Wer sich viel bewegt, denkt schneller und besser

Wissenschaftler weisen verstärkte Ausschüttung des Hormons Dopamin bei sportlichen Aktivitäten nach

Körperliche Anstrengungen sind nicht nur gut für die Gesundheit, sie verbessern auch die kognitiven Fähigkeiten. Das Gehirn denkt wegen des Dopamins schneller und besser. Das hat Sportwissenschaftler Joe Costello von der University of Portsmouth mit seinem Team herausgefunden.

Für kognitive Gesundheit

Der Neurotransmitter Dopamin, der gemeinhin als Glückshormon bezeichnet wird, spielt eine entscheidende Rolle. Das könnte zu einem neuen therapeutischen Weg für die kognitive Gesundheit führen, da Dopamin bei verschiedenen Erkrankungen, darunter Parkinson, Schizophrenie, ADHS, Sucht und Depression, entscheidenden Einfluss hat.

Dass Dopamin ausgeschüttet wird, wenn man sich körperlich anstrengt, haben die Forscher mit der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) nachgewiesen. Das ist ein bildgebendes Diagnoseverfahren. Dabei erhält der Patient ein Radiopharmaka, das meist in eine Armvene injiziert wird. Dieses Präparat verteilt sich über den Blutkreislauf im Körper. Es sendet Positronen aus, elektrisch positiv geladene Teilchen, den Gegenstücken zu Elektronen.

52 Männer im Versuchslabor

Positronen und Elektronen verschmelzen, nachdem erstere emittiert worden sind, im Bruchteil einer Sekunde. Dabei senden sie zwei Lichtteilchen (Photonen) aus, die eine PET-Kamera aufzeichnet. Aus vielen dieser Momentaufnahmen entsteht ein Bild des Kreislaufs, auf dem beispielsweise detailliert zu sehen ist, wie gut die Herzkranzgefäße durchblutet sind.

Um die Ausschüttung von Dopamin beim Training zu erkennen, haben die Forscher 52 männliche Probanden ausgewählt. Im ersten Test sollten sie kognitive Aufgaben im Ruhezustand und beim Radfahren im PET-Scanner ausführen. Die zweite Studie hat elektrische Muskelstimulation genutzt, um zu testen, ob erzwungene Muskelbewegungen die kognitive Leistung ebenfalls verbessern. Das letzte Experiment kombinierte echtes Training mit Muskelstimulation. Ergebnis: Die Gehirnleistung verbesserte sich nur bei „echtem“ Training.

Wolfgang Kempkens, pressetext.redaktion




Wer viel läuft, dem läuft viel seltener die Nase

Wissenschaftler der Universität Warschau stellen Zusammenhang zwischen Bewegung und Krankheit fest

Wie können Eltern ihre Kinder vor Erkältungen schützen? Warum sind manche Kinder häufiger krank als andere? Diesen Fragen haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der medizinischen Abteilung der Universität Warschau gestellt. Ihre Ergebnisse haben sie in der Fachzeitschrift „Padiadric RESEARCH“ publiziert. Wenn auch das Ergebnis naheliegend erscheint, ist es doch erstaunlich. Denn weder häufiges Impfen. Passivrauchen, Haustiere, Geschwister oder Schlaf haben offenbar einen Einfluss auf die Häufigkeit von Erkältungen bei Kindern. Viel mehr konnte ein Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und der Häufigkeit von Erkrankungen der oberen Atemwege festgestellt werden.

Auf den Punkt gebracht bedeutet das: Wer sich viel bewegt, ist im Durchschnitt seltener und weniger schwer erkältet. Wer sich weniger bewegt, ist nicht nur häufiger krank, sondern auch schwerer.

Untersuchungsmethode

Festgestellt haben das die Mediziner bei einer Untersuchung von über 100 Kindern im Alter von vier bis sieben Jahren mit Hilfe von Schrittzählern. Dabei stellten sie fest, dass es zwischen der durchschnittlichen täglichen Schrittzahl an gesunden Tagen einen signifikanten Zusammenhang zur Zahl der Erkältungstage gibt. Bei Vorschulkindern führt demnach eine höhere körperliche Aktivität zu weniger Erkältungstagen als bei Kindern mit geringerer körperlicher Aktivität. Zudem konnten die Wissenschaftler feststellen, dass eine Erhöhung der Schrittzahl um rund 1000 Schritte pro Tag über einen langfristigen Zeitraum zu weniger Krankheitstagen führt.

Die Empfehlung lautet deshalb, dass Eltern und pädagogische Fachkräfte ihre Kinder zu mehr Bewegung und möglichst auch Sport motivieren sollten. Kinder, die drei oder mehr Stunden pro Woche Sport treiben, haben weniger Erkältung als Kinder, die nicht regelmäßig Sport treiben.

Gernot Körner




Bewegung bringt das Gehirn erst in Schwung

Warum körperliche Aktivität das Lernen fördert

Sie könnten keine geraden Sätze mehr formulieren, wären unfähig, selbst einfache Rechenaufgaben zu lösen und hätten enorme Mängel vor allem im Allgemeinwissen. So lautet die Klage vieler Hochschullehrer über ihre Studierenden. Und mag dieses Lamentieren so alt sein wie die Universität selbst, zeigen die verschiedenen PISA-Studien doch, dass ein wahrer Kern darin steckt.

„Schüler sind nicht dumm, Lehrer nicht faul und unsere Schulen nicht kaputt. – Aber irgendetwas stimmt nicht,“ schreibt der bekannte Psychiater, Psychologe und Philosoph Manfred Spitzer in der Einführung seines Buches „Lernen – Gehirnforschung und die Schule des Lebens“ kurz nach dem PISA-Schock 2002. Jedem, der es noch nicht gelesen hat und wirklich etwas über Lernen wissen will, sei das 500-seitige Werk dringend empfohlen. Bei der Lektüre des Buches zeigt sich unter anderem eines deutlich: Unsere moderne Umwelt trägt nicht dazu bei, dass unser Gehirn und damit unsere Fähigkeit zum Lernen genau jene Impulse erhält, die es dringend braucht. Denn mag Lernen auch im Kopf stattfinden, so ist doch der gesamte Organismus an der Entwicklung des Gehirns beteiligt.

Die Bewegung steht am Anfang

Das zeigt sich am deutlichsten, wenn wir gedanklich an die Ursprünge der Evolution zurückgehen. Denn nichts ist irgendwie entstanden, sondern jede Entwicklung findet ihre Ursache in einer bestimmten Notwendigkeit. „Gehirne sind entstanden, um Bewegung zu ermöglichen“, erklärt Prof. Dr. Gerd Kempermann vom Deutschen Zentrum für neurogenerative Erkrankungen (DZNE) in Dresden gegenüber der Zeitschrift für Sportmedizin. Nicht das Bedürfnis Differentialgleichungen zu lösen, sondern die überlebenswichtige Notwendigkeit, sich zu bewegen stand am Anfang. Und mit Blick auf die ausgefeilte Motorik des Homo sapiens sapiens bis hin zum Pinzettengriff muss das Gehirn schon einiges leisten, damit wir funktionieren. Dass es zudem dann noch dazu geeignet ist, ein Leben lang lernen zu können, kommt nicht nur sozusagen on top dazu, sondern unterscheidet uns auch von allen anderen Lebewesen. Schließlich heißt „Homo sapiens sapiens“ etwa „verstehender, verständiger Mensch“. Seit seiner Entstehung vor rund 200.000 Jahren haben sich die Zeiten zwar verändert, aber das Gehirn nicht. Deshalb ist die Entwicklung des Gehirns noch immer eng mit Bewegung verbunden. Kempermann erklärt dazu: „Die Bewegung in der freien Wildbahn und größer werdende Radien signalisierten den Gehirnen unserer Vorfahren, dass eventuell neue Situationen auftreten könnten, die (Re)Aktionen erforderten, welche im üblichen Verhaltensrepertoire nicht fest verankert waren.“

