Die neue Kindheit und ihre emotionale Situation

trauriges kind

Oder, warum Herzensbildung heute wichtiger ist denn je

Wenn achtjährige Kinder aufeinander einschlagen und hemmungslos auf dem Boden liegende Erstklässler treten, wenn Zehnjährige sich als Bildschirmhelden omnipotent fühlen aber letztendlich einsam sind, wenn Jugendliche ihre Mitschüler erpressen und ihre Lehrer körperlich bedrohen, dann ist die Frage „Was ist los mit der neuen Generation?“ längst überfällig.

Natürlich waren früher Rangeleien unter Kindern auch an der Tagesordnung. Heute jedoch rollt eine Aggressionswelle von bislang einmaligem Ausmaß auf Elternhaus, Kindergarten und Schule zu. Der Direktor des Instituts für kriminologische Sozialforschung an der Uni Hamburg, Prof. Dr. Scheerer, erläutert, dass 34 % der Gewalttaten in Deutschland von Kindern und Jugendlichen begangen werden – also jede dritte Tat – obwohl sie nur 23 % der Bevölkerung ausmachen! Dabei gehen 90 % der Gewaltkriminalität auf das Konto junger Männer; hier gibt es die meisten Täter und Opfer. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die brutalen Helden aus den Medien die jungentypischen Größenphantasien prägen. Der amerikanische Psychologe Daniel Goleman warnt:

„Das Risiko von Gefühlsausbrüchen nimmt zu, weil wir unsere emotionale Intelligenz nicht schulen, während die Angst im Alltag wächst. Wir rechnen an jeder Straßenecke mit Gefahren. Mehr und mehr Leute, vor allem Jugendliche tragen Waffen. Die drücken einfach ab, wenn der Verstand von der Angst überrumpelt wird. Tatsächlich gibt es heute Kinder, die ein neutrales Gesicht nicht von einem feindlichen unterscheiden können. Sie schlagen ein anderes Kind, weil sie dessen Gesichtsausdruck falsch interpretieren.“

Nicht jedes Kind reagiert auf die fortschreitende Vereinsamung, emotionale Kälte und soziale Heimatlosigkeit mit Gewalt. Manche verhalten sich unsicher, wählen den Rückzug nach innen und stehen traurig abseits des Geschehens. Diese Außenseiter sind nur leiser als die Hau-drauf-Kandidaten, aber sie sollten uns nicht weniger Sorgen machen, denn unter ihnen leiden viele an Depressionen, Schlafstörungen und Nervosität.

Mein Freund, der Bildschirm

Viele Kinder wissen heute mehr über ihren Lieblingsdarsteller in einer soap-Sendung als über ihren Klassenkamaraden. Der Hamburger Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Peter Struck warnt: „Kinder sind früher mit Menschen aufgewachsen, heute leben sie überwiegend mit Sachen und Bildschirmen, so dass ihre Bilanz nicht stimmt. Viele von ihnen sind in die innere Emigration gegangen, privatisieren stundenlang hinter einer verschlossenen Tür allein mit dem Bildschirm.“ Dort schauen sie wöchentlich bis zu 40 Stunden lang Fernsehen; dabei sehen sie 800 Gewalttaten und 150 Morde! Laut einer UNESCO-Studie hat ein zwölfjähri- ges Kind im Laufe seines Lebens 14.000 Morde im Fernsehen erlebt! Und wenn, wie dieses Jahr geschehen, ein 15-jähriger ostdeutscher Jugendlicher seinen Selbstmord über einen chatroom im Internet verkündet, so ist dies nicht nur ein persönlicher Hilferuf, sondern der einer ganzen Generation, die weniger virtuelle Kommunikation als vielmehr menschliche Begegnung braucht.

Ein Vakuum, das die Industrie gewinnbringend zu nutzen weiß: Vorbei sind die Zeiten der unpersönlichen Handys. Für mehr persönliche Ansprache sorgen Buddys d. h. digitale Wesen, die allerlei sinnvolle Dinge erledigen wie z. B. Zugverbindungen heraussuchen. Die guten Geister verfügen über eine sogenannte emotionale Intelligenz: Sie können lachen, traurig und auch muffelig sein, je nachdem, wie sie behandelt werden. Sie reagieren auf ihre Umgebung mit vielen unterschiedlichen Wesenszuständen – von ausgelassener Freude bis hin zum Wutanfall. Sie lernen ständig hinzu und entwickeln allmählich ihre eigene Persönlichkeit. „Die Wahrscheinlichkeit, dass einer dem anderen gleicht, ist eine Million Mal geringer als die Chance auf eineiige Drillinge“, sagt Andreas Höss, der Vater dieser guten Geister, die er in seiner Firma in Potsdam/ Babelsberg kreierte. Dabei erfüllte er sich den alten Kindheitstraum mit dem Teddy oder der Puppe kommunizieren zu können.
Diesen Traum nach ständigem Gefragt- und Wichtigsein scheinen viele Kinder auch in ihrer SMS-Sucht auszuleben. Für das Jahr 2002 meldete das Wirtschaftsinstitut IW allein in Deutschland 14 Milliarden SMS-Botschaften, wobei die Altersgruppe der 12- bis 25-jährigen überwiegt! In Skandinavien, wo das Handy zur Grundausstattung gehört, ist der SMS-Entzug längst zum Tagesgeschäft vieler Kliniken geworden.

Wie gut sich die Sehnsucht nach Emotionen vermarkten lässt, zeigt die zweite Generation der Tamagotchis aus Tokyo. Jetzt brauchen diese Plastikwesen nicht nur die Aufmerksamkeit ihrer Besitzer, sondern auch die Liebe von Artgenossen, also eines zweiten Tamagotchis. Diese beiden können dann heiraten und virtuellen Nachwuchs in die Welt setzen.

Es gibt Kinder, die in ihrer Kindheit so wenig Zärtlichkeit und Liebe erhalten, dass sie sich von Menschen verraten fühlen. Sie errichten innere Schutzmauern, um nicht mehr enttäuscht, gekränkt und verletzt zu werden. Mit diesem Gefühlspanzer suchen sie die verlockende und scheinbar unkomplizierte Bindung zu ihren Bildschirm-Freunden (Fernseher, Gameboy, Playstation, Computer usw.). Sie verdrängen Isolation und Langeweile, kompensieren Stress und Einsamkeit, verschaffen Erfolg und Kick. Die Psychologin Jirina Prekop8 erläutert, wie schnell Kinder dabei in einen Teufelskreis geraten: „Je mehr sich der Mensch der Realität der Mitmenschlichkeit entzieht, umso mehr sucht er das Scheinbare. Und je mehr er im Scheinbaren seine Scheinidentität sucht, desto mehr entfernt er sich von der Realität der Mitmenschlichkeit.“ Dazu bemerkte Woody Allen treffend: „Das Schlimmste am Fernsehen ist, dass es von der Einsamkeit ablenkt.“

Ob die virtuelle Welt die kindliche Entwicklung gefährdet, ist wie so oft in der Erziehung eine Frage des richtigen Maßes und der Gegengewichte. Der Göttinger Pädagoge Karl Gebauer meint: „Ich denke, dass Jugendliche mit einem guten Selbstbewusstsein keine Gefahr laufen, die Realtität mit der virtuellen Welt zu verwechseln. Nicht das Spiel an sich stellt die Gefahr dar. Sondern erst die doppelte Dosis: Wenn Jugendliche ohne Selbstbe- wusstsein, ohne emotionale Kompetenz und sichere Bindungen Gewaltspiele spielen, dann wird’s gefährlich.“

So – glauben zumindest die Experten – könnte der explosive Cocktail aus virtuellem Gewaltvorbild und realem Minderwertigkeitsgefühl beschaffen sein. Es erstaunt allerdings, dass nach dem Amoklauf an einem Erfurter Gynasium ganz Deutschland ratlos vor dem angeblich Unverständlichen stand, aber bis heute keine Studie in Auftrag gegeben wurde, die danach fragt „Was passiert mit Jugendlichen, die sich vorwiegend in virtuellen Welten aufhalten?“.

Vom Schwinden der Vorbilder

Aber was nutzt das Wehklagen über die Erfurter Tat, reden wir über die Gesellschaft, die wir Erwachsene gestalten und in der unsere Kinder aufwachsen. Denn schließlich geht jedem Amoklauf die emotionale Kälte und der soziale Tod voraus. Schon lange warnen Experten vor dem Laisser- faire-Stil und der „anything goes“-Haltung, die Kindern zu wenig Orientierung und verlässliche Werte bieten. Ein gesellschafticher Konsens herrscht allerdings in den Forderungen an die neue Generation: Leistung, Karriere und Geld! Nicht erst nach der PISA-Studie droht ein neuer Leistungswahn, eine fieberhafte Jagd nach Privilegien, ein selbstverständlicher Narzissmus und eine hysterische Abstiegsangst, die alle Erfolgsprediger um den Schlaf bringt.

Auch wenn’s unangenehm ist, so müssen wir uns bei der Charakterisierung der neuen Kindheit einige Fragen gefallen lassen:
Was leben wir unseren Kindern in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft vor? Sind sie nicht auch Opfer unserer Ellbogengesellschaft, die Skrupellosigkeit, Egoismus und Gefühlskälte nach dem Motto „Das ist dein Problem“ erst salonfähig gemacht hat? Der Maßstab der globalisierten Wirtschaft ist Profit; all ihr Trachten zielt auf Erfolg und Macht. Aber wenn in der freien Wirtschaft der Ellbogen siegt und privat die ausgestreckte Hand erwünscht ist, dann stecken wir im Zwiespalt: Morgens verlassen wir die Wohnung in Raubritterkleidung und abends streifen wir den Bademantel der sanften Eltern über. Mal ehrlich, wie authentisch sind wir da noch in unserer Erzieherrolle? Solange die Wirtschaftskriminalität in Deutschland eine Zuwachsrate von 80 % hat, solange Unternehmen vor lauter Hörigkeit zum globalen Markt ihre kommunale Verantwortung vergessen, solange Politiker Korruptionsgelder als peanuts bezeichnen und dennoch von uns wiedergewählt werden, solange ist es nicht weit her mit unserem moralischen Vorbild.

