Soziale Angst bei Kindern und Jugendlichen: Warum elterliche Wärme schützt

Eine internationale Meta-Analyse mit über 38.000 Jugendlichen zeigt: Zuwendung von Mutter und Vater mindert soziale Angst – übermäßige Kontrolle der Mutter verstärkt sie

Soziale Angst – die Furcht, im Mittelpunkt zu stehen, etwas Peinliches zu sagen oder von anderen abgelehnt zu werden – gehört zum Aufwachsen dazu. Doch wenn sie überhandnimmt, kann sie das Leben junger Menschen stark einschränken. Eine neue Meta-Analyse aus 45 Studien in 15 Ländern hat nun untersucht, welchen Einfluss Eltern darauf haben.

Das Ergebnis ist eindeutig: Elterliche Wärme schützt. Jugendliche, die sich von beiden Elternteilen angenommen, unterstützt und verstanden fühlen, berichten deutlich seltener von sozialer Angst. Und das gilt unabhängig voneinander – sowohl die Zuwendung der Mutter als auch die des Vaters trägt dazu bei.

Ganz anders sieht es bei Kontrolle aus: Wer seine Kinder zu sehr überwacht, bevormundet oder ständig beschützen will, riskiert das Gegenteil. Auffällig ist dabei, dass in dieser Analyse vor allem mütterliche Kontrolle mit mehr sozialer Angst verbunden war. Wenn beide Eltern gleichzeitig betrachtet werden, verschwindet der Zusammenhang bei den Vätern – nicht aber bei den Müttern.

Was macht Mütter und Väter unterschiedlich?

Warum scheint Kontrolle von Müttern schwerer zu wiegen? Eine Erklärung liefert der Familienalltag selbst: In vielen Familien verbringen Mütter nach wie vor mehr Zeit mit ihren Kindern, übernehmen Organisation, Betreuung und emotionale Fürsorge. Wird diese Nähe von Kontrolle begleitet, also von Überbehütung oder starkem Einmischen, wirkt das schnell einengend. Jugendliche spüren dann weniger Freiheit, sich auszuprobieren – und trauen sich auch im sozialen Miteinander weniger zu.

Bei Vätern fällt derselbe Effekt schwächer aus. Vermutlich, weil Jugendliche von ihnen eher erwarten, dass sie Grenzen setzen oder Regeln betonen. Kontrolle von Vätern wird also anders gedeutet – sie verletzt seltener das Bedürfnis nach Autonomie. Außerdem zeigt die Analyse, dass der Einfluss väterlicher Kontrolle über die letzten Jahrzehnte abnimmt, möglicherweise, weil sich Väterrollen verändert haben: weg vom strengen Kontrolleur hin zum aktiven Begleiter.

Nähe, die stark macht

Die Studie bestätigt, wie wichtig emotionale Wärme für die psychische Entwicklung Jugendlicher ist. Jugendliche, die spüren, dass sie gemocht werden, auch wenn sie Fehler machen, entwickeln ein stabileres Selbstbild und weniger Angst vor sozialer Bewertung. Das gilt in ähnlicher Weise in allen untersuchten Kulturen – in ostasiatischen Ländern sogar noch etwas stärker.

Wärme bedeutet dabei nicht grenzenlose Nachgiebigkeit, sondern eine zugewandte Haltung: Interesse zeigen, zuhören, Zuneigung ausdrücken, gemeinsame Zeit verbringen. Diese elterliche Unterstützung schafft einen sicheren Rahmen, in dem Jugendliche soziale Erfahrungen machen und ihr Selbstvertrauen wachsen lassen können.

Forschung mit Weitblick

Durchgeführt wurde die Untersuchung von einem internationalen Team um Cullin Howard, Doktorand am College of Family and Consumer Sciences der University of Georgia. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Ländern wertete er die Daten von über 38.000 Jugendlichen im Alter zwischen zehn und neunzehn Jahren aus. Die Studie wurde im Juli 2025 veröffentlicht und gehört zu den bislang umfassendsten Arbeiten zu den unterschiedlichen Rollen von Müttern und Vätern bei der Entstehung sozialer Ängste.

Die Forschenden nutzten ein modernes statistisches Verfahren, das es erlaubt, die Einflüsse beider Eltern gleichzeitig zu betrachten. Frühere Analysen hatten Mutter und Vater meist getrennt untersucht – und dadurch übersehen, wie stark sich ihre Erziehungsweisen überschneiden. Erst das neue Verfahren machte sichtbar, welche Anteile wirklich eigenständig wirken.

Ein klarer Blick auf Familienklima und seelische Gesundheit

Die Ergebnisse zeigen, dass nicht die eine „richtige“ Erziehung zählt, sondern das Zusammenspiel von Nähe und Freiheit. Jugendliche brauchen Eltern, die ihnen Vertrauen schenken, statt sie zu lenken – und die dennoch da sind, wenn Unsicherheit aufkommt.

Die internationale Studie aus Georgia verdeutlicht dabei, was viele Pädagoginnen und Psychologen schon lange vermuten: Wärme ist universell wohltuend, Kontrolle dagegen bleibt ein Risiko – vor allem, wenn sie aus Fürsorge geboren wird, aber Freiheit verhindert.

