Suchtverhalten am Bildschirm: Wenn digitale Medien Kinderseelen belasten

Neue JAMA-Studie zeigt: Nicht die Dauer der Nutzung, sondern das „Wie“ entscheidet über psychische Risiken

Kinder und Jugendliche, die ein suchtartiges Nutzungsverhalten bei Social Media, Smartphones oder Videospielen zeigen, haben ein deutlich höheres Risiko für psychische Probleme – bis hin zu Suizidgedanken oder suizidalem Verhalten. Das ist das zentrale Ergebnis einer groß angelegten US-amerikanischen Langzeitstudie, die am 18. Juni 2025 im renommierten Fachjournal JAMA veröffentlicht wurde.

Die Forscher:innen werteten die Daten von 4.285 Kindern aus, die zu Beginn der Studie neun oder zehn Jahre alt waren. Über einen Zeitraum von vier Jahren wurden sie regelmäßig zu ihrem Umgang mit digitalen Medien und zu ihrer seelischen Verfassung befragt. Dabei zeigte sich: Kinder, die über die Jahre hinweg ein zunehmend zwanghaftes Nutzungsverhalten entwickelten – etwa, indem sie trotz Vorsatz nicht aufhören konnten, sich nervös fühlten, wenn sie offline waren oder zunehmend soziale Kontakte und schulische Verpflichtungen vernachlässigten –, hatten ein mehr als doppelt so hohes Risiko, suizidales Verhalten zu zeigen, als Kinder mit geringem oder unproblematischem Medienkonsum. Auch depressive Symptome wie Rückzug, Angst oder Antriebslosigkeit traten in dieser Gruppe deutlich häufiger auf.

Suchtverhalten ist nicht gleich Bildschirmzeit

Interessanterweise spielte die bloße Dauer der Bildschirmzeit keine entscheidende Rolle. Entscheidend war, ob die Nutzung mit Kontrollverlust, Entzugsgefühlen oder innerem Druck verbunden war. Die Studienautor*innen sprechen daher von „addiktiven Nutzungsmustern“, die von der Oberfläche her vielleicht harmlos wirken – aber tiefgreifende Folgen für das seelische Gleichgewicht junger Menschen haben können.

„Diese Muster wären anhand der bloßen Nutzungszeit zu Beginn nicht vorhersagbar gewesen“, betont Dr. Yunyu Xiao, Erstautorin der Studie und Assistenzprofessorin für psychische Gesundheit an der Weill Cornell Medical School. „Gerade das macht sie so tückisch. Wir sehen, dass es nicht reicht, Kinder einfach weniger ans Handy zu lassen – wir müssen verstehen, wie sie es nutzen und warum.“

Was die Studie so aussagekräftig macht

Die Studie ist Teil der sogenannten Adolescent Brain Cognitive Development (ABCD) Study, einer der größten und umfassendsten Langzeitstudien zur Entwicklung des kindlichen Gehirns weltweit. Seit 2016 begleitet sie über 11.000 Kinder aus den USA mit regelmäßigen Befragungen, psychologischen Tests, bildgebender Diagnostik und Berichten aus Schule und Familie. Für die vorliegende Auswertung wurden standardisierte Fragebögen zu Suchtverhalten bei digitalen Medien mit Fragen zur psychischen Gesundheit kombiniert – darunter auch zur Suizidalität, inneren Unruhe, Depressivität und aggressivem Verhalten.

Was Eltern und Pädagog:innen jetzt wissen müssen

Was bedeutet das für Eltern, Erzieher:innen und Lehrkräfte? Die Studienergebnisse zeigen vor allem eines: Es ist nicht die reine Bildschirmzeit, die das Risiko für seelische Belastungen erhöht. Vielmehr geht es um den Charakter der Nutzung – ob sie kontrolliert, beiläufig und eingebettet in soziale Beziehungen erfolgt, oder ob sie sich verselbstständigt, als Rückzugsraum dient oder emotionale Regulation ersetzt. „Viele Jugendliche nutzen ihr Handy oder Social Media, um negative Gefühle zu betäuben oder Konflikte zu vermeiden“, erklärt Xiao. „Aber das kann in eine Spirale führen, die sie noch verletzlicher macht.“

Eltern und pädagogische Fachkräfte sollten daher weniger mit der Stoppuhr an die Mediennutzung herangehen, sondern vielmehr beobachten, wie sich ein Kind beim und nach dem Konsum fühlt. Wirkt es gereizt, wenn es offline gehen soll? Zieht es sich zunehmend zurück? Spricht es kaum noch über andere Interessen? All das können Hinweise auf eine beginnende Problemnutzung sein.