Kein Wunder, dass unser Kraftfutter gegen soziale Verantwortungslosigkeit und emotionale Kälte eher mager ausfällt. Die meisten verhaltensauffälligen Kinder, alkohol- und drogensüchtigen Jugendlichen haben eines gemeinsam: Ihnen fehlt etwas, was jeder Mensch braucht, um sein Leben ausgeglichen zu meistern: Strategien der Problemlösung. Statt- dessen ersticken die Kids ihre Probleme in Bonbons, Spielsachen und Geldscheinen. Dass sie dabei immer einsamer werden und nach menschlicher Wärme lechzen, dies weiß die Industrie mit ihrem ausgetüftelten Konsumangebot geschickt zu nutzen.

Das Gefühlsangebot der vielen Ein-Eltern-Familien, der doppelbelasteten Alleinerziehenden wirkt dagegen kümmerlich und karg. Aber auch in Zwei-Eltern-Familien regiert oft das Motto „Jeder tut das, worauf er gerade Lust hat“. So sitzen zum Beispiel nach einer Studie der GfK-Fernsehforschung mehr als die Hälfte aller Verheirateten getrennt vor der Röhre. Wenn sich ein Paar schon nicht auf ein Fernsehprogramm einigen kann, wie will es dann seinen Kindern Vorbild für friedliche Konsensfindung sein?
Doch es kommt noch ärger: Die Studie Kinderwelten 2002 offenbarte „Kinder haben keine Eltern mehr!“ Im Auftrag des Kindersenders Super RTL wurden ca. 1.000 Kinder zwischen sechs bis 13 Jahren und jeweils ein Elternteil zu ihrem Verhältnis befragt. Erschreckendes kam zutage: Fast einem Fünftel der Eltern sind ihre Kinder völlig egal! 12 % erwiesen sich als wenig familiär und 34 % stuften ihre Rolle immerhin als Aufpasser oder Behüter ein.

Aber auch die Schule lässt zu wünschen übrig. So stellte das LBS-Kinderbarometer, das alle fünf Jahre die Wünsche und Ängste von Kindern in NRW untersucht, fest, dass 42,5 % der befragten Kinder auf den Schulstress mit Kopf- und Bauchschmerzen reagieren. Eine Studie in über 43 Schulen in Schleswig-Holstein ermittelte, dass jeder zehnte Schüler unter Mobbing leidet. Aber nur jeder dritte Lehrer sei bereit, – obwohl er weiß, dass seine Schüler leiden – mit ihnen darüber zu sprechen! Der Hamburger Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Peter Struck mahnt: „Das ist ein Spiegelbild der aktuellen Schulmisere: Zeit ist nur für Unterricht vorgese- hen, aber nicht für die individuelle Not einzelner Schüler und ihrer Familien.“
Wir Erwachsene sollten nicht vergessen, dass wir alle Veranstalter und Regisseure der Neuen Kindheit sind: Wer produziert Gewaltvideos, wer erfindet sprechende Kuscheltiere, wer lässt Kinder stundenlang allein fernsehen, wer lässt Mobbing in Schulklassen zu …?

Auf der Suche nach Identität

Immer mehr Kinder beziehen ihre Identität aus der Interaktion mit den Medien. Fernab vom realen Leben stattet sie die virtuelle Welt mit der ersehnten Omnipotenz aus und schenkt ihnen Beachtung. Per Knopfdruck erwerben sie rasch und mühelos ihre ideale Identität, die ihnen das reale Leben verwehrt. Soziologen sprechen inzwischen von Patchwork-Identitäten, in denen nebeneinander stehende Selbstkonzepte die Lebensentwürfe prägen. Kinder und Jugendliche zappen sich je nach Bedarf und Lebenssituation in verschiedene Rollen und verkleiden ihr Ich. In dieser künstlichen Identität verbringen sie oftmals mehr Zeit als in ihrer realen. Viele Psychologen und Soziologen warnen angesichts der Zunahme an hyperaktiven Kindern, Autisten, verwöhnten und lebensuntüchtigen Egoisten und narzisstischen Singles vor einer globalen Identitätskrise. Der Münchner Sozialpsychologe Heiner Keupp beschreibt sie als ein Gefühl des Entbettet-Seins der Personen, als Vielfalt der Lebensformen und individualisierte Sinnsuche, die Heranwachsende vor neue Herausforderungen stellt. Waren sie gestern noch dazu verdammt in einer engen Lebenswelt mit festen Werten und Normen zu leben, so werden sie heute von individuellen Wertesystemen geradezu überrollt. Die Verbindlichkeit ist gewichen und nicht selten tritt an ihre Stelle die Beliebigkeit, die Ambivalenz der postmodernen Identität.


Diesen Text haben wir aus folgendem Buch:


Der Konsens über gesellschaftliche Werte wird immer geringer; allgemein gültige Erziehungsziele sind verpönt und während wir Erwachsene so dahin lavieren, befindet sich die Neue Kindheit längst auf der Suche nach neuen Maßstäben, Aufmerksamkeit und emotionaler Zuwendung. Ein gefundenes Fressen für Rattenfänger, denn: „Jede Sucht beginnt als Sehnsucht in der Kindheit.“

Immer mehr Jugendliche sind süchtig nach dem thrill, dem emotionalen highlight, nach Castings, Shows und Starrummel, in denen sie endlich wahrgenommen werden, so glauben sie zumindest. Die individuelle Sinnsuche erfordert von den Kindern und Jugendlichen ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit, dem sie meist nicht gewachsen sind. In einer Gesellschaft, in der der Wert des Menschen schon im Elternhaus nach der vermeintlichen Leistungsfähigkeit taxiert wird, droht die Seele zu verdursten.

Eines ist gewiss: Die Atmosphäre in Kindergärten ist angespannter denn je. Schnell können Gefühle hochkochen und sich in körperlicher Gewalt entladen. Das individuelle Lustprinzip nimmt Überhand, Anweisungen der Erzieher, die früher schweigend befolgt wurden, müssen heute mit jedem Einzelnen diskutiert werden. Der Satz Ich habe aber keine Lust fordert immer wieder von neuem die Überzeugungskraft der Erzieher heraus.

Unbestreitbar ist aber auch: Noch nie waren Kinder so selbstbewusst, sagten sie so offen ihre Meinung und engagierten sich so vehement für Gerechtigkeit wie heute.

Auch wenn es genügend Anlass gibt, sich um das emotionale Befinden der Neuen Kindheit zu sorgen, so gibt es immerhin Licht am Ende des Tunnels: Die Schüler in NRW sind führend, wenn es um die Mitmenschlichkeit geht. Der Länderbericht der Pisa-Studie15 gibt ihnen die Bestnote für soziales Verhalten. In keinem anderen Bundesland sind die Kinder so sehr bereit, für sich und für ihre Mitmenschen Verantwortung zu übernehmen.

Was Pädagogen beherzigen sollten

  • Immer wenn die Werbung Ihnen vorgaukelt „Wenn du dein Kind liebst, dann kauf ihm …!“ dann denken Sie daran, dass Berge von Besitztümern (Spielzeug, Handy, Computer usw.) kein Kind auf Dauer im tiefsten Innern seiner Seele glücklich machen. Wenn Sie mal das schlechte Gewissen plagt, dass Sie zu wenig für das Kind da sind, dann hilft kein großer Kaufrausch sondern nur ihre Präsenz als liebevolles und verständnisvolles Wesen.
  • Denken Sie daran, im Unterricht spielt der Stoff zwar eine wichtige Rolle aber nicht immer die wichtigste! Schließlich stehen der objektiven Wissensvermittlung die berechtigten subjektiven Bedürfnisse der Schüler gegenüber.
  • Im Wettkampf mit den virtuellen Erziehungsagenten wie Fernsehen, Computer, Tablet oder Smartphone müssen wir Pädagogen mehr denn je den Respekt vor der Würde des Menschen, die Fähigkeit zur Empathie und die persönliche Begegnung fördern. Wir können uns nicht länger hinter den Strategien der Wissensvermittlung verschanzen und in Sachen Herzensbildung ein ungenügend abliefern, während die Kinder orientierungslos nach starken Vorbildern suchen.



Lernen verantwortungsvoll zu handeln ist nachhaltig

Auch, wenn Kinder noch nicht weit in die Zukunft planen können, bringen sie für nachhaltiges Handeln viele Fähigkeiten mit

Die Idee der „Nachhaltigkeit“ ist schon über 300 Jahre alt. Damals wurde das forstwirtschaftliche Prinzip begründet, nachdem nicht mehr Holz gefällt werden darf, als jeweils nachwachsen kann. Dem lagen die vielfältigen Erfahrungen aus dem Mittelalter zugrunde. Die Menschen hatten damals einen intensiven Raubbau in den Wäldern geübt. Aus den einstmals so stark bewaldeten Gebieten nördlich der Alpen waren vor allem Weiden für das Vieh, Äcker und Ansiedlungen geworden mit einigen kleineren Wäldern dazwischen.

