Selbstbildung als Herausforderung und Notwendigkeit

berufsbild-erz

Warum wir wissen müssen, wer wir sind, was wir können und was wir bewirken

Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, hat einmal den Satz ausgesprochen: Drei Dinge sind extrem hart: Stahl, ein Diamant und sich selbst zu kennen. Gerade in der Pädagogik ist es von eminent hoher Bedeutung, sein eigenes „Ich“ möglichst realistisch zu erfassen, um Wirkungen des eigenen Verhaltens und die daraus mitbedingte, spezifische Reaktion des Gegenübers zu verstehen, weil jedwede Interaktion eine gegenseitige Beeinflussung bedeutet. Gleichzeitig sitzen elementarpädagogische Fachkräfte – und hier in besonderem Maße auch die Leitungskräfte – immer zwischen allen Stühlen und sind stets aufs Neue aufgefordert, berechtigte Ansprüche von innen und außen fachkompetent zu erfüllen und unberechtigte Ansprüche professionell und klar abzuwehren.

Wenn du begeisterungsfähig bist, kannst du alles schaffen.
Begeisterung ist die Hefe, die deine Hoffnungen himmelwärts treibt.
Begeisterung ist das Blitzen in deinen Augen,
der Schwung deines Schrittes, der Griff deiner Hand,
die unwiderstehliche Willenskraft und Energie
zur Ausführung deiner Ideen.
Begeisterte sind Kämpfer. Sie haben Seelenkräfte.
Sie besitzen Standfestigkeit.
Begeisterung ist die Grundlage allen Fortschritts.
Mit ihr gelingen Leistungen, ohne sie höchstens Ausreden.

(Henry Ford)

Selbstbildung ist nicht nur ein Recht der Kinder

Die Elementarpädagogik in Deutschland hat sich in den ­vergangenen Jahrzehnten immer stärker – wenn auch in einer Wellenform – zu einer funktionalen und stark gesteuerten Disziplin entwickelt, in der hohe Erwartungsansprüche an Kinder gestellt wurden bzw. werden. Besonders zeigt sich dies ganz aktuell in den hohen Erwartungen vieler Eltern, die sich wünschen, dass ihr Kind schon möglichst früh ein kleiner ‚Albert Einstein’ werden sollte. Ebenso in den meisten Bildungsprogrammen, in denen festgelegt wird, was Kinder in den unterschiedlichen Bildungsbereichen alles „lernen sollen“.

Dabei wird in den wenigsten Bildungsprogrammen – und hier sei vor allem das Bildungsselbstverständnis im Bildungsprogramm für Kindertageseinrichtungen in Sachsen-Anhalt sowie in der Bildungskonzeption von Mecklenburg-Vorpommern als überaus rühmliche Ausnahme im Vergleich mit den 14 anderen Bildungsprogrammen besonders hervorgehoben – die Person der elementarpädagogischen Fachkraft in den Mittelpunkt gestellt, ist sie es doch, die den Ausgangspunkt für Qualität bildet, um dem Mittelpunkt der Pädagogik – dem Kind – entwicklungsförderlich zur Seite zu stehen. Bei einer Schwerpunktlegung auf das Bildungsverständnis einer Selbstbildung geht es nicht um eine „Veränderung von Kindern“ sondern um eine veränderte Einstellung der elementarpädagogischen Fachkräfte zum eigenen Selbstverständnis und dem von Kindern.

Alle Erziehung ist nur Handreichung zur Selbsterziehung

(Eduard Spranger, 1882-1963)

Ganzheitliche Bildungsprogramme beinhalten in erster Linie (leider in zumeist indirekter Form) Anforderungen an die Selbstbildungsmotivation der Fachkräfte.

Ebenso wie Kinder nicht gebildet werden können, sondern sich durch Beziehungsangebote, Bindungserlebnisse und eine impulsgebende, an den tatsächlich vorhandenen Interessen der Kinder orientierte Arbeit selbst bilden, brauchen elementarpädagogische Fachkräfte die innere Motivation, ihre eigenen Kompetenzen kritisch zu beleuchten, inwieweit sie durch ihre Persönlichkeitsstruktur und ihre personalen Ressourcen in der Lage sind, die für eine Unterstützung der Selbstbildungskräfte der Kinder notwendigen Kompetenzen zum Ausdruck zu bringen. Dies entspricht dem Grundsatz Pestalozzis, wenn er die Grundmaxime vertritt, Erziehung sei Liebe und Vorbild, sonst nichts. Und der große, irische Dichter und weitsichtige Humanist, Oscar Wilde, war stets der festen Überzeugung, dass Persönlichkeiten und nicht Grundsätze das Zeitalter bewegen und zugleich der einzelne Mensch keine Beziehung eingehen kann, solange er nicht seine unverwechselbare Individualität für sich entdeckt.

Das Ganze fordert zur selbstständigen Reflexion auf – vor allem Menschen, die mit anderen Menschen arbeiten und den Anspruch haben, durch ihr Wirken (als PERSON und mittels ihrer Arbeit) förderliche Entwicklungsprozesse beim Gegenüber auszulösen.

  • Fremdbeobachtung wird dann zur Selbstbeobachtung,
  • Bildungsangebote für Kinder werden dann zu Bildungsanforderungen, die die Fachkraft an sich selbst stellt,
  • Erziehungsziele werden dann zu persönlichen Zielen umformuliert und
  • Erwartungen/Ansprüche an Kinder oder Eltern werden zu Qualitätsansprüchen an die eigene Person umgedeutet.

Es ist durch die Bildungsforschung und Neurobiologie weithin belegt, dass alle Bildungsprozesse durch das Kind selbst angetrieben werden: den Treibstoff dafür liefert das Kind mit seiner Neugierde bzw. seinem Wunsch, die Welt zu entdecken und sich selbst zu erkunden und den Funken zur Zündung reicht ihm die Fachkraft mit ihren humanistisch orientierten, kommunikationsförderlichen Persönlichkeits- und hilfreichen Interaktionsmerkmalen.

Zwischen Lachen und Spielen werden die Seelen gesund

(Arabisches Sprichwort)

Ausgangspunkte für die Berechtigung der Selbstbildung

Alle Erwachsenen – so auch die elementarpädagogischen Fachkräfte – leiten ihre Vorstellungen über Kinder und ihre Entwürfe zur Pädagogik aus unbewussten Bildern sowie Erfahrungen/Erinnerungen aus ihrer eigenen Kindheit ab und übertragen diese auch auf die ihnen anvertrauten Kinder. Bowlby, der Pionier der Bindungsforschung, vertrat die Ansicht, dass jeder Mensch dazu neigt, anderen das anzutun, was ihm selbst angetan wurde, so dass der tyrannisierende Erwachsene das tyrannisierte Kind von gestern ist. Selbstverständlich geschieht dies unterbewusst, unbeabsichtigt und gleichzeitig in der festen Überzeugung, die an den Tag gelegten Handlungen seien „gut für das Kind“.

Insofern sind Maßstäbe, normative Sichtweisen und verinnerlichte Grundsätze, die alle im Alltagsgeschehen zum Ausdruck kommen, weder per se professionell noch mit Kompetenz ausgestattet oder durch Qualität gekennzeichnet.

Um von einer Defizit- zu einer Ressourcenorientierung bei Kindern zu kommen, sind die folgenden fünf Kehrtwendungen notwendig:

  • 1.) Ein radikaler Paradigmenwechsel von einer Defizit- zu einer Ressourcenorientierung (verbunden mit der Forderung, dass die Selbstbildung von Kindern nicht durch permanente, funktionalisierte und teilisolierte erzieherische Förderprogramme eingeschränkt/ abgebaut/zerstört wird),
  • 2.) Ein Verständnis, dass Kindheit eine eigenständige Lebensphase darstellt (und nicht als ein „unfertiges Erwachsenensein“ verstanden wird),
  • 3.) Ein Selbstverständnis der elementarpädagogischen Fachkräfte, dass sie selbst mit ihren Ausdrucksweisen und Umgangsformen die wichtigste Bildungsmethodik darstellen und diese nicht an künstlich inszenierte Angebote delegieren.
  • 4.) Der Begriff „Bildung“ ist als ein Prozess der ›Persönlichkeitsbildung‹ zu verstehen (in deutlicher Abgrenzung von einer kognitiv orientierten Belehrungsabsicht).
  • 5.) Selbstbildungsarbeit muss sich in erster Linie auf die Fachkräfte beziehen – sie beginnt mit einer anspruchsvollen, selbsterfahrungsorientierten Ausbildung, setzt sich über die gesamte Berufstätigkeit in Form von Fort- und Weiterbildungen – als Pflicht – fort und wird von Trägerseite aktiv gefördert und unterstützt.

Um diese Perspektivwechsel umsetzen zu können, bedarf es einer hohen Selbstmotivation, Mut, Anstrengungsbereitschaft, Belastbarkeit und Neugierde, um Innovationen zu initiieren, zuzulassen und voranzutreiben. Diese Arbeit im Sinne einer Selbstbildung ist schwer. Neale Donald Walsch hat daher folgerichtig die Konsequenz formuliert, dass der Mensch seine größten Chancen und Gelegenheiten zum Wachstum stets nur jenseits persönlicher Bequemlichkeitsbremsen findet.

Selbstbildung führt in einen laufenden Prozess der Identitätsentwicklung

Es geht im Selbstverständnis der Selbstbildung stets darum, Ziele, die beispielsweise für Kinder formuliert werden, zunächst zu eigenen Zielen zu erklären und dabei zu überprüfen, inwieweit die eigenen Verhaltensweisen den externen Zielen entsprechen.

Jeder Mensch besitzt ein ganz bestimmtes Selbstbild von sich und ist der festen Überzeugung, sich selbst gut zu kennen. Doch demgegenüber haben viele Wissenschaftler*innen immer wieder deutlich gemacht, dass die Fähigkeit des Menschen, sich selbst zu (er)kennen, eher mangelhaft bis ungenügend ausgeprägt ist. Die eigene Selbsteinschätzung entspricht häufig einer Selbstüberschätzung und Fehleinschätzung. Es erscheint notwendig, sich selbst mit Fragen auseinanderzusetzen, die dazu geeignet sind, dem „inneren Kind“ immer stärker auf die Spur zu kommen und den Prozess der Selbstbildung in Gang zu setzen bzw. zu vertiefen.

Nur wer sich öffnet…

Nur wer sich öffnet, sich entfaltet wie die Knospe,
der wird des Lebens Schönheit in den kleinen Dingen spüren,
nicht aber, wer verschlossen bleibt, voller Mitleid mit sich selbst.
Nur wer sich öffnet, ungeschützt wie eine Blüte,
der wird für and’re blüh’n, wenn ihre Herzen traurig sind und ausgebrannt
und Sehnsucht haben nach ein wenig Farbe.
Nur wer sich öffnet, sei’s auch unter Schmerzen und Tränen,
schafft Boden für den neuen Samen, der Früchte trägt
und Hoffnung sät, damit zunächst für sich und auch für and’re
Rosen blüh’n im kalten Winter.

(Georg Schraml)

Fragestellungen, die eine Selbstbildung initiieren:

  • Welche Interessen und Motive liegen meiner Berufstätigkeit zugrunde und welchen persönlichen „Profit“ ziehe ich aus meiner Arbeit?
  • Wann/wo/wie habe ich mich mit meiner Sozialisation/ Biographie aktiv beschäftigt und dazu beispielsweise Selbsterfahrungsseminare besucht oder ein Individualcoaching in Anspruch genommen?
  • Wie motiviert bin ich, mich in Kollegiumsgesprächen/ Supervisionssitzungen persönlich aktiv einzubringen, um mein pädagogisches Handeln zu überprüfen/ zur Diskussion zu stellen?
  • Fällt es mir schwer oder leicht, eigene Gedanken und Gefühle öffentlich zu äußern und welche Hintergründe gab/gibt es dafür in meiner Biographie?
  • Vereinbare ich regelmäßig Ziele mit mir selbst, die ich im Hinblick auf meine weitere Persönlichkeitsentwicklung erreichen will?
  • Welche Handlungsschritte habe ich bisher unternommen, um meine Fähigkeiten/ Fertigkeiten realistisch einschätzen zu können (Selbstwahrnehmung vs. Fremdwahrnehmung) und zu welchen Handlungsschritten hat mich diese Erkenntnis geführt?
  • Welche Zielsetzungen verfolge ich grundsätzlich in meiner Arbeit und was haben meine Zielsetzungen mit meiner Biographie zu tun?
  • Welche Werte bestimmen meine Handlungen, leiten mich in meinen Handlungsausführungen und welche Werte habe ich in meiner Sozialisation erlebt?
  • Welche Normen bestimmen mein Denken/Handeln und wie (entwicklungsförderlich – entwicklungshinderlich) wirken sie sich auf kindliche Selbstbildungsprozesse aus?
  • Besitze ich einen grundsätzlich persönlichen/ pädagogischen Optimismus oder Pessimismus und worauf führe ich diese Haltung im Hinblick auf meine Biographie zurück?
  • Welche Handlungsstrategien zeige ich in der Regel bei persönlich erlebten Verletzungen, Angriffen, Ungerechtigkeiten – woher kenne ich solche Reaktionen aus meiner Kindheit und welche Bedeutung hat diese Erkenntnis für mich heute?
  • Besitze ich eine eher positive Einstellung zu einem lebenslangen Lernen oder fällt es mir schwer, mich von „alten Denk- /Handlungsstrukturen“ zu lösen?
  • Schaffe ich es, mich selbst in belastenden Situationen zu motivieren, problemlösungsorientiert zu denken/zu handeln oder halten mich Belastungen eher in einer starren Problemfixierung fest? Wann bzw. wo/wie habe ich gelernt, problemlösungsorientiert vorzugehen?
  • Durch was bzw. wie sorge ich in der Einrichtung für eine eher positive oder negative Atmosphäre?
  • ………………………….

