Ganztagsbetreuung in den Ferien: Mehr Spielraum für Kommunen

Bundesrat bringt Gesetz auf den Weg: Auch Ferienangebote der Jugendarbeit sollen künftig den Anspruch auf Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern erfüllen können – besonders in den Schulferien

Ab August 2026 haben alle Kinder der Klassen eins bis vier einen gesetzlichen Anspruch auf Ganztagsbetreuung – an allen Werktagen, auch in den Schulferien. Bisher sieht das Gesetz vor, dass dieser Anspruch über schulische Einrichtungen erfüllt werden muss. Gerade in den Ferien stoßen diese jedoch vielerorts an ihre Grenzen. Es fehlen ausreichend Räume, Personal und geeignete Strukturen.

Ferienangebote der Jugendarbeit sollen anerkannt werden

Der Bundesrat hat am 13. Juni 2025 einen Gesetzentwurf beschlossen, der genau hier ansetzt: Künftig sollen auch bewährte Ferienprogramme der Kinder- und Jugendarbeit den Ganztagsanspruch erfüllen können. Diese Angebote sind vielerorts bereits etabliert und erfreuen sich großer Beliebtheit – bisher wurden sie jedoch rechtlich nicht als ausreichend anerkannt.

Mehr Flexibilität für Städte, Gemeinden und Träger

Durch die neue Regelung sollen kommunale Jugendämter und freie Träger mehr Handlungsspielraum erhalten. Sie könnten bestehende Ferienprogramme leichter fortführen oder erweitern und so den gesetzlichen Anspruch verlässlich abdecken. Auch die Planung vor Ort würde dadurch einfacher und praxisnäher gestaltet.

Statistikpflicht entfällt – Bürokratieabbau geplant

Teil des Gesetzentwurfs ist auch die Abschaffung einer bislang vorgesehenen Bundesstatistik zur Betreuung von Grundschulkindern. Diese hatte sich als zu aufwendig und wenig zielführend erwiesen. Laut Bundesrat liefern bereits bestehende Datensysteme auf Landes- und kommunaler Ebene ausreichende Informationen für die weitere Planung.

Wie geht es weiter?

Nach dem Beschluss im Bundesrat geht der Entwurf nun an den Bundestag. Die Bundesregierung kann dazu Stellung nehmen. Ein fester Zeitplan für die parlamentarische Beratung im Bundestag besteht nicht. Sollte das Gesetz wie geplant verabschiedet werden, tritt es – inklusive der Neuregelungen zur Ferienbetreuung – zum 1. August 2026 in Kraft.

Gernot Körner




Weltspieltag 2025: Mehr Zeit für Spiel, Kultur und Bewegung für Kinder

forsa

Forsa-Umfrage verdeutlicht die herausragende Bedeutung kreativer, spielerischer und sportlicher Aktivitäten für Kinder

Sehr große Teile der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland schätzen laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerks zum Weltspieltag 2025 die Bedeutung kreativer, spielerischer und sportlicher Aktivitäten für Kinder im Kita- und Grundschulalter als wichtig ein. Zugleich glaubt nur etwa die Hälfte der Befragten, dass Kinder außerhalb von Kita und Schule ausreichend Zeit und Möglichkeiten haben, solchen Aktivitäten nachzugehen.

Digitale Medien als größtes Hindernis

Als Hauptgrund für diese Einschränkungen nennen die Befragten die ständige Verfügbarkeit digitaler Medien. Diese erschwere es Kindern, sich für analoge kreative Tätigkeiten zu begeistern. Ein Großteil sieht zudem Defizite in der Unterstützung durch Eltern: Viele würden ihre Kinder zu wenig fördern oder ihnen keine Freude an kreativem Tun vermitteln. Auch finanzielle Einschränkungen der Familien werden häufig als Hürde genannt.

Die große Mehrheit aller Befragten wünscht sich deshalb, dass insbesondere im Ganztagsbereich der Grundschulen mehr Raum und Zeit für freie und kreative Aktivitäten geschaffen wird.


Spiel ist kein Luxus – sondern Grundlage kindlicher Entwicklung

In vielen Kitas verliert das freie Spiel zunehmend an Raum – verdrängt von Lernprogrammen, Förderdruck und Bürokratie. Dabei ist das Spiel für Kinder der zentrale Weg, sich selbst und die Welt zu entdecken.

Dieses Buch ist ein fachlich fundiertes Plädoyer für eine lebendige Spielpädagogik – und für eine Kita-Praxis, die Kindern wieder gibt, was sie wirklich brauchen: Zeit, Raum und Freude am Spielen.