Trotz allem, wenig dazu gelernt

Nicht nur der aktuelle Blick auf die Situation der Regenwälder in Südamerika zeigt, dass die Menschheit daraus nicht allzu viel gelernt hat. Der „Earth Overshoot Day“, also der Tag, an dem die Menschen alle natürlichen Ressourcen aufgebraucht haben, die die Erde innerhalb eines Jahres zur Verfügung stellen kann, findet in jedem Jahr früher statt. 2022 war es der 28. Juli.

Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, weiß, dass wir nun schon seit vielen Jahrzehnten Raubbau an unserer Erde betreiben. Die rasant wachsende Weltbevölkerung dramatisiert die Situation zudem. Sicher ist, dass sich unsere Umwelt deshalb zunehmend stark verändert. Fast täglich können wir dazu etwas in den Zeitungen lesen oder in den Nachrichten hören. Auch deshalb nimmt das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines nachhaltigen Lebensstils stetig zu.

Keine Ängste schüren

Als pädagogische Fachkräfte und Eltern können wir diese Notwendigkeit, deren Ursache in der drohenden Umweltzerstörung liegt, in dieser Dimension nicht vermitteln. Da hieße nur Ängste heraufbeschwören, die unsere Kinder überfordern würden. Schließlich können sie noch gar nicht so weit vorausblicken und die Entwicklung für sich bewerten.

Das ist aber bei Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) auch gar nicht notwendig. Hier sollen die Kinder spielerisch lernen, die Auswirkungen ihres eigenen Handelns auf andere und die Natur einzuschätzen und sich so zu verhalten, dass möglichst niemand benachteiligt wird.

Mit Sinn für Gerechtigkeit

Dafür bringen Kinder mit ihrem noch unversperrten Sinn für Gerechtigkeit eine ganze Menge mit. Und ganz anders als wir Erwachsene richten sie fast ihre gesamte Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt. Wenn wir ihnen also die Gelegenheit geben, werden sie ihre Umwelt achtsam betrachten, wertschätzen und ebenso mit ihr umgehen. Dafür benötigen sie nicht mal so viel Unterstützung von uns, aber unsere Wertschätzung… und vor allem weniger schlechte Vorbilder. Damit wäre schon viel getan.

Reiche Beute im Internet

Als Fachkräfte und Eltern finden wir dazu auch im Internet eine Vielzahl von Ideen, praktischen Anleitungen und Best-Practice-Beispielen. Ein äußerst vielfältiges Angebot findet sich etwa beim Haus der kleinen Forscher unter https://www.haus-der-kleinen-forscher.de/de/fortbildungen/themen-und-vorteile/nachhaltigkeit. Hier ist unter anderem ein Erklärfilm „Was ist BNE und was wird dadurch in der Kita besser? zu sehen. Zudem bietet das Haus der kleinen Forscher verschiedene Fortbildungen an. Mit dabei sind auch kostenlose Online-Kurse. Eine Fülle von Informationen, ein pädagogischer Ansatz sowie zahlreiche Praxisbeispielen mit Broschüren und Filmbeispielen runden das Angebot ab.

Eine spannende und kostenfreie Broschüre mit dem Titel „Beispiele aus der Praxis“ gibt es auf der Website des Wissenschaftsladens Bonn (WILA-Bonn). Die 168-seitige Broschüre ist unter https://www.wilabonn.de/images/PDFs/NachhaltigeKiTa/Praxisleitfaden_Beispiele_aus_den_KiTas.pdf zu finden.

Die Naturschutzjugend (NAJU) im Naturschutzbund (NABU) bietet unter https://www.naju.de/fortbildungen-1/kita-fortbildungen/ Fortbildungen für Kita-Mitarbeiter:innen an. Ziel der Fortbildungen ist es, die Kinder darin zu unterstützen, spielerisch hinter die Dinge zu schauen. Sie sollen Gelegenheiten erhalten, Zusammenhänge zu entdecken und zu verstehen – und ihre eigenen Lösungen auf Fragen zu finden. So werden sie, ganz im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), dazu befähigt, verantwortungsbewusst zu handeln und die eigenen Gestaltungsspielräume zu nutzen. Und in Kitas gibt es viele Spielräume, wenn es um einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen geht!

Das sind drei Beispiele, die exemplarisch für eine Vielfalt stehen, die kaum Wünsche offenlässt. Vielleicht möchten Sie aber auch mal mit den Kindern eine praktische Diskussion führen oder philosophieren, wenn mal wieder ein Auto mit laufendem Motor vor der Kita parkt.




Spielen auf der Straße schafft Freiräume für Kinder

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Temporäre Spielstraßen in Berlin

„Auf der Straße spielen“ – was jahrhundertelang selbstverständlich war, ruft heutzutage höchstens bei älteren Menschen noch Kindheitserinnerungen hervor. Die Straße als Aufenthalts- und Begegnungsort ist uns in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen. Straßen sind stattdessen zu lebensgefährlichen Schluchten verkommen, die wir nur an den vorgesehenen Stellen auf direktem Weg überquert dürfen, und das auch noch so schnell wie möglich. Ein Kind, das unbedacht seinen Fuß auf die Straße setzt, wird von den zu Tode erschrockenen Eltern angeschrien. Gab es in Deutschland 1970 pro Kind „nur“ einen PKW, sind es heutzutage etwa vier.

Auch das echte Spielstraßenschild ist heute kaum noch bekannt, wurde es doch seit Anfang der 1980er Jahre vom Verkehrsberuhigten Bereich verdrängt, der das friedliche Miteinander von spielenden Kindern und fahrenden Autos möglich machen sollte.

Durch den allgegenwärtigen hohen Verkehrsdruck funktioniert dies jedoch allenfalls in Wohngebieten am Ortsrand, wo man sich untereinander kennt. In den meisten Verkehrsberuhigten Bereichen herrscht das Recht des Stärkeren – dort zu spielen wäre lebensgefährlich. Es ist der blanke Hohn, Verkehrsberuhigte Bereich umgangssprachlich als „Spielstraße“ zu bezeichnen.

Temporäre Spielstraßen – warum, wo und wie

Da es für das Spielen auf der Straße viele gute Gründe gibt, ist es wichtig die Straße zurück zu erobern:

  • Kinder haben ein Recht auf Spiel, immer und überall.
  • Kinder müssen jenseits institutioneller Betreuung und zugeteilter Orte (Spielplätze) im öffentlichen Raum wieder sichtbar und akzeptiert werden.
  • Die Straße ist ein offener Möglichkeitsraum. Ohne vorgegebene Spielgeräte werden Kreativität und Eigeninitiative gefördert.
  • Straßen bieten viel Platz für Bewegung und glatten Asphalt für Fahrgeräte aller Art.
  • Spielen vor der eigenen Haustür fördert die Selbständigkeit, Kinder müssen nicht von Erwachsenen irgendwohin begleitet werden.
  • Die Straße ist ein neutraler Begegnungsort ohne Konsumzwang. Diesen quer durch alle Alters- und Bevölkerungsschichten gemeinsam zu nutzen fördert die gute Nachbarschaft.
  • Die Möglichkeit, unabhängig vor der eigenen Haustür zu spielen, ist der erste Schritt hin zu selbständiger Mobilität: Freunde besuchen, in den Park gehen, zu Fuß zur Schule gehen.
  • Straßen nehmen in der Stadt die größte Fläche des öffentlichen Raums ein, und diesen gilt es gerecht zu verteilen.
  • Spielstraßen sind ein fröhlicher Beitrag zur Mobilitätswende – sie machen den Ort vor der eigenen Haustür zum Verweilen schön.

Bei einer temporären Spielstraße wird die Straße regelmäßig, aber nur für ein paar Stunden pro Woche für den Autoverkehr gesperrt und zum Spielen freigegeben.

Das mag auf den ersten Blick wenig erscheinen, hat aber viele Vorteile:

  • Da kein Umbau nötig ist und wenige Schilder genügen, entstehen kaum Kosten.
  • Die Spielstraße ist flexibel, kann jahreszeitlich differenziert werden. Bei Bedarf kann sie auch wieder rückgängig gemacht werden, somit spricht nichts dagegen, die Spielstraße einfach mal auszuprobieren.
  • Parkplätze fallen nur für wenige Stunden weg, das Aufregungspotential hält sich in Grenzen.
  • Es entsteht kein nächtlicher Vergnügungslärm, was sonst bei Maßnahmen, die attraktive Stadträume schaffen, oft die Gefahr ist.
  • Und das Wichtigste: Durch die zeitliche Fokussierung auf festgelegte Stunden entsteht ein echter Treffpunkt!

Temporäre Spielstraßen gibt es – vor allem in angelsächsischen Ländern – schon lange, in New York seit über 100 Jahren. In Bremen entstand 2011 die geniale Idee, das echte Spielstraßenschild mit einer zeitlichen Beschränkung zu kombinieren. Denn nur mit dem echten Spielstraßenschild ist es möglich, die Straße auch physisch abzusperren, und nur mit einer physischen Absperrung ist das sichere Spielen auf der Straße gewährleistet.

Seit August 2019 gibt es diese Schilderkombination auch in Berlin, zum ersten Mal wurde sie in der Kreuzberger Böckhstraße aufgestellt. Dort findet seitdem von April bis September jeden Mittwoch von 14 bis 18 Uhr eine überaus lebhafte und fröhliche Straßenbespielung statt.

