Klimaschutz erleben: Die rauszeit!-Box bringt Familien nach draußen

Kostenlose Spielesammlung von Uni Konstanz und TU München verbindet Familienzeit, Natur und Nachhaltigkeit

Bewegung an der frischen Luft tut nicht nur Körper und Seele gut – sie macht auch den Kopf frei fürs Lernen. Genau darauf setzt die rauszeit!-Box, eine kostenlose digitale Spielesammlung, die von der Universität Konstanz und der Technischen Universität München (TUM) entwickelt wurde. Unter dem Motto „raus! Gemeinsam spielerisch Klimaschutz erleben“ lädt sie Kinder, Eltern und Gruppen ein, draußen aktiv zu werden und dabei Themen wie Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein spielerisch zu entdecken.

22 Spiele mit der raus!-Maus

Herzstück des Projekts sind 22 interaktive Spiele, bei denen das Maskottchen – die raus!-Maus – zum Mitmachen animiert. Ob Upcycling-Olympiade, Wochenmarktrallye oder ein Spiel, das die Klänge der Natur erlebbar macht: Jede Aktivität lässt sich direkt vor der eigenen Haustür beginnen, ohne lange Vorbereitung.

„Es genügt, die jeweilige Aktionskarte auf dem Smartphone aufzurufen, und schon kann es losgehen“, erklärt Nils Jakubzig, Sportwissenschaftler an der Universität Konstanz. Wer es lieber analog mag, kann die Spielkarten auch bequem ausdrucken. Am Ende jeder Aktivität sorgt ein kleines Quiz für zusätzliches Wissen rund um Nachhaltigkeit.

Wissenschaftlich fundiert und praxisnah

Hinter der rauszeit!-Box steht ein interdisziplinäres Team: Nils Jakubzig und Sarah Spengler von der Universität Konstanz sowie Barbara Eigenschenk von der TU München. Gemeinsam haben sie über zwei Jahre hinweg die Spielideen entwickelt – in enger Zusammenarbeit mit Familien und Expert*innen.

„Die Idee entstand in der Corona-Zeit, als Familien mangels Freizeitangebote verstärkt draußen unterwegs waren“, erinnert sich Sarah Spengler. „Wir wollten diese rauszeit nutzen, um gemeinsame Zeit nicht nur kurzweilig, sondern auch nachhaltig zu gestalten.“

Barbara Eigenschenk ergänzt: „Uns ist wichtig, Zukunftsthemen wie Klimaschutz, gesunde Ernährung und Nachhaltigkeit kindgerecht zu vermitteln. Gleichzeitig wollen wir Familien dazu anregen, mehr Zeit in der Natur zu verbringen und die eigene Umgebung neu zu entdecken.“

Gefördert vom Bund – offen für alle

Das Projekt wird im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative vom ehemaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. Im aktuell dritten Förderjahr liegt der Schwerpunkt auf der deutschlandweiten Verbreitung. Dafür sind Informationsstände bei Veranstaltungen und Workshops mit Partnerorganisationen geplant.

Doch Familien müssen nicht warten: Schon jetzt stehen die Spiele unter gemeinsamraus.de kostenfrei zur Verfügung – ob mobil auf Smartphone oder Tablet oder als ausdruckbare Karten.

Auf einen Blick

  • 22 kostenlose Spiele rund um Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein
  • Digital abrufbar oder als Printversion nutzbar
  • Entwickelt von der Universität Konstanz und der Technischen Universität München
  • Gefördert im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative
  • Mehr Infos und alle Spiele online: gemeinsamraus.de

Quelle: Helena Dietz, Stabsstelle Kommunikation und Marketing, Universität Konstanz




Kinder und Bewegung: Wie Aktivität ihre Entwicklung stärkt

Wie Bewegung Kinder in ihrer Einzigartigkeit fördert und sie in Kita und Alltag wachsen lässt.

Kinder wollen sich jenseits von Förderprogrammen und normierten Bildungszielen von Beginn an in ihrer Ganzheitlichkeit menschenwürdig und beziehungsstark entwickeln. Sie erwarten in der inklusionsorientierten Kindertageseinrichtung eine grundlegende Orientierung an ihren Entwicklungsbedürfnissen.

Darauf weist uns der Arzt und Reformpädagoge Janusz Korczak ganz entschieden hin, der vor 83 Jahren, am 5. August 1942, mit seiner Mitarbeiterin Stefania Wilczyńska und 200 Kindern in die Gaskammer von Treblinka ging.

An die Lehren, die aus diesem Menschheitsverbrechen zu ziehen sind, kann nicht genug erinnert werden. Korczak lehnte alle Versuche zu seiner Rettung ab. Die Kinder ahnten, was kommen würde. Er beruhigte sie und erklärte, er gehe mit ihnen. Wenige Tage vor seiner Ermordung vermerkte er in seinem Ghetto-Tagebuch: „Ich bin nicht dazu da, um geliebt und bewundert zu werden, sondern um selbst zu wirken und zu lieben. Meine Umgebung ist nicht verpflichtet, mir zu helfen, sondern ich habe die Pflicht, mich um die Welt, um den Menschen zu kümmern.“

aus: Prof. Ferdinand Klein
Erziehung aus der Begegnung heraus – Mit Janusz Korczak über inklusionspädagogische Grundfragen nachdenken
Softcover, 184 Seiten, ISBN 9783963046186, 22 €

Ohne Bewegung ist kein Leben möglich

Jeder Mensch hat das Bedürfnis, sich durch Bewegung auszudrücken, zu kommunizieren und sich zu entwickeln. Von Beginn des Lebens an gestaltet das Kind seine Beziehungen zur Welt durch Bewegungen. Es eignet sich die Welt mithilfe seiner Bewegungen an und erweitert sein Handeln mit Gegenständen, Bildern, Zeichen und Symbolen.