Armin Krenz, Spiel und Selbstbildung, 14,8 x 21 cm, 176 Seiten, ISBN 9783963046162, 22 €


Lasst uns spielen – mit allen Sinnen!

Der diesjährige Weltspieltag am 11. Juni 2025 steht unter dem Motto: „Lasst uns spielen – mit allen Sinnen!“ Damit möchten das Deutsche Kinderhilfswerk und seine Partner im „Bündnis Recht auf Spiel“ die Verbindung von Spiel und kultureller Teilhabe in den Fokus rücken.

Botschafter des Weltspieltags 2025 ist der Fernsehmoderator und Autor Ralph Caspers. Die Schirmherrschaft hat der Ausschuss für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages übernommen. Zum 18. Mal wird der Weltspieltag deutschlandweit gefeiert – in diesem Jahr erstmals am 11. Juni, nachdem die Vereinten Nationen den Tag offiziell in die Liste der internationalen Gedenktage aufgenommen haben.

Recht auf Spiel – Anspruch und Auftrag zugleich

„Kinder kommen von Beginn an über ihre Sinne in Kontakt mit der Welt und wollen diese auf spielerische Weise mitgestalten“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerks. „Das sollte nicht nur im Sinne ihrer Selbstwirksamkeit und Entwicklung gefördert werden – sie haben auch ein Recht darauf.“ Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention garantiert das Recht auf freies Spiel und kulturelle Teilhabe.

„Wir Erwachsenen müssen dafür sorgen, dass Kinder Zeit und Raum für Spiel, kreative Prozesse und künstlerischen Ausdruck erhalten – frei von Zwängen und Vorgaben.“

Kulturelle Teilhabe stärkt Resilienz

Für eine ganzheitliche Entwicklung sei es wichtig, dass Kinder früh mit unterschiedlichen Formen von Kunst, Kultur, Spiel und auch Medien in Berührung kommen, so Hofmann weiter: „Wenn Kinder selbst Choreografien erfinden, Handpuppen basteln oder gemeinsam musizieren, haben sie nicht nur Spaß – sie stärken ihre kognitiven Fähigkeiten, erleben Gemeinschaft und entwickeln Selbstwirksamkeit.“ Besonders für Kinder aus einkommensschwachen Familien sei kulturelle Teilhabe ein wichtiger Baustein für Resilienz.

Ergebnisse der Umfrage im Überblick

Wichtigkeit von Aktivitäten in der Freizeit:

  • Sportliche Aktivitäten: 97 % bewerten sie als „sehr wichtig“ oder „eher wichtig“
  • Kreative Tätigkeiten (z. B. Malen, Basteln, Theaterspielen, Musik): 96 % bewerten sie als wichtig
  • Freies Spiel: 95 % sehen dessen Bedeutung als hoch an

Verfügbare Zeit und Möglichkeiten:

  • Nur 51 % glauben, dass Kinder außerhalb von Kita und Schule genügend Zeit und Möglichkeiten für kreative Aktivitäten haben
  • 41 % sehen das nicht so

Gründe für fehlende kreative Freiräume:

  • 81 % nennen digitale Medien als Hauptursache
  • 75 % bemängeln mangelnde Unterstützung durch Eltern
  • 61 % verweisen auf finanzielle Einschränkungen
  • 45 % sehen die Belastung durch lange Kita- und Schultage als Ursache
  • 38 % nennen fehlende attraktive und erreichbare Angebote

Wunsch nach mehr kreativen Freiräumen in der Grundschule:

  • 89 % der Befragten fänden es sehr gut oder eher gut, wenn der Ganztag mehr Raum für freie kreative Aktivitäten bieten würde. Nur 8 % lehnen das ab

Zur Erhebung

Die repräsentative Befragung wurde im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerks von der Forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen mbH durchgeführt. Vom 14. bis 16. April 2025 wurden 1.001 zufällig ausgewählte deutschsprachige Personen ab 18 Jahren telefonisch befragt. Die Ergebnisse sind mit einer statistischen Fehlertoleranz von ±3 Prozentpunkten auf die Gesamtbevölkerung übertragbar.