Organisation

Die Initiative für eine temporäre Spielstraße kommt in Berlin bisher „von unten“, aus der Zivilgesellschaft, oft von ehrenamtlich engagierten Anwohnenden. Doch auch die institutionalisierte Organisation „von oben“ ist möglich und wird beispielsweise in Stuttgart und Trier praktiziert. Besonders sinnvoll ist das in sozial benachteiligten Stadtteilen. Im Idealfall ist eine temporäre Spielstraße ein Gemeinschaftsprojekt von Institutionen und Anwohnenden.

In Berlin schließt die Verwaltung mit der Spielstraßen-Initiative eine Kooperationsvereinbarung, die die Initiative dazu verpflichtet, zu gegebenen Zeiten die Absperrungen auf- und abzubauen und während des Spielstraßenbetriebs mit zwei Personen („Lots:innen“) pro Absperrung vor Ort zu sein: als Ansprechpersonen und um eventuell notwendige Durchfahrten von Einsatzfahrzeugen und Menschen mit eingeschränkter Mobilität im Schritttempo zu begleiten.

Wichtig zu wissen: Eine temporären Spielstraße ist keine Veranstaltung im Sinne eines Straßenfestes, die Straße ist weiterhin öffentlicher Raum, jede:r haftet für sich selbst und Eltern für ihre Kinder, wie zum Beispiel auch im Park oder auf dem Spielplatz.

Straßeneigenschaften

Bei der Wahl der Straße ist einiges zu beachten. Geeignet sind nur Nebenstraßen ohne öffentlichen Nahverkehr (Bus und Tram), und der Abschnitt muss so gewählt sein, dass während der Sperrung die anliegenden Straßen weiter funktionieren.

spielstrasse

Die Straße sollte keine Parkplatzanlagen, Gewerbehöfe, Tiefgaragen und ähnliches als Anlieger haben und darf nicht Teil einer wichtigen Fahrradroute sein. Zu einem großen Teil sollte die Straßendecke nicht aus Kopfsteinpflaster bestehen, da dieses für alle rollenden Fahrspiele ungeeignet ist. Außerdem muss die Straße so orientiert oder mit Bäumen ausgestattet sein, dass in den heißen Sommermonaten genügend Schatten vorhanden ist.

Parkende Pkw

Das Spielstraßenschild (Z250 „Verbot für Fahrzeuge aller Art“) beinhaltet ein absolutes Park- und Halteverbot, dennoch ist es zur besseren Verständlichkeit sinnvoll, zusätzlich Halteverbotsschilder aufzustellen. Dringend zu empfehlen ist es, rechtzeitig vor dem Termin die Halter:innen parkender Pkw durch Flyer zu informieren. Am Tag der Spielstraße unberechtigt parkende Pkw abschleppen zu lassen ist aufwändig, stört den Spielstraßenbetrieb und provoziert, daher ist davon abzuraten. Grundsätzlich hilft eine gute Kommunikation im Vorfeld eine breite Akzeptanz und freiwilliges Umparken zu erreichen.

Spielmobile und temporäre Spielstraßen

Bei einer temporären Spielstraße steht die Straße der Nachbarschaft als offener Möglichkeitsraum zur Verfügung, den es eigenständig zu erobern gilt: Tische & Stühle rausstellen und Fahrzeuge & Spielgeräte selber mitbringen, so die Idee. Das funktioniert nicht unbedingt automatisch, denn die Straße bespielen will erst wieder gelernt sein. Die Initiative sollte daher eine Grundausstattung an Material zur Verfügung stellen. Bereits wenige Utensilien reichen, um eine einladende Atmosphäre zu schaffen: Verkehrshütchen, Straßenmalkreide, Wimpelkette und Sitzgelegenheiten.

Ein besonderer Höhepunkt ist es, wenn ein Spielmobil auf die Spielstraße kommt und den gesamten Schatz an Fahr-Kuller-Roller-Hüpf-Balancier-Spaßspielzeugen ausbreitet! Spielstraßen und Spielmobile passen perfekt zusammen. Nicht nur wegen des glatten Asphalts und dem vielen Platz, sondern vor allem auch, weil Spiele auf der Straße niederschwellig alle Bevölkerungsschichten erreichen und zudem das Recht auf Spiel eindrücklich sichtbar machen.

Cornelia Dittrich


Bündnis Temporäre Spielstraßen

Das Bündnis Temporäre Spielstraßen unterstützt lokale Initiativen bei der Umsetzung im eigenen Kiez und möchte gleichzeitig zur deutschland­weiten Vernetzung beitragen. Es ist ein Zusammenschluss mehrerer Verbände, u. a. des DaKS (Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden), des Deutschen Kinderhilfswerks und des BUND Berlin (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland). Inspiriert von London und Bremen wurde das Bündnis im März 2019 mit dem Ziel gegründet, temporäre Spielstraßen als gängiges Instrument in Berlin zu etablieren. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht, doch es hat sich schon viel getan: 2022 gab es berlinweit 235 Spielstraßenaktionen in insgesamt 54 verschiedenen Straßen und allen 12 Bezirken. 2021 gab 230 Spielstraßenaktionen.

Für alle Fragen zum Thema steht das Bündnis jederzeit gerne und kostenfrei zur Verfügung:
www.spielstraßen.de / info@spielstrassen.de / 0172-7483990 (Cornelia Dittrich)


Auch das DKHW berät, wenn es darum geht eine Spielstraße einzurichten.
Deutsches Kinderhilfswerk e. V., Leipziger Straße 116–118, 10117 Berlin.
https://www.dkhw.de/schwerpunkte/spiel-und-bewegung/politische-arbeit/temporaere-spielstrassen/




Die Natur als Entwicklungsraum für Kinder

kinder baum

Elementarpädagogische Grundsätze auf den Punkt gebracht

Wer mit Kindern in der Natur unterwegs ist und dabei mit allen Sinnen wahrnimmt, welche selbstbestimmten Tätigkeiten Kinder genussvoll ausführen, wird kaum in der Lage sein, alle Beobachtungsmöglichkeiten zu registrieren und in einem Protokoll festhalten zu können.

Auf der einen Seite sind Kinder pausenlos in Bewegung:

Sie klettern über umgefallene Baumstämme oder versuchen, sich an tiefer hängenden Ästen anzuhängen; sie umarmen Bäume und sind gespannt, ob sich ihre Hände berühren oder ob der Stamm einen größeren Umfang hat, so dass sie ein anderen Kind bitten, hinzuzukommen und vielleicht vier Armlängen das gesetzte Ziel erreichen; sie springen über niedrige Waldpflanzen oder in Restpfützen, die noch vom vergangenen Regen als kleine Wasserstellen übriggeblieben sind oder sammeln Äste, um sich daraus eine kleine Höhle zu bauen; sie tragen losgelöste Baumrindenstücke zusammen, um ihre Höhle mit einem Dach regensicher zu machen, sammeln Moos, um die Astwände damit abzudichten oder ziehen mit einem Stock Linien auf dem Boden, um anschließend auf ihrer ›Straße‹ entlangzulaufen.

Dann gibt es wiederum Kinder, die sich auf eine Baumwurzel gesetzt haben und in tiefer Entspannung immer wieder ihre Blicke schweifen lassen; Kinder, die von Baum zu Baum gehen und dabei mit ihren Händen oder ihren Fingerspitzen die Baumrinden erfühlen – vielleicht, um den Baum zu streicheln oder die Oberflächen zu ertasten: nur sie werden wissen, was hinter ihren taktilen Aktivitäten steckt.

Andere Kinder hocken auf dem Waldboden und beobachten einen Käfer, der sich mühsam durch das niedergefallene Blattwerk kämpft und wiederum andere Kinder suchen einen Vogel, der in irgendeinem Baumwipfel hockt und mit seinem lauten Gesang auf sich aufmerksam macht. Und einige Kinder gehen von einem Sonnenstrahl zum anderen, der sich durch die Baumwipfel bis hinunter auf den Waldboden hindurchgeschoben hat.

Um es mit einem Satz zu sagen: Der Wald scheint ein ›Forschungslabor‹ erster Güte zu sein, voller Geheimnisse, angereichert mit unzähligen Möglichkeiten, einem eigenen Interesse nachzugehen und sich mit selbstgestellten Herausforderungen zu beschäftigen, bei dem Zeit und Raum unbegrenzt zu sein scheinen. Hier kommen Bewegungsmöglichkeiten und Ruhezeiten zum Ausdruck, Staunen und Bewundern, Neugierde und der Versuch, Antworten auf Fragen zu finden, die für Kinder einen hohen, aktuellen Bedeutungswert haben.

Alle Kinder scheinen ganz intensiv mit ihren Tätigkeiten beschäftigt

– ja, regelrecht gefangen – zu sein.

Fast könnte man annehmen, dass der Wald eine hypnotisierende Wirkung auf Kinder ausübt: und das alles ohne Anleitung, ohne ›Lernvorgaben‹, ohne Impulshinweise und ohne vorgegebene Materialien. Die Natur kommt offenbar für Kinder einem ›Entwicklungszauber‹ gleich, der sich von den üblichen Beschäftigungstätigkeiten in einer Kindertagesstätte deutlich unterscheidet. Hier werden Kindern keine didaktisierten, schulvorgezogene und fremdbestimmte Angebote vorgegeben, hier gibt es reichlich Platz, um in vielfältiger Weise eigenen Bewegungsbedürfnissen nachgehen zu können und hier gibt es keine künstlich hergestellten Materialien, die in den allermeisten Fällen jegliche sinnliche Erfahrungen aussperren.