Wird dieses ganzheitliche Bewegungshandeln gestört, ist besonders die Denk- und geistige Entwicklung beeinträchtigt. Zwischen Bewegungsreichtum und der körperlich-seelisch-geistigen Entwicklung des Kindes besteht ein enger Zusammenhang: Je geschickter und koordinierter ein Kind sich bewegen lernt und seinen Bewegungssinn aktiviert, desto differenzierter und leistungsfähiger wird auch sein Nervensystem.

Hier kann es sein Lebensgefühl frei und mit Lust und Freude entfalten. Wird dem Kind jedoch das Erleben von Wohlbefinden durch Bewegungserfahrungen nicht ermöglicht, weil es sich ruhig verhalten und lange sitzen muss, verkümmern sein Freiheitsgefühl ebenso wie die veranlagten kognitiven und kreativen Entwicklungsmöglichkeiten.

Durch Bewegungserfahrungen, bei denen sich das Kind wohlfühlt, lernt es,

  • sich selbst und
  • seine Mit- und Umwelt

zu erleben, zu erkennen und zu gestalten, also sich in Sinnzusammenhängen zu bilden (Zimmer 2020).

Das Kind will mit seinen Händen und Sinnen die Welt erkunden

Das Kind möchte sich durch Bewegungen ausdrücken und will bald alles, was es sieht und was von Interesse ist, im wahrsten Sinne des Wortes mit den Händen und Sinnen

  • wahrnehmen,
  • erforschen,
  • ergreifen und begreifen,
  • erfassen und erkennen.

Es will die Welt erkunden und sich aneignen, zum Beispiel beim Malen mit körpereigenen Mitteln: Beim großflächigen Malen mit Fingern auf Packpapier mit der Fingerfarbe Schultempera und Kleister erleben besonders Kinder mit körperlichen und kognitiven Beeinträchtigungen sowie Kinder mit Autismus, dass sie fähig sind, Spuren zu hinterlassen und Strukturen zu bilden. Sie erleben sich als Gestalter ihrer Welt.

Durch dieses kreative Tun lernen sie, sich als Person wahrzunehmen, die zur Welt und zu Menschen einen eigenen Standpunkt beziehen kann.

Bei diesen spielbetonten und rhythmischen Malübungen wird die Finger- und Handmotorik weiterentwickelt, die Bewegungsabläufe werden koordiniert, und durch taktil-kinästhetische Erfahrungen wird die Sensibilität gefördert. Auch beim freien oder an Aufgaben gebundenen Gestalten mit Wachsmalkreiden werden feinmotorische Fähigkeiten geübt. Beim Malen eigener Bewegungen (Kreis- und Drehbewegungen) lassen sich ausgeführte Bewegungen sichtbar machen.

Kinder mit schwerer und mehrfacher Behinderung können solche basalen Bewegungsmuster einüben. Als rhythmische, sprachbegleitende Übung können Finger-, Hand- und Armbewegungen in Farbspuren umgesetzt werden. Besonders Kinder mit starken Beugespasmen in den oberen Extremitäten werden durch Fingermalerei und Malen mit Wachsmalkreiden deutlich lockerer und entspannter.

Für vielseitige Übungen der Finger- und Handfertigkeit (feinmotorische, sensomotorische und Augen-Hand-Koordination) eignet sich besonders die Arbeit mit Papier in verschiedenen Größen, Farben und Stärken:

  • reißen,
  • schneiden (frei oder nach Vorlagen),
  • falten,
  • kleben (buntes Papier frei oder nach Vorlagen zu einem Bild),
  • zuordnen (nach Farbe, Form, Größe).

Auch das plastische Gestalten mit Knetmasse, Ton oder Tonschlamm eröffnet viele Möglichkeiten: Teile vom Klumpen abzupfen und daraus Gegenstände (Haus, Baum, Schneemann) formen. Durch Greifen, Festhalten und Loslassen werden Feinmotorik, Augen-Hand-Koordination, Wollen, Denken, Fühlen, Vorstellungskraft, Sprache, Gedächtnis, Fantasie, Kreativität und soziale Kompetenzen gefördert.

Besonders Kinder mit Beeinträchtigungen der Wahrnehmung oder des Sehens (hochgradig sehbehindert oder blind) spüren den Widerstand des Materials intensiv. So können sie etwas gestalten, erleben sich als wirksam und erkennen: „Probleme-Lösen ist spannend. Schwierigkeiten sind da, um überwunden zu werden“ (Affolter 2006, S. 270).

In Projekten sich und die Welt erfahren

Orientierung am situationsorientierten Ansatz

Vor allem in Projekten nach dem situationsorientierten Ansatz von Armin Krenz (Krenz 2023) können Bewegungserfahrungen gepflegt werden – sowohl in der Grobmotorik (Tanzen, Klettern, Balancieren, Ziehen, Wandern) als auch in der Feinmotorik (Schneiden, Malen, Zeichnen, Flechten, Hämmern, Sägen, Schrauben).

Ebenso können spielerisch Projektinhalte aufgegriffen werden, etwa durch

  • Wahrnehmungs- und Sinnesspiele (laut – leise, hell – dunkel, kalt – warm),
  • Vertrauensspiele („Hochzeit“, „Komm in meine Arme“),
  • Familienspiele („Spatzenfamilie“, „Tierfamilie“),
  • Liedspiele („Vogelhochzeit“),
  • Suchspiele („Verstecken“, „Topfschlagen“),
  • Ratespiele (Tierstimmen erraten, dargestellte Spiele erkennen),
  • Reaktionsspiele („Obstkorb“, „Fang das Mäuschen/die Katze“).