(Diese Fragen können mit vielen weiteren, eigenen Fragen ergänzt werden.)

Lernen ist Vorfreude auf sich selbst

(Peter Sloterdijk)

Selbstbildung führt zu einer stabilen Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz

Selbstgerechtigkeit, Selbstbefangenheit, Selbstsucht, Selbstisolierung, Selbstbeschuldigung, Selbstvernichtung, Selbsthass, Selbstvorwürfe, Selbsttäuschung oder Selbsterniedrigung führen zu einer fortschreitenden Selbstentfremdung.

Hingegen trägt eine Selbstbildung dazu bei, Selbstüberwindung, Selbstfindung, Selbstbefreiung, Selbstständigkeit, Selbststeuerung, Selbstachtung, Selbstvertrauen, Selbstbejahung, Selbstheilung und Selbstbestimmung in der Person voranzubringen. Die erweiterte Transaktionsanalyse würde hier im ersten Fall (Selbstgerechtigkeit – Selbstentfremdung) von einem Kindheits- bzw. Eltern-Ich, im zweiten Fall (Selbstüberwindung – Selbstbestimmung) von einem stabilen ­Erwachsenen-Ich sprechen.

Selbstbildungsorientierte Fachkräfte besitzen eine intrinsisch orientierte Reflexionsbereitschaft zur Selbstbetrachtung, gehen mit einer großen Wahrnehmungsoffenheit auf bekannte und unbekannte Situationen zu, um aus selbst formulierten Fragen unterschiedliche Antworten abzuleiten, wollen den Auswirkungen ihrer Biographie auf ihr jetziges Verhalten auf die Spur kommen, betrachten ihre Kommunikationsstruktur und Interaktionskultur sorgsam und kritisch, überprüfen immer wieder ihre Handlungsauswirkungen, zeigen eine hohe Bereitschaft, aus eigenen Fehlern zu lernen, setzen sich mit eigenen Vorurteilen auseinander, arbeiten an ihrer Selbstmotivation, gehen mit Leistungsfreude auf schwierige Herausforderungen zu und schätzen die Möglichkeit eines lebenslangen Lernens als höchstes Gut ein.

Ich fürchte, unsere allzu sorgfältige Erziehung liefert uns Zwergenobst

(Georg Christoph Lichtenberg, 1742-1799)

Fazit:

Selbstbildung ist die Grundlage für eine humanistisch geprägte und zugleich professionell gestaltete Pädagogik im pädagogischen Selbstverständnis von Pestalozzi, Rousseau, Rogers, Freinet sowie Korczak und gehört zum festen Bestandteil einer qualitätsgeprägten Entwicklungsarbeit an sich und einer verantwortungsvollen Entwicklungsbegleitung von Kindern. Mit einer kontinuierlichen Zunahme und Ausweitung einer funktionalisierten und von wirtschaftlichen ­Interessen geprägten Elementarpädagogik geriet ­dieser fundamentale Aspekt immer mehr ins Abseits, obgleich der ­Begriff selbst – vor allem durch die Ergebnisse der Bildungsforschung und Neurobiologie – im Rahmen der „Bildungsarbeit mit Kindern“ eine herausgehobene Wertigkeit zugesprochen bekam. Doch anstatt diese für sich selbst in Anspruch zu nehmen wurde sie theoretisierend und häufig dogmatisch geprägt den Kindern zugesprochen.

Es ist an der Zeit, einen notwendigen Perspektivwechsel vorzunehmen, um im Sinne der Erkenntnisse aus den Feldern der Bindungsforschung sowie der Lernpsychologie einen beziehungsintensiven und kommunikationsaktiven ›Lernalltag‹ zur entscheidenden Grundlage einer lebendigen sowie natürlichen Elementarpädagogik werden zu lassen. Damit würde sich der Kreis schließen, um Kindern durch das eigene, positive Selbstkonzept (Ich bin …), die eigenen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (Ich kann…) und ein eigenes, stabiles Selbstwertgefühl (Ich habe…) in effizienter Form zu helfen, diese drei basalen Ausgangsdaten für eine förderliche Entwicklung gleichsam auf- und auszubauen bzw. zu stabilisieren.

krenz bb

Es gibt einen Weg

Es gibt einen Weg, den keiner kennt, wenn Du ihn nicht gehst.
Wege entstehen, indem wir sie gehen.
Die vielen, zugewachsenen wartenden Wege,
von ungelebtem Leben überwuchert.
Es gibt einen Weg, den keiner kennt, wenn Du ihn nicht gehst.
Es gibt einen Weg, der entsteht, wenn Du ihn gehst.

(Werner Sprenger)

Diesen Beitrag haben wir folgendem Buch entnommen:

berufsbild-erzieherin-krenz

Krenz, Armin

Berufsbild Erzieher*in

Grundsatzgedanken zum Selbstverständnis eines sehr anspruchsvollen Berufs

ISBN: 9783963046155

22,00 € (inkl. MwSt.)




Wie die Geschwisterposition unsere Persönlichkeit prägt

Eine aktuelle Untersuchung aus Kanada mit über 700.000 Erwachsenen bietet neue Erkenntnisse

Können Geburtsreihenfolge und Geschwisteranzahl die Persönlichkeit eines Menschen beeinflussen? Diese Frage beschäftigt die Psychologie seit Jahrzehnten. Während frühere Studien kaum klare Zusammenhänge fanden, liefert eine aktuelle Untersuchung aus Kanada mit über 700.000 Erwachsenen neue Erkenntnisse: Der Psychologe Prof. Michael C. Ashton von der Brock University und sein Kollege Prof. Kibeom Lee belegen darin, dass die Position in der Geschwisterreihe sowie die Anzahl der Geschwister tatsächlich Einfluss auf zentrale Persönlichkeitsmerkmale nehmen können. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden im Wissenschaftsmagazin PNAS publiziert.

Mehr Geschwister, mehr Kooperationsbereitschaft

Die Studie bestätigt zunächst frühere Ergebnisse: Erstgeborene schneiden bei intellektuellen Fähigkeiten im Durchschnitt etwas besser ab als ihre jüngeren Geschwister. Doch das ist nicht alles. Die Forscher fanden heraus, dass Menschen mit mehr Geschwistern in den Dimensionen Ehrlichkeit-Bescheidenheit und Verträglichkeit höhere Werte aufweisen. Innerhalb einer Geschwistergruppe zeigten Zweit- und Letztgeborene in diesen Bereichen tendenziell bessere Ergebnisse als Erstgeborene. So genannte Sandwich-Kinder hatten die durchschnittlich besten Werte, gefolgt von Letztgeborenen, Erstgeborenen und Einzelkindern.

Die Wissenschaftler vermuten, dass das Aufwachsen mit mehreren Geschwistern kooperatives Verhalten fördert. „Kinder aus großen Familien lernen früh, sich anzupassen und Rücksicht zu nehmen“, erklärt ein Mitautor der Studie.


hilfe meine kinder

Wie Sie Geschwistern helfen, einander zu respektieren

Adele Faber und Elaine Mazlish sind Expertinnen für Eltern-Kind-Kommunikation. Dieser Ratgeber kombiniert zeigt, wie aus streitenden Geschwistern Freunde werden können!

  • Geschwisterbeziehungen verbessern: erprobte Tipps und pädagogisches Wissen
  • Richtig streiten lernen: Konfliktbewältigungsstrategien
  • Eifersucht und Aggression zwischen Geschwistern Streitregeln
  • Stolperfallen erkennen: der Ballast, den Eltern aus der eigenen Kindheit mitbringen
  • Kommunikationsübungen: so lernen Kinder, unangenehme Gefühle auszudrücken

224 Seiten, ISBN: 9783963040115, 19,95 €


Große Datenbasis liefert eindeutige Trends

Die Ergebnisse basieren auf Daten aus dem HEXACO Personality Inventory – Revised (HEXACO-PI-R), einem etablierten Testinstrument für Persönlichkeitsmerkmale. Die erste Stichprobe umfasste mehr als 700.000 Erwachsene, vorwiegend aus englischsprachigen Ländern. Hierbei lagen Zweitgeborene bei Ehrlichkeit-Bescheidenheit und Verträglichkeit an der Spitze, gefolgt von Letztgeborenen, Erstgeborenen und Einzelkindern. Unterschiede zwischen Zweitgeborenen und Einzelkindern waren deutlich (Effektstärke d ≥ 0,20).

In einer zweiten Stichprobe mit über 70.000 Teilnehmern, bei der auch die Geschwisterzahl berücksichtigt wurde, zeigte sich ein weiteres Muster: Je größer die Geschwistergruppe, desto ausgeprägter die kooperativen Eigenschaften. Zwischen Personen mit einem und sechs oder mehr Geschwistern gab es signifikante Unterschiede (Effektstärken d = 0,30 bis d = 0,36).

Einfluss von Religiosität

Ein Teil der Ergebnisse lässt sich durch religiöse Erziehung und aktuelle Religiosität erklären, die etwa 25 Prozent der Unterschiede in den Persönlichkeitswerten ausmachen. Religiöse Werte könnten kooperatives Verhalten zusätzlich fördern, so die Forscher.

Einzelkinder und Offenheit

Einzelkinder zeigten im Vergleich zu Personen mit Geschwistern eine leicht erhöhte Offenheit (Effektstärke d ≈ 0,10). Innerhalb von Geschwistergruppen waren Erstgeborene ebenfalls etwas offener als ihre jüngeren Geschwister. Diese Unterschiede sind jedoch weniger ausgeprägt als die bei Ehrlichkeit-Bescheidenheit und Verträglichkeit.

Fazit

Die Ergebnisse legen nahe, dass sowohl die Geschwisteranzahl als auch die Geburtsreihenfolge wichtige Faktoren für die Persönlichkeitsentwicklung sein können. Besonders das Aufwachsen mit mehreren Geschwistern scheint die Entwicklung von kooperativen Eigenschaften zu fördern. Die Studie zeigt eindrucksvoll, wie soziale Dynamiken innerhalb von Familien die Persönlichkeit prägen können.

Gernot Körner




Wenn aus Mitschüler*innen echte Feinde werden

Die Stiftung Kindergesundheit informiert über Mobbing in der Schule

Mobbing, ein Begriff, der sich vom englischen Wort „to mob“ ableitet, bedeutet anpöbeln, attackieren oder fertigmachen. Es beschreibt aggressives Verhalten, das von Einzelpersonen oder Gruppen gezielt gegen eine bestimmte Person gerichtet ist, um dieser zu schaden. Die Formen von Mobbing sind vielfältig.

Beim physischen Mobbing wird Gewalt oder Machtanwendung eingesetzt, wie zum Beispiel beim sogenannten „Happy Slapping“, bei dem Körperverletzungen gefilmt und in sozialen Netzwerken veröffentlicht werden, um das Opfer zu demütigen. Verbales Mobbing hingegen äußert sich durch extreme Beleidigungen, Beschimpfungen, Spott, Imitationen oder andere Arten von Schikanen. Soziales Mobbing erfolgt eher indirekt, etwa durch das Verbreiten von Lügen, einen Vertrauensmissbrauch, gezielte Ausgrenzung aus Gruppenaktivitäten oder das Streuen von Gerüchten und Verleumdungen. Eine besonders perfide Form ist das Cybermobbing, das digitale Medien nutzt, um anderen zu schaden und sie öffentlich bloßzustellen.