Mehr zum Beitrag: https://link.springer.com/article/10.1007/s40894-025-00268-0




Angst ist Teil des Aufwachsens – entscheidend ist der Umgang damit

Ein Interview mit Dr. Reid Wilson und Lynn Lyons über Ängste von Kindern, elterliche Muster und Wege in ein mutigeres Leben

Ein heller Herbstnachmittag in New Hampshire. Am großen Tisch in der Praxis von Lynn Lyons stapeln sich Notizen, Fachbücher und Spielmaterialien. Neben ihr sitzt Dr. Reid Wilson, Direktor des Anxiety Disorder Treatment Center in North Carolina, international bekannt für seine Arbeit im Bereich der Angststörungen. Millionen Menschen kennen ihn durch Auftritte in Sendungen wie The Oprah Winfrey Show oder Good Morning America, seine Website anxieties.com ist für viele Betroffene eine erste Anlaufstelle. Für seine Arbeit erhielt er höchste Auszeichnungen von der Anxiety and Depression Association of America und der internationalen OCD Foundation.

Lynn Lyons wiederum arbeitet seit rund 30 Jahren als Psychotherapeutin in Concord, New Hampshire. Ihr besonderes Anliegen ist es, generationenübergreifende Angstmuster in Familien zu durchbrechen. Sie leitet Workshops für Eltern, Schulen und Fachkräfte – bekannt für ihre humorvolle, praxisnahe Art, Ängste in konkrete Handlungsschritte zu übersetzen.

Beide haben gemeinsam das Buch „Anxious Kids, Anxious Parents“ geschrieben, das in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Mein ängstliches Kind“ erschienen ist.

Wenn Eltern die Angst verstärken

Ich frage die beiden, wie eng die Ängste von Eltern und Kindern zusammenhängen. Reid Wilson antwortet nachdenklich: „Natürlich gibt es genetische Risikofaktoren, wie ein bestimmtes Temperament. Aber entscheidend ist auch, wie Eltern auf die Welt reagieren. Wenn sie ständig Gefahren betonen, Schwierigkeiten haben, loszulassen oder selbst von Ängsten getrieben sind, übernehmen Kinder diese Sichtweise.“ Eltern wollten ihr Kind schützen – doch oft verhindere das, dass Kinder lernen, Belastungen auszuhalten und Resilienz zu entwickeln.

Lynn Lyons ergänzt: „Manchmal bemerken Eltern gar nicht, wie sehr sie selbst von Sorgen geprägt sind. Da hilft es, Freunde oder Familienmitglieder um Feedback zu bitten. Oder sogar die Kinder selbst – die sind oft sehr ehrlich und sagen klar, wer in der Familie sich am meisten sorgt.“

Den Blick auf Angst verändern

Wie lässt sich dieser Kreislauf durchbrechen? Wilson lehnt sich vor: „Das Ziel ist nicht, Angst wegzuschaffen, sondern Kindern zu helfen, Unsicherheit zu tolerieren. Wir sagen Eltern oft: Wenn dein Kind beim Erlernen von etwas Neuem Unbehagen spürt, ist das ein gutes Zeichen. Es bedeutet, dass es wächst.“ Kurzfristige Beruhigung oder das Ausweichen vor Angst bringe Erleichterung, aber langfristig verstärke es das Problem.

„Der größte Fehler ist, den Regeln der Angst zu folgen“, betont Lyons. „Angst macht Vorschriften – und Eltern beugen sich oft. Aber nur wenn man diese Regeln durchbricht, kann sich etwas ändern.“

Die 7-Stufen-Methode

Ein zentrales Element des Buches ist die 7-Stufen-Methode, mit der Kinder lernen, sich schrittweise ihren Ängsten zu stellen. Viele Eltern befürchten, dass diese Methode zusätzlichen Druck erzeugt. Wilson beruhigt: „Die eigentliche Belastung ist, wenn die Angst den Alltag bestimmt. Die ersten Schritte kosten Mühe, aber bald erleben Familien Entlastung. Denn viel anstrengender ist es, ständig den Forderungen der Angst nachzugeben.“

Lyons hebt hervor, was Eltern dafür brauchen: „Beständigkeit und Konsequenz sind entscheidend. Kinder testen Grenzen, wenn neue Erwartungen gestellt werden. Eltern müssen lernen, standhaft zu bleiben – freundlich, fürsorglich, aber konsequent.“ Perfektion sei nicht nötig, wohl aber ruhige Beharrlichkeit. Ein unterstützendes Netzwerk aus Familie oder Freunden könne zusätzlich helfen.

Wann professionelle Hilfe wichtig wird

Doch was tun, wenn die Angst zu groß wird? Lyons: „Eine gute Richtlinie ist, die eigene Belastung zu beobachten. Wenn Eltern merken, dass sie selbst überfordert sind, ist es Zeit für Unterstützung. Das ist keine Schwäche, sondern gesund. In meiner Praxis behandle ich Kinder nie ohne die Eltern – nur wenn die Familie als Ganzes unterstützt wird, können Veränderungen dauerhaft sein.“

Manche Störungen, so Reid Wilson, erfordern ohnehin professionelle Hilfe: „Zwangsstörungen sind schwer zu erkennen und zu behandeln – da können Fachleute wirklich einen Unterschied machen.“
Wenn Kinder blockieren

Nicht selten verweigern Kinder jede Kooperation. „Das bedeutet nicht, dass Eltern versagt haben“, erklärt Wilson. „Widerstand ist normal. Am meisten hilft es, wenn Eltern ihre eigenen Muster ändern – statt Druck auf das Kind auszuüben.“

Und was, wenn die Beziehung zwischen Eltern und Kind so angespannt ist, dass es kaum möglich scheint? „Dann können auch andere Betreuungspersonen einspringen“, sagt Lyons. „Großeltern, Onkel, Tanten – jeder fürsorgliche Erwachsene kann hilfreich sein. Aber die Hauptbezugsperson bleibt der Schlüssel zum Erfolg.“

Ein Satz für den Mut

Zum Ende unseres Gesprächs frage ich die beiden, welchen Satz sie Eltern mitgeben würden. Reid Wilson lächelt und sagt:

„Ich weiß, dass das schwer und unangenehm ist, aber gemeinsam werden wir nicht zulassen, dass die Angst diese Familie weiterhin beherrscht.“

Ein Buch, das Hoffnung macht

„Mein ängstliches Kind“ ist mehr als ein Ratgeber. Es ist das Ergebnis jahrzehntelanger klinischer Erfahrung von zwei Fachleuten, die Eltern, Kindern und Fachkräften praktische Werkzeuge an die Hand geben wollen. Wilson und Lyons zeigen, wie man mit Mut, Konsequenz und Humor die Macht der Angst bricht – und Kindern die Chance eröffnet, Erfahrungen zu machen, die sie stark und selbstbewusst machen.