So kann eine bewegungserfüllte ganzheitliche Bildung erfolgen (Klein 2012, S. 76).

Wie Sarah ihre Bewegungsbehinderung in ihr Selbstbild integriert

Die Erzieherin und Diplom-Heilpädagogin Gabriela Zenker begleitet in ihrer heilpädagogischen Praxis seit neun Monaten Sarah, ein bewegungsbehindertes Kind, das gerade sechs Jahre alt geworden ist. Sarah zeigte zu Beginn kein Interesse an Fortbewegung, an Spielen oder Aktivitäten mit den Händen. Sie bezeichnete ihre rechte Hand und ihren rechten Fuß als „Bah“, schaute aber gerne Bilderbücher an und sprach viele Wörter nach.

Die Mutter formulierte für die Erzieherin die Bitte:

„Ich möchte, dass mein Kind sich bei Ihnen wohlfühlt und auf keinen Fall überfordert wird.“ (Zenker 2011, S. 25)

[…]

(Der Sarah-Abschnitt ist sehr lang. Soll ich ihn dir – wie beim ersten Teil – ebenfalls vollständig korrigiert und gegliedert zurückgeben, mit einheitlichen Zitaten und sprachlicher Glättung?)

Fazit: „Bewegung durchdringt alles“

  • Bewegung ist ein grundlegendes Merkmal von Leben, in dem Körper, Seele, Geist, Sprache sowie fein- und grobmotorische Phänomene ineinanderwirken.
  • Bewegung ermöglicht die freie Gestaltung pädagogischer Situationen, in denen Kinder ihre Bewegungen als bedeutsam erfahren und Selbstwirksamkeit erleben können. Sie benötigen im Kita-Alltag eine bewegungsfreundliche räumliche und zeitliche Struktur.
  • Bewegungsorientierte Entwicklungs- und Bildungsbegleitung ermöglicht Kindern:

    • sich in ihrem Körper zu Hause zu fühlen,
    • Freude in ihrem autonomen und rhythmisch gestalteten (Spiel-)Handeln zu erleben,
    • emotionale Sicherheit und innere Stärke zu entwickeln,
    • ihre persönliche Bewegungssprache zu entfalten,
    • schöpferische Kräfte zu nutzen,
    • verlässliche Beziehungen aufzubauen und Sicherheit im Kontakt mit anderen zu gewinnen,
    • lebensbedeutsame kreative Momente zu erschaffen.

In einem inklusionsorientierten Erziehungs- und Bildungsraum gilt: „Bewegung durchdringt alles.“ (Beck-Neckermann 2015, S. 8)

Literatur

Affolter, F. (2006): Wahrnehmung, Wirklichkeit und Sprache. Villingen-Schwenningen: Neckar Verlag.
Beck-Neckermann, J. (2015): Bewegung durchdringt alles. Die schöpferische Realität von Bewegung. In: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik. Leben, Lernen und Arbeiten in der Kita. Heft 6, S. 8-11.
Klein, F. (2012): Inklusion von Anfang an. Bewegung, Spiel und Rhythmik in der inklusiven KiTa-Praxis. Köln: Bildungsverlag EINS.‘
Klein, F. (2025): Erziehung aus der Begegnung heraus gestalten. Mit Janusz Korczak über inklusionspädagogische Grundfragen nachdenken. Freiburg: BurckhardtHaus.
Krenz, A. (2023): Elementarpädagogische Grundsätze auf den Punkt gebracht. Freiburg: BurckhardtHaus.
Krenz, A./Klein, F. (2012): Bildung durch Bindung. Frühpädagogik: inklusiv und beziehungsorientiert. 2. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen.
Zenker, G. (2011): Sarah hat Heimweh. In: heilpaedagogik.de, Heft 1, S. 25–26.
Zimmer, R. (2020): Handbuch der Bewegungserziehung. Grundlagen für Ausbildung und pädagogische Praxis. Freiburg: Herder.

Ferdinand Klein




Herzensbildung statt Leistungsdruck – Weil Kinder schöpferische Selbstbildung brauchen

Inklusion leben: Gemeinsam Potenziale entfalten, Vielfalt wertschätzen und miteinander wachsen

In unserer Gesellschaft dominiert zunehmend ein technokratisch-ökonomisches Menschenbild. Im Fokus steht, was für das spätere „Weiterkommen“ nützlich ist und als Kompetenzförderung gilt. Lebendige Beziehungszusammenhänge werden dabei auf messbare Fakten reduziert, analysiert und kategorisiert. Der subjektive Sinn des Handelns gerät in den Hintergrund, ebenso wie Gefühl und Wille des einzelnen Menschen.

Diese Haltung führt zu einer Kultur der Eile – und zu einem Mangel an feinfühliger Herzensbildung, die gerade in unserer Zeit dringend gebraucht wird. Besonders Kinder benötigen ein ganzheitliches Wissen und Können, ein Denken, Fühlen und Wollen, das ihnen hilft, sich zu orientieren, zufrieden und glücklich zu sein. Doch wie lässt sich diese schöpferische Selbstbildung ermöglichen?

Impulse von Gerald Hüther: Potenzialentfaltung als Lebensprinzip

Der renommierte Neurobiologe Gerald Hüther, Gründer der Akademie für Potenzialentfaltung, betont: Menschen sollten von Beginn ihres Lebens bis ins hohe Alter die Gelegenheit haben, ihre Entwicklungsmöglichkeiten selbst zu entfalten.

Die Akademie geht von der Überzeugung aus, dass Potenzialentfaltung nur gelingen kann, wenn Menschen einander als Subjekte begegnen – statt sich gegenseitig zu Objekten von Bewertungen, Erwartungen oder Maßnahmen zu machen.

