behauptet. Schließlich ist die didacta eben auch kein Bildungsverband, sondern der Verband der Bildungswirtschaft. Und dem geht es eben darum, seine Produkte der Zielgruppe zu verkaufen. Echte Innovationen gab es mit Ausnahme der Flut von digitalen Apps, Anwendungen und Geräten jedoch kaum. Und auch bei den so genannten „digitalen Lösungen“ war die Zahl der wirklich sinnvollen und praktischen Angebote doch recht überschaubar. Ein echtes Highlight der Messe ist dabei immer der Bereich, in dem sich die Startups tummeln. Hier finden sich seit einigen Jahren echte und erfrischende innovative Ideen.

Kaum Dissens und Diskussion

Das ist jedoch zu wenig für eine Messe, die zentrales Diskussionsforum, größter Weiterbildungskongress und wichtigste gesellschaftspolitische Bühne sein will. Denn Platz für Dissens und damit echte Diskussion hat die didacta nur wenig. Auf den von uns besuchten Veranstaltungen, die als Diskussion angekündigt waren, zeigten sich die Protagonisten in völliger Harmonie. Das Publikum, zahlenmäßig meist sehr überschaubar, kam entweder nicht zu Wort oder es mangelnde am Interesse. Ein weiteres Manko, dass die Messe mehr und mehr von echten Forschenden größtenteils gemieden wird. Stattdessen finden sich Veranstaltungen, bei denen Protagonisten erscheinen, die ihre angebliche forschende Tätigkeit kaum von ihrem kommerziellen Privatunternehmen unterscheiden können. Hier herrscht dringender Reformbedarf, der wohl kaum mit jenem Personal zu erreichen sein dürfte, das nun schon seit Jahrzehnten hier mitwirkt.

Viele Ausstellende aber zufrieden

Während viele frühere Ausstellende aufgrund der hohen Kosten nicht mehr teilnahmen, zeigten sich doch etliche teilnehmende Unternehmen mit dem Standbesuch zufrieden. Alle deuteten die relativ gute Frequenz damit, dass sich durch die geringere Ausstellendenzahl, die geringe Zahl der Besuchenden besser auf die einzelnen Stände verteilten.

Erschreckend gering erwies sich auch das Interesse seitens der Presse. Hier fand die Messe so gut wie nicht statt. Im Pressezentrum gähnende Leere, auch wenn sich hier immer wieder Besucherinnen und Besucher fanden, die überhaupt nichts mit Pressearbeit zu tun hatten und auch nicht interviewt wurden.

didacta Stuttgart 2023

Aber nach der Messe ist vor der Messe. Vom 7. bis 11. März 2023 findet die nächste Bildungsmesse statt. Es bleibt zu hoffen, dass der Verband der Bildungswirtschaft bis dahin die richtigen Antworten auf die aktuellen Herausforderungen gefunden und sich auch intern erneuert hat.

Gernot Körner




Für eine generationengerechte und sozialgerechte Politik

Das Deutsche Kinderhilfswerk stellt den Kinderreport 2022 kostenlos zum Download bereit

Ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland fordert laut einer repräsentativen Umfrage für den Kinderreport 2022 des Deutschen Kinderhilfswerkes (DKHW) die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz, um die Interessen von Kindern und Jugendlichen in Zukunft besser zu berücksichtigen. Im Sinne einer generationengerechteren Gesellschaft werden zudem mehr Kinder- und Jugendbeauftragte in Bund, Ländern und Kommunen sowie die Prüfung aller neuen gesetzlichen Maßnahmen auf ihre Kinder- und Jugendfreundlichkeit als sinnvoll angesehen. Auch die Schaffung eines Ständigen Beirats für Kinder- und Jugendbeteiligung bei der Bundesregierung, in dem auch Kinder und Jugendliche selbst vertreten sind, wird von einer großen Mehrheit favorisiert. Mehr als zwei Drittel der Befragten wünschen sich außerdem, dass alle bestehenden Gesetze daraufhin überprüft werden, ob sie kinderfreundlich sind. Eine deutliche Mehrheit unter den Kindern und Jugendlichen spricht sich zudem für eine Wahlaltersabsenkung und den Ausbau von Kinder- und Jugendparlamenten aus.