Ein Blick in das Gehirn

Dabei ist das Gehirn sicher das faszinierendste Organ. In seinem Zentrum, im so genannten limbischen System, liegen der Hippocampus und die Amygdala. Letztere beeinflusst unsere Gefühle wie Angst, Wut und Aggression. Sie schafft Reize und lässt uns reagieren, bevor wir überhaupt wissen, worum es geht. So gelingt es uns etwa auf die Bremse zu treten, bevor wir wahrnehmen, dass ein Hindernis vor uns steht. Die Amygdala speichert Informationen auf ihre eigene Weise. Sie ist etwa dafür verantwortlich, dass es dem ein oder anderen beim Betreten eines Schulgebäudes und dem Wahrnehmen des üblichen Geruchs speiübel wird. Die Ursache dafür liegt dabei weder im Geruch noch im Gebäude, sondern in den leidvollen Erfahrungen, die er hier gesammelt hat und mit den Reizen verbindet.

Gleich neben der Amygdala liegt der Hippocampus. Er heißt so, weil er einem Seepferdchen ähnelt. Hier speichern wir unsere Erfahrungen. Er ist die Schaltstelle zwischen Langzeit und Kurzzeitgedächtnis. Hier ist der Ort für die meisten Dinge, die wir im Leben lernen.

Wenn wir von oben auf das Gehirn blicken, sehen wir den zerebralen Kortex. Der vordere Teil bildet den präfrontalen Kortex. Seine wesentliche Funktion (Frontalhirnfunktion) besteht darin, das eigene Verhalten und die Gedanken zu steuern und zu regulieren, Entscheidungen zu treffen und planvoll und zielgerichtet vorzugehen, das eigene Handeln zu reflektieren und – wenn nötig – zu korrigieren.

Die Entwicklung des Gehirns

Unser Gehirn besteht aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen). Jede davon ist im Schnitt mit etwa 10.000 Zellen über Synapsen miteinander verbunden. 

An den Neuronen sitzen zum einen die Dendriten, über die die Zellen Informationen von anderen übernehmen und zum anderen Axone, über deren am Ende sitzenden Synaptischen Endknöpfchen Informationen an andere Zellen weitergegeben werden. Diese sind aber nicht direkt mit anderen verbunden. Diese Lücke heißt synaptischer Spalt. Die Übertragung erfolgt dort über chemische Botenstoffe wie Acetylcholin, Dopamin, Adrenalin oder Serotonin.


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Auch für das Toben sollten wir gelegentlich loben

Laufen, toben und springen – sehr oft mit Lärm verbunden – haben nicht nur den Zweck, den Bewegungsdrang der Kinder ausagieren zu lassen. Kinder erschließen sich die räumliche und soziale Welt, das Selbst und den eigenen Körper durch Bewegung. Erzieherinnen und Eltern finden hier eine profunde pädagogische Basis für den Bewegungsalltag mit Kindern. Erprobte Spielvorlagen führen dabei direkt in die Praxis. 

Regina Grabbet
Laufen, Toben, Springen… Loben – Bewegungsspiele im Kindergarten
Softcover, 96 Seiten
ISBN/EAN: 978-3-944548-11-1 
14,95 €


Die meisten Nervenzellen entstehen schon vor der Geburt. Allerdings hat der weitaus größte Teil bis dahin noch keine Verbindung miteinander. Rund 80 Prozent der Verbindungen bilden sich erst nach der Geburt. Dabei entwickeln sich viel mehr Synapsen als eigentlich nötig sind. Den Höhepunkt erreicht dieses Wachstum etwa mit drei Jahren. Der Abbau dieser Verbindungen in den folgenden Jahren auf etwa die Hälfte bedeutet gleichzeitig ein sinnvolles Verschalten, das die kognitive Entwicklung vorabringt.

Die lebenserhaltenden Funktionen sind bereits mit der Geburt ausgebildet. Der präfrontale Kortex bildet sich sehr individuell aus. Abgeschlossen ist die Entwicklung meist erst im frühen Erwachsenenalter. Da dieser für die Planung und Selbstkontrolle verantwortlich ist, reagieren Kinder gerne auch mal impulsiv und können ihr Lernverhalten kaum steuern, was nicht bedeutet, dass sie sich nicht selbstständig entwickeln können und wir sie darin nicht unterstützen sollten. Aber die sehr individuelle Entwicklung des präfrontalen Kortex erfordert eben auch individuelle Lernangebote, die auf die jeweiligen Fähigkeiten und Bedürfnisse eines jeden Kindes abgestimmt sind.

Neuroplastizität

Die sich ständig veränderten Bedingungen in der freien Wildbahn haben für die frühen Menschen die Notwendigkeit geschaffen, sich stets an die neuen Umweltbedingungen anzupassen. Darauf ist unser Gehirn ausgelegt. Diese Fähigkeit nennt sich Neuroplastizität und ist aufgrund des Überschusses an Synapsen in den ersten Lebensjahren des Kindes am größten. Darum lernen Kinder auch leicht ihre Muttersprache und – wenn sie im stetigen Kontakt mit einem Menschen stehen, der eine andere Sprach spricht – sehr einfach auch einen weitere.

Im Laufe der Jahre nimmt mit der Reduktion der Synapsen diese Fähigkeit ab. Das dauert meist bis ins Jugendalter. Allerdings vergeht sie niemals ganz. Schließlich ist Neuroplastizität in einer sich stetig wandelnden Umwelt geradezu überlebenswichtig. Aus ihr entwickeln sich die dringendsten Zukunftskompetenzen wie Lernfähigkeit, Flexibilität und Kreativität. Um sie zu unterstützen benötigen wir eine anregende Umgebung, soziale Interaktion und eben Bewegung. Schließlich ist das Gehirn laut dem Neurobiologen Prof. Gerald Hüther eben das, was wir mit Begeisterung daraus machen.

Bewegung formt das Gehirn

Kinder bewegen sich mit Begeisterung. Schließlich müssen sie das, um ihren Körper und ihr Gehirn zu entwickeln. Und wer sie zum Stillsitzen zwingen will, tut ihnen keinen Gefallen. Die Sportwissenschaftlerin Laura Walk vom TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) in Ulm, das von Manfred Spitzer geleitet wird, fasst die Erkenntnisse dazu in einem Beitrag für das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung unter dem Titel „Bewegung formt das Gehirn“ zusammen. So konnte als Folge körperlicher Bewegung die Neubildung der kleinsten Blutgefäße (Kapillare), von Neuronen und deren Vernetzung im Gehirn nachgewiesen werden. Die Neuronenneubildung (Neurogenese) geschieht dabei insbesondere im Hippocampus, in dem die Speicherung von Faktenwissen, Erfahrungen und räumliche Lern- und Gedächtnisprozesse erfolgt.

Bewegung lässt neue Nervenzellen wachsen, unabhängig vom Alter!!!