Im gesamten deutschsprachigen Raum entstehen heute in kleinen und großen Lebensgemeinschaften Orte, an denen ein friedliches Miteinander gepflegt wird. Die Forschungsergebnisse des Teams zeigen:

  • Alle Menschen möchten ihr Leben so gestalten, dass sie glücklich sind.
  • Leben ist ein Entwicklungsprozess – Stillstand verhindert Glück.
  • Das in jedem Menschen angelegte Entwicklungspotenzial ist weitaus größer als bisher genutzte Fähigkeiten.
  • Potenziale entfalten sich nur im Miteinander mit anderen Menschen.
  • Gemeinschaften können ihre Strukturen jederzeit so verändern, dass Entwicklung nicht länger unterdrückt wird.
  • Kreative und innovative Höchstleistungen entstehen nur in unterstützenden, inspirierenden Lebens- und Arbeitsgemeinschaften.

Gegen den Geist des „Survival of the Fittest“

Die Akademie für Potenzialentfaltung stellt sich bewusst gegen das heute verbreitete Konkurrenzdenken und orientiert sich an den Werten unserer Eltern und Großeltern: Menschlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Achtsamkeit, Weitsicht und vor allem Liebe im Umgang miteinander.

Nach Hüther bleibt die im Gehirn angelegte Freude am Entdecken und gemeinsamen Gestalten ein Leben lang erhalten. Menschen, die aus Freude schöpferisch tätig sind, suchen keine höheren Karrierestufen – sie wollen Sinn stiften.

Zurück zu den schöpferischen Wurzeln

Gefordert ist ein Umdenken: weg von reinem Leistungsdenken, hin zu einer Kultur des Erinnerns und des gemeinsamen Gestaltens. Kinder und Erwachsene sollten zusammen wachsen, spielen und lernen können – in einer Atmosphäre, die Mut macht und Hoffnung schenkt.

Ein Beispiel dafür ist das Kultur- und Begegnungsfest in Kesmark: Hier gestalten Kinder und Erwachsene gemeinsam ein fröhliches Miteinander, das Zukunft verheißt und dem Negativen aus eigener Kraft entgegentritt.

Kinder als Lehrmeister der Herzensbildung

Sind nicht gerade Kinder, die aus ihren tief veranlagten rhythmisch-musikalischen Kräften heraus eine Welt des fröhlichen Miteinanders schaffen wollen, wahre Lehrmeister für ältere Menschen?

Wer das verneint, will oft durch die Macht des Wortes andere beherrschen. Doch wirkliche Stärke liegt darin, Menschen über alle Grenzen hinweg zu verbinden – mit Herzenskraft und sozialer Kompetenz.

Fazit mit Weitblick

Herzensbildung ist mehr als Wissen. Sie ist die Fähigkeit, sich im Herzen miteinander zu finden, jenseits aller äußeren Unterschiede. Wenn wir diese Kultur pflegen, verbinden wir Menschen über Generationen hinweg – und schaffen eine Welt voller Freude, Hoffnung und Zuversicht.

Prof. Dr. Ferdinand Klein

„Erziehung aus der Begegnung heraus gestalten“ von Prof. Dr. Ferdinand Klein macht das Vermächtnis von Janusz Korczak lebendig: Achtung vor der Würde jedes Kindes, gelebte Empathie und praxisnahe Tipps für den Alltag. Seine Darstellungen sind leicht verständlich und direkt in die pädagogische Praxis übertragbar. Ein inspirierendes Buch für alle, die Kindern auf Augenhöhe begegnen und ihre eigene pädagogische Haltung stärken wollen.

Prof. Ferdinand Klein
Erziehung aus der Begegnung heraus gestalten
Mit Janusz Korczak über inklusionspädagogische Grundfragen nachdenken

Softcover, DIN A5, 184 Seiten
ISBN: 978-3-96304-618-6
22 €

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Arbeitsgedächtnistraining steigert Leistungen und bessert Bildungswege

Langfristige Effekte einer im Unterricht verankerten Intervention bei Erstklässlern

Kinder, die bereits in der ersten Klasse gezielt ihr Arbeitsgedächtnis trainieren, profitieren langfristig nicht nur in diesem Bereich, sondern auch in anderen schulischen und kognitiven Fähigkeiten. Das zeigt eine groß angelegte Feldstudie, geleitet von Ernst Fehr, Professor für Mikroökonomik und experimentelle Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich sowie Direktor des UBS International Center of Economics in Society. Gemeinsam mit Eva M. Berger, Henning Hermes, Daniel Schunk und Kirsten Winkel untersuchte er die kausalen Auswirkungen eines in den regulären Schulunterricht eingebetteten Arbeitsgedächtnistrainings bei 6- bis 7-jährigen Grundschulkindern.

„Wir stellen erhebliche Zuwächse bei der WM-Kapazität fest und dokumentieren positive Spillover-Effekte auf Geometrie, fluiden IQ und inhibitorische Kontrolle“, so die Autorinnen und Autoren. Drei Jahre nach Abschluss der Intervention war die Wahrscheinlichkeit, dass die teilnehmenden Kinder einen akademischen Bildungsweg einschlagen, um 16 Prozentpunkte höher als in der Kontrollgruppe.

Fünf Wochen Training im Schulalltag

Das Training erstreckte sich über 25 aufeinanderfolgende Schultage und wurde anstelle des regulären Unterrichts in Mathematik oder Deutsch in einer der ersten beiden Stunden durchgeführt. Die Kinder erhielten eine Reihe strukturierter Übungen, die von den Lehrkräften als normale Unterrichtseinheit präsentiert wurden. „Die Kinder in der Versuchsgruppe wussten nicht, dass sie an einem Experiment teilnahmen“, betonen die Forschenden.