Das Ziel: eine Demütigung des Opfers

Kennzeichnend für diese Handlungen ist, dass sie auf eine Demütigung des Opfers abzielen. Dabei gibt es große Unterschiede:
• Jungen werden hauptsächlich von Jungen, Mädchen eher von anderen Mädchen, häufig aber auch von Jungen gemobbt.
• Mädchen sind signifikant häufiger Opfer von Mobbing als Jungen.
• Auch junge Menschen mit Behinderungen erleben häufiger Mobbing als Jugendliche ohne Behinderungen.
• Kinder aus finanziell benachteiligten Familien sind häufiger von Mobbing betroffen als Kinder ohne finanzielle Sorgen.

Auch die Familie leidet mit

Mobbing in der Schule ist ein ernsthaftes Problem, das nicht nur die Kinder, sondern oft auch ihre Familien vor große Herausforderungen stellt: Denn auch die Eltern leiden mit, wenn sie erfahren, dass ihr Kind von seinen Mitschülerinnen und Mitschülern gemobbt wird.

Mobbing in der Schule kann schwerwiegende Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit und Lebensqualität der Opfer haben, betont Dr. Frank W. Paulus, Leitender Psychologe der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Homburg/Saar.

Dr. Paulus, Mitautor des aktuellen „Jugendgesundheitsberichts 2024“ der Stiftung Kindergesundheit, berichtet: „Viele Kinder entwickeln Depressionen, Ängste oder Schlafstörungen, ziehen sich sozial zurück oder verweigern den Schulbesuch. In extremen Fällen kann die emotionale Belastung zu Selbstverletzungen oder sogar Suizidgedanken führen“.

Das Internet – ein Platz für Beleidigungen

Die zunehmende Verbreitung der digitalen Kommunikation hat die Möglichkeiten und Folgen des Mobbings deutlich erweitert und intensiviert, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. So entwickelt sich insbesondere das Cyber-Mobbing zu einer immer öfter auftretenden Form des Psychoterrors unter Schulkindern. Dabei werden die Opfer mithilfe des Internets (z.B. über soziale Plattformen wie Facebook, TikTok, Instagram und WhatsApp) beleidigt, belästigt oder beschämt.

Aktuelle Zahlen liefert dazu die JIM-Studie (Jugend, Information, Medien) 2024. Mit dieser Studie werden bereits seit 1998 die aktuellen Trends und Entwicklungen im Medienverhalten von Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren untersucht. Im Rahmen der Studie gab zuletzt beinahe jede dritte teilnehmende Person an, dass über sie schon einmal beleidigende oder falsche Aussagen im Netz verbreitet worden sind.

Die Täter bleiben häufig anonym

Von beleidigenden Kommentaren im Netz berichten 57 Prozent der Befragten, von „Hate Speech“, also öffentlichen Äußerungen, die Hass gegenüber bestimmten Gruppen zum Ausdruck bringen oder zu Gewalt gegen bestimmte Gruppierungen aufrufen, berichten 40 Prozent der Jugendlichen. Jeder neunte Jugendliche beklagt sich, online auch persönlich beleidigt worden zu sein. Die Hemmschwelle ist dabei sehr gering, da die Täterinnen und Täter auf diese Weise oft anonym bleiben können.

Werden Kinder oder Jugendliche im Internet gemobbt, kann dies besonders belastend sein, weil sie sich den Angriffen kaum entziehen können, betont die Stiftung Kindergesundheit:

• Im Internet veröffentlichte Gerüchte, Bilder oder Beschimpfungen verbreiten sich schnell und sind kaum kontrollierbar.
• Weil Beleidigungen und Fotos online nahezu unbegrenzt lange abrufbar sind, wird es dem Opfer erschwert, über die Angriffe hinwegzukommen.
• Die Nutzung von gefälschten Konten (fake accounts) bietet den Täterinnen und Tätern die Möglichkeit, anonym zu agieren. Das kann die Verfolgung erschweren und Betroffene zusätzlich belasten.

Was Eltern gegen Mobbing tun können

Die Stiftung Kindergesundheit empfiehlt: Reden Sie mit Ihrem Kind über Mobbing. Ermutigen Sie es, Vorfälle in der Klasse anzusprechen, das Opfer zu unterstützen und die Lehrkräfte zu informieren. Betonen Sie, dass dies kein Petzen ist! Geben Sie Ihrem Kind außerdem Strategien an die Hand, wie es mit Konfliktsituationen umgehen kann oder Unterstützung bei Vertrauenspersonen zu suchen.

Bleiben Sie im Austausch mit Lehrkräften und der Schule. Besuchen Sie Elternabende, Sprechtage und Sprechstunden – nicht nur, um nach Noten zu fragen, sondern auch, um das Sozialverhalten und die Integration Ihres Kindes in der Klasse zu thematisieren. Ein entscheidender Schritt im Kampf gegen Mobbing ist, Kinder so zu stärken, dass sie weder Opfer noch Täter werden. Eltern tragen eine wichtige Verantwortung: Sie können helfen, Mobbing zu verhindern, indem sie ihr Kind zu einem respektvollen und mitfühlenden Umgang mit anderen erziehen. So können sie zum Beispiel

• Werte wie Empathie, Rücksicht und Toleranz vermitteln, indem Eltern mit gutem Beispiel vorangehen und Kinder für die Gefühle anderer sensibilisieren. Fragen wie „Wie würdest du dich fühlen?“ können helfen.
• soziale Kompetenzen fördern, zum Beispiel durch Teamsport oder Gruppenaktivitäten, um Teamgeist, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft zu stärken.
• Konfliktlösungsstrategien lehren, etwa durch Zuhören, Verhandeln oder das Bitten um Hilfe, damit Kinder lernen, friedlich mit Konflikten umzugehen.
• eine gesunde Selbstwahrnehmung fördern, damit Unsicherheiten nicht durch Machtausübung über andere kompensiert werden.
• die eigene Vorbildfunktion wahrnehmen, indem Eltern in Stresssituationen ruhig und respektvoll reagieren, da Kinder dieses Verhalten übernehmen.
• den Umgang mit Gruppenzwang üben und Kinder ermutigen, sich solchen Dynamiken zu widersetzen und eigene Entscheidungen zu treffen.
• Medienkompetenz stärken, damit Kinder verantwortungsvoll mit sozialen Medien umgehen und die Auswirkungen ihres Handelns, wie das Teilen bloßstellender Fotos, verstehen.
• Konsequenzen von Mobbing verdeutlichen und klarmachen, dass Mobbing moralisch falsch ist und ernste Folgen haben kann.

Hier gibt es Rat und Hilfe

Die Organisation „Nummer gegen Kummer e.V.“ berät Kinder, Jugendliche und Eltern anonym telefonisch und auch online. Die Anrufe an den Beratungstelefonen sind kostenlos.
Elterntelefon unter 0800 – 111 0 550

Mo. – Fr. von 9 – 17 Uhr
Di. und Do. von 17 bis 19 Uhr

Kinder- und Jugendtelefon unter 116 111
Mo. – Sa. von 14 bis 20 Uhr
Online-Beratung für Kinder und Jugendliche per Mail und Chat unter

www.nummergegenkummer.de
https://krisenchat.de/de

Weitere Informationen:

Paulus, F.W., Möhler, E., Ohmann, S. & Popow, C. (2020). Digitale Missachtung der Bedürfnisse und Rechte von Kindern und Jugendlichen: Cybermobbing. Kinder- und Jugendmedizin, 20, 238-246.

Giulia Roggenkamp, Stiftung Kindergesundheit




Leere Aussagen untergraben das Vertrauen und wirken nicht

Umfrage in den Vereinigten Staaten: Viele Eltern drohen ihren Kindern

Viele Eltern in den USA greifen bei der Kindererziehung auf Drohungen zurück. Laut der „C.S. Mott Children’s Hospital National Poll on Children’s Health“ reicht die Bandbreite vom Wegnehmen von Spielzeug bis dahin, dass der Weihnachtsmann dieses Jahr nicht kommen wird. Eltern von Kindern zwischen drei und fünf Jahren setzen eigenen Angaben nach am ehesten Drohungen ein, um ein Fehlverhalten anzusprechen. Ein Viertel droht entweder mit der Abwesenheit des Weihnachtsmanns oder dem Verweigern von Geschenken.

Verstärkung und Disziplin

Der Erhebung nach haben viele Eltern zudem damit gedroht, eine Aktivität oder einen Ort zu verlassen, Spielzeug wegzunehmen oder, dass das Kind kein Dessert bekommt. Fast die Hälfte der Befragten will den eigenen Nachwuchs zudem bestochen haben. Laut Co-Direktorin Susan Woolford hilft Disziplin kleinen Kindern dabei zu lernen, welche Verhaltensweisen sicher und angemessen sind. Sie können, so die Expertin, eine entscheidende Rolle dabei spielen, dass diese Kinder lernen, was richtig ist und was falsch.

„Leere Drohungen hingegen untergraben das Vertrauen und sind normalerweise nicht wirksam. Eine positive Verstärkung und die konsequente Disziplin formen das langfristige Verhalten viel eher.“ Die Hälfte der Befragten sehen sich beim Disziplinieren ihrer Kinder als sehr konsequent. Trotzdem geben viele an, dass sie gerade mit der Konsistenz ihre Probleme haben. Die Umfrage basiert auf 725 Antworten von Eltern mit mindestens einem Kind. Die Befragung wurde im August dieses Jahres in den USA durchgeführt.

Strategie besser vorausplanen

Zu den größten Herausforderungen gehören, dass das Kind zu klein ist, um zu verstehen, dass die eingesetzten Strategien nicht immer funktionieren und dass die Eltern versuchen, einen öffentlichen Wutanfall zu verhindern, heißt es. Fast ein Viertel der Eltern gibt zu, dass auch sie irritiert sind, wenn ihr Kind ungezogen ist und sie reagieren, bevor sie sich an ihre Strategien erinnern oder dass sie einfach zu müde sind, um sich stimmig zu verhalten.


WieSiesprechensollten-cover

Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht

Ein Überlebenshandbuch für Eltern mit Kindern von 2 bis 7 Jahren. Richtig kommunizieren, Konflikte lösen: Hilfe bei der Kindererziehung

Der tägliche Kampf beim Anziehen, Gequengel am Mittagstisch, Trotzanfälle im Supermarkt: „Klassiker“, die alle Eltern schon erlebt haben. Wie lassen sich solche Alltagskonflikte lösen? Der Schlüssel liegt in der Art, wie wir zuhören und reden. Joanna Faber und Julie King haben einen Erziehungsratgeber entwickelt, in den sowohl eigene Erfahrungen mit ihren Kindern als auch Erkenntnisse aus der Wissenschaft eingeflossen sind. Mit ihren erprobten „Erziehungs-Werkzeugen“ gelingt ihnen eine respektvolle Eltern-Kind-Beziehung ohne Streit und Drama!

Taschenbuch, 384 Seiten, zahlreiche Abbildungen
ISBN: 978-3-96304-026-9
24 €


Woolford nach kann es schwierig werden, beim Durchsetzen von Disziplin einen konsistenten Ansatz zu haben, wenn genaue Überlegungen und eine Planung fehlen. Sogar dann kann Beständigkeit schwierig sein. Das sei vor allem dann der Fall, wenn Eltern müde oder abgelenkt seien und sie sich überfordert fühlten. „Es ist wichtig, dass Eltern vorausplanen und bei Strategien auf der gleichen Seite stehen, um eine Grundlage für das Verstehen von Erwartungen zu liefern. Damit können auch gemischte Signale in Hinblick auf Grenzen vermieden werden.“

Viele Eltern sind unsicher

Eltern sind sich zudem nicht immer sicher, ob ihre Disziplinierungsstrategien funktionieren. Zwei Fünftel gehen davon aus, dass sie sehr wirksam sind. Drei von fünf Elternteilen glauben hingegen, dass diese Strategien einigermaßen effektiv sind. Die meisten Studienteilnehmer erhalten ihren Input zu Disziplinierungsstrategien von verschiedenen Quellen. Bei vielen ist es der andere Elternteil, das Reden mit der Familie oder Freunden sowie Erziehungsratgeber, Artikel oder Posts in den sozialen Medien.