„Die hippokampale Neurogenese lässt sich durch Bewegung fördern, wobei sich die Anzahl der neugebildeten Nervenzellen durch körperliche Betätigung in Form von Ausdauertraining verdoppeln lässt“, erklärt Walk. Und das gilt ein Leben lang. Hinzu kommt eine Erhöhung der Konzentration verschiedener Botenstoffe (Neurotransmitter), die die Kommunikation der Nervenzellen im Gehirn miteinander verbessern. Das betrifft vor allem Dopamin, Serotonin und Noradrenalin. In mehreren Studien konnte zudem nachgewiesen werden, dass akute Ausdauerbelastungen exekutive Funktionen, die über den Frontalkortex gesteuert werden, von jungen Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen positiv beeinflussen. 

„In einer Studie am ZNL konnten wir den Nachweis erbringen, dass sich die Fähigkeit jugendlicher Schüler Störreize auszublenden bzw. sich nicht ablenken zu lassen, nach einer dreißigminütigen Schulsporteinheit verbessert. Studien zur körperlichen Fitness weisen in die gleiche Richtung. Eine gesteigerte körperliche Fitness fördert exekutive Funktionen vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter“, so Walk. 

Die Liste ließe sich noch weiter verlängern. Letztlich lässt dies alles den Schluss zu, dass Gehirne von körperlich leistungsfähigeren Menschen effektiver arbeiten. Oder um es mit den Worten der Sportwissenschaftlerin zu sagen: „Über körperliche Aktivität können gleichermaßen Entwicklungsprozesse des kindlichen Gehirns und damit die Lernleistung und emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gefördert sowie die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter länger aufrechterhalten werden.“ Bewegung macht also klug.


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Körpererfahrung im Kindergarten

Bewegung ist wesentliches Element für Entwicklung und Wachstum. Deshalb muss unserer bewegungsarmen und reizüberfluteten Welt etwas gegenübergestellt werden: sinnvolles und sinnenvoll bewegtes Spiel! Genau damit befasst sich dieser Band: Für Gefühl bis in die Fingerspitzen haben die Kinder die Anlagen. Die Autorin realisierte mit ihren StudentInnen ein Projekt, welches sich mit der Lösung dieses Problems beschäftigte. Die Resultate, erprobt und überarbeitet, stehen hier zur Verfügung. Die dabei entwickelten Bewegungsangebote bilden die Grundlage für die in diesem Buch vorgestellten Spiel- und Körpererfahrungen. 

Dr. Regina Falkenberg
Gefühl bis in die Fingerspitzen – Körpererfahrung im Kindergarten
Softcover, 96 Seiten
ISBN: 978-3-944548-10-4 
14,95 €


Konzepte und Ideen

Diese Erkenntnisse haben in den vergangenen Jahren zu einer Vielzahl neuer Schulprojekte geführt. Sie heißen etwa „Schule mit Schwung“, „BekoAkt“ oder „Voll in Form“. Sie berücksichtigen die Notwendigkeit von Bewegung und tragen dem im Unterricht und mit zahlreichen Aktionen Rechnung. „Eine Bewegte Schule bewegt physisch, psychisch, kognitiv und sozial. Sie verändert die Beziehungen zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.“, plädiert Gerold Brägger für mehr Bewegung im Unterricht. Gemeinsam mit Heinz Hundeloh, Norbert Posse und Hermann Städtler hat er ein Konzept für bewegte Schulen geschaffen, das jeder Interessierte unter dem Titel „Bewegung und Lernen“ im Internet finden und downloaden kann.

Die Möglichkeiten, die sich hier bieten, sind so vielfältig, dass sie sich kaum zusammenfassen lassen. Wie aber ein Gärtner einer Pflanze genau das gibt, was sie zum optimalen Wachstum braucht, geht es hier eben darum, die Bedürfnisse des Gehirns zu befriedigen. 

Dafür steht etwa der Diplom-Pädagoge und Lehrer Martin Anacker. Er ist Master für gehirn-gerechtes Lernen nach Vera F. Birkenbihl. „Ich denke, wenn man versucht zu verstehen, wie Menschen seit jeher gelernt haben, noch lange bevor es Schulen gab, kann man viel darüber erfahren, wie Lernen gelingt oder auch warum es heute oft nicht gelingt.“, sagt er und fordert auf Basis der neurowissenschaftlichen Erkenntnisse Lernprozesse so zu gestalten, dass sie der natürlichen Arbeits- und Funktionsweise unserer Gehirne besser entsprechen. Neben zahlreichen Bewegungsangeboten trainiert er mit seinen Schülerinnen und Schülern bestimmte kognitive Funktionen durch Bewegung. So werden vor allem durch koordinative Bewegungsaufgaben neuronale Zentren aktiviert, die gleichzeitig für die Steuerung von Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Konzentration eine wesentliche Rolle spielen. Einige davon stellt er in dem Buch „Gemeinsinn in der Klasse schaffen“ vor.

Dazu gehören Fingerübungen, Armkreisen oder einfache Spiele, die in den Unterricht eingebaut werden können oder ihn einfach unterbrechen. Denn gerade Unterbrechungen in Form von Bewegungspausen stellen nicht nur eine willkommene Abwechslung dar, sondern stimulieren zusätzlich das Gehirn, fördern Aufmerksamkeit und Konzentration. Und durch den regelmäßigen Einsatz derartiger Übungen wird das Denkvermögen dazu angeregt, in den entsprechenden Hirnarealen neue Netzwerke auszubauen, die das Lernen unterstützen. Dabei geht es nicht mal um die richtige Ausführung. Schon alleine das koordinierte Ausprobieren hätte positive Auswirkungen auf die Hirnentwicklung, sagt Anacker. Im Vordergrund stehe die Freude, nicht die Perfektion.

Und was läuft schief?

Aber auch wenn es mittlerweile zahlreiche erprobte Konzepte gibt, findet ihre Anwendung doch nur vereinzelt statt. Dagegen laden zahlreiche verwahrloste, heruntergekommene oder einfach langweilige Schulhöfe nicht eben zum spontanen, freien Bewegungsspiel ein. Dabei sind die Schulen jedoch nur Teil einer Kette, deren Anfang die entscheidende Bedeutung zukommt.

Bewegung beginnt schon beim Fötus, der im Mutterleib über seine Bewegungen auch das Gehirn stimuliert. Säuglinge und Kleinkinder brennen geradezu darauf, ständig Neues zu entdecken und auszuprobieren. Dabei fehlen ihnen aber allzu oft die Möglichkeiten und oftmals lassen wir sie auch nicht. In den vergangenen Jahren sei es zu einem regelrechten Boom von Angeboten zur Frühförderung gekommen, erklärt die Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Maria Klatte. In einem Beitrag zum Thema „Gehirnentwicklung und frühkindliches Lernen“ schreibt sie: „Aus Verunsicherung, Sorge oder auch übertriebenem elterlichen Ehrgeiz sind die Terminkalender mancher Kinder so gefüllt, dass für spontane, selbst-initiierte Aktivitäten kaum noch Raum bleibt.“ In vielen Kinderbetreuungseinrichtungen sieht die Situation nicht viel besser aus. Die zahlreichen Förderprogramm bis hin zur so genannten „Digitalen Bildung“ unterdrücken den natürlichen Bewegungsdrang der Kinder und halten sie auf den Stühlen fest.

Daneben fehlt es zunehmend an Freiflächen, auf denen freie sportliche Aktivitäten oder einfach nur Toben möglich sind. Selbst auf den eigentlich gesetzlich geschützten Gehsteigen und in Parks können Eltern ihre Kinder kaum mehr unbeschwert laufen lassen, da diese zunehmend von Fahrrad- und E-Scooter-Fahrern okkupiert werden, was durch die Polizei geduldet wird. Wie bedroht sich Erwachsene dadurch fühlen, hat jüngst eine Studie des ADAC gezeigt. Die Kinder wurden dabei nicht gefragt. Und letztlich erweist auch niemand seinem Nachwuchs einen Gefallen, wenn er ihn mit dem Auto zur Schule bringt und dort wieder abholt. Es gibt also ganz viele Stellen an denen ganz viel schief läuft. Eines ist dabei aber auch klar. Kinder und Jugendliche trifft keine Schuld. Sie sind letztlich die Opfer einer erwachsenen Umgebung, die sich noch immer viel zu wenig um ihre Bedürfnisse schert.