Höhere Besteuerung sehr hoher Einkommen zur Finanzierung

Nur eine kleine Minderheit ist der Ansicht, dass in Deutschland von der öffentlichen Hand genug investiert wird, damit Kinder und Jugendliche eine gute Zukunft haben. Investitionsbedarf wird im Bereich der öffentlichen Infrastruktur, im Bildungsbereich, bei der Digitalisierung, im Umwelt- und Klimaschutz sowie bei der Bekämpfung der Kinderarmut gesehen. Zur Finanzierung dieser Aufgaben wird vor allem eine zusätzliche Besteuerung sehr hoher Einkommen favorisiert. Das sind die zentralen Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Politikforschungsinstituts Kantar Public im Auftrag des DKHW für den Kinderreport 2022, den der Präsident des DKHW, Thomas Krüger, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, und der Bundesgeschäftsführer des DKHW, Holger Hofmann, heute in Berlin vorstellten.

„Anliegen von Kindern und Jugendlichen oftmals schlichtweg ignoriert“

„Wir brauchen dringend mehr Maßnahmen für eine generationengerechte Gesellschaft, in der Kinder gleichwertige Lebenschancen, soziale Absicherung sowie ein nachhaltig sicheres und gesundes Umfeld vorfinden. Dabei lassen sich unterschiedliche Aspekte von Generationengerechtigkeit identifizieren, beispielsweise die gleichberechtigte Berücksichtigung der Interessen aktueller und zukünftiger Generationen oder auch ein fairer Ausgleich der Interessen aktuell älterer und jüngerer Menschen. Als Kinderrechtsorganisation nehmen wir in diesem Zuge, insbesondere aber in der politischen Debatte, eine geradezu systematische Vernachlässigung der Belange junger Menschen in Deutschland wahr. Einerseits werden die Anliegen von Kindern und Jugendlichen oftmals schlichtweg ignoriert, andererseits werden ihre Interessen – selbst, wenn sie wahrgenommen werden – nur nachrangig berücksichtigt. Sollte sich dieser Trend nachhaltig bestätigen, steht unsere Gesellschaft vor einer Zerreißprobe. Denn unsere Demokratie ist abhängig davon, dass es gelingt, sowohl den Interessen aktueller Generationen als auch zukünftiger Generationen gleichermaßen gerecht zu werden“, betont Krüger

Für eine nachhaltigere, inklusivere, gerechtere und sozialere Welt

„Kinder und Jugendliche haben ganz konkrete Vorstellungen von der Welt, in der sie leben wollen. Diese Welt soll nachhaltiger, inklusiver und sozialer und die Chancen für alle sollen gerechter verteilt sein. Nicht zuletzt in der Pandemie haben gerade junge Menschen ihren Beitrag für die Gemeinschaft und den Schutz vulnerabler Gruppen geleistet. Sie haben gleichzeitig kreative Wege gefunden, für ihre Themen – beispielsweise den Klimaschutz – Gehör zu finden“, erklärt Dreyer. „Als Entscheidungsträgerinnen und -träger in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft stehen wir hier und heute in der Pflicht, die junge Generation in ihrer gesellschaftlichen Partizipation zu stärken und ihre Anliegen in unsere Entscheidungen einfließen zu lassen. Das macht der Kinderreport 2022 deutlich.“

Es beginne mit der Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz, die in der Verfassung von Rheinland-Pfalz bereits seit 2000 festgeschrieben sind, und reiche bis zur Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahren, um die Teilhabe junger Menschen an der politischen Willensbildung zu stärken. Es gelte aber auch für die Umsetzung der Kinderrechte in der Praxis. „Wir setzen uns in Rheinland-Pfalz für Chancengleichheit durch beitragsfreie Bildung von der Kita bis zur Hochschule ein und unterstützen Familien durch frühe Hilfen, ein Netzwerk an Familieninstitutionen und die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Pandemie und die Inflation belasten Familien, Kinder und Jugendliche zusätzlich. Um die Kinderarmut nachhaltig zu bekämpfen, brauchen wir eine Kindergrundsicherung. Ich begrüße es sehr, dass die Bundesregierung diese nun einführen will“, so Dreyer.