Weniger als ein Fünftel der Eltern diskutiert das Thema Disziplin mit dem Gesundheitsdienstleister. Eines von acht Elternteilen sagt, dass er sich keine Gedanken über diese Disziplinierungsstrategien gemacht hat. Manche Teilnehmer geben auch zu, dass sie Strategien angewendet haben, die von Experten nicht empfohlen werden. Zwei von fünf Eltern schlagen ihre Kinder manchmal. Das kann, so die Experten, bei Vorschülern und Schülern zu Trotz und in weiterer Folge zu einer verstärkten Aggression führen.

Moritz Bergmann/pressetext.redaktion




Von Recycling Weihnachtskarten und Wichtelkegeln

ALLE JAHRE WIEDER…

Jedes Jahr dasselbe: Zu den großen Feiertagen wird gebastelt wie die Weltmeister. Das muss zwar nicht sein, aber es bietet auch schöne Möglichkeiten zum Recyceln. Alles, was so im Laufe des Jahres an farbigen Bildern und Flächen entstanden ist, kann jetzt, wenn es sonst keine Verwendung mehr findet, sehr gut weiter verarbeitet werden, zu wunderschönen Weihnachtskarten zum Beispiel. Ausschnitte aus großen, vor allem abstrakten Wandbildern mit ausdrucksstarken Farbübergängen und interessanten Strukturen eignen sich besonders als poetische Stimmungsmotive. Man braucht dazu lediglich noch ein paar Weihnachtsbaum-Schablonen (am besten stark vereinfacht) und Sternmotivausstecher, eine Auswahl an bunten Kartenhintergründen, Schere, Kleber, und Faden. Egal ob Doppel-Klappkarten oder ganz einfache Postkarten, es geht meist schnell und sieht oft wunderbar aus. Wenn bei dem Material auch etwas mit Glitzer dabei war, wird´s ganz besonders schön feierlich. Dann glänzen nicht nur die Karten, sondern auch die Augen.

SCHNEEMANN STATT WEIHNACHTSMANN

Wer weltliche Motive bevorzugt, findet auch im Schneemann (oder im Tannenbaum oder mit einem Selbstportrait) eine nette Alternative. Ein paar sparsame Elemente dazu (Schneehorizont, blauer Himmel, Schneeflocken) ausgeschnitten oder gezeichnet und einfach das Hauptmotiv mittig und schräg mit Klebefalz aufgeklebt, schon hebt sich die Figur beim Aufklappen nach vorne. In zusammengeklapptem Zustand sollte sie aber nicht zu sehen sein (vorher das richtige Maß und den besten Klebepunkt dafür ausprobieren). Je schräger das Mittelmotiv eingeklebt wird, desto mehr kommt es beim Aufklappen nach vorne. Wer sich traut, kann auch noch die Nase in Pop-Up-Technik konstruieren. Ist nicht schwer und sieht gut aus.

WICHTELKEGELN

wichtelkegeln

Alle Jahre wieder kommt die Vorweihnachtszeit mit all ihren liebgewonnenen aber auch mit den nervtötenden Ritualen. Muss man das alles immer wieder mitmachen? Oder kann man den gewohnten Abläufen auch mal etwas Neues entgegensetzen? Wie wäre es zum Beispiel mit einer witzigen, spielfreudigen und die Fantasie anregenden Aktion aus dem Themenkreis dieser besinnlichen Zeit aber mit einem deutlich erhöhten Spaßfaktor? Mein bewährter Vorschlag: Wichtelkegeln! Wir basteln manchmal eine Kegelbahn aus Wellpappe. Das Wichtigste aber sind die lustigen Figuren, die dann mit einer Glasmurmel munter umgekegelt werden.

MACHT HOCH DIE TÜR, DIE TOR MACHT WEIT

Denn je offener die Tür zur eigenen kreativen Gestaltung, desto weiter wird der Horizont des eigenen Erlebens. Und in dieser fantastischen Vielfalt spiegelt sich der unendlich wunderbare Reichtum menschlicher Möglichkeiten. Uns verbindet der Spaß beim Basteln und Spielen und uns bereichert das Staunen über die große Vielseitigkeit der verschiedenen Interpretationen
derselben Aufgabenstellung. Was sich da auf den Kegelbahnen tummelt, ist voller Witz und eigenwilligem
Stil. Und doch – wenn dann die Kugel rollt, sind sie alle gleich. Entweder sie fallen um oder nicht.

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

cover-kinderkunst

Kinderkunst und Kreativität

Praxis und Philosophie. Fantasie und Selbstbewusstsein fördern. Kunst mit Kindern: mehr als malen und basteln! Kreativbuch für Schule, Hort, Workshops und Kunstwerkstatt

Nyncke, Helge

25,00 € (inkl. MwSt.)




Die Beobachtung des Kindes als zentrale Aufgabe der Pädagogik

Worauf wir achten sollten, damit das Beobachten eines Kindes auch zu den richtigen Schlussfolgerungen führt

Karel Capek, ein tschechischer Schriftsteller, äußerte sich einmal wie folgt: ›Es ist unfassbar, wie schlecht die Menschen beobachten‹ und Daniel Mühlemann, ein Naturfotograf, kam zu der Erkenntnis: ›Der Beobachter bedarf klarer Sicht und eines scharfen Blickes‹.

Die Beobachtung des Kindes ist – über alles andere Bedeutsame hinweg – die zentrale Aufgabe der Pädagogik, die in ihrem Stellenwert nicht hochgenug eingeschätzt werden kann. Beobachtungen führen die Beobachtenden zu einer Erkenntnis, die zum Ausdruck bringt, was ein Kind für eine förderliche Entwicklungsunterstützung braucht, welche Bedingungen einen entwicklungsförderlichen oder auch entwicklungshinderlichen Einfluss auf das Kind haben, welche Kompetenzen auf Seiten der pädagogischen Fachkraft gefragt und gefordert sind, um eine körperliche, kognitive und psychosoziale Sättigung der kindlichen Grundbedürfnisse zu erreichen, welcher pädagogische Ansatz für die Kinder am geeignetsten ist, Entwicklungsprozesse zu unterstützen, welche Themenschwerpunkte angebracht sind, um kindorientierte Projekte mit Kindern zu planen und durchzuführen, welche Schwerpunkte in Elterngesprächen einen besonderen Stellenwert besitzen und welche eigenen Sichtweisen auf das Kind prozessförderlich oder vielleicht auch entwicklungshinderlich sind.

Beobachten ist gut, solange das Hauptaugenmerk auf ‚achten’ liegt.
(Peter E. Schuhmacher, Aphorismensammler & Publizist)

Wir alle beobachten Vieles um uns herum

Doch ist es tatsächlich ein Beobachten oder eher nur ein kurzes, oberflächliches Wahrnehmen? Beobachtung ist ein zielgerichtetes, aufmerksames, von Ablenkungen befreites Hinschauen und Verweilen, um einen Erkenntnisgewinn zu bekommen. Dabei ist es notwendig, vorhandene, vorschnelle Annahmen (= Hypothesen) bei sich selbst zu entdecken, zu identifizieren und sich von diesen zu lösen, um weitestgehend wahrnehmungsoffen auf das zu schauen, was gerade passiert. Hier geht es nicht in erster Linie um ein Entdecken von so genannten Defiziten oder Schwächen, die ein kindliches Verhalten kennzeichnen, sondern vor allem um vorhandene Stärken, die jedes Kind sein Eigen nennen kann. Achtsamkeit spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle.

Beachte dich stets aufmerksam in deinem Tun und halte hier nichts deiner Bewertung unwert.
(Konfuzius)

Beobachtungen sind in erster Linie auf das Kind gerichtet

Beobachtungen sind im Feld der Pädagogikk in erster Linie auf das Kind gerichtet, auf sein Verhalten, seine Interessen, seine Sprache, sein Spiel, sein Umgang mit anderen Kindern und den Erwachsenen sowie den Materialien. Gleichzeitig erfordert eine Beobachtung auch immer eine Selbstbeobachtung – was lösen die beobachteten Merkmale in mir selbst aus, was fällt mir schwer, anzunehmen, was irritiert mich und welche direkten Zusammenhänge kann es geben, dass sich das Kind so verhält, wie es sich gerade ausdrückt. Kann es sein, dass sich das Kind zu einem anderen Tageszeitpunkt, bei einer anderen Kinderkonstellation, bei einer anderen pädagogischen Fachkraft ganz anders verhalten würde?

Das Verhalten eines Kindes hat stets mit seiner Vergangenheit, seinen Erlebnissen und Erfahrungen aber auch mit der gegenwärtigen Situation, den Rahmenbedingungen, dem derzeitigen Projekt/ Thema und seinem Bindungsverhalten zur pädagogischen Fachkraft zu tun. Damit ergibt sich ein Beobachtungsergebnis aus einer Fülle von Ereignissen und deren Vernetzungen! Kleinigkeiten, die wir in einer Beobachtungssituation vielleicht für unbedeutsam halten, können einen großen Einfluss auf das Beobachtungsergebnis haben und somit sind immer vielerlei Vernetzungen zu berücksichtigen.

Aber du weißt, wie ich im Anschau’n lebe; es sind mir tausend Lichter aufgegangen.
(Johann Wolfgang von Goethe)

Auch wenn professionell geplante und strukturierte Beobachtungen durch eine Beobachtungsabsicht und eine damit verbundene Zielsetzung ausgelöst wurden, ist es notwendig, sich schon im Vorfeld von vorhandenen Annahmen zu lösen und soweit wie möglich zu verabschieden. Ansonsten steht das Beobachtungsergebnis schon vor der durchgeführten Beobachtung unausgesprochen fest. Vorurteile, starre Vorannahmen oder gar so genannte ‚beweisführende Bestätigungsbeobachtungen’ führen immer zu einer Wahrnehmungseinschränkung, bei der abweichende Beobachtungsmöglichkeiten übersehen bzw. als unwichtig angesehen werden. Erst eine wahrnehmungsoffene, eine von starren Mustern geprägte, losgelöste Beobachtung führt zu Erkenntnissen, die im anderen Fall gar nicht entstehen können. Und das bedarf einer immer wiederkehrenden Selbstaufforderung. Dadurch entstehen ›tausend Lichter‹, die zuvor Vieles im Dunkeln gehalten hätten.

Ein Mensch passt am besten auf sich auf, wenn ihn auch andere beobachten.
(George Savile, 1.st Marques of Halifax, englischer Politiker & Schriftsteller)

Erstens ist [es] erforderlich, dass du nicht den Spiegel ansiehst, den Spiegel betrachtest, sondern dich selbst im Spiegel siehst.
(Sören Kierkegaard, dänischer Philosoph, Schriftsteller & Theologe)

Beobachtende fällen mit ihren Beobachtungsergebnissen immer auch ein ›Urteil‹ über das Kind

Sei es, dass es um eine in Aussicht gestellte Bildungs-, Betreuungs- oder Erziehungsaufgabe geht oder um eine anstehende (Nicht)Einschulung, um bestimmte förderpädagogische Maßnahmen ins Auge zu fassen und zu planen oder um Erziehungsberechtigten einen umfassenden Überblick über (nicht) vorhandene Entwicklungsschritte zu geben. Um dabei eigenen Beobachtungsfehlern auf die Spur zu kommen, ist es immer hilfreich, sich selbst von Kolleg*innen beobachten zu lassen, um mit ihnen in einen anschließenden Erfahrungsaustauch zu treten. Solche Auswertungsgespräche fordern und fördern eine Selbstexploration (= eine selbstkritische Betrachtung der eigenen Person, deren Einstellungen, Werte, deren Normverständnis, deren Beobachtungskompetenz), die zu einem professionellen Berufsverständnis unwidersprochen dazugehört.

Zur Beobachtung ist Nähe, zum Denken Ferne erforderlich.
(Elias Kalischer, deutscher Rabbiner und Schriftsteller)

Natürlich sind bei jeder Beobachtung auch Emotionen vorhanden

Wissenschaftliche Untersuchungen im Bereich der Wahrnehmungspsychologie (Schönhammer, R., 2013 & Goldstein, E. Bruce & Cacciamani, Laura, 2023) haben gezeigt, dass Wahrnehmungen stets mit folgeprovozierten Gefühlen verknüpft sind, so dass diese auch automatisch in Beobachtungen einfließen!