Literatur:

Brägger, G. et al., Bewegung und Lernen, Unfallkasse Nordrhein-Westfalen, 2017.
Hennig, G. et al., Gemeinsinn in der Klasse schaffen, BurckhardtHaus 2021.
Hutterer, C., Bewegung & Neuroplastizität, in: Deutsche Zeitschrift für Spotmedizin (online).
Klatte, M., Gehirnentwicklung und frühkindliches Lernen, in: Brokmann-Nooren, C. et al., Bildung und Lernen der Drei- bis Achtjährigen, Klinkhardt 2007.
Walk, L., Bewegung formt das Gehirn, in: DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung 01/2011, Seite 27 – 29.
Spitzer M., Lernen, Spektrum 2002.

Gernot Körner




Warum sich unsere Kinder viel zu wenig bewegen

Trotz ausgeprägtem Bewegungsdrang bewegen sich unsere Kinder immer weniger

In der Kindheit ist der natürliche Bewegungsdrang am stärksten ausgeprägt. Aber die Kinder unserer Informationsgesellschaft bewegen sich heute nur noch halb so viel wie vor 30 Jahren! Und zwar nicht etwa weil ihr Bewegungswunsch nachgelassen hätte, sondern weil wir nachlässig mit diesem ihrem existentiellen Bedürfnis umgehen. Unsere Umwelt bietet den Kindern immer weniger Freiräume, in denen sie ungestört und ungestraft nach Herzenslust toben und matschen, ihre Kräfte messen, ihre Grenzen spüren, ihre Fein- und Grobmotorik entwickeln und sich spontan auf neue Menschen zu bewegen können.

Vor allem in Großstädten ist der Erfahrungs- und Bewegungsraum von Kindern Mangelware geworden.

Auf den wenigen freien Grundstücken, wo Kinder noch etwas entdecken und erkunden könnten, machen sich zunehmend Büro- und Gewerbegebiete breit. Und die oftmals unattraktiven Spielplätze können Großstadtkinder nur unter großen Gefahren allein aufsuchen. Sie sind auf Erwachsene angewiesen, um Spielplätze sicher zu erreichen und dort geschützt zu spielen. Und wann sie ihren Spiel- und Bewegungsdrang ausleben können, hängt zunehmend vom Zeitplan der Eltern ab.

Die Folge ist, dass immer mehr Kinder zum „Spiel-doch-was-in-deinem-Zimmer“ verdonnert werden.

Aber auch hier sieht es in punkto Bewegungsfreiraum nicht rosig aus: Große Wohnungen sind teuer, kleine Wohnungen oft ungünstig geschnitten, das Kinderzimmer ist eng und vollgestellt, das Elternschlafzimmer dagegen hell und geräumig. Und wenn das Kind auf dem wenigen verbliebenen Platz im Zimmer mal freudig mit dem Seilchen hüpft, dann folgt bald die Ermahnung: „Denk an die Nachbarn!“ Kinder, die viel drinnen spielen, sind in ihrer sozialen Entwicklung benachteiligt. Sie können keine spontanen Bekanntschaften machen oder eigenständig neue Freundschaften schließen. Stattdessen müssen Spielkameraden nach Hause bestellt werden.

Aber nicht nur im Elternhaus, auch in Kindergärten und Schulen ist wenig Platz für Bewegung.

Die Außenflächen sind klein, oftmals zubetoniert, die Gruppen- und Klassenräume beengt. Viele Pädagogen begegnen dem natürlichen Bewegungsdrang der Kinder mit Disziplinregeln. Aber dies kann nicht die Lösung sein, denn Bewegungsmangel ist folgenreich!

Immer mehr Kinder fallen durch Haltungsschwäche, Übergewicht und Konditionsschwäche auf.

Einverstanden, wir wollen keine Generation von Spitzensportlern ausbilden, aber rückwärts oder auf einer Linie laufen, das sollten unsere Kinder schon noch können! Warum? Weil dies Ausdruck eines gut entwickelten Gleichgewichtssinns ist. Ohne ihn wären wir nicht in der Lage, aufrecht zu gehen, uns im Raum zu orientieren und unsere innere Balance zu finden. Wir gerieten aus dem Lot!

Bewegungsmangel schürt auch Aggressionen.

Die Gewalttätigkeiten nehmen unter Kindern stetig zu. Kein Wunder, in engen Kinderzimmern und Gruppenräumen staut sich die natürliche Bewegungsenergie. Geballt und unkontrolliert bricht sie aus: Bei Konflikten wird nicht mehr lange gefackelt, man schlägt einfach zu! Aus nervösen Zappelphilippen werden dann kleine ‚Rambos‘, die um jeden Preis ihre angestauten Kräfte messen wollen.

Kinder brauchen eine bewegte Kindheit.

Sie brauchen ausreichend Freiraum, um vielfältige Primärerfahrungen zu sammeln. Ihre gesunde ganzheitliche Entwicklung hängt davon ab, wie viel Körpererfahrungen sie machen. Denn schließlich trainiert Bewegung nicht nur die Muskulatur, sondern auch Geist und Psyche! Sie vermittelt Raum- und Zeiterfahrungen, die für die intellektuelle Entwicklung bedeutsam sind. In der Bewegung lernen Kinder, ihren Körper im Raum und innerhalb der Gruppe zu koordinieren, sich selbst und andere einzuschätzen. Alle Kinder machen durch Bewegung ihre ersten Erfahrungen mit sich und ihrem Lebensraum. Sie greifen nach ihren Fingern und Füßen und nach den ersten Gegenständen, krabbeln vor- und rückwärts, bis sie gehen, hüpfen und laufen können. Schritt für Schritt erschließen sie sich Raum und Zeit, Chancen und Grenzen, die verlockende Welt des Neuen, des Lernens.

Kinder brauchen also zu Hause, im Kindergarten und in der Schule viel Platz und Zeit für Bewegung! Denn Bewegung ist Leben, ist das Tor zur Welt des Lernens. Bewegung ist ein wesentlicher Bestandteil zur ganzheitlichen Entwicklungsförderung!

Bewegung bedeutet:

  • Überschüssige Energie abbauen
  • Sauerstoff tanken
  • Mit sich und anderen ins Gleichgewicht kommen
  • Raum und Lage erfahren
  • Aggressionen abbauen

Spiele für mehr Bewegung:

 Die kleinen Springteufel

Welches Kind spielt nicht gerne den kleinen ‚Springteufel‘, der auf Kommando in die Höhe schnellt? Zunächst machen sich die Kinder auf ihrem Stuhl ganz klein, so als säßen sie in einem ‚Spielkästchen‘, das heißt, sie ziehen die Beine an, runden den Rücken ab, beugen den Kopf nach unten und sind ganz still. Wenn sie das vereinbarte Signal – z. B. einen Buchstaben, eine Zahl, ein Wort oder Geräusch – hören, schnellen sie mit erhobenen Armen hoch und strecken und dehnen ganz genüsslich ihren Körper. Dann nehmen sie wieder ihre Ausgangsposition ein.

