Schule der Zukunft: gerechter, inklusiver, demokratischer
geschrieben von Redakteur | Mai 18, 2021
Bündnis „Eine für alle – Die inklusive Schule für die Demokratie“ veröffentlicht Broschüre zu 100 Jahre Schulreform
Das Bündnis „Eine für alle – Die inklusive Schule für die Demokratie“ macht sich für einen Kurswechsel in der Politik stark und mahnt die inklusive Schule für alle Kinder an. „Die Corona-Schulpolitik ist kurzsichtig, betriebs- und geschichtsblind. Die Probleme, die den Umgang mit der Pandemie erschweren, lassen sich weit in die deutsche Vergangenheit zurückverfolgen“, sagte Ilka Hoffmann, Vorstandsmitglied Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), mit Blick auf die Veröffentlichung einer Broschüre zu 100 Jahren Schulreform in Deutschland. „In der Corona-Krise haben wir die Erfahrung gemacht, dass Schulen, die das selbstständige und inklusive Lernen der Schülerinnen und Schüler fördern und Vielfalt wertschätzen, besser für die Herausforderungen der Pandemie gerüstet waren. Das zeigen auch die aktuellen Preisträger-Schulen des Deutschen Schulpreises.“
Selektive und benachteiligende Strukturen Abbauen
Die Broschüre des Bündnisses mache deutlich, dass das Schulsystem der Zukunft – vor allem angesichts der Pandemie-Erfahrungen – gerechter, inklusiver und demokratischer werden muss. „Über Fragen des Gesundheitsschutzes, der Digitalisierung oder des Aufholens von ‚Lernrückständen‘ hinaus müssen die Kultusministerien endlich auch die selektiven und benachteiligenden Strukturen und Routinen abbauen, um das Schulsystem krisenfest und gerechter zu machen“, betonte Hoffmann.
Gründe für „steckengebliebene“ Schulreform
Die Veröffentlichung „1920 – 2020. Schulreform in Deutschland – Eine (un)endliche Geschichte?!“, die Marianne Demmer, ehemaliges langjähriges GEW-Vorstandsmitglied, im Rahmen der Schriftenreihe des Bündnisses verfasst hat, zeigt aus historischer Perspektive die Gründe für die „steckengebliebene“ Schulreform in Deutschland auf. Reichsschulkonferenz und die Schulkompromisse der Weimarer Republik jährten sich 2020 zum 100. Mal.
Endlich Konsequenzen ziehen
„100 Jahre sind Anlass genug, innezuhalten und endlich Konsequenzen zu ziehen. Die Probleme und Argumente gegen ein gerechteres Schulsystem und inklusivere Strukturen ähneln sich leider bis heute“, betonte Dieter Zielinski, Vorsitzender der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule – Verband für Schulen des gemeinsamen Lernens (GGG). „Unsere Broschüre zeigt, wie tief das gegliederte Schulsystem mit dem zusätzlichen Sonderschulsystem noch im ständischen Denken des vorletzten Jahrhunderts verankert ist“, sagte Zielinski. „Die Gesamt- und Gemeinschaftsschulen sind weiterhin die Stiefkinder der deutschen Schulpolitik, obwohl sie nachweislich alle Lernenden gut fördern und es am ehesten schaffen, den Lernerfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln“, stellte er fest.
Selektion kommt viel zu früh
„Noch immer werden Kinder in Deutschland zu früh selektiert“, kommentierte Edgar Bohn, Vorsitzender des Grundschulverbands, die Veröffentlichung. Deutschland hinke in Sachen Schulstruktur und Schulorganisation weiter anderen Ländern hinterher, in denen die Kinder viel länger gemeinsam lernen, ergänzte der Grundschul-Experte. „Das setzt die Grundschule, die vergleichsweise gut mit Vielfalt umgeht, unnötig unter Druck. Es kann nicht sein, dass bereits zehnjährigen Kindern signalisiert wird, welche Berufe für sie in Frage kommen. Zu den ‚blinden Flecken‘ der Corona-Politik gehört die Vererbung von Bildungsprivilegien und Bildungsarmut. Damit muss endlich Schluss sein“, so Bohn.
Aus Sicht des Bündnisses „Eine für alle – Die inklusive Schule für die Demokratie“ hätten die Kultusministerinnen und -minister mit ihrer „Ländervereinbarung“ vom Oktober vergangenen Jahres und ihrem Pandemie-Fokus auf Übergänge, Abschlüsse und Leistungen ein weiteres Mal signalisiert, dass sie die selektiven und benachteiligenden Strukturen im Schulwesen nicht in Frage stellen.
Neue kostenlose Bioland-Bildungsmaterialien zum Thema Milch
Viele Kinder konsumieren täglich Milch und Milchprodukte – die wenigsten wissen aber genau, woher die Milch kommt und welchen Weg sie schon hinter sich hat, wenn sie schließlich im Glas oder als Käse oder Joghurt auf dem Teller oder in der Schüssel landet. Dieses Wissen vermitteln die neuen kostenfreien Bioland-Bildungsmaterialien zum Thema Milch. Deutschlands führender Verband für ökologischen Landbau führt damit seine Reihe „Lerne mit Bioland“ fort. Die Arbeitsmappe Milch ergänzt die Themen Kartoffeln und Getreide und kann neben diesen hier eingesehen und heruntergeladen werden.