Sei es der Stress, der dadurch aufkommt, dass in der Beobachtungszeit die anderen Kinder ohne Begleitung sind, sei es die Freude, endlich die Zeit gefunden zu haben, eine entsprechende Beobachtung in das Alltagsgeschehen einbinden zu können, sei es der Ärger, sich auch noch dieser Aufgabe zuwenden zu müssen oder sei es die Angst, weil bestimmte Beobachtungsstrukturen vielleicht falsch geplant sein können. Vielleicht ist es aber auch die aufkommende Unruhe, wohlwissend, dass nach der Beobachtungssequenz noch ein ausführlicher Entwicklungsbericht angefertigt werden muss und in der Folge sogar ein Elterngespräch ansteht. So ist es einerseits erforderlich, dem Kind (aber nicht nur während der Beobachtung) eine wohlwollende Nähe zu schenken, andererseits aber bei der Verschriftlichung der Beobachtungen sowie der Beobachtungsergebnisse emotionale Bezüge zu minimieren, um eine fachlich-sachliche Wiedergabe zu gewährleisten.

Beobachten tut man von unten nach oben; umgekehrt heißt es Besichtigen.
(Günther Schneiderath, niederrheinischer Dichter und Aphoristiker)

Beobachter*innen schauen oftmals, nicht zuletzt durch ihre Rolle als Erwachsene/r, durch ihr Wissen und durch die Aufgabenstellung selbst, auf das Kind (herab), ohne zu erkennen und sich der Situation bewusst zu sein, dass damit eine ›Machtposition‹ besteht, die dazu verleiten kann, erkenntnisbesetzt und schon im Vorfeld ‚besserwisserisch’ an die Beobachtungsaufgabe heranzugehen.

Doch stets sind folgende Ausgangssituationen zu beachten:

  • Beide Personen, das Kind und die erwachsene Person, sind Lernende!
  • Beide Personen haben ihre individuellen, besonderen Biographien bis zum Augenblick der Beobachtung hinter sich und sind durch vielfältige Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke in einer bestimmten Denkrichtung geprägt.
  • Beide Personen besitzen bestimmte Formen, Richtungen und Ausprägungen der Sympathie sowie der Antipathie, die wiederum ihre Sicht- und Beurteilungsweisen geprägt haben. Entsprechend ist es notwendig – und hier sei eine Metapher (= ein Bildvergleich) erlaubt – ‚vom hohen Ross (eines vorhandenen Machtgefälles) herunterzusteigen’ und sich auf eine zum Kind gleichwertige Ebene zu begeben.

Zusammenfassung:

Überall, ob es sich dabei um die Institution Krippe, Kindergarten, Kindertagesstätte, Hort oder Familienzentrum handelt, sind elementarpädagogische Fachkräfte aufgefordert, Beobachtungen vorzunehmen, diese auszuwerten und für die praktische Tätigkeit zu nutzen.

Nur so ist es möglich,

  • den Bildungsrichtlinien aller 16 Bundesländer gerecht zu werden, da in allen Ausführungen der besondere Stellenwert von Beobachtungen herausgestellt wird;

  • dem Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag, wie im Kinder- und Jugendhilfegesetz in allgemeinen Formulierungen benannt (damit verbunden ist vor allem die Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, die Unterstützung von Eltern, der Schutz vor Gewalt, die Unterstützung der Selbstständigkeit der Kinder, ein entwicklungsförderliches Beziehungsangebot, eine individuelle Unterstützung von Bildungsprozessen) gerecht zu werden,

  • die Aussagen der in der UN-Charta ‚Rechte des Kindes‘ aufgeführten Artikel zu berücksichtigen und in die praktische Arbeit in den Einrichtungen zur Realität werden zu lassen, z.B. (a) das Wohl des Kindes in allen Vorhaben zu berücksichtigen (Artikel 3), (b) Kindern ein aktives Mitspracherecht bei allen wichtigen Entscheidungen einzuräumen und zu berücksichtigen (Artikel 12), (c) Kinder vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen gegenüber seiner Ehre und seines Rufes zu schützen (Artikel 16), (d) Kindern das Recht auf Freizeit, Erholung und Spiel zuzugestehen (Artikel 31). Hier dienen Beobachtungen ganz konkret dazu, mögliche Widersprüche zu den geforderten – und auch durch den Bundestag ratifizierten – Rechten zu entdecken und für eine Einhaltung der Rechte konsequent und offensiv zu sorgen. [Anmerkung: Diese UN-Kinderkonvention wurde am 26.01.1990 von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet und am 17.02.1992 mit Zustimmung vom Bundestag und Bundesrat durch Gesetz verabschiedet. Am 06.03.1992 wurde die Ratifizierungsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt und trat am 05.04.1992 für Deutschland in Kraft.]

  • den bedeutsamen Aussagen im ‚Berufsbild der Erzieherin’ nachzukommen.
    Dort heißt es unter anderem, dass sich Erzieherinnen
    (a),in erster Linie als Partner*innen der Kinder verstehen. Hier helfen Beobachtungen, diese Forderung zu überprüfen;
    (b),als Anwält*innen für Kinder überall dort einsetzen, wo kindeigene Bedürfnisse unberücksichtigt bleiben;
    (c),in ihrem Arbeitsverständnis, ihrer Kommunikations- und Umgangskultur kritisch hinterfragen, ob sie ihre Arbeit auf der Grundlage einer kritischen Auseinandersetzung sowohl mit den pädagogischen Traditionen als auch mit neuen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und bildungspolitischen Strömungen gestalten,
    (d)der Entwicklungsunterstützung der Gesamtpersönlichkeit verpflichtet fühlen, was mit einer Teilleistungsförderung (z.B. durch teilisolierte Förderprogramme) unvereinbar ist.

  • alle bedeutsamen Erkenntnisse aus den Wissenschaftszweigen der Erziehungswissenschaft, der Pädagogischen Psychologie, der Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie, der Bildungs- und Bindungsforschung sowie der Neurobiologie in die praktische Arbeit einfließen zu lassen, wenn es darum geht, was Kinder für eine förderliche Entwicklung brauchen. Diese Notwendigkeit lässt sich nur durch professionelle Beobachtungen ganz konkret erfassen.
  • dass Erzieher*innen sich der alltäglichen Herausforderung stellen, die aktuellen Kindheiten – also ihre konkreten Lebenssituationen der Kinder, die ihnen in der Einrichtung anvertraut wurden – zu konstatieren (= festzustellen), um die Gegenwart der Kinder zu sehen und zu verstehen, um dann aus durchgeführten Beobachtungen professionelle Handlungsvorhaben abzuleiten.

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entmommen:

cover-krenz-beobachtung

Krenz, Armin

Beobachtung und Entwicklungsdokumentation

Grundlagen – Praxisbeispiele – Beobachtungslisten – Dokumentationsmuster

Burckhardthaus
ISBN: 978-3-96304-617-9
25,00 € (inkl. MwSt.)

Eigens für dieses Buch wurde die Website www.beobachten-und-dokumentieren.de eingerichtet, auf der sich die Formulare zum Download befinden. Das Buch richtet sich sowohl an Studierende der Sozial- und Heilpädagogik als auch an Erzieher*innen/Kindheitspädagog*innen, die schon im Beruf stehen.




Wie Kinder echte Kooperation wirklich lernen können

Adele Faber und Elaine Mazlish haben die Methode der „mitempfindenden Sprache“ entwickelt

Kommunikation ist ein Kunststück. Nur selten gelingt es uns, dass das, was wir sagen, beim anderen genau so ankommt. Der chinesische Denker Konfuzius schrieb dazu einst: „Die ganze Kunst der Sprache besteht darin, verstanden zu werden.“ Spätestens wenn wir unsere Kinder nach einem gestressten Tag darum bitten, den Tisch nach dem Abendessen abzuräumen, glauben wir, eben in der Muttersprache des chinesischen Weisen gesprochen zu haben.

Zwei zentrale Fragen zu Beginn

Warum wollen Kinder nicht gehorchen? Wie lernen Kinder Grenzen? Diese und viele andere Fragen verzweifelter Eltern sollen wir nicht nur auf Elternabenden beantworten. Wir müssen auch für uns selbst immer wieder Antworten finden. Die erste – oftmals etwas unangenehme Frage – an uns und unsere Umgebung ist: Wie sieht es denn mit dem eigenen Vorbild aus? Schließlich machen uns die Kinder vieles nach.

Die zweite Frage sollten wir uns möglichst auch beantworten können: Wie viel Spaß macht es uns, wenn wir den ganzen Tag nach der Pfeife eines anderen tanzen müssen? Kinder stecken eben meist in dieser Situation. Wer das verstanden und die Frage nach dem Vorbild auch benantwortet hat, ist schon eine ganzes Stück weiter. Und wie machen wir es besser? Für die einen mag das ein alter Hut sein. Der Blick auf den Alltag zeigt aber etwas völlig anderes. Schauen wir uns einfach mal ein Beispiel an:

Wie es nicht funktioniert

Der achtjährige Luca kommt wutschnaubend nach Hause und brüllt, er wolle seinem besten Freund mal so richtig eine reinhauen, weil der sein Schulheft grundlos in den Dreck geworfen habe. In solchen Situationen sind wir geneigt, der Sache erst mal auf den Grund zu gehen. Wir stellen Fragen, in denen manchmal schon ein wenig verdeckte Kritik steckt: „Was ist passiert. Hast du ihm zuerst was getan?“, wir geben Ratschläge: „Vergiss das Ganze. Tobias ist dein bester Freund.“

Dass ein solches Gespräch daneben gehen muss, ist klar. Für Adele Faber und Elaine Mazlish ist das einer von zigtausenden Fällen, die sie seit Jahrzehnten von oft verzweifelten ratsuchenden Eltern zu hören bekommen. Dabei ist es wohltuend, wenn Adele in „So sag ich`s meinem Kind“ schreibt: „Ich war eine wunderbare Mutter, bevor ich selbst Kinder bekam. Dann hatte ich selbst drei. Jeder Tag schien nur die Variation des vorherigen zu sein. ,Du hast den anderen mehr gegeben als mir’, ,Das ist die rote Tasse, ich will die blaue’, ,Er hat mich gehauen’ oder ,Das Müsli sieht wie Kotze aus’.“ Irgendwann konnte sie es nicht mehr hören. Sie ging in eine Elterngruppe. Adele lernte, dass sie ihre Kinder darin unterstützen sollte, sich gut zu fühlen. Und das gelingt vor allem, wenn wir die Gefühle unserer Kinder akzeptieren.

Kinder brauchen Mitgefühl und Aufmerksamkeit

Die meisten von uns meinen, die Gefühle der Kinder zu akzeptieren. Hören wir uns aber genau zu, kennen fast alle Bemerkungen wie „Du kannst gar nicht müde sein, Du hast doch eben geschlafen“, „Es gibt gar keinen Grund, so aufgeregt zu sein“, „Es ist nicht warm. Lass Deine Jacke an, du frierst sonst“, „Du sagst das nur, weil du dich ärgerst“…

Auf diesem Weg leugnen wir nicht nur die Gefühle der Kinder, wir versuchen sie sogar davon zu überzeugen, dass ihre eigene Wahrnehmung nicht stimmt. „Wer klug ist, wird im Gespräch weniger an das denken, worüber er spricht, als an den, mit dem er spricht“, schrieb der Philosoph Arthur Schopenhauer vor weit über hundert Jahren. Und das sollte besonders für die Gespräche mit unseren Kindern gelten. Eltern sind die wichtigsten Erwachsenen im Leben der Kinder. Sie sind Vorbild. Was nun, wenn sich ein Kind müde, verärgert, verängstigt oder gelangweilt fühlt. Es will doch, dass sein Vorbild von ihm weiß, wie es sich fühlt.

Wenn Kinder aufgeregt sind oder verletzt, brauchen sie keine Ratschläge, Philosophie, Fragen oder gar den Standpunkt eines anderen. Sie wollen, dass ihnen jemand wirklich zuhört, ihren inneren Schmerz erkennt und ihnen die Möglichkeit gibt, über das zu reden, was sie bewegt. Und – reagieren wir mitfühlend, lernen unsere Kinder, selbst Lösungen zu finden.

Elaine und Adele haben das Prinzip der „mitempfindenden Sprache“ über 30 Jahre hinweg weiterentwickelt. Heute gelten sie als Expertinnen wenn es um Kommunikation zwischen Eltern und Kindern geht. Dass es gar nicht so einfach ist, einem kindlichen Gefühlsausbruch zuzuhören und einen Namen zu geben, wissen die beiden nur zu gut. Es braucht Übung.