Quelle: Pressemitteilung Deutsches Kinderhilfswerk

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KIM-Studie 2024: Internet-Nutzung im Grundschulalter nimmt deutlich zu

Mehr als die Hälfte der Kinder zwischen sechs und 13 Jahren ist täglich online. Auch die schulische Lebenswelt ist zunehmend von mobilen Endgeräten geprägt

Die aktuelle KIM-Studie 2024 des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest dokumentiert einen signifikanten Anstieg der täglichen Internetnutzung bei Kindern. 54 Prozent der internetnutzenden Sechs- bis 13-Jährigen sind inzwischen täglich online. Bei den Acht- bis Neunjährigen hat sich dieser Anteil in nur zwei Jahren nahezu verdoppelt – von 23 auf 40 Prozent.

Smartphones bereits im Grundschulalter verbreitet

46 Prozent der befragten Kinder verfügen über ein eigenes Smartphone. Die Geräte sind nicht nur Teil des privaten Alltags, sondern auch im Schulkontext präsent: 77 Prozent der Kinder mit eigenem Smartphone dürfen dieses grundsätzlich mit in die Schule bringen. In 63 Prozent der Fälle ist die Nutzung auf Pausenzeiten begrenzt, 22 Prozent dürfen das Gerät gar nicht verwenden. Drei Prozent berichten von einer uneingeschränkten Nutzung.

Verschiebungen im Bewegtbildkonsum

Erstmals steht mit Netflix ein Streamingdienst an der Spitze der beliebtesten Plattformen für Filme, Serien und Videos bei Kindern. 21 Prozent der Befragten nannten Netflix, gefolgt von KiKA mit 14 Prozent und YouTube mit 11 Prozent. KiKA bleibt dennoch das wöchentlich am häufigsten genutzte Angebot. Der SWR-Intendant Prof. Dr. Kai Gniffke hebt in diesem Zusammenhang die Rolle öffentlich-rechtlicher Medienangebote im digitalen Umfeld hervor.

Offene Plattformen statt redaktioneller Auswahl

Die Studie dokumentiert eine zunehmende Nutzung offener Plattformen wie YouTube. Inhalte werden individuell aus einem breiten, wenig kuratierten Angebot ausgewählt. Dabei stehen altersgerechte und nicht altersgerechte Inhalte oft nebeneinander. Der Präsident der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg, Dr. Wolfgang Kreißig, verweist auf die Bedeutung dieser Entwicklungen für die Medienrealität von Kindern.

Mediennutzung häufig ohne technische Begleitung

Die Erhebung gibt auch Einblick in das medienerzieherische Verhalten im Elternhaus: 43 Prozent der Eltern mit smartphonebesitzenden Kindern setzen Bildschirmzeitbeschränkungen ein. 39 Prozent kontrollieren die Nutzungsdauer, ein Viertel führt Gespräche über die Bildschirmzeit. 55 Prozent der Eltern verzichten auf technische oder begleitende Maßnahmen.

Nutzung von Social Media trotz Altersbeschränkung

Plattformen wie TikTok und Instagram werden von vielen Kindern unter 13 Jahren genutzt, obwohl dies laut Nutzungsbedingungen nicht zulässig ist. Die Angebote sind dennoch fester Bestandteil des kindlichen Alltags. Der Direktor der Medienanstalt Rheinland-Pfalz, Dr. Marc Jan Eumann, verweist auf fehlende Alterskontrollen bei den Anbietern und auf die Bedeutung von Aufklärungsinitiativen wie „klicksafe“.

Gernot Körner




Mehrsprachige Familien beraten

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Kinder, die Zuhause mit einer anderen Erstsprache als Deutsch oder mehrsprachig aufwachsen, begegnen uns im Kita-Alltag immer häufiger. Eltern treten oft mit der Erwartungshaltung an pädagogische Fachkräfte, ihren Kindern solide Sprachkenntnisse des Deutschen zu vermitteln. Die aktuelle Ausgabe von kindergarten heute – Wenn Eltern Rat suchen liefert Ihnen fachliche Grundlagen zum Thema „Mehrsprachige Familien beraten“ und bietet Ihnen Reflexionsfragen, Lösungsansätze und Beratungsimpulse, um mit Eltern aus mehrsprachigen Familien ins Gespräch zu gehen.