Gernot Körner




Kinder denken früher logisch, als wir dachten

Neue Studie zeigt: Schon Vierjährige können Probleme systematisch lösen

Kinder können schon im Vorschulalter erstaunlich logisch denken – und damit frühzeitig komplexe Probleme lösen. Zu diesem Schluss kommt ein Forschungsteam der University of California, Berkeley, das die Denkstrategien von 123 Kindern zwischen vier und zehn Jahren untersucht hat. Anders als die klassische Entwicklungspsychologie bisher annahm, zeigte sich: Bereits Vierjährige sind in der Lage, logisch zu planen und systematische Lösungen zu entwickeln – ganz ohne Versuch und Irrtum.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder tatsächlich viel früher in der Lage sind, spontan logische Strategien zu entwickeln, wenn die Umstände dies erfordern“, erklärt die Entwicklungspsychologin Celeste Kidd, Mitautorin der Studie.

Wenn Logik hinter dem Chaos steckt

Was auf den ersten Blick nach kindlichem Chaos aussieht – ausgeräumte Schubladen, verstreute Bauklötze oder umgekippte Taschen – kann in Wahrheit Ausdruck einer erstaunlichen Denkleistung sein. Die Forschenden wollten herausfinden, wie Kinder Probleme lösen, wenn reines Ausprobieren („Trial and Error“) nicht hilft.

In ihrem Experiment spielten die Kinder ein Computerspiel: Hinter einer Wand waren Fantasiewesen versteckt, deren Turnschuhe sichtbar herausragten. Aufgabe war es, die Wesen nach ihrer Körpergröße zu ordnen – also von klein nach groß. Da die Kinder die Figuren selbst nicht sehen konnten, mussten sie aus Hinweisen auf die richtige Reihenfolge schließen.

Vierjährige nutzen Strategien wie kleine Informatiker

Das Ergebnis überraschte selbst die Forschenden: Mehr als die Hälfte der Kinder – darunter viele Vierjährige – entwickelte systematische Strategien, um das Problem zu lösen. Manche sortierten nach logischen Mustern, die an bekannte Informatik-Algorithmen erinnerten.

„Diese Kinder haben im Prinzip eigene Sortierregeln erfunden“, sagt Kidd. „Sie konnten das Ziel nicht sehen, aber sie haben Wege gefunden, das Problem Schritt für Schritt zu strukturieren.“ Damit widerspricht die Studie einer seit über 60 Jahren gültigen Annahme des berühmten Psychologen Jean Piaget, der glaubte, dass Kinder erst ab etwa sieben Jahren logisch denken können.

Was das für Pädagogik und Eltern bedeutet

Die Forschenden sehen ihre Ergebnisse als wichtigen Impuls für frühe MINT-Bildung (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Wenn Kinder schon im Vorschulalter fähig sind, logische Zusammenhänge zu verstehen, sollten sie früher mit passenden Herausforderungen in Kontakt kommen – etwa durch Spiele, die planvolles Denken unterstützen.

Auch Eltern können profitieren: Wenn das Kind wieder einmal Unordnung schafft, lohnt sich vielleicht ein neuer Blick darauf. „Man sollte sich klarmachen, dass Kinder oft genau dann lernen, wenn sie scheinbar Chaos anrichten“, so Kidd. „Das Durcheinander ist manchmal ein Zeichen dafür, dass sie aktiv nach einer Lösung suchen.“

Mehr zur Studie

Die vollständige Untersuchung „Children spontaneously discover efficient solutions to a difficult sorting task“ von Celeste Kidd et al. ist als Preprint verfügbar unter:
👉 https://escholarship.org/content/qt7tj838s0




Gesprächskultur in der Kita: Wie Sprache Beziehungen gestalten kann

Gespräch Team

Eine achtsame Gesprächskultur stärkt Teamarbeit, Vertrauen und Professionalität im pädagogischen Alltag. Sie beginnt mit echtem Zuhören.

Die sprachliche Kommunikation geht – trotz mancher Kürze – stets einen sehr langen Weg. Denn: gedacht ist nicht gesagt/gesagt ist noch nicht gehört/gehört heißt nicht immer richtig verstanden werden/verstanden werden heißt nicht immer mit dem Gesagten einverstanden zu sein/einverstanden sein heißt nicht immer, das Neue anzuwenden/etwas angewendet haben, heißt noch nicht behalten haben und etwas behalten, heißt noch lange nicht, dieses beizubehalten (in Anlehnung an Konrad Lorenz). Sprache kann berühren und Entwicklungsprozesse in Gang setzen – sie kann aber auch Beziehungen zerstören und Vorhaben zum Scheitern bringen. Sprache kann in eine gedankliche Tiefe führen oder zur oberflächlichen Betrachtung verleiten. Sprache kann Konflikte auflösen oder verschärfen. Hier kommt allen Mitarbeiter:innen eine ganz besondere Bedeutung zu: jede Kolleg:in ist Vorbild, Initiator:in für Innovationen, Begleiter:in in schwierigen Situationen, Moderator:in in Problemsituationen und Expert:in in fachlichen Fragen und Auseinandersetzungen.