Zuhören und Akzeptieren

Der fünfjährige Luca, der sich so über seinen Freund ärgert, braucht keine Ratschläge. Er braucht zunächst einmal jemanden, der ihm hilft, seine Gefühle einzuordnen. Ein „Junge, bist du wütend“, hilft ihm viel weiter als Fragen oder Ratschläge. Schließlich muss er selbst einen Weg für sich finden. Kinder brauchen es, dass wir ihre Gefühle respektieren und akzeptieren. Hier ein paar Anregungen:

1.) Hören Sie ruhig und aufmerksam zu.
2.) Sie können mit einem Wort Verständnis für die Gefühle ihrer Kinder zeigen: „Oh …“, „Mmm …“ oder „Ich verstehe …“
3.) Sie können dem Gefühl einen Namen geben „Das klingt frustrierend!“
4.) Sie können den Wünschen Ihres Kindes in der Phantasie nachgeben: „Ich wünschte, ich könnte die Banane jetzt sofort für dich reif machen.“
5.) Alle Gefühle sind zu akzeptieren. Manche Handlungen müssen wir jedoch einschränken: „Ich sehe, wie wütend du auf deinen Bruder bist. Sag ihm mit Worten, was Du willst, nicht mit Fäusten.“

Verständigen ohne zu verurteilen

Jetzt werden Sie vielleicht sagen: „Schön, wenn ich nun meine Kinder verstehe. Aber wie verstehen meine Kinder mich?“ Schließlich räumt bei uns zu Hause auch nicht der kleine Bruder von Konfuzius den Tisch ab.

Die Methoden, die wir so alltäglich anwenden, um unsere Kinder kooperativ zu stimmen, sind vielfältig. Viele tadeln und klagen an: „Was ist los mit Dir? Kannst Du nie was richtig machen?“; andere beschimpfen: „Schau nur, wie du isst! Das ist ja ekelhaft!“; manch einer versucht es mit Drohungen: „Bist du nun endlich angezogen? Wenn du nicht gleich fertig bist, gehe ich ohne dich!“; oder mit Befehlen: „Ich will, dass du sofort dein Zimmer aufräumst!“; beliebt sind auch Belehren und Moralisieren: „Du musst das verstehen. Wenn wir von den Leuten erwarten, dass sie zu uns höflich sind, müssen wir auch zu ihnen höflich sein!“; Warnungen: „Zieh Deine Jacke an, sonst wirst du dich erkälten!“; Märtyrer-Aussagen: „Schau nur meine grauen Haare. Alles wegen dir. Du bringst mich noch ins Grab.“; Vergleiche: „Warum kannst du nicht so fleißig sein wie deine Schwester?“; Sarkasmus: „Obwohl Du auf morgen lernen musst, hast du dein Buch in der Schule gelassen. Wie schlau. Das war wirklich eine Glanzleistung!“ und Prophezeiungen: „So wird niemals etwas aus Dir werden!“

„… und aus unserem Gespräch wohl auch nicht“, möchte man ergänzen. Zwar sind viele dieser Bemerkungen alltäglich und werden sicher keine bleibenden Schäden bei unserem Nachwuchs anrichten, dennoch sind sie mehr dazu angetan, Kindern schlechte Gefühle zu vermitteln.

Fünf Fähigkeiten für eine gelingende Kommunikation

Den Stein der Weisen hat dazu bisher noch niemand gefunden. Faber und Mazlish vermitteln dazu fünf Fähigkeiten, die ihnen und den Eltern in ihren Workshops geholfen haben. Dazu erklären Sie: „Nicht jede Methode wird auch bei jedem Kind funktionieren. Nicht jede Fähigkeit wird zu Ihrer eigenen Persönlichkeit passen. Diese fünf Fähigkeiten schaffen jedoch ein Klima des Respekts, in dem der Geist der Kooperation gedeihen kann.“

So können Sie Zusammenarbeit fördern:

1.) Beschreiben Sie, was Sie sehen oder beschreiben Sie das Problem:  Es ist leichter, sich auf das Problem zu konzentrieren, das einem jemand beschreibt. „Leon, das Wasser in der Wanne geht bis zum Rand.“ „Ich sehe, dass dein Hund dauernd vor der Tür auf und ab läuft.“ „Das Licht im Bad brennt noch.“ „Cem, ich muss jetzt dringend telefonieren.“

2.) Geben Sie Informationen, denn diese sind leichter anzunehmen als Anklagen: „Kinder, die Milch wird sauer, wenn ihr sie nicht in den Kühlschrank stellt.“, „Apfelkerne gehören in den Mülleimer.“ „Es wäre mir eine große Hilfe, wenn du den Abendbrottisch abdecken würdest.“

3.) Sagen Sie es mit einem Wort, denn weniger ist oft eindeutiger. Kinder hassen Belehrungen, lange Reden und Erklärungen. Je kürzer eine Ermahnung ausfällt, desto besser wirkt sie: „Kinder, in die Schlafanzüge.“ „Alexander, dein Mittagessen.“

4.) Reden Sie über ihre Gefühle. Kinder haben ein Recht darauf, die ehrlichen Gefühle ihrer Eltern zu erfahren. Beschreiben wir unsere Gefühle, dann können wir ehrlich sein, ohne zu verletzen: „Ich mag nicht, wenn Du mich am Ärmel ziehst.“ „Es stört mich, wenn die Terrassentür offensteht. Ich möchte keine Fliegen im Essen.“

5.) Schreiben Sie eine Nachricht: „Hilfe, Haare in meinem Abfluss bereiten mir Verdruss. Dein verstopftes Waschbecken.“, „Lieber Leon, ich weiß, du bist mit Sport und Ausgaben beschäftigt, aber die Zeitungen müssen in den Papiercontainer. Danke. Papa.“

Hier haben Sie nun fünf Fähigkeiten, um die Zusammenarbeit mit ihren Kindern zu unterstützen und keine schlechten Gefühle aufkommen zu lassen. Aber aller Anfang ist schwer und es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Faber und Mazlish haben festgestellt, dass diese Fähigkeiten umso besser funktionieren, je authentischer sie geäußert werden. Die Übung macht also den Meister. Spielen Sie die Situationen gedanklich durch, probieren Sie Ihre Fähigkeiten an fiktiven Kindern aus. Das hilft und wird sich lohnen. Viel Erfolg dabei!

Zwei Bücher

Adele Faber und Elaine Mazlish haben viele Bücher geschrieben. Diese wurden vielfach kopiert, wobei die Plagiate niemals die Qualität des Originals erreicht haben. Ganz im amerikanischen Stil, bieten die Bücher von Faber/Mazlish immer einen kurzen theoretishen Teil, um diesen dann mit vielen Fallbeispielen zu ergänzen. Mittlerweile schreibt auch die Tochter von Adele Faber Joanna Faber gemeinsam mit ihrer Freundin Julie King eigene Bücher zum Thema. Im deutsprachigen Raum ist bisher „Wie sie sprechen sollten, damit ihr Kind Sie versteht!“ erschienen.

In eigener Sache und weil wir meinen, dass diese Bücher einfach enorm wichtig sind, möchten wir Ihnen folgende Klassiker ans Herz legen:

So sag ich’s meinem Kind

Neue Wege zur wertschätzenden Kommunikation in der Eltern-Kind-Beziehung. Wie Kinder Regeln fürs Leben lernen. Erziehungsratgeber mit praktischen Übungen und Fallbeispielen: Soziale Kompetenz fördern und Selbstbewusstsein von Kindern stärken.
Wie können wir mit Kindern ins Gespräch kommen? Wie gelingt Kommunikation auf Augenhöhe, die tragfähige Beziehungen entstehen lässt?
Die Erziehungs-Expertinnen Adele Faber und Elaine Mazlish kennen diese Fragen aus ihren zahlreichen Eltern-Workshops. Dieser praktisch ausgerichtete Ratgeber fasst die Erkenntnisse aus vielen Jahren Erziehungsarbeit zusammen und richtet sich an alle, die lernen wollen, mit ihren Kindern so zu sprechen, dass sie zuhören – und die zudem lernen wollen zuzuhören, wenn ihre Kinder reden!

Taschenbuch, DIN A5, 276 Seiten, ISBN: 978-3-96304-033-7, 22,90 €, Mehr zum Buch finden Sie hier

Für Lehrkräfte und alle, die Kinder fürs Lernen begeistern möchten

Wie Sie Kinder fürs Lernen begeistern
Was Eltern und Lehrer wissen müssen. Zu Hause und in der Schule. Freude am Lernen vermitteln – Praxisbuch mit vielen Tipps für mehr Lernerfolg. Damit Kinder mit Begeisterung lernen können:

Taschenbuch, DIN A5, 280 Seiten
ISBN 978-3-96304-000-9
19,95 €

Mehr zum Buch finden Sie hier




Runter vom Gas 5 – Die Authentizität der Lehrkraft

Weil Schulkinder nicht das lernen, was wir ihnen vortragen, sondern nur das lernen, was sie aktiv aufnehmen wollen und bei ihnen ankommt

Das Wichtige ist nicht die Bildung des Lehrers, so wie die Gescheitheit und die Beschäftigung mit Pädagogik einen Vater nicht zum Erzieher fähig macht, wenn er nicht als Mensch, als Vorbild, das Überzeugende hat, dem ein Kind mehr glaubt als Worten. (Hermann Hesse, Lektüre für Minuten, Frankfurt am Main, S.118)

Bedeutsamer als das gesprochene Wort ist das, was wir „zwischen den Zeilen“ senden

Wenn du eine Unterrichtseinheit als interessant und spannend ankündigst, dir aber denkst, was für einen langweiligen Quatsch du unterrichten musst, dann wird nicht dein gesprochenes Wort, sondern deine insgeheim gedachte Botschaft bei den Kindern ankommen. Du musst dir so etwas nicht einmal ausformuliert denken. Es genügt schon, wenn du lustlos und uninspiriert den Stoff „durchnimmst“.

Deine Schüler lernen nicht das, was du ihnen vorträgst

Sie lernen nur das, was sie aktiv aufnehmen wollen, was wirklich bei ihnen ankommt. Und dafür ist es zuallererst wichtig, dass du als Lehrerin, als Lehrer, voll hinter den Inhalten stehst, die du deiner Klasse nahebringen möchtest.

Nun kannst du einwenden, dass du ja nicht einfach in deinem Gehirn einen Schalter umlegen kannst, damit du irgendwelche Lehrplaninhalte gut findest. Deshalb ist es wichtig, dass du erst einmal dein eigenes Verhältnis zu den Inhalten deines Unterrichts klärst. Es wird wohl kaum jemand bezweifeln, dass allem, was mit Lesen, Schreiben und Rechnen zu tun hat, allerhöchste Priorität zukommt. Dank der großen Autonomie, die du als Lehrkraft in deinem Unterricht hast, kannst du nun entscheiden, mit welcher Methode und welchem Material du an diese Inhalte herangehst.

Und das macht den Unterschied aus. Genauso, wie du bei Büchern, die du in der Klasse vorlesen willst, unbedingt nur solche auswählen sollst, die dir auch selbst gefallen, solltest du in den unbestritten wichtigen Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen nur mit Material arbeiten, das dir selbst sinnvoll erscheint. Und bei dem du selbst findest, dass es deinen Schülern etwas bringt und nicht nur eine Schulstunde füllt.

Beim Artikel über das Lesenlernen habe ich das konkret ausgeführt. Aber das Gleiche gilt auch für das Aufsatzschreiben, das ich im ersten Artikel angesprochen habe, auch für das Rechtschreiben und ganz besonders für den Rechenunterricht. Darüber findest du in meinen Büchern und auf meinem Matheblog viele Ideen, die es dir erleichtern, Methoden einzusetzen, hinter denen du wirklich überzeugt stehen kannst. (Christina Buchner, So lernen alle Kinder rechnen, Weinheim und Basel, 2012; Christina Buchner, Das Phantom Dyskalkulie, Weinheim und Basel, 2018;  www.die-rechentante.de)

Eigene Stärken und Vorlieben machen dich authentisch

Über die Unterrichtsgestaltung im engeren Sinn hinaus kannst du dir und deinen Schülern etwas Gutes tun, wenn du gezielt die Ressourcen nutzt, die aus deinen eigenen Vorlieben erwachsen.

Das macht ja gerade den leidenschaftlichen und mitreißenden Lehrer aus, dass er nicht vormittags „im Dienst“ ist und nachmittags „privat“, sondern dass er neben seinem Fachwissen auch sich selbst einbringt, mit seinen Pfunden wuchert und aus seinen Begabungen und Vorlieben pädagogisches Kapital schlägt.

Gerade weil unser Beruf so viele Freiheiten bietet, können wir das, was uns selbst begeistert, in die Schule einbringen. Alles, was Schule bunt und lebenswert macht, dient – so ganz nebenbei und gleichsam durch die Hintertür – auch dem Lernklima und damit dem Lernerfolg.