Ausgewählte Ergebnisse der repräsentativen Umfrage für den Kinderreport 2022 im Einzelnen

Berücksichtigung der Interessen von Kindern und Jugendlichen bei politischen Entscheidungen – Status quo

Lediglich neun Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen geben an, dass die Politik in den letzten Jahren die Interessen von Kindern und Jugendlichen bei Entscheidungen stark berücksichtigt hat. 83 Prozent sehen das nicht so.

Die befragten Erwachsenen sehen das ähnlich. Lediglich 16 Prozent der Befragten geben an, dass die Politik in den letzten Jahren die Interessen von Kindern und Jugendlichen bei Entscheidungen stark berücksichtigt hat. 79 Prozent der Befragten sind hingegen nicht dieser Auffassung.

Berücksichtigung der Interessen von Kindern und Jugendlichen bei politischen Entscheidungen – Maßnahmen zur Verbesserung

94 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen halten die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz für sinnvoll, um die Interessen der jungen Generation zukünftig besser zu berücksichtigen, bei den Erwachsenen sind es immerhin 84 Prozent. Ebenfalls 94 Prozent der Kinder und Jugendlichen wünschen sich mehr Kinder- und Jugendbeauftragte in Bund, Ländern und Kommunen, bei den Erwachsenen sind es 80 Prozent. Als weitere wichtige Maßnahme sehen die Kinder und Jugendlichen eine Prüfung aller neuen gesetzlichen Maßnahmen auf ihre Kinder- und Jugendfreundlichkeit an. 85 Prozent sind dieser Meinung, bei den Erwachsenen sind es 76 Prozent.

Die Schaffung eines Ständiges Beirats für Kinder- und Jugendbeteiligung bei der Bundesregierung, in dem auch Kinder und Jugendliche selbst vertreten sind, erachten 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen und 66 Prozent der Erwachsenen für sinnvoll. 76 Prozent der Kinder und Jugendlichen sehen mehr Kinder- und Jugendparlamente in den Städten und Gemeinden als sinnvolle Maßnahme an, und auch 63 Prozent der Erwachsenen sprechen sich für den Ausbau von Kinder- und Jugendparlamenten aus. 64 Prozent der Kinder und Jugendlichen sprechen sich dafür aus, dass das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt wird und das Thema Politik im Schulunterricht eine größere Rolle spielt. Bei den Erwachsenen ist das Meinungsbild in dieser Frage gespalten. 49 Prozent halten die Absenkung des allgemeinen Wahlalters auf 16 Jahre in Verbindung mit mehr politischer Bildung in Schulen für eine sinnvolle Maßnahme, 50 Prozent lehnen das ab.

Ausgaben des Staates für eine gute Zukunft der Kinder und Jugendlichen

Nur zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen sind der Ansicht, dass in Deutschland genug Geld ausgegeben wird, damit Kinder und Jugendliche eine gute Zukunft haben. Das deckt sich mit der Meinung der Erwachsenen: Nur 17 Prozent sehen das positiv.