Für Kinder von sechs bis zwölf Jahren
Die Unterlagen richten sich an alle, die mit Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren einfach und verständlich landwirtschaftliche Themen des Biolandbaus entdecken möchten. Wie lebt eine Kuh auf dem Bioland-Hof? Was muss eine Kuh fressen, damit sie leckere Milch gibt? Wie wird aus Milch Käse gemacht? All diesen Fragen können Landwirt*innen und Lehrkräfte gemeinsam mit Kindern auf den Grund gehen. In kleinen Versuchen lernen die Kinder im wörtlichen Sinne, über den Tellerrand hinauszuschauen. Für Landwirtinnen und Landwirte ist das Material insofern besonders interessant, weil sie hier Ideen erhalten, wie sie das Thema im Rahmen bauernhofpädagogischer Angebote vermitteln können.
Schritt für Schritt: Der Weg der Milch von der Kuh bis ins Glas
Ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft, einem der sieben Bioland-Prinzipien, beginnt der Weg der Milch nicht im Euter, sondern auf dem Feld. „Lerne mit Bioland – Milch“ startet mit dem den Anbau des Futters, das die Milchkühe fressen. Die Lernmaterialien beschreiben das Leben einer Bio-Milchkuh – offen und aufklärend von der Weide bis zum Schlachthof. Fragen wie: „Woraus besteht Milch?“ und „Was kann man aus Milch alles machen?“ beantworten die Lernmaterialien ebenso wie: „Was macht die Produktion von Bio-Milchprodukten aus?“
Quelle: Pressemitteilung Bioland e.V.
Wie Sie Kinder fürs Lernen motivieren
geschrieben von Redakteur | Mai 18, 2021
Lob, das nicht herabsetzt, Kritik, die nicht verletzt
Adele Faber und Elaine Mazlish haben mit „So sag ich’s meinem Kind“ den erfolgreichsten Elternratgeber aller Zeiten geschrieben. Das Buch wurde weltweit bald 4.000.000 Mal verkauft. Dabei geht es um mitfühlende, gewaltfreie Kommunikation. Ihre Stärke liegt unter anderem darin, dass sie nicht nur vom Kind aus denken, sondern ebenso von den Erwachsenen aus. So verstehen sie beide Seiten und entwickeln ihr Konzept daraus. Der folgende Beitrag ist aus ihrem Buch „Wie Sie Kinder fürs Lernen begeistern“. Dabei handelt es sich um einen Ratgeber, der sich gleichermaßen an Eltern wie pädagogische Fachkräfte wendet. Er ist aus der Sicht der jungen Lehrerin Lisa Langer geschrieben. Der Vorteil dabei. Sie erlebt zunächst am eigenen Leib, wie sich verschiedene Situationen anfühlen. Hier etwa, wie es sich als Erwachsener anfühlt, gelobt oder kritisiert zu werden. Das erleichtert das Verständnis für die Kinder. Die Lösungen für das jeweils richtige Verhalten ergeben sich daraus zwangsläufig. Durch die Comics erscheint alles noch viel einprägsamer.
Lisas Geschichte
„Bitte … setzen Sie sich. Wir haben viel zu besprechen.“ Ich rutschte nervös auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch des Direktors hin und her.
„Frau Langer, wie Sie sicherlich wissen, haben Sie während der ersten drei Jahre als Lehrerin Probezeit. Drei Jahre lang werden Sie jedes Jahr mindestens drei Beurteilungen erhalten. Dies ist die erste. Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich in Ihnen viel Potenzial sehe … aber, Sie werden für ihre Festanstellung arbeiten müssen. Jetzt ist die Zeit, in der Sie aus Ihren Fehlern lernen können. Lassen Sie uns die Stunde vom Montag ansehen und schauen, was falsch gelaufen ist.“
Er zog eine Mappe aus einem Aktenschrank, auf die „auf Probe“ in roten Blockbuchstaben gestempelt war. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und blätterte, die Brille auf dem Nasenrücken balancierend, durch die zahlreichen Notizen, die er sich gemacht hatte, während er meiner Stunde beigesessen hatte.
„Mal sehen … Ich glaube das Ziel, Ihrer Stunde war, den Kindern beizubringen, wie man einen Brief schreibt. Habe ich recht?“
„Ja, Herr Stahl.“ (Worauf wollte er hinaus?)
„Sie haben den Schülern gesagt, dass Sie ein Buch mit den Namen und Adressen von Prominenten hätten, sodass sie ihrem Lieblingspromi schreiben könnten. Das war Ihr erster Fehler. Sobald Sie ihnen von der Möglichkeit erzählt hatten, Kontakt zu einem Prominenten aufzunehmen, hörten sie Ihnen nicht mehr zu und sprachen miteinander. Sie haben sie verloren. Statt sich auf den Plan zum Schreiben von Briefen zu konzentrieren, diskutierten sie Promis. Für die Zukunft empfehle ich Ihnen, sich bei Entscheidungen, die den Lehrplan betreffen an den Richtlinien des Bildungsministeriums zu orientieren. Wenn Sie diesen Richtlinien mit ihren Schülern folgen, werden diese besser auf den landesweiten Schreibtest im Frühling vorbereitet sein. Solange Sie an dieser Schule unterrichten, müssen Sie die Vorgaben so umsetzen, wie sie in den Richtlinien stehen.“