Tipp

Es können auch mehrere Kinder eine kleine ‚Springteufel-Gruppe‘ bilden, indem sie sich zunächst an den Händen festhalten und dann auf Signal gemeinsam die Arme hochstrecken.

Alter: ab 3 bis 6 Jahre, Sozialform: Einzelspiel, Material: Stühle

Die Raum-Roboter kommen!

Jeweils drei Kinder bilden eine Gruppe. Zwei Kinder, die zu Robotern erklärt werden, stellen sich Rücken an Rücken. Aufgabe des dritten Kindes ist es, die beiden Roboter durch den Raum zu dirigieren, indem es die Schultern der Roboter antippt. Berührt es die rechte Schulter eines Roboters so bewegt er sich rechts gehend durch den Raum und zwar solange bis er ein weiteres Tastsignal erhält. Wird er an der linken Schulter berührt, so geht er links herum durch den Raum. Werden beide Schultern gleichzeitig angetippt, so geht der Roboter geradeaus. Ein leichtes Antippen des Kopfes bedeutet: Stop, bitte stehen bleiben.

Ziel des Spieles ist es, beide Roboter so durch den Raum zu steuern, dass sie sich irgendwann gegenüber stehen und sich freundlich mit Handschlag begrüßen. Nun kann ein Rollentausch erfolgen.

Tipp

Nutzen Sie die Freude der Kinder, Roboter nachzuahmen. Denn bei diesem Spiel sammeln sie wertvolle Raum-Zeit-Erfahrungen.

Alter: ab 5 bis 10 Jahre, Sozialform: Gruppenspiel

Diesen Artikel haben wir aus dem Buch von Dr. Charmaine Liebertz mit dem Titel „Spiele zum ganzheitlichen Lernen“ entnommen. Das Buch ist bei Burckhardthaus-Laetare erschienen.

spiele lernen

Charmaine Liebertz
Spiele zum ganzheitlichen Lernen
Bewegung, Wahrnehmung, Konzentration, Entspannung und Rhythmik in der Kindergruppe

Broschur, 96 Seiten
ISBN: 9783944548166
14,95 €
Mehr dazu auf www.oberstebrink.de




Wie viel Bewegung Kinder wirklich brauchen

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt 90 Minuten tägliche Bewegung mit mittlerer bis hoher Beanspruchung

Kinder haben einen großen Bewegungsdrang. Aber durch Schule und Mediennutzung nehmen sitzende Tätigkeiten stark zu. Bewegt sich mein Kind eigentlich genug? Wie viel Aktivzeit braucht es?

Bewegung und Sport

Zwischen Bewegung und Sport gibt es einen Unterschied: Sport ist immer mit Bewegung verbunden, aber nicht jede Bewegung ist Sport! Bei Bewegung handelt es sich meistens um leichtere körperliche Aktivitäten aus ganz alltäglichen Bewegungsformen, wie den sitzenden Tätigkeiten und dem Stehen, Gehen, Laufen, Radfahren, Treppensteigen, Haus- oder Gartenarbeit oder Spielen – sprich jeder Art von Bewegung im Alltag (WHO 2018; BZgA 2017, S. 10f.). Sport meint den gezielten, intensiven Sport zu Trainingszwecken, den viele Kinder im Verein betreiben, wie zum Beispiel Fußball, Turnen, Leichtathletik oder Tennis.
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Bewegungsempfehlungen

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt für Kinder und Jugendliche von 5–17 Jahren täglich 60 Minuten körperliche Aktivität (WHO 2018). In den Bewegungsempfehlungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA 2017) finden sich auf das Grundschulalter abgestimmte Empfehlungen für Kinder. Die Bundeszentrale empfiehlt sogar noch 30 Minuten mehr Bewegung am Tag, also insgesamt 90 Minuten tägliche Bewegung mit mittlerer bis hoher Beanspruchung. Das ist erfüllt, wenn Kinder die Bewegung als etwas anstrengend oder anstrengend empfinden, wie zum Beispiel beim Fahrradfahren oder beim schnellen Gehen. Die empfohlene Stunde körperliche Aktivität kann schon durch die alltäglichen Bewegungen erreicht werden, wie zum Beispiel das Laufen von 12.000 Schritten am Tag.

Jeder Schritt zählt!

Auch wenn der Schul- oder Arbeitsalltag so viel Bewegung scheinbar nicht immer zulässt, so können Sie für sich und die Kinder hier und dort kleine Bewegungseinheiten in den Tag einstreuen. Legen Sie den Schul- oder Arbeitsweg aktiv zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurück. Nehmen Sie die Treppe, nicht den Aufzug oder die Rolltreppe, und legen Sie hin und wieder einen zusätzlichen Spaziergang ein. Dabei werden das Herz-Kreislauf-System sowie die Bein- und Gesäßmuskulatur optimal trainiert. Ein kleiner gemeinsamer Spaziergang nach der Schule oder Arbeit bringt Bewegung in den Alltag und schafft die Möglichkeit zum intensiven Austausch über den Tag. Wichtig ist nur, dass Puls und Atmung zumindest leicht erhöht sind.

Regelmäßiger Sport tut gut und macht Spaß!

Über diese alltäglichen Bewegungen hinaus ist es empfehlenswert, dass sich die Kinder zwei- bis dreimal in der Woche mit höherer Intensität bewegen. Finden Sie heraus, welchen Sport Ihr Kind besonders mag, denn die persönlichen Vorlieben der Kinder sollten unbedingt berücksichtigt werden – die Bewegung soll schließlich Spaß machen! Darüber hinaus finden die meisten sportlichen Aktivitäten in der Gruppe oder im Verein statt. In diesem Umfeld profitiert Ihr Kind nicht nur vom Sport und der Bewegung, sondern auch von dem gemeinsamen Miteinander, der Unterstützung anderer und von den kleinen und großen persönlichen Erfolgserlebnissen.

Weniger Sitzen ist mehr

Die Bewegungsempfehlungen von mindestens einer Stunde sind schneller zu erreichen, als Sie denken. Das Fangenspielen, das Toben und Klettern in den Pausen und der Sportunterricht in der Schule – das alles sind nur einige Beispiele für intensive Bewegung und dafür, dass die Kinder auch in der Schulzeit viele Möglichkeiten zur Bewegung haben.

Achten Sie außerdem darauf, dass Sie die Zeit, in der die Kinder sitzen oder elektronische Geräte (Fernseher, Smartphone, Computer) nutzen, soweit es geht reduzieren. Der übermäßige Zeitvertreib am Bildschirm führt dazu, dass sich die Kinder einen sitzenden Lebensstil angewöhnen, der sich nicht gut auf ihre gesundheitliche Entwicklung auswirkt.

Tipp: Mit gutem Beispiel voran

Wenn sich Ihr Kind bisher jedoch nur sehr wenig oder ungern bewegt hat, versuchen Sie nicht diesen Zustand von heute auf morgen zu ändern. Fangen Sie lieber klein an, motivieren Sie es durch Ihre eigene Bewegungslust und steigern sie den Umfang sowie die Intensität der Bewegung schrittweise. Ansonsten sind Frust und Muskelkater schnell vorprogrammiert. Das gilt auch dann, wenn Sie sich selbst bisher nicht genügend bewegt haben. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran und beginnen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind die Freude an Bewegung neu zu entdecken – Ihrem Kind zuliebe.