Notwendigkeit von Ausgaben des Staates mit Blick auf zukünftige Generationen

96 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind der Meinung, dass der Staat mehr Geld für die öffentliche Infrastruktur, beispielsweise bessere Schulgebäude und Krankenhäuser sowie bessere und günstigere Bus- und Bahnverbindungen, ausgeben sollte, damit Kinder und Jugendliche eine gute Zukunft haben. Auch für bessere Bildung und gute Schulen für alle Kinder und Jugendlichen sollte der Staat mehr Geld ausgeben. 95 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen sehen das so. 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind der Meinung, dass der Staat mehr Geld für den Ausbau und einen besseren Zugang zum Internet sowie für den verstärkten Einsatz digitaler Medien beispielsweise in Schulen, ausgeben sollte. Dass der Staat mehr Geld für die Unterstützung von armen Kindern ausgeben sollte, meinen 89 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen. Und 70 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen sind der Ansicht, dass der Staat mehr Geld für einen stärkeren Schutz von Umwelt und Klima ausgeben sollte.

Bei den Erwachsenen würden 95 Prozent der Befragten Investitionen für eine chancengerechte Bildung begrüßen, 94 Prozent Investitionen zur Bekämpfung von Kinderarmut in Deutschland. Dass der Staat gezielt in den Umwelt- und Klimaschutz investieren sollte, finden 89 Prozent der Erwachsenen. Ebenfalls 89 Prozent würden Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, zum Beispiel in einen kostenfreien, bedarfsgerechten Öffentlichen Personennahverkehr, mit Blick auf zukünftige Generationen begrüßen. Für Investitionen in die Digitalisierung mit Blick auf zukünftige Generationen sind 87 Prozent der Erwachsenen.

Ausgaben des Staates mit Blick auf zukünftige Generationen – Finanzierung

84 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen sind der Meinung, dass das Geld für zusätzliche Staatsausgaben über eine zusätzliche Besteuerung sehr hoher Einkommen kompensiert werden sollte. Rund zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen (67 Prozent) spricht sich für die Streichung von Staatsausgaben an anderer Stelle, wie Verteidigung, Straßenbau oder Wirtschaftsförderung aus. Eine allgemeine Steuererhöhung für die Finanzierung zusätzlicher Staatsausgaben zur Kompensation gezielter Investitionen mit Blick auf zukünftige Generationen befürworten nur 17 Prozent der Kinder und Jugendlichen, 16 Prozent sprechen sich für eine höhere Schuldenaufnahme aus.

Die größte Zustimmung (78 Prozent) bei der Frage, wie zusätzliche Staatsausgaben für gezielte Investitionen mit Blick auf zukünftige Generationen kompensiert werden sollten, erhält auch bei den Erwachsenen die Möglichkeit einer zusätzlichen Besteuerung sehr hoher Einkommen. 52 Prozent sprechen sich für die Streichung von Staatsausgaben an anderer Stelle, wie Verteidigung, Straßenbau oder Wirtschaftsförderung aus. Die Möglichkeit für den Staat, zur Finanzierung gezielter Investitionen mit Blick auf zukünftige Generationen mehr Schulden aufzunehmen, befürworten nur 30 Prozent der Erwachsenen, und lediglich 28 Prozent plädieren für eine allgemeine Steuererhöhung.

Beseitigung der Kinderarmut in Deutschland – auch eine Frage der Generationengerechtigkeit

Eine sehr große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen sieht in zu geringen Einkommen den Hauptgrund für die hohe Kinderarmutsquote in Deutschland. Insgesamt 92 Prozent sind dieser Meinung. Neben den geringen Einkommen sind 85 Prozent der Kinder und Jugendlichen der Ansicht, dass es Kinderarmut in Deutschland gibt, weil sich Politikerinnen und Politiker um dieses Problem zu wenig kümmern. 84 Prozent sind der Meinung, dass eine mangelnde Unterstützung der Alleinerziehenden, beispielsweise finanziell oder durch Kinderbetreuung, ein Grund für die Kinderarmut in Deutschland ist. Dass wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen und sich Deutschland mehr Unterstützung für arme Kinder nicht leisten kann, glaubt lediglich rund ein Viertel (26 Prozent).

