Beteiligung von Anfang an: Warum frühe Mitbestimmung Kinder stärkt

Wie Kitas und Grundschulen demokratische Teilhabe fördern können – und warum soziale Ungleichheit frühe Beteiligung oft verhindert

Demokratische Kompetenzen entstehen nicht erst im Jugendalter. Schon in der frühen Kindheit lernen Kinder, ihre Meinung zu äußern, zuzuhören, Regeln auszuhandeln und Verantwortung zu übernehmen. Beteiligung in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen ist deshalb eine zentrale Voraussetzung für eine lebendige Demokratie. Aktuelle Forschungsdaten des Deutschen Jugendinstituts (DJI) zeigen jedoch, dass gerade hier soziale Ungleichheiten frühe Mitbestimmung erheblich einschränken.

Ungleiche Startbedingungen für Mitbestimmung

Die Beiträge in der neuen Ausgabe des Forschungsmagazins DJI Impulse machen deutlich: Ob Kinder Beteiligung erfahren, hängt stark von den sozialen und bildungsbezogenen Ressourcen ihrer Familien ab. Zwar beziehen sich viele der ausgewerteten Daten auf ältere Kinder und Jugendliche, doch die Befunde verweisen auf strukturelle Benachteiligungen, die bereits im Kita- und Grundschulalter wirksam werden. Kinder aus bildungsbenachteiligten oder armutsgefährdeten Familien erhalten seltener Gelegenheiten, ihre Interessen einzubringen oder demokratische Prozesse aktiv mitzugestalten.

Beteiligung ist ein Kinderrecht – auch in Kita und Schule

Mit der UN-Kinderrechtskonvention und ihrer Verankerung im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) ist Beteiligung rechtlich festgeschrieben. Dennoch klafft eine deutliche Lücke zwischen Anspruch und pädagogischer Realität. In vielen Kitas und Grundschulen fehlen Zeit, Ressourcen und verbindliche Konzepte, um Kinder altersgerecht an Entscheidungen zu beteiligen. Studien des DJI verweisen zudem auf erwachsenenzentrierte Strukturen, hierarchische Institutionenkulturen und Unsicherheiten bei Fachkräften im Umgang mit Partizipation.

Wenn Mitbestimmung nur symbolisch bleibt

Besonders problematisch ist eine Beteiligung, die Kinder zwar anhört, ihre Perspektiven aber nicht ernsthaft berücksichtigt. Der DJI-Experte Dr. Frank Greuel warnt davor, dass rein symbolische Mitbestimmung das Vertrauen in demokratische Prozesse untergräbt. Kinder, die früh erleben, dass ihre Stimme keine Wirkung hat, entwickeln weniger Selbstwirksamkeit und Beteiligungsmotivation. Gerade im Kita- und Grundschulbereich ist deshalb entscheidend, dass Rückmeldungen transparent sind und Kinder nachvollziehen können, wie ihre Beiträge in Entscheidungen einfließen.

Gute Praxis braucht Haltung und Ressourcen

Die Beiträge in DJI Impulse zeigen zugleich, dass gelingende Beteiligung möglich ist. Voraussetzung sind Fachkräfte, die bereit sind, Entscheidungsmacht zu teilen, sowie klare Strukturen für Mitbestimmung im pädagogischen Alltag – etwa bei der Gestaltung von Räumen, Regeln oder Projekten. Früh erlebte Partizipation stärkt nicht nur demokratische Kompetenzen, sondern auch Selbstvertrauen, Sprachentwicklung und soziale Fähigkeiten von Kindern.

Forschung liefert wichtige Impulse für die Praxis

Das Forschungsmagazin DJI Impulse gibt regelmäßig Einblicke in aktuelle Studien zu Kindheit, Jugend, Familie und Bildung. Die aktuelle Ausgabe unterstreicht, wie wichtig es ist, Beteiligung nicht erst bei Jugendlichen anzusetzen, sondern bereits im frühen Kindesalter verlässliche, inklusive Strukturen zu schaffen – in Kitas, Grundschulen und allen pädagogischen Angeboten, die Kinder in ihrem Alltag begleiten.

Originalpublikation:

Forschungsmagazin DJI Impulse. „Besser beteiligen. Warum die Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen wichtig ist – und wie sie gelingen kann“. Heft 3+4/2025 (Nr. 140+141), Deutsches Jugendinstitut, München

Weitere Informationen:

https://www.dji.de/impulse Ausgaben des Forschungsmagazins DJI Impulse inkl. digitale Angebote
https://www.dji.de/jugendbeteiligung Online-Schwerpunkt zur DJI-Impulse-Ausgabe 3+4/2025
https://www.dji.de/videocast-perspektiven-folge9 Videointerview zur DJI-Impulse-Ausgabe 3+4/2025




Wie Vorstellungskraft unser Lernen und unsere Beziehungen verändert

Eine neue Studie zeigt: Schon positive Gedanken können Vorlieben formen, Lernen fördern und Veränderungen im Gehirn anstoßen

Sich eine schöne Begegnung mit einem Menschen vorzustellen, kann tatsächlich dazu führen, dass wir diesen Menschen sympathischer finden. Das zeigt eine neue Studie der University of Colorado Boulder und des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften. Entscheidend ist dabei: Unser Gehirn verarbeitet vorgestellte Erfahrungen ähnlich wie reale Erlebnisse.

Lernen ohne echte Erfahrung

Die Forschenden konnten nachweisen, dass lebhafte Vorstellungen messbare Veränderungen im Gehirn auslösen. Regionen, die für Lernen, Motivation und Präferenzbildung zuständig sind, werden aktiviert – selbst dann, wenn die Situation nur im Kopf stattfindet. Das eröffnet neue Perspektiven für Lernprozesse, persönliche Entwicklung und soziale Beziehungen.