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Armin Krenz
Elementarpädagogische Grundsätze auf den Punkt gebracht

20 PowerPoint Präsentationen als Grundlage für Teambesprechungen, Fortbildungsveranstaltungen, Fachberatungen
336 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 978-3-96304-613-1
Burckhardthaus
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Kinder begreifen sich als Teil der Natur.

Sie stellen Querverbindungen zwischen sich und ihren Naturerfahrungen her und kommen von sich aus auf immer neue Fragen:

  • »Warum hat der eine Baum so viele Blätter und der andere Baum fast keine Blätter mehr?«
  • »Wie findet denn der Käfer in diesem großen Wald nach Hause – hier gibt es doch keine Straßen und keine Hinweisschilder …?«
  • »Warum liegt das Vogelnest auf dem Boden – wer hat es wohl aus der Baumkrone geworfen?«
  • »Woher wissen denn die Schnecken, welche Pilze essbar und welche giftig sind?«
  • »Hier kamen die früheren Dinosaurier aber nicht durch den Wald – da- für stehen die Bäume viel zu eng nebeneinander: oder?« …

Fragen über Fragen, die die Kinder in den Raum werfen und voller Spannung darauf warten, dass Kindheitspädagog:innen gemeinsam mit ihnen auf die spannende Suche nach einer Antwort gehen. Doch auch dabei bleibt es nicht. Urplötzlich entstehen Spielhandlungen, indem Kinder zueinanderfinden und gemeinsame Vorhaben absprechen. Schaut man diesen Kindern dabei zu und versucht festzustellen, welche Entwicklungsbereiche involviert sind, fällt es nicht schwer, alle neun Entwicklungsbereiche nahezu gleichzeitig zu identifizieren – im Unterschied zu den so genannten Teilleistungsförderbereichen, die in üblicher Weise zum Angebotskanon in Kindertagesstätten gehören und, sofern sie alltagsfremd angeboten werden, kaum bis keine Nachhaltigkeit besitzen:

Es gibt keinen anderen, besser geeigneten Ort für den Auf- und Ausbau von Wahrnehmungskompetenzen und selbstbestimmte, intrinsisch motivierte Handlungs- und Erfahrungsaktivitäten als die Natur, zumal die Hirnforschung gezeigt hat, dass, je reichhaltiger und vielfältiger sowie interessanter die Sinneserfahrungen sind, desto umfangreicher entwickeln sich im Gehirn die abgespeicherten Muster, durch die die Kinder wiederum ihre Handlungskompetenzen und ihre Erfahrungswerte speichern und für zukünftige Tätigkeiten zur Verfügung haben. Diese Form des Lernens wird in der Lernpsychologie ›concomitant learning‹ genannt: ein ›Lernen nebenbei‹ (= Bemerken – Fixieren – Verweilen – Erleben – Speichern). Natürlich darf zum Schluss dieser Einführung nicht der schon fast überflüssige Hinweis fehlen, dass eine reichhaltige Naturerfahrung auch der Gesundheit dient!

Hier die PowerPoint Präsentation zum Artikel, zum kostenlosen Download

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz, Honorarprofessor i.R.,
Wissenschaftsdozent für Elementarpädagogik und Entwicklungspsychologie




Depressionen bei Kindern häufiger als Eltern glauben

Stiftung Kindergesundheit informiert über Warnsymptome und Risiken depressiver Störungen

Die Jahre der Kindheit und Jugend werden von Erwachsenen gern als „fröhlich und unbeschwert“ verklärt. Doch nicht jedes Kind erlebt sie so: Die oft als „sorgenfrei“ gepriesene Kindheit erweist sich in Wirklichkeit häufig als von psychischen und emotionalen Problemen belastet. Selbst schwere Depressionen kommen schon bei Kindern und Jugendlichen vor: Mindestens jeder zehnte Jugendliche erlebt bis zum Erreichen der Volljährigkeit wenigstens eine depressive Episode, berichtet die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.

Kinder- und Jugendärzt*innen, Kinderpsychiater*innen und Kinderpsychotherapeut*innen haben in den vergangenen Jahren eine Zunahme von depressiver Symptomatik bei jungen Menschen registriert. Allerdings ist es im Kindes- und Jugendalter nicht immer leicht, eine Depression von den üblichen, „normalen“ Verhaltensweisen abzugrenzen: Erst ab dem Grundschulalter können Kinder ihre gedrückte Stimmungslage und emotionale Niedergeschlagenheit selbst einigermaßen in Worte fassen. Sie sind traurig oder unglücklich, weil sie sich ungeliebt, nicht geborgen oder vernachlässigt fühlen. Wenn sie sich äußern, beklagen sie sich zum Beispiel mit Sätzen wie: „Niemand hat mich lieb“, oder: „Keiner will mit mir spielen,“ oder sogar: „Ich wünschte, ich wäre tot“.

Ein oft unterschätztes Problem

„Depressive Symptome bei Kindern und Jugendlichen sind häufiger als Eltern annehmen. Gerade in den letzten Jahren ist die Zahl neudiagnostizierter depressiver Störungen deutlich angestiegen „, sagt die Münchner Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie Priv.-Doz. Dr. med. Katharina Bühren, ärztliche Direktorin des kbo-Heckscher-Klinikums und stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Stiftung Kindergesundheit. „Bereits vor der Coronapandemie war fast jedes fünfte Kind und Jugendliche in Deutschland von psychischen Auffälligkeiten betroffen. Im Jahr 2019 benötigten rund 823 000 Kinder und Jugendliche psychotherapeutische Hilfe, 104 Prozent mehr als im Jahr 2009. Im Verlauf der Pandemiejahre hat sich dann ihr Wohlbefinden und ihre psychische Gesundheit weiter verschlechtert: Depressive und psychosomatische Symptome, Ängste und auch Essstörungen kommen zurzeit insbesondere bei Mädchen wesentlich häufiger vor als vor Corona“.

Wie die Pandemie die Kinder belastet

Besonders die Corona-bedingten Schulschließungen haben die Kinder und Jugendlichen stark belastet: Laut einer neuen Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) wiesen junge Menschen während der Schulschließungen zu 75 Prozent häufiger allgemeine Depressionssymptome auf als vor Ausbruch der Pandemie.

Die Kinder waren während dieser Zeit nicht nur von der zeitweisen Schließung von Spielplätzen, Kitas und Schulen betroffen: Gleichzeitig wurden ihre sozialen Kontakte zu Freunden, Mitschülern und selbst zu den Großeltern zwangsläufig eingeschränkt.

„Besonders die Kinder und Jugendlichen aus bildungsfernen Familien , mit Migrationshintergrund und beengten räumlichen Verhältnissen zeigten mehr depressive Symptome als Gleichaltrige“, berichtet Priv.-Doz. Dr. Katharina Bühren.

Wie sich die Symptome mit der Zeit verändern

Depressive Kleinkinder (1 bis 3 Jahre) zeigen sehr unspezifische Symptome. Sie können still und zurückhaltend sein oder durch Spielunlust auffallen. Nicht selten sind sie aber auch unruhig, weinen und schreien oft, essen und schlafen schlecht oder wiederholen bestimmte Bewegungen immer wieder.

Bei Kindern im Vorschulalter (3 bis 6 Jahre) äußert sich eine Depression oft mit einem traurigen Gesichtsausdruck und mit verminderter Gestik und Mimik. Das Kind ist häufig bedrückt und kann sich über nichts mehr so richtig freuen, bewegt sich ungern und zeigt psychosomatische Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen. Nicht selten sind diese Kinder leicht zu irritieren, schlafen schlecht ein und haben oft Albträume.

Im Schulkindalter (7 bis 13 Jahre) zeigt sich eine Depression häufig durch leichte Reizbarkeit und gedrückte Stimmung, Lustlosigkeit, Unkonzentriertheit und Leistungsabfall in der Schule. Die Betroffenen beschreiben Selbstzweifel und auch Selbstmordgedanken.

Depressive Jugendliche (14 bis 18 Jahre) sind niedergestimmt, ziehen sich zurück und neigen zu Grübeleien. Es können auch Stimmungsschwankungen und Appetitstörungen sowie psychosomatische Beschwerden dazu kommen. Schlafstörungen, eine Verschlechterung der Schulleistungen, aber auch ein Gefühl der Leere und Lustlosigkeit werden häufig berichtet. Umso ausgeprägter die depressive Symptomatik ist, desto eher kommen auch Suizidgedanken dazu. Mit zunehmendem Alter können Todeswünsche und -vorstellungen die Gedanken gefährlich verdüstern: Selbsttötungen stellen mit 12 Prozent der Todesursachen bei Jugendlichen nach Verkehrsunfällen die zweithäufigste Todesursache dar.

Zu oft übersehen und zu spät erkannt

Depressionen werden bei Kindern und Jugendlichen nicht selten übersehen und nicht behandelt, selbst wenn deutliche Anzeichen vorhanden sind, sagt Kinder- und Jugendpsychiaterin Dr. Katharina Bühren: „Auch ernste Symptome einer Depression wie Freudlosigkeit oder Niedergeschlagenheit werden bei Kindern im Teenageralter häufig als eine Phase fehlinterpretiert, die zur Pubertät gehört“.

Weil sich aber eine Depression ohne Behandlung verstärken und zu weiteren Störungen führen kann, sollten depressive Symptome immer ernst genommen werden, betont die Expertin der Stiftung Kindergesundheit mit großem Nachdruck: „Wer schon als junger Mensch psychisch erkrankt, hat auch als Erwachsener ein höheres Risiko für eine psychiatrische Erkrankung. Über die Hälfte der psychischen Störungen entsteht vor dem neunzehnten Lebensjahr“. Die Häufigkeit von Depressionen steigt von unter zwei Prozent bei Kindergartenkindern auf etwa neun Prozent während der Pubertät bis auf 20 Prozent bis zum 18. Lebensjahr an.