Der Aufbau des Heftes folgt dabei einem bestimmten Aufbau:

  • Praktisches Beispiel aus dem Kita-Alltag
  • Vermittlung fachlicher Grundlagen zum Thema
  • Analyse des Fallbeispiels & Vermittlung von Lösungsansätzen und Beratungsimpulsen

Verstehen und fördern: Mehrsprachigkeit in der Familie – Das Fallbeispiel Horvat

Herr und Frau Horvat haben sich bewusst dafür entschieden, innerhalb ihrer Familie Kroatisch zu sprechen. Auch ihre Tochter Elena (4 Jahre) soll mit der Sprache ihrer Herkunftsfamilie ihre kroatischen Wurzeln bewahren. Seit Kurzem besucht Elena eine Kita, in der sie Deutsch lernt. Doch die Mutter sorgt sich um die Sprachentwicklung ihrer Tochter und hat den Eindruck, dass sie zu langsam fortschreitet. Als sie erfährt, dass Elena mit anderen kroatisch sprechenden Kindern in der Kita in ihrer Familiensprache kommuniziert, ist sie empört und verunsichert. Ihrer Ansicht nach sollte Elena in der Kita ausschließlich Deutsch sprechen, um für die Grundschule fit zu sein.

Fachliche Grundlagen vermitteln

Mehrsprachigkeit verzögert nicht die Sprachentwicklung, macht Kinder nicht anfälliger für Entwicklungsstörungen und führt nicht zwangsläufig zu Fehlern in der Grammatik. In den fachlichen Grundlagen erhalten Fachkräfte eine klare Definition von Mehrsprachigkeit und erfahren, welche Faktoren eine gelingende Mehrsprachigkeit begünstigen.

Analyse des Fallbeispiels

In der Reflektion wird deutlich, dass Frau Horvat durch ihre eigenen Erfahrungen mit der deutschen Sprache und ihre Sorge um die Integration ihrer Tochter beeinflusst wird. Elena macht bereits Fortschritte im Deutschen, fühlt sich sicher und gesehen – vor allem, wenn sie ihre Erstsprache nutzen kann, um eine Brücke zum Deutschen zu schlagen. Diese Unterstützung stärkt ihr Selbstvertrauen und ihre Identität.

Lösungsansätze für Fachkräfte

Um Eltern wie Frau Horvat zu unterstützen, ist Aufklärungsarbeit essenziell: Erklären Sie, dass Kinder Zweitsprachen viel leichter lernen als Erwachsene. Gehen Sie auf die individuelle Sprachbiografie der Eltern ein und betonen Sie die Bedeutung der Erstsprache für die Identitätsentwicklung. Zeigen Sie konkrete Tipps auf, wie Eltern aktiv in die Sprachbildung eingebunden werden können und welches Mehrsprachigkeitsmodell am besten zur jeweiligen Familie passt.




Fast 13 Prozent betroffen: Sexualisierte Gewalt beginnt oft in der Familie

Repräsentative Untersuchung macht Ausmaß, Kontexte und Folgen von Missbrauch sichtbar – Dunkelfeld weiterhin groß

Laut einer aktuellen Dunkelfeldstudie, initiiert vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, berichten 12,7 Prozent der befragten Erwachsenen, in ihrer Kindheit oder Jugend sexualisierte Gewalt erlebt zu haben. Das entspricht etwa 5,7 Millionen Menschen in Deutschland.

Besonders betroffen sind weibliche Befragte: 20,6 Prozent gaben an, in jungen Jahren sexualisierte Gewalt erlebt zu haben – bei den 18- bis 29-Jährigen liegt der Anteil sogar bei 27,4 Prozent.

„Die Ergebnisse weisen auf ein erhebliches Dunkelfeld hin, das im Vergleich zu früheren Untersuchungen nicht abgenommen hat“, sagt Prof. Dr. Harald Dreßing, Leiter der Forensischen Psychiatrie am ZI und Koordinator der Studie.

Tatorte: oft das Zuhause – Täter meist männlich

Die Studie zeigt: Sexualisierte Gewalt geschieht am häufigsten im familiären Umfeld oder durch nahestehende Bezugspersonen. Zwar erleben auch Jungen Gewalt, bei ihnen häufen sich aber Kontexte wie Sport- und Freizeiteinrichtungen, kirchliche Räume oder Angebote der Kinder- und Jugendhilfe.

Ein weiteres zentrales Ergebnis betrifft die Täterstruktur: In der großen Mehrheit der Fälle waren die Täter männlich. Nur 4,5 Prozent der Betroffenen berichteten von Übergriffen durch Frauen.

Digitale Medien als neuer Risikobereich

Die Studie weist auch auf die wachsende Bedeutung digitaler Räume hin: In 31,7 Prozent der Fälle spielten soziale Netzwerke, Chats oder Messenger-Dienste eine Rolle. Dabei ging es unter anderem um das ungewollte Zusenden pornografischer Inhalte, gezielte Kontaktaufnahme oder den Druck, intime Bilder oder Videos zu verschicken.