In einem guten Gespräch muss man nicht immer etwas Gutes sagen. Manchmal reicht es auch, einfach mal gut zuzuhören.
(Klaus Seibold)

Jedes direkte Gespräch setzt sich aus fünf primärbeteiligten ­Größen zusammen:

  • der eigenen Person (mit den gelernten, verinnerlichten Gesprächs(in)kompetenzen
  • sowie den intraindividuellen Persönlichkeitsmerkmalen),
  • der anderen Person (mit ihren gelernten, verinnerlichten Gesprächs(in)kompetenzen
  • sowie deren intraindividuellen Persönlichkeitsmerkmalen), dem Thema/Inhalt/der Problemstellung;
  • der aktuellen Beziehungsgeschichte/Beziehungsstärke/-schwäche (geprägt durch Sympathie/Antipathie) zwischen den Gesprächsbeteiligten und den vorherrschenden Gesprächs­bedingungen.

Soweit wie möglich sollte zunächst für ein gesprächsförderliches Setting gesorgt werden:

Ausblenden von möglichen Störungen, einer mit Distanz versehenen Sitzgelegenheit (bei einem Zweiergespräch: in einem guten Abstand voneinander, ca. 1,50 m im zugewandten Sitzwinkel von etwa 140 Grad), einer für das Gesprächsziel ausreichenden Zeit und das Ganze ohne Ab­lenkungspotenzial wie beispielsweise Plätzchen oder Getränken. Man selbst sollte sich vor dem Gespräch sowohl inhaltlich gut vor­bereitet (Zielsetzung überprüft und strukturiert aufgebaut? Argumente zusammengestellt, Beispiele parat, mögliche Gegen­argumente durch weitere Argumente erweitert?) als auch die Be­ziehungsebene für sich selbst geklärt haben! Damit sind wesentliche Gesprächsförderer aktiviert: die Möglichkeit der Konzentration auf den Gesprächspartner und den Inhalt, die Fokussierung auf das Ziel sowie ein Gefühl der inneren Sicherheit als Garant für ein zumindest mittleres Maß an Ruhe und Entspannung.

Wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Sprache sechs Dimensionen beinhaltet (Sprache als Weitergabe von Informationen, als Medium zum Herstellen und Aufrechterhalten von Beziehungen, als persönliche Meinungsäußerung, zur Beeinflussung des Verhaltens anderer, als Ausdruck von Gefühlen und zur Problemlösung),

dann werden in einer Gesprächskultur vor allem drei Schwerpunkte in den Mittelpunkt gerückt:

  • 1.) Gespräche dienen der Beziehungspflege und verlangen damit eine zugewandte, aufgeschlossene, freundliche Haltung zum Gesprächspartner!
  • 2.) Gespräche dienen zur detaillierten Weitergabe von fachlich-sachlichen Informationen und verlangen daher ein hohes Maß an Sachorientierung.
  • 3.) Gespräche dienen einer nachhaltigen Problemlösung, wodurch diese Zielrichtung vorgibt, ein sachlich abgewogenes Ziel vor Augen zu haben und fokussiert vorzugehen.

In einer Gesprächskultur geht es also nicht darum, das Verhalten des Gesprächpartners zu beeinflussen/zu manipulieren oder von etwas Bestimmtem zu überzeugen. Vielmehr schafft es sowohl das freundlich-sachliche Beziehungsverhältnis als auch das inhaltlich geführte Sachgespräch, überzeugend (!) zu sein. Die in einer Person provozierten Gefühle müssen an anderer Stelle (z. B. durch ein weiteres Zweiergespräch, durch eine Selbstreflexion, bei starken Beziehungsstörungen durch Supervision, Coaching oder Selbsterfahrungsseminare) analysiert und geklärt werden, weil hier unter einer systemischen Betrachtung zuvorderst aktualisierte Kindheitserfahrungen zum Ausbruch kommen.

Weißt du, was ein totes Gespräch ist? Es ist, wenn man mit geschlossenen Augen, mit verriegeltem Gehirn und mit einer zugemauerten Seele redet und zuhört. Dieses viele tote Denken und tote Reden hat uns Menschen auseinander­gebracht.
(Heinz Körner)

Wie oben erwähnt sind vor allem die drei Hauptfeinde einer angestrebten Gesprächskultur –

  • (a) wenn Beziehungsstörungen auf einer pseudo-inhaltlichen Ebene ausgefochten,
  • (b) Meinungen statt Sachargumente ins Diskussionsfeld geworfen und
  • (c) dogma­tisch ­geprägte/starre Überzeugungsversuche eingesetzt werden 

– dafür verantwortlich, dass tagtäglich anberaumte Gespräche nicht nur erfolglos bleiben, sondern in der Regel noch eine konfliktverschärfende Auswirkung mit sich bringen.

Daher muss das übergeordnete Ziel eines professionell gestalteten Gesprächs darin bestehen, dem Gegenüber dabei zu helfen, zunächst sich selbst sowie seine Sichtweise der Dinge wahrzunehmen und zu reflektieren, um sich dann auf die neuen, angestrebten Betrachtungen einzulassen, diese ­wahrzunehmen und in ihnen konstruktive Gedanken-/Handlungsimpulse zu sehen, um sie annehmen und umsetzen zu können. Aus einem »du musst … bzw. zu solltest …« kann auf diese Weise ein »Vielleicht ist es auch für Dich vorstellbar und annehmbar, wenn, …« bzw. »Die beste Möglichkeit, das Ziel zu erreichen, kann doch darin liegen …« entstehen: Diese Einstellung ist der Beginn/die Fortsetzung eines Selbstbildungsprozesses. Fremdbestimmte Ziele führen – ebenso wie bei Kindern – zu einer Bildung aus II. Hand, die eher Abwehr und Widerstände aktiviert als selbstmotivierte Veränderungswünsche. Hier gilt es, den Kreislauf einer üblichen Gesprächsführung zu durchbrechen, um den selbstgesetzten Zielen tatsächlich näher zu kommen.