Quelle: bzga

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Praevention/Broschueren/Bewegungsempfehlungen_BZgA-Fachheft_3.pdf




„Wir brauchen mehr Bewegung in der Ganztagsschule!“

Viele Kinder leiden unter Bewegungsmangel – Mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung fordert Miriam Kehne mehr Bewegung in der Schule

Einschneidende bildungspolitische Reform: Ab August 2026 hat jedes Grundschulkind in Deutschland einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung. Ziel des von der Bundesregierung beschlossenen Rechtsanspruchs ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie ein Beitrag zur individuellen Förderung und Chancengleichheit aller Kinder. Doch was bedeutet das für die Bewegungswelt der Heranwachsenden? Prof. Dr. Miriam Kehne spricht über die Folgen dieser Entscheidungen und fordert: „Wir brauchen mehr Bewegung in der Ganztagsschule!“ Die Sportwissenschaftlerin leitet den Bereich Kindheits- und Jugendforschung im Sport, der im Department Sport & Gesundheit der Universität Paderborn angesiedelt ist.

Frau Kehne, wie stehen Sie der Reform erst einmal grundsätzlich gegenüber?

Kehne: Das Recht, das jedes Grundschulkind ab August 2026 einen Anspruch auf eine ganztägige Betreuung hat, sehe ich persönlich als eine Chance – denn es entspricht der gesellschaftlichen Entwicklung. Ich bin selbst Mutter zweier Kinder, mein Mann und ich sind beide berufstätig. Das heißt, ich weiß sehr wohl auch aus eigener Erfahrung, dass diese Entscheidung viel zur besseren Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben beitragen kann. Auch soll Kindern aus verschiedenen sozialen Milieus so eine Chancengleichheit eröffnet werden, das finde ich sehr gut.

Prof. Dr. Miriam Kehne hat 2021 das „Bewegungs- Spiel- und Sportlabor – besslab“ gegründet, den Walking Bus Paderborn initiiert und ist seit über 15 Jahren an der Universität Paderborn

Sie beschäftigten sich tagtäglich mit der Bewegungswelt von Kindern und Jugendlichen. Was kann sich für die Heranwachsenden ändern, die ab 2026 in die Ganztagsbetreuung gehen?

Kehne: Die Bewegungswelt hat sich für viele Heranwachsende bereits verändert und diese Entwicklung wird massiv weiter voranschreiten. Natürlich gibt es auch jetzt schon Kinder, genauer gesagt jedes zweite Kind, das den ganzen Tag in der Schule verbringt. Die anderen 50 Prozent jedoch verbringen die Nachmittage außerhalb der Schule im Idealfall mit verschiedenen Freizeitaktivitäten im organisierten oder informellen Rahmen: auf der Wiese spielen, Fahrradfahren, in den Sportverein gehen und natürlich auch andere Hobbies ausüben wie ein Instrument spielen. All diese Freizeitaktivitäten im Grundschulalter könnten – in der Form, wie wir sie bisher hatten – verdrängt werden. Was die Bewegung angeht, haben wir sowieso ein Problem: Repräsentative Daten zeigen, dass sich 75 Prozent der Kinder bereits im Grundschulalter weniger als eine Stunde am Tag bewegen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Nur eines von vier Kindern bewegt sich genug! Eine Stunde Bewegung ist übrigens das, was die Weltgesundheitsorganisation täglich empfiehlt, um einen gesunden Lebensstil zu unterstützen. Wir kennen die hohe Relevanz von Sport und Bewegung für die physische Gesundheit mittlerweile sehr gut und wissen, dass körperliche Aktivität die Entwicklung von Kindern ganzheitlich fördern kann.

Es ist die Rede von Chancengleichheit für die Kinder. Ist die denn gegeben, sobald alle Kinder in der Ganztagsbetreuung sind?

Kehne: Aus meiner Sicht besteht an dieser Stelle noch ein ganz großer Aufholbedarf: Die Politik muss das System Ganztag, das sie jetzt geschaffen hat, so ausgestalten, dass wirklich eine Chancengleichheit bestehen kann und die Heranwachsenden tatsächlich davon profitieren. Dafür müssen die Rahmenbedingungen so geschaffen werden, dass das Angebot im Ganztag eine entsprechende Qualität aufweist.

Was könnte das konkret sein?

Kehne: Im Bewegungsbereich heißt das: Die Kinder haben in der Regel einen natürlichen Bewegungsdrang, aber die Voraussetzungen, die sie mitbringen, sind sehr unterschiedlich. Das betrifft sowohl den motorischen als auch den psychosozialen Status der Kinder. Um die Potenziale von Bewegung, Spiel und Sport zu nutzen und allen Kindern die Ausbildung eines aktiven Lebensstils zu ermöglichen, benötigen wir mehr Personal, das zudem entsprechend qualifiziert sein muss. Außerdem fehlen manchmal entsprechende Räumlichkeiten für Bewegung und die Nutzung ist vor allem im Ganztagsbetrieb oftmals nur eingeschränkt möglich. Beispielsweise wenn es regnet und der Schulhof nicht genutzt werden kann. Welche Räumlichkeiten stehen den Kindern dann zur Verfügung? Weiter halte ich es für absolut unerlässlich, dass die außerschulischen Bildungsinstitutionen – wie im Bewegungsbereich die Sportvereine – aktiv in die Ausgestaltung des schulischen Ganztags eingebunden werden. Schließlich sollen die Kinder auch in der Ganztagsschule weiterhin ihren Hobbys nachgehen können beziehungsweise einen Zugang zu den außerschulischen Bildungspartnern erhalten.

Sie sind Sprecherin des Clusters „Ganztag“ im „Forschungsverbund Kinder- und Jugendsport NRW“ (FKJ). Der FKJ hat gerade ein Positionspapier zum Thema Ganztagsbetreuung herausgegeben. Wieso ist das nötig?

Kehne: Wir halten es für unerlässlich, tägliche Bewegungs-, Spiel- und Sportaktivitäten parallel zum schulischen Ganztagsausbau mitzudenken und aktiv in den Schulalltag einzubinden. Das bedeutet, nicht einfach nur das Betreuungsangebot zu erweitern, sondern wirklich auf die Interessen und Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Es geht hier aus unserer Sicht um die individuelle motorische, emotionale, soziale und kognitive Entwicklung der Kinder.

Was fordern Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen?

Kehne: Wir fordern: Berücksichtigt die Bewegungswünsche der Kinder! Gestaltet bewegte Schulräume! Nutzt Bewegungsangebote im Ganztag! Schafft ein bewegtes Schul- und Ganztagskonzept! Entwickelt bewegte Bildungslandschaften im kommunalen Raum! Fördert die Qualifikation für Bewegung, Spiel und Sport! Und: Sichert die Qualität von bewegten Ganztagsschulen.

Ist das denn aus Ihrer Sicht nur eine Frage von politischen Rahmenbedingungen?

Kehne: Nicht nur, aber sie sind essentiell. Sport und Bewegung haben einen sehr wichtigen Stellenwert für die gesunde Entwicklung und lebenslange Gesundheit – da spielen neben der Politik als ‚Rahmenbedingungsgestalter‘ unter anderem auch die Eltern eine wesentliche Rolle. Politiker*innen und Eltern sind also ganz zentrale Schnittstellen. Die Politik muss die Bedingungen ermöglichen, festlegen und verankern. Das ist absolut richtungsweisend, weil sonst alle anderen Akteurinnen, also Eltern, Trainerinnen, Lehrerinnen und andere Beteiligte wie freiwillige Sporthelferinnen und viele mehr, gehindert werden. Die Eltern sind diejenigen, die ihre Kinder prägen – gerade im Bewegungskontext. Aber: Die Umsetzung, den Transfer, den können wir nur alle gemeinsam gestalten.

Welche Rolle spielt die Wissenschaft an der Stelle?