Ich versuchte mich zu verteidigen: „Ich dachte, wenn ich ein wenig Begeisterung für das Briefeschreiben heraufbeschwören würde …“
„Das bringt uns zu meinem nächsten Punkt. Die Begeisterung der Schüler führte zu einer Reihe unangemessener Verhaltensweisen. Während ihrer halbstündigen Unterrichtseinheit wurden drei Nachrichten durchgereicht, Geräusche mit dem Mund wurden gemacht, es wurde auf einen Tisch gehauen, und ein Schüler stand auf, um mit einem seiner Mitschüler zu sprechen. War Ihnen bewusst, dass all diese Aktivitäten sich im hinteren Teil Ihres Klassenzimmers abspielten?“
„Nun, ja … aber die Kinder waren nur etwas aufgeregt, Herr Stahl.“
Er lehnte sich in seinem Stuhl vor. „Frau Langer, wir haben spezifische Verhaltensvorschriften für unsere Klassenzimmer. Vielleicht ist Ihnen nicht bewusst, wie schnell ein Problem eskalieren kann. Schüler in diesem Alter sind sehr sprunghaft. Wenn man sie nicht bei der Stange hält, kann die Situation schnell außer Kontrolle geraten. Selbst wenn Sie mit dieser Idee mit den Prominenten arbeiten, können Sie das verbessern. Ich empfehle, Sie konzentrieren sich in Ihrer Stunde auf die korrekte Art und Weise einen Brief zu schreiben und verbringen weniger Zeit damit, zu diskutieren, wer der Lieblingsstar Ihrer Schüler ist.“
Die Stimme der Sekretärin kam aus der Sprechanlage: „Herr Stahl, der Leiter der Schulaufsichtsbehörde ist am Apparat. Möchten Sie den Anruf annehmen oder soll ich mir eine Nachricht geben lassen?“
Herr Stahl sah auf seine Uhr. „Ich sollte lieber rangehen“, sagte er, während er durch seine Notizen blätterte. „Nun … es gibt noch einige weitere Punkte, die ich mit Ihnen diskutieren möchte, aber vielleicht haben Sie erst einmal genug, mit dem Sie arbeiten können. Ich schlage vor, Sie wohnen einmal Frau Hardings Unterricht bei. Sie ist eine gute Lehrerin. Man könnte in ihrem Zimmer eine Stecknadel fallen hören. Lassen Sie uns ein zweites Treffen für morgen vereinbaren, sodass wir die kleinen Ungereimtheiten ausbügeln können.“
Wie Bewertungen verletzen
Zurück in meinem leeren Klassenzimmer, schloss ich die Tür hinter mir und sah gedankenlos den Stapel Papiere auf meinem Schreibtisch durch. Tränen traten mir in die Augen. Gefiel ihm überhaupt nichts an meinem Unterricht? Sicher, die Kinder waren etwas wild, aber mir war es lieber, sie begeisterten sich für das Thema, als dass sie komatös auf ihren Plätzen vegetierten. Ich wollte, dass es sie interessierte, worüber sie schrieben, egal ob es an eine Berühmtheit, einen Freund oder jemanden im Parlament war. Was sie schrieben, war doch wohl ebenso wichtig wie die Frage, wie sie schrieben?
Ich sah wieder auf den Stapel unkorrigierter Briefe auf meinem Schreibtisch, nahm meinen roten Stift und legte ihn wieder ab. Ich hatte kein Verlangen, diese Papiere zu benoten. Kein Verlangen zu unterrichten. Kein Verlangen, je wieder einen Fuß in ein Klassenzimmer zu setzen. Ich hörte, wie jemand an die Tür klopfte. Es war Maria, die eine Mappe voll mit Zeichnungen von Schülern trug. „Entschuldige, dass ich dich störe“, sagte sie fröhlich, „aber könnte ich deinen Hefter ausborgen?“
„Sicher.“
„Bist du okay?“, fragte Maria und starrte mich an.
„Ich hatte nur einen harten Nachmittag. Ich weiß nicht … Ich denke mir so langsam, ich hätte lieber ins Büro statt an die Schule gehen sollen.“
„Wie kannst du so was sagen? Du bist eine tolle Lehrerin. Eine der besten! Ich finde, du bist herausragend!“
Ich sah zu Maria auf. Sie lächelte auf mich herab und wartete darauf, dass ich zurücklächelte. Ich schaffte es zu murmeln: „Danke, Maria“, und gab ihr den Hefter.
Kurz nachdem sie gegangen war, kam Jessie herein. „Du siehst aus, als hätte dir jemand in den Magen getreten“, stellte sie fest.
Ich sagte mir, ich sollte mich „professionell“ verhalten und Jessie nicht meine Sorgen aufladen. Aber nach einem Blick in ihr Gesicht, platzte die ganze Geschichte aus mir heraus. Jessie hörte zu und schüttelte mitfühlend den Kopf.
„Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen“, sagte ich unter Tränen, „sagte er, ich sei zu animiert, dass ich meine Klasse nicht unter Kontrolle hätte und dass ich bei Frau Harding beisitzen sollte, um zu sehen, wie ein guter Lehrer unterrichtet.“
„Frau Harding?“, spottete Jessie.
