DAK-Studie: In der Pandemie hat sich die Mediensucht verdoppelt

Über 600.000 Jungen und Mädchen zeigen ein pathologisches Nutzungsverhalten

In der Pandemie hat sich laut einer Studie der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) zufolge die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen verdoppelt. Inzwischen wären demnach mehr als sechs Prozent der Minderjährigen abhängig von Computerspielen und sozialen Medien. Damit würden über 600.000 Jungen und Mädchen ein pathologisches Nutzungsverhalten zeigen. Auch die Medien-Nutzungszeiten sind seit 2019 um ein Drittel gestiegen.

Das zeigt eine aktuelle gemeinsame Längsschnittstudie der DAK-Gesundheit und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Der Vergleich der digitalen Mediennutzung von Kindern, Jugendlichen und deren Eltern in bundesweit 1.200 Familien an fünf Messzeitpunkten der vergangenen vier Jahre gilt als weltweit einzigartig. Erstmals wurde jetzt auch das Suchtpotential beim Streaming und körperliche Probleme untersucht. DAK-Vorstandschef Andreas Storm und Mediziner sehen eine alarmierende Entwicklung und fordern mehr Prävention und Hilfsangebote für die Betroffenen.

Nach der aktuellen Studie von DAK-Gesundheit und UKE Hamburg stieg die Zahl abhängiger Kinder und Jugendlicher bei Computerspielen von 2,7 Prozent im Jahr 2019 auf 6,3 Prozent im Juni 2022. Hochgerechnet haben damit rund 330.000 Jungen und Mädchen nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine krankhafte Gaming-Nutzung mit schweren sozialen Folgen. Die aktuellen Ergebnisse Längsschnittstudie zeigen: Rund 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche nutzen Gaming, Social Media oder Streaming problematisch, das heißt sie sind von einer Sucht gefährdet oder bereits betroffen. Im Bereich Social Media verdoppelte sich die Mediensucht von 3,2 auf 6,7 Prozent mit rund 350.000 Betroffenen. Laut Studie zeigen rund 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche eine problematische Nutzung bei Computerspielen und oder sozialen Medien.

DAK-Chef Storm: Die Zukunft vieler junger Menschen ist bedroht

„Die aktuellen Zahlen und die Entwicklung in der Pandemie sind alarmierend“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Wenn jetzt nicht schnell gehandelt wird, rutschen immer Kinder und Jugendliche in die Mediensucht und der negative Trend kann nicht mehr gestoppt werden. So würden Familien zerstört und die Zukunft vieler junger Menschen bedroht.“ Als Reaktion müssten Prävention und Hilfsangebote ausgebaut werden und neue Akzente in der Bildungs- und Familienpolitik gesetzt werden. „Es ist eine neue Entwicklungsaufgabe von Politik und Gesellschaft, dass Kinder und Jugendliche lernen, die Risiken der Nutzung digitaler Medien einschätzen zu können und ihr Nutzungsverhalten zu reflektieren, damit sie die Möglichkeiten der digitalen Welt langfristig für ihr privates und berufliches Leben konstruktiv nutzen können.“ Ein richtiger Ansatz sei der Einsatz von Mental Health Coaches in Schulen, wie er von Bundesfamilienministerin Lisa Paus geplant sei.

Nutzungszeiten über Vor-Pandemie-Niveau

Laut Studie von DAK-Gesundheit und UKE-Hamburg sind Nutzungszeiten von Computerspielen und Social Media weiter angestiegen. Nach einer starken Zunahme im ersten Corona-Lockdown im April 2020 gab es zunächst einen Rückgang. Diese positive Entwicklung setzte sich jedoch nicht fort: Im Juni 2022 lagen die Nutzungszeiten beim Gaming mit 115 Minuten an Werktagen knapp 34 Prozent höher als im September 2019 vor der Pandemie. Einen ebenso deutlichen Anstieg gab es im gleichen Zeitraum bei den sozialen Medien mit 35,5 Prozent von 121 Minuten auf 164 Minuten täglich.

Körperliche Beschwerden durch exzessive Mediennutzung

Erstmals untersuchte die Studie auch die körperlichen Auswirkungen exzessiver Mediennutzung. Das Ergebnis: Ein Drittel der Befragten klagt nach mehrstündiger Nutzung von digitalen Geräten über Nackenschmerzen (32,1 Prozent). 23,4 Prozent haben trockene oder juckende Augen, 16,9 Prozent gaben an, Schmerzen im Unterarm oder der Hand zu haben.

Rückgang bei Streamingzeiten

Seit November 2020 untersucht die Studie auch das Streamingverhalten von Kindern und Jugendlichen. Hier zeigte sich einen Rückgang im Vergleich zum vorherigen Messzeitpunkt: Im Juni 2022 streamten die Befragten an einem durchschnittlichen Werktag 107 Minuten Videos und Serien. Die Zahlen liegen damit auf einem ähnlichen Niveau wie 2020 (104 Minuten) und deutlich niedriger als 2021 (170 Minuten). Insgesamt nutzten rund 733.000 Kinder und Jugendliche Streaming riskant, 2,4 Prozent zeigen ein pathologisches Nutzungsverhalten. Das entspricht rund 126.000 Betroffenen.

Große Schnittmengen bei problematischer Nutzung

Das Ausmaß der Gesamtproblematik wird insbesondere bei der Betrachtung der Schnittmengen deutlich: 5,1 Prozent aller Befragten zeigen eine problematische Nutzung von Gaming und Social Media, was rund 270.000 Betroffenen entspricht. 1,1 Prozent nutzt darüber hinaus auch Streaming-Angebote problematisch – 58.000 Kinder und Jugendliche wären damit von diesem riskanten Dreiklang betroffen.

Prof. Thomasius: Mediennutzung gegen Einsamkeit und Stress

„Die Ergebnisse unserer Studie machen erneut deutlich, dass die andauernde Covid-19-Pandemie unseren Umgang mit digitalen Medien nachhaltig verändert hat und dass insbesondere Kinder und Jugendliche unter den Einschränkungen litten“, sagt Prof. Dr. Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) im UKE. „Trotz zunehmender Lockerungen der Corona-Verordnungen bleiben digitale Medien weiterhin ein wichtiger Bestandteil in der Aufrechterhaltung von Kontakten, der Bekämpfung von Langeweile oder der Beschaffung von Informationen. Sie können bei manchen aber auch dazu dienen, Gefühle von Einsamkeit, sozialer Isolation und Kontrollverlust, aber auch Stress und andere negative Gefühle zu kompensieren. Diese Nutzerinnen und Nutzer sind besonders gefährdet, eine Sucht zu entwickeln.“ Nach Einschätzung des Suchtexperten Thomasius führt eine exzessive Mediennutzung oft zu Kontrollverlust mit weitreichenden Folgen. „Da persönliche, familiäre und schulische Ziele in den Hintergrund treten, werden alterstypische Entwicklungsaufgaben nicht angemessen gelöst“, erklärt er. „Ein Stillstand in der psychosozialen Reifung ist die Folge. Die Ergebnisse unserer Studie machen einmal mehr deutlich, wie wichtig Präventions- und Therapieangebote für Kinder und Eltern sind.“

Jungen häufiger von Sucht betroffen

Insgesamt sind Jungen häufiger suchtgefährdet oder bereits von einer Sucht betroffen als Mädchen – insbesondere beim Gaming. So zeigen 18,1 Prozent der Kinder und Jugendlichen eine problematische Nutzung digitaler Spiele. Davon sind 68,4 Prozent Jungen. Bei den sozialen Medien, die 23,1 Prozent aller Befragten problematisch nutzen, ist die Verteilung mit 52,1 Prozent (Jungen) bzw. 47,9 Prozent (Mädchen) hingegen etwas ausgewogener. Im Hinblick auf die Altersstruktur zeigt sich, dass besonders ältere Jugendliche deutlich häufiger eine Abhängigkeit von digitalen Medien zeigen.