Gespräche werfen nicht nur auf die Fragen selbst ein neues Licht, sondern auch auf die Menschen, die sie diskutieren.(Martin ­Andersen-Nex)

So vielfältig die unterschiedlichen Gesprächsanlässe im Kita-Alltag sind, so dringlich zeigt sich immer wieder, dass eine Gesprächskultur nicht von alleine entsteht.

Vielmehr baut sich eine förderliche Gesprächskultur durch folgende Merkmale auf:

Es ist günstig, wenn

  • (a) der Gesprächspartner von Zeit zu Zeit direkt mit seinem Namen angesprochen wird;
  • (b) die eigenen Argumente fachlich formuliert und immer wieder mit nachvollziehbaren Beispielen veranschaulicht werden;
  • (c) die Argumentationskette logisch aufgebaut und strukturiert vorgebracht wird;
  • (d) einer Kampf-Dialektik aus dem Wege gegangen und eine engagierte, offene Argumentation angestrebt wird;
  • (e) immer wieder Fragen zurückgegeben werden, um einen Dialog aufrechtzuerhalten;
  • (f) besonders bedeutsame inhaltliche Zusammenhänge im Gespräch auf einem Blatt Papier visualisiert werden;
  • (g) emotionale, spontane Gegenreaktionen (ausgelöst durch Polemik oder Vorwürfe) zurückgehalten und in neue Sachargumente umgedeutet werden;
  • (h) das Gesprächsziel im Vordergrund steht, so dass Abschweifungen unterbrochen und Nebenkriegsschauplätze bzw. Randaspekte nicht vom eigentlichen Thema ablenken. Zudem wird eine Gesprächskultur dadurch förderlich beeinflusst, wenn
  • (i) der Blickkontakt gehalten wird (ohne den Gesprächspartner anzustarren), um die erwünschte Beziehung aufrecht zu erhalten;
  • (j) die Lautstärke durch leise Töne gekennzeichnet ist und diese in der Modulation wechselt;
  • (k) der Sprech­geschwindigkeit immer wieder das hektische Tempo rausgenommen und langsam gesprochen wird;
  • (l) die Stimmhöhe im tieferen Bereich liegt (was durch eine möglichst vorhandene Entspannung erreicht werden kann) und dem anderen die Chance eingeräumt wird, sich einzubringen und ausreden zu können.

Bei allem steht der Aspekt im Vordergrund, dem Gesprächspartner zuzuhören und ihn verstehen zu wollen, ihn als einen gleichwertigen Gesprächspartner zu akzeptieren und an einer nachhaltigen Lösung interessiert zu sein.

Letztendlich ist darauf zu achten, dass persönliche Meinungen/Einschätzungen in sachorientierte Argumente umgewandelt werden. Immer wieder wird eine Gesprächskultur dadurch zerstört, dass persönliche Meinungen gegen entgegengesetzte Meinungen aufgefahren werden: Ein professionell gestaltetes Gespräch verzichtet daher auf Meinungsäußerungen, weil sie in einer Fachdiskussion aufgrund ihrer individuell-subjektiven Prägung nicht zielführend sein können.

Es prägt dich emotional, rational und empathisch, wenn du mehr zuhörst als zu reden. Denn Verständnis für dein Gegenüber ist die Grundlage eines guten Gesprächs. (Nyjel Hunter)

Die realisierte Gesprächskultur ist einerseits ein sicherer Indikator dafür, ob (!) in der Einrichtung eine professionell gestaltete Alltagspädagogik realisiert wird und wie ausgeprägt (!) eine humanistisch orientierte Teamarbeit tatsächlich existiert. Beide Aspekte bilden die Grundlage für ein lebendiges, arbeitsmotiviertes, lernbereites, wahrnehmungsoffenes und innovativ ausgerichtetes Team. Es hat sich ­immer wieder gezeigt, dass die Gesprächskultur, in der sorgsam und zugleich klar, wertschätzend und zugleich zielorientiert, direkt und zugleich problemlösungsorientiert miteinander gesprochen/umgegangen wird, sowohl ein Garant für eine Qualitätsoffensive darstellt als auch für eine entwicklungsförderliche Atmosphäre in der Kita sorgt.

Wo immer Arbeits- bzw. Beziehungsstörungen vorherrschen, ist auch die Gesprächskultur eingeschränkt oder gar nicht vorhanden. So gilt es, sich immer wieder aufs Neue mit diesem kulturell höchst bedeutsamen Schwerpunkt zu beschäftigen, die gegenwärtige Gesprächs­kultur zu analysieren, bei Störungen zu verbessern und bei einer gut vorhandenen Ausprägung gezielt sowie regelmäßig zu stabilisieren. Getreu dem Motto: »Wer aufhört besser sein zu ­wollen als er ist, hört auf, gut zu sein«. Oder: »Wer Stroh im Kopf hat, fürchtet den Funken der Wahrheit.« (Jupp Müller) 

Diesen Beitrag haben wir folgendem Buch entnommen:

Krenz PowerPoint

Armin Krenz
Elementarpädagogische Grundsätze auf den Punkt gebracht
20 PowerPoint Präsentationen als Grundlage für Teambesprechungen, Fortbildungsveranstaltungen und Fachberatungen
344 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 978-96304-613-1
29,95 €

Die PowerPointPräsentationen und Seminarunterlagen von Prof. Armin Krenz haben sich in zahlreichen Vorträgen und Weiterbildungen bewährt. Sie vermitteln kurz und prägnant das Wesentliche für die pädagogische Praxis und stützen sich dabei auf neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Mit seinem Buch unterstützt er pädagogische Fachkräfte dabei aktuelles Wissen in die Praxis umzusetzen.