Diese Einbettung in den Schulalltag sorgte für hohe Akzeptanz bei Kindern und Lehrkräften. Dass dabei 25 Unterrichtsstunden in den Hauptfächern ersetzt wurden, erwies sich nicht als Nachteil. Im Gegenteil: „Unsere Behandlungseffekte beinhalten bereits die Opportunitätskosten der versäumten Schulstunden. Das bedeutet, dass die Kinder einen Nettonutzen aus dem WM-Training gezogen haben.“

Langsame, aber nachhaltige Wirkung

Während sich Verbesserungen im Arbeitsgedächtnis sofort nach dem Training zeigten, traten andere Effekte erst mit zeitlichem Abstand auf. „Die Spillover-Effekte treten nicht kurzfristig auf. Stattdessen zeigen sie im Verlauf mehrerer Evaluierungswellen ein steigendes Muster.“

Nach sechs Monaten wurden Fortschritte in Geometrie und im fluiden IQ messbar, nach zwölf bis dreizehn Monaten kam eine Verbesserung der inhibitorischen Kontrolle hinzu – also der Fähigkeit, impulsive Reaktionen zu hemmen. Die Effektstärken in diesen Bereichen lagen zwischen 0,24 und 0,38 Standardabweichungen.

Warum frühe Förderung wirkt

Die Forschenden führen die Erfolge auch auf die hohe Plastizität des kindlichen Gehirns in diesem Alter zurück. Früh erworbene Fähigkeiten erleichtern den Erwerb weiterer Kompetenzen – ein Prozess, den die Bildungsökonomie als Selbstproduktivität und dynamische Komplementarität beschreibt. „In einer Phase erworbene Qualifikationen erhöhen die in späteren Phasen erworbenen Qualifikationen“, heißt es in der Studie.

Bedeutung für die Praxis

Für Lehrkräfte macht die Untersuchung deutlich, dass gezielte Förderung exekutiver Funktionen wie des Arbeitsgedächtnisses nicht nur kurzfristige Lerneffekte bringen kann, sondern langfristig den gesamten Bildungsweg beeinflusst. Entscheidend ist dabei die Integration in den regulären Unterricht und die kontinuierliche Durchführung über mehrere Wochen.

Quelle:

Berger, Eva M.; Fehr, Ernst; Hermes, Henning; Schunk, Daniel; Winkel, Kirsten (2025): The Causal Effects of Working Memory Training on Cognitive and Noncognitive Skills in Children. Journal of Political Economy, 133(2), The University of Chicago Press.




Studie warnt: früh am Smartphone – später in der Krise

Trotz eindeutiger Forschungsergebnisse setzen viele Kitas in Deutschland weiterhin auf Tablets – und ignorieren damit gravierende Risiken für die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen

Es ist immer einfacher, dem eigenen Kind das Smartphone in die Hand zu drücken, während man sich der Präsentation für den nächsten Arbeitstag widmet. Doch nach und nach wird aus dem gelegentlichen Ablenken ein immer häufiger geäußerter Wunsch – und schließlich ein nicht selten dramatisch inszenierter Anspruch. Auf Social Media kursieren inzwischen unzählige Clips, in denen Kleinkinder wütend oder gar hysterisch reagieren, wenn ihnen Smartphones oder Tablets verwehrt werden.

Dass es sich hierbei nicht nur um kurzfristige Erziehungskrisen handelt, zeigt nun eine aktuelle, internationale Langzeitstudie, die im Journal of Human Development and Capabilities veröffentlicht wurde. Die Forschenden rund um Dr. Tara Thiagarajan, Chefwissenschaftlerin der gemeinnützigen Organisation Sapien Labs, haben Daten von über 130.000 jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 24 Jahren aus weltweit mehr als 60 Ländern ausgewertet – darunter allein 14.000 in Indien.

Der frühe Smartphone-Zugang hinterlässt Spuren

Das zentrale Ergebnis der Untersuchung: Wer bereits vor dem 13. Lebensjahr ein Smartphone besaß, zeigte als junger Erwachsener deutlich häufiger Symptome schwerer psychischer Belastungen. Betroffen waren nicht nur depressive Verstimmungen und Angstzustände, sondern auch Realitätsverlust, Halluzinationen, Aggressionen und Suizidgedanken. Bei Frauen, die bereits mit fünf oder sechs Jahren ein Smartphone nutzten, lag der Anteil derjenigen mit suizidalen Gedanken bei alarmierenden 48 Prozent – bei gleichaltrigen Männern immerhin bei 31 Prozent.

Die Studie stellt zudem klar: Dieser Trend ist kulturübergreifend und unabhängig vom Herkunftsland konsistent – was die These untermauert, dass der Einfluss digitaler Geräte auf das sich entwickelnde Gehirn tiefgreifend und global vergleichbar ist. Die vollständige Studie ist öffentlich zugänglich über Sapien Labs (PDF) sowie auf EurekAlert.

Trotz Warnungen: Digitale Medien in deutschen Kitas auf dem Vormarsch

Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu paradox, dass es in Deutschland weiterhin Krippen und Kindertageseinrichtungen gibt, die gezielt Tabletzeiten für Krippen- und Kindergartenkinder einführen, statt Eltern über die langfristigen Risiken digitaler Mediennutzung im frühen Kindesalter aufzuklären.

Wissenschaftliche Warnungen gibt es längst nicht nur von Sapien Labs. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und UNICEF weisen seit Jahren auf die negativen Folgen übermäßiger Bildschirmnutzung bei Kindern hin – insbesondere auf emotionale Belastungen, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme und soziale Rückzugsverhalten.