„Er sagte, man könne in ihrem Klassenzimmer eine Stecknadel fallen hören.“
„Das liegt daran, dass die Kinder schlafen.“
„Jessie“, platzte es aus mir heraus, „mach keine Witze. Ich bin am Boden zerstört.“
„Ich weiß … ich weiß. Ich ärgere mich nur, dass du als Ziel für Stahls verzerrte Vorstellung von ‚konstruktiver Kritik‘ herhalten musstest.“
„Maria war gerade da“, schniefte ich, „sie ist so ein Schatz. Sie hat versucht mich aufzumuntern. Hat mir gesagt, ich sei eine tolle Lehrerin.“
„Aber du hast ihr nicht geglaubt.“
„Ich wollte. Aber als sie das sagte, konnte ich nur an die Gelegenheiten denken, als ich nicht so toll war.“
„So scheint es zu laufen“, seufzte Jessie. „Kritik kann einen fertigmachen. Und Lob wie: ‚Du bist toll … fantastisch … großartig ist für jedermann einfach zu viel.“
„Ich weiß. Ich wollte Maria sagen, dass sie ganz im Unrecht sei über mich.“
„Weil es schwer ist, so außergewöhnliches Lob zu akzeptieren. Ist dir einmal aufgefallen, wie unwohl man sich plötzlich fühlt, wenn jemand einen bewertet? Ich weiß, wenn mir jemand sagt, ich sei ‚gut‘ oder ‚hübsch‘ oder ‚schlau‘, kann ich nur noch an die Gelegenheiten denken, bei denen ich schlecht war oder mich hässlich gefühlt oder etwas Dummes getan habe.“
„Genau das ist mir passiert! Als Maria darauf bestand, dass ich ‚die Beste‘ sei, dachte ich an letzten Montag, als ich müde zur Schule kam, schlecht vorbereitet und entsetzt darüber, dass der Direktor mir eine Überraschungsvisite abstatten wollte.“
Jessie lachte laut. „Sie hat es gut gemeint. Die Leute meinen es immer gut, wenn sie dich loben. Sie wissen nur nicht, wie.“
„Was kann man da wissen?“
„Dass man, statt zu bewerten, beschreiben sollte, was jemand getan hat.“
„Es beschreiben?“
„Genau. Man muss beschreiben – detailliert – was genau die Person getan hat.“
„Ich verstehe es nicht. Gib mir ein Beispiel.“
Beschreiben statt bewerten
Jessie sah mich konzentriert an. „Okay“, sagte sie, „Lisa, deine Aufgabe war, deiner Klasse beizubringen, wie man einen formellen Brief schreibt, und du hättest dazu leicht eine Standartstunde abhalten können. Aber du wusstest, dass es Kinder normalerweise nicht unbedingt anmacht, wenn sie von Betreffzeilen und Grußformeln hören. Also hast du über das Thema nachgedacht und dir ist eine Möglichkeit eingefallen, die Fantasie deiner Schüler zu befeuern und sie mit Leidenschaft, einem klaren Ziel und in der korrekten Form schreiben zu lassen.“
Ich richtete mich auf meinem Stuhl auf. „Genau das habe ich getan!“, rief ich aus. „Es hätte leicht eine langweilige Stunde werden können, aber ich habe die Kinder begeistert und involviert. Und sie haben gelernt, wie man einen formellen Brief schreibt … Weißt du was? Es ist mir egal, was irgendjemand sagt. Es war eine sehr gute Stunde.“
„Aha!“, sagte Jessie triumphierend. „Schau, was gerade passiert ist! Ich habe nur beschrieben, was du getan hast, und du hast dich, als du erkannt hast, dass meine Worte zutreffen, selbst gelobt.“
Maria kam mit dem Hefter zurück und entschuldigte sich dafür, uns zu unterbrechen.
„Maria“, sagte ich, „geh nicht. Du musst hören, was mir Jessie über Lob erzählt hat. Ich will wissen, was du dazu denkst. Jessie, bitte sag alles noch mal.“
Jessie ließ sich überreden. Sie erzählte Maria, dass Kinder Schwierigkeiten haben, Lob zu akzeptieren, das sie bewertet. Sie sagte: „Einem Kind zu sagen: ‚Du bist so ordentlich‘, führt normalerweise zu: ‚Stimmt nicht.‘ Aber die Art von Lob, die ein Kind ‚aufnehmen‘ kann und die wirklich sein Selbstbewusstsein aufbaut, kommt in zwei Teilen. Erst beschreibt der Erwachsene, was das Kind getan hat. (‚Ich sehe, ihr seid auf die Schule morgen vorbereitet. Ihr habt eure Hausaufgaben gemacht, eure Bleistifte gespitzt, eure Bücher eingepackt und sogar euer Pausenbrot gemacht.‘) Als Zweites lobt sich das Kind, nachdem es gehört hat, wie seine Leistung beschrieben wird. (‚Ich kann gut organisieren und vorausplanen.‘)
Übertriebenes Lob
Maria sah bekümmert aus. „Ich verstehe nicht“, sagte sie. „Ich weiß nur, dass es nicht gut war, so wie ich es als Kind erlebt habe. Meine Eltern glaubten, dass sie nichts Nettes zu ihren Kindern sagen sollten, weil es ihnen zu Kopf steigen könnte. Aber ich denke, Kinder sollten Komplimente bekommen. Es hilft ihnen dabei, stolz auf sich selbst zu sein. Ich sage Marco und Alina immer, wie gut sie sind und wie schlau sie sind.“
Sehr sanft sagte Jessie: „Du wolltest also, dass deine Kinder etwas bekommen, was du nie hattest.“
Maria schloss die Augen und nickte. „Aber vielleicht übertreibe ich es. Wenn ich Marco sage, wie schlau er ist, sagt er: ‚Raphael ist schlauer.‘ Wenn ich Alina sage, wie gut sie Geige spielen kann, sagt sie: ‚Mama, hör auf damit, mit mir zu prahlen.‘“
„Das ist es, worauf ich hinaus wollte“, sagte Jessie. „Kinder fühlen sich sehr unwohl, wenn sie durch Lob bewertet werden. Sie stoßen es weg. Manchmal benehmen sie sich absichtlich schlecht, um dir das Gegenteil zu beweisen.“
Maria starrte sie an. „Ach du meine Güte“, sagte sie. „Jetzt verstehe ich, was gestern in Herrn Petersons Klasse passiert ist, als ich ausgeholfen habe.“
„Was meinst du?“, fragte ich.
„Dieser Junge, Brian, der alle verrückt macht, saß endlich auf seinem Platz und machte seine Aufgaben fertig. Also klopfte ich ihm auf den Rücken und sagte, er sei ein guter Junge. Ich dachte, das würde ihn dazu motivieren, sich weiterhin anständig zu benehmen. Tat es aber nicht. Er schielte, ließ die Zunge seitlich aus dem Mund hängen und fiel von seinem Stuhl. Ich konnte es nicht verstehen.“
Ich war verwirrt. „Und jetzt schon?“, fragte ich.