Prävention beginnt mit Beziehung – nicht mit Verboten

Die Studienautor:innen plädieren für einen bewussteren, begleitenden Umgang mit Medien – und für regelmäßige Gespräche über das, was Kinder und Jugendliche online erleben. „Pädiater:innen und schulische Bezugspersonen könnten viel bewirken, wenn sie wiederholt und frühzeitig nach dem Wie der Nutzung fragen – nicht erst, wenn ein Kind bereits deutliche Symptome zeigt“, so Xiao.

Finanziert wurde die Studie unter anderem vom US-amerikanischen National Institute of Mental Health, der American Foundation for Suicide Prevention sowie von Google. Die Forscher:innen betonen, dass weitere Untersuchungen nötig sind, um die Langzeitfolgen und individuelle Schutzfaktoren besser zu verstehen. Klar ist aber schon jetzt: Digitale Medien prägen die Lebenswelt junger Menschen – und der Weg in die Abhängigkeit ist oft schleichend.

Quelle: Xiao Y, Meng Y, Brown TT, Keyes KM, Mann JJ. Addictive Screen Use Trajectories and Suicidal Behaviors, Suicidal Ideation, and Mental Health in US Youths. JAMA. 18. Juni 2025. DOI: 10.1001/jama.2025.7829




Luftballontest: Zwei Produkte mit krebserregenden Nitrosaminen belastet

Öko-Test findet in mehreren Luftballons gesundheitsschädliche Stoffe – zwei Produkte überschreiten gesetzliche Grenzwerte deutlich.

Luftballons bringen Freude, können aber auch gefährlich sein: Wie ein aktueller Test von Öko-Test zeigt, enthalten zwei von 20 getesteten Luftballon-Produkten deutlich zu hohe Mengen an krebserregenden Nitrosaminen. Diese Stoffe gelten als genotoxisch – sie können schon in kleinen Mengen das Erbgut schädigen und Krebs auslösen.

Diese Luftballon-Marken fallen im Test durch

Besonders stark belastet sind die Joooy Balloons von Fengermaoyi, die über Amazons Marktplatz verkauft werden. Die gemessenen Nitrosamin-Gehalte überschreiten den gesetzlichen Grenzwert fast um das Dreifache. Auch die Tib Luftballons 30 x, verkauft bei Kik, liegen über dem gesetzlichen Limit. Beide Produkte erhalten die Note „ungenügend“. Die Let’s Party! Balloons 10 x von Tedi fielen mit „mangelhaft“ durch, da sie stark erhöhte Gehalte aufweisen.

Trotz Warnhinweisen: Ballons werden oft mit dem Mund aufgeblasen

Der Gesetzgeber schreibt bereits seit 2009 Grenzwerte für Nitrosamine in Spielzeugen vor, die mit dem Mund in Kontakt kommen können – was bei Luftballons oft der Fall ist. Zwar weisen einige Packungen darauf hin, eine Luftpumpe zu verwenden, doch viele Menschen pusten Luftballons weiterhin mit dem Mund auf.

Immerhin: 14 der getesteten Produkte enthalten keine oder nur sehr geringe Spuren problematischer Substanzen und schneiden mit „gut“ oder „sehr gut“ ab.

Alle Testergebnisse im Überblick – hier finden Sie weitere Infos

Die vollständigen Testergebnisse finden sich in der Juliausgabe des Öko-Test Magazins (ab 26. Juni im Handel) sowie online unter oekotest.de/15536.

Quelle: Pressemitteilung Öko-Test




Das Risiko für sozial-emotionale Probleme steigt mit der Bildschirmzeit

Große Metaanalyse warnt vor wechselseitigem Zusammenhang – besonders beim Gaming und bei fehlender Alltagsstruktur

Digitale Medien gehören für Kinder heute selbstverständlich zum Alltag. Doch wie wirken sich Bildschirmzeiten auf die emotionale und soziale Entwicklung aus? Eine aktuelle Metaanalyse, eben im Psychological Bulletin (Sanders et al., 2024) veröffentlicht, bietet fundierte und differenzierte Antworten – mit wichtigen Implikationen für die pädagogische Praxis.