„Die Haltung prägt die Pädagogik“ – Einladung zum Vortrag mit Prof. Armin Krenz

krenz

Kostenfreier Vortrag am 16. Oktober 2025 in Offenbach – Impulse zur Bedeutung von Haltung in der Pädagogik – Armin Krenz ist von 16. bis 19.10 auch am Stand 3.0 E152 auf der Buchmesse

Seien Sie dabei, wenn Armin Krenz (Prof. h.c. Dr. h.c. et Hon. Prof. für Entwicklungspsychologie) heute in Offenbach zum Thema „Die Haltung prägt die Pädagogik“ spricht. Denn pädagogische Qualität entsteht nicht durch Methodenvielfalt oder Programmangebote, sondern durch die Haltung der Fachkräfte und eine haltungsdurchdrungene Entwicklungsbegleitung der Kinder. Haltung bedeutet Halt finden, innehalten können, an Werten festhalten, Haltung zeigen – für Kinder ebenso wie für die Erwachsenen, die sie begleiten.

Wie Haltung im Alltag sichtbar wird

Krenz zeigt auf, wie Haltung im Alltag sichtbar wird: in einer gepflegten Sprach-, Spiel- und Interaktionskultur, in einer humanistisch geprägten Beziehungsgestaltung, im lösungsorientierten Umgang mit Konflikten und im Erleben ethischer und ästhetischer Werte, die unser Handeln tragen. Eine professionelle Haltung heißt, sich immer wieder aufs Neue selbst zu reflektieren und Verantwortung für das eigene Tun und das Unterlassen notwendiger Handlungen zu übernehmen. Kinder können sich dann entwickeln, wenn sie in einer Atmosphäre von Respekt, Wertschätzung, erlebter Empathie, Vertrauen und Zugewandtheit leben. Haltung bedeutet, Kinder in ihrer besonderen Individualität anzunehmen und zu verstehen, ihnen Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken – und zugleich Grenzen aufzuzeigen, wo es nötig ist.

Ein Abend voller Impulse für Fachkräfte

Erleben Sie einen Abend voller Impulse, wie Fachkräfte durch eine entwicklungsförderliche Haltung Kinder stärken, sie als Beobachter*innen, Begleiter*innen und Impulsgeber*innen unterstützen und Bildungsprozesse gemeinsam mit ihnen gestalten können. Eine werteorientierte Haltung heißt: zuhören statt unterbrechen, beschreiben statt bewerten, Kinderinteressen wahrnehmen und Beziehung gestalten statt Macht ausüben, sodass Kinder schließlich verantwortungsvolle Akteure ihres eigenen Lebens werden können.

Anmeldung und Veranstaltungsdetails

Der Vortrag wird veranstaltet von FIZ e.V., i-Lit – Brasilianisch-Deutsche Initiative für Kinder- und Jugendliteratur und spielen-und-lernen.de. Veranstaltungsort ist die Berliner Straße 219, 63067 Offenbach am Main im Büro des Paritätischen.

Der Eintritt ist frei.

Kurzvita:

Armin Krenz (Jg. 1952), Prof. h.c. Dr. h.c. et Hon. Prof. für Entwicklungspsychologie & Elementarpädagogik, war fünf Jahrzehnte als Wissenschaftsdozent an deutschen Instituten und europaweiten Universitäten tätig, hat dazu u. a. begleitend als Supervisor, Fachberater, Qualitätsbeauftragter und Fortbildner mit pädagogischen Fachkräften gearbeitet und ist durch viele Buchpublikationen bekannt.

Bücher von Armin Krenz bei Burckhardhaus




Kinder meiden negative Informationen – ein Schutzmechanismus schon ab sieben

Studie der University of Chicago: Kinder betreiben eine frühe „Vogel-Strauß-Politik“ und blenden unangenehme Fakten bewusst aus

Auch in jungen Jahren zeigen Kinder nicht nur Neugier – sie beginnen früh damit, unangenehme Informationen bewusst zu meiden. In einer aktuellen Studie der University of Chicago wurde bei Kindern zwischen fünf und zehn Jahren nachgewiesen, dass viele ab etwa sieben Jahren gezielt weghören, wenn Nachrichten Angst, Enttäuschung oder Unsicherheit hervorrufen könnten.

Die Forschenden bezeichnen dieses Verhalten als kindliche Form der Informationsvermeidung, analog zum als „Vogel-Strauß-Effekt“ bekannten Phänomen bei Erwachsenen – auch wenn Strauße tatsächlich nicht den Kopf in den Sand stecken.

Neugier vs. Vermeidung: Der Wendepunkt um sieben Jahre

In Experimenten mit 320 Kindern zeigte sich:

  • Fünf- bis sechsjährige Kinder suchten aktiv nach Wissen – auch wenn es unangenehm sein könnte.
  • Ab etwa sieben Jahren hingegen mieden viele dieselben Kinder Informationen, die negative Emotionen auslösen könnten – beispielsweise, warum ihre Lieblingssüßigkeit schlecht für die Zähne ist.
  • Interessanterweise machten sie weniger Probleme damit, negative Informationen über weniger favorisierte Dinge zu akzeptieren.