Vorstellungskraft ist kein passiver Prozess

„Wir zeigen, dass wir aus rein imaginären Erfahrungen lernen können“, erklärt Studienleiter Prof. Roland Benoit. Die gleichen neuronalen Mechanismen, die beim Lernen aus realen Erfahrungen wirken, sind auch bei vorgestellten Situationen aktiv. Vorstellungskraft ist damit kein bloßes Tagträumen, sondern ein aktiver Prozess, der Erwartungen und Entscheidungen beeinflusst.

Gedächtnis und Zukunftsbilder hängen eng zusammen

Bereits frühere Studien zeigten, dass Erinnern und Vorstellen dieselben Gehirnareale nutzen. Kinder entwickeln beide Fähigkeiten ungefähr im gleichen Alter, ältere Menschen verlieren sie oft parallel. Wer Schwierigkeiten mit dem Gedächtnis hat, tut sich häufig auch schwer, sich neue Situationen vorzustellen. Daraus entstand die Frage: Können wir allein durch Vorstellung lernen?

Das Experiment im Gehirnscanner

Um das zu überprüfen, nahmen 50 Erwachsene an einer Studie mit funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) teil. Zunächst sollten sie bekannte Personen nach Sympathie bewerten. Anschließend stellten sie sich im Scanner positive oder negative Erlebnisse mit neutral bewerteten Personen vor – etwa ein gemeinsames Eisessen oder eine enttäuschende Erfahrung.

Wenn das Gehirn überrascht wird

Besonders spannend war der sogenannte Belohnungsvorhersagefehler. Wenn eine vorgestellte Situation positiver ausfiel als erwartet, reagierte das Gehirn mit verstärkter Aktivität im ventralen Striatum – einer Region, die auch bei realen Belohnungen aktiv ist. Gleichzeitig arbeitete dieser Bereich mit Gedächtnisregionen zusammen, die für Personenwissen zuständig sind.

Positive Vorstellungen stärken Sympathie

Nach dem Experiment mochten die Teilnehmenden jene Personen mehr, mit denen sie sich häufiger positive Erlebnisse vorgestellt hatten. Allein das innere Bild reichte aus, um die emotionale Bewertung zu verändern. Negative Vorstellungen hatten dagegen keinen vergleichbar starken Effekt.

Bedeutung für Lernen, Therapie und Alltag

Die Ergebnisse sind für viele Lebensbereiche relevant. In der Psychotherapie könnten belastende Situationen zunächst gedanklich geübt werden, statt sie real durchzuleben. Auch im Lernen, im Sport oder in der Musik ist mentales Training schon lange bekannt – nun gibt es dafür eine klare neurobiologische Erklärung.

Chancen – und Grenzen – der Vorstellungskraft

Gleichzeitig weist die Studie auf Risiken hin. Menschen mit Angststörungen oder Depressionen neigen dazu, negative Szenarien besonders lebhaft auszumalen, was ihre Belastung verstärken kann. Vorstellungskraft kann also sowohl hilfreich als auch problematisch sein – je nachdem, wie sie genutzt wird.

Ein einfacher Gedanke mit großer Wirkung

Die zentrale Erkenntnis lautet: Wer sich positive Begegnungen, Lernerfolge oder Beziehungen bewusst vorstellt, kann reale Veränderungen anstoßen. Unser Gehirn unterscheidet weniger strikt zwischen Vorstellung und Wirklichkeit, als lange angenommen wurde – und genau darin liegt sein großes Potenzial.

Originalpublikation

Aroma Dabas, Rasmus Bruckner, Heidrun Schultz, Frederik Bergmann & Roland G. Benoit
“Learning from imagined experiences via an endogenous prediction error”
Nature Communications
https://www.nature.com/articles/s41467-025-66396-2




Wie wir unsere Kinder besser schützen – ein neues Bildungskonzept für Resilienz, Sicherheit und Mut

Digitale Risiken erkennen, Kinder stärken, SelbstSicherheit fördern – für Eltern, Erzieherinnen und alle, die Kinder begleiten.

Noch nie war die Herausforderung, Kinder gut auf die Zukunft vorzubereiten, so groß wie heute. Die rasante Entwicklung digitaler Technologien und der untrennbar damit verknüpfte Aufstieg künstlicher Intelligenz schaffen Chancen – aber ebenso neue Risiken. Besonders Kinder und Jugendliche begegnen ihnen täglich: gesundheitliche Belastungen, soziale Isolation, Cybermobbing, Gewalt- und Missbrauchsdarstellungen, sogar KI-generiert und personalisiert.  Das ist die Welt, in der Kinder heute aufwachsen. Und es ist die Welt, in der sie bestehen müssen.

Ein Ansatz, der nicht auf Technik, sondern auf Beziehung setzt

Wie Kinder Sicherheit durch Menschen lernen – nicht durch Algorithmen

Der Selbstverteidigungstrainer und Kindersicherheitsexperte Frieder Knauss hat ein Buch vorgelegt, das Eltern und Pädagog*innen konkrete Wege zeigt, Kinder für diese Zukunft stark zu machen: 

„Dein SelbstSicheres Kind“.

Im Mittelpunkt stehen nicht technische Schutzsysteme, Überwachung oder KI, sondern analoge Fähigkeiten, echte Beziehung, Präsenz und Vertrauen. Digitalisierung wird nicht verteufelt – aber bewusst eingeordnet. Kinder brauchen, bevor sie digitale Kompetenzen ausbilden, zuerst innere Sicherheit und innere Stärke.

SelbstSicherheit: Ein Begriff mit zwei Bedeutungen

Innere Stärke + äußere Handlungskompetenz = echte Kindersicherheit

Das Herz des Buches steckt im Titel. SelbstSicherheit meint nicht nur Selbstbewusstsein, sondern zwei gleichwertige Dimensionen:

• Kinder sind sich ihrer selbst sicher – sie kennen Gefühle, Bedürfnisse, Grenzen. 
• Kinder können (altersgemäß) für ihre Sicherheit sorgen – sie handeln, statt zu erstarren.