Die Untersuchung wurde unter Leitung von Dr. Michael Noetel von der University of Queensland durchgeführt und analysiert Daten aus 117 Längsschnittstudien mit rund 292.000 Kindern weltweit im Alter bis zu zehn Jahren. Es handelt sich um eine der bisher umfassendsten Studien zu diesem Thema.

Wechselseitiger Zusammenhang: Bildschirmzeit und sozioemotionale Entwicklung

Die Analyse zeigt: Kinder, die sehr viel Zeit mit digitalen Medien verbringen, zeigen häufiger Auffälligkeiten im Sozialverhalten und im emotionalen Erleben – etwa Rückzug, Gereiztheit oder impulsives Verhalten. Umgekehrt neigen Kinder, die bereits mit sozial-emotionalen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, dazu, sich verstärkt digitalen Medien zuzuwenden – oft als Strategie zur Ablenkung oder Stressbewältigung.

„Wir fanden heraus, dass erhöhte Bildschirmzeit zu emotionalen und Verhaltensproblemen führen kann – und umgekehrt neigen Kinder mit solchen Problemen dazu, vermehrt Bildschirmangebote zu nutzen“, so Studienleiter Dr. Michael Noetel.

Besonders stark waren diese Zusammenhänge im Bereich des Gamings. Spiele fungieren häufig nicht nur als Zeitvertreib, sondern auch als emotionales Ventil. Daraus ergibt sich für pädagogische Fachkräfte ein besonderer Beobachtungsauftrag: In welchem Kontext und mit welcher Funktion nutzen Kinder digitale Spiele?

Wie viel ist „zu viel“?

Die Studie selbst setzt keine festen Grenzwerte, doch im Abgleich mit internationalen Empfehlungen (z. B. WHO, American Academy of Pediatrics) lässt sich sagen:

  • Für Kinder von drei bis unter sechs Jahren gilt: nicht mehr als eine Stunde Bildschirmzeit täglich, immer begleitet von einer Bezugsperson.
  • Für Grundschulkinder sind ein bis zwei Stunden täglich in Ordnung – sofern genügend Zeit für Schlaf, Bewegung und soziale Aktivitäten bleibt.

Übermäßige Nutzung beginnt dort, wo diese Schutzfaktoren systematisch verdrängt werden – etwa wenn Kinder schlechter schlafen, seltener draußen spielen oder soziale Kontakte durch Medienkonsum ersetzt werden. Besonders riskant ist exzessives Gaming, das nicht selten mehr als drei Stunden täglich in Anspruch nimmt und dabei kaum pädagogisch begleitet wird.

„Kinder, die mit emotionalen oder sozialen Problemen ringen, nutzen Bildschirme oft zur Flucht oder zur Bewältigung – aber das kann sie in einen Kreislauf führen, der ihre Entwicklung zusätzlich belastet“, warnt Roberta Vasconcellos von der Australian Catholic University, Co-Autorin der Studie.

Kleine Effekte – große Wirkung

Obwohl die Effektstärken im Durchschnitt gering bis moderat sind, weisen die Forschenden darauf hin, dass sich solche Einflüsse über Jahre hinweg kumulativ auswirken können. Gerade im pädagogischen Alltag, wo Prozesse über längere Zeiträume begleitet werden, ist diese Erkenntnis zentral (vgl. Funder & Ozer, 2019).

Nicht nur die Dauer zählt

Die Studie betont, dass es bei Bildschirmzeit nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität und Kontext geht. Wenn Kinder altersgerechte, lehrreiche Inhalte konsumieren und gleichzeitig ausreichend Schlaf, Bewegung und soziale Bindungen erleben, sind negative Auswirkungen unwahrscheinlich. Kritisch wird es, wenn Medienkonsum zur Hauptstrategie im Umgang mit Emotionen wird – etwa bei Stress, Frustration oder Langeweile.

„Unsere Ergebnisse sprechen nicht gegen Bildschirmnutzung per se – sondern für Richtlinien, die auch auf Inhalte und soziale Einbettung achten“, so das Fazit der Autorengruppe.