Die Erstautorin Radhika Santhanagopalan führt fünf Motive auf, die Kinder zu dieser Informationsvermeidung treiben könnten:

  1. Vermeidung negativer Gefühle wie Angst oder Enttäuschung
  2. Schutz des Selbstwerts (z. B. kein negatives Bild von der eigenen Kompetenz)
  3. Erhalt eigener Überzeugungen ohne Widerspruch
  4. Bewahrung persönlicher Vorlieben
  5. Handeln im eigenen Interesse

Besondere Ausnahme: Wissen im Test

Ein erstaunlicher Befund: Kinder zeigen weniger Vermeidungsverhalten, wenn es um ihre eigene Leistung geht – etwa, welche Note sie in einem Test bekommen haben. Diese Information nehmen sie eher an, auch wenn sie negativ sein könnte. Die Forschenden vermuten, dies liege daran, dass sie beeinflussen können, wie sich das Ergebnis verbessert.

Vorsicht vor „Informationsvermeidung“

Dieses Verhalten, das bereits im Kindesalter beginnt, kann in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter zur Informationsvermeidung führen – mit Folgen für Bildung, Gesundheit, Demokratie und Selbstreflexion.

Santhanagopalan warnt davor, kurzfristigen psychischen Unmut zu meiden, wenn das aufgegebene Wissen langfristig wertvoll sein kann: Information, die im Moment unangenehm ist, kann später hilfreich sein.

Fazit und Ausblick

Diese Studienergebnisse zeigen, dass Informationsvermeidung kein menschliches Phänomen ist, das erst im Erwachsenenalter einsetzt, sondern bereits in der Kindheit beginnt. Für Pädagoginnen, Eltern und Psychologinnen heißt das: Wir sollten beobachten, wann und wie Kinder Informationen ablehnen, und sie behutsam darin begleiten, auch unangenehme Fakten Schritt für Schritt zu integrieren.




Sprachförderung stärken: Wie Initiativen Schulen und Kinder unterstützen

kommpass

Gemeinsam für erfolgreiche Bildung: Wie außerschulische Initiativen Schulen unterstützen können

Viele Kinder brauchen mehr Unterstützung, als Schulen allein leisten können – besonders bei der Lese- und Sprachförderung. Hier setzen zahlreiche außerschulische Bildungsinitiativen an, die Kindern neue Chancen eröffnen und Lehrkräfte entlasten.

Der Kompass Bildungsförderung Deutschland, ein gemeinsamer Report von McKinsey & Company und dem Stifterverband, bietet erstmals eine umfassende Übersicht über die Bildungsförderlandschaft. Er erfasst 130 überregionale Initiativen und Schülerwettbewerbe, die bereits mehr als eine Million Schülerinnen und Schüler erreichen.

Sprachförderung als Basis für Bildungserfolg

Gerade in der Grundschule entscheidet Sprachkompetenz über Teilhabe, Lernfreude und Bildungschancen. Der Report zeigt: Viele Förderangebote konzentrieren sich auf die sprachliche Bildung, weil sie ein Schlüssel für alle weiteren Kompetenzen ist – von Mathematik bis digitale Bildung.

Ergänzt werden die Sprachförderprojekte durch Initiativen zur Lesekompetenz, zur Vermittlung sozialer und emotionaler Fähigkeiten, aber auch zu Technik- und Berufsorientierung.

Transparenz und Orientierung für Schulen

Mit dem neuen Kompass Bildungsförderung können Schulen die für sie passenden Angebote recherchieren. Ein begleitendes Online-Tool erleichtert die Suche und macht sichtbar, welche Programme bereits erfolgreich arbeiten und wie sie regional ausgeweitet werden können.

Andrea Frank, stellvertretende Generalsekretärin des Stifterverbandes, betont:
„Der Report bietet allen Akteuren im Bereich Schulbildung Transparenz und Orientierung. Wichtig ist, dass Initiativen flächendeckend mit dem Schulsystem verzahnt werden.“

Erfolgsfaktoren: Zusammenarbeit und Skalierung

Die Analyse zeigt: Bildungsförderungsinitiativen können besonders wirksam sein, wenn sie

  • Sprachförderung und Basiskompetenzen gezielt stärken,
  • ihre Programme überregional skalieren,
  • digitale und analoge Ansätze kombinieren,
  • eng mit Schulen, Lehrkräften und Stiftungen kooperieren,
  • und ihre Wirkung regelmäßig evaluieren.

Für Schulen bedeutet das: Sie können von einer engeren Verzahnung mit außerschulischen Angeboten profitieren – gerade bei Kindern mit besonderem Förderbedarf in Sprache und Lesen.

Materialien und Such-Tool

Den vollständigen Report Kompass Bildungsförderung zum Download: stifterverband.org/medien/kompass_bildungsfoerderung_deutschland

Zum Such-Tool Kompass Bildungsförderung: stifterverband.shinyapps.io/kompass-bildungsfoerderung




Frühe Sprachförderung: Schlüssel für Bildungschancen und Gerechtigkeit

kita krenz

Neue Studien zeigen: Sprachkompetenz ist der wichtigste Faktor für den Bildungserfolg – doch Personalmangel und fehlende Ressourcen erschweren die Förderung in Kitas und Schulen.

Sprache öffnet Türen – zu Bildung, Teilhabe und einem gelingenden Lebensweg. Der Bildungsmonitor 2024 macht deutlich: Fehlende Deutschkenntnisse sind zusammen mit einer geringen elterlichen Bildung einer der stärksten Risikofaktoren für schulisches Scheitern. Besonders betroffen sind Kinder aus zugewanderten Familien, die zu Hause selten Deutsch sprechen oder deren Eltern selbst noch Deutsch lernen müssen.