Wir wissen oft nicht so genau, wo die Stolpersteine in der Praxis liegen, was die Akteurinnen und Akteure benötigen. Wenn wir in einen Dialog treten und zusammenarbeiten, dann können wir mit unserer Arbeit, der Forschung, genau dort ansetzen, wo Erkenntnisse gebraucht werden. So können wir fundiertes Wissen weitergeben. Hier setzt beispielsweise das von uns gegründete Bewegungs- Spiel- und Sportlabor besslab an. Es braucht in diesem Netzwerk aber viele Partner*innen: Politik, den organisierten Sport, die Universitäten und Hochschulen, die Eltern, das System Schule, in dem übrigens höchst multiprofessionelle Teams im Bereich Sport und Bewegung arbeiten. Wir schaffen das nur gemeinsam.

Wie sieht das System Ganztag in Ihrer Idealvorstellung aus?

Kehne (lacht): Davon sind wir leider noch entfernt, aber: In der idealen Welt müssten wir den Alltag an Grundschulen komplett anders rhythmisieren. Das bedeutet, wir würden nicht mehr unterscheiden zwischen einem kognitiven Vormittagsbereich (Deutsch, Mathe, Englisch, Sachkunde und so weiter) und einer Betreuungssituation am Nachmittag. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, die Bewegung und die kognitiven Aspekte im Ganztag zu durchmischen. Wir wissen schließlich durch zahlreiche Studien, dass Bewegung für das kognitive Lernen eine hohe Relevanz besitzt: Auswendiglernen funktioniert besser, wenn man sich bewegt, also durch den Raum läuft. Nach dem Spielen draußen können sich Kinder besser auf ihre Hausaufgaben konzentrieren. Wir könnten Bewegung auch lernbegleitend sehen. Kinder entwickeln sich durch Bewegung, lernen ihre Umwelt kennen. Bewegung bringt viele Vorteile mit sich, und das ist etwas, das wir uns mehr zunutze machen sollten – und das ist aus meiner Perspektive leider immer noch nicht vollends in der Gesellschaft und auch Politik angekommen.

Prof. Dr. Miriam Kehne, Department Sport & Gesundheit der Universität Paderborn, Tel: +49 5251 60-5308, E-Mail: miriam.kehne@upb.de

Weitere Informationen:

https://www.kiju-sport.nrw/wp-content/uploads/FKJ-Positionspapier-Ganztag_2022-1… Positionspapier des Forschungsverbundes Kinder- und Jugendsport NRW (PDF)

Gesa Seidel, Universität Paderborn




Unser Tipp für die Feiertage: rausgehen, bewegen, Spaß haben!

Kinder und Jugendliche bewegen sich zu wenig. Das hat Folgen für die geistige und körperliche Entwicklung

Die Zahlen sind alarmierend. Kinder und Jugendliche bewegen sich viel zu wenig. Sportwissenschaftler des WHO-Kooperationszentrums für Bewegung und Public Health an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben jetzt im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) auf Grundlage nationaler und internationaler Empfehlungen eine Bestandsaufnahme zu „Bewegungsförderung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ entwickelt.

Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge sollten sich Säuglinge und Kleinkinder so viel wie möglich, Kindergartenkinder mindestens 180 Minuten pro Tag und Schulkinder und Jugendliche mindestens 60 Minuten pro Tag bewegen. Nationale Studien zeigen, dass der Anteil der Vier- bis Fünfjährigen, die sich ausreichend bewegen, unter 50 Prozent liegt und mit steigendem Alter sukzessive abnimmt. Unter den Elf- bis 17-Jährigen sind weniger als 20 Prozent ausreichend aktiv – Mädchen noch weniger als Jungen.

Bewegungsmangel hat sich verschärft

In diesem Kontext hat das BMG das WHO-Kooperationszentrum für Bewegung und Public Health an der FAU damit beauftragt, eine Informationsgrundlage für die Weiterentwicklung politischer Maßnahmen zu erarbeiten, um dem Bewegungsmangel entgegenzuwirken. Seit 2014 ist das Department für Sportwissenschaft und Sport WHO-Kooperationszentrum. Erst im März war die Zusammenarbeit für die kommenden vier Jahre verlängert worden. Das BMG unterstützt die Aktivitäten des WHO-Kooperationszentrums für Bewegung und Public Health seit 2020 mit einem jährlichen finanziellen Zuschuss.

Bedingt durch die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen und Schließungen von Sportstätten, Kitas und Schulen hat sich der Bewegungsmangel weiter verschärft. „Mit der Bestandsaufnahme haben wir eine kompakte Übersicht über den aktuellen Stand der Bewegungsförderung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland erstellt, die auf die Bedürfnisse des Bundesministeriums für Gesundheit zugeschnitten ist und sich an Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus Politik und Praxis richtet“, sagt Prof. Dr. Klaus Pfeifer, Leiter des Arbeitsbereichs Bewegung und Gesundheit am Department für Sportwissenschaft und Sport der FAU. „Die Corona-Pandemie hatte dramatische Auswirkungen auf das Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Daher ist es nun wichtig, eine klare politische Strategie zur Bewegungsförderung zu entwickeln und dabei wissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen“, erklärt Pfeifer.

Umfangreicher Empfehlungskatalog

Die Bestandsaufnahme enthält für Politik, Bildungseinrichtungen und weitere Akteure des Bewegungssektors einen umfangreichen Empfehlungskatalog, der auf diversen Initiativen auf nationaler und europäischer Ebene sowie dem Globalen Aktionsplan für Bewegung der WHO aufbaut. Dazu zählen unter anderem, zukünftige Eltern und junge Familien über die Bedeutung von Bewegung zu informieren, Programme für Familien einzurichten, um das aktive Spielen der Kinder zu fördern sowie Eltern aktiv in die Bewegungsförderung ihrer Kinder einzubeziehen. Auf Kindergarten- und Kita-Ebene empfehlen die Wissenschaftler*innen eine landesweite Implementierung von Programmen zur Bewegungsförderung, ebenso die Qualifizierung von Erzieher*innen und pädagogischen Fachkräften.

Was den Schulweg betrifft, sollen das Zufußgehen sowie Radfahr- und Verkehrssicherheitstrainings für Kinder gefördert werden. Zudem ist die Stadtplanung gefragt, für sichere Verkehrswege und wohnortnahe Geschäfte, Schulen, Dienstleistungen, Parks, Erholungseinrichtungen, aber auch gute Geh- und Radwege zu sorgen.

Etablierte Maßnahmen weiterführen

Vielerorts haben sich bereits gute Bewegungspraktiken etabliert. So gehören etwa Wandertage, Eltern-Kind-Turnen, Waldtage oder tägliches Rausgehen zur Routine in vielen Einrichtungen. Die Reichweite und Effektivität dieser Bewegungsförderung sollte den Schlussfolgerungen der Bestandsaufnahme zufolge erhöht und regelmäßig überprüft werden. Auch wird darin ein systematisches Monitoring der Politik in Sachen Bewegungsförderung gefordert – und zwar sowohl auf nationaler Ebene als auch in den Bundesländern und Kommunen. Eine stärkere Vernetzung relevanter Organisationen über politische Ebenen und Sektoren hinweg ist notwendig, um die Bewegungsförderung in Deutschland strukturell zu stärken, lautet ein weiteres Fazit.