84 Prozent der Erwachsenen sind der Meinung, dass von Armut betroffene Kinder weniger Chancen auf einen guten Bildungsabschluss haben und sich Armut dadurch fortsetzt. Nach Ansicht von 82 Prozent sind zu geringe Einkommen in Deutschland Grund für die Kinderarmut. Ebenfalls rund vier Fünftel der Erwachsenen (81 Prozent) sind der Meinung, dass eine mangelnde Unterstützung der Alleinerziehenden, beispielsweise finanziell oder durch Kinderbetreuung, ein Grund für die Kinderarmut in Deutschland ist. Dass wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen und sich Deutschland mehr Unterstützung für arme Kinder nicht leisten kann, glaubt nicht mal ein Drittel (30 Prozent).

Für den Kinderreport 2022 des Deutschen Kinderhilfswerkes führte das Politikforschungsinstitut Kantar Public zwei Umfragen, eine unter Kindern und Jugendlichen (10- bis 17-Jährige) und eine unter Erwachsenen (ab 18-Jährige), in Deutschland durch. Befragt wurden insgesamt 1.691 Personen, davon 645 Kinder und Jugendliche sowie 1.046 Erwachsene. Die Befragungen wurden online unter Nutzung eines Access-Panels (Kinder und Jugendliche) sowie mittels computergestützter Telefoninterviews (Erwachsene) durchgeführt. Die Fragen wurden Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen gleichermaßen gestellt, allerdings wurde den Kindern und Jugendlichen ein Fragebogen mit Formulierungen vorgelegt, die der Altersgruppe angepasst worden waren. Die Fehlertoleranz der Umfrage bei den Kindern und Jugendlichen liegt mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit bei unter 1,7 (bei einem Anteilswert von 5 Prozent) bzw. 4,0 Prozentpunkten (bei einem Anteilswert von 50 Prozent), die bei den Erwachsenen bei unter 1,4 (bei einem Anteilswert von 5 Prozent) bzw. 3,1 Prozentpunkten (bei einem Anteilswert von 50 Prozent).

Der Kinderreport 2022 des Deutschen Kinderhilfswerkes, die Ergebnisse der repräsentativen Umfrage für den Kinderreport 2022 und eine Zusammenfassung des Kinderreports 2022 können unter www.dkhw.de/Kinderreport2022 heruntergeladen werden.




Gesunde Entwicklung dank älterer Geschwister

Kinder mit älteren Brüdern oder Schwestern entwickeln seltener Probleme

Bereits in den ersten Lebensjahren entwickeln Kinder die kognitiven, sozialen und emotionalen Fähigkeiten, die für ihre lebenslange Gesundheit und Leistungsfähigkeit die Grundlage bilden. Sind Kinder in besonders kritischen Lebensabschnitten Stress ausgesetzt, kann ihre Entwicklung jedoch langfristig Schaden nehmen. Ein besonders starker Stressfaktor für Kinder ist der Stress, dem die Mutter ausgesetzt ist, und der sich bereits während der Schwangerschaft negativ auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Kindes auswirken kann.

In einer neuen Studie untersuchte ein Leipziger Forschungsteam, dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung, der Universität Leipzig, des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung angehören, 373 deutsche Mutter-Kind-Paare von der Schwangerschaft bis zu einem Alter von zehn Jahren anhand von Langzeitdaten aus der LINA-Kohorte (Lifestyle and environmental factors and their influence on the newborn allergy risk).

Die Mütter füllten insgesamt drei Fragebögen aus, in denen sie jeweils ihr eigenes Stressempfinden und eventuell vorhandene Verhaltensprobleme ihres Kindes bewerten sollten. Die Forschenden untersuchten zunächst, welche sozialen und Umweltfaktoren mit einem tatsächlichen Anstieg des Stressniveaus der Mütter während der Schwangerschaft im Zusammenhang stehen könnten und ob dieser Stress sich langfristig negativ auf das Verhalten des Kindes auswirkt. In einem zweiten Schritt untersuchten die Forschenden, ob Kinder, die Geschwister haben, weniger häufig Verhaltensprobleme entwickeln. Könnten Geschwisterkinder das psychische Wohlbefinden ihrer Brüder oder Schwestern steigern, indem sie die negativen Folgen mütterlichen Stresses indirekt abfedern?