Psychische Gesundheit von Kindern stärken!

Zur Stärkung der psychischen Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit folgende Maßnahmen:

  • Verbesserung der ambulanten und stationären kinder- und jugendpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Versorgung durch Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen
  • dauerhafte Förderung psychotherapeutischer und psychiatrischer Angebote, die niedrigschwellig an Schulen angebunden sind, sowie Angebote der Jugendhilfe in besonders belasteten Wohnquartieren, und
  • Schulfach „Gesundheit“ einführen, um die Gesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen zu verbessern und so auch das Risiko für psychische Erkrankungen zu verringern.

Düstere Gedanken? Reden kann Schlimmeres verhüten

Häufig ist es allerdings nicht leicht, an ein Kind oder einen Jugendlichen mit Depressionen heranzukommen, räumt die Stiftung Kindergesundheit ein. Manchmal möchten sich Betroffene am liebsten in einem Loch verkriechen und vermeiden es, über ihre Gefühle zu sprechen. Dabei wäre es wichtig, dass sie ihre Empfindungen in Worte fassen und mit anderen teilen können.

Deshalb sollten Eltern die Gefühle ihres Kindes ernst nehmen und auch ansprechen. Offene Gespräche schaffen Vertrauen und helfen psychische Probleme frühzeitig wahrzunehmen.

Zur Behandlung einer depressiven Störung bei Kindern und Jugendlichen stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung: Ob das Kind mit einer Psychotherapie oder zusätzlich mit Medikamenten behandelt werden soll, muss von Fall zu Fall individuell entschieden werden.

Wenn Kinder und Jugendliche, ihre Eltern selbst oder andere Angehörige depressive Gedanken haben oder sogar überlegen, sich das Leben zu nehmen, sollten sie unbedingt versuchen, mit jemandem darüber zu sprechen, ganz gleich ob aus der Familie oder aus dem Freundeskreis, betont Priv.-Doz. Dr. Katharina Bühren: „Außerdem sollten sie sich an Menschen werden, die sie professionell unterstützen können. Erste Ansprechpartner können Beratungsstellen, Hausärzte und Hausärztinnen, Kinderärztinnen oder Kinderärzte sein, die dann die Eltern mit ihrem Kind in eine Kinder- und Jugendpsychiatrische Praxis überweisen können.“

Hier finden Familien Rat und Hilfe

Geschulte Gesprächspartner*innen, die in psychischen Lebenskrisen eine Hilfe anbieten können, erreichen Betroffene telefonisch:

  • bei der Telefonseelsorge (Evang.: 0800-111 0 111, Kath.: 0800-111 0 222),
  • im Notfall bei der Polizei (110) oder dem Rettungsdienst (112),
  • bei der „Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche“ unter Tel. 116 111, oder
  • bei der „Nummer gegen Kummer für Eltern“ unter Tel. 0800-111 0 550.

Eine weitere umfangreiche Liste von möglichen Hilfen bietet die Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention unter www.suizidprophylaxe.de.

Giulia Roggenkamp Stiftung Kindergesundheit




Hilfe rund um Kinder mit lebensbedrohlichen Krankheiten

fragoscar

Frag-Oskar.de ist mit seinem Sorgentelefon rund um die Uhr für alle Betroffenen da

Hilfe bei Schicksalsschlägen und schwierigen Situationen, die durch unheilbare Krankheiten bei Kindern und Eltern oder gar deren Tod entstanden sind, bietet Frag-Oskar.de. Das Oskar-Sorgentelefon ist unter der kostenlosen Nummer 0800 8888 4711 täglich rund um die Uhr erreichbar. Hier finden Betroffene, Betreuende, trauernde Familien, aber auch Fachleute, die in ihrem Beruf mit Kindern und Jugendlichen an ihre Grenzen gekommen sind, fachlichen Rat und Unterstützung – auf Wunsch auch anonym.

Das Oskar-Sorgentelefon bietet Informationen, emotionale Entlastung, Begleitung, Stärkung und Unterstützung in Krisensituationen, Hilfe bei der Durchsetzung von sozialrechtlichen Ansprüchen, Vermittlung von Hilfsangeboten vor Ort mittels der Oscar Datenbank und Raum für Austausch und Vernetzung.

Frag-Oskar.de ist Ansprechpartner für:

  • Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die schwerst- oder lebensverkürzend erkrankt sind und ihre Familien
  • alle Menschen, die mit schwerstkranken Kindern und Jugendlichen zu tun haben – auch als Freundin, Nachbar, Betreuer ist man betroffen
  • Familien, in denen ein Elternteil, schwer oder unheilbar erkrankt ist
  • Mütter, Väter und Geschwister, die um ein Kind trauern – unabhängig davon, wie alt das Kind war oder wie viele Jahre der Abschied zurückliegt
  • Eltern, die ihr Kind in der Schwangerschaft verloren haben.
  • Therapeutinnen und Therapeuten
  • Fachkräfte aus Medizin und Pflege sowie dem psychosozialen und pädagogischen Bereich

Das Oskar-Expertenteam besteht aus ausgebildeten und erfahrenen Fachkräften aus dem psychosozialen, pflegerischen oder pädagogischen Bereich. Neben dem Oskar-Sorgentelefon gibt es

Oskar-Sorgenmail: https://mail.frag-oskar.de für vertrauliche Schreiben im Webportal
Oskar-Meet & Talk für Online-Treffen zum Austausch mit anderen Familien, Fachleuten und Peer-Beratern. Termine und Anmeldung: www.frag-oskar.de
Oskar-Sprechstunden-Sozialrecht unter der Telefonnummer 0800 8888 4712. Sozialberatung für Betroffene und Fachleute. In Kooperation mit einem Rechtsanwalt bietet Frag-Oskar donnerstags eine offene Sprechstunde von 19 bis 21 Uhr.

Getragen wird Frag-Oskar.de vom Bundesverband Kinderhospiz e.V.. Schirmherr des Oskar-Sorgentelefons ist Dieter-Hallervorden.




Verhaltensweisen sind Spiegelbilder der Seele!

Zweck und Bedeutungswert von Verhaltensirritationen

Wie aus heiterem Himmel fangen Kinder häufig an zu schreien, ohne dass es aus Sicht der Erwachsenen dafür einen triftigen Grund gibt, ein solches Verhalten an den Tag zu legen. Oder sie weigern sich vehement, bei Gemeinschaftsaufgaben mitzuhelfen. Sie lassen sich ungewöhnlich lange Zeit, um bestimmte Vorhaben zügig durchzuführen, schubsen andere Kinder, ohne dass diese sie absichtlich provoziert hätten, schweigen beharrlich bei Fragen, die an sie gerichtet werden oder reden ohne Pause und Rücksicht auf andere ein, haben entweder tagsüber kaum Appetit oder können auf der anderen Seiten pausenlos essen. Sie eignen sich heimlich Besitztümer von anderen Kindern an, die ihnen nicht gehören oder nässen regelmäßig ein, obgleich eine medizinische Untersuchung keinen organischen Befund festgestellt hat. Eine weitere Aufzählung von Verhaltensirritationen könnte an dieser Stelle endlos angeführt werden.

Vieles, was Kinder tun, bleibt für Erwachsene ein Rätsel

So zeigen Kinder immer wieder Ausdrucksformen, die den elementarpädagogischen Fachkräften und auch den Eltern ein Rätsel sind. Es kommen Fragen auf, warum ein Kind sich in dieser Form verhält, warum es ihm offensichtlich nicht gelingt, ein „angemessenes Verhalten“ zu zeigen und wie „man“ dieses Verhalten „beim Kind“ verändern könnte. „Vernünftige Gespräche“ mit dem Kind bleiben oftmals erfolglos und enden damit, dass Widerstände aufseiten des Kindes noch größer werden bzw. nachhaltige Veränderungen nicht feststellbar sind.

Eindrücke und Gefühle prägen das Verhalten eines Kindes

Das gesamte Leben eines Menschen ist geprägt durch besonders bedeutsame Alltagserfahrungen, Erlebnisse, Eindrücke und Geschehnisse, die ihre entsprechenden Spuren und Auswirkungen auf die Persönlichkeitsbildung und die jeweils individuellen Verhaltensweisen des Kindes hinterlassen. Menschliches Verhalten ist damit nie ein „Zufallsprodukt“ oder „konstant genetisch festgelegt“. Vielmehr sind es immer wieder bedeutsame Ereignisse, die sich als Erlebnisbilder im Gehirn des Menschen abspeichern und in der Folge in entsprechenden Ausdrucksformen zeigen, wenn aktuelle Situationen diese in der Vergangenheit gespeicherten Bilder wieder hervorrufen. Zudem sind mit den Erlebnissen immer auch bestimmte Gefühle (Trauer, Angst, Ärger/Wut, Freude) verbunden, die sich in einer Bild-Emotionsvernetzung wie eine Straße im Gehirn anlegen und in ähnlichen, vergleichbaren Erlebnissituationen einen Aktualisierungswert provozieren. Die Gegenwart entpuppt sich als ein Wiederholungserlebnis aus der Vergangenheit.

Gefühle und Gefühlsausdrucksformen sind ein fest zu uns gehörender und lebensnotwendiger Teil der menschlichen Existenz! Sie zeigen anderen Menschen, wer und wie wir sind, wie es uns geht, was wir von uns selbst und anderen Menschen halten und wie wir zu uns und ihnen in welchem emotional-sozialen Bezug stehen.