Und außerdem gibt es gar nicht so wenige Querverbindungen von den „zweckfreien“ Aktivitäten zu schulischen Inhalten.


Kochst du gerne?

Dann kannst du im Mathematikunterricht Rezeptmengen umrechnen lassen und hin und wieder mit den Schülern auch wirklich etwas zubereiten, sodass Abmessen, Wiegen, Zeitplanung und Strukturierung eines Ablaufs tatsächlich getan und nicht nur gedacht werden. In Deutsch können Rezepte aufgeschrieben werden, im Sachunterricht kann über einzelne Zutaten gesprochen werden und mit Buchstaben- und Zahlenkeksen können Erstklässler sich Wichtiges „einverleiben“. Mit einem Zweiplattenkocher und exakter Organisationen lassen sich auch in Klassen mit 30 Kindern viele Ideen umsetzen. Mehr dazu, auch Rezepte, findest du in meinem Buch „Unterricht entschleunigen“ und im Download dazu. (Christina Buchner, a.a.O., S.232 f.)


Hast du Freude an Singen, Tanzen, Musizieren?

Dieser Bereich ist auch im Lehrplan verankert, kommt dort aber – das ist meine persönliche Meinung – ziemlich dröge daher.

Dabei ist gerade alles, was mit Musik und Rhythmus zu tun hat, in allerhöchstem Maße lernförderlich. Trommeln, Rappen und Beatboxen bieten einmalige Chancen, gerade auch an Buben, und sogar an die besonders coolen, heranzukommen. Also lass, wenn es für dich einigermaßen passt, diese Gelegenheit nicht an dir vorüberziehen.


Bist du gerne im Freien aktiv?

Auch hier bieten sich neben „zweckfreien“ Unterrichtsgängen, bei denen im Wald „nur“ gespielt wird, noch viele weitere Gelegenheiten für eine Einbindung in Unterrichtsinhalte:

Sammeln von Blättern und Früchten, Orientierungsspiele, Vermessen von Bäumen, Büschen, Waldrändern und Wegabschnitten und dann dazu Karten in einem geeigneten Maßstab zeichnen, Sammeln von Rinden, Wurzeln und Moos für die Gestaltung einer Weihnachtskrippe, Sammeln von Holunderbeeren im Herbst, aus denen ein köstlicher Saft gekocht werden kann und vieles mehr.


Macht dir Theaterspielen Spaß?

Dann sind Theaterprojekte ein absolutes Muss. Auch Lesetexte und Gedichte lassen sich gut dramaturgisch gestalten. Ich arbeite sogar im Mathematikunterricht mit den Handpuppen von Räuber, Liesel und Krokodil und begeistere Kinder immer wieder damit. (Christina Buchner, 2012)

Selbst etwas so Trockenes wie Grammatik kann gewaltig aufgewertet werden, wenn nach der Montessori-Idee mit Wortartsymbolen gearbeitet wird und dazu das Wortartmärchen von Eva Maria Schröer als Vorlage für Spielszenen dient. (Die Website Schröers existiert nicht mehr, aber im Auer Verlag gibt es darauf basierend ein Buch von Bernd Ganser: Wortarten – einfach märchenhaft, Donauwörth, 2021)


Bist du eine Leseratte?

Dann wirst du mit einer täglichen Vorleseviertelstunde viel Gutes bewirken können. Es gibt so gute Kinderliteratur, die auch für Erwachsene wertvoll ist. Und, wie ich bereits mehrfach erwähnt habe: Eine tägliche Vorlesezeit bietet nicht nur Sprachförderung von hoher Qualität, sondern ist darüber hinaus für das Klassenklima von größtem Wert.

Es ist nicht nur legitim, sondern sogar notwendig, dass auch wir Lehrer in der Schule auf unsere Kosten kommen und Spaß haben. Schule ist kein Spaß, auch Lernen ist es nicht, aber man kann jede Menge Spaß haben, und das tut allen Beteiligten gut.


Sinnerfülltheit erleben

Viele unserer Kolleginnen und Kollegen, ja, eigentlich die allermeisten, arbeiten nicht bis zum gesetzlichen Rentenalter, sondern gehen früher. Sie sind „fertig“ oder „ausgebrannt“. Das ist so schade, denn das müsste nicht sein, davon bin ich zutiefst überzeugt. Ich will jetzt nicht mit solchen Allerweltsfloskeln wie „Schau auf dich“ oder „Pass auf dich auf“ kommen.

Aber ich glaube, dass viele unserer Kolleginnen tagtäglich das Unmögliche versuchen und daran zwangsläufig scheitern müssen.
Wenn du dich von meinen Beispielen und Anregungen dazu verführen lassen würdest, das Unmögliche sein zu lassen und nur das, was möglich ist, anzustreben, dann würde es dir und deinen Schülern zu „Nutz und Frommen“ gereichen. Aber es geht nicht einfach um das Weglassen. Es geht in erster Linie um das Anders-Machen. Wenn du siehst, dass es dir gelingt, in deinen Schülern Lernfreude zu wecken, aus grauer und öder Schule mit ihnen gemeinsam einen Ort zum Wohlfühlen zu machen, dann hast du etwas Wichtiges und Nachhaltiges getan, etwas, das auch im späteren Leben deiner Schüler noch bedeutsam sein wird.

Für die Lehrergesundheit gibt es nichts Besseres, als die eigene Arbeit als sinnvoll zu empfinden und als authentischer Mensch zu agieren. Authentizität ist energiesparend und sich selbst als wichtig und sinnvoll zu erleben gibt Kraft. So hast du gute Chancen, ein Lehrerleben lang mit Freude zu arbeiten.

Akzeptanz und Anerkennung

Noch etwas ist wichtig, damit es uns gut geht: Wir brauchen, wie jeder Mensch (siehe Maslow-Pyramide vom Artikel vier), soziale Zugehörigkeit. Dieses Bedürfnis kann einerseits privat durch Familie und Freunde erfüllt werden. Wenn wir aber im beruflichen Kontext keinerlei Wertschätzung erfahren, also uns dort, wo wir arbeiten, nicht zugehörig und angenommen fühlen, dann tut uns das nicht gut.

Es ist gewiss nicht einfach, heutzutage Lehrer zu sein. Die Umwelt des Lernens ändert sich. Eltern stellen Ansprüche, die Gesellschaft steht der Schule nicht positiv gegenüber. Kinder wachsen unter Verhältnissen auf, die alles andere als förderlich sind.
All das stimmt. Und trotzdem hast du in der Schule viele Möglichkeiten, für dich und deine Schüler in deinem Klassenzimmer einen gewissen Schonraum und eine lebenswerte Insel zu schaffen.

Dafür habe ich in dieser Artikelserie geworben.

Wenn es dir nun auch noch gelingt, die Eltern mit in dein pädagogisches Boot zu holen, dann wirst du für deine Arbeit sehr viel Rückenwind bekommen und nicht nur das. Du wirst auch Akzeptanz und Anerkennung von dieser Seite erfahren.

Ich möchte dir einige Eckpunkte für den Umgang mit Eltern nennen, mit denen ich über viele Jahre die besten Erfahrungen gemacht habe. Das soll nun aber nicht heißen, dass zu hundert Prozent und mit allen Eltern immer nur eitel Sonnenschein war.

Doch wenn die überwiegende Mehrheit deiner Erfahrungen positiv ist, dann wiegt das Negative nicht schwer.

Und natürlich wird es dir höchstwahrscheinlich so ergehen wie auch mir immer mal wieder: Du wirst dich in manchen Fällen nicht optimal verhalten und Eltern unnötig gegen dich aufbringen. Wenn du aber solche Ausrutscher dann analysierst, wirst du daraus viel lernen und sie werden dir immer seltener passieren.

Miteinander ist besser als gegeneinander – die Chancen des ersten Elternabends

Wenn ich eine neue Klasse übernahm, fand ich den ersten Elternabend immer sehr aufregend. Und das sagte ich den Eltern auch. In Bayern werden Klassen für gewöhnlich zwei Jahre lang von einer Lehrerin geführt. Und das bedeutet, dass mit jeder neuen Klasse eine Partnerschaft beginnt, die unbedingt gelingen sollte.

Ich hatte für diesen Kennenlern-Abend eine Standardformulierung, die ich immer vorbrachte:

„Wir sind nun zwei Jahre sowas Ähnliches wie ‚verheiratet‘ miteinander. Und ich möchte unbedingt, dass das eine gute Ehe wird.“ Das klang zwar immer lustig, sorgte auch für Heiterkeit, war aber dennoch ganz ernsthaft gemeint.

Denn wie man es auch dreht und wendet: Eltern, die der Schule ablehnend und feindselig gegenüberstehen, behindern unsere Arbeit erheblich. Deshalb sollten wir uns nicht zu gut dafür sein, hier um Sympathien zu werben. Geschäftsleute machen so etwas ja auch. Und auch wenn wir unsere Kundschaft aufgrund der Schulpflicht sicher haben, so bedeutet es für unsere eigene Arbeits- und Lebensqualität einen gewaltigen Unterschied, ob wir mit Rückenwind oder mit Gegenwind arbeiten.

Natürlich meine ich mit „Sympathiewerbung“ nicht, dass es empfehlenswert wäre, sich bei den Eltern anzubiedern, womöglich gar noch ihnen nach dem Munde zu reden und ihnen schönzutun.

Aber wenn wir vorhaben, das Zusammensein mit unserer Klasse nicht nur von Stoffdruck und Prüfungen dominieren zu lassen, dann wäre es sehr sinnvoll, den Eltern genauer zu schildern, wie das konkret aussehen soll, ihnen die Gründe dafür zu nennen und auch die damit für jedes Kind verbundenen Vorteile aufzuzählen.

Wenn uns bewusst ist, wie wir Lehrer im ungünstigen Fall wahrgenommen werden, nämlich als Bewerter, Notengeber und Chancengewährer oder -vernichter und damit auch als „natürlicher Gegner“, wenn nicht gar Feind, dann führt das in meinen Augen zwingend zur Notwendigkeit, an dieser „Wahrnehmungsschraube“ zu drehen. Worte alleine schaffen das aber nicht. Es muss uns schon ernst damit sein, das große Thema Unterricht und Leistung anders anzugehen, als es gemeinhin üblich ist und als die Eltern es erwarten.

Dann ist es auch von großer Wichtigkeit, unsere pädagogischen Richtlinien konkret zu nennen und zu begründen und auch das Thema Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus anzusprechen. Es ist doch viel geschickter, die Linien, die für gedeihliche und respektvolle Kommunikation wichtig sind, abzustecken, solange noch kein konkretes Problem im Raum steht.

Und es ist auch wichtig, die Stolpersteine zu benennen, die auf unserem gemeinsamen Weg durch ein Schuljahr auftreten können:

  • Es ist eine Unmöglichkeit für uns Lehrer, immer alles richtig zu machen. Da an einem normalen Schultag x-mal ad hoc reagiert werden muss, sind Fehler „eigentlich“ schon eingepreist.
  • Missverständnisse wird es sicher auch gelegentlich geben, sodass zu Hause etwas ganz anders ankommt, als es gemeint ist.
  • Kinder werden auch zu Hause nicht immer objektiv schildern, was in der Schule vorgefallen ist und zwar nicht, weil sie lügen würden. Sie geben einfach nur ihre subjektive Wahrnehmung wieder und versuchen manchmal auch, eine Variante darzustellen, die für sie günstiger ist. Das ist ganz normal, nur sollte uns das bewusst sein.
  • Wenn Eltern wegen eines Problems in die Schule kommen, wäre es gut, nicht gleich Vorwürfe zu erheben, sondern vielleicht erst einmal nachfragen, wie sich etwas erklärt oder was genau vorgefallen ist. Und das sollte man auch – eben gerade im Vorhinein und ohne konkreten Bezug, nur als allgemeine „Geschäftsgrundlage“ – thematisieren.

Viele Eltern sind von nichtssagenden Elternabenden enttäuscht. Wenn es dir gelingt, ein plastisches Bild davon zu entwerfen, wie Schule sein könnte, dann hast du einen wichtigen Schritt geschafft. Ein großer Teil der Eltern wird positiv gestimmt und neugierig auf deine Arbeit sein. Damit hast du schon einmal mentale Unterstützung, die du sehr gut brauchen kannst.