„Nun, nach dem, was Jessie gesagt hat, konnte er gar nichts mit meinem Kompliment anfangen. Es machte ihn zu nervös. Er konnte dem nicht gerecht werden. Er musste mir zeigen, dass er nicht wirklich gut war.“
„Aber er war doch gut“, widersprach ich. „In dem Moment jedenfalls.“
„Dann hätte Maria diesen Moment beschreiben können“, sagte Jessie.
„Ja“, stimmte Maria zu. „Vielleicht hätte ich ihm sagen sollen …“
Und so begann eine lange, lebhafte Diskussion zwischen uns dreien. Die Leistungen eines Kindes zu beschreiben, statt sie mit einem einfachen „gut“ oder „schlecht“ zu bewerten, schien schwieriger zu sein, als wir zunächst dachten – nicht weil es schwer war zu beschreiben, sondern weil wir so ungeübt darin waren. Jedoch sobald wir den Dreh mal raus hatten und verstanden, wie man sorgfältig auf die Leistungen eines Kindes blickt und in Worte fasst, was man sieht oder fühlt, fiel es uns immer leichter und bereitete uns mehr und mehr Vergnügen. Auf den nächsten beiden Seiten sehen Sie in Comicform einige der Beispiele, die wir ausgearbeitet haben. Sie zeigen, wie Eltern und Lehrer beschreibendes Lob verwenden können.
Während wir die Beispiele betrachteten, die wir ausgearbeitet hatten, kamen uns viele weiterführende Gedanken, die wir einander mitteilen wollten.
Ich: Beschreibendes Lob ist anstrengend, nicht wahr? Wenn man einem Kind erzählen will, was man sieht oder fühlt, muss man wirklich aufmerksam hinsehen. Es ist viel einfacher zu sagen:„Das ist toll“, oder:„Fantastisch“, oder:„Großartig!“ Für diese Art von Lob muss man nicht einmal nachdenken.
Jessie: Das stimmt. Beschreibendes Lob ist schwieriger und dauert länger, aber schaut euch an, was es dem Kind bringt.
Maria: Ich verstehe, was du meinst, aber wenn ein Kind immer kritisiert wurde und noch nie gelobt wurde, wäre es dann nicht immer noch besser zu hören: „Du bist ein guter Junge“ statt gar nichts?
Jessie: Wenn ein Kind verhungert, ist selbst Zuckerwatte besser als gar nichts. Aber wieso sollte man sich mit so wenig zufrieden geben? Wir wollen unseren Kindern die Art von emotionaler Unterstützung geben, die ihnen hilft, sich zu unabhängig und kreativ denkenden und handelnden Menschen zu entwickeln. Wenn wir sie dazu erziehen, ständig nach der Bestätigung durch andere zu fragen, welche Botschaft vermitteln wir ihnen dann?
Ich: Du kannst deinem eigenen Urteil nicht trauen. Du brauchst immer die Meinung von jemand anderem, um zu wissen, wie du dich machst.
Maria: Das ist keine gute Botschaft, nicht wahr?
Jessie: Nein, weil wir wollen, dass unsere Kinder ihrem eigenen Urteil vertrauen, dass sie genug Selbstbewusstsein haben, sich zu sagen: „Ich bin zufrieden mit meinen Handlungen“, oder: „Ich bin nicht zufrieden damit.“ Und dass sie Korrekturen oder Verbesserungen vornehmen können, die sich auf ihre eigenen Bewertungen stützen.
Kritik richtig einsetzen
An diesem Abend freute ich mich tatsächlich darauf, die Briefe zu lesen und zu korrigieren, die meine Schüler geschrieben hatten. Der erste war eine angenehme Überraschung. Anstelle von „Sehr gut!“, schrieb ich: „Sehr angenehm zu lesen. Klare Einleitungssätze und lebendige Beispiele dafür, wie Dirk Nowitzki dein Leben beeinflusst hat.“ Auch der zweite Brief enttäuschte nicht. Ich schrieb: „Eine sorgfältige Betrachtung der Probleme von Obdachlosen. Ich vermute, der Präsident fände deinen ersten Vorschlag sehr interessant.“
Mir schwoll die Brust vor Stolz auf das hohe schriftstellerische Niveau meiner Schüler, das ich allein auf mein Vermögen als Lehrerin zurückführte. (So viel dazu, Herr Stahl.) Der nächste Aufsatz las sich, als ob er von einem Zweitklässler stammte. Es war Melissas Brief an Emma Watson. Er füllte kaum eine halbe Seite. Ich nahm meinen Rotstift und schrieb: „Schwache Leistung. Keine Adresse. Wo ist das Datum? Rechtschreibung! Inhalt nicht entwickelt.“
Ich sah noch einmal auf meinen großen, roten, wütenden Kommentar und dachte mir: „Wie konnte ich Melissa das antun?“ Das war die Art Kritik, die Herr Stahl an mir übte … Ich steckte fest. Es war nicht schwer, für etwas zu loben, das einem gefiel, aber wie kritisierte man etwas, das einem nicht gefiel? Wie weist man auf die Fehler hin, ohne die kritisierte Person zu entmutigen. Hätte es eine Weise gegeben, auf die Herr Stahl mir gegenüber seine Unzufriedenheit ausdrücken hätte können, ohne mich völlig zu entmutigen?