Altersunterschiede: Ein Desiderat

Die Metaanalyse differenziert nicht explizit nach Altersgruppen – ein Umstand, den Fachkräfte im Alltag selbstständig mitdenken müssen. Denn es ist offenkundig: Ein fünfjähriges Kind nutzt Medien anders als ein Zehnjähriger – in Funktion, Umfang und Wirkung. Altersdifferenzierte Forschung wäre wünschenswert, um die medienpädagogische Arbeit gezielter ausrichten zu können.

Kinder unter drei Jahren haben dagegen grundsätzlich nichts vor einem Bildschirm zu suchen. Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen das seitens vieler Pädagog*innen, Träger und der Bildungsindustrie nur teilweise anerkannt wird – was zu nachhaltigen Schäden bei Kindern führen kann.

Gernot Körner

Wir empfehlen:

Digitale Medien in der frühen Kindheit? Nein – nicht vor dem dritten Lebensjahr!

Kinder unter drei Jahren gehören nicht vor den Bildschirm. Dennoch hält digitale Mediennutzung zunehmend Einzug in Krippe, Kita und Grundschule – oft ohne fundierte Prüfung. Diese Streitschrift fordert: Keine digitalen Inhalte ohne wissenschaftliche Bewertung! Und: Medienkompetenz beginnt mit kritischem Denken – nicht mit früher Nutzung.

Ein Appell für verantwortungsvolle Pädagogik im digitalen Zeitalter.. Für alle, die Kinder heute pädagogisch klug begleiten wollen.

Armin Krenz: Medienkompetenz beginnt mit der Sach- und Selbstkompetenz bei den Erwachsenen und nicht zuvorderst „am“ Kind!, Broschüre, 28 Seiten, ISBN: 978-3-96304-619-3, 5 €.




Hitzeschutz für Kinder: So bleiben Kinder bei Sommerhitze gesund

Wie Familien, Kitas und Schulen Kinder vor hohen Temperaturen und UV-Strahlung schützen können

Wenn draußen die Temperaturen steigen, brauchen Kinder besonderen Schutz. Denn ihr Körper kann Hitze weniger gut ausgleichen als der von Erwachsenen. Das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit gibt Tipps, wie Kinder trotz Hitzewelle gesund durch den Sommer kommen – mit vielen praktischen Empfehlungen und kostenlosen Materialien für Familien, Kitas und Schulen.

Kinder besonders gefährdet bei Hitze und UV-Strahlung

Die Sommer werden immer heißer – und das spüren auch die Kleinsten. Gerade Kinder reagieren empfindlich auf hohe Temperaturen und intensive UV-Strahlung. Mögliche Symptome bei Hitzebelastung sind Kopfschmerzen, Erschöpfung, Schwindel oder Kreislaufprobleme. Schon wenige Minuten in der prallen Sonne können einen Sonnenstich oder Sonnenbrand verursachen – beides kann ernsthafte gesundheitliche Folgen haben.

Auch die empfindliche Kinderhaut ist durch stärkere UV-Strahlung besonders gefährdet. Ohne ausreichenden Schutz steigt das Risiko für Sonnenbrand und langfristige Hautschäden. Wichtig ist deshalb: rechtzeitig vorsorgen – nicht erst, wenn die Sonne brennt!

Hitze? Diese Schutzmaßnahmen helfen Kindern besonders gut

Damit Kinder auch an heißen Tagen gesund bleiben, empfiehlt das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit folgende Maßnahmen:

  • 💧 Viel trinken: Kinder sollten regelmäßig Wasser oder ungesüßte Tees trinken – auch ohne Durstgefühl
  • 🧢 Kopf schützen: Ein Sonnenhut oder eine Kappe sind ein Muss in der Sonne
  • 🧴 Sonnenschutz auftragen: Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor (mind. LSF 30), regelmäßig nachcremen!
  • 😎 Augen schützen: Sonnenbrillen mit UV-Schutz bewahren Kinderaugen vor langfristigen Schäden
  • 👕 Leichte Kleidung: Helle, lockere Kleidung schützt vor Überhitzung und Sonnenstrahlen
  • 🏠 Schatten und kühle Räume nutzen: Zwischen 11 und 17 Uhr möglichst im Schatten oder drinnen bleiben
  • 🍉 Frische Snacks: Obst, Gemüse und leichte Mahlzeiten stärken den Kreislauf
  • 🪟 Wohnräume kühl halten: Frühmorgens und abends lüften, tagsüber abdunkeln