„Auch nach der Corona-Pandemie ist eine riskante Mediennutzung bei vielen Kindern und Jugendlichen Alltag“, sagt Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ). „Jetzt ist es wichtiger denn je, die Prävention zu stärken, allen voran im schulischen Bereich. Ebenso wichtig ist aber auch die Früherkennung von Mediensucht, beispielsweise durch ein Mediensuchtscreening in der Kinder- und Jugendarztpraxis.“

Weltweit einzigartige Untersuchung

Die repräsentative DAK-Längsschnittstudie zur Mediennutzung im Verlauf der Corona-Pandemie untersucht die Häufigkeiten pathologischer und riskanter Nutzung von Spielen, sozialen Medien und Streamingdiensten bei Kindern und Jugendlichen basierend auf den neuen ICD-11-Kriterien der WHO. Bundesweit wurden rund 1.200 Familien nach ihrem Medienverhalten befragt. Die DAK-Gesundheit führt dazu gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf in mehreren Wellen Befragungen durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa durch. Dafür wird eine repräsentative Gruppe von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zehn und 17 Jahren mit je einem Elternteil zu ihrem Umgang mit digitalen Medien an bisher fünf Messzeitpunkten befragt. Nach den Befragungen im September 2019, im April 2020, im November 2020 und im Mai 2021 spiegeln die aktuellen Erkenntnisse die Ergebnisse der jüngsten Befragung im Juni 2022 wider. Die Studie, die Zusammenhänge zwischen Nutzungsmustern, Nutzungsmotiven und familiären Nutzungsregeln über den Verlauf der Pandemie hinweg untersucht, ist weltweit einmalig.

Hotline und Online-Anlaufstelle

Für Kinder und Jugendliche, die ein problematisches Mediennutzungsverhalten haben, sowie für deren Eltern hat die DAK-Gesundheit gemeinsam mit dem DZSKJ eine Online-Anlaufstelle Mediensucht entwickelt: Auf www.mediensuchthilfe.info erhalten Betroffene und deren Angehörige Informationen und Hilfestellungen rund um die Themen Gaming-, Social-Media- und Streaming-Sucht. Am Mittwoch, den 29. März, stellt das DZSKJ darüber hinaus eine Hotline für betroffene Kinder und Jugendliche sowie deren Angehörige bereit. Unter der Telefonnummer 0800 2 800 200 geben Suchtexpertinnen und -experten des UKE von 9 bis 16 Uhr Antworten auf Fragen rund um das Thema Mediensucht. Das Serviceangebot ist kostenlos und steht Versicherten aller Kassen offen.

Quelle: Pressemitteilung, DAK




Sogenannter „Bildungsgipfel“ wird der Herausforderung nicht gerecht

Breiter Appell zahlreicher Organisationen an Bundeskanzler und Länderchef:innen

Die Lösung der massiven Probleme im deutschen Bildungssystem duldet keinen weiteren Aufschub. Aus dieser Überzeugung heraus richtet ein breiter Kreis aus Stiftungen, Verbänden und Gewerkschaften einen gemeinsamen Appell an alle Verantwortlichen in der Politik. Anlass ist der heutige Bildungsgipfel am Rand der Bildungsforschungstagung des Bundesbildungsministeriums, der mit Blick auf Format, Vorbereitung, Agenda und Teilnehmende der Dimension der Herausforderung nach Ansicht der Unterstützer:innen des Appells nicht gerecht wird. „Es ist höchste Zeit, dass Bundeskanzler Olaf Scholz und die Regierungschef:innen der Bundesländer einen echten Nationalen Bildungsgipfel einberufen. Dieser Gipfel sollte alle relevanten Akteur:innen in der Bildung an einen Tisch bringen und den Auftakt zu einem grundlegenden, gesamtgesellschaftlichen Reformprozess markieren, um einen Neustart in der Bildung einzuleiten“, appellieren die Unterstützer:innen.

Alarmsignale sind längst erkennbar

Die Alarmsignale sind längst unverkennbar und zeigen sich bereits in der frühen Bildungsphase: Bundesweit fehlen Hunderttausende Kita-Plätze, zudem können viele Kitas aufgrund einer nicht kindgerechten Personalausstattung ihren Bildungsauftrag nicht mehr erfüllen. An den Grundschulen wiederum gehen die Leistungen seit Jahren zurück, vor allem in den Basiskompetenzen Lesen, Schreiben, Zuhören und Rechnen. Auch an den weiterführenden Schulen sinkt das Leistungsniveau auf allen Ebenen dramatisch. Der Anteil der Jugendlichen ohne Schulabschluss bleibt hoch. Zugleich wächst die Zahl junger Menschen, die im Berufsleben den Anschluss verlieren: Mehr als eine halbe Million junge Erwachsene zwischen 20 und 34 Jahren gehen weder einer Arbeit noch einer schulischen oder beruflichen Ausbildung nach. Neben individuellen Risiken erwachsen daraus auch soziale und wirtschaftliche Belastungen für die Gesellschaft. Ein Kernproblem deutscher Bildungspolitik bleibt über alle Bildungsstufen hinweg ungelöst: Bildungserfolge hängen hierzulande noch immer zu stark von der sozialen Herkunft ab. Auf diese Weise werden die Chancen und Rechte von Kindern und Jugendlichen beschnitten und Begabungen vergeudet.

Strukturelle Probleme angehen: Fachkräftemangel, Finanzierung, Steuerung

Obwohl sich alle Beteiligten viel Mühe geben: Dem Bildungssystem gelingt es immer weniger, die Fehlentwicklungen zu korrigieren. Das liegt zum einen am massiven Mangel an Lehrer:innen und pädagogischen Fachkräften, der sich in den kommenden Jahren noch zu verschärfen droht. Darunter leiden nicht nur die Verfügbarkeit und Qualität der Bildungsangebote an Schulen und Kitas, sondern auch das vorhandene Personal. Die steigende Arbeitsbelastung, insbesondere durch nicht-pädagogische Aufgaben, mindert die Attraktivität der Berufsbilder und schreckt künftige Nachwuchskräfte ab. Die Engpässe haben auch Folgen für die Wirtschaft: Fehlende Plätze in Kitas und der Ganztagsförderung von Grundschüler:innen erschweren die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, während häufiger Unterrichtsausfall die Vermittlung grundlegender Kompetenzen für die Fachkräfte von morgen behindert.

Ein weiteres Problem stellt die Finanzierung des Bildungssystems dar. Sie ist häufig weder auskömmlich noch sozial gerecht. Gerade im Bereich der außerschulischen Angebote ist das Geld zu knapp und nicht langfristig zugesichert. Zudem werden Gelder noch immer zu oft nach dem Gießkannenprinzip verteilt, anstatt sie gezielt dort einzusetzen, wo sie am meisten bewirken können.