Besorgniserregend: Über 60 Prozent derjenigen, die im realen Leben betroffen waren, erlebten auch digital sexualisierte Gewalt.

Scham, Angst und Schweigen – viele sprechen nicht darüber

Ein weiteres bedrückendes Ergebnis: 37,4 Prozent der Betroffenen haben nie mit einer anderen Person über das Erlebte gesprochen.

Häufigste Gründe: Scham, Schuldgefühle und Angst, nicht ernst genommen zu werden. „Das zeigt, dass es vielfach an geschützten Räumen fehlt, in denen Menschen das Erlebte offen ansprechen können“, so Prof. Dreßing.

Wissenschaftlich belastbare Daten zum ersten Mal

Die Studie wurde in Kooperation mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Ulm, dem Kriminologischen Institut Heidelberg und dem Umfrageinstitut infratest dimap durchgeführt. Erstmals wurde damit eine für Deutschland repräsentative Erhebung zum tatsächlichen Ausmaß und den Kontexten sexualisierter Gewalt realisiert.

„Es ist wichtig, dass wir die Forschung zum Ausmaß und den Kontexten sexualisierter Gewalt verstetigen“, betont Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des ZI. „Nur so können wir Prävention und Versorgung verbessern.“

Originalpublikation:

Harald Dreßing, Andreas Hoell, Leonie Scharmann, Anja M. Simon, Ann-Christin Haag, Dieter Dölling, Andreas Meyer-Lindenberg, Joerg Fegert: Sexual Violence Against Children and Adolescents: A German Nationwide Representative Survey on Its Prevalence, Situational Context, and Consequences. Dtsch Arztebl Int 2025; 122: 285–91. DOI: 10.3238/arztebl.m2025.0076
Link: https://www.aerzteblatt.de/10.3238/arztebl.m2025.0076

Gernot Körner




Jugend forscht 2025: Bundespräsident ehrt Deutschlands Nachwuchsforschende

60. Bundesfinale würdigt herausragende MINT-Projekte – Preise für Innovationen in KI, Umwelttechnik, Medizin und Raumfahrt

Beim 60. Bundesfinale von Jugend forscht in Hamburg sind talentierte junge Forscherinnen und Forscher aus Deutschland ausgezeichnet worden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ehrte die Bundessiegerinnen und Bundessieger persönlich bei der feierlichen Preisverleihung bei Lufthansa Technik. Mit dabei waren über 1 000 Gäste sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft – darunter Bundesforschungsministerin Dorothee Bär, Bundesbildungsministerin Karin Prien und Hamburgs Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher.

167 Nachwuchstalente hatten sich mit insgesamt 112 Projekten für das Bundesfinale qualifiziert. Veranstaltet wurde der Wettbewerb von der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg gemeinsam mit der Stiftung Jugend forscht e. V. Premiumförderer war die Lufthansa Technik AG.

KI-Projekt gewinnt Preis des Bundespräsidenten

Den Preis des Bundespräsidenten für eine außergewöhnliche Arbeit erhielten Oskar Rost (17) und Marius Strauß (18) aus Thüringen. Sie entwickelten eine KI-gestützte Software, die Prüfungen automatisiert auswertet und eine transparente, objektivere Benotung ermöglicht.

Autonome Umweltboje siegt beim Preis des Bundeskanzlers

Für die originellste Arbeit wurde Louis Schwarzlose (17) aus Hamburg mit dem Preis des Bundeskanzlers ausgezeichnet. Er baute eine autonome Boje zur Erfassung von Umweltdaten in Gewässern. Die Energie für den Antrieb gewinnt sie aus Wind, Wellen und Sonnenlicht.

Interdisziplinäre Innovation in der Medizintechnik

Der Preis der Bundesforschungsministerin für die beste interdisziplinäre Arbeit ging an David Rutkevich (20) aus Berlin. Sein KI-Modell kann unvollständige MRT- oder Röntgenbilder ergänzen und sich nahtlos in bestehende Systeme integrieren – mit einem Qualitätsniveau, das den Stand der Forschung übertrifft.

