Traumawissen für Eltern

Traumawissen

Wie lässt sich ein Trauma erkennen, und was hilft?

Manchmal verändert sich ein Kind nach einem belastenden Erlebnis: Es zieht sich zurück, wirkt plötzlich ängstlich oder aggressiv, zeigt körperliche Beschwerden wie Schlafprobleme oder Bauchschmerzen. Für Eltern stellen sich dann drängende Fragen: Ist dieses Verhalten noch normal? Könnte es ein Zeichen für eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sein? Und vor allem: Was braucht mein Kind jetzt?

Die erfahrene Psychotherapeutin Melissa Goldberg Mintz bietet in ihrem Buch „Ist mein Kind traumatisiert?“ Orientierung und konkrete Unterstützung für Eltern. Sie erklärt, wie sich traumatische Erfahrungen je nach Lebensalter des Kindes äußern können und macht dabei deutlich, wie individuell die Reaktionen auf ein Trauma sind: Während einige Kinder scheinbar schnell zur Normalität zurückfinden, zeigen andere erst Wochen oder Monate später Veränderungen.

Was Eltern tun können – und wann sie Hilfe brauchen

Eltern spielen eine zentrale Rolle im Heilungsprozess. Im Buch gibt die Autorin konkrete Tipps, wie sie mit veränderten Verhaltensweisen ihres Kindes umgehen können. Ein wichtiger Aspekt ist, dem Kind Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. Dies kann durch eine klare Tagesstruktur, ein offenes Ohr, physische Nähe etc. geschehen. Zudem erläutert sie, wie Eltern lernen können, sogenannte Triggersituationen zu erkennen und ihrem Kind in solchen Momenten stabilisierend beizustehen.

Doch nicht immer reichen elterliche Maßnahmen aus. Die Autorin zeigt daher auf, welche Anzeichen darauf hinweisen, dass professionelle Hilfe notwendig ist – etwa, wenn Symptome wie Albträume, Konzentrationsprobleme oder sozialer Rückzug über Wochen hinweg anhalten. Hier ist es wichtig, dass Eltern frühzeitig handeln und Unterstützung suchen, etwa in Form von Traumatherapie.

Liebevolle Begleitung macht den Unterschied

Auch wenn eine therapeutische Begleitung irgendwann nötig werden könnte, bleibt die emotionale Nähe der Eltern ein unverzichtbarer Anker. Mit ihrer Geduld, Liebe und Präsenz können Eltern wesentlich dazu beitragen, dass ihr Kind nach einem belastenden Erlebnis wieder Vertrauen in sich und die Welt fasst.

Eltern müssen kein Trauma-Expert:innen sein, um zu helfen – aber sie können ihrem Kind genau das geben, was es am dringendsten braucht: Sicherheit, Verständnis und eine schützende Hand.

Melissa Goldberg Mintz: Ist mein Kind traumatisiert?

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Was für ein wunderbares Knuddelbuch!

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Kimiko: Der dickste Kuss der Welt

Diese kleinen Bärchen sind so herzallerliebst gezeichnet, dass ich auf jeder Seite aufs Neue „oh wie süüüß“ rufen möchte (Und ich bin ansonsten ein eher etwas reservierter Vorleser)! Große Augen, Knopfnasen, kleine hochstehende Öhrchen – für Kinder ab zwei Jahren ist es ganz einfach zu erkennen, was auf den Bildern los ist. Die dicken Seiten des Buches, leicht beschichtet, fühlen sich sanft an, lassen sich abwischen und halten auch einem beherzten Kinderbiss stand.

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Doch jetzt zur Geschichte

Momo sitzt auf seinem Sessel, ganz in die Ecke gekauert. Er ist richtig doll traurig. Das sieht Lola, seine Freundin, sofort. Er ist so traurig, dass er kaum sprechen kann. Da nimmt sie ihn in den Arm, knuddelt ihn – und gibt ihm einen so dicken Kuss mit einer so dollen Umarmung, dass dabei der Sessel umfällt. Das fühlt sich richtig schön an – deutlich zu sehen an den Grundfarben der Bilder, die dabei von blau zu leicht rosé changieren. Und: Unter dem Sessel liegt der Schmuseelefant, den Momo schon ganz heftig vermisst hat. Weshalb er so traurig war.

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Das ist es, was kleine Kinder brauchen, wenn sie traurig sind

Nähe. Körperlichkeit. Knuddeln. Und gern auch einen dicken Kuss. Weil sie sich noch nicht selbst regulieren können und jemanden brauchen, der sie darin unterstützt, manchmal auch es für sie übernimmt. Ganz direkt, ganz nah. Bis der Körper sich entspannt und beruhigt. Sprechen ist erst danach möglich. Vorher ist die Spannung zu groß, das Gehirn ist noch nicht bereit, sich auf bewusst zu entschlüsselnde Signale von außen einzustellen. Weshalb „ist doch nicht so schlimm“, „schau mal, was es sonst noch gibt“, „wo hast du es denn zuletzt hingelegt?“ in diesem Augenblick nicht funktioniert. Was funktioniert: mitschwingen. Alles andere, so richtig es sein mag, so gut gemeint es sein mag, kann erst danach aufgenommen werden. Ganz nebenbei wird so Empathie gelernt.

Und das kennen Erwachsene auch. Nicht nur aus ihrer Kindheit. Auch Erwachsenen helfen Nähe und Körperlichkeit in hoch emotionalen Momenten mehr als schlaue Worte. Darauf ein bisschen mehr zu achten, das ist es, was „die Großen“ von diesem Buch für „die Kleinen“ mitnehmen können. Und zwar nicht nur beim Vorlesen.

Ralf Ruhl

Kimiko: Der dickste Kuss der Welt.
Moritz Verlag 2024,
www.moritzverlag.de,
ISBN 978-3-89565-461-9,
22 Seiten, ab 2 Jahre,
14,90 Euro




Wenn es das Nichts nicht mehr gibt

nichts

Regina Schwarz (Text), Florence Dailleux (Illustration): Die Geschichte vom NICHTS

 „Das macht nichts“, „nichts da!“, „da kann man nichts machen“ – das Wort „nichts“ benutzen wir ziemlich oft. Was also, wenn es das „Nichts“ nicht mehr gibt? Eine wunderbare Anregung zum Philosophieren mit Kindern! Und das machen schon Kindergartenkinder wirklich gern. Denn es bedeutet Nachdenken über sich und die Welt. Und die Veränderungen, die sie jeden Tag mit sich bringt. Auch Erwachsene tun das gerne, insbesondere in stillen Stunden, gern am Meer oder auf dem Berg, manchmal auch im Meditationssitz. Sich darüber auszutauschen, was man sich da so denkt, insbesondere auch mit Kindern. Dazu lädt dieses Buch wunderbar ein: Wenn das Nichts nicht mehr da wäre, dann müssten wir uns um nichts mehr kümmern. Und was dann?

Das gelingt Regina Schwarz mit jeder Menge Sprachwitz und Sprachspielerei: Wir würden nicht mehr viel Lärm um nichts machen. Aber auch nichts Näheres, nichts Genaueres, nichts Neues mehr hören. Einfach ein bisschen quatschig weiterfabulieren, Wörter und Wortverbindungen weiterspinnen, auch mal ganz sinnfrei – das kann den Alltag in Familie und Kita deutlich bereichern. Mit viel Spaß natürlich.

Doch einen Schritt tiefer geht es in der „Geschichte vom Nichts“ um Selbstwert, Dazugehören, Ausgeschlossen-Sein. Denn das Nichts wird wie eine Person vorgestellt. Es ist traurig, fühlt sich wie ein Nichts, nichts wert, am liebsten würde es sich in nichts auflösen. Ein Seelenzustand, den jeder kennt. Auch Kinder. Und Erwachsene sind in der Pflicht, Kindern zu zeigen, vorzuleben, wie sie mit solchen Zuständen umgehen können. Ohne im Nichts zu versinken, der Schwermut, der Depression.

Wie das gelingt? Das zeichnet Florence Dailleux in teils sehr schwarz, aber nicht düster gehaltenen Bildern. Menschen und Tiere, von der Qualle bis zum Schweinchen, zeigen dem Nichts, wie wichtig es ist. Wie sehr sie es brauchen. Dass es dazugehört. Wie gern sie es haben. Und das ist es, was Kinder brauchen, wenn sie in einem solchen Seelenzustand sind. Erwachsene übrigens auch. Mit diesem Buch können wir dieser Gemeinsamkeit ein wenig näherkommen. Bei jedem Anschauen und Lesen immer wieder neu.

Ralf Ruhl

Regina Schwarz (Text), Florence Dailleux (Bild):
Die Geschichte vom NICHTS.
Aracari Verlag 2024, www.aracari.ch,
32 Seiten,
ISBN 978-3-907114-36-0,
ab 5 Jahren,
€ 15.00




Vom süßen Reiz des Unheimlichen und Mysteriösen

gespenst im haus

Oliver Jeffers: Da ist ein Gespenst im Haus

Zu Halloween gehört der Reiz des Unheimlichen und Gruseligen. Selbst die meisten kleinen Kinder lieben diesen Kitzel und die Beschäftigung mit Hexen, Gespenstern, Vampiren oder Fledermäusen.

In Oliver Jeffers Geschichte „Da ist ein Gespenst im Haus“ lädt ein kleines Mädchen zur Gespensterjagd in ein altes Haus aus dem 18. Jahrhundert ein. Das Mädchen selbst kann die Geister nicht sehen. Die Betrachter dagegen schon, wenn sie die Transparentseiten umblättern und auf die Papierseiten legen.

Jeffers ist einer der großen Kinderbuchautoren und Illustratoren unserer Zeit. Der irische Künstler hat etliche Bilderbücher publiziert, die rund um die Welt erschienen sind. Das Gespenst im Haus belegt ein weiteres Mal seine große Kreativität. Das Suchen und Entdecken der Gespenster ist ein großer Spaß.

Hie und da gibt es weitere witzige Details. Die Illustrationen sind ein fröhlicher Stilemix. Jeffers kombiniert recht häufig Schwarz-Weiß-Fotos mit gezeichneten Elementen auf recht unterschiedliche Weise. Den wesentlichen Farbtupfer bietet das kleine Mädchen mit grünem Teint, Haaren und einem gelbgestreiften Ringelkleid.

Jeffers „Da ist ein Gespenst im Haus“ ist keineswegs gruselig, aber kokettiert mit dem Genre. Für seine Leserinnen und Leser ist es ein großer Spaß und Genuss, das immer wieder zum Durchblättern reizt. Bestens geeignet für die dunklere Jahreszeit.  

Gernot Körner

Oliver Jeffers:
Da ist ein Gespenst im Haus

Gebundene Ausgabe : ‎ 80 Seiten
ISBN : ‎ 978-3968260358
Lesealter‏ : ‎ Ab 4 Jahren
Von Hacht Verlag GmbH; 1. Auflage, Ungekürzte (17. August 2023)
Originaltitel : ‎ There’s a Ghost in this House
24,00 €




Weil Technikerfahrung für Kinder so elementar ist

Gerhard Friedrich: Komm, lass uns Technik entdecken und erfahren

MINT ist zu einem populären Begriff geworden. Bekanntlich verbergen sich dahinter die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Dass die Technik hier am Ende steht, ist lediglich der Wortbildung geschuldet. Allzu oft steht sie aber auch in der täglichen elementarpädagogischen Praxis am Ende. Die Gründe dafür sind vielfältig. Wo gehämmert, geschraubt und gesägt wird, ist die Verletzungsgefahr gegeben. Viele Kindheitspädagogen fühlen sich rein handwerklich dem Thema nicht gewachsen, die Ausstattung und Räumlichkeiten fehlen und im sonst schon turbulenten Kindergartenalltag entsteht noch mehr Lärm. Wer deshalb darauf verzichtet, übersieht wie wichtig und elementar der Umgang mit Werkzeugen, das Erkunden der verschiedenen Materialien sowie das Schaffen von Gegenständen sind.

Mit „Komm, lass uns Technik entdecken und erfinden“ hat Dr. Gerhard Friedrich ein Buch geschrieben, das mit viel Verständnis für Vorbehalte auf die Situation im Kindergarten eingeht, und Stück für Stück erläutert, wie Technik im Alltag einen festen Platz einnehmen kann.

Werkzeug, der richtige Umgang damit und Schutzmaßnahmen sind dabei ebenso Thema wie zahlreiche Anregungen. Diese sind anschaulich und verständlich mit Fotos illustriert. Dabei zeigt Friedrich ebenso, dass der Aufwand, dem Werken der Kinder Raum zu bieten, nicht groß sein muss. Der Schwierigkeitsgrad steigert sich von Seite zu Seite. Zahlreiche kleine Tipps zeigen, wie vieles etwas leichter geht und besser funktioniert. Der Werkzeugführerschein und Tipps von einem echten Profi vertiefen das Thema.

Trotz der vielen Details und zahlreicher Anleitungen ist Friedrichs Buch kein Werkstattbuch im eigentlichen Sinne. Sicher, es baut Hemmschwellen ab und hilft Fertigkeiten zu entwickeln. Damit schafft es aber auch die notwenige Basis und ist Ausgangspunkt für eigene Entwicklungen und Erfindungen der Kinder. Im praktischen Umgang mit Technik erleben Kinder ihr persönliches Tun und Wirken, aus dem etwas Neues, Eigenes entsteht, das endlich auch genutzt werden kann. Schließlich entstehen hier neben vielem anderen zahlreiche praktische Gegenstände.

So ist „Komm, lass uns Technik entdecken und erfinden“ ein sehr gelungenes Praxisbuch, das sicher hilft, eine Lücke im Kindergartenalltag endlich zu schließen.

Gernot Körner

Komm-Technik-cover

Gerhard Friedrich
Komm, lass uns Technik entdecken & erfinden
Ein Aktionsbuch früher technischer Bildung
Verlag Herder
Kartoniert, 160 Seiten
ISBN: 978-3-451-38705-0
22,00 €




Eine schöne Geschichte über Geschwister- und Bücherliebe

brontes

Sara O’Leary/Briony May Smith, Die kleinen Bücher der kleinen Brontës

Kenner irischer Literatur kennen die Werke von Currer, Ellis und Acton Bell. Hinter diesen Pseudonymen verbergen sich die Schriftstellerinnen und Schwestern Charlotte, Emily Jane und Anne Brontë. Zusammen mit ihrem Bruder Patrick Branwell und ihrem Vater Patrick haben sie ein bedeutendes Kapitel der irischen Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts geschrieben.

Die Kindheit dieser vier Geschwister steht im Mittelpunkt von Sara O’Learys und Briony May Smiths Kinderbuch, das im Von Hacht Verlag unter dem Titel „Die kleinen Bücher der kleinen Brontës“ erschienen ist. O’Leary erzählt darin, wie sehr die Kinder bereits in ihrer Kindheit Bücher liebten, wie ihre ersten Werke entstanden und wie stark ihr Zusammenhalt war. Trotz der von Armut geprägten Verhältnisse im „Haus am Moor“ halfen ihnen ihre lebendige Fantasie und die tiefe Zuneigung zueinander, eine eigene glückliche und zufriedene Welt zu schaffen.

Es ist wohl nicht nur der Name O’Leary, der die kanadische Autorin dazu bewegt hat, ein Thema der irischen Literatur ins Bewusstsein von Kindern zu bringen. Aus der Geschichte der Brontë-Kinder lässt sich viel erfahren: die Lebensverhältnisse jener Zeit, ihre Ideen und der Zusammenhalt in schwierigen Situationen. Die Geschichte spielt in einer Zeit großer Armut, in der viele Iren nach Australien deportiert wurden, Katholiken als Menschen zweiter Klasse galten und Gewalt die Gesellschaft prägte. All dies thematisiert O’Leary nicht direkt, doch der familiäre Zusammenhalt und die Fantasie der Kinder, die sich mit ihren Büchern eine eigene Welt schaffen, machen sie widerstandsfähig oder, um es fachlich auszudrücken, resilient.

Briony May Smith hat die Illustrationen zum Buch gestaltet

Die erfahrene Künstlerin hat Zeichnungen in gedeckten Farben angefertigt, die die Personen liebevoll darstellen. Es gelingt ihr, die innige und fröhliche Beziehung der Geschwister zueinander einzufangen und hie und da humorvolle Elemente unterzubringen.

„Die kleinen Bücher der kleinen Brontës“ möchte Kinder für Bücher und das Lesen begeistern. Passend dazu findet sich am Ende des Buches eine Bastelanleitung für ein kleines eigenes Buch sowie eine Anmerkung der Autorin zum Leben ihrer Helden und deren Geschichte.

Das Kinderbuch von Sara O’Leary und Briony May Smith ist eine gelungene Komposition, die viel über die Brontë-Geschwister, einiges über das Leben im Irland des frühen 19. Jahrhunderts und noch mehr über Geschwister- und Bücherliebe zu erzählen hat.

Gernot Körner



Die kleinen Bücher der kleinen Brontës
O’Leary, Sara
Gebunden, 40 S.
Von Hacht Verlag GmbH (2024)
ISBN-13: 978-3-96826-036-5
18,00 €




Mit Mut und Lust ins volle Leben

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Lawrence Schimel / Juan Camilo Mayorga: Glückspilz

In einer auf Stereotype ausgerichteten Gesellschaft gelingt es nur schwer, die Vielfalt der Realität zu verarbeiten, geschweige denn zu begrüßen. Schließlich ist das bevorzugte Schwarz-Weiß-Denken weniger anstrengend und kommt dem menschlichen Bedürfnis nach einfachen Erklärungen entgegen. Lawrence Schimel gehört zu jenen Autoren, die mit ihrem literarischen Werk einen wohltuenden Kontrapunkt zu dieser Geisteshaltung setzen. Der amerikanische Autor, der heute in Madrid lebt, verarbeitet seine vielfältigen Themen vorwiegend in seinen Science-Fiction- und Fantasy-Büchern.

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Mit „Glückspilz“ hat er nun eine Bilderbuchgeschichte verfasst, in deren Mittelpunkt der kleine Bruno steht, der einerseits das Zusammensein mit seinem Kumpel Deniz in vollen Zügen genießt. Die beiden verbringen viele Zeit miteinander und leben im Spiel ihre Fantasie aus. Andererseits fühlt er sich auch in der Gesellschaft seines Bruders Matteo wohl, den er bewundert. Dieser spielt Klavier, hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis, lernt viel, kann tolle Geschichten erfinden und liebt es zu lesen, selbst wenn es finster ist. Denn Matteo ist blind und liest mit seinen Fingerspitzen Brailleschrift.

Dass Matteo blind ist, steht allerdings nicht im Buch. Dahinter muss der Leser schon selbst kommen. Schließlich stehen in der Geschichte die Lebensfreude und die tollen Fähigkeiten, die jeder unterschiedlich hat, im Vordergrund. So ist Bruno ein „Glückspilz“ weil er einen so tollen Freund und einen tollen Bruder hat. Matteo ist ebenfalls ein „Glückspilz“, weil er auch einen klasse Bruder und einen Hund hat, und zudem noch über viele beeindruckende Fähigkeiten verfügt. Und Deniz ist selbstverständlich auch ein „Glückspilz“. Er hat zwar keinen Bruder, aber mit Bruno einen echten Freund, mit dem er Pferde stehlen gehen kann, und viele schöne Spielsachen. So feiert Schimel in seinem Bilderbuch das Fest des Lebens, das auch durch die Einschränkung Matteos nicht getrübt wird.

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Illustriert hat die Geschichte der kolumbianische Künstler Juan Camilo Mayorga. Dieser ist Meister vieler Stile und Techniken. Für „Glückspilz“ hat er eine Mischtechnik aus Stift und Aquarell gewählt. Diese erinnert an den Stil von Jean-Jacques Sempé. Fast könnte der kleine Nick hier Pate für den kleinen Bruno gestanden haben. Mayorgas liebevolle Zeichnungen heben den fröhlichen Charakter der Geschichte hervor. Seine Akteure stahlen Herzlichkeit und Nähe aus. Es gibt auf jeder Seite viel zu entdecken.

Das Sahnehäubchen des Buches ist eine Doppelseite in Brailleschrift. Ein spannendes Erlebnis, auch diese ein wenig zu erkunden. Einziger Wehmutstropfen ist die Wahl der Schrift, da es doch einige Konzentration erfordert, das a vom ä zu unterscheiden. Das lenkt von der Geschichte ab und stört den Lesefluss.

„Glückspilz“ ist ein Buch, das Mut und Lust macht, dem Leben mit Neugier und Freude zu begegnen. Es fordert geradezu dazu auf, das Leben so zu nehmen, wie es ist, und selbst zu entscheiden, wie sich das Beste daraus machen lässt. Und nicht zuletzt ist es eine gute Medizin gegen das Schwarz-Weiß-Denken.

Gernot Körner

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Lawrence Schimel, Juan Camilo Mayorga
Glückspilz

aus dem Englischen von Maxime Pasker
38 Seiten, Hardcover, 22 x 22 cm
ab 3 Jahren
ISBN: 978-3-96843-056-0
19,95 €

Carl-Auer Verlag




Pipigeplätscher

Sandra Grimm (Text), Katja Senner (Ill.): Der kleine Klo-König

Aaah, endlich, leises Geplätscher klingt aus den Tiefen der Toilette. Der großen, natürlich. Denn da oben drauf sitzt Jona, ganz stolz. Und zwar auf seinem neuen Klo-Sitz. Den hat er von Mama bekommen. Als Geschenk. Erst hat er ja gedacht, das sei ein Lenkrad. Naja, Klo-Sitz ist auch toll. Und lange genug gewartet auf das erste Pipi hat er auch. War ziemlich langweilig. Weshalb er Leo Löwe mit ins Badezimmer genommen hat. Und ihn auf sein Töpfchen gesetzt hat. Denn in Gesellschaft pinkelt es sich besser. Wissen ja alle Besties. Auch Mama ist mächtig stolz auf ihren Sohn und setzt ihm eine Papp-Krone auf. Jona freut sich, drückt selbst auf die Spültaste und jubelt: „Jetzt bin ich ein Klo-König!“

Ein Bilderbuch zur Windelfreiheit, da haben bei mir alle Alarmglocken geläutet. Weil ich noch mit der schwarzen Pädagogik groß (und windelfrei) geworden bin. Sofort hatte ich Fotos vor Augen, die ein halbes Dutzend Kinder gleichzeitig auf Toilette oder Töpfchen zeigen. Denn in diesen schwarzen Zeiten mussten selbst basale Körperfunktionen gleichgeschaltet werden. Was hoffentlich heute nicht mehr geschieht. Aber wegen Überforderung und Personalknappheit durchaus wieder passieren kann.

Deshalb ist dieses Buch so wichtig. Denn es zeigt, wie es ohne jeden Zwang geht: Jonas Mama hat einen Plan. Sie bringt ein Geschenk mit und nutzt die Entdeckerfreude ihres Sohnes, sein Explorationsverhalten. Dafür gibt sie ihm genügend Zeit, wendet sich ihm zu, verlangt nichts von ihm. So kann er selbst auf die Idee mit dem Kuscheltier auf dem Töpfchen kommen. Und sie erwartet nichts von ihm, setzt ihn nicht unter Druck, sondern belohnt mit besonderer Zuwendung. Das ist klug, denn Kinder wollen immer kooperieren, die Welt der Erwachsenen erkunden und in sie hineinwachsen. Ob das klappt? Ja! Und zwar nicht nur im Bilderbuch!

Ralf Ruhl

Sandra Grimm (Text), Katja Senner (Ill.): Der kleine Klo-König. Ravensburger 2024, www.ravensburger.com, Pappbilderbuch, 20 Seiten, ab 2 Jahre, 9,99 Euro