Viele Kinder-Outdoorjacken sind mit PFAS belastet

Tests von Produkten aus 13 Ländern zeigen auch: Es gibt Alternativen ohne Ewigkeitschemikalien

Der April ist da und mit ihm unbeständiges, nasses Wetter. Gerade Eltern schätzen jetzt Funktionskleidung für ihre Kinder. Winddicht, regenfest und atmungsaktiv sind dabei die entscheidenden Kaufkriterien. Ein Mehr an Funktion bei sogenannten High-Tech-Stoffen im Outdoorbereich wird jedoch weltweit häufig mit umwelt- und gesundheitsschädlichen „Ewigkeitschemikalien“, kurz PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen), erkauft. Bei einer gemeinsamen Testreihe von 14 Umweltschutzgruppen aus vier Kontinenten, darunter auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), wurden in 35 von 56 getesteten Kinderoutdoorjacken (62,5 Prozent) PFAS nachgewiesen. In 16 Fällen waren in der EU geltende Grenzwerte überschritten. Am häufigsten wurde PFOA (Perfluoroctansäure) nachgewiesen, eine hochtoxische PFAS-Verbindung, die für ein weltweites Verbot gelistet ist.

Antje von Broock, BUND-Geschäftsführerin: „Gefährliche Chemikalien haben in verbrauchernahen Produkten nichts zu suchen. Absolut unverantwortlich ist, dass selbst Textilien für Kinder, die körperlich nochmal deutlich anfälliger sind, mit gesundheitsschädlichen Stoffen versetzt sind. Politisch muss das Vorsorgeprinzip abgesichert und Behörden zum Vollzug entsprechend ausgestattet werden. Wir fordern sowohl von der EU als auch von der Bundesregierung ein schnelles Verbot der gesamten PFAS-Chemikaliengruppe in Alltagsprodukten.“

Insgesamt wurden im Rahmen der Studie 72 Kleidungsstücke aus 13 Ländern Afrikas, Europas, Asiens und Nordamerikas getestet. 46 dieser 72 Kleidungsstücke (63,8 Prozent) waren mit PFAS belastet, 25 Proben waren PFAS-frei. Unter diesen PFAS-freien Produkten waren 21 von 65 getesteten Kinderjacken – bei ähnlichem funktionellen Design. Es gibt also sichere Alternativen mit ähnlichen Eigenschaften. Für Europa fällt auf, dass die zum Teil stark belasteten Kinderjacken, 15 von insgesamt 32, vorwiegend in Osteuropa gekauft wurden. Die Jacken aus Mitteleuropa und Skandinavien, wo nachhaltige Produkte deutlich stärker gefragt sind, waren weitgehend PFAS-frei.

Von Broock: „Die Ergebnisse lassen aufhorchen. Während in Westeuropa ein Trend hin zu weniger giftigen Produkten erkennbar ist, zeigt sich, dass in Ländern mit niedrigen Umweltstandards weiterhin keine Sicherheit herrscht. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die EU, als einer der größten Importmärkte der Welt, mit einer konsequenten PFAS-Beschränkung den Anstoß zur weltweiten Ächtung dieser Giftstoffe liefert. Am besten in Kombination mit einem starken Lieferkettengesetz. Die Hersteller, die nach wie vor auf PFAS setzen, rufen wir auf, auf sichere Alternativen auszuweichen. Es gibt sie!

Hintergrund:

PFAS haben eine gemeinsame Eigenschaft: Sie sind extrem langlebig und verbleiben über Jahrhunderte in der Umwelt. Sie reichern sich im Grundwasser, im Boden, in Pflanzen, Tieren und in unserem Körper an. Einige PFAS sind extrem mobil und sind inzwischen in der Arktis ebenso wie in den Hochlagen des Himalaja-Gebirges nachzuweisen. 

Schätzungsweise über 10.000 PFAS-Verbindungen sind aktuell auf dem Markt, die meisten davon sind wenig bis gar nicht auf ihre umwelt- und gesundheitsschädlichen Eigenschaften untersucht und somit nicht gesetzlich reguliert. Sie werden wegen ihrer wasser-, fett- und schmutzabweisenden Eigenschaften und Hitzebeständigkeit in unzähligen Alltagsprodukten eingesetzt. Die bekanntesten Produkte sind wetterfeste Kleidung und antihaftbeschichtetes Küchengeschirr (Teflon). Aber auch in vielen anderen Produkten, wie Kosmetika, Zahnseide, Kletterseile oder Skiwachs werden PFAS unnötigerweise eingesetzt. 

Bereits bei ihrer Herstellung, während des Gebrauchs und bei der Entsorgung behandelter Produkte, werden PFAS freigesetzt. Dadurch steigen die Konzentrationen in der Umwelt stetig an. Studien wiesen sie im Blut aller Kinder nach, die sie bereits als Säuglinge mit der Muttermilch aufnehmen. Eine Studie des Bundesumweltamtes ermittelte bei 20 Prozent der untersuchten Kinder und Jugendlichen PFAS-Werte im Blut, die ernste gesundheitliche Folgen haben können. Dazu gehören Schilddrüsenerkrankungen, Leberschäden, Diabetes, Brust-, Nieren- und Hodenkrebs sowie eine verringerte Reaktion auf Routineimpfungen.

Mehr Informationen:

Quelle: Pressemitteilung BUND




Vegane Butter im Test – kein Produkt empfehlenswert

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ÖKO-TEST hat neun vegane Streichfette getestet

Aus dem Supermarktregal sind vegane Streichfette mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Aber ÖKO-TEST hat im Test gleich mehrere Kritikpunkte: Mineralölrückstände, ungünstige Fettzusammensetzungen und enttäuschende Ergebnisse in Sachen soziale und ökologische Verantwortung entlang der Lieferkette.

Bittere Bilanz: Sieben von neun Produkten fallen durch den Test

Die Verbraucherschützer haben sich sowohl die Inhaltsstoffe als auch die Lieferketten angesehen und die Ergebnisse sind ernüchternd: Kein Produkt schneidet besser als „ausreichend“ ab. „Da helfen auch hippe Namen und Verpackungen nicht weiter“, sagt Katja Tölle, stellvertretende ÖKO-TEST-Chefredakteurin.

In puncto Inhaltsstoffe stuft ÖKO-TEST die Fettzusammensetzungen, also die Anteile gesättigter Fettsäuren und wertvoller Omega-3-Fettsäuren, der meisten Testprodukte als ungünstig ein. Zudem kritisieren die Verbraucherschützer in vielen getesteten Produkten Mineralölverunreinigungen. Teilweise sind die Streichfette so stark belastet, dass ÖKO-TEST sie mit „ungenügend“ bewertet. In drei der festen Blöcke hat das beauftragte Labor aromatische Mineralölkohlenwasserstoffe (MOAH) nachgewiesen – zwei davon überschreiten den rechtlich nicht bindenden Richtwert, den der Ständige Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel der EU-Kommission 2022 vorgeschlagen hat: der Violife Vioblock und die Edeka My Veggie No B:)tter. MOAH gelten als besonders bedenklich, da sich darunter Verbindungen befinden können, die potenziell krebserregend sind. Edeka reagiert und stoppt den Verkauf des betroffenen Artikels.

Auch in Sachen Corporate Social Responsibility (CSR) kann keines der getesteten Produkte überzeugen

Während die meisten Anbieter nur sehr lückenhaft und unvollständig ihre Lieferketten offenlegen, macht die bekannte Marke Meggle gleich gar keine Angaben. „Natürlich interessiert uns bei Produkten, die aus tropischen Fetten wie Kokosöl, Sheabutter und Kakaobutter bestehen, wo und unter welchen Bedingungen diese angebaut wurden. Und: Wie die Bedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter vor Ort sind. Was die Hersteller hier abliefern, enttäuscht. Sie müssen dringend Verantwortung übernehmen“, sagt Lisa-Marie Karl, ÖKO-TEST-Projektleiterin.

Doch was können Verbraucherinnen und Verbraucher tun, die eine Alternative zur Butter aus Kuhmilch suchen?

„Auch unter Margarinen gibt es eine große Auswahl veganer Produkte – und diese sind in ihrer Fettzusammensetzung meist bessergestellt als die festen, veganen Blöcke“, so Katja Tölle. „Bei unserem letzten Test sind wir auch bei den Margarinen auf Mineralölverunreinigungen und offene Fragen in Sachen verantwortungsvoller Anbau von Palmöl gestoßen, aber unterm Strich waren die Ergebnisse besser.“

Weitere Informationen und den aktuellen Test vegane Butter finden Sie in der Aprilausgabe und unter: oekotest.de/14493. Informationen zum Test Margarine finden Sie hier: oekotest.de/14215




Die neuen Empfehlungen zur Ernährung sind für viele wenig sinnvoll

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Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt Pauschale Mengen, weniger Fleisch und weniger Milchprodukte

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) hat die lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen für Deutschland überarbeitet. Neu an diesem Modell ist, dass sie neben der Empfehlung zu einer gesunden Ernährung gleichzeitig auch Aspekte wie Nachhaltigkeit, Umweltbelastung sowie die in Deutschland üblichen Verzehrgewohnheiten berücksichtigt.

Eine gesundheitsfördernde und ökologisch nachhaltigere Ernährung besteht nach Ansicht der DGE zu mehr als ¾ aus pflanzlichen Lebensmitteln und zu knapp ¼ aus tierischen Lebensmitteln. Der Anteil tierischer Lebensmittel fällt geringer aus als bisher. Die überarbeiteten Empfehlungen berücksichtigen beispielsweise täglich zwei Portionen Milch und Milchprodukte, eine Portion weniger als bei den vorherigen Empfehlungen. Zudem sei es ausreichend, wöchentlich maximal 300 g Fleisch und Wurst sowie ein Ei zu essen. Beim Fisch bleibt es bei ein bis zwei Portionen wöchentlich. Pflanzliche Lebensmittel werden nun in den DGE-Empfehlungen noch stärker als bisher betont: Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen, Linsen und Nüsse werden mit einer eigenen Empfehlung stärker hervorgehoben. Obst und Gemüse stellen auch weiterhin die mengenmäßig wichtigste Gruppe dar.

Die Empfehlungen gelten für gesunde Erwachsene im Alter von 18 bis 65 Jahren, die sich mit einer Mischkost, inkl. Fleisch und Fisch, ernähren. (DGE Empfehlungen)

Kritik der Deutschen Akademie für Präventivmedizin

Die Deutsche Akademie für Präventivmedizin e.V. (DAPM) kritisiert die neuen Ernährungsempfehlungen der DGE. Demnach könnten die Empfehlungen weitreichende Folgen für die Bevölkerung haben, da sie von der Verpflegung in Kitas, Schulen, Kantinen und Seniorenheimen bis hin zu den Programmen der Krankenkassen als Standard gelten.

Die DAPM sieht gravierende Fehler sowohl im Ansatz dieser Empfehlungen. Sie richteten sich explizit an ALLE („für Deutschland“). In etlichen inhaltlichen Aussagen seien sie überholt und nicht evidenzbasiert. Und zusätzlich würden sie den Aspekt des Klimaschutzes teilweise über die gesundheitlichen Belange der Bevölkerung zu stellen.

Es könne keine einheitlichen Empfehlungen für die Ernährung aller Menschen in Deutschland geben, da sich deren gesundheitliche Ausgangslage unterscheide. In einer Bevölkerung, in der der Anteil von Menschen mit Übergewicht und Adipositas, Prädiabetes und Diabetes stetig zunähme, und schlanke, sportliche Menschen mittlerweile eine Minderheit darstelleten, solle man nach Ansicht der DAPM nicht auf Basis theoretischer Überlegungen, welche Ernährungsweise besonders klimafreundlich sei, der Gesamtbevölkerung Empfehlungen geben.

Konkret kritisiert die DAPM folgende Aussagen:

  • Die Charakterisierung von Lebensmitteln in solche „pflanzlichen Ursprungs“ und solche „tierischen Ursprungs“ ist wissenschaftlich betrachtet nicht sinnvoll.
  • Die Empfehlung „an alle“, täglich 5 Portionen = 300 g Getreideprodukte zu verzehren, ist für viele Millionen Menschen in Deutschland nicht nur nicht hilfreich, sondern sogar gesundheitsgefährdend!
  • Die Reduzierung des Verzehrs von Milchprodukten im Vergleich zu früheren Empfehlungen um ein Drittel hat keine wissenschaftliche Grundlage. Milchprodukte haben nachgewiesenermaßen im Gegenteil positive Effekte auf die Gesundheit. Sie verringern das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall.
  • Der allgemeine Verzicht auf tierische Lebensmittel kann bedenklich sein: Die ausreichende Versorgung relevanter Bevölkerungsteile (z. B. Kinder und Senioren) mit genügend und hochwertigem Eiweiß, essenziellen Aminosäuren und Fettsäuren sowie mit etlichen Spurenelementen und Vitaminen wird mit den DGE-Empfehlungen nicht gewährleistet.
  • Die empfohlene Beschränkung des Verzehrs von Eiern ist seit Jahrzehnten überholt und wurde von den führenden Fachgesellschaften weltweit längst aus den Empfehlungen entfernt.

300 g Getreideprodukte pro Tag sind zu viel

Wenn die DGE allen Menschen in Deutschland empfehle, 300 g Getreideprodukte pro Tag zu verzehren, was etwa  60 Prozent der durchschnittlichen Kalorienzufuhr eines Menschen bedeuten würde, dann hätten Millionen Menschen mit Übergewicht und Adipositas, Prädiabetes und Typ-2-Diabetes davon gesundheitliche Nachteile. Auch Vollkornmehle seien stark blutzuckerwirksam.

Die Menge von 300 g Getreideprodukten hat laut DAPM die Blutzuckerwirksamkeit von umgerechnet ca. 50 Teelöffeln Zucker. Die  hohe Kohlenhydratzufuhr erhöhe den Insulinspiegel im Blut, das steigere den Blutdruck, das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko, darüber hinaus das Risiko für verschiedene Krebserkrankungen und für Demenz.

Verzehr von Milchprodukten: Zählt die Gesundheit weniger als vermeintlicher Klimaschutz?

Ob durch die Verminderung des Verzehrs von Milchprodukten ein relevanter Beitrag zum Stopp des Klimawandels geleistet werden könne, sei völlig unklar.

Für die Gesundheit der Menschen hätten Milchprodukte jedoch eindeutig positive Effekte, wie etliche Studien der jüngsten Zeit klar belegen würden. So würde der regelmäßige Verzehr von Milchprodukten vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen. Aus Sicht der DAPM wäre eine Reduzierung des Verzehrs von Milchprodukten für die Gesundheit der Bevölkerung kontraproduktiv.

Verzicht auf tierische Lebensmittel kann zur Mangelversorgung führen

Die von der DGE empfohlene Verminderung „tierischer“ Lebensmittel entbehrt laut DAPM im Hinblick auf die Gesundheit der Menschen einer wissenschaftlichen Grundlage. Sie scheine überwiegend durch die vorgebrachten Argumente des Klimaschutzes motiviert. Das könne jedoch auf Bevölkerungsebene  für bestimmte Gruppen zu einer Mangelversorgung führen.

Die Aminosäurenqualität von pflanzlichem Eiweiß (etwa aus Hülsenfrüchten) sei im Vergleich zur Aminosäurenqualität von Milchprodukten, Eiern, Fleisch und Fisch deutlich geringer. Die nötigen Mengen wiederum, um über eine rein pflanzenbasierte Kost ausreichend Eiweiß aufzunehmen, wären im wirklichen Leben schwer zu erreichen.

Die Kalzium-, Eisen-, Zink-, und Vitamin B12-Versorgung werde durch eine überwiegend pflanzliche Ernährung im Sinne der von der DGE favorisierten „Planetary Health Diet“ nicht ausreichend gewährleistet. Denn nicht nur die Zufuhrmenge sei entscheidend, sondern auch die bei pflanzlicher Kost verminderte Bioverfügbarkeit (Fähigkeit des Darms, die Nährstoffe auch aufzunehmen).

Und eine ausreichende Versorgung des Gehirns mit der langlebbigen Omega-3-Fetsäure DHA, die eine demenzpräventive Wirkung habe, könne bei nur einer Portion Fisch pro Woche über die von der DGE empfohlenen pflanzlichen Omega-3-Quellen (alpha-Linolensäure aus Nüssen, Rapsöl, Leinöl) nicht gewährleistet werden. Denn es sei wissenschaftlich völlig unstrittig, dass im menschlichen Körper die alpha-Linolensäure nicht in relevanter Menge in DHA umgewandelt werden könne.

Die Eier-Phobie der DGE ist unbegründet

Im Jahr 2017 war die frühere Empfehlung zur Beschränkung des Verzehrs von Eiern auf zwei Eier pro Woche aus den „10 Regeln der DGE“ verschwunden. Nun taucht sie wieder auf.

Doch schon seit langem ist klar, dass die Cholesterinaufnahme aus dem Darm den Cholesterinspiegel im Blut kaum beeinflusst und das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall nicht steigert. Fachlich betrachtet wird bei höherer Cholesterinaufnahme aus dem Darm die Eigenproduktion von Cholesterin in der Leber gedrosselt und umgekehrt. Dieser Feedback-Mechanismus führt dazu, dass es für die meisten Menschen keinen relevanten Einfluss auf die Cholesterinwerte hat, ob sie zwei Eier am Tag oder nur ein Ei pro Woche verzehren.

Eier sind ein ernährungsphysiologisch wertvolles Lebensmittel und wichtig für die Versorgung mit hochwertigem Eiweiß, essenziellen Aminosäuren und Vitamin B12. Der Verzicht auf Eier ist aus ernährungsmedizinischer Sicht nicht sinnvoll!

Fazit aus Sicht der DAPM:

Die von der DGE „für alle“ ausgesprochenen Ernährungsempfehlungen sind nicht „für alle gesund“, sondern allenfalls für den kleineren Teil der Allgemeinbevölkerung praktikabel und hilfreich. Etliche Empfehlungen der DGE sind nicht wissenschaftlich begründet. Sie entspringen im Sinne der wissenschaftlich umstritenen „Planetary Health Diet“ einer klimapolitischen Motivation.

Doch vor allem: Aus Sicht der DAPM sind die Empfehlungen der DGE praxisfern und werden den gesundheitlichen Belangen der Bevölkerung nicht gerecht. In der aktuellen Form sind die DGE-Empfehlungen in Teilen kontraproduktiv und ein Rückschritt im Vergleich zu den DGE-Empfehlungen von 2017! (DAMP)

Zu viele Kohlenhydrate schon in den Empfehlungen der DGE von 2017

Das Ärzteblatt hatte schon an den vorherigen Empfehlungen der DGE Kritik geäußert.

Zwei Fachfrauen für Ernährung, Daniela Kluthe-Neis und Birgit Blumen­schein, appellierten in einem offenen Brief an die DGE-Präsidentin Ulrike Azevedo, die primärpräventiven Empfehlungen zur Nährwertrelation von 10 bis 15 % Protein, 30 % Fett und 55 bis 60 % Kohlenhydrate anhand aktueller Studien auszuweiten. Denn diese seien momentan ausschließlich für gesunde Menschen konzipiert, was nicht dem Groß­teil der Schulungsklientel entspreche.“

Johannes Scholl, Vorsitzender der Deutschen Akademie für Präventivmedizin (DAPM), bestätigte nicht nur die Erfahrungen von Kluthe-Neis aus seiner aus Präventivmedizin spezialisierten Praxis in Rüdesheim: „Wir stellen bei jedem dritten Mann ab 45 bereits eine Fettleber fest, hier ist eine kohlenhydratreiche Kost geradezu kontraindiziert.“ Seine Kritik reicht weiter: „Aber selbst für Gesunde sind diese Empfehlungen nicht nur durch keine Evidenz begründet, sie sind inzwischen auch widerlegt“, urteilt Scholl. (Ärzteblatt 2017)

Nährwertrechner ermittelt individuellenNährstoffbedarf

Je nach Gewicht, Alter, Geschlecht und Größe unterscheidet sich der persönliche Nährstoffbedarf. Grundlage der DGE Empfehlung ist der gesunde Durchschnittsmensch. Der Durchschnittsmann in Deutschland wiegt 85,8 Kilo (laut Statista). Nicht darauf eingegangen wird in den Empfehlungen der DGE auf die einzelnen Nährstoffe. Wie konkret z.B. der Bedarf gedeckt werden kann, wenn jetzt weniger Milch und Fleisch konsumiert werden. Mit dem Rechner lassen sich die Summen der Nährstoffe der einzelnen Lebensmittel, die wir pro Tag verzehren gut berechnen.

Eiweißbedarf als Beispiel:

Der Bedarf an Eiweiß liegt nach Angaben der DGE bei 0,8 g je Kilo Körpergewicht bei einem Alter zwischen 19 und 65, Menschen ab 65 brauchen 1g und Kinder bis zu 2,5g. Unser Mustermann braucht somit 68g Eiweiß pro Tag, das sind 479g Eiweiß in der Woche.

Laut Nährwertberechnung enthält die Wochenration Milch und Fleisch nach den neuen Regeln der DGE – 1.400g Milch (46g Eiweiß), 200g Lachs (40g Eiweiß) 1 Ei (9g Eiweiß), 300g Rindfleisch (66g Eiweiß) – gerade mal 161g Eiweiß. Dazu sollen wir noch mindestens einmal in der Woche Hülsenfrüchte essen, dazu aber keine genauen Mengenangabe. Wir rechnen mal mit 100g getrocknete Linsen, die enthalten 23g Eiweiß. Summe der Wocheneiweißration sind nun 184g, bei 2x Linsen in der Woche sind das 207g, aber immer noch keine 478g, es fehlen 271g Eiweiß. Sojaprodukte wie Tofu werden bei der DGE nicht auusdrücklich erwähnt, obwohl diese als Fleischersatz eine gute Alternative sind von der Zusammensetzung der Aminosäuren laut Bundeszentrum für Ernährung (BZfE)

1kg Linsen (getrocknet! Gegart sind das 2kg) haben 230g Eiweiß, 1kg Tofu 158g,
zum Vergleich: 1kg Hähnchenfleisch 230g, 1kgEmmentaler 300g

Es ist also theoretisch durchaus möglich seinen Eiweißbedarf nach den Empfehlungen zu decken, aber hier heißt es gut rechen und eine Portion Linsen (mit 100g) in der Woche genügt nicht für den Durchschnittsmann, Mann brauch dann schon einen großen Topf https://www.naehrwertrechner.de/

Quellen: Pressemitteilungen DGE, Deutsche Akademie für Präventivmedizin e.V., Ärzteblatt, BZfE, www.naehrwertrechner.de

Hintergrundinformationen zur Entstehung der DGE

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) ist ein gemeinnütziger Verein mit 4 000 Mitgliedern, Sitz in Bonn und Sektionen in sechs Bundesländern. Sie arbeitet seit ihrer Gründung 1953 unabhängig und der Wissenschaft verpflichtet. Es ist der satzungsgemäße Auftrag der DGE sich mit allen auf dem Gebiet der Ernährung auftretenden Fragen zu befassen, einschlägige Ergebnisse zu sammeln, auszuwerten und daraus unabhängig, transparent und auf Basis wissenschaftlicher Bewertung Empfehlungen abzuleiten. Die Finanzierung der DGE erfolgt durch Bundesmittel, Mitgliedsbeiträge und Eigeneinnahmen.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Ernährungswissenschaft durch die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsforschung (DGEF, 1935-1945) vertreten, die somit als Vorgängerorganisation der Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. anzusehen ist.

1935 wurde die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsforschung (DGEF) im Reichgesundheitsamt in Berlin durch Hans Reiter gegründet. Sie setzte sich im Wesentlichen aus der „Abteilung N“ (Ernährungsphysiologie) des Reichsgesundheitsamts, in der neben Mediziner*innen, Chemiker*innen und Landwirt*innen arbeiteten, zusammen. Die DGEF war als interdisziplinärer Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen organisiert. Mediziner*innen, Chemiker*innen, Pharmakolog*innen, Landwirt*innen, Volkswirt*innen und Statistiker*innen verfolgten hier vor allem die Ziele der nationalsozialistischen Ernährungspolitik. Sie setzten alle Vorgaben der NS-Ideologie im Bereich der Ernährungswissenschaften um – die rassistischen und antisemitischen inbegriffen.

Die DGE wurde am 4. November 1953 nach dem Vorbild amerikanischer Gesellschaften als gemeinnütziger Verein gegründet, wobei ein Bezug zur nationalsozialistischen Vorgängerorganisation DGEF nicht thematisiert wurde.

https://www.dge.de/deutsche-gesellschaft-fuer-ernaehrung/




Nachhaltige Ernährung wird an Bedeutung gewinnen

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Prof. Dr. Juliane Heydenreich spricht über Ernährungstrends

Vegetarisch oder fleischlastig? Nachhaltig oder nicht? Der Ernährungsstil spielt in unserer Gesellschaft eine wachsende Rolle. Vor allem für junge Menschen ist eine gesunde Lebensweise heute wichtiger denn je. Dr. Juliane Heydenreich, Professorin für experimentelle Sporternährung an der Universität Leipzig, spricht über Ernährungstrends, die Gefahren von Nahrungsergänzungsmitteln und ihr Ziel, die Sporternährung als eigenständige wissenschaftliche Disziplin in Deutschland zu etablieren.

Frau Heydenreich, Sie sind deutschlandweit die erste Professorin für Experimentelle Sporternährung. Welche Ziele haben Sie sich für Ihr junges Forschungsgebiet gesetzt?

Die Sporternährung ist in der Sportwissenschaft international sehr etabliert, aber leider bisher im deutschsprachigen Raum unterrepräsentiert. Das möchte ich ändern. Ich forsche unter anderem zu gesunder Ernährung im Leistungssport, wie Sportlerinnen und Sportler unterstützt werden können, damit sie gesund bleiben und leistungsfähig sind. Ein anderer Forschungsbereich ist Public Health. Ich forsche daran, wie Bewegung und Ernährung mit bestimmten Gesundheitsparametern zusammenhängen.

Welche Rolle spielt gesunde Ernährung in unserer Gesellschaft?

Das erste Alarmsignal kam vor etwa 20 bis 30 Jahren. Damals wurde festgestellt, dass immer mehr Kinder und Jugendliche adipös sind, mit allen bekannten Folgeerkrankungen. Das wurde damals als gesellschaftliches Problem erkannt. Es gab erste Interventionen, aber mit den Gegenmaßnahmen wurde zunächst wenig erreicht. Die Zahlen sind nicht mehr weiter gestiegen. Allerdings befanden sie sich auf einem hohen Level. Erst in den vergangenen fünf Jahren gab es parlamentarische Signale, um diesem Trend zu begegnen. Gerade auf Social Media spielen heute Fitness und Ernährung eine große Rolle. Das beeinflusst vor allem Kinder und Jugendliche extrem.

Es ist aber unklar, ob diese Ernährungstipps immer gesund sind. Mein persönlicher Eindruck ist, dass insbesondere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene heute mehr Interesse an gesunder Ernährung haben als noch vor einigen Jahren. Sie sind offener als Ältere, ihr Verhalten zu ändern. Auch der soziale Status, das Arm-Reich-Gefälle, der Bildungsgrad und die Tatsache, ob jemand in der Stadt oder auf dem Land wohnt, beeinflussen die Ernährungsweise. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat zehn evidenzbasierte Regeln für vollwertiges Essen und Trinken herausgebracht, die ich sehr empfehle. Das ist umso wichtiger, weil die Kompetenz, Lebensmittel zuzubereiten, in unserer Gesellschaft immer geringer wird und stattdessen häufiger Fertiggerichte gegessen werden.

Ist eine fleischlose Ernährung tatsächlich gesund oder fehlen dem Körper dadurch wichtige Substanzen?

Der Verzicht auf Fleisch und Fisch, also eine vegetarische Ernährungsweise, wird auch von der DGE für alle empfohlen. Es kommt allerdings immer darauf an, sich dabei ausgewogen zu ernähren.

Kindern, Jugendlichen, Schwangeren und Erkrankten rät die DGE dagegen von einer rein veganen Ernährung, also dem Verzicht auf tierische Produkte jeder Art, ab!

Sie wird nur für gesunde Erwachsene empfohlen. Egal, ob vegan oder vegetarisch – jeder sollte sich immer ausgewogen ernähren und sich mehr Gedanken darüber machen, was er isst. Klar sollte sein, dass es auch viel veganes Junk-Food gibt. Und jeder Verzicht auf einzelne Lebensmittel(gruppen) erhöht immer das Risiko, dass ich in ein Defizit komme.

Wie hat sich generell die Einstellung der Deutschen zum Thema Ernährung gewandelt?

Für Jüngere spielt die Nachhaltigkeit eine extreme Rolle. Dazu gehört auch eine nachhaltige Ernährung. Auch deshalb verzichten sie häufig auf tierische Produkte. Laut Planetary Health Diet sollte die Ernährung aus einem hohen Anteil pflanzlicher Lebensmittel wie Gemüse, Obst, Vollkorngetreide und Hülsenfrüchte sowie pflanzliche Öle bestehen. Die Zufuhr von tierischen Produkten wie Milch-Produkte, Eier, Fleisch und Fisch sollte ebenso stark eingeschränkt werden wie die Zufuhr von Zucker. Es sollte darauf geachtet werden, regionale, saisonale und ökologische Lebensmittel zu verwenden. Zudem müsste die Lebensmittelverschwendung halbiert werden.

Das Thema vegetarische und vegane Ernährung ist auf jeden Fall bei Jüngeren auf dem Vormarsch. Einer Umfrage zufolge ernähren sich 10,4 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen vegetarisch und 2,3 Prozent vegan. Es gibt in Supermärkten viel mehr vegetarische und vegane Lebensmittel als früher. Diese Produkte sind nicht immer gesünder, aber die Industrie erzielt damit große Gewinne. Für ältere Menschen ist die Ernährungsumstellung oft schwieriger. Meist geschieht das erst nach einschneidenden Ereignissen wie beispielsweise einer Erkrankung.

Stichwort Nahrungsergänzungsmittel – wie sinnvoll sind sie tatsächlich?

Es gibt einige Szenarien, in denen es durchaus angebracht ist, Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen. Menschen, die sich vegan ernähren, sollten zusätzlich das Vitamin B12 zu sich nehmen. Auch wenn im Blutbild ein Mangel festgestellt wurde, sollte man diesen durch Einnahme eines Zusatzstoffes beseitigen. Weiterhin empfiehlt die DGE eine Vitamin D Supplementierung in den Wintermonaten. Eine pauschale Einnahme aller anderen Nahrungsergänzungsmittel sehe ich skeptisch. Oftmals ist der Körper mit der Aufnahme der hochkonzentrierten Nährstoffe überfordert und scheidet sie gleich wieder aus. Es besteht auch das Risiko, dass bestimmte Nahrungsergänzungsmittel die Zusammensetzung der Darmmikroben verändern. Weiterhin ist das Risiko einer Überdosierung von Mikronährstoffen erhöht. Vielen ist gar nicht bewusst, dass bestimmte Vitamine in zu hoher Konzentration längerfristig beispielsweise zu Vergiftungen der Leber führen können. Nahrungsergänzungsmittel zählen nicht als Arznei-, sondern als Lebensmittel. Die Hürden für ihre Zulassung sind sehr niedrig. Manchmal enthalten sie Substanzen, die auf der Dopingliste stehen. Mein Tipp: Nur bei vertrauenswürdigen Herstellern kaufen und auch nur die Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, die ich wirklich brauche. Im Internet ist zudem die sogenannte Kölner Liste mit Produkten zu finden, die ein Dopinglabor auf Reinheit geprüft hat.

Wohin geht Ihrer Meinung nach der Ernährungstrend der Zukunft?

Eine nachhaltige Ernährungsweise wird an Bedeutung gewinnen. Die EAT-Lancet-Kommission hat 2019 den Report Planetary Health Diet veröffentlicht. Darin beschreiben Forschende ein theoretisches Modell, wie eine nachhaltige und gesunde Ernährung für alle Menschen weltweit möglich wäre. Es ist pflanzenbasiert, erlaubt aber auch in kleinen Mengen tierische Produkte. Allerdings müssten die Menschen in den westlichen Ländern dafür extrem ihre Ernährungsweise verändern, beispielsweise nur noch ein Siebtel der Menge an rotem Fleisch konsumieren. Ich denke, dass dieser Trend immer mehr ins Bewusstsein der Menschen kommt.

Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft (idw)




Viele Schüler fühlen sich wohl, bewegen sich aber viel zu wenig

Freundschaft

HBSC-Studie: Nur jedes zehnte Mädchen und jeder fünfte Junge bewegen sich täglich mindestens 60 Minuten

Die HBSC-Studie ist eine internationale Studie an der 51 Länder beteiligt sind und die in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelt wurde. Alle vier Jahre werden repräsentative Umfragen an Schulen durchgeführt. Die aktuellen Daten für Deutschland hat ein Forschungsverbund unter Leitung der Technischen Universität München (TUM) und der Universitätsmedizin Halle erhoben.

Die Wissenschaftler:innen untersuchten Fragestellungen rund um die Themen körperliche Aktivität, Mobbing und Cybermobbing, psychisches Wohlbefinden, Gesundheitskompetenz und gesundheitliche Ungleichheiten. An der jüngsten Erhebung im Jahr 2022 beteiligten sich 6.475 Schüler:innen im Alter von elf bis 15 Jahren aus ganz Deutschland. Die Ergebnisse sind im Journal of Health Monitoring erschienen.

Ergebnisse aus der aktuellen Erhebung

Bewegung und Sport

  • Nur etwa jedes zehnte Mädchen, jeder fünfte Junge sowie jede:r achte der gender-diversen Heranwachsenden erfüllte die Empfehlung der WHO für tägliche Bewegung von mindestens 60 Minuten.
  • Je älter die Befragten waren, desto weniger bewegten sie sich. Während rund 15 Prozent der elfjährigen Mädchen die WHO-Bewegungsempfehlung erreichten, waren es bei den Fünfzehnjährigen nur knapp sieben Prozent.
  • Während die körperliche Aktivität von 2009 bis 2022 bei Jungen relativ stabil blieb, nahm diese bei Mädchen insgesamt leicht ab.

„Wie geht es mir?“: Subjektive Gesundheit und psychosomatische Beschwerden

  • 84 Prozent der Kinder und Jugendlichen berichteten nach Selbsteinschätzung einen guten eigenen Gesundheitszustand und 87 Prozent eine hohe Lebenszufriedenheit. Diese hat sich gegenüber der Erhebung 2017/18 zwar verschlechtert, im Vergleich zu den Erhebungen 2009/10 sowie 2013/14 ist die Lebenszufriedenheit jedoch gestiegen.
  • Es konnte ein kontinuierlicher Anstieg von vielfältigen psychosomatischen Beschwerden, wie beispielsweise Bauch- oder Kopfschmerzen, Einschlafproblemen oder Gereiztheit, zwischen 2010 und 2022 beobachtet werden.
  • Mädchen, gender-diverse Heranwachsende und ältere Jugendliche berichteten häufiger von einer schlechten Gesundheit, niedrigen Lebenszufriedenheit oder multiplen psychosomatischen Beschwerden.

Mobbing und Cybermobbing

  • Die Häufigkeit von Mobbing in der Schule hat sich seit 2017 kaum verändert, ist aber im Vergleich zu 2009 und 2013 geringer geworden. Allerdings ist der Anteil der von Cybermobbing betroffenen Schüler:innen im Vergleich zu 2017 von vier auf sieben Prozent angestiegen.
  • Über acht Prozent der Schüler:innen berichteten, in der Schule gemobbt zu werden. Etwa drei Prozent – und damit im Durchschnitt eine:r pro Klasse – gaben an, selbst zu mobben. Gender-diverse Schüler:innen sind besonders betroffen – hier berichtete fast jede:r Dritte von Mobbingerfahrungen.

Gesundheitskompetenz: Das Vermögen, mit Gesundheitsinformationen umzugehen

  • Für rund ein Viertel der Schüler:innen lässt sich eine geringe Gesundheitskompetenz ableiten.
  • Die Gesundheitskompetenz hängt stark von den individuellen Umständen wie Geschlecht, Alter, Schulform und familiärem Wohlstand ab.
  • Die Gesundheitskompetenz hat sich zwischen 2017/18 und 2022 kaum verändert.

Gesundheitliche Ungleichheit: Zusammenhang zwischen Gesundheit und Wohlstand oder Geschlecht

  • In Familien mit niedrigem Wohlstand geben 24 Prozent der weiblichen Heranwachsenden eine niedrige Lebenszufriedenheit an. Das ist doppelt so häufig wie bei Schülerinnen mit höherem sozioökonomischen Status. Bei männlichen Heranwachsenden mit niedrigem familiären Wohlstand geben 17 Prozent eine niedrige Lebenszufriedenheit an. Das ist dreimal so häufig wie bei Schülern mit höherem sozioökonomischen Status.
  • Im Vergleich zu 2018 sind die Anteile der Schüler:innen, die eine niedrige Lebenszufriedenheit angaben, leicht gestiegen.

„Der Grundstein für die Gesundheit im Erwachsenenalter wird in Kindheit und Jugend gelegt“, sagt Studienleiter Matthias Richter, Professor für Soziale Determinanten der Gesundheit an der TUM. „Unsere Zahlen zeigen leider, dass uns das als Gesellschaft nicht immer gut gelingt. Auch wenn die Kinder und Jugendlichen grundsätzlich zufrieden sind: Dass psychosomatische Beschwerden seit Jahren zunehmen und nur eine Minderheit sich ausreichend bewegt, kann schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Hier müssen mehr Angebote geschaffen werden, die junge Menschen auch tatsächlich erreichen.“

„Die Ergebnisse unterstreichen nochmals, dass nicht alle Kinder und Jugendlichen die gleichen Gesundheitschancen haben. Um Mobbing, gesundheitliche Ungleichheiten und die Häufigkeit psychosomatischer Beschwerden zu reduzieren, braucht es zielgruppenspezifische Maßnahmen, die beispielsweise Schulform, Migrationshintergrund, sozioökonomischen Status, Geschlecht und Alter besonders berücksichtigen. Mädchen, ältere und gender-diverse Heranwachsende sind in vielen Bereichen besonders betroffen“, erklärt Dr. Irene Moor von der Universitätsmedizin Halle. Als stellvertretende Studienleitung koordiniert sie das Vorhaben am halleschen Institut für Medizinische Soziologie.

Publikation:

Die Kinder- und Jugendgesundheitsstudie „Health Behaviour in School-aged Children“ (HBSC) der Weltgesundheitsorganisation – Nationale Survey-Ergebnisse 2022 und Trends
https://www.rki.de/jhealthmonit-2024




Ausgerechnet zwei Bio-Spaghetti fallen durch

spaghetti

ÖKO-TEST hat 37 klassische Spaghetti aus Hartweizengrieß getestet.

Zwei Drittel der Spaghetti im Test überzeugen und schneiden „sehr gut“ ab. Die zwei Bio-Eigenmarken Bio Bio Spaghetti von Netto und die Edeka Bio Spaghetti fallen mit „mangelhaft“ durch. Sie sind damit die Schlusslichter im Test.

Die Probleme: In beiden wies das Labor gesättigte Mineralölkohlenwasserstoffe (MOSH/MOSH-Analoge) in Gehalten nach, die ÖKO-TEST als „stark erhöht“ bewertet. Das sind Erdölbestandteile, die sich im menschlichen Körper anreichern. Was sie dort anrichten, ist noch völlig unklar. In den Edeka Bio Spaghetti ist der Wert so hoch, dass er den von der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz (LAV) festgelegten Orientierungswert um ein Vielfaches überschreitet. In sechs weiteren Produkten sind die Gehalte aus ÖKO-TEST-Sicht „erhöht“ – vier davon bio. „Für Spaghetti sind das ungewöhnlich hohe Werte“, sagt Birgit Hinsch, ÖKO-TEST-Projektleiterin und Ökotrophologin. „Auf hohe Mineralölrückstände sind wir bisher in unseren Tests vor allem bei fetthaltigen Produkten gestoßen, wozu Spaghetti nicht gehören. Wir appellieren an die Hersteller, herauszufinden, wie diese Verunreinigungen in den Produkten landen.“

Besser sieht es in Sachen Pestizidrückstände aus: Nur in acht der 37 getesteten Produkte wies das Labor Spuren eines Pestizids und/oder eines Wirkverstärkers nach – in drei Fällen handelt es sich um den Unkrautvernichter Glyphosat. Im Vergleich zum letzten Test vor drei Jahren ist das eine bessere Bilanz. Dennoch: Ausgerechnet in einem Bio-Produkt steckt der größte Rückstand an Glyphosat. Ein weiteres Bio-Produkt im Test wertet ÖKO-TEST wegen Schimmelpilzgiften ab.

„Auch wenn einige Ergebnisse dieses Tests besonders bei den Bio-Produkten enttäuschend sind, freuen wir uns, dass es viele Anbieter gibt, die die Schadstoffbelastungen bei Spaghetti im Griff haben“, so Hinsch. Insgesamt 25 Produkte empfiehlt ÖKO-TEST mit „sehr gut“ – knapp die Hälfte davon sind bio.

Weitere Informationen und den aktuellen Test finden Sie in der Märzausgabe des ÖKO-TEST-Magazins und unter: oekotest.de/14436

Quelle: Pressemitteilung Öko-Test




Wer früh mit Freude liest, hat ein leistungsfähigeres Gehirn

Umfassende Studie mit über 10.000 Kindern weist Zusammenhang zwischen dem frühen Lesen mit Freude und Intelligenz nach

Frühes Lesen ist für die Entwicklung des Gehirns, der Intelligenz und der psychischen Gesundheit von großer Bedeutung. Eine Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus England und China mit über 10.000 Kindern zeigt die überraschenden Auswirkungen von Lesebegeisterung bei Kindern, die spätestens im Alter von neun Jahren damit begonnen haben, zum Vergnügen zu lesen.

Was wir bereits wussten

Längst ist bekannt, dass Lesen eine kognitiv bereichernde Aktivität ist, bei der Sprache und Informationen in schriftlicher Form erworben werden, die den Grundstein für den Wissenserwerb legt und weitgehend zum Wissenserwerb beiträgt. Im Gegensatz zum Spracherwerb ist es nötig, dass das Lesen schrittweise und systematisch erlernt und regelmäßig geübt werden muss. Da Kinder vor allem spielerisch gut lernen, ist es wichtig, früh die Freude am Lesen zu vermitteln, etwa durch die Verwendung von gut illustriertem Bildmaterial, um das Verständnis zu erleichtern, erklären die Verfasserinnen und Verfasser der Studie.

Die enorme Bedeutung von Papp- und Bilderbüchern

An dieser Stelle sei angemerkt, dass das Lesen nicht erst mit dem Wissenserwerb über Buchstaben und Ziffern beginnt. Schon das Entziffern von Bildern in Büchern als Gegenstände aus der realen Welt etwa ist ein entscheidender erster Schritt dahin. Nicht von ungefähr sind die ersten Schriften der Menschheit Bilder oder Schriftzeichen mit erkennbar bildhaftem Charakter wie etwa die ägyptischen Hieroglyphen. Wer das weiß ,sollte sich etwa beim Kauf von Papp- und Bilderbüchern seiner Verantwortung bewusst sein.

Spaß muss sein!

Laut Studie kommt es deshalb beim Lesen nicht nur auf kognitive phonologische und orthographische Leseprozesse, sondern auch auf den Spaß an, sich Wissen über Interessen anzueignen, was bei der Entwicklung langfristiger Lesegewohnheiten hilfreich sein kann. Schon im frühkindlichen Bereich können Kinder unterstützt durch eine einfühlsame und verständnisvolle Begleitung erste gedruckte Informationen verstehen, erste Lesefähigkeiten einschließlich alphabetischer Dekodierung und phonologischer Prozesse erlernen, sich an interaktiven Diskussionen über entwicklungsgerechte Texte und Bilder beteiligen. Die Bindung zu Betreuerinnen und Betreuern stärkt den Spaß beim gemeinsamen Lesen. Zum Allgemeinwissen gehört zudem, dass das Vorlesen von Büchern nicht nur zur Entwicklung der Sprachkenntnisse kleiner Kinder beiträgt, sondern auch das Interesse und die Freude am Lesen fördert. Auch in Bezug auf die Prävention von Lese und Rechtschreibschwäche sind diese Vorgänge viel effizienter als in der Grundschulzeit.

Hirnscans weisen Veränderungen nach

Im Gegensatz zu vielen anderen Studien haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur auf die Testergebnisse der Kinder und die Elterninterviews gestützt, sondern auch auf eine große Zahl von Hirnscans. Auch wenn es sich in der Publikation der Ergebnisse etwas kryptisch anhört, hier das Originalzitat aus der Studie auf deutsch: „Diese Teilnehmer mit höheren frühen ,Lesen mit Freude Werten‘ (original reading for pleasure (RfP)) wiesen mäßig größere gesamte kortikale Bereiche und Volumina des Gehirns auf, mit vergrößerten Regionen, einschließlich der Schläfen-, Frontal-, Insula- und Supramarginalregion; links eckig, parahippocampal; rechte mittlere okzipitale, anterior-cinguläre, orbitale Bereiche; und subkortikales ventrales Zwischenhirn und Thalamus. Diese Gehirnstrukturen standen in signifikantem Zusammenhang mit ihren kognitiven und psychischen Gesundheitswerten und zeigten signifikante Mediationseffekte. Frühes ,Lesen mit Freude‘ war in Längsrichtung mit einer höheren kristallisierten Kognition und geringeren Aufmerksamkeitssymptomen bei der Nachuntersuchung verbunden.

Heruntergebrochen heißt das: Wer früh zur eigenen Unterhaltung liest, hat nicht nur ein zum Teil größeres, sondern auch besser ausgebildetes Gehirn. Damit steigt auch die Leistungsfähigkeit des Gehirns und damit der Intelligenz für das ganz Leben. Gleichzeitig zeigt sich, dass diese Menschen resilienter und damit weniger betroffen von psychischen Erkrankungen zeigen. Interessant ist auch, dass die Wissenschaftler die optimale Lesezeit pro Woche festgestellt haben: Zwölf Stunden pro Woche sind für junge Jugendliche kognitiv optimal.

Originalpublikation

Die Studie ist im vergangenen Jahr bei Cambridge University Press erschienen. Diese finden Sie unter folgendem Link: https://www.cambridge.org/core/journals/psychological-medicine/article/earlyinitiated-childhood-reading-for-pleasure-associations-with-better-cognitive-performance-mental-wellbeing-and-brain-structure-in-young-adolescence/03FB342223A3896DB8C39F171659AE33#

Gernot Körner




Hilfe bei sexuellem Missbrauch klappt bei den Jugendämtern nicht immer

Studie der Aufarbeitungskommission zur Arbeit der Jugendämter bei sexuellem Kindesmissbrauch

Bereits Ende des vergangenen Jahres hat die Aufarbeitungskommission eine Studie zur Arbeit der Jugendämter bei sexuellem Kindesmissbrauch veröffentlicht. Betroffene und Angehörige haben der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs immer wieder geschildert, wie sie das Handeln des Jugendamts erlebt haben. Die Kommission hat diese Berichte wissenschaftlich auswerten lassen. Ergänzend wurden dazugehörige Jugendamtsakten analysiert und mit langjährigen Expertinnen und Experten aus der Fachpraxis vertiefende Interviews geführt.

Schilderungen guter Fachpraxis, aber auch klare Defizite

„Uns liegen einerseits Schilderungen von guter Fachpraxis und positiven Hilfeverläufen vor, die ermutigen und bestärken, weil Kinder aus der Gewaltsituation befreit wurden. Andererseits werden klare Defizite deutlich, aus denen dringend gelernt werden muss“, appelliert Prof. Dr. Barbara Kavemann, Mitglied der Aufarbeitungskommission. „Kinder und Jugendliche können sich bei sexualisierter Gewalt nicht selbst schützen. Dies zu tun und ihnen zu helfen, ist eine zentrale Aufgabe von Jugendämtern. Wenn das nicht gelingt, sind die Betroffenen zum Teil jahrelang der gewaltvollen Situation ausgesetzt mit weitreichenden Folgen für ihr Leben.“

In einigen Fällen ist Hilfe einfach ausgeblieben

Eine zentrale Erkenntnis der Studie ist, dass in einigen Fällen Hilfe möglich gewesen wäre, aber ausgeblieben ist. Betroffene Kinder oder Jugendliche waren teilweise grundsätzlich bereit, sich einer Fachkraft des Jugendamtes anzuvertrauen. Es gelang aber nicht, das dafür notwenige Vertrauen aufzubauen: Dazu hätte es Einzelgespräche ohne die Eltern, einen geschützten Rahmen und mehr Zeit für Gespräche gebraucht. Zudem war für viele Betroffene das Jugendamt erst einmal mit Angst verbunden. Diese Ängste waren geprägt durch Medienberichte, durch das soziale Umfeld, aber auch durch Täter bzw. Täterinnen mit dem Ziel, bewusst eine Drohkulisse aufzubauen: Kinder würden aus den Familien genommen und sie kämen ins Heim, wenn sie mit dem Jugendamt sprechen.

Mangel an fachlichen Kenntnissen

Auch ein Mangel an fachlichen Kenntnissen war ausschlaggebend dafür, dass Fälle sexualisierter Gewalt nicht erkannt wurden und Kindern und Jugendlichen nicht geholfen wurde. Umfragen mit Fachkräften in Jugendämtern sowie aktuelle Fallanalysen deuten darauf hin, dass diese Probleme auch heute noch bestehen. Fachkräfte müssen kontinuierlich dazu befähigt werden, die Situation eines betroffenen Kindes zu erkennen und richtig einzuschätzen, um gegebenenfalls schützend eingreifen zu können.

Jugendämter sollten Betroffenen beim Schutzhandeln stärker einbeziehen

So sind nach Einschätzung von Dr. Thomas Meysen, Co-Autor der Studie, Jugendämter aufgefordert, Kinder und Jugendliche beim Schutzhandeln und in den Hilfeverläufen stärker einzubeziehen: „Der Geheimhaltungsdruck, unter dem von sexueller Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche stehen, ist regelmäßig besonders hoch. Wenn sich Kinder und Jugendliche selbst an Jugendämter oder an andere Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe wenden, brauchen Fachkräfte ein Bewusstsein, dass es in diesen Momenten nichts Wichtigeres gibt, als sich ihnen anzunehmen und ihnen Angebote zu machen. Nur dann und erst mit der Zeit gelingt es vielen von sexueller Gewalt betroffenen Kindern und Jugendlichen, sich anzuvertrauen. Wenn der Schutz gelingt, haben Kinder und Jugendliche ein feines Gespür dafür, ob sie in den Hilfeverläufen aktiv einbezogen werden oder ob sie in der Kinder- und Jugendhilfe einen erneuten Kontrollverlust erfahren.“

Erfahrungen von Betroffenen können Verbesserungen fördern

Um Abläufe und Strukturen bei der Hilfe und dem Schutz von Kindern und Jugendlichen zu verbessern und Fachkräfte weiterzubilden, das zeigt die Studie, können die Erfahrungen von erwachsenen Betroffenen äußerst wertvoll sein. Jugendämter sollten Betroffene bei der Wahrnehmung ihres Rechts auf Aufarbeitung unterstützen, ihnen Einsicht in ihre Jugendamtsakte gewähren und ihnen, wenn die Betroffenen dies wünschen, die Möglichkeit geben, Fragen zu stellen sowie ihr damaliges Erleben zu schildern. Die Betroffenen haben gegenüber der Aufarbeitungskommission immer wieder deutlich gemacht, wie wichtig für sie der spätere Einblick in ihre Akten ist. Akten sollten daher nach Ablauf von Aufbewahrungsfristen einem Archiv angeboten, die Betroffenen über ihre Akteneinsichtsrechte informiert und sie bei der Sichtung und Auswertung des Akteninhalts begleitet werden.

Es geht um das Verfügen über die eigene Lebensgeschichte

Ilka Kraugmann, Mitglied im Betroffenenrat bei der UBSKM und Kinder- und Jugendlichentherapeutin: „Betroffene setzen sich in ihrem Leben zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten und oft auch immer wieder mit ihrer gewaltgeprägten Lebensgeschichte auseinander. Der Wunsch nach Akteneinsicht kann dem Bedürfnis entsprechen, biografische Lücken zu schließen, Erinnerungen abzugleichen und gewichtige Fragen zu dieser bedeutsamen Lebensphase zu beantworten. Es geht um das Verfügen über die eigene Lebensgeschichte als Teil ihres Rechtes auf individuelle Aufarbeitung.“

Empfehlungen für Rahmenbedingungen

Die Studie wird ergänzt durch vielfältige Empfehlungen für Rahmenbedingungen, die es braucht, damit Jugendämter schützend und unterstützend tätig werden und Hilfeverläufe verbessern können.

Erstellt wurde die Studie von SOCLES International Centre for Socio-Legal Studies gGmbH (Dr. Thomas Meysen) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Jugendinstitut e.V. (DJI) (Prof. Dr. Heinz Kindler, Mareike Paulus, Dr. Regine Derr).

Download Fallstudie „Sexueller Kindesmissbrauch und die Arbeit der Jugendämter“