Gut vorbereitet: Tipps & Materialien für Familien und Einrichtungen

Ob zu Hause, in der Kita oder in der Schule – Hitzeschutz braucht Vorbereitung. Auf der Website des Bundesinstituts finden sich viele hilfreiche Informationen:

Quelle: Pressemitteilung Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit




Bio & regional: Nachhaltige Ernährung in Kitas und Schulmensen fördern

Wie Kitas und Schulen mit bioregionaler Verpflegung zu mehr Nachhaltigkeit und Bildungsqualität beitragen können

Immer mehr Kinder essen täglich in Kitas oder Schulmensen. Gerade dort, wo junge Menschen viele Jahre verbringen, liegt ein großer Hebel für gesunde, nachhaltige und bewusste Ernährung. Eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim und des Beratungsunternehmens ÖKONSULT zeigt: Bioregionale Lebensmittel könnten deutlich häufiger auf den Tisch kommen – wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

Ziel der Studie war es, konkrete Wege aufzuzeigen, wie mehr regionale und ökologische Produkte in die Gemeinschaftsverpflegung gelangen können. Denn obwohl es viele gute Beispiele gibt, ist die Umsetzung im Kita- und Schulalltag noch ausbaufähig. Zehn praxisnahe Handlungsempfehlungen helfen nun dabei, nachhaltige Ernährung besser zu verankern – auch und gerade in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche.

Warum bioregional in Kita und Schule?

Etwa 15 bis 18 Millionen Menschen essen in Deutschland täglich in Einrichtungen mit Gemeinschaftsverpflegung – darunter Millionen Kinder. Die tägliche Verpflegung bietet damit eine riesige Chance für die nachhaltige Transformation unseres Ernährungssystems. Ziel des Landes Baden-Württemberg ist es zum Beispiel, den Anteil an bioregionalen Lebensmitteln in der Gemeinschaftsverpflegung bis 2030 auf 30 bis 40 Prozent zu steigern.

Für Kitas und Schulen bedeutet das nicht nur ökologisch sinnvoll zu handeln, sondern auch Bildungsarbeit zu leisten. Kinder lernen durch tägliches Erleben, was gesunde Ernährung bedeutet, woher Lebensmittel kommen und warum regionale Kreisläufe wichtig sind.

Zehn Impulse für die Praxis

Das Projekt „BioRegioKantine“ hat auf Grundlage von wissenschaftlicher Literatur und Expert:inneninterviews folgende Empfehlungen formuliert, die auch für Kitas und Schulen relevant sind:

  1. Klare Ziele setzen
    Kommunen oder Träger können verbindliche Vorgaben beschließen, etwa einen bestimmten Bio-Anteil im Speiseplan – das schafft Orientierung für Küchen, Caterer und Einrichtungsleitungen.
  2. Nachhaltigkeit in Ausschreibungen verankern
    Bei der Vergabe von Verpflegungsleistungen sollten ökologische Kriterien wie Bio-Qualität ausdrücklich berücksichtigt werden. Für die Regionalität gibt es kreative Spielräume, etwa über Anforderungen an Frische oder saisonale Produkte.
  3. Frischeküchen stärken
    Einrichtungen mit eigenen Küchen oder in kommunaler Trägerschaft haben mehr Einfluss auf die Herkunft der Produkte und die Gestaltung der Speisepläne.
  4. Koordination und Vernetzung ermöglichen
    Regelmäßiger Austausch zwischen Küchenpersonal, Trägern und regionalen Erzeuger:innen hilft, Herausforderungen zu lösen und Synergien zu nutzen. Dafür braucht es Koordinierungsstellen vor Ort.
  5. Lieferstrukturen verbessern
    Für kleinere Einrichtungen ist es oft schwierig, regelmäßig regionale Produkte zu beziehen. Bündelungslösungen, z. B. über zentrale Lieferdienste, können hier Abhilfe schaffen.
  6. Digitale Plattformen nutzen
    Online-Angebote, die Produzent:innen mit Küchen vernetzen, vereinfachen die Bestellung und machen das regionale Angebot sichtbarer.
  7. Verarbeitung regionaler Produkte fördern
    Viele Kitas und Schulen sind auf vorverarbeitete Lebensmittel angewiesen. Dafür braucht es lokale Betriebe, die z. B. Gemüse waschen, schneiden und portionieren – auch hier kann kommunale Förderung ansetzen.
  8. Fortbildungen für Küchen und Pädagogik
    Schulungen für Küchenpersonal und pädagogisches Fachpersonal schaffen Wissen und Motivation – von der nachhaltigen Speiseplanung bis zur Ernährungsbildung mit Kindern.
  9. Küchenberufe aufwerten
    Gute Arbeitsbedingungen, faire Bezahlung und Wertschätzung sind nötig, um qualifiziertes Personal für Kita- und Schulverpflegung zu gewinnen und zu halten.
  10. Kinder aktiv einbinden
    Neue Gerichte und Konzepte stoßen eher auf Akzeptanz, wenn Kinder mitgestalten dürfen – etwa über Umfragen, Geschmackstests oder gemeinsame Projekte zur Herkunft von Lebensmitteln.