Weitere Bundessiege in den Fachgebieten

  • Arbeitswelt: Vincent Engelbrecht (19) aus Bayern programmierte eine App zur Verwaltung von Zoos, die Prozesse optimiert und gleichzeitig das Tierwohl stärkt.
  • Biologie: Misha Hegde (15) und Mia Maurer (15) aus Hessen fanden einen Phagen zur biologischen Bekämpfung eines pflanzenschädlichen Bakteriums – eine umweltschonende Alternative zu Antibiotika.
  • Chemie: Elisabeth Fischermann (17) und Tom Kreßbach (17) aus Bayern entwickelten eine essbare Batterie auf Basis ungiftiger Chemikalien für den Einsatz in der medizinischen Diagnostik.
  • Geo- und Raumwissenschaften: Sienna Drack (16) und Claire Dillmann (17) aus Bayern analysierten mithilfe von Bürgerfotos die Reflexion des Erdlichts auf dem Mond, um Rückschlüsse auf Vegetationsentwicklungen auf der Erde zu ziehen.
  • Mathematik/Informatik: Simon Neuenhausen (17) aus Nordrhein-Westfalen stellte eine frei zugängliche WLAN-Funktion für Minicomputer bereit – vielseitig einsetzbar für Netzwerktests und Sicherheitsanalysen.
  • Physik: Johanna Freya Pluschke (18) aus Niedersachsen programmierte eine Software zur Simulation von Ionentriebwerken, wie sie in der Raumfahrt verwendet werden.
  • Technik: Jonathan Baschek (16) aus Rheinland-Pfalz konstruierte eine kostengünstige AR-Brille mit Sensorchip, die Informationen direkt im Sichtfeld einblendet.

Auszeichnung für MINT-Förderung an Hamburger Schule

Mit dem Preis „Jugend forscht Schule 2025“ der Kultusministerkonferenz wurde das Gymnasium Farmsen in Hamburg ausgezeichnet. Die Schule überzeugte durch ihr vorbildliches Engagement in der Förderung mathematisch-naturwissenschaftlicher Bildung.

Weiterführende Informationen

Kurzbeschreibungen aller Projekte, Fotos, Videos sowie die virtuelle Ausstellung zum Wettbewerb sind online verfügbar unter:
👉 www.jugend-forscht.de




Warum Hunde in westlichen Gesellschaften zunehmend Kinder ersetzen

Hunde übernehmen in vielen Haushalten Funktionen, die früher Kindern vorbehalten waren – mit weitreichenden Folgen für unser Zusammenleben

In vielen westlichen Gesellschaften zeichnen sich tiefgreifende Veränderungen ab: Die Geburtenraten sinken, klassische Familienmodelle lösen sich auf, soziale Netzwerke schrumpfen. Gleichzeitig wächst die Zahl der Menschen, die ihr Leben mit einem Hund teilen – oft mit großer emotionaler Nähe und einem tiefen Verantwortungsbewusstsein. Was auf den ersten Blick wie ein Trend erscheinen mag, verweist auf eine gesellschaftliche Umorientierung, die Fürsorge, Bindung und Familie neu denkt.

Die Sozialpsychologin Laura Gillet und die Ethologin Prof. Dr. Enikő Kubinyi von der Eötvös Loránd Universität (ELTE) in Budapest haben in einer umfassenden theoretischen Arbeit untersucht, warum Hunde in westlichen Gesellschaften zunehmend kindähnliche Rollen einnehmen – und was diese Entwicklung über unsere sozialen Bedürfnisse und kulturellen Leitbilder aussagt.

Wenn Fürsorge neue Wege geht

„Wir beobachten, dass Menschen auch ohne eigene Kinder starke elterliche Fürsorgemuster zeigen – und diese auf ihre Hunde übertragen“, schreiben Gillet und Kubinyi. Der Wunsch, sich um ein anderes Lebewesen zu kümmern, bleibe bestehen – auch in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und gesellschaftlicher Umbrüche.

Die Zahl der Hunde in Deutschland hat sich seit 2000 nahezu verdoppelt: von etwa fünf Millionen auf über zehn Millionen im Jahr 2020. Auch in Österreich stieg der Hundebestand zwischen 2020 und 2022 deutlich, von rund 629.000 auf über 837.000 Tiere. In der Schweiz wuchs die registrierte Hundepopulation von 445.000 im Jahr 2010 auf über 544.000 im Jahr 2022.

Gleichzeitig zeigen die Geburtenzahlen einen klar rückläufigen Trend:
– In Deutschland sank die Geburtenziffer 2024 auf 1,35 Kinder pro Frau. Mit rund 677.000 Geburten und über 1 Million Todesfällen ergibt sich ein negativer Bevölkerungssaldo (Destatis 2025)
– In Österreich lag die Geburtenrate 2022 bei 1,41 Kindern pro Frau – ein Tiefstand laut OECD.
– In der Schweiz wurden 2023 nur noch 80.024 Kinder geboren – über 10 % weniger als noch 2021. Die Fertilitätsrate lag 2022 bei 1,39 Kindern pro Frau.