Schließlich behindert die Struktur des Bildungssystems selbst Anpassungen und Reformen. Die unsystematische Verflechtung der politischen Ebenen erfordert komplexe Abstimmungen, sowohl zwischen Bund, Ländern, Kommunen und den jeweils beteiligten Ressorts, als auch mit den Trägern. Wohin das führt, zeigen zum Beispiel die zähe Umsetzung des Digitalpakts, der schleppende Ausbau des Ganztagsangebots für Grundschulkinder, die stagnierende Inklusion oder das Fehlen bundesweiter Qualitätsstandards in vielen Bereichen. Gefragt ist eine neue Kultur der Bildungszusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen, wie sie der Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt hat.

Es braucht eine Initialzündung auf den höchsten politischen Ebenen

Allerdings lässt es die Dringlichkeit der Probleme nicht zu, auf eine Neuordnung der kommunalen und föderalen Zuständigkeiten zu warten. Die Missstände im Bildungswesen reichen weit über Kitas und Schulen hinaus. Sie gefährden sowohl die Chancen und Rechte jedes einzelnen jungen Menschen als auch die Zukunft unserer Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie. Bildung soll den jungen Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung helfen und Orientierung bieten. Sie soll es ihnen ermöglichen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, an der Gesellschaft teilzuhaben und diese mitzugestalten. Sie soll ihnen die Kompetenzen vermitteln, um in der immer komplexeren Arbeitswelt ihren Platz zu finden. Bildung ist die Grundlage für wirtschaftlichen Wohlstand, Innovationskraft und die Zukunftsfähigkeit unserer demokratischen Gesellschaft. Daher ist es erforderlich, jetzt die Weichen für ein leistungsfähigeres, begabungs- und chancengerechteres Bildungssystem zu stellen.

Um den dringend benötigten Reformprozess herbeizuführen, braucht es eine Initialzündung auf den höchsten politischen Ebenen. Ein Nationaler Bildungsgipfel wäre das starke Signal, die Bildung endlich zur gemeinsamen Chef:innensache zu erklären. Der Bundeskanzler und die Regierungschef:innen der Länder haben das nötige Gewicht, um gemeinsam mit den Bildungs-, Wissenschafts- und Jugendminister:innen von Bund und Ländern, Vertreter:innen aus der Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik, aus Wirtschaft, Wissenschaft, Bildungspraxis, Zivilgesellschaft sowie von Eltern und Schüler:innen zusammenzubringen. Der Nationale Bildungsgipfel sollte den Auftakt zu einem kontinuierlichen Dialog- und Reformprozess mit gemeinsamen Arbeitsstrukturen markieren. Dabei müssen sich alle relevanten Akteur:innen auf gemeinsame Ziele sowie geeignete Maßnahmen verbindlich einigen und darauf hinwirken, diese in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung pragmatisch, lösungsorientiert und entschlossen umzusetzen. Denn nur mit vereinten Kräften kann der Neustart in der Bildung als elementare Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands gelingen.

Den Appell unterstützen:

Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., Allgemeiner Schulleitungsverband Deutschlands (ASD) , Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF) e.V., Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, Bertelsmann Stiftung, BöfAE e.V. (Bundesarbeitsgemeinschaft öffentlicher und freier Ausbildungsstätten für Erzieherinnen und Erzieher), Bund der Freien Waldorfschulen e.V., Bundeselternnetzwerk der Migrantenorganisationen für Bildung & Teilhabe (bbt), Bundeselternrat, Bundesverband der Kita- und Schulfördervereine e.V. , Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung e.V. (BvLB), Der Kinderschutzbund Bundesverband e.V., Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, Deutsche Liga für das Kind e.V., Deutsche Telekom Stiftung, Deutscher Caritasverband, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Deutscher Lehrerverband, Deutsches Kinderhilfswerk e.V., Deutsches Komitee für UNICEF e.V. , Diakonie Deutschland, Dieter Schwarz Stiftung, Dieter von Holtzbrinck Stiftung GmbH, Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule – Verband für Schulen des gemeinsamen Lernens e.V. (GGG), Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Grundschulverband e.V., Heraeus Bildungsstiftung, Karg-Stiftung, Kita-Fachkräfte-Verband Hessen e.V., Kita-Fachkräfteverband Niedersachsen-Bremen e.V., komba gewerkschaft, Körber-Stiftung, Landesverband Sozialpädagogischer Fachkräfte Berlin e.V., National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention e.V., Reinhard Mohn Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Schöpflin Stiftung, SOS-Kinderdorf e.V. , Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V., Stiftung Bildung, Stiftung Haus der kleinen Forscher, Unternehmerstiftung für Chancengerechtigkeit , Verband Deutscher Privatschulverbände e.V. – Bildungseinrichtungen in freier Trägerschaft, Verband für Kitafachkräfte NRW e.V., Verband Kita-Fachkräfte Baden-Württemberg, Verband Kita-Fachkräfte Bayern e.V., Verband KiTa-Fachkräfte Rheinland-Pfalz, Verband Kitafachkräfte Saar, Verband Sonderpädagogik e.V., Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft – ver.di , Vodafone Stiftung Deutschland, Wübben Stiftung, ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.




Verhaltensweisen sind Spiegelbilder der Seele!

Zweck und Bedeutungswert von Verhaltensirritationen

Wie aus heiterem Himmel fangen Kinder häufig an zu schreien, ohne dass es aus Sicht der Erwachsenen dafür einen triftigen Grund gibt, ein solches Verhalten an den Tag zu legen. Oder sie weigern sich vehement, bei Gemeinschaftsaufgaben mitzuhelfen. Sie lassen sich ungewöhnlich lange Zeit, um bestimmte Vorhaben zügig durchzuführen, schubsen andere Kinder, ohne dass diese sie absichtlich provoziert hätten, schweigen beharrlich bei Fragen, die an sie gerichtet werden oder reden ohne Pause und Rücksicht auf andere ein, haben entweder tagsüber kaum Appetit oder können auf der anderen Seiten pausenlos essen. Sie eignen sich heimlich Besitztümer von anderen Kindern an, die ihnen nicht gehören oder nässen regelmäßig ein, obgleich eine medizinische Untersuchung keinen organischen Befund festgestellt hat. Eine weitere Aufzählung von Verhaltensirritationen könnte an dieser Stelle endlos angeführt werden.

Vieles, was Kinder tun, bleibt für Erwachsene ein Rätsel

So zeigen Kinder immer wieder Ausdrucksformen, die den elementarpädagogischen Fachkräften und auch den Eltern ein Rätsel sind. Es kommen Fragen auf, warum ein Kind sich in dieser Form verhält, warum es ihm offensichtlich nicht gelingt, ein „angemessenes Verhalten“ zu zeigen und wie „man“ dieses Verhalten „beim Kind“ verändern könnte. „Vernünftige Gespräche“ mit dem Kind bleiben oftmals erfolglos und enden damit, dass Widerstände aufseiten des Kindes noch größer werden bzw. nachhaltige Veränderungen nicht feststellbar sind.