Information – nicht nur im Internet eine wichtige Währung

Wenn du nun entschlossen sein solltest, den Fuß vom pädagogischen Gashebel zu nehmen und dir und deinen Schülern Zeit für das Wesentliche zu gönnen, dann wird dein Schultag anders als „normal“ sein.
Deshalb ist es unbedingt notwendig, den Eltern nicht nur Grundsätzliches zu erzählen, sondern sie ganz konkret zu informieren, wie dieses Grundsätzliche im Unterricht konkret aussieht:

Wenn du deinen Leseunterricht im Wesentlichen ohne Fibel gestaltest, beschreibe das genau und benenne die Vorteile. Falls du das Hundertstundentraining im Lesen machst, rechne genau vor, warum du es so organisierst.

Wenn du im Rechenunterricht bereits am zweiten Schultag den Zwanzigerraum öffnest, aber bis Weihnachten ohne Gleichungen arbeitest, erkläre genau, warum und welchen Nutzen das für die Kinder hat.

Im Idealfall erstellst du für die Eltern ein Handout mit Beispielen, sodass sie zu Hause in Ruhe noch einmal nachsehen können, wenn ihr Kind mit bestimmten Aufgaben nach Hause kommt.

Konkrete Handreichungen für Elternabende und Handouts zum Thema Rechnen findest du bei Beltz im Download zu meinem Buch: So lernen alle Kinder rechnen.


cover buchner

So wird Unterricht entspannt

Stress, Druck und Hetze bestimmen oft bereits in der Grundschule den Alltag von Lehrern, Schülern und Eltern. Doch es ist möglich, trotz starrer Rahmenbedingungen und zahlreicher Anforderungen den schulischen Alltag für alle Beteiligten angenehm zu gestalten – ohne Hektik und Stress.
Der Fokus liegt auf der Autonomie der einzelnen Lehrer. Du findest erprobtes Handwerkszeug für eine alternative Umsetzung des Lehrplans. Methodenfreiheit neu gedacht, fächerübergreifendes Unterrichten und Projektarbeit ermöglichen einen entschleunigten Unterricht. Zusätzlich gibt es noch Online-Materialien.

Buch, broschiert, 260 Seiten 
ISBN:978-3-407-25762-8
24,95 €

Mehr zum Buch


Coaching und professionelle Hilfe bei Problemen

Wenn Eltern in der Sprechstunde die Klassenlehrerin um Hilfe bitten, weil ihr Kind sich schwertut mit dem Lesen, Schreiben oder Rechnen, dann kommt sehr häufig die Empfehlung: Ihr Kind muss mehr üben.

Das ist nicht nur eine völlig nutzlose Empfehlung, sie passt auch nicht zu einem Profi, der wir ja sein sollten.
Das Kind wird sich mit noch mehr und noch mehr üben nicht verbessern. Die Eltern sind zu Recht enttäuscht von der Schule und aus einem Miteinander wird sehr schnell ein Gegeneinander.

In einem entschleunigten Unterricht kannst du deine Schüler intensiver wahrnehmen

Und wenn du auch noch eine tägliche Freiarbeitsphase fest in deinem Unterrichtsalltag installiert hast, dann kannst du im Elterngespräch schon einmal detailliert darlegen, wo genau es hapert. In einem nächsten Schritt kannst du den Eltern ein tägliches 15-Minuten-Training empfehlen, für das du ihnen auch Material bereitstellst und das du auch – z.B. über einen wöchentlichen Rückmeldebogen – von Seiten der Schule begleitest.

Ein zeitlich sehr überschaubares tägliches Übungspaket, das inhaltlich genau auf einen Schüler zugeschnitten ist, das zusätzlich auch von der Lehrkraft begleitet wird, ist natürlich etwas viel Wirkungsvolleres als irgendeine Übung, die mit Hilfe irgendeines Ratgebers von den Eltern auf eigene Faust – und meistens dann in viel zu langen Übungssequenzen – durchgeführt wird.

Eine Viertelstunde täglich, und wenn der Küchenwecker klingelt, ist Schluss. Damit kommen Kinder gut zurecht.

Individuelles Arbeitsmaterial zu erstellen ist dank unserer technischen und digitalen Möglichkeiten überhaupt kein Problem, z.B. mit dem worksheetcrafter. Wenn ein Schüler sein eigenes Arbeitsheft hat, zeigt ihm das, dass wir uns speziell für ihn einsetzen und das ist unglaublich motivations-fördernd.

Du kannst zusätzlich zu den Rechenblättern in das Trainingsheft auch Uhrenseiten einfügen, die jeweils in 10- oder in 15-Minuten-Abschnitte eingeteilt sind. Jeder absolvierte Übungszeitraum wird schraffiert, ein Elternteil unterschreibt, dass korrekt geübt wurde und das Kind bekommt pro Übungsstunde einen Aufkleber ins Trainingsheft unter die absolvierte Stunde. Die konkrete Gestaltung liegt ganz bei dir.

Allerdings: Ein Spiralbindegerät – am besten elektrisch! – sollte jede Schule haben. Damit lassen sich schnell individuelle Hefte erstellen.

Dann muss noch ein unverzichtbarer Bestandteil jedes Trainingsvorhabens vorab geklärt werden:

Das Kind muss wollen. Wenn nur die Mutter will, wird das Vorhaben nicht erfolgreich sein. Deshalb ist ein klärendes Gespräch im Vorfeld unerlässlich.

Wenn wir mit dem Kind sprechen, sachlich, ohne Vorwürfe und lösungsorientiert, dann haben wir sehr gute Chancen, es für ein aktives Mitmachen bei einem kurzen täglichen Training zu gewinnen. Wir müssen uns allerdings genau an die Abmachung halten: Fünfzehn (oder in Einzelfällen zehn) Minuten und beim Läuten des Küchenweckers ist sofort Schluss.

Besonders die Mütter sind hier gefährdet, die Abmachung nicht einzuhalten und dann zu insistieren: „Schau, du bist gerade so gut dabei. Mach doch diese Aufgabe – oder diese Seite oder diesen Satz – noch fertig!“ Das ist verhängnisvoll, denn dann wird es am nächsten Tag wahrscheinlich Probleme geben, das Kind überhaupt zum Üben zu bringen.

Zielorientierte Kommunikation im Elterngespräch

Ist der Boden für die Zusammenarbeit mit den Eltern bereitet, fühlen sie sich gut informiert über das Was, Wie und Warum deines Unterrichts. Und bist du glaubwürdig in deinem Bemühen um den Schulerfolg ihres Kindes, dann stehen Elterngespräche schon einmal von vornherein unter einem anderen Stern als das in der „normalen“ Praxis oft der Fall ist.

Die fatale Schleife von Vorwurf – Verteidigung – neuer Vorwurf, in die Lehrer sich so leicht hineinziehen lassen, wird nicht so schnell entstehen. Aber diese Gefahr sollte uns bewusst sein, damit wir nicht doch unversehens in die Gesprächsfalle tappen.
Wir sollten mit professioneller Distanz an die Bewältigung schulischer Krisen herangehen.

Und dabei hilft uns eine grundsätzliche Positionierung, die Folgendes akzeptiert:

  • Eltern sind natürlich subjektiv, wenn es um ihr eigenes Kind geht und es fällt ihnen darum auch schwer, aus dieser persönlichen Befangenheit herauszutreten und sich mit Schwierigkeiten einigermaßen objektiv auseinanderzusetzen.
  • Auch ein Gespräch, das mit Kritik und Vorwürfen beginnt, muss nicht zwangsläufig entgleisen. Es liegt an dir, diesen Ball nicht aufzunehmen, sondern ruhig und sachlich zu bleiben.
  • Eltern, die Sorgen und Ängste haben, müssen unbedingt erst einmal angehört werden. Bereits das aufmerksame Zuhören und das Ernstnehmen wirken deeskalierend. Klug ist es, auf einen Kritikpunkt oder einen Vorwurf nicht mit einer Antwort zurückzuschießen, die auf Mängel des Kindes hinweist. Das führt sehr schnell zu einem kommunikativen Super-GAU, bei dem nichts mehr geht.
  • Viel besser und in jedem Gespräch zu empfehlen ist es, das, was die Eltern vorgebracht haben, noch einmal zusammenzufassen. Oft ist es sinnvoll, auch auf die Meta-Ebene zu gehen und das zu artikulieren, was du an Emotionen herausgehört hast.
  • Eltern wollen, dass es ihrem Kind in der Schule gut geht. Argumentiere deshalb bei der Lösungssuche vor der geistigen Matrix, dass das Kind in Not ist und dass du dich mit den Eltern verbündest, um ihm zu helfen.

Bei Verhaltensproblemen ist oft ein Feedbacksystem hilfreich, das die Eltern über das informiert, was in der Schule vorfällt und welche Maßnahmen du ergriffen hast. Aber bitte nicht durch einen Telefonanruf nach der Schule! Du kannst ein Feedbackformular entwerfen oder eine Notiz ins Hausaufgabenheft schreiben. Bei Lernproblemen sind die bereits angeführten Coaching-Tipps hilfreich.

Natürlich hat niemand von uns einen Zauberstab, mit dem er alle Elternkontakte in konstruktive und erfreuliche Begegnungen verwandeln kann. Aber die Chancen hierfür können drastisch steigen und du wirst sehen: Anerkennung und Akzeptanz von Seiten der Eltern sind möglich. Und das wird dich in deinem Alltag stärken.

Entschleunigung – ein Geschenk auf allen Ebenen

Je mehr du dich auf das Wesentliche deiner Arbeit fokussierst und das Überflüssige „ausmistest“, desto mehr wirst du auch mit deinen Schülern in individuelle Gespräche und Aktivitäten kommen. Das wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass du ihre Eigenheiten, ihr Potenzial, aber auch ihre Schwächen kennenlernst. Und das wiederum macht dich für die Eltern zu einem wertvollen Gesprächspartner und Ratgeber.

Ein Unterricht, der im Wesentlichen aus dem Abarbeiten von Stoff und immer noch mehr Stoff besteht, lässt uns Lehrern gar keine Zeit für das Wesentliche unseres Berufes, nämlich mit den Kindern in pädagogische Interaktion zu treten und sie als menschliche Wesen mit eigener Ausprägung wahrzunehmen und nicht nur als mehr oder weniger „gute“ Schüler.

„Carpe diem!“ heißt das lateinische Sprichwort: „Nutze den Tag!“ Ich möchte es abwandeln in „Carpe occasionem!“, also: „Nutze die Gelegenheit!“, denn Gelegenheiten hast du in unserem System ausreichend.

Nutze die Chance, autonom und authentisch zu agieren, dann wirst du deine Tätigkeit als sinnvoll erleben. Pflege die Kommunikation mit den Eltern, dann werden Akzeptanz und Anerkennung von dieser Seite steigen.

Niemand kann verlangen, dass unser schulischer Alltag immer nur leicht und angenehm ist. Aber dennoch: Wir können ein erfülltes Lehrerleben haben, das „System“ macht es uns möglich. Carpe occasionem!

Die Autorin:

Christina Buchner arbeitete viele Jahre als Lehrerin an Grund- und Hauptschulen. Und sie war 16 Jahre Rektorin an Grundschulen im Landkreis München.
Sie ist in Oberbayern auf dem Land aufgewachsen. Ihre Kindheit war geprägt durch große Freiheit, Nähe zur Natur, Freude an Büchern und die Möglichkeit, kreative Einfälle in die Tat umzusetzen.
Vor diesem Hintergrund war es ihr von Anfang an ein zentrales Anliegen, für ihre Schüler eine bunte und anregende Lernwelt zu schaffen.

buchner

Sie ist nach wie vor fest davon überzeugt, dass in der Schule ohne Freude, Begeisterung und ohne Erfolgserlebnisse sehr wenig läuft. Die Mischung aus Pflicht und Freude, aus Begeisterung und konsequenter Übung, aus Disziplin und individueller Freiheit beim Lernen ist ihr Markenzeichen. Für diese Mischung wirbt sie in ihren Büchern und in Vorträgen und Lehrerfortbildungen in Deutschland, Österreich, Italien, der Schweiz und Luxemburg.
Christina Buchner entwickelte eigene Methoden für das Lesenlernen, für Rechtschreiben und Schreiberziehung, für den elementaren Mathematikunterricht und für das Theaterspielen mit einer Klasse.

Ihr MatheBlog: www.die-rechentante.de
Ihre Website: www.christina-buchner.de

Weitere Beiträge:

Runter vom Gas 1 – Impulse für entspannten Unterricht in der Grundschule

Runter vom Gas 2 – Disziplin und Classroom Management

Runter vom Gas 3 – Abstrakte Zeichen und Symbole entdecken

Runter vom Gas 4 – richtig am Schulklima arbeiten