Dabei geht es nicht darum, Hunde gegen Kinder auszuspielen, sondern gesellschaftliche Tendenzen aufzuzeigen.

Zwischen Kindersatz und bewusster Beziehung

„Viele Menschen sehen ihren Hund nicht als bloßen Begleiter, sondern als vollwertiges Familienmitglied – manche sogar als Kind“, so Gillet. In einer ungarischen Umfrage bezeichneten 70 % der Hundebesitzer ihr Tier als Familienmitglied, 16 % sogar ausdrücklich als Kind. In sozialen Netzwerken finden sich Begriffe wie „Hundemama“ oder „Hunde-Papa“, die inzwischen auch im Einzelhandel und in Marketingkampagnen alltäglich sind.

Doch die Studie macht auch deutlich: Nicht alle Hundebesitzer übertragen die Rolle des Kindes auf ihr Tier. „Die Beziehung zum Hund ist oft komplex, individuell und kulturell geprägt“, schreiben die Autorinnen. Für manche sei der Hund ein Kinderersatz, für andere ein Freund, ein Seelentröster oder schlicht ein Lebenspartner. Gillet betont: „Diese Vielfalt verdient gesellschaftliche Anerkennung – nicht Abwertung.“

Nähe, Verantwortung und gesellschaftliche Folgen

Die emotionale Bindung an Hunde ist stark – das zeigen auch neurowissenschaftliche Untersuchungen. So werden beim Anblick des eigenen Hundes im Gehirn von Müttern ähnliche Areale aktiviert wie beim Anblick des eigenen Kindes (Stoeckel et al., 2014). Umgekehrt reagieren Hunde mit eindeutiger Mimik und Körpersprache auf ihre Bezugspersonen. „Diese Gegenseitigkeit stärkt die emotionale Tiefe der Beziehung“, heißt es in der Studie.

Doch was bedeutet es, wenn sich Fürsorge vermehrt auf Tiere richtet, während die Geburtenzahlen sinken? Gillet und Kubinyi mahnen zur Auseinandersetzung mit den langfristigen Folgen: „Die Hundehaltung als Ausdruck emotionaler Kompetenz darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir vor erheblichen demografischen Herausforderungen stehen.“

Der Rückgang der Geburtenzahlen könne „die Stabilität sozialer Sicherungssysteme, das Rentenniveau sowie die Versorgung in Pflege und Gesundheitswesen gefährden“, so der gesellschaftliche Befund. Auch der Arbeitsmarkt ist betroffen: Weniger Kinder heute bedeuten weniger Erwerbstätige in Zukunft – mit weitreichenden Folgen für Steueraufkommen, Fachkräftesicherung und Innovation.

Die Hundeliebe ernst nehmen – und breiter denken

Gillet und Kubinyi plädieren für eine konstruktive Auseinandersetzung mit der zunehmenden Hundeliebe: „Sie ist Ausdruck eines tiefen menschlichen Bedürfnisses nach Nähe, Beziehung und Verantwortung – kein Zeichen gesellschaftlicher Dysfunktion.“ Es brauche keine Gegenüberstellung von Hund und Kind, sondern eine Politik, die beides ermöglicht: liebevolle Tierhaltung und tragfähige Strukturen für Elternschaft.

„Wir sollten uns fragen, warum so viele Menschen in einem Hund das finden, was sie sich von Familie oder Gesellschaft nicht (mehr) erwarten“, schreiben die Forscherinnen. Die Antwort auf diese Frage liege nicht im Verhalten der Menschen – sondern in den Rahmenbedingungen, die sie umgeben.