Eindrücke und Gefühle prägen das Verhalten eines Kindes

Das gesamte Leben eines Menschen ist geprägt durch besonders bedeutsame Alltagserfahrungen, Erlebnisse, Eindrücke und Geschehnisse, die ihre entsprechenden Spuren und Auswirkungen auf die Persönlichkeitsbildung und die jeweils individuellen Verhaltensweisen des Kindes hinterlassen. Menschliches Verhalten ist damit nie ein „Zufallsprodukt“ oder „konstant genetisch festgelegt“. Vielmehr sind es immer wieder bedeutsame Ereignisse, die sich als Erlebnisbilder im Gehirn des Menschen abspeichern und in der Folge in entsprechenden Ausdrucksformen zeigen, wenn aktuelle Situationen diese in der Vergangenheit gespeicherten Bilder wieder hervorrufen. Zudem sind mit den Erlebnissen immer auch bestimmte Gefühle (Trauer, Angst, Ärger/Wut, Freude) verbunden, die sich in einer Bild-Emotionsvernetzung wie eine Straße im Gehirn anlegen und in ähnlichen, vergleichbaren Erlebnissituationen einen Aktualisierungswert provozieren. Die Gegenwart entpuppt sich als ein Wiederholungserlebnis aus der Vergangenheit.

Gefühle und Gefühlsausdrucksformen sind ein fest zu uns gehörender und lebensnotwendiger Teil der menschlichen Existenz! Sie zeigen anderen Menschen, wer und wie wir sind, wie es uns geht, was wir von uns selbst und anderen Menschen halten und wie wir zu uns und ihnen in welchem emotional-sozialen Bezug stehen.


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Das Leben hält entwicklungsförderliche und -hinderliche Einrücke bereit

Es können besonders angenehme Eindrücke sein, die dem Kind immer wieder das Gefühl vermittelt haben, sich als ein gerngesehener Gast in dieser Welt zu fühlen. Solche Eindrücke wirken sich besonders entwicklungsförderlich auf das weitere seelische Wachstum von Kindern aus. Gleichzeitig sind diese förderlichen Eindrücke die Grundlage für den Aufbau von Lebensfreude und Zufriedenheit, Entspannung und Belastbarkeit, Empathie, Sozialverhalten und Lernbereitschaft.

Natürlich können es aber auch unangenehme Erlebnisse gewesen sein, die sich entwicklungshinderlich auf ein Kind ausgewirkt haben. Solche negativen Erfahrungen und Geschehnisse offenbaren sich dann beispielsweise in Entwicklungsverzögerungen, Entwicklungsrückschritten oder in den kindlichen Irritationen (=Verhaltensauffälligkeiten) – von Angstempfindungen, Zurückhaltung, gesteigerter Aggressivität/Gewalt bis hin zu zwanghaften Verhaltensweisen oder psychosomatischen Ausdrucksformen.

Nun kommt es im Leben der Kinder darauf an, ob sie eine überwiegend entwicklungshinderliche Pädagogik oder eine überwiegend entwicklungsförderliche Entwicklungsbegleitung in ihrem Alltag erfahren haben. Typische Beispiele für entwicklungshinderliche Einflüsse entstehen häufig aus folgenden Erlebnissen/Erfahrungen und tragen schnell zur Entstehung von Verhaltensirritationen bei:

  • Trennungserlebnisse – zum Beispiel wenn Kinder sich häufig einsam oder alleine/ im Stich gelassen fühlen und zudem viele ihrer seelischen Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden. Das geschieht beispielsweise, wenn Kinder zu früh „vernünfteln“ müssen, sie regelmäßig in ihrem Erfahrungs-, Spiel- und Bewegungsbedürfnis eingeengt werden oder sie das Gefühl haben, nicht mehr KIND sein zu dürfen;
  • Beziehungsnöte – etwa, wenn Erwachsene Kinder mit einer belastenden Schuld belegen oder Kinder nur dann Beachtung und Liebe finden, wenn sie sich so verhalten wie es die Erwachsenen erwarten oder möglichst früh „perfekt“ sind. Hier wächst ein Kind in einer „Liebe unter Bedingungen“ auf. Ähnliches erlebt ein Kind, wenn es Hilfe/ Unterstützung braucht und diese nicht erhält, weil Erwachsene anderen (egozentrischen) Lebensschwerpunkten einen Bedeutungswert beimessen und sich Kinder als überflüssig/beiseitegeschoben fühlen.
  • Bedrohungsängste – zum Beispiel wenn Kinder sich in Beziehungen ausgeschlossen oder ausgegrenzt fühlen bzw. Gewalt in ihren unterschiedlichsten Formen erfahren müssen; wenn Kinder unter großer Angst stehen, für klein(st)e Missgeschicke oder Verfehlungen bestraft zu werden; wenn Kinder spüren, dass Erwachsene unterdrückte oder offene Aggressionen gegen sie hegen oder keine Sicherheit bietende, warmherzige Kommunikation in der Beziehung zu ihnen besteht;
  • Auslieferungserlebnisse – zum Beispiel wenn Kinder sich in bestimmten Situationen völlig wehrlos erleben, unter einer fehlenden Solidarität aufwachsen/ leiden müssen; wenn Kinder mit Tatsachen/ Anforderungen konfrontiert werden, auf die sie keinen Einfluss haben dürfen; wenn Kinder in Auseinandersetzungen, die Erwachsene untereinander haben, einbezogen werden oder in denen sie sich  hin- und hergerissen fühlen müssen;
  • Ohnmachtserlebnisse – zum Beispiel wenn Kinder immer wieder ihre Wirkungslosigkeit erfahren, trotz ihrer Vorschläge oder Beteiligungswünsche; Situationen, in denen sie beherrscht, gegängelt werden oder schutzlos ausgesetzt sind.  

Eindrücke suchen ständig Ausdrucksmöglichkeiten

Betrachtet man einmal die unterschiedlichen Ausdrucksformen, die Kindern zur Verfügung stehen, so sind es stets sechs Ausdrucksmöglichkeiten, durch die Kinder ihr Seelenleben preisgeben: 1.) in ihren Spielformen und in ihrem vorzugsweise gewählten Spielverhalten; 2.) in ihrer Sprache, ihrem Sprechverhalten und ihren Erzählthemen; 3.) in ihren besonderen, alltäglichen Verhaltensweisen; 4.) in ihrem Malen und Zeichnen; 5.) in ihren Bewegungsaktivitäten und in ihrer Körpersprache; 6.) in ihren Tag- und Nachtträumen. 

Dabei besitzen diese jeweils zwei Funktionen. Die erste Funktion liegt im „Aus-druck“ von Gefühlen (ursprüngliche Bedeutung: aus dem Druck kommen). Das heißt, dass unterschiedliche Lebensereignisse Kinder immerzu in Anspannung, Aufregung oder Unruhe versetzen. Diese können angenehmer (=spannungsentlastender) oder auch unangenehmer (belastender) Art sein. Auf jeden Fall erzeugen bedeutsame, prägende „Ein-Drücke“ stets eine Drucksituation auf Kinder:

  • wenn beispielsweise ein Vorhaben, eine Absicht nicht geklappt hat bzw. umgesetzt werden konnte, wird aus einer Vorfreue Ärger oder Traurigkeit;
  • wenn Erwachsene ihre Zusagen nicht eingehalten haben, entsteht aus hoffnungsvoller Freude ebenfalls Traurigkeit oder Wut;
  • wenn sich in Kindern Langeweile breit macht und sie keine Idee haben, was sie aktiv unternehmen könnten, bündelt sich häufig recht schnell Ärger über die eigene Initiativlosigkeit oder Antriebsschwäche;
  • wenn im Kindergarten eine richtig spannende Aktion läuft, die Kinderherzen höher schlagen lässt, dann fällt es Kindern schwer, sich zum Tagesende aus ihrer Gruppe zu verabschieden, um erst am nächsten Morgen weitermachen zu können;
  • wenn Kinder ihrer Erzieherin/ ihrem Erzieher etwas Bedeutsames erzählen wollen, diese(r) im Augenblick aber keine Zeit hat, in Ruhe zuzuhören, dann wird schnell aus der Vorfreude und der jetzigen Enttäuschung heftige Wut;