Früh starten – bevor die Schule beginnt

Schon im Kindergartenalter zeigen sich Unterschiede im Wortschatz und Sprachverständnis. Kinder mit Migrationshintergrund besuchen zudem seltener eine Kita: 2022 waren es nur 78 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen, während es bei Kindern ohne Migrationshintergrund fast 100 Prozent waren. Fachleute betonen daher, wie entscheidend frühe Sprachförderung ist. Vorschläge reichen von verpflichtenden Sprachstandstests mit vier Jahren bis hin zur Einführung einer Kita-Pflicht.

Die baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) betonte im Sommer 2024 mit Blick auf den Bildungsmonitor: „Sprache ist der Schlüssel, um in der Schule erfolgreich zu sein. Und wir müssen dort viel früher ansetzen. Erstklässlerinnen und Erstklässler sollten schon im Zug sitzen und nicht nur die Rücklichter sehen.“

Personalmangel gefährdet Sprachbildung

Gleichzeitig verschärft sich der Fachkräftemangel in Kitas dramatisch. Die DKLK-Studie 2024 zeigt: 83 Prozent der Kitaleitungen berichten von weiter zunehmender Unterbesetzung, viele Teams arbeiten mit einem hohen Anteil nicht ausgebildeter Kräfte. Besonders die sprachliche Bildung leidet darunter – mehr als 40 Prozent der Einrichtungen in Bayern verfügen über keine einzige Fachkraft, die speziell für Sprachförderung qualifiziert ist.

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann warnte im Rahmen des Deutschen Kitaleitungskongresses 2024 eindringlich: „Schon bisher war der Personalmangel dramatisch und jetzt nimmt er weiter zu. Top-qualifiziertes pädagogisches Personal arbeitet bis zur Belastungsgrenze – und kann den Kindern trotzdem nicht gerecht werden.“

Klassenzimmer im Spannungsfeld

Die INSM-Studie betont, dass sich Sprachdefizite nicht nur auf einzelne Kinder auswirken, sondern ganze Klassen betreffen können. Thorsten Alsleben, Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, sagte bei der Vorstellung des Bildungsmonitors 2024: „Wenn Sie mehr als die Hälfte Kinder in der Klasse haben, die nicht deutsch sprechen, dann kriegen die nichts mit – und es ist auch schlecht für alle anderen. Das schlechte Niveau der einen zieht das Bildungsniveau der anderen mit runter.“

Gleichzeitig zeigt die Forschung, dass Migrationshintergrund allein kein Nachteil sein muss. Marcel Helbig, Soziologe am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe, erklärte im Kontext der Bildungsmonitor-Ergebnisse: „In den Familien, in denen Deutsch gesprochen wird und die Eltern bildungsaffin sind, haben die Kinder keine Probleme. Im Gegenteil: Bei gleichen Kompetenzen gehen Migrantenkinder in Deutschland häufiger aufs Gymnasium, weil sie höhere Aspirationen haben.“

Mehrsprachigkeit als Ressource nutzen

Neben der Förderung der deutschen Sprache rückt auch die Wertschätzung von Mehrsprachigkeit stärker in den Fokus. In vielen Kitas werden Kinder nach wie vor ermahnt, ihre Muttersprache nicht zu sprechen. Dabei sehen Expertinnen und Experten gerade hier ein großes Potenzial.

Ilka Maserkopf, stellvertretende Vorsitzende des Vereins Frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen, forderte im Herbst 2024 mehr gesellschaftliche Anerkennung:

„Wir müssen die Ressourcen, die sich durch Mehrsprachigkeit bieten, besser wertschätzen. In einigen Kitas wird Kindern sogar verboten, ihre Muttersprache zu sprechen – dabei könnten wir als Gesellschaft enorm von Mehrsprachigkeit profitieren.“

Politische Programme – Tropfen auf den heißen Stein?

Mit dem „Startchancen-Programm“ wollen Bund und Länder bis 2026 rund 4.000 Schulen in schwieriger Lage unterstützen. Doch Forschende bezweifeln, dass das reicht: Viel zu wenige Kinder würden erreicht.

Auch Tomi Neckov, stellvertretender Bundesvorsitzender des VBE, kritisierte beim Deutschen Kitaleitungskongress 2024 eine Fehlentwicklung: „Ein Kita-Abitur, mit dem nicht-deutschsprachige Kinder abgestraft würden, darf es nicht geben. Jedes Kind muss eingeschult werden. Über Sprachstandstests hinaus brauchen wir praktische Maßnahmen und ausreichend Fachkräfte.“

Was pädagogische Fachkräfte brauchen

Die Botschaft der Studien ist eindeutig: Ohne ausreichend Personal und eine früh ansetzende, kontinuierliche Sprachförderung lassen sich die Bildungsunterschiede nicht schließen. Pädagogische Fachkräfte sehen sich täglich mit steigenden Anforderungen, aber auch mit wachsender Verantwortung konfrontiert. Sie brauchen:

  • Verlässliche Fachkräfteoffensiven und attraktivere Arbeitsbedingungen,
  • multiprofessionelle Teams, die Sprachbildung in den Alltag integrieren,
  • mehr Zeitressourcen, um Kinder individuell fördern zu können,
  • und eine gesellschaftliche Aufwertung von Mehrsprachigkeit.

Sprache ist und bleibt der Schlüssel für Chancengerechtigkeit. Damit Kinder beim Schuleintritt wirklich im „Zug sitzen“ – und nicht nur die Rücklichter sehen – braucht es mehr als politische Absichtserklärungen: Es braucht konkrete, flächendeckende Investitionen in Sprachförderung und pädagogisches Personal.