Die Bestandsaufnahme ergänzt bestehende politische Aktivitäten der Bundesregierung zur Bewegungsförderung für Kinder und Jugendliche. Das Bundesinnenministerium und das BMG richteten im Dezember 2022 gemeinsam einen Bewegungsgipfel aus, und 2023 werden weitere Maßnahmen mit dem „Zukunftspaket für Bewegung, Kultur und Gesundheit“ des Bundesfamilienministeriums finanziell gefördert. Zudem bringt das BMG Vertreterinnen und Vertreter verschiedener politischer Ebenen und Sektoren zu einem Runden Tisch „Bewegung und Gesundheit“ zusammen, an dem Prof. Dr. Pfeifer als Vertreter des WHO-Kooperationszentrums teilnimmt. „Ich freue mich, dass das Bundesministerium für Gesundheit mit dem Runden Tisch einen Austausch über politische Sektoren hinweg fördert, und bringe dort gerne unsere vielfältigen Erfahrungen ein. Besonders wichtig ist aus meiner Sicht, bestehende Aktivitäten besser zu vernetzen und Synergieeffekte zu nutzen, beispielsweise durch die Schaffung eines Nationalen Zentrums für Bewegungsförderung“, sagt Prof. Klaus Pfeifer.

Die Bestandsaufnahme „Bewegungsförderung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ ist als PDF online verfügbar.

Blandina Mangelkramer, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg




Wir müssen die Kinder in Bewegung bringen

Kindergesundheitsbericht der Stiftung offenbart dramatischen Bewegungsmangel

Dass sich unsere Kinder deutlich mehr bewegen sollten, fordern medizinische wie pädagogische Fachkräfte schon seit langer Zeit. Schließlich sollen sich die Kinder gesund entwickeln können. Leider verhallen diese Forderungen meist. Rund 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland bewegen sich nach wie vor nicht ausreichend, beklagt die Stiftung Kindergesundheit in ihrem „Kindergesundheitsbericht“. Stattdessen verbringen sie mehr Zeit vor dem Bildschirm, können oft keinen Purzelbaum mehr schlagen und riskieren zu „Couch Potatoes“ zu werden.

„Bewegung ist für die Gesundheit und das Wohlbefinden eines Kindes von fundamentaler Bedeutung“, unterstreicht der Münchner Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Schon bei Kindern und Jugendlichen und natürlich auch bei erwachsenen Frauen und Männern geht mangelnde körperliche Aktivität mit erheblichen gesundheitlichen Risiken einher. Durch Trägheit begünstigt werden beispielsweise Übergewicht und Adipositas, Typ-2-Diabetes, ein erhöhter Blutdruck und Störungen des Fett- und Blutzuckerstoffwechsels“.

60 Minuten Bewegung am Tag

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt aus gutem Grund allen heranwachsenden Mädchen und Jungen, sich jeden Tag mindestens 60 Minuten lang mit moderater bis hoher Intensität körperlich zu bewegen, zum Beispiel durch Laufspiele, Klettern, Fahrradfahren oder Schwimmen.

Nur jedes vierte Kind bewegt sich genug!

Dieses wünschenswerte Mindestmaß an Bewegung erreichen in Deutschland laut aktuellen Daten allerdings nur 25 Prozent der Kinder und Jugendlichen, heißt es im „Kindergesundheitsbericht“ der Stiftung. „Das bedeutet: Drei von vier Kindern und Jugendlichen leiden unter einem potentiell gesundheitsgefährdenden Bewegungsmangel!“, betont Professor Dr. Berthold Koletzko.
Bundesweiten Studien zufolge sind vier- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche während einer ganzen Woche lediglich etwa sechs Stunden körperlich aktiv, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. Besonders viele „Sitzenbleiber“ gibt es unter den Teenagern: Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren bewegen sich am wenigsten. Dabei liegt die Zahl der nur gering aktiven Mädchen doppelt so hoch wie die der bewegungsfaulen Jungen.

Mediennutzung verführt zu Trägheit

Die Dauer und Häufigkeit der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland nimmt schon seit Jahren zu, hat jedoch durch die Covid-19-Pandemie auch zu einer Zunahme an problematischem Medienverhalten geführt, berichtet die Stiftung Kindergesundheit.

Viele Kinder verbringen ihre Freizeit auf dem Sofa. Fernsehen, Computerspiele, Smartphones und Spielekonsolen – die beliebtesten Freizeitbeschäftigungen von Kindern und Jugendlichen verdrängen Sport und außerhäusliche Aktivitäten.

Benachteiligte Kinder am wenigsten aktiv

Neben dem Alter und dem Geschlecht beeinflusst auch der Sozialstatus der Kinder und Jugendlichen das Bewegungsverhalten, heißt es im „Kindergesundheitsbericht“. Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigerem sozioökonomischen Status bewegen sich weniger als Kinder und Jugendliche aus bessergestellten Familien, zeigen eine deutlich geminderte Lebensqualität und leiden vermehrt unter depressiven Symptomen und psychischen Auffälligkeiten.

Zu den besonders benachteiligten Kindern gehören solche, deren Eltern eine geringe Bildung oder einen Migrationshintergrund haben oder psychisch belastet sind und Kinder in Familien, die auf beengtem Raum leben. Mädchen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus sind insgesamt am wenigsten körperlich aktiv.

Programm „TigerKids“ soll Kinder auf die Beine bringen

Allen Kindern und Jugendlichen sollten mehr Möglichkeiten und Räume für Sport- und Bewegungsaktivitäten in Alltag und Freizeit bereitgestellt werden, fordert die Stiftung Kindergesundheit.

Da die Grundlagen für eine gesunde Entwicklung bereits im frühen Lebensalter gelegt werden, hat die Stiftung Kindergesundheit gemeinsam mit der Kinderklinik der Universität München und verschiedenen weiteren Partnern das Präventionsprojekt „TigerKids“ zur Ernährungs- und Bewegungsintervention für Kindertageseinrichtungen entwickelt.

„Unser Programm ‚TigerKids‘ fördert Bewegung und gesunde Ernährung in Kindertageseinrichtungen, um Bewegungsmangel und Übergewicht vorzubeugen“ erläutert Professor Berthold Koletzko: „Es ist wissenschaftlich fundiert und wird mittlerweile von mehr als 2.500 Kindergärten und Kitas genutzt“.

Das Programm „TigerKids“ enthält auch Empfehlungen für die Eltern, wie sie unkompliziert mehr Bewegung in den Alltag ihres Kindes einfließen lassen können. Sie lauten:

  1. Reduktion von Medienkonsum: Konsumieren Sie max. 0,5 bis 1 Stunde Medien am Tag, legen Sie medienfreie Tage fest.
  2. Bewegung im Alltag: Legen Sie Distanzen zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurück, nutzen Sie Treppen statt Rolltreppen, beobachten Sie Ihre Schrittanzahl mit Hilfe eines Schrittzählers und vergleichen Sie innerhalb der Familie.
  3. Bewegung leicht gemacht: Kleiden Sie Ihr Kind in bequeme Kleidung, um Bewegung zu begünstigen.
  4. Mehr Kreativität in der Freizeit: Nutzen Sie das Angebot des Sportvereins, gestalten Sie das Wochenende aktiv (z.B. Wandern, Zoobesuch, Spielplatz, Schwimmbad).
  5. Ein gutes Vorbild sein: Beachten Sie, dass Kinder Ihr Verhalten nachahmen. Vermitteln Sie Freude an der Bewegung, spielen und bewegen Sie sich mit.

Das TigerKids-Projekt der Stiftung Kindergesundheit dient mittlerweile in vielen weiteren europäischen Ländern als Modell für die Entwicklung von Präventionsmaßnahmen und wurde bereits vielfach ausgezeichnet.

Giulia Roggenkamp, Stiftung Kindergesundheit