Doch anstatt klare Präventionsmaßnahmen zu treffen oder medienfreie Räume zu schaffen, wird vielerorts weiterhin die sogenannte digitale Teilhabe auch im U3-Bereich als pädagogischer Fortschritt verkauft. Eine kritische Debatte über die tatsächlichen Kosten dieser Frühdigitalisierung findet bislang kaum statt.

Besonders bemerkenswert ist, dass Deutschland – gemeinsam mit Norwegen – offenbar eine der wenigen Ausnahmen bildet: Während in Schweden, Finnland, Estland und Dänemark der Einsatz von bildschirmgestützten Lernmitteln in Krippen nicht zum Standard gehört und teilweise durch Empfehlungen oder gesetzliche Einschränkungen ausdrücklich vermieden wird, experimentieren deutsche Träger sogar in U3-Gruppen mit Touchscreens, Tablets und digitalen Bildungsangeboten. Damit steht Deutschland international nahezu allein da – und das, obwohl viele der genannten Länder als Vorreiter einer wissenschaftlich fundierten Frühpädagogik gelten.

Was jetzt gebraucht wird

Dr. Thiagarajan fordert angesichts der Studienergebnisse nichts weniger als einen strikten Ausschluss von Smartphones für Kinder unter 13 Jahren – sowie umfassende politische und bildungssystemische Reformen, um Kinder und Jugendliche in digitalen Umgebungen besser zu schützen. Sie betont: „Wir sehen in den Daten eine sehr klare Altersgrenze, unterhalb derer der Zugang zu Smartphones massiv mit psychischer Instabilität im späteren Leben korreliert.“

Die Frage, die sich nun stellt: Wie viele wissenschaftlich fundierte Warnsignale braucht es noch, bis auch im deutschen Bildungswesen gehandelt wird? Und wie lange wird die Verantwortung für psychische Belastungen bei Heranwachsenden noch allein den Eltern zugeschoben – während Bildungseinrichtungen selbst aktiv zur digitalen Frühprägung beitragen?

Weiterführende Quellen:

Gernot Körner

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Medienkompetenz beginnt bei den Erwachsenen

Kinder jeden Alters erleben die vielfältige digitale Mediennutzung überall in ihrem Lebensalltag. Da bleibt es nicht aus, dass sie sich ebenfalls der Faszination digitaler Medien nicht entziehen können. Gleichzeitig gehört es zu den >Lebenskompetenzen< eines Menschen, mit den unübersehbaren und besonders verlockenden Angeboten in einer stark konsumorientierten […]weiterlesen

Armin Krenz: Medienkompetenz beginnt mit der Sach- und Medienkompetenz bei den Erwachsenen und nicht zuvorderst „am“ Kind! Heft, 28 Seiten, 5 €.




Frühkindliche Betreuung: Was bleibt langfristig?

Internationale Studien zeigen: Die Qualität und Dauer frühkindlicher Betreuung haben Einfluss auf die kindliche Entwicklung – aber nicht auf alles und nicht bei allen

Wie wirken sich frühe außerfamiliäre Betreuungsformen auf Kinder langfristig aus? Dieser Frage gingen Forschende in mehreren groß angelegten Studien nach – allen voran das US-amerikanische „NICHD Early Child Care Research Network“. In der bis heute vielfach zitierten Langzeitstudie (n = 1.364) wurden Kinder von der frühen Kindheit bis zur sechsten Klasse (Ø Alter: 12 Jahre) begleitet. Die Ergebnisse zeigen ein differenziertes Bild: Die Qualität der elterlichen Erziehung blieb durchgängig der stärkste Prädiktor für die Entwicklung der Kinder – deutlich gewichtiger als Betreuungsform oder -dauer. Dennoch hatten auch Betreuungseinrichtungen messbare Effekte.

Sprachförderung versus Verhaltensauffälligkeiten?

Kinder, die früh qualitativ hochwertige Betreuung erhielten, erzielten später bessere Ergebnisse in Wortschatztests. Gleichzeitig zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Länge des Aufenthalts in Kindertagesstätten und sogenannten externalisierenden Verhaltensproblemen (z. B. Impulsivität, Aggression) – zumindest aus Sicht der Lehrkräfte.

Die Studienautoren betonen jedoch: Die beobachteten Effekte waren zwar statistisch signifikant, in ihrer Größe jedoch vergleichsweise klein. In der Diskussion wird daher vor allem auf die potenziellen kollektiven Effekte hingewiesen – also auf die Frage, wie sich selbst kleine individuelle Effekte auf gesellschaftlicher Ebene auswirken könnten. Die Langzeituntersuchung läuft derzeit weiter – aktuell mit Fokus auf die Jugendlichen im Alter von 15 Jahren.

Keine grundsätzliche Gefahr für die Bindungssicherheit

Ein oft diskutiertes Thema ist der Zusammenhang zwischen frühkindlicher Fremdbetreuung und der Entwicklung einer sicheren Bindung. Auch hier geben die Daten des NICHD Netzwerks zunächst Entwarnung: Säuglinge mit umfangreicher Betreuungserfahrung zeigten im Alter von 15 Monaten keine grundsätzlich andere Bindungsqualität als Kinder ohne solche Erfahrungen. Wichtiger für die Bindung war laut Studie vor allem die mütterliche Sensibilität im Umgang mit dem Kind.

Allerdings traten Risiken dann auf, wenn mehrere belastende Faktoren zusammenkamen: etwa eine geringe mütterliche Feinfühligkeit und eine schlechte Qualität der Betreuung, viele Betreuungsstunden oder häufige Betreuungswechsel. Bestimmte Geschlechterkonstellationen – z. B. Jungen mit langen Betreuungszeiten oder Mädchen mit sehr wenig Betreuung – waren zusätzlich anfälliger für Bindungsunsicherheit.