Pränataler Stress kann beim Kind Verhaltensprobleme hervorrufen

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass sozio-ökologische Stressfaktoren, wie etwa das Fehlen adäquater sozialer Räume in der Nachbarschaft, eindeutig mit einem Anstieg des Stressniveaus in der Schwangerschaft verbunden waren. Außerdem berichteten Frauen, die während der Schwangerschaft starkem Stress – Sorgen, Traurigkeit oder Anspannung – ausgesetzt waren, häufiger über Verhaltensprobleme ihrer Kinder im Alter von sieben, acht oder zehn Jahren. „Unsere Ergebnisse bestätigen, dass selbst milde Formen von pränatalem Stress noch Jahre später negative Auswirkungen auf das Verhalten von Kindern haben können und unterstreichen die Bedeutung frühzeitiger Interventionsmaßnahmen, die das Wohlbefinden von Müttern steigern und die Risiken von mütterlichem Stress bereits während der Schwangerschaft verringern können“, erklärt Federica Amici von der Universität Leipzig und vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, eine der an dem Projekt beteiligten Forscherinnen.

Eine positive Erkenntnis der Studie war jedoch, dass Verhaltensprobleme bei Kindern mit älteren Geschwistern seltener auftraten. „Kinder mit älteren Brüdern oder Schwestern, die ebenfalls im Haushalt leben, entwickeln seltener Probleme, was darauf hindeutet, dass Geschwister zur gesunden Entwicklung eines Kindes beitragen können“, erklärt Gunda Herberth vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung, Koordinatorin der LINA-Studie.

Bessere Sozialkompetenz durch ältere Geschwister?

Obwohl die Anwesenheit älterer Geschwister die Wahrscheinlichkeit verringert, dass ein Kind Verhaltensprobleme entwickelt, werden dadurch die negativen Auswirkungen mütterlichen Stresses auf das kindliche Verhalten nicht ausgeglichen. Wie verringern ältere Geschwister das Auftreten von Verhaltensproblemen bei ihren Brüdern und Schwestern? Möglicherweise helfen sie bei der Herausbildung wichtiger Sozialkompetenzen – sich beispielsweise in andere Personen, ihre Gedanken- und Gefühlswelt hineinversetzen zu können – sowie dabei, Strategien zur Problemlösung zu entwickeln. Darüber hinaus können ältere Geschwister Eltern zusätzliche Lernmöglichkeiten bieten. So können Eltern ihre Erwartungen an ihre Kinder und sich selbst überdenken und möglicherweise sogar an ihren elterlichen Fähigkeiten arbeiten und diese verbessern.


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„Besonders beeindruckt waren wir, was für eine wichtige Rolle Geschwisterkinder für eine gesunde Kindesentwicklung spielen“, fasst Anja Widdig zusammen, die an der Universität Leipzig, am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung forscht. „Wir hoffen, dass die Ergebnisse unserer Studie dabei helfen werden, die Bedürfnisse von Kindern und ihren Geschwistern in den Fokus einer integrativen öffentlichen Gesundheitspolitik zu rücken – um für sie ein gesundes Umfeld zu schaffen, dass zu ihrem Wohlergehen beiträgt und die Herausbildung qualitativ hochwertiger Geschwisterbeziehungen fördert.“

Originalveröffentlichung:

Federica Amici, Stefan Röder, Wieland Kiess, Michael Borte, Ana C. Zenclussen, Anja Widdig & Gunda Herberth

Maternal stress, child behavior and the promotive role of older siblings

BMC Public Health, 29 April 2022

https://bmcpublichealth.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12889-022-13261-2