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Das Leben hält entwicklungsförderliche und -hinderliche Einrücke bereit

Es können besonders angenehme Eindrücke sein, die dem Kind immer wieder das Gefühl vermittelt haben, sich als ein gerngesehener Gast in dieser Welt zu fühlen. Solche Eindrücke wirken sich besonders entwicklungsförderlich auf das weitere seelische Wachstum von Kindern aus. Gleichzeitig sind diese förderlichen Eindrücke die Grundlage für den Aufbau von Lebensfreude und Zufriedenheit, Entspannung und Belastbarkeit, Empathie, Sozialverhalten und Lernbereitschaft.

Natürlich können es aber auch unangenehme Erlebnisse gewesen sein, die sich entwicklungshinderlich auf ein Kind ausgewirkt haben. Solche negativen Erfahrungen und Geschehnisse offenbaren sich dann beispielsweise in Entwicklungsverzögerungen, Entwicklungsrückschritten oder in den kindlichen Irritationen (=Verhaltensauffälligkeiten) – von Angstempfindungen, Zurückhaltung, gesteigerter Aggressivität/Gewalt bis hin zu zwanghaften Verhaltensweisen oder psychosomatischen Ausdrucksformen.

Nun kommt es im Leben der Kinder darauf an, ob sie eine überwiegend entwicklungshinderliche Pädagogik oder eine überwiegend entwicklungsförderliche Entwicklungsbegleitung in ihrem Alltag erfahren haben. Typische Beispiele für entwicklungshinderliche Einflüsse entstehen häufig aus folgenden Erlebnissen/Erfahrungen und tragen schnell zur Entstehung von Verhaltensirritationen bei:

  • Trennungserlebnisse – zum Beispiel wenn Kinder sich häufig einsam oder alleine/ im Stich gelassen fühlen und zudem viele ihrer seelischen Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden. Das geschieht beispielsweise, wenn Kinder zu früh „vernünfteln“ müssen, sie regelmäßig in ihrem Erfahrungs-, Spiel- und Bewegungsbedürfnis eingeengt werden oder sie das Gefühl haben, nicht mehr KIND sein zu dürfen;
  • Beziehungsnöte – etwa, wenn Erwachsene Kinder mit einer belastenden Schuld belegen oder Kinder nur dann Beachtung und Liebe finden, wenn sie sich so verhalten wie es die Erwachsenen erwarten oder möglichst früh „perfekt“ sind. Hier wächst ein Kind in einer „Liebe unter Bedingungen“ auf. Ähnliches erlebt ein Kind, wenn es Hilfe/ Unterstützung braucht und diese nicht erhält, weil Erwachsene anderen (egozentrischen) Lebensschwerpunkten einen Bedeutungswert beimessen und sich Kinder als überflüssig/beiseitegeschoben fühlen.
  • Bedrohungsängste – zum Beispiel wenn Kinder sich in Beziehungen ausgeschlossen oder ausgegrenzt fühlen bzw. Gewalt in ihren unterschiedlichsten Formen erfahren müssen; wenn Kinder unter großer Angst stehen, für klein(st)e Missgeschicke oder Verfehlungen bestraft zu werden; wenn Kinder spüren, dass Erwachsene unterdrückte oder offene Aggressionen gegen sie hegen oder keine Sicherheit bietende, warmherzige Kommunikation in der Beziehung zu ihnen besteht;
  • Auslieferungserlebnisse – zum Beispiel wenn Kinder sich in bestimmten Situationen völlig wehrlos erleben, unter einer fehlenden Solidarität aufwachsen/ leiden müssen; wenn Kinder mit Tatsachen/ Anforderungen konfrontiert werden, auf die sie keinen Einfluss haben dürfen; wenn Kinder in Auseinandersetzungen, die Erwachsene untereinander haben, einbezogen werden oder in denen sie sich  hin- und hergerissen fühlen müssen;
  • Ohnmachtserlebnisse – zum Beispiel wenn Kinder immer wieder ihre Wirkungslosigkeit erfahren, trotz ihrer Vorschläge oder Beteiligungswünsche; Situationen, in denen sie beherrscht, gegängelt werden oder schutzlos ausgesetzt sind.  

Eindrücke suchen ständig Ausdrucksmöglichkeiten

Betrachtet man einmal die unterschiedlichen Ausdrucksformen, die Kindern zur Verfügung stehen, so sind es stets sechs Ausdrucksmöglichkeiten, durch die Kinder ihr Seelenleben preisgeben: 1.) in ihren Spielformen und in ihrem vorzugsweise gewählten Spielverhalten; 2.) in ihrer Sprache, ihrem Sprechverhalten und ihren Erzählthemen; 3.) in ihren besonderen, alltäglichen Verhaltensweisen; 4.) in ihrem Malen und Zeichnen; 5.) in ihren Bewegungsaktivitäten und in ihrer Körpersprache; 6.) in ihren Tag- und Nachtträumen. 

Dabei besitzen diese jeweils zwei Funktionen. Die erste Funktion liegt im „Aus-druck“ von Gefühlen (ursprüngliche Bedeutung: aus dem Druck kommen). Das heißt, dass unterschiedliche Lebensereignisse Kinder immerzu in Anspannung, Aufregung oder Unruhe versetzen. Diese können angenehmer (=spannungsentlastender) oder auch unangenehmer (belastender) Art sein. Auf jeden Fall erzeugen bedeutsame, prägende „Ein-Drücke“ stets eine Drucksituation auf Kinder:

  • wenn beispielsweise ein Vorhaben, eine Absicht nicht geklappt hat bzw. umgesetzt werden konnte, wird aus einer Vorfreue Ärger oder Traurigkeit;
  • wenn Erwachsene ihre Zusagen nicht eingehalten haben, entsteht aus hoffnungsvoller Freude ebenfalls Traurigkeit oder Wut;
  • wenn sich in Kindern Langeweile breit macht und sie keine Idee haben, was sie aktiv unternehmen könnten, bündelt sich häufig recht schnell Ärger über die eigene Initiativlosigkeit oder Antriebsschwäche;
  • wenn im Kindergarten eine richtig spannende Aktion läuft, die Kinderherzen höher schlagen lässt, dann fällt es Kindern schwer, sich zum Tagesende aus ihrer Gruppe zu verabschieden, um erst am nächsten Morgen weitermachen zu können;
  • wenn Kinder ihrer Erzieherin/ ihrem Erzieher etwas Bedeutsames erzählen wollen, diese(r) im Augenblick aber keine Zeit hat, in Ruhe zuzuhören, dann wird schnell aus der Vorfreude und der jetzigen Enttäuschung heftige Wut;

Diese und alle Ausdrucksweisen der Kinder haben zugleich einen „Appell- und Erzählwert“, der sich an ihre Umgebung richtet, getreu dem Motto: „Schaut her, wie es mir geht.“ So tanzt ein Kind vor Freude, zieht sich bei Enttäuschungen zurück, weint heftig bei Misserfolgen oder Versagenserlebnissen, kaut an Nägeln bei starken inneren Spannungen, setzt sich bei einem geringen Selbstwertgefühl immer wieder in den Mittelpunkt oder hält sich aus allen Situationen, in denen es den Eindruck hat versagen zu können, zurück, zeigt bei Unter- oder Überforderungssituationen Clownerien, berichtet von Angstträumen, wenn es erlebte Situationen nicht verarbeiten konnte, schlägt auf andere Kinder ein, wenn es selbst voller Spannungen steckt (getreu dem Motto: „geteiltes Leid ist halbes Leid“), klagt über Magenschmerzen, weil es sich von bestimmten Ereignissen überfordert fühlt, möchte immer wieder der Bestimmer in Spielsituationen sein, weil es sich ansonsten in Ohnmachtssituationen befindet, erzählt wie ein Wasserfall, weil es in seiner Vergangenheit des Öfteren erlebt hat überhört worden zu sein oder macht anderen Kindern alles nach, weil es selbst keine eigene Identität besitzt.

Verhaltensirritationen entstehen überwiegend aus Beziehungsstörungen und unbefriedigten Grundbedürfnissen

Bei einer näheren Betrachtung nahezu aller Verhaltensirritationen von Kindern stoßen wir immer wieder auf zwei Phänomene: einerseits muss davon ausgegangen werden, dass sich auffällige Verhaltensweisen stets aus gestörten Beziehungen heraus entwickeln, andererseits sozial-emotional geprägte, seelische Grundbedürfnisse beim Kind ungesättigt geblieben sind, verbunden mit der Folge, dass es Kindern weder in der Gegenwart noch für die Zukunft gelingen könnte, lebensbedeutsame Fähigkeiten auf- und auszubauen.

Das Drama besteht nun über die aktuell erlebte Situation hinaus darin, dass auch in zukünftigen Situationen die unbefriedigten Grundbedürfnisse des Kindes immer wieder aktualisiert werden würden (verbunden mit der Angst, zu kurz zu kommen, keinen Einfluss zu haben, wieder einmal zu versagen …), so dass ein Kind in dem aktuellen Ereignis (unterbewusst) an seine vergangenen Erfahrungen erinnert wird und diese immer wieder neu „erlebt“, mit all’ den aufgestauten Gefühlen vergangener Situationserlebnisse. So etwas kennen viele Fachkräfte sicherlich, wenn aus einem anscheinend nichtigen, völlig geringfügigem Anlass Kinder plötzlich – auf den ersten Blick – unangemessen reagieren. Vergleichbar wäre dies mit einem Vulkan, in dem sich in der (un)mittelbaren Vergangenheit jede Menge Magma unter der Bergkuppe angestaut hat und nun völlig überraschend zum Ausbruch kommt.