Ich starrte aus dem Fenster. Vielleicht wenn er mich zuerst für das gelobt hätte, was ich richtig gemacht hatte – so wenig das auch war –, dann hätte ich mir anhören können, was ihn störte, ohne gleich zusammenzubrechen. Vielleicht wenn er etwas gesagt hätte, wie: „Lisa, du hast deine Ziele erreicht. Du hast deine Schüler dazu motiviert, zu lernen, wie man einen Brief schreibt. Die eine Sache, an der man meiner Ansicht nach noch arbeiten sollte, ist, wie man Begeisterung erzeugt und trotzdem die Ordnung aufrechterhält.“
Wenn er das gesagt hätte, hätte ich ihm zuhören können. Mehr noch. Ich hätte ernsthaft darüber nachgedacht, wie ich es in Zukunft verhindern könnte, dass mir die Begeisterung der Kinder außer Kontrolle gerät.
Vielleicht war das der Schlüssel, um Kindern dabei zu helfen, Fortschritte zu machen. Statt uns darauf zu konzentrieren, was falsch ist, sollten wir damit anfangen, anzuerkennen, was ein Kind geschafft hat. Dann können wir darauf hinweisen, was noch getan werden muss.
Okay, was könnte ich jetzt auf Melissas Aufsatz schreiben? Sie hatte gar nichts erreicht. Oder? Ich sah noch einmal genauer hin und wurde fündig.
Ich nahm meinen Radiergummi und machte einen roten Schmierfleck auf Melissas Aufsatz. Dann schrieb ich sorgfältig meinen neuen Kommentar. Ich schrieb:
„Ich mag die Zeile ‚Du bist mir die Liebste unter meinen Liebsten.‘ Ich glaube, Frau Watson würde das auch gefallen. Ich glaube, es würde ihr auch gefallen, wenn du ein Beispiel dafür geben würdest, was genau du an ihr bewunderst. Bitte sieh dir deinen Aufsatz noch einmal durch und überprüfe, ob die unterstrichenen Wörter richtig geschrieben sind und ob die Adresse und das Datum vorhanden sind. Ich freue mich darauf, deinen überarbeiteten Brief zu lesen.“
Es schien mir, dass ich ein wichtiges Prinzip entdeckt hatte. Ja, wir alle, Lehrer und Schüler und Eltern, profitieren davon, einen Außenstehenden mit einem objektiven Blick zu haben, der uns sagt, was wir besser machen können. Aber bevor wir überhaupt darüber nachdenken können, etwas zu ändern, müssen wir daran glauben, dass wir mehr richtig als falsch machen und dass wir die Kraft haben, die Fehler in Zukunft zu vermeiden. Als Hilfestellung, um mir besser vorstellen zu können, wie die Theorie in anderen Situationen funktionieren würde, dachte ich mir zwei realistische Beispiele aus, – eines zu Hause und eines in der Schule:
Während der nächsten Wochen dachte ich viel über Lob und Kritik nach. Herrn Stahls „konstruktive Kritik“ hatte mich verletzt und entmutigt. Marias überbordendes Lob hatte mich nicht überzeugt und in mir ein Gefühl von Wertlosigkeit zurückgelassen. Aber Jessies klare Beschreibung dessen, was ich zu tun versucht hatte, hatte mich aufgebaut, meinen Glauben an mich selbst wieder hergestellt und mir den Antrieb gegeben, es nächstes Mal sogar noch besser zu machen.
Was für ein einfacher und doch erstaunlicher Vorgang! Ich nehme an, was Jessie für mich getan hatte, sollten wir eigentlich alle füreinander tun, während wir uns den Herausforderungen unseres Lebens stellen.
Lehrer brauchen Zuspruch, während sie darum ringen, den Bedürfnissen all ihrer Schüler zu entsprechen.
Eltern brauchen Zuspruch, während sie sich den täglichen Schwierigkeiten der Kindererziehung stellen.
Kinder brauchen Zuspruch, während sie versuchen ihre Welt zu verstehen und ihren Platz darin zu finden.
In meinem perfekten Universum wären wir alle füreinander da und hielten unseren Bemühungen und Erfolgen gegenseitig den Spiegel vor, sodass wir uns alle wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen könnten.
Digitales Wimmelbild hilft bei der Vorbereitung auf den Straßenverkehr
geschrieben von Redakteur | Mai 18, 2021
Kostenloses Angebot ab sofort für alle digitalen Endgeräte verfügbar
Ein Bild mit vielen Informationen. Gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium (BMVI) und der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) ein neues digitales Angebot zur Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr entwickelt. Das interaktive „Kind und Verkehr – Infobild“ richtet sich an Eltern, Erzieherinnen, Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer.
Kostenlos über alle digitalen Endgeräte nutzbar
Das kostenfreie Angebot für alle digitalen Endgeräte macht sich die aus Kinderbüchern bekannte Darstellungsform des Wimmelbildes zunutze. Es lädt ein zu einer unterhaltsamen und informativen Auseinandersetzung mit verschiedenen Situationen im Straßenverkehr.
Spielerisch über Verkehrssicherheit von Kindern informieren
Wie bereite ich mein Kind auf die eigenständige Teilnahme am Straßenverkehr vor? Darf ich mein Kind mit dem Fahrrad auf dem Gehweg begleiten? Wie kann ich ein Baby sicher im Auto befördern? Antworten auf diese und weitere Fragen sind hinter den 17 Szenen zu finden, die auf dem Bild dargestellt sind. Sie thematisieren die zentralen Aspekte der Verkehrsteilnahme von Kindern, zu Fuß, mit dem Fahrrad, im Auto.
Einfache Handhabung, nützliche Tipps und Hinweise per Klick
Durch einen Klick mit dem Cursor lassen sich die einzelnen Szenen vergrößern und dazu gehörende Hintergrundinformationen abrufen. Neben erklärenden Fotos und Filmsequenzen gibt es nützliche Tipps, Hinweise und Links zu Broschüren. So lässt sich mit viel Spaß die komplexe Welt des Straßenverkehrs entdecken.
Zielgruppe
Das Angebot richtet sich an alle, die mit Kindern unterwegs sind und lernen möchten, wie sie die Kinder bestmöglich vor den Gefahren des Straßenverkehrs schützen können. Außerdem bietet das Bild eine optimale Basis zur digitalen Verkehrssicherheitsarbeit in Kitas, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen.
Kind und Verkehr ist ein Programm, das sich an Erwachsene, an Eltern aber auch Betreuerinnen und Betreuer in Kitas und Kindergärten richtet. Es ist vor allem die Aufgabe von Eltern als Autofahrer und als Vorbilder, Kinder im Straßenverkehr vor Schaden zu bewahren.
Kinder müssen sich heute in einer Welt zurechtfinden, die ihnen immer weniger Raum zum Spielen und zum unbeschwerten Austoben gewährt. Im Straßenverkehr werden sie mit Anforderungen konfrontiert, denen sie nicht gewachsen sind. Speziell ausgebildete Moderatoren und Moderatorinnen informieren bei den kostenfreien Veranstaltungen Väter und Mütter, wie sie ihre Kinder gut auf den Straßenverkehr vorbereiten. Ein Modulsystem bietet den Moderierenden die Möglichkeit, gemeinsam mit den Erzieherinnen und Erziehern oder auch direkt mit den Teilnehmenden je nach Interesse individuelle Schwerpunkte zu setzen.
Als Ergänzung zu den Elternveranstaltungen können die Moderierenden, gemeinsam mit den Erzieherinnen und Erziehern Projekte zur Verkehrssicherheit direkt mit den Kindern durchführen.
Über die Veranstaltungen des Programms
Wo findet Kind und Verkehr statt?
Die Veranstaltungen finden ganzjährig statt. Ob ein Moderator oder eine Moderatorin in der Nähe angesiedelt ist, finden Sie auf dieser Karte.
Was kostet die Teilnahme?
Die Teilnahme ist kostenfrei
Kind und Verkehr wird gefördert durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur.
„Kind und Verkehr“ in Ihrer Nähe
Sie sind Erzieher oder Erzieherin und möchte gern Projekte zur Verkehrserziehung durchführen? Vielleicht möchten Sie Eltern auch über das Thema Kind und Verkehr informieren? In der grafischen Übersicht erhalten Sie einen Überblick, wo in Deutschland Moderatoren und Moderatorinnen des Programms Kind und Verkehr ansässig sind.
Kontaktieren Sie sie bitte über das Kontaktformular. Es erscheint, sobald Sie einen Ort auf der Karte ausgewählt haben.
Spielen und Lernen: Spielfähigkeit ist die Voraussetzung für Schulfähigkeit
geschrieben von Redakteur | Mai 18, 2021
Kinder lernen auf vielfältige Weise:
Kinder lernen auf vielfälige Weise: durch Nachahmen, Erproben, Experimentieren, Vergleichen, Wiederholen, Fragen stellen, Antwortsuche, Zuhören, Erzählen, Üben, spontanes Erproben… Wichtig ist dabei weniger eine eindimensionale Handlung sondern vielmehr eine aktive Tätigkeit, die sich aus den unterschiedlichsten Lernmöglichkeiten zusammensetzt. Dabei zieht das Kind immer und immer wieder Erfahrungen aus seinen vielfältigen Handlungen, durch die es in seinen gedanklichen Annahmen bestätigt oder irritiert wird, die es in Erstaunen versetzen, fröhlich oder wütend, ängstlich oder traurig werden lassen, in eine Anspannung oder zur Entspannung führen, durch die es handlungsmotiviert oder handlungsverunsichert wird. Kinder gewinnen auf diese Art und Weise Erkenntnisse und entwickeln Sichtweisen bzw. Einstellungen, entdecken neue Facetten ihrer Talente, bauen durch Versuch und Irrtum unterschiedliche Fähigkeiten auf und entwickeln in zunehmendem Maße Fertigkeiten, die ihnen helfen, ihre eigenen Handlungsimpulse zielgerichtet umzusetzen.
Nun stellt sich die Frage, ob auch das Spiel mit seinen unterschiedlichen Spielformen dazu beiträgt, dass diese o.g. Lernmöglichkeiten aktiviert, unterstützt bzw. auf- und ausgebaut werden.
Seit Rousseau und Fröbel sowie durch vielfältige Forschungsarbeiten in den letzten dreißig Jahren im In- und Ausland ist bekannt, dass das Spiel in einem entscheidenden Maße einen Einfluss auf die Erweiterung des kindlichen Lernpotentials besitzt und damit vielfältige Kompetenzen des Kindes erweitert- angefangen von einer Stabilisierung der Ich-Identität über die Verbesserung der Belastbarkeit bis hin zu einer Erweiterung der sozialen Sensibilisierung. Im Spiel spiegeln sich dabei nicht nur die Seelenstruktur des Kindes und seine Einschätzung seines subjektiv erlebten Selbstbildes wider; vielmehr gibt es durch sein Spielverhalten auch einen Einblick in seine zukünftige Entwicklung! Auf den Punkt gebracht weisen alle bedeutsamen Forschungsergebnisse auf folgende drei Aspekte hin:
Das Spiel
• ist von entscheidender Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes;
• ist der Nährboden für den Auf- und Ausbau außergewöhnlich vieler personaler und schulischer Fertigkeiten;
• erweist sich auch als eine Grundlage für später notwendige berufliche Merkmale.
Aspekte des Spiels
Doch auch wenn diese Erkenntnisse schon lange vorliegen und weitestgehend in der Praxis bekannt sind, erschreckt auf der anderen Seite die Realität damit, dass es zunehmend mehr Kinder und Jugendliche gibt, die bereits kaum noch spielen (können). Wenn das Spiel als eine aus der tiefen Neugierde entstandene, freiwillige, spontane und geplante, lebendige und freudvolle Auseinandersetzung des Kindes mit sich und seiner Umwelt verstanden werden kann, wird deutlich, was dieses Grundverständnis mit den gerade vorgestellten drei Aspekten zu tun hat. Das Spiel trägt immer wieder dazu bei, selbstaktiv zu werden, sich den unbekannten Dingen des Lebens zuzuwenden und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, Lösungsstrategien für Handlungsabsichten zu entwerfen und einzusetzen, Neues zu wagen und bekannte Handlungsmuster zu erweitern, Gewohnheiten und Routine zu überwinden und damit kreative Aspekte in den eigenen Handlungsspielraum zu integrieren. Betrachtet man diese „lebensbedeutsamen Grundleistungen“, dann wird auch an dieser Stelle schon eine Tatsache besonders deutlich: Kinder erwerben im Spiel so genannte „generalisierende Fähigkeiten“ und entwickeln „generalisierende Leistungen“, die als Grundlage für außergewöhnlich viele Fertigkeiten des Menschen notwendig sind. Im Einzelnen sind es folgende Merkmale:
Vernetzungen und Verbindungen herstellen: zwischen unterschiedlichen Dingen kombinieren und koordinieren können;
Zuwendung aufbringen: Interesse, Aufmerksamkeit, Kontakt und Beziehungen zu den Dingen, zu den an einer Tätigkeit beteiligten Personen und den Abläufen herstellen können;
Analysen vornehmen: Situationen, Zustände, Dinge und Personen herauslösen und differenziert betrachten können;
Synthesen bilden: Teile eines Ganzen wieder zusammenfügen und Sinnverbindungen/Zusammenhänge herstellen können;
Vergleiche anstellen: Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwischen Personen, Dingen und Ereignissen erkennen können;
Systematisierungen vornehmen: eine strukturierte, gezielt und aufgebaute Vorgehensweise entwickeln und umsetzen können;
Codierungen verinnerlichen: Gedächtnisleistungen und damit die Merkfähigkeit weiterentwickeln können;
Wahrnehmung erweitern: die Vielfalt der Sinnestüchtigkeit ausformen, sie immer wieder aufs Neue aktivieren und in eine permanente Phase der Präzisierung bringen können;
funktionelle Systeme entwickeln: geeignete Schemata im Bereich der Kognition und der Handlungsvielfalt aufbauen können, um selbst gesetzte oder erwartete Strategien zur Verfügung zu haben;
Regelsysteme erkennen und zu nutzen wissen: einzelne Tätigkeiten aufeinander abstimmen können;
Kreativität entwickeln: bisherige Handlungskonzepte auf ihre Effizienz hin überprüfen und neuartige Strategien entwerfen und ausprobieren können.
Es besteht kein Zweifel darüber, dass sich diese Grundleistungen nicht nacheinander sondern immer in einer Abhängigkeit voneinander entwickeln. Betrachtet man nun diese Zentralfunktionen, wird schnell deutlich, dass sie einerseits in fast allen Spielen zu entdecken sind und gleichzeitig die Grundlage des Lernensbilden. Insoweit überraschen folgende Aussagen zum Spiel in keiner Weise wenn es beispielsweise heißt: Spielen und Lernen bilden eine nicht zu trennende Einheit; oder: Spielen ist Lernen bzw. Lernen ist Spiel.
Das Spiel und seine Bedeutung für den Aufbau einer Schulfähigkeit
Um die inhaltliche Vernetzung des Spiels und seine Bedeutung für den Aufbau einer Schulfähigkeit zu verstehen ist es notwendig, sich etwas ausführlicher dem Bereich und Begriff der „Schulfähigkeit“ zu nähern.
„Und nun beginnt der Ernst des Lebens“ – kaum ein Erwachsener wird sich nicht an diesen Satz erinnern, als er vom Kindergarten bzw. Elternhaus in die Schule kam. Die Bedeutung dieser Aussage schien deutlich auf der Hand zu liegen: die Zeit des Spielens, des „Un-Sinn-Machens“, des Lachens oder einfach die „unbeschwerte Zeit des Kindseins“ war vorbei. Von nun an sollte ein anderer Wind wehen: Kindheit ade und eine Ära der neuen Pflichten sollte beginnen.
Es gibt in der Pädagogischen Psychologie wohl kaum einen Begriff, der seit vielen Jahrzehnten im Feld der Wissenschaft so umstritten und gleichzeitig in der Praxis so kontrovers diskutiert wird wie das Wort „Schulfähigkeit“. Viele Eltern, (elementar)pädagogische Fachkräfte, Schulen, Kinderärzte und Schulärzte haben bestimmte, festgelegte Vorstellungen, was mit diesem Begriff gemeint ist. Viele ErzieherInnen in Kindertagesstätten verbinden aufgrund ihrer persönlich geprägten und richtungorientierten, pädagogischen Sichtweise ebenfalls widersprüchliche Vorstellungen mit diesem Begriff. Auch unter Wissenschaftlern kommt es zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen darüber, welche Verhaltensdispositionen bzw. Merkmale schulpflichtige und gleichzeitig schulfähige Kinder aufweisen sollten, um einen anstehenden Schulbesuch (zumindest einigermaßen) erfolgreich zu meistern. Zusätzlich bringen alte und wieder aktualisierte Forderungen (Beispiel: Einschulung von fünfjährigen Kindern) oder breit angelegte Untersuchungen (Beispiel: TIMMS, PISA 2000, 2003, 2005, IGLU-Daten …) neue Diskussionsimpulse in die Öffentlichkeit und sorgen für weitere