Analog dazu nutzt das Buch zwei starke Bilder: 

🪝 Innere Sicherheit = Anker
🛡️ Äußere Sicherheit = Schutzschild

Auf knapp 120 Seiten erhält man dazu praktische Impulse – kompakt, konkret und für Alltagssituationen geschrieben, ohne Problemdramatisierung und ohne pädagogische Überforderung.

Wie gelingen Nähe, Offenheit und echte Gespräche?

Zeit mit Kindern ist nicht automatisch Zeit für Kinder

Ein Kapitel widmet sich der Frage, wie gelingendes Zuhören aussieht. Die Erkenntnis ist simpel – und doch tiefgehend:  Viele Erwachsene verbringen Zeit für Kinder, aber wenig Zeit mit ihnen. „Es gibt einen Unterschied zwischen Zeit, die man für ein Kind aufwendet, und Zeit, die man mit einem Kind verbringt – zum Zuhören, zum Fühlen, zum Verstehen.“ (S. 18)

Doch was passiert, wenn ein Kind nicht sprechen möchte? Wie schafft man einen Raum für echte Gespräche – nicht einmalig, sondern immer wieder?  Das Buch liefert Antworten, Ideen, Gesprächsformen und Rituale, die Bindung, Vertrauen und Öffnung ermöglichen. Nicht oberflächlich – sondern tief und lebensnah. Erzieher*innen finden darin viele Anregungen für die pädagogische Alltagspraxis.

Kinder stark machen heißt: Scheitern zulassen

Resilienz entsteht nicht durch Perfektion – sondern durch Widerstände

Ein Schwerpunkt des Buches ist die Entwicklung von Widerstandskraft, also Resilienz. Misserfolge sind nicht das Gegenteil kindlicher Entwicklung, sondern ein notwendiger Bestandteil davon.  „Misserfolge gehören zum Leben dazu! (…) Eine der wichtigsten Eigenschaften ist der richtige Umgang mit Problemen.“ (S. 49f)

Kinder sollen nicht rücksichtslos „abgehärtet“ werden – aber sie dürfen Schwierigkeiten erleben, Konflikte austragen, Fehler machen. Nur wer fällt, kann wieder aufstehen. Schon Konfuzius formulierte: „Unser größter Ruhm liegt nicht darin, niemals zu fallen, sondern jedes Mal wieder aufzustehen.“

Im Interview mit SWR 1 Leutewerden sogenannte „Rasenmäher-Eltern“ thematisiert – also Erwachsene, die Hindernisse entfernen, bevor sie auftreten. Kinder dieser Muster haben es später schwer, denn Erfahrung ersetzt Vorsorge.

Der Grundsatz lautet daher: „Mein Kind kann das.“

Gefahren erkennen – ohne Angst zu erzeugen

Die SelbstSicherheits-Ampel für Zuhause, Kita, Schule und Alltag

Der zweite Teil des Buches widmet sich Gefahrenquellen im realen Leben:

• Zuhause 
• Kindergarten & Schule
• Schulweg & Freizeit

Dafür wird ein erprobtes Ampelsystem genutzt – aus dem Präventionsprojekt „Nicht mit mir!“ des Deutschen Ju-Jutsu Verbands:

🟢 Prävention (Wissen, Grenzen, körperliche Selbstbestimmung)
🟡 Selbstbehauptung (laut werden, Nein sagen, Hilfe holen)
🔴 Selbstverteidigung (nur im äußersten Notfall)

Hierzu beschreibt das Buch Go-Buttons – Wenn-Dann-Regeln, die im Notfall automatisch ablaufen müssen:

• Wenn mich jemand festhält, dann …
• Wenn mich ein Fremder anspricht, dann …

Diese Automatismen müssen geübt werden – nur dann funktionieren sie unter Stress.

Die Stimme als mächtigste Waffe eines Kindes

Laut sein darf man üben – besonders, wenn man Angst hat

Ein oft unterschätzter Punkt: Schrei- und Alarmtraining. Laut sein ist leicht, wenn man wütend oder fröhlich ist. Schwer dagegen ist laut sein, wenn man Angst hat. „Wird ein Kind angegriffen, ist seine beste Chance, möglichst viele Menschen aufmerksam zu machen.“ (S. 68)

Hier liefert das Buch klare Übungen und Wiederholungsformate. Kinder, die schreien dürfen, schreien im Ernstfall können.

Vorbild statt Forderung

Kinder kopieren Verhalten – nicht Regeln

Resümee beider Buchteile:  Kinder tun, was Erwachsene vorleben, nicht was sie sagen.

Wer Körpergrenzen lehrt, muss sie respektieren. Wer Ehrlichkeit verlangt, muss ehrlich sein. 

„Live what you preach.“

So entsteht glaubwürdige SelbstSicherheit – von innen heraus.

Empfehlung für Eltern, Erzieher*innen und pädagogische Teams

Praxisnah, verständlich, sofort umsetzbar

Michael Korn, Kinder- und Jugendtrainer, beschreibt im Vorwort: „Das Buch zeigt praxisnahe Wege, wie Kinder Stärken entwickeln, sich selbst vertrauen und Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen.“ (S. 7)

Damit ist alles gesagt – und gleichzeitig beginnt hier erst die Praxis.