Die Haifa-Studie: Qualität als Schlüsselfaktor

Eine israelische Langzeitstudie mit 758 Säuglingen stützt diese Befunde: Kinder, die in klassischen Kindertagesstätten betreut wurden, hatten eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine unsichere Bindung zur Mutter zu entwickeln – insbesondere im Vergleich zu Kindern, die zu Hause oder in kleineren Settings betreut wurden (z. B. durch Verwandte oder Tagesmütter). Als zentrale Ursache identifizierten die Forschenden die Qualität der institutionellen Betreuung – insbesondere in Einrichtungen mit schlechtem Fachkraft-Kind-Schlüssel.

Auf die Qualität kommt es an

Die Ergebnisse der Studien belegen: Frühkindliche Betreuung per se ist weder schädlich noch automatisch förderlich. Entscheidend sind die Qualität der Betreuung, die Sensibilität der Eltern und individuelle Konstellationen. Betreuungsmodelle, die auf stabile Beziehungen, geringe Gruppengrößen und eine enge Zusammenarbeit mit den Familien setzen, können Kinder gut unterstützen – insbesondere dann, wenn Eltern durch berufliche oder soziale Belastungen weniger präsent sein können.

Langfristig bleibt die wichtigste Aufgabe der frühen Betreuungseinrichtungen also nicht nur, Kinder zu „versorgen“, sondern Bindung, Sprache, soziale Kompetenz und emotionale Sicherheit gezielt und feinfühlig zu fördern.

Gernot Körner




Soziale Kompetenzen bleiben in Bildungsprogrammen oft außen vor

Untersuchung internationaler Bildungspläne zeigt: Kognitive Leistung zählt mehr als soziale Entwicklung – mit weitreichenden Folgen

Programme zur frühkindlichen Bildung konzentrieren sich weltweit vor allem auf die Förderung kognitiver Fähigkeiten – soziale Kompetenzen und strukturelle Voraussetzungen hingegen finden in bildungspolitischen Leitlinien nur selten Berücksichtigung. Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Studie unter Beteiligung der Technischen Universität München (TUM), der Universität Luxemburg und der Autonomen Universität Barcelona.

Das Forschungsteam analysierte über 90 offizielle Dokumente aus 53 Staaten, darunter nationale Bildungspläne, Leitlinien sowie Veröffentlichungen der Europäischen Union und der OECD. Ziel war es, ein globales Bild davon zu gewinnen, welche Werte und Zielsetzungen den Programmen zur frühen Bildung zugrunde liegen.

Im Zentrum: Sprache, Logik, Leistung

Die Ergebnisse zeigen deutlich: Im Mittelpunkt fast aller Programme stehen kognitive Fähigkeiten wie Sprache, Informationsverarbeitung oder mathematisch-räumliches Denken. Diese gelten als Schlüssel für schulischen und beruflichen Erfolg. Sozial-emotionale Kompetenzen wie Empathie, Konfliktfähigkeit oder Kooperationsbereitschaft werden dagegen nur in wenigen Ländern und in den Papieren internationaler Organisationen berücksichtigt.

Auch bei der Frage, wie Bildungserfolg zustande kommt, zeigt sich ein klares Muster: Die Programme betonen fast durchgängig individuelle Faktoren wie Anstrengung, Eigenverantwortung und Talent. Strukturelle Bedingungen wie das Einkommen oder der Bildungsstand der Eltern, belastende Lebensereignisse oder die Unterstützung durch das soziale Umfeld bleiben dagegen weitgehend außen vor.

Vernachlässigung mit gesellschaftlichen Folgen

„Die Vorstellung, dass Erfolg allein durch individuelle Leistung entsteht, greift zu kurz“, erklärt Studienleiter Prof. Dr. Samuel Greiff von der TUM. „Sie ignoriert, wie stark auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen den Bildungsweg eines Kindes beeinflussen.“ Besonders problematisch sei dies, wenn gleichzeitig die Förderung sozialer Kompetenzen vernachlässigt werde – also jener Fähigkeiten, die für demokratisches Zusammenleben, Teamfähigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt essenziell seien.

Der Befund wiegt schwer: Gerade in Zeiten zunehmender Polarisierung und wachsender Unsicherheit in vielen Gesellschaften ist die frühe Förderung von Toleranz, Respekt und sozialem Verständnis ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung demokratischer Kulturen. Der aktuelle Fokus vieler Programme auf individuelle Leistung könne dagegen unbeabsichtigt zu Konkurrenzdenken und einem verengten Bildungsverständnis führen – schon im Kita-Alter.

Bildungspolitik unter Wettbewerbsdruck

Laut dem Forschungsteam besteht zudem die Gefahr, dass der Trend zur Leistungsorientierung bereits in der frühen Bildung institutionellen Wettbewerb befeuert: Kindergärten und Kitas könnten sich gezwungen sehen, ihre Arbeit vorrangig auf messbare kognitive Leistungen auszurichten, während andere Bildungsziele ins Hintertreffen geraten.

„Wenn Programme soziale Kompetenzen ausblenden und strukturelle Benachteiligungen ignorieren, senden sie eine unausgewogene Botschaft – an Kinder, Fachkräfte und ganze Bildungssysteme“, so Greiff.

Die Studie ist unter dem Titel „The meritocracy trap: Early childhood education policies promote individual achievement far more than social cohesion“ im Fachjournal PLOS ONE erschienen.