Ernährung als Bildungschance nutzen

Nachhaltige Ernährung in Kitas und Schulen ist mehr als eine Frage des Speiseplans – sie ist Teil der Bildungsarbeit. Eine durchdachte Gestaltung der „Ernährungsumgebung“, also etwa der Speiseräume, der Kommunikation über Gerichte und die Einbindung der Kinder, fördert das Verständnis für eine bewusste, zukunftsfähige Ernährung.

Einrichtungen, die diesen Weg gehen möchten, können sich an den Handlungsempfehlungen orientieren. Die vollständige Studie und weitere Materialien stehen unter folgendem Link zur Verfügung:
👉 https://sta.uni-hohenheim.de/BioregioKantine

Gernot Körner




Der Wohlstand hinterlässt seine Spuren im Erbgut

Kinder aus einkommensstarken Familien altern auf zellulärer Ebene langsamer: Was die Telomerlänge über soziale Ungleichheit verrät

Kinder aus finanziell benachteiligten Familien zeigen bereits im Grundschulalter biologische Unterschiede, die mit einer beschleunigten Zellalterung in Verbindung stehen. Das belegt eine europaweite Studie unter Leitung der Imperial School of Public Health, veröffentlicht im Fachjournal „The Lancet Regional Health – Europe“. Demnach hatten Kinder aus wohlhabenderen Haushalten im Schnitt etwa fünf Prozent längere Telomere – jene Schutzkappen an den Enden der Chromosomen, die als Biomarker für den Alterungsprozess gelten.

Biologische Ungleichheit beginnt im Kindesalter

Die Telomerlänge gilt in der medizinischen Forschung als Indikator für das biologische Alter einer Zelle. Kürzere Telomere sind mit einem erhöhten Risiko für chronische Erkrankungen und einer verkürzten Lebenserwartung verbunden. Die neuen Studienergebnisse legen nahe, dass sich die sozioökonomische Ausgangslage von Kindern bereits auf zellulärer Ebene widerspiegeln kann – lange bevor sich gesundheitliche Ungleichheiten im klinischen Bild zeigen.

„Unsere Daten zeigen, dass sich soziale Unterschiede auf biologischer Ebene manifestieren – und das bereits in jungen Jahren“, sagt Studienleiter Dr. Oliver Robinson. Er weist darauf hin, dass Kinder aus weniger wohlhabenden Verhältnissen durch ihre Umweltbedingungen biologisch schneller altern könnten. Diese Entwicklung entspreche auf zellulärer Ebene einem Unterschied von bis zu zehn Jahren.

Telomeres are protective caps on the end of chromosomes. Cell, chromosome and DNA vector illustration

Stresshormon Cortisol: Indikator, aber kein Vermittler

Parallel zur Telomermessung wurde auch das Stresshormon Cortisol im Urin der Kinder erfasst. Kinder aus Haushalten mit mittlerem und hohem Wohlstand wiesen im Schnitt 15 bis 23 Prozent niedrigere Cortisolwerte auf als Kinder mit geringem familiären Wohlstand. Dies deutet auf eine geringere Belastung durch psychosozialen Stress hin.

Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Cortisolspiegel und der Telomerlänge ließ sich in den Analysen jedoch nicht nachweisen. Die Cortisolproduktion erwies sich nicht als statistisch signifikanter Vermittler des Zusammenhangs zwischen Wohlstand und Zellalterung. Kendal Marston, Erstautorin der Studie, betont: „Unsere Daten sprechen dennoch für eine stärkere psychosoziale Belastung in sozioökonomisch benachteiligten Haushalten – etwa durch geteilte Schlafräume oder begrenzten Zugang zu digitalen Lernressourcen.“

Länderübergreifende Datenerhebung aus sechs EU-Staaten

Die Datengrundlage stammt aus dem „Human Early-Life Exposome Project“ (HELIX), einer paneuropäischen Kohortenstudie. Untersucht wurden 1.160 Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren aus Großbritannien, Frankreich, Spanien, Norwegen, Litauen und Griechenland. Die sozioökonomische Einteilung erfolgte anhand der „Family Affluence Scale“ (FAS), die kultursensibel materielle Lebensumstände erfasst, etwa Urlaubsreisen, eigener Computerzugang oder Fahrzeugbesitz.

Die Telomerlänge wurde mittels qPCR aus weißen Blutkörperchen bestimmt. Die Cortisolproduktion wurde durch Flüssigchromatographie-Tandem-Massenspektrometrie (LC-MS/MS) aus Urinproben berechnet. Die Analyse erfolgte unter Berücksichtigung zahlreicher Einflussfaktoren – etwa Ernährung, körperlicher Aktivität, Umweltbelastung oder dem Bildungsstand der Eltern.

Keine vorschnellen Schlüsse – aber klare Hinweise

Die Forschenden betonen, dass ihre Studie keine Aussagen über genetische Qualität oder deterministische Zusammenhänge treffen kann. Vielmehr sei der biologische Zustand ein sensibler Spiegel früher Lebensbedingungen. Die beobachteten Unterschiede lassen sich weder allein durch das elterliche Bildungsniveau noch durch Sozialkapital erklären. Vielmehr legt die Studie nahe, dass der materielle Wohlstand der Familie eigenständig mit biologischen Stressmarkern in Verbindung steht.

Quellen:

Marston, K. et al. (2024): Associations between family affluence, cortisol production, and telomere length in European children. The Lancet Regional Health – Europe.
Pressemitteilung der Imperial College London School of Public Health
HELIX Project, EU Grant 308333
UK Research and Innovation (Förderkennzeichen: MR/S03532X/1)

Gernot Körner




Auch Sehen will gelernt sein

Eine Gießener Citizen-Science-Studie zeigt: Erst junge Erwachsene sehen die Welt mit „erfahrenem“ Blick – zuvor bleibt der Blick noch lange in Bewegung

Wenn Erwachsene eine Alltagsszene betrachten, schweifen ihre Augen zielgerichtet über das Bild: Gesichter, Schrift, wichtige Details – der Blick folgt einer Art innerem Plan. Dass dieser Plan nicht angeboren ist, zeigt nun eine Studie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU): Erst im jungen Erwachsenenalter ist unser Blickverhalten so weit „ausgereift“, dass es dem typischen Erwachsenenblick entspricht. Kinder und Jugendliche sehen die Welt anders – und ihre Augen bewegen sich dabei anders.

„Wir waren überrascht, wie lange diese Entwicklung dauert“, sagt Dr. Marcel Linka, Erstautor der Studie. Rund zwei Jahrzehnte braucht es demnach, bis sich der Blick stabilisiert. Und: Je älter die Teilnehmenden, desto ähnlicher wurden sich ihre Blickmuster – während Kinder ein und dasselbe Bild auf teils völlig unterschiedliche Weise betrachteten.

Sehen ist Erfahrungssache

Was genau verändert sich im Lauf der Jahre? Jüngere Kinder richten ihre Augen häufiger auf Hände oder berührte Objekte, übersehen dafür aber oft Texte oder Gesichter. Auch die Blickrichtung verändert sich: Während Erwachsene oft horizontal über eine Szene wandern, schweifen Kinderblicke weniger regelmäßig.

„Unsere Wahrnehmung wird durch Erfahrung geformt“, erklärt Linka. Wer mit Büchern, Bildschirmen und Verkehrsschildern aufwächst, entwickelt mit der Zeit ein Gespür für typische Szenen – und lernt, wo die wichtigen Informationen wahrscheinlich stehen. Prof. Dr. Ben de Haas ergänzt: „Wir vermuten, dass Erwachsene im Kopf mentale Landkarten typischer Situationen entwickeln. Diese helfen, schnell und gezielt zu schauen.“

Millionen Augenblicke aus dem Mathematikum

Möglich wurde diese Erkenntnis durch eine außergewöhnliche Citizen-Science-Kooperation: Im Mitmach-Museum Mathematikum in Gießen war über ein Jahr hinweg eine Eye-Tracking-Station installiert. Über 6.700 Besucherinnen und Besucher – im Alter von fünf bis 72 Jahren – spendeten ihre Blickdaten für die Forschung. Die Station „Millionen Augenblicke“ zeichnete Millionen von Blickbewegungen beim Betrachten von 40 Alltagsszenen auf.