Das Maß, wie stark oder schwach die seelischen Grundbedürfnisse des jeweiligen Menschen in seiner frühen Kindheit befriedigt (gesättigt) wurden, lässt schon im Kind so genannte Grundsätze des Lebens / Lebensphilosophien / Haltungen/ grundsätzliche Sichtweisen entstehen. Diese werden in der analytischen Psychologie als „Lebenspläne“ bezeichnet. Sie sind der jeweils „rote Faden“ im Leben eines Menschen und bilden die Grundlage für seine Gefühls-, Denk- und Handlungsstrukturen. Der Lebensplan entwickelt sich aus der jeweils ganz persönlichen Bewertung aller zurückliegenden, bedeutungsvollen Lebenserfahrungen und sucht stets nach seiner Erfüllung. Somit bedingt der in dem Menschen liegende Lebensplan sein individuelles Verhaltensmuster. Beispiele:

Einsamkeit führt zur Suche nach Geborgenheitserlebnissen (Kinder „kleben“ regelrecht am Erwachsenen), Spannung führt zur Suche nach Entspannungsmöglichkeiten (Kinder sind ständig „auf Achse“, immer in Bewegung, können nicht ruhig sitzen oder sich konzentrieren), Nichtbeachtung führt zum vehementen Wünsch, Beachtung zu finden (so wollen bestimmte Kinder immer im Mittelpunkt stehen), Überforderungen führen zur Suche nach Ruhesituationen (Kinder ziehen sich zurück, wollen lieber alleine als mit anderen spielen oder zeigen wenig Interesse an Gruppenaktivitäten, wollen den Gruppenraum oder die Einrichtung verlassen), Minderwertigkeitsgefühle führen zur Suche nach Stolz und Anerkennungswünschen (Kinder wollen immer wieder gelobt werden), Langeweile führt zur Suche nach Herausforderungen (Kinder begeben sich auf Grenzüberschreitungen)…

Annahme, verstehen, Selbstveränderung: der Königsweg für Veränderungen

Um Kinder zu verstehen, bedarf es daher einerseits einer Annahme des Kindes, indem wir ihm ein Beziehungsangebot machen, damit es sich vom Erwachsenen nicht erneut isoliert, ausgegrenzt, bevormundet, gedemütigt, verlassen, ins Abseits gedrängt fühlt, andererseits geht es um eine fachlich verstehende, deutende Entschlüsselung der gezeigten Ausdrucksweise, um „das Kind da abzuholen, wo es steht“ … und nicht dort hinzuziehen, wo wir es gerne haben würden. Und schließlich ist es notwendig, dass Erwachsene einen radikalen Perspektivwechsel vorzunehmen haben: es geht nicht darum, das Kind zu verändern, sondern vielmehr hat der Erwachsene dafür zu sorgen, dass Kinder sich verändern können. Erwachsene müssen dem einzelnen Kind dabei helfen, das Können zu können, weil Verhaltensirritationen eine wichtige, wegweisende Funktion haben: sie offenbaren sich als Spiegelbild einer entwicklungshinderlichen Umgebung, die dem Kind keine andere Möglichkeit lässt, als verhaltensirritiert zu reagieren. Verhaltensirritationen sind also stets situationsangemessene Reaktionen des Kindes, auch wenn sie in der Situation selbst untaugliche Problemlösungsversuche darstellen.

Literaturliste: Ausdrucksformen und Erzählwerte sehen und verstehen

Doherty-Sneddon, Gwyneth: Was will das Kind mir sagen? Die Körpersprache des Kindes verstehen lernen. Verlag Hans Huber, Bern 2005
Finger, Gertraud & Simon-Wundt, Traudel: Was auffällige Kinder uns sagen wollen. Verhaltensstörungen neu deuten. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 6. Druckauflage 2019
Jung, Carl Gustav: Der Mensch und seine Symbole. WalterVerlag, Olten (Schweiz), 15. Aufl. 1999
Krenz, Armin: Was Kinderzeichnungen erzählen. Kinder in ihrer Bildsprache verstehen. Verlag modernes lernen, Dortmund, 4. Aufl. 2018
Krenz, Armin: Kinderseelen verstehen. Verhaltensauffälligkeiten und ihre Hintergründe. Kösel-Verlag, München, 6. Aufl. 2019
Martell, Jaques: Mein Körper –Barometer der Seele. VAK Verlag, Kirchzarten, 13. Aufl. 2016
Morschitzky, Hans + Sator, Sigrid: Wenn die Seele durch den Körper spricht. Psychosomatische Störungen verstehen und heilen. Patmos Verlag, Düsseldorf, 10. Auf. 2015
Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen. Born to be wild: Wie die Evolution unsere Kinder prägt. KöselVerlag, 9. Aufl. 2015
Römer, Felicitas: Meine liebe Nervensäge: Warum störende Kinder nicht gestört sind und wie wir ihnen helfen können. Beltz Verlag, Weinheim 2012
Schmid König, Nelia: Damit den Kindern kein Flügel bricht. Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern. Kösel-Verlag, München 5. Aufl. 2012

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz, Honorarprofessor i.R.,
Wissenschaftsdozent für Elementarpädagogik und Entwicklungspsychologie




Inklusion: Ein großes Ziel im unvorbereiteten Umfeld

Inklusion

Studie zeigt die Notwendigkeit zu einer differenzierteren Herangehensweise an ein schwierges aber lohnendes Thema

Das Recht auf inklusive Beschulung ist seit 2009 ein Bundesgesetz. In der Realität jedoch wird das Menschenrecht auf inklusive Bildung in Deutschland noch immer nicht flächendeckend gewährt. Dies ist auch für den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen nicht akzeptable Situation, wie er in seinem Forderungspapier deutlich gemacht hat. Um die gesetzlich verbriefte inklusive Beschulung zu realisieren, gilt es vor allem zwei Voraussetzungen zu erfüllen: eine differenzierte Betrachtung der Behinderung sowie Lehrkräfte mit entsprechendem Fachwissen und Beratungskompetenz. Das sind auch zwei zentrale Ergebnisse der Studie der Praxis für Kinder- und Jugendhilfe Iris Schneider.

Im Interview mit den Initiatoren der Studie, Iris Schneider und Dr. Jürgen Schneider, zeigt sich, dass wir uns gesellschaftlich zwar viel vorgenommen haben, vielerorts in Sachen Inklusion aber eben noch am Anfang stehen. Das Interview finden Sie hier im Podcast.

Ansatzpunkte für erfolgreiche Inklusion

In ihrer Studie sind Iris und Dr. Jürgen Schneider der Frage nachgegangen, wie zufrieden die Betroffenen eigentlich mit ihrer eigenen Inklusion in Kitas und Schulen sind, die sie täglich erfahren. Dazu wurden stellvertretend für die Kinder und Jugendlichen deren Eltern befragt. Die Ergebnisse sind in der Studie mit dem Titel „Ansatzpunkte für erfolgreiche Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit (drohender) Behinderung“ veröffentlicht.

Eine wesentliche Erkenntnis der Studie ist: Für die Zufriedenheit der Betroffenen ist die Behinderung bzw. das Störungsbild des Kindes oder des/der Jugendlichen von entscheidender Bedeutung. „Die Antworten zeigen uns: Es reicht nicht, undifferenziert über die Inklusion der Gruppe der behinderten Kinder und Jugendlichen zu sprechen. Vielmehr bedarf es einer wesentlich differenzierteren Betrachtung“, fasst Iris Schneider, Geschäftsführerin der Praxis für Kinder- und Jugendhilfe, zusammen. So spielt zum Beispiel die Gruppen- bzw. Klassengröße in einer Kita oder Schule für Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung oder einer sozial-emotionalen Beeinträchtigung bisweilen eine entscheidende Rolle, während dieses Kriterium für Kinder mit einer Sehbehinderung oder einer anderen körperlichen Behinderung mitunter keinen Einfluss auf die Zufriedenheit mit ihrer Inklusion hat.

Etnscheidend ist das Fachwissen

Auch in Bezug auf die personelle Ausstattung der Einrichtungen ergibt sich ein differenziertes Bild. Dabei ist überraschend, dass die Quantität der personellen Ausstattung nicht das entscheidende Kriterium für die Zufriedenheit der Betroffenen ist. Entscheidend ist das Fachwissen und damit die Beratungsqualität der Einrichtungsmitarbeitenden bezüglich der jeweiligen Behinderungen und der damit verbundenen Fördermöglichkeiten. „Dieses Ergebnis ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Ausbildungsinhalte der ErzieherInnen und LehrerInnen offenbar nicht ausreichend auf die Anforderungen eines inklusiven Bildungsbetriebes ausgerichtet sind“, so die Schlussfolgerung von Schneider.

Die Eckdaten zur Studie

Für die Marktstudie wurden die Fragebögen von Eltern und Inklusionsbegleitern ausgewertet, die als StellvertreterInnen für die Kinder befragt wurden. Mit dieser Form der Untersuchung soll die Sicht der Betroffenen stärker in den Blick genommen werden, um so die Ausrichtung von zukünftigen Inklusionsmaßnahmen noch stärker an den Anforderungen der Betroffenen ausrichten zu können.

Die Studie steht auf der Website der Praxis unter https://www.praxis-iris-schneider.de/ zum Download bereit. Zudem kann sie in gedruckter Form angefordert werden bei

Praxis für Kinder- und Jugendhilfe Iris Schneider GmbH
Iris Schneider
Mühlenstraße 6b
53721 Siegburg