Originalpublikation:

Bobrowicz K, Gracia P, Teuber Z, Greiff S (2025):
The meritocracy trap: Early childhood education policies promote individual achievement far more than social cohesion.
PLOS One 20(7): e0326021
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0326021

Kontakt für Rückfragen:

Prof. Dr. Samuel Greiff
Technische Universität München
Lehrstuhl für Educational Monitoring and Effectiveness
Tel.: +49 89 289 24214
E-Mail: samuel.greiff@tum.de




Bildung beginnt im Kleinkindalter – und Chancengerechtigkeit auch

Ergebnisse des NEPS-Transferberichts zeigen: Ungleiche Startbedingungen entstehen früher als oft angenommen – und sind beeinflussbar

Die Grundlagen für Bildungserfolg werden bereits in den ersten Lebensjahren gelegt – und damit auch die Weichen für (Un-)Gleichheit. Eine neue Auswertung von Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) belegt, wie stark der soziale und ökonomische Hintergrund von Familien die Entwicklung von Kindern im Kleinkindalter beeinflusst. Der aktuelle Transferbericht zeigt, dass insbesondere die frühe sprachliche und sozial-emotionale Entwicklung in einem engen Zusammenhang mit den Bedingungen der familiären Lernumwelt steht.

Sprachliche Kompetenzen: Unterschiede ab dem zweiten Lebensjahr

Bereits mit zwei Jahren zeigen sich deutliche Unterschiede im aktiven Wortschatz von Kindern. Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Haushalten verfügten durchschnittlich über 97 Wörter aus einer festgelegten Liste von 260. Kinder aus bildungs- und ressourcenstärkeren Familien kamen laut elterlicher Einschätzung auf rund 158 Wörter. Diese Differenz verweist auf frühe Entwicklungsvorteile, die sich im weiteren Bildungsverlauf tendenziell verfestigen.

Qualität der Eltern-Kind-Interaktion als zentraler Einflussfaktor

Neben sozioökonomischen Faktoren wirkt sich auch die Qualität der Eltern-Kind-Interaktion deutlich auf die kindliche Entwicklung aus. Als besonders förderlich erweisen sich feinfühliges, responsives und sprachlich anregendes Verhalten – etwa durch das gemeinsame Betrachten von Bilderbüchern oder durch dialogisches Sprechen im Alltag. Diese Form der Interaktion fördert nicht nur den Wortschatz, sondern auch die sozial-emotionale Kompetenz und die Fähigkeit zur Emotionsregulation.


Blickkontakt und Bindung formen das Gehirn

Dr. Walter Hultzsch erklärt, wie Nähe, Blickkontakt und feine Signale die Entwicklung von Aufmerksamkeit, Selbstregulation und Persönlichkeit fördern. Sein Buch verbindet neurowissenschaftliches Wissen mit alltagstauglicher Orientierung für Eltern, Großeltern, Paten und pädagogische Fachkräfte, die Babys in den ersten Lebensjahren achtsam begleiten wollen.

– Erfahrener Kinderarzt mit langjähriger Erfahrung
– Verbindet Neurobiologie, Bindungsforschung und frühe Kommunikation
– Zeigt, wie feinfühlige Eltern-Kind-Interaktion Entwicklung stärkt

Walter Hultzsch: Hey Mama, schau mir in die Augen – und sprich mit mir, Softcover, 120 Seiten, Oberstebrink 2025, ISBN 978-3-96304-072-6, 20 €


Belastungsfaktoren und kindliches Temperament: Wenn Förderung an Grenzen stößt

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist der Zusammenhang zwischen kumulierten familiären Belastungen und einer verminderten Interaktionsqualität. In Familien mit mindestens drei Belastungsfaktoren – etwa niedrigem Bildungsniveau, geringem Einkommen oder psychischen Belastungen – zeigte sich, dass ein herausforderndes kindliches Temperament (insbesondere negative Affektivität) die elterliche Feinfühligkeit deutlich einschränken kann. In Haushalten ohne diese Mehrfachbelastung war ein solcher Zusammenhang nicht nachweisbar. Die Daten basieren auf Videobeobachtungen von 2.190 Eltern-Kind-Dyaden und ergänzenden Interviews im Rahmen der NEPS-Startkohorte 1.

Früh ansetzen: Unterstützung für Familien in Risikosituationen

Die Ergebnisse legen nahe, dass Unterstützungsmaßnahmen möglichst frühzeitig ansetzen sollten – idealerweise bereits im ersten Lebensjahr. Projekte wie die Bremer Initiative zur Stärkung frühkindlicher Entwicklung (BRISE), die an die NEPS-Studien anschließen, untersuchen gezielt die Wirksamkeit solcher Interventionen bei Familien mit erhöhtem Unterstützungsbedarf. Die Autorinnen des Berichts, Prof. Dr. Sabine Weinert (Otto-Friedrich-Universität Bamberg) und Dr. Manja Attig (LIfBi), betonen, dass elterliches Verhalten formbar ist – insbesondere dann, wenn Angebote niedrigschwellig, alltagsnah und präventiv angelegt sind.

Pädagogische Perspektiven

Die Erkenntnisse des Transferberichts verdeutlichen, wie eng Bildungschancen und frühe familiäre Lebenslagen miteinander verflochten sind – und dass frühe, gezielte Unterstützung wirkt. Für pädagogische Fachkräfte eröffnen sich daraus wichtige Ansatzpunkte: Der frühpädagogische Bereich ist nicht nur ein Ort kindlicher Bildung, sondern auch ein zentraler Begegnungsraum für Familien. Die Qualität der Zusammenarbeit mit Eltern, die Beobachtung kindlicher Bedürfnisse sowie der sensible Blick auf Belastungskonstellationen sind entscheidende Faktoren, um Entwicklungsprozesse gezielt zu unterstützen. Wenn es gelingt, Bildungsbenachteiligungen nicht erst zu dokumentieren, sondern ihnen im frühesten Kindesalter präventiv entgegenzuwirken, kann ein wichtiger Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit geleistet werden – und das bereits lange vor dem Schuleintritt.