Diese und alle Ausdrucksweisen der Kinder haben zugleich einen „Appell- und Erzählwert“, der sich an ihre Umgebung richtet, getreu dem Motto: „Schaut her, wie es mir geht.“ So tanzt ein Kind vor Freude, zieht sich bei Enttäuschungen zurück, weint heftig bei Misserfolgen oder Versagenserlebnissen, kaut an Nägeln bei starken inneren Spannungen, setzt sich bei einem geringen Selbstwertgefühl immer wieder in den Mittelpunkt oder hält sich aus allen Situationen, in denen es den Eindruck hat versagen zu können, zurück, zeigt bei Unter- oder Überforderungssituationen Clownerien, berichtet von Angstträumen, wenn es erlebte Situationen nicht verarbeiten konnte, schlägt auf andere Kinder ein, wenn es selbst voller Spannungen steckt (getreu dem Motto: „geteiltes Leid ist halbes Leid“), klagt über Magenschmerzen, weil es sich von bestimmten Ereignissen überfordert fühlt, möchte immer wieder der Bestimmer in Spielsituationen sein, weil es sich ansonsten in Ohnmachtssituationen befindet, erzählt wie ein Wasserfall, weil es in seiner Vergangenheit des Öfteren erlebt hat überhört worden zu sein oder macht anderen Kindern alles nach, weil es selbst keine eigene Identität besitzt.

Verhaltensirritationen entstehen überwiegend aus Beziehungsstörungen und unbefriedigten Grundbedürfnissen

Bei einer näheren Betrachtung nahezu aller Verhaltensirritationen von Kindern stoßen wir immer wieder auf zwei Phänomene: einerseits muss davon ausgegangen werden, dass sich auffällige Verhaltensweisen stets aus gestörten Beziehungen heraus entwickeln, andererseits sozial-emotional geprägte, seelische Grundbedürfnisse beim Kind ungesättigt geblieben sind, verbunden mit der Folge, dass es Kindern weder in der Gegenwart noch für die Zukunft gelingen könnte, lebensbedeutsame Fähigkeiten auf- und auszubauen.

Das Drama besteht nun über die aktuell erlebte Situation hinaus darin, dass auch in zukünftigen Situationen die unbefriedigten Grundbedürfnisse des Kindes immer wieder aktualisiert werden würden (verbunden mit der Angst, zu kurz zu kommen, keinen Einfluss zu haben, wieder einmal zu versagen …), so dass ein Kind in dem aktuellen Ereignis (unterbewusst) an seine vergangenen Erfahrungen erinnert wird und diese immer wieder neu „erlebt“, mit all’ den aufgestauten Gefühlen vergangener Situationserlebnisse. So etwas kennen viele Fachkräfte sicherlich, wenn aus einem anscheinend nichtigen, völlig geringfügigem Anlass Kinder plötzlich – auf den ersten Blick – unangemessen reagieren. Vergleichbar wäre dies mit einem Vulkan, in dem sich in der (un)mittelbaren Vergangenheit jede Menge Magma unter der Bergkuppe angestaut hat und nun völlig überraschend zum Ausbruch kommt.

Das Maß, wie stark oder schwach die seelischen Grundbedürfnisse des jeweiligen Menschen in seiner frühen Kindheit befriedigt (gesättigt) wurden, lässt schon im Kind so genannte Grundsätze des Lebens / Lebensphilosophien / Haltungen/ grundsätzliche Sichtweisen entstehen. Diese werden in der analytischen Psychologie als „Lebenspläne“ bezeichnet. Sie sind der jeweils „rote Faden“ im Leben eines Menschen und bilden die Grundlage für seine Gefühls-, Denk- und Handlungsstrukturen. Der Lebensplan entwickelt sich aus der jeweils ganz persönlichen Bewertung aller zurückliegenden, bedeutungsvollen Lebenserfahrungen und sucht stets nach seiner Erfüllung. Somit bedingt der in dem Menschen liegende Lebensplan sein individuelles Verhaltensmuster. Beispiele:

Einsamkeit führt zur Suche nach Geborgenheitserlebnissen (Kinder „kleben“ regelrecht am Erwachsenen), Spannung führt zur Suche nach Entspannungsmöglichkeiten (Kinder sind ständig „auf Achse“, immer in Bewegung, können nicht ruhig sitzen oder sich konzentrieren), Nichtbeachtung führt zum vehementen Wünsch, Beachtung zu finden (so wollen bestimmte Kinder immer im Mittelpunkt stehen), Überforderungen führen zur Suche nach Ruhesituationen (Kinder ziehen sich zurück, wollen lieber alleine als mit anderen spielen oder zeigen wenig Interesse an Gruppenaktivitäten, wollen den Gruppenraum oder die Einrichtung verlassen), Minderwertigkeitsgefühle führen zur Suche nach Stolz und Anerkennungswünschen (Kinder wollen immer wieder gelobt werden), Langeweile führt zur Suche nach Herausforderungen (Kinder begeben sich auf Grenzüberschreitungen)…

Annahme, verstehen, Selbstveränderung: der Königsweg für Veränderungen

Um Kinder zu verstehen, bedarf es daher einerseits einer Annahme des Kindes, indem wir ihm ein Beziehungsangebot machen, damit es sich vom Erwachsenen nicht erneut isoliert, ausgegrenzt, bevormundet, gedemütigt, verlassen, ins Abseits gedrängt fühlt, andererseits geht es um eine fachlich verstehende, deutende Entschlüsselung der gezeigten Ausdrucksweise, um „das Kind da abzuholen, wo es steht“ … und nicht dort hinzuziehen, wo wir es gerne haben würden. Und schließlich ist es notwendig, dass Erwachsene einen radikalen Perspektivwechsel vorzunehmen haben: es geht nicht darum, das Kind zu verändern, sondern vielmehr hat der Erwachsene dafür zu sorgen, dass Kinder sich verändern können. Erwachsene müssen dem einzelnen Kind dabei helfen, das Können zu können, weil Verhaltensirritationen eine wichtige, wegweisende Funktion haben: sie offenbaren sich als Spiegelbild einer entwicklungshinderlichen Umgebung, die dem Kind keine andere Möglichkeit lässt, als verhaltensirritiert zu reagieren. Verhaltensirritationen sind also stets situationsangemessene Reaktionen des Kindes, auch wenn sie in der Situation selbst untaugliche Problemlösungsversuche darstellen.