Quellen:

– Gillet, L. & Kubinyi, E. (2025). Neudefinition von Elternschaft und Familie – Die kindliche Rolle von Hunden in westlichen Gesellschaften. ELTE Eötvös Loránd Universität. Veröffentlicht bei Hogrefe: hogrefe.com
Statistisches Bundesamt Deutschland (2025)
OECD Social Indicators – Österreich (2024)
Social Change Switzerland (2023)
– [ZZF, Statistik Austria, VHN – Hundebestände D/A/CH]
Wüest Partner AG – Schweiz 2024

Gernot Körner




Einsamkeit junger Menschen – ein Warnsignal für Pädagogik und Demokratie

Neue Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt: Wer sich einsam fühlt, verliert Vertrauen in Gesellschaft und Mitgestaltung

Einsamkeit ist für viele junge Menschen in Deutschland Teil ihres Alltags. Doch was bedeutet das für ihre Haltung zur Demokratie, für ihr gesellschaftliches Engagement – und für ihr Vertrauen in die eigene Gestaltungsfähigkeit? Eine repräsentative Studie der Bertelsmann Stiftung hat 2.532 junge Menschen zwischen 16 und 30 Jahren befragt. Die Ergebnisse sind besorgniserregend – nicht nur für die Politik, sondern auch für pädagogische Fachkräfte, die junge Menschen in ihrer Entwicklung begleiten. Und weil diese Studie in der Öffentlichkeit nur wenig Beachtung findet, haben wir uns entschlossen, die wichtigsten Eckdaten zu publizieren, auch wenn die Zielgruppe nicht ganz unsere ist.

Fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) gab an, sich moderat oder stark einsam zu fühlen. Bei jenen, die unter starker Einsamkeit leiden, zeigt sich eine klare Tendenz: Sie sind unzufriedener mit demokratischen Strukturen, glauben seltener daran, etwas bewirken zu können, und fühlen sich deutlich weniger gehört. 60 Prozent der stark Einsamen glauben nicht, dass ihr Engagement etwas verändern kann. Bei jungen Menschen ohne Einsamkeitserfahrungen liegt dieser Anteil bei 42 Prozent.

Verlust von Vertrauen und politischer Wirksamkeit

Auch das Vertrauen in demokratische Institutionen ist bei den einsamen Befragten deutlich schwächer ausgeprägt. 63 Prozent von ihnen äußern Unzufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland. Zum Vergleich: Bei den nicht einsamen jungen Menschen liegt dieser Wert bei 41 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich auf lokaler Ebene: Über die Hälfte der stark Einsamen glaubt nicht daran, in ihrem direkten Umfeld – etwa in der Stadt oder Gemeinde – etwas verändern zu können.

Diese Daten werfen ein Schlaglicht auf die langfristigen Folgen von sozialer Isolation: Wer sich dauerhaft nicht zugehörig fühlt, zieht sich nicht nur sozial, sondern auch politisch zurück. In der Altersgruppe der 16- bis 30-Jährigen ist das besonders bedeutsam – denn sie befinden sich in einer entscheidenden Phase der Identitätsbildung und der Suche nach gesellschaftlicher Verortung.

Gefühl der Ausgrenzung trotz politischem Interesse

Die Studie zeigt deutlich, dass Einsamkeit nicht mit Desinteresse gleichzusetzen ist. Viele einsame junge Menschen interessieren sich sehr wohl für politische Themen – fühlen sich aber von politischen Entscheidungsträger:innen nicht repräsentiert. Rund die Hälfte der stark Einsamen gibt an, dass ihre Werte und Überzeugungen auf Bundesebene nicht vertreten werden. Zudem äußern 76 Prozent von ihnen das Gefühl, dass ihre Sorgen nicht ernst genommen werden – ein spürbarer Unterschied zu den 61 Prozent unter den nicht einsamen Befragten.

Für Fachkräfte in Schule und Pädagogik bedeutet das: Einsamkeit ist kein individuelles Randthema, sondern ein Indikator für gesellschaftliche Entfremdung. Sie kann jungen Menschen das Gefühl nehmen, Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein – auch in Bildungs- und Lernkontexten.

Gemeinschaft erleben – Zugehörigkeit stärken

Gleichzeitig machen die Studienergebnisse Hoffnung: Das Gefühl von Anerkennung und sozialer Einbindung wirkt wie ein Schutzfaktor – und kann junge Menschen motivieren, sich aktiv einzubringen. Wer sich gesehen und wertgeschätzt fühlt, ist eher bereit, Verantwortung zu übernehmen. Politisches oder soziales Engagement wird so zur Brücke aus der Isolation – wenn es auf echte Beteiligung trifft.

Gerade im Kontext von Schule, Jugendarbeit und außerschulischer Bildung sind diese Erkenntnisse relevant: Wo junge Menschen Räume der Begegnung und des Austauschs erleben, wo sie sich ernst genommen fühlen und ihre Stimmen zählen, wächst auch ihr Vertrauen in das Gemeinsame – in Schule, Gesellschaft und Demokratie.

Hier geht es zum Einsamkeitsbarometer