Die Studie wurde im Fachjournal „Nature Human Behaviour“ veröffentlicht und ist Teil des Exzellenzclusters „TAM – The Adaptive Mind“, in dem die JLU universelle Prinzipien der Anpassung und Wahrnehmung erforscht.

Und was heißt das für die Praxis?

Das Gießener Forschungsteam will nun untersuchen, wie kulturelle Prägungen das Sehen beeinflussen – und ob sich aus den Blickmustern Rückschlüsse auf Lernprozesse oder besondere Wahrnehmungsvoraussetzungen ziehen lassen. Für die Bildung könnte das bedeuten: Kinder sehen anders, weil sie noch lernen, wie man sieht. Und dieses Lernen braucht Zeit – und die passende Unterstützung.

Weitere Informationen:

Exzellenzcluster TAM: theadaptivemind.de
Master-Studiengang „Mind, Brain and Behavior“: Studienangebot JLU
Originalpublikation: Nature Human Behaviour (2025)

Gernot Körner




Hitzeaktionstag 2025: Warum Klimaschutz auch Kinderschutz ist

Der Deutsche Kinderschutzbund fordert wirksame Maßnahmen zum Schutz von Kindern vor den Folgen der Klimakrise

Der Klimawandel stellt in Deutschland ein zunehmendes Gesundheitsrisiko dar – insbesondere für Kinder. Pünktlich zum bundesweiten Hitzeaktionstag am 4. Juni warnt der Deutsche Kinderschutzbund vor den Folgen extremer Hitze und fordert konsequente Schutzmaßnahmen für die jüngsten Mitglieder unserer Gesellschaft.

„Kinder gehören zu den verletzlichsten Gruppen in der Klimakrise“, erklärt Joachim Türk, Vizepräsident des Kinderschutzbundes. „Sie tragen die schwerwiegendsten Konsequenzen, obwohl sie am wenigsten zur Entstehung beigetragen haben.“

Klimabelastung trifft Kinder in Armut besonders hart

Hitze, Luftverschmutzung, Extremwetterereignisse und psychische Belastungen seien laut Türk längst Teil des Alltags vieler Kinder – auch in Deutschland. Besonders betroffen: Kinder aus armutsbelasteten Familien, die in schlechteren Wohnverhältnissen leben und geringere Schutzmöglichkeiten haben.

Konkrete Forderungen zum Schutz von Kindern

Im Rahmen seiner diesjährigen Mitgliederversammlung hat der Kinderschutzbund einen umfassenden Beschluss unter dem Titel „Klimaschutz ist Kinderschutz“ gefasst. Darin fordert der Verband unter anderem:

* flächendeckenden Hitzeschutz in Kitas, Schulen und medizinischen Einrichtungen,
* eine schadstoffarme, gesunde Umwelt als Grundlage für gutes Aufwachsen,
* kindgerechte, grüne Stadtplanung mit sicheren Bewegungsräumen,
* sowie eine verbesserte medizinische und psychologische Versorgung für klimabelastete Kinder.

Kinderschutzbund will Klimaschutz stärker mitgestalten

„Klimaschutz ist kein Nebenthema – er ist integraler Bestandteil von Kinderschutz“, betont Türk. „Wer Kinder ernst nimmt, muss ihre Zukunft schützen. Und das beginnt jetzt.“

Der Kinderschutzbund kündigt an, sich künftig noch stärker auf kommunaler, landes- und bundesweiter Ebene in klimapolitische Debatten einzubringen. Dabei soll besonders das Augenmerk auf die gesundheitlichen und sozialen Folgen des Klimawandels für Kinder gelegt werden.

👉 Den vollständigen Beschluss „Klimaschutz ist Kinderschutz“ der Mitgliederversammlung 2025 finden Sie auf der Website des Kinderschutzbundes.

Das Umweltbundesamt hat einen Hitzeknigge entwickelt, den Sie hier downloaden können