Literaturliste: Ausdrucksformen und Erzählwerte sehen und verstehen

Doherty-Sneddon, Gwyneth: Was will das Kind mir sagen? Die Körpersprache des Kindes verstehen lernen. Verlag Hans Huber, Bern 2005
Finger, Gertraud & Simon-Wundt, Traudel: Was auffällige Kinder uns sagen wollen. Verhaltensstörungen neu deuten. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 6. Druckauflage 2019
Jung, Carl Gustav: Der Mensch und seine Symbole. WalterVerlag, Olten (Schweiz), 15. Aufl. 1999
Krenz, Armin: Was Kinderzeichnungen erzählen. Kinder in ihrer Bildsprache verstehen. Verlag modernes lernen, Dortmund, 4. Aufl. 2018
Krenz, Armin: Kinderseelen verstehen. Verhaltensauffälligkeiten und ihre Hintergründe. Kösel-Verlag, München, 6. Aufl. 2019
Martell, Jaques: Mein Körper –Barometer der Seele. VAK Verlag, Kirchzarten, 13. Aufl. 2016
Morschitzky, Hans + Sator, Sigrid: Wenn die Seele durch den Körper spricht. Psychosomatische Störungen verstehen und heilen. Patmos Verlag, Düsseldorf, 10. Auf. 2015
Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen. Born to be wild: Wie die Evolution unsere Kinder prägt. KöselVerlag, 9. Aufl. 2015
Römer, Felicitas: Meine liebe Nervensäge: Warum störende Kinder nicht gestört sind und wie wir ihnen helfen können. Beltz Verlag, Weinheim 2012
Schmid König, Nelia: Damit den Kindern kein Flügel bricht. Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern. Kösel-Verlag, München 5. Aufl. 2012

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz, Honorarprofessor i.R.,
Wissenschaftsdozent für Elementarpädagogik und Entwicklungspsychologie




Kinder aus benachteiligten Familien bekommen seltener KiTa-Platz

Zu diesem Schluss kommt das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in einer aktuellen Studie

Ob Kinder einen Betreuungsplatz in einer KiTa bekommen oder nicht, hängt stark von den sozioökonomischen Verhältnissen ihrer Eltern ab. Daran hat sich auch zehn Jahre nach Einführung des Rechtsanspruchs auf einen KiTa-Platz nach dem vollendeten ersten Lebensjahr wenig geändert.

Zu diesem Schluss kommt das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in einer aktuellen Studie, die Daten zur KiTa-Nutzung von rund 96.000 Jungen und Mädchen untersucht hat. Demnach haben Kinder aus bildungsferneren Familien, aus armutsgefährdeten Verhältnissen oder aus Haushalten, in denen kein Deutsch gesprochen wird, deutlich geringere Chancen auf einen Betreuungsplatz – trotz vielfach geäußerter Betreuungsbedarfe. Anlässlich des Bildungsgipfels der Bundesregierung am 14. und 15. März empfehlen die Forscherinnen und Forscher des BiB, gerade für diese Kinder Zugangsbarrieren zu frühkindlicher Bildung dringend weiter abzubauen.

Geringe Teilhabe von Kindern aus armutsgefährdeten Familien

Im Jahr 2020 hatte nur etwa jedes vierte (23 Prozent) armutsgefährdete Kind unter drei Jahren einen Platz in einer KiTa, während es bei Familien aus nichtprekären Verhältnissen doppelt so viele waren (46 Prozent). Gleichzeitig ist die Betreuungslücke bei KiTa-Plätzen in ärmeren Familien viel größer – sie beträgt rund 17 Prozent, bei reicheren Familien ist nur etwa jeder zehnte Betreuungswunsch nicht erfüllt.

Größter Betreuungsbedarf in Familien, die zu Hause kein Deutsch sprechen

Ein ähnliches Muster zeigt sich bei Familien mit Migrationshintergrund. Unter allen Kindern, die zu Hause hauptsächlich Deutsch reden, besuchen 38 Prozent eine KiTa. Unter Jungen und Mädchen, in deren Familien kein Deutsch gesprochen wird, sind es hingegen nur 24 Prozent. Dr. Sophia Schmitz, Mitautorin der Studie, weist auf eine große Betreuungslücke hin: „Familien, die zu Hause kein Deutsch sprechen, äußern genauso häufig einen Wunsch nach einem KiTa-Platz wie andere Familien. Trotzdem gehen diese Kinder viel seltener vor dem 3. Lebensjahr in KiTa: Nur jedes zweite Kind besucht eine KiTa, trotz eines Betreuungswunsches der Eltern.“ Vor dem Hintergrund, dass diese Kinder von einem frühen KiTa-Besuch und einem schnellen Spracherwerb besonders profitieren würden, seien diese Befunde alarmieren.

Frühzeitige Bildungsteilhabe von hoher gesellschaftlicher Bedeutung

Trotz vielfältiger Ausbaubemühungen in den vergangenen Jahren halten die Autorinnen und Autoren der Studie zusätzliche Anstrengungen für nötig.

„Wenn wir Bildungsungleichheiten verringern wollen und möchten, dass alle Kinder ihre Potenziale bestmöglich entfalten, dann müssen wir die Teilhabechancen für alle Kinder erhöhen“, resümiert Prof. Dr. C. Katharina Spieß, Direktorin des BiB. Dazu gehört auch, Familien niedrigschwellig über die Vorteile einer frühen KiTa-Bildung zu informieren oder Eltern bei der Suche nach Betreuungsplätzen aktiv zu unterstützen – aber auch der weitere KiTa-Ausbau gehört dazu.

„Wenn man bedenkt, dass heute nahezu jedes zweite Kind unter zehn Jahren eine Zuwanderungsgeschichte hat, müssen Zugangsbarrieren zu einer guten frühkindlichen Bildung für Kinder mit Migrationshintergrund dringend abgebaut werden“, so Spieß weiter.

Dies sei auch im Hinblick auf die alternde Gesellschaft in Deutschland eine wichtige Aufgabe, denn Bildungsinvestitionen in der frühen Kindheit seien im Vergleich zu späteren Bildungsphasen besonders effizient.

Umfassende Datenanalyse zur Betreuungssituation

Die Untersuchung basiert auf der DJI-Kinderbetreuungsstudie (KiBS) für die Jahre 2013 bis 2020 und beruht auf den aktuellsten Daten, die der Forschung gegenwärtig zur Verfügung stehen. Sie sind repräsentativ für Deutschland und umfassen Informationen von etwas weniger als 96.000 Kindern unter drei Jahren zu KiTa-Betreuungswünschen der Eltern sowie der tatsächlichen KiTa-Nutzung.

Zum Rechtsanspruch auf einen KiTa-Platz

Der bundesweite Rechtanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege ab dem ersten vollendeten Lebensjahr wurde zum 1. August 2013 eingeführt. Seitdem ist der quantitative KiTa-Ausbau im U3-Bereich weiter vorangeschritten und wurde durch weitere Gesetze und Investitionsprogramme zu qualitativen Verbesserungen – wie dem Gute-KiTa-Gesetz – erweitert. Das Gute-KiTa-Gesetz sah vor, die Qualität der frühen Bildung, Erziehung und Betreuung in den Einrichtungen bundesweit weiterzuentwickeln und die Teilhabe in der Kindertagesbetreuung zu verbessern. Zur weiteren Finanzierung dieses Vorhabens trat zum 1. Januar 2023 das KiTa-Qualitätsgesetz in Kraft; dabei unterstützt der Bund die Länder in den kommenden beiden Jahren mit insgesamt rund vier Milliarden Euro.

Dr. Christian Fiedler, Bundesinstitut für Bevölkerungsfragen




Schulbox „Nummer gegen Kummer“ für junge Leute mit Behinderung

Jetzt von Lehrkräften an Förderschulen und Schulen des Gemeinsamen Lernens bestellbar

Die Beratungsangebote von „Nummer gegen Kummer“ bieten hilfesuchenden Kindern und Jugendlichen Unterstützung in allen Lebenslagen. Um die Angebote auch bei jungen Menschen mit Beeinträchtigungen, wie zum Beispiel Blindheit oder Sehbehinderungen, bekannter zu machen und ihnen zu vermitteln, dass es gut ist, sich bei Sorgen und Problemen Hilfe zu suchen, hat Nummer gegen Kummer e.V. zusammen mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen sowie Verbänden, Kompetenzzentren und Selbsthilfevereinigungen für blinde und sehbehinderte Menschen die Materialien der aktuellen Schulbox weiterentwickelt.

Neben Infokarten und Flyern zu den Beratungsangeboten sind in jeder Box auch Stickerbögen und Armbänder mit Blindenschrift enthalten. Das beiliegende Kartenset mit Sorgenbeispielen ist Teil einer Unterrichtskonzeption zum Thema „Sorgen und Probleme“. Unter http://www.nummergegenkummer.de/materialien stehen die dazugehörige Handreichung mit zwei Unterrichtseinheiten sowie Arbeitsblätter für Lehrkräfte an Förderschulen und Schulen des Gemeinsamen Lernens zum kostenlosen Download zur Verfügung. Hier findet sich auch das Bestellformular für (Nach-)Bestellungen.

Die Schulbox wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.




Aus der Komfortzone heraus lässt sich kein Wandel schaffen

Wie Faulheit, Inkompetenz und wirtschaftliche Interessen eine Besserung der Verhältnisse verhindern

Der VBE hat eben festgestellt, was eigentlich alle bereits wissen. 50.000 Lehrerstellen in Deutschland sind unbesetzt. Bei den pädagogischen Fachkräften erreicht der Mangel mittlerweile sogar weit über 100.000. Über 5 Millionen Fachkräfte insgesamt sollen bis 2030 in Deutschland fehlen. All das ist seit einiger Zeit bekannt.

Und wie begegnet unsere Gesellschaft diesem Mangel? Außer, dass wir wie einst Rohstoffe nun auch gerne Fachkräfte aus den ärmeren Regionen dieser Welt importieren möchten, weitgehend nur mit hektischem Aktionismus. Denn die Gründe sind weit älter und gehen viel tiefer als es viele von uns gerne hören.

Denn der aktuelle Fachkräftemangel ist seit vielen Jahrzehnten absehbar. Etliche Schülergenerationen dürften sich die deutsche Bevölkerungspyramide ansehen, um festzustellen, dass sie eher einem Pilz gleicht. Die Gesellschaft ist überaltert.

Statt darauf mit einer engagierten Familienpolitik zu reagieren, wie dies etwa in Frankreich seit Beginn des 20. Jahrhunderts geschieht, begnügte man sich hierzulande mit einer Art Feigenblattpolitik, verbunden mit großen Sprüchen und gestützt auf einen der dümmsten Sprüche Konrad Adenauers „Kinder kriegen die Leute immer“.

Dem „Alten“, wie ihn einst Helmut Schmidt nannte, fehlte es wie an vielen anderen Stellen eben auch die Vision. Aber auch Schmidt machte es als Bundeskanzler nicht viel besser als seine Vorgänger und Nachfolger. Richtig, es gab einzelne Familienleistungen. Aber es sind auch die Eltern der Kinder, die für ihren Beitrag zur Gesellschaft auch den höchsten Konsumaufwand haben und damit weite Teile der Wirtschaft am Laufen halten.

Es ist also dringend an der Zeit, über die eigene Nasenspitze hinaus zu denken und hier eine andere Richtung einzuschlagen. Zwar bringt uns das nicht unmittelbar die notwendigen Fachkräfte, die wir so dringend benötigen, kann aber mittelfristig helfen, dieser Herausforderung zu begegnen.

Aber woher sollen denn heute die Fachkräfte kommen, wenn sie niemals geboren wurden? Sicher gibt es auch hier eine Reihe von Maßnahmen, die dazu etwas Abhilfe schaffen können.

  1. Es gibt von wissenschaftlicher Seite keinen Mangel am nötigen Wissen, wie der Bildungsbetrieb aussehen sollte. Dass das in der Praxis nicht geschieht, hat mit vielen Vorurteilen, Inkompetenz im Entscheidungsbereich und massiven wirtschaftlichen Interessen zu tun. Dass sich die Bildungswirtschaft etwa im Bereich der digitalen Bildung in den Krippen über die Empfehlungen der Ärzteschaft hinwegsetzt ist das peinlichste und deutlichste Zeichen dafür. Eigentlich ein Skandal.
  2. Es muss dringend daran gearbeitet werden, dass weniger Jugendliche durch das Raster fallen. Eben hat die Stiftung Bertelsmann erst darüber berichtet, dass noch immer jedes Jahr fast 50.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen.
  3. Noch immer gibt es zahlreiche Lehrkräfte, die nur Jahresverträge erhalten. Der Staat hat sich hier innerhalb der Wirtschaft eine Ausnahmestellung verschafft, die ihm hilft, diese Menschen auszubeuten. Darunter sind viele sogenannte „Nichterfüller“, die etwa ihre Lehrprobe nicht bestanden haben. Deshalb werden sie zwar nicht festangestellt, dürfen aber über viele Jahre hinweg unterrichten. Viele von jenen, die dem Beruf treu geblieben sind, gehören heute zu den engagiertesten und besten Lehrkräften an ihren Schulen, leben aber in ständiger Sorge um ihre Anstellung und erhalten die schlechtesten Gehälter. Warum erhalten diese Menschen keine neue Chance?

Das sind nur einige wenige Beispiele, die auch einen Weg aus der Misere weisen könnten. Und es gibt keinen Grund dafür, sie nicht anzugehen. Natürlich kostet jeder Wandel Kraft und ist ein wenig schmerzhaft. Umso mehr ist es höchste Zeit, sich aus der Komfortzone zu bewegen und den Wandel dringend anzugehen. Am Ende leiden vor allem die Kinder.

Gernot Körner




Lehrkräftemangel deutlich gravierender als angenommen

Laut einer Umfrage des VBE sind mehr als 50.000 Lehrerstellen unbesetzt

Seit 2018 beauftragt der VBE das Sozialforschungsinstitut forsa damit, eine repräsentative Umfrage unter Schulleitungen durchzuführen und sie hinsichtlich ihrer Berufszufriedenheit zu befragen. Von Beginn an wird der Lehrkräftemangel von den teilnehmenden Schulleitungen als größtes Problem genannt. In der letzten Berufszufriedenheitsumfrage gaben dies fast 70 Prozent an. Dieses Jahr wurde erstmals erfragt, wie viele Stellen konkret zu Beginn des laufenden Schuljahres unbesetzt blieben. Das Ergebnis: im Schnitt 1,6 offene Stellen pro Schule. Gemessen an der Gesamtheit der allgemeinbildenden Schulen in Deutschland, die das Bundesamt für Statistik für das zurückliegende Schuljahr mit 32.206 beziffert hat, ergibt dies einen Wert von über 50.000 unbesetzten Lehrkräftestellen bundesweit.

Im Schnitt konnten bundesweit 11 Prozent der Stellen nicht besetzt werden. Auch wenn dieser Wert seit 2018 zu stagnieren scheint, offenbaren die Daten auf den zweiten Blick eine Verschlechterung der personellen Situation. Gab 2017 noch gut ein Drittel der Schulleitungen an, 6 bis 10 Prozent der Stellen nicht besetzen zu können, taten dies in der aktuellen Befragung 9 Prozentpunkte weniger. Stattdessen gaben 9 Prozentpunkte mehr an, 10 – 15 Prozent oder sogar mehr als 15 Prozent der Stellen nicht besetzen zu können. Dies bedeutet, dass sich die Situation an den betroffenen Schulen innerhalb des Betrachtungszeitraumes noch einmal verschlechtert hat. Deutlich dramatischer gestaltet sich die Situation an Grund- sowie an Förder- und Sonderschulen. Hier blieben sogar 14 bzw. 15 Prozent der Stellen offen. Insgesamt gehen 84 Prozent der Schulleitungen davon aus, zukünftig stark oder sehr stark vom Lehrkräftemangel betroffen zu sein.

Der VBE fordert:

  • Eine bundesweite Fachkräfteoffensive, die aus einer Verantwortungsgemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen umgesetzt und finanziert wird.
  • Deutliche Verbesserungen in der Planung und Durchführung der Lehramtsausbildung, um die hohen Abbruchquoten zu senken.
  • Die Attraktivität des Berufsbildes muss sichtbar gesteigert werden. Es braucht die gleiche Bezahlung unabhängig von Schulform und -stufe und eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen an Schule.
  • Den Einsatz multiprofessioneller Teams in den Schulen. Sie können Lehrkräfte von Aufgaben entlasten, für die sie nicht originär ausgebildet sind.

Neben dem Lehrkräftemangel wurden den Schulleitungen auch Fragen zum Thema Seiteneinstieg gestellt. Entsprechend der Antworten sind derzeit an 60 Prozent der Schulen Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger beschäftigt. Dies stellt eine Steigerung von 23 Prozentpunkten im Vergleich zu 2018 dar. Laut Brand eine dramatische Entwicklung, wenn man sich vergegenwärtige, dass dies gerade einmal fünf Jahre seien. An Haupt-, Real- und Gesamtschulen (75 Prozent) sowie Förder- und Sonderschulen (74 Prozent) kommen Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger sogar noch deutlich häufiger zum Einsatz. Gut die Hälfte von ihnen befindet sich in einem befristeten Arbeitsverhältnis, wobei dies mit fast 60 Prozent an Grundschulen auftritt.

Hierzu Brand: „Was uns einst als Notlösung verkauft wurde, ist längst fester Bestandteil der Realität in den Schulen. Das dies besonders in den Schulformen deutlich stärker auftritt, deren Schülerinnen und Schüler einen erhöhten pädagogischen Bedarf mitbringen, sehen wir mit großer Sorge. Hier ist eine solide pädagogische Ausbildung umso wichtiger. Und dass wir besonders in den Grundschulen vermehrt befristete Arbeitsverhältnisse sehen, wo doch besonders in den ersten Jahren der schulischen Bildung eine kontinuierliche Beziehungsarbeit von besonderer Bedeutung ist, muss schnellstens korrigiert werden. Nicht nur, dass Menschen, die bereit sind in die Bresche zu springen, nicht mit derartigen Arbeitsverhältnissen abgespeist werden dürfen, es wirft auch ein zweifelhaftes Licht nach außen. Wen will man mit solchen Arbeitsverhältnissen für diesen großartigen Job begeistern? Hier muss dringend nachgebessert werden.“

Der VBE fordert:

  • Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger müssen eine mindestens sechsmonatige Vorqualifizierung durchlaufen, um grundlegende pädagogische und didaktische Grundkenntnisse erwerben zu können.
  • Bereits im Dienst befindliche Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger müssen darüber hinaus vollumfänglich und bis zur vollständigen Lehrbefähigung weiterqualifiziert werden.
  • Kolleginnen und Kollegen, die Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger bei der Einarbeitung begleiten, müssen für diese zusätzliche Aufgabe zeitlich entlastet werden.

Kontext: Die Berechnung der Schätzung erfolgte auf Basis der Aussagen der befragten Schulleitungen über die nicht besetzten Stellen an der Schule. Es ist zu beachten, dass die vorliegenden Ergebnisse der repräsentativen Umfrage lediglich mit einer möglichen Fehlertoleranz von +/- 3 Prozent auf die Gesamtheit der allgemeinbildenden Schulen übertragen werden können.




Heinz-Ketchup erhält die Testnote „ungenügend“

heinz ketchup

ÖKO-TEST: Problem mit Schimmelpilzgiften und Transparenz

Jede Menge Schimmelpilzgifte und Zucker kaufen laut einem aktutellen Test des Magazins ÖKO-TEST Verbraucher mit dem Heinz Tomato Ketchup ein. Ausgerechnet der Marktführer fällt durch. Immerhin: Neun von 20 getesteten Produkten können die Verbraucherschützer empfehlen. 

Laut ÖKO-TEST überschreitet Heinz den EU-Richtwert für Alternariol-Schimmelpilzgifte und erreicht ein Vielfaches dieses Werts. Zell- und neuerdings auch Tierstudien weisen darauf hin, dass diese Toxine das Erbgut schädigen können. Den Richtwert hat die EU im Rahmen einer Empfehlung zur Überwachung von Alternaria-Toxinen in Lebensmitteln veröffentlicht. Außerdem überschreitet der Testverlierer die ÖKO-TEST-Zuckermarke: Der Heinz-Ketchup enthält mehr als 25 Gramm Zucker pro 100 Milliliter. Zur Einordnung: Mit einer 30-Milliliter-Portion dieses Ketchups hätte ein dreijähriges Kind bereits mehr als die Hälfte der Menge an Zucker intus, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für einen ganzen Tag empfiehlt. ÖKO-TEST kritisiert aber nicht nur den Inhalt der Flasche – Heinz fällt auch in Sachen Transparenz durch. „Dass ausgerechnet der Marktführer keinerlei Bereitschaft zeigt, Angaben zu Lieferketten, Herkunft der Tomaten, Arbeitsbedingungen oder Umweltbemühungen zu machen, ist ein Armutszeugnis“, sagt Kerstin Scheidecker, ÖKO-TEST-Chefredakteurin.

Tomaten sind weltweit ein gefragtes Lebensmittel. Der Kampf um einen niedrigen Preis geht oft auf Kosten von Umwelt und Arbeitsbedingungen. China ist mit Abstand der größte Tomatenproduzent weltweit und in Xinjiang, der Hauptanbauregion für Tomaten, arbeiten nach Angaben der vereinten Nationen auch Zwangsarbeiter auf den Feldern. Die Mehrzahl der Hersteller im Test bemüht sich um Transparenz und liefern Belege. Besonders vorbildlich sind dabei sechs Bio-Ketchup-Hersteller, die ÖKO-TEST den Weg ihrer Tomaten vom Feld bis zur Ketchupflasche offengelegt haben. In puncto ökologische und soziale Herstellungsbedingungen haben sie im Schnitt ebenfalls die Nase vorne.

Auch die Sensorik spielt eine Rolle im Ketchup-Test – mit dem Ergebnis: Guter Geschmack braucht keinen übermäßigen Zucker. Zwei Produkte überzeugen in allen Testkategorien und erreichen das Gesamturteil „sehr gut“: der Bio-Ketchup von Zwergenwiese und der günstige Penny Tomaten Ketchup.

Weitere Informationen und den aktuellen Test finden Sie in der Märzausgabe des ÖKO-TEST Magazins und auf der Website oekotest.de/13517