Frieder Knauss

Frieder Knauss
Dein SelbstSicheres Kind 
Wie Sie die Entwicklung von Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein praktisch unterstützen
120 Seiten
ISBN: 9783963040733
20 €

Mehr zum Buch…




Sicher durchs Netz: Welche digitalen Fähigkeiten Schulkinder heute brauchen

Neue Studie zeigt 30 Kompetenzfelder für altersgerechte Cybersicherheit – und wie Schulen, Eltern und Kinder davon profitieren

Kinder wachsen heute oftmals mit Tablet, Smartphone und Internet auf. Gleichzeitig steigt die Gefahr, online manipuliert, verunsichert oder überfordert zu werden. Eine neue Studie der Universität Mannheim zeigt, welche konkreten digitalen Fähigkeiten Kinder zwischen acht und dreizehn Jahren brauchen, um sich sicher im Netz zu bewegen. Das Forschungsteam von Prof. Dr. Dr. h.c. Dirk Ifenthaler und Nicolai B. Plintz hat dafür ein umfassendes Kompetenzmodell entwickelt, das Eltern, Lehrkräften und Bildungseinrichtungen Orientierung bietet – und künftig als Grundlage für Unterrichtsmaterialien dient.

Warum digitale Schutzfähigkeiten so wichtig sind

Kinder surfen heute fast täglich im Internet: Sie chatten, spielen, suchen Informationen und tauschen Bilder aus. Doch viele Risiken erkennen sie noch nicht – von Fake-Accounts über Schadsoftware bis zu ungewollten Nachrichten. Das Mannheimer Forschungsteam hat daher systematisch untersucht, welche Kompetenzen Kinder brauchen, um online selbstbestimmt, kritisch und sicher handeln zu können.

Im EU-geförderten Projekt „Super Cyber Kids“ wurden aus über 500 Vorschlägen insgesamt 257 kindgerechte Fähigkeiten herausgearbeitet. Diese lassen sich in 30 übersichtliche Themenfelder einordnen – von Datenschutz und Geräte­sicherheit bis hin zu sozialem Verhalten im Netz.

Drei Kernbereiche: erkennen, reagieren, wiederherstellen

Das Modell unterscheidet nicht nur Themen, sondern auch Handlungsdimensionen:

  • Erkennen: Gefahren wahrnehmen, unseriöse Inhalte und Nachrichten einordnen
  • Reagieren: wissen, was bei Cybermobbing, Datenklau oder Fehlermeldungen zu tun ist
  • Wiederherstellen: Unterstützung holen, Daten sichern, Geräteprobleme lösen

So wird sichtbar, welcher Lernschritt in welchem Alter sinnvoll ist – und wo Kinder Unterstützung brauchen. Besonders wichtig war den Forschenden die realistische Umsetzbarkeit im Schulalltag. Manche Kompetenzformulierungen wurden deshalb bewusst vereinfacht, um sie für Kinder greifbar zu machen.

Workshops, Materialien & Online-Plattform für Schulen

Auf Basis der Studie entstehen nun Workshops, Unterrichtsideen und spielerische Lernangebote, die direkt im Klassenzimmer eingesetzt werden können. Eine mehrsprachige Plattform bündelt bereits Tools, Lernspiele und Materialien zur Cyber­sicherheitserziehung – leicht zugänglich und praxistauglich.

Ziel ist es, Kinder stark zu machen, damit sie digitale Räume selbstbewusst, verantwortungsvoll und sicher nutzen können – heute und in Zukunft.

Quelle:

Plintz, N.B., Ifenthaler, D. Empowering children online: a holistic skills framework for cybersecurity. Education Tech Research Dev (2025). https://doi.org/10.1007/s11423-025-10565-z




Warum Kinder mit den Fingern zählen sollten – was Forschung heute weiß

Fingerzählen unterstützt das kindliche Zahlverständnis – und eröffnet einen natürlichen Zugang zur Mathematik

„Nicht mit den Fingern!“ – dieser Satz begegnet vielen Kindern schon in der ersten Klasse. Dabei zeigt die aktuelle Forschung, dass Fingerzählen ein zentraler Baustein im frühen Mathematiklernen ist. Die kognitive Entwicklungspsychologin Prof. Catherine Thevenot und ihre Kollegin Justine Dupont-Boime untersuchen seit Jahren, wie Kinder Zahlen verstehen und welche Rolle der eigene Körper dabei spielt. Ihre Forschungsarbeiten, vorgestellt im Magazin Cerveau & Psycho, zeigen eindrucksvoll, wie eng Fingerwahrnehmung und mathematisches Denken miteinander verknüpft sind.

Die Wissenschaftlerinnen arbeiten am Laboratoire du Cerveau et du Développement Cognitif (LABCD), einer Forschungseinheit, die sich mit der Entwicklung numerischer Fähigkeiten bei Kleinkindern beschäftigt. Dabei interessiert sie besonders, wie Kinder Finger als Werkzeug nutzen, um Mengen zu begreifen und einfache Rechenaufgaben zu lösen – eine Strategie, die weit natürlicher ist, als viele Erwachsene vermuten.

Wie Finger und Zahlen im Kopf zusammengehören

Einen besonders eindrucksvollen Hinweis auf diese Verbindung liefert ein Fall aus dem Jahr 1964: Ein elfjähriges Mädchen, das ohne Unterarme geboren wurde, berichtete, dass es „an seinen Fingern“ zählen könne – obwohl diese gar nicht existierten. Sie legte ihre imaginären Hände auf den Tisch und erfühlte beim Rechnen jeden einzelnen Finger. Wissenschaftlich spricht man hier von digitaler Gnosie, der Fähigkeit, die eigenen Finger mental präzise wahrzunehmen. Genau diese Fähigkeit, so zeigen zahlreiche Studien, hängt eng mit den späteren mathematischen Leistungen zusammen.

Kinder, deren Fingergnosie besonders ausgeprägt ist, haben nicht nur ein besseres Gefühl für Mengen, sondern schneiden auch in Mathematiktests langfristig überdurchschnittlich ab. In Experimenten mit Vorschulkindern zeigte sich, dass jene, die mit geschlossenen Augen genau benennen konnten, welcher Finger sanft berührt wurde, ein Jahr und sogar drei Jahre später deutlich besser rechneten als ihre Altersgenossen. Die Finger dienen gewissermaßen als körperliche Landkarte für Zahlen – ein intuitives System, auf das Kinder zurückgreifen, lange bevor sie abstrakte Symbole sicher beherrschen.

Warum Fingerzählen den Einstieg erleichtert

Die Erklärung dafür ist erstaunlich klar: Kinder, die ihre Finger gut spüren und nutzen, können Zahlen leichter mit bestimmten Fingerstellungen verknüpfen. Die Zahl 4 hat plötzlich eine Form, die man anfassen kann; die Zahl 7 entsteht aus fünf Fingern der einen und zwei Fingern der anderen Hand. Rechnen wird damit nicht zu einer abstrakten Pflichtaufgabe, sondern zu einer körperlich erfahrbaren Handlung.

Kinder mit schwächerer Fingergnosie greifen seltener auf dieses körperliche Zahlengedächtnis zurück. Genau diese Kinder haben oft größere Schwierigkeiten, Mengen zu vergleichen oder einfache Additionen zu lösen – ein Unterschied, der sich später im Mathematikunterricht deutlich bemerkbar machen kann.

Die Klügsten beginnen als Erste damit

Besonders spannend ist, dass Thevenot und Dupont-Boime in ihren Studien nicht etwa jene Kinder häufiger beim Fingerzählen beobachteten, die unsicher sind oder Unterstützung brauchen. Im Gegenteil: Es waren gerade die leistungsstärksten Kinder, die früh und selbstbewusst auf ihre Finger als Hilfsmittel zurückgriffen. In Versuchen mit versteckter Kamera arbeiteten die klügsten Fünf- und Sechsjährigen am häufigsten mit ihren Fingern, wenn sie einfache Additionen lösen sollten.

Diese Kinder fanden aber auch schneller wieder zu abstrakteren Rechenwegen. Das deutet auf ein natürliches Entwicklungsfenster hin, in dem Fingerzählen besonders sinnvoll ist – ungefähr um das sechste Lebensjahr herum. Danach entwickeln Kinder automatisch Strategien, bei denen sie Zahlen auswendig abrufen oder Mengen rein mental vergleichen können.

Warum Fingerzählen im Unterricht mehr Raum haben darf

Trotz der klaren Befunde gilt Fingerzählen in vielen Klassenzimmern als überholt oder peinlich. Manche Kinder verstecken ihre Hände unter dem Tisch, um nicht aufzufallen, oder fragen verlegen nach Erlaubnis. Dabei sprechen sowohl entwicklungspsychologische als auch neuroanatomische Erkenntnisse dafür, diese natürliche Strategie zu unterstützen.

Bildgebende Studien zeigen, dass sich Gehirnareale für Fingerwahrnehmung und Zahlenverarbeitung überlappen. Wird die Aktivität dieser Regionen künstlich gestört, beeinträchtigt dies sowohl die Fähigkeit, Finger zu spüren, als auch die Fähigkeit, Zahlen zu vergleichen. Das Gehirn arbeitet hier also in einem gemeinsamen Netzwerk – ein Netzwerk, das Kinder intuitiv nutzen, wenn sie an ihren Fingern abzählen.

In historischen Quellen zeigt sich zudem, dass das Fingerzählen jahrhundertelang elementarer Bestandteil mathematischer Bildung war. Arithmetikbücher galten erst dann als vollständig, wenn sie das Rechnen mit den Fingern erklärten. Die enge Beziehung zwischen Zahl und Körper war selbstverständlich – und verlor sich erst mit der zunehmenden Schulabstraktion.

Wie man Kinder beim Fingerzählen begleitet

Das Forschungsteam arbeitet inzwischen an einem Lernprogramm für Kinder, die diese hilfreiche Strategie nicht von selbst verwenden. Dabei lernen Kinder zunächst, Mengen eindeutig mit bestimmten Fingerstellungen zu verbinden, später werden diese Muster automatisiert. Im nächsten Schritt üben sie, zwei Zahlen über Fingerbilder zu einer Summe zusammenzuführen – etwa indem sie 3 auf einer Hand und 5 auf der anderen zeigen. Schließlich entwickeln sie Strategien, bei denen sie von der größeren Zahl ausgehen und nur die kleinere über die Finger ergänzen.

Diese Vorgehensweise zeigt, wie eng körperliche Erfahrung und mathematisches Denken miteinander verflochten sind. Wenn Kinder ihre Finger nutzen dürfen, entsteht ein natürlicher Zugang zu Zahlen, der ihnen eine stabile Grundlage für alle weiteren Lernschritte bietet. Gerade in einer Welt, in der Mathematik in nahezu allen Lebensbereichen eine Rolle spielt, lohnt es sich besonders, diese körpernahe Form des Lernens ernst zu nehmen und zu unterstützen.




Neue Maßnahmen für besseren Schutz vor sexuellem Missbrauch

Wie Kampagne, Forschung und digitale Schutzkonzepte pädagogische Fachkräfte unterstützenKampagne „Schieb deine Verantwortung nicht weg!“ wird fortgeführt

Die bundesweite Aufklärungs- und Aktivierungskampagne #NichtWegschieben geht 2025/26 in eine neue Phase. Sie richtet sich an Erwachsene – insbesondere an pädagogische Fachkräfte, Lehrkräfte und Eltern – und vermittelt praxisnahe Handlungsmöglichkeiten zum Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt.

Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass Aufklärung Wirkung hat:

  • 53 % der Bevölkerung halten sexuelle Gewalt im eigenen Umfeld inzwischen für möglich (vorher 41 %).
  • 60 % sehen Familie, Freunde und Bekannte klar in der Verantwortung (vor der Kampagne 50 %).

WhatsApp-Kurs für Eltern und Fachkräfte: „7 Wochen. 7 Tipps“

2025 startet der neue WhatsApp-Messenger-Kurs „7 Wochen. 7 Tipps“, der pädagogischen Fachkräften und Eltern konkrete Werkzeuge an die Hand gibt. Vermittelt werden u. a.:

  • Wie Kinder in ihrer Selbstbestimmung gestärkt werden können
  • Wie Erwachsene Täterstrategien frühzeitig erkennen
  • Wie Gespräche über Körperwissen, Grenzen und Sexualität altersgerecht gelingen
  • Welche Schutzstandards Einrichtungen wie Kitas, Schulen oder Vereine einhalten sollten
  • Welche Signale von Kindern aufmerksam machen sollten
  • Wie Fachkräfte wertschätzend, aber klar intervenieren können

Der Kurs ergänzt bestehende Materialien und kann leicht in Teamsitzungen, Elternabende oder Schutzkonzept-Arbeit eingebunden werden.


Wie Selbstsicherheit wächst

  • Ganzheitlicher Ansatz für innere und äußere Selbstsicherheit,
  • Konkrete Impulse für Eltern, Erziehende und pädagogische Fachkräfte,
  •  Stärkt Selbstvertrauen, Verantwortungsgefühl und Resilienz,

Dieses Buch zeigt, wie Eltern und pädagogische Fachkräfte Kinder dabei unterstützen, ein gesundes Selbstvertrauen und Verantwortungsgefühl zu entwickeln. Dein SelbstSicheres Kind setzt auf einen ganzheitlichen Ansatz, der Selbstsicherheit emotional, sozial und körperlich denkt – praxisnah, einfühlsam und alltagstauglich.

Frieder Knauss, Dein Selbstsicheres Kind, Softcover, 120 Seiten, 978-3-96304-073-3, 20 €


Themenschwerpunkt 2026/27: Digitale sexuelle Gewalt

In der folgenden Kampagnenphase liegt der Fokus auf digitalen Risiken, darunter:

  • Cybergrooming und Grenzverletzungen in Social Media
  • Schutzfaktoren in Chat- und Gaming-Umgebungen
  • Anforderungen an digitale Schutzkonzepte in Schulen und Kitas
  • Medienkompetenz für Kinder, Eltern und pädagogische Teams

Ziel ist es, Erwachsene dabei zu unterstützen, Kinder und Jugendliche auch online aktiv zu begleiten und digitale Räume sicherer zu machen.

Neue Forschungsvorhaben für evidenzbasierten Kinderschutz

Neben der Kampagne wurden von Bundesfamilienministerin Karin Prien und der Unabhängigen Bundesbeauftragten Kerstin Claus mehrere Forschungsvorhaben gestartet, die für die Praxis im Bildungswesen bedeutsam sind.

Zentrum für Forschung zu sexueller Gewalt (ZEFSG)

Das neue Zentrum am Deutschen Jugendinstitut (DJI) wird langfristig Daten sammeln, Forschungslücken schließen und wissenschaftliche Grundlagen für Schutzkonzepte und Prävention bereitstellen. Für pädagogische Fachkräfte bedeutet das:

  • bessere Orientierung bei der Weiterentwicklung eigener Schutzkonzepte
  • wissenschaftlich fundierte Materialien für Fortbildungen
  • klarere Handlungsempfehlungen durch neue Erkenntnisse

„Safe!“-Jugendstudie ab 2026

Die bundesweite, repräsentative Studie befragt rund 10.000 Schülerinnen und Schüler der 9. Klassen zu:

  • Häufigkeit und Formen sexueller und anderer Gewalt
  • Folgen für schulische Entwicklung, Gesundheit und Teilhabe
  • Unterstützungsbedarfen

Die Ergebnisse sollen 2027 veröffentlicht werden und können Einrichtungen bei der Entwicklung aktueller Präventionsmaßnahmen unterstützen.

Digitale Sicherheit: Expertenkommission entwickelt neue Strategie

Die neu eingesetzte Unabhängige Expertenkommission „Kinder- und Jugendschutz in der digitalen Welt“ erarbeitet derzeit eine umfassende Strategie für den Schutz von Kindern und Jugendlichen in digitalen Medien. Für die pädagogische Praxis kündigt sie u. a. an:

  • Empfehlungen zum Umgang mit sozialen Netzwerken im Schul- und Kitakontext
  • Mindeststandards für digitale Schutzkonzepte
  • Hinweise zur Förderung altersgerechter Medienkompetenz
  • Forschung zu gesundheitlichen Folgen intensiver Mediennutzung

Diese Informationen sollen künftig verstärkt in Fortbildungen, Leitfäden und Schutzkonzept-Prozesse einfließen.

Materialien, Links & Ansprechpartnerinnen

Zahlen und Fakten zu sexuellem Missbrauch

https://beauftragte-missbrauch.de/mediathek/publikationen/zahlen-und-fakten




Wie Kinder heute schlafen – und welche sozialen Faktoren ihre Nächte prägen

Warum Alltagsrhythmen, Medien, Wohnumfeld und Schule den Schlaf von Kindern beeinflussen – und was Eltern und Lehrkräfte dabei beachten können

Schlaf ist für Kinder weit mehr als Erholung. Er ist ein Motor für Wachstum, Lernen, emotionale Stabilität und Gesundheit. Doch viele Kinder – und auch Jugendliche – bekommen heute nicht mehr die Schlafmenge, die sie eigentlich bräuchten. Forschungen der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) zeigen, dass der Schlaf nicht nur biologisch geprägt ist, sondern auch stark von kulturellen, familiären und gesellschaftlichen Einflüssen abhängt.

Wie viel Schlaf brauchen Kinder wirklich?

Kinder und Jugendliche haben ein deutlich größeres Schlafbedürfnis als Erwachsene. Als Orientierung gelten:

  • Vorschulkinder: 11–13 Stunden
  • Grundschulkinder: 10–11 Stunden
  • Jugendliche: 8–10 Stunden

Besonders bei Jugendlichen verschiebt sich die innere Uhr nach hinten, während Schule häufig sehr früh beginnt – ein strukturelles Problem, das seit Jahren kritisiert wird.

Warum Kinder heute zu wenig schlafen

Die Forschung zeigt: Schlafzeiten entstehen nicht im luftleeren Raum. Sie sind eingebettet in Familienrhythmen, soziale Lebensbedingungen und gesellschaftliche Erwartungen.

1. Familienalltag und Zeitdruck
Berufstätige Eltern, lange Betreuungszeiten oder Schichtarbeit beeinflussen den Tagesrhythmus – und damit auch Einschlaf- und Aufstehzeiten der Kinder. Oft bleibt abends wenig Zeit für Ruhe vor dem Zubettgehen.

2. Digitale Medien
Smartphones, Tablets oder Fernsehen direkt vor dem Schlafengehen stören den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus. Das künstliche Licht signalisiert dem Gehirn „Tag“ – besonders bei Jugendlichen.

3. Lärm und Wohnumgebung
Kinder in städtischen Ballungsräumen schlafen oft schlechter als Kinder auf dem Land. Gründe sind u. a.:

  • nächtlicher Verkehrslärm
  • Lichtverschmutzung
  • wenig Rückzugsmöglichkeiten

4. Soziale Unterschiede
Studien zeigen: Schlaf ist nicht gleich verteilt. Kinder aus Familien mit niedrigerem Einkommen oder geringerer Bildung schlafen häufiger kürzer, unregelmäßiger oder unruhiger. Gründe sind z. B. Stress, beengte Wohnverhältnisse oder unregelmäßige Tagesabläufe.

5. Frühe Schul- und Betreuungszeiten
Viele Kinder – besonders Jugendliche – müssen weit vor ihrer biologischen Idealzeit aufstehen. Das führt zu chronischer Müdigkeit, geringerer Konzentrationsfähigkeit und emotionaler Instabilität.

Was passiert, wenn Kinder zu wenig schlafen?

Schlafmangel wirkt sich spürbar aus:

  • nachlassende Aufmerksamkeit
  • geringere Lernleistung
  • stärkere emotionale Schwankungen
  • höheres Stressniveau
  • geringere körperliche Erholung
  • langfristig höhere Risiken für psychische Probleme

Gerade im Schulalltag zeigt sich mangelnder Schlaf sofort: Kinder wirken unkonzentriert, reizbar oder „schlapp“ – nicht selten wird dies mit mangelnder Motivation verwechselt.

Was Eltern tun können

Viele Stellschrauben liegen im familiären Alltag:

✓ Feste Zubettgehzeiten

Auch am Wochenende – das stabilisiert den inneren Rhythmus.

✓ Bildschirmfreie Zeit vor dem Schlafen

Mindestens eine Stunde vorher auf digitale Medien verzichten.

✓ Einschlafrituale

Vorlesen, ruhige Gespräche, Musik – Rituale geben Sicherheit.

✓ Schlafumgebung verbessern

Dunkelheit, Ruhe, frische Luft und angenehme Temperatur wirken wahre Wunder.

✓ Bewegung am Tag

Kinder, die sich viel bewegen, schlafen besser und tiefer.

Was Lehrkräfte tun können

Auch in der Schule kann viel bewirkt werden:

✓ Müdigkeit ernst nehmen

Unaufmerksamkeit ist nicht immer fehlende Motivation.

✓ Gut geplante Lernzeiten

Leistungsstarke und konzentrierte Lernphasen eher in den späteren Vormittag legen.

✓ Gespräche über Schlaf führen

In Gesundheitserziehung, Naturwissenschaft oder Klassenrat kann das Thema „Schlaf“ leicht integriert werden.

✓ Realistische Hausaufgabenmengen

Zu große Lernlast am Abend geht direkt auf Kosten des Schlafs.

✓ Sensibilisierung in der Elternarbeit

Hinweise auf Mediennutzung, Schlafhygiene und Abendroutinen sind wertvolle Unterstützungen.

Abschließende Einordnung

Schlaf begleitet Kinder durch alle Entwicklungsphasen und wird durch biologische, familiäre und gesellschaftliche Faktoren geprägt. Aktuelle Erkenntnisse aus der Schlafforschung helfen, diese Zusammenhänge besser zu verstehen und zeigen, an welchen Stellen Eltern und Lehrkräfte den Alltag so gestalten können, dass er mit den natürlichen Rhythmen von Kindern harmoniert.

So entsteht ein Umfeld, das gesunde Routinen unterstützt – unabhängig davon, wie Familien oder Schulen individuell damit umgehen möchten.




Warum die Lesekompetenz sinkt – und was jetzt wirklich helfen würde

Neue Studien zeigen: Fehlende Bildungsqualität, falsche Fördermaterialien und schwierige Lebensbedingungen bremsen Kinder beim Lesenlernen aus

Ob IQB, IGLU, PISA, LEO oder PIAAC – alle internationalen und nationalen Erhebungen kommen seit Jahren zum gleichen Ergebnis: Die Lesekompetenz von Kindern und Jugendlichen sinkt, besonders im deutschsprachigen Raum.

Das Erstaunliche daran:

  • Die Zahl der Fördermaßnahmen ist in den vergangenen 25 Jahren explodiert.
  • Wir wissen wissenschaftlich heute alles über das Lernen.

Der Abgleich dieser beiden Punkte führt zu einer unbequemen Wahrheit: Viele Förderprogramme, Materialien und Trainings wirken nicht – manche schaden sogar. Der Grund liegt häufig weniger in mangelnder Forschung als in kommerziellen Interessen von Herstellern.

Dass diese Materialien trotzdem massenhaft eingesetzt werden, offenbart ein strukturelles Problem: Es fehlt vielerorts an pädagogischer und entwicklungspsychologischer Kompetenz – bei Eltern, in Einrichtungen und teilweise sogar in der fachlichen Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte.

Sprachkitas und Förderprogramme: Wertvoll, aber nicht annähernd ausreichend

Durch Bundes- und Landesprogramme – insbesondere die „Sprachkitas“ – wurde die sprachliche Bildung gestärkt. Diese Initiativen haben zweifellos bewirkt, dass Erzieherinnen und Erzieher ihre Rolle als Sprachvorbilder besser verstehen und bewusster mit Kindern sprechen.

Doch: Für die Breite des Problems reicht das nicht.

Viele Schulen könnten enorm profitieren, wenn sie sich an innovativen Konzepten orientieren – etwa an jenen Schulen, die mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurden. Der Weg dorthin erfordert jedoch Mut, Kompetenz und die Bereitschaft zu echter Reformarbeit. Allzu oft scheitern notwendige Veränderungen am Widerstand von Behörden, Interessengruppen oder Ministerien.

Der Einfluss der Pandemie: Schulschließungen sind nur ein Teil des Problems

Eine neue Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) zeigt, dass die pandemiebedingten Schulschließungen erheblich zum Leistungsrückgang beigetragen haben. Besonders drastisch ist der Befund:

  • In Europa sind etwa ein Viertel der Einbußen beim Lesen darauf zurückzuführen.
  • In Deutschland sogar mehr als die Hälfte.

Doch die Forscherinnen und Forscher betonen: Schulschließungen allein erklären den Negativtrend nicht. Die Studie zeigt erstmals deutlich, dass Verschlechterungen der außerschulischen Lernbedingungen eine zentrale Rolle spielen. Dazu gehören insbesondere:

  • finanziell angespannte Lebenssituationen vieler Familien,
  • zunehmende Mehrsprachigkeit ohne ausreichende sprachliche Unterstützung,
  • Digitalisierung, die lesebezogene Freizeit reduziert,
  • fehlende Vorbilder, die selbst zu wenig lesen.

Beim Wegfall des Präsenzunterrichts verschärfen sich diese Nachteile – besonders für Kinder aus ohnehin benachteiligten Haushalten.

Strukturelle Ursachen: Was Kinder am Lesen hindert

Neben schulischen Faktoren wirken gesellschaftliche Entwicklungen negativ auf den Leseerwerb:

1. Veränderte Kindheit
Viele Kinder haben heute weniger Zeit für freie Entwicklung. Statt altersangemessen zu spielen, werden sie früh in MINT-Kurse, Lerntrainings oder Förderprogramme gesteckt. Manche Entwicklungsschritte bleiben dadurch auf der Strecke.

2. Unpassende Medien und Materialien
Die Medienwelt vieler Kinder ist nicht entwicklungsangemessen. Auch bei Büchern greifen Erwachsene häufig zu Titeln, die ihrer eigenen ästhetischen Vorliebe entsprechen – nicht dem Entwicklungsstand des Kindes. Viele Verlage tragen dem heute Rechnung und produzieren etwa künstlerisch gestaltete oder gar abstrakte Pappbilderbücher. Selbst die Stiftung Lesen bietet inzwischen nicht mehr verlässlich die fundierte Orientierung, die Familien bräuchten.

3. Fehlende Wertschätzung für Kindheit und Jugend
Kindheit wird oft wie eine „Vorstufe“ zum Erwachsenenleben betrachtet, die man möglichst effizient gestalten müsse. Doch Kinder sind keine kleinen Erwachsenen – ihre Entwicklung braucht Zeit, Wertschätzung, Zuwendung und sinnvolle Anregungen.

Was jetzt wirklich nötig ist, um die Lesekompetenz zu stärken

Damit Kinder nachhaltig und erfolgreich Lesen lernen können, braucht es ein systematisches Umdenken. Entscheidend sind:

1. Finanzielle Unterstützung für Familien
Stabile Lebensumstände erleichtern Lernen – emotional wie praktisch.Armut ist einer der stärksten Risikofaktoren für niedrige Lesekompetenz.

2. Orientierung an wissenschaftlichen Erkenntnissen
Pädagogik muss sich konsequent an der Lern- und Entwicklungsforschung orientieren.Das betrifft Unterricht, Förderkonzepte und die Auswahl geeigneter Materialien.

3. Bessere Ausbildung von Fach- und Lehrkräften
Professionelles Sprach- und Leseförderwissen gehört in die Grundausbildung – nicht in optionale Fortbildungen.

4. Wiederentdeckung der Bedeutung von Kindheit
Echte Leseförderung braucht Zeit, Ruhe, Bindung, Vorlesen, Gespräche und entwicklungsangemessene Materialien. Kinder müssen wieder lesen dürfen, nicht nur lesen sollen.

Ein Schlusswort – und ein notwendiger Weckruf

Wenn wir als Gesellschaft Kinder und deren Familien in ihren Lebensbedingungen schwächen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn ihre Leistungen sinken. Lesekompetenz fällt nicht vom Himmel. Sie entsteht aus individueller Entwicklung, Wertschätzung, echter pädagogischer Qualität und alltagsnahen Vorbildern.

Lesen ist mehr als eine Kulturtechnik – es ist ein Schlüssel zur Welt. Damit Kinder ihn nutzen können, braucht es unseren Mut zur Veränderung: in Familien, Schulen, Kitas und politischen Strukturen.

Nur wenn wir Kinder und Kindheit ernst nehmen, klappt es auch mit dem Lesen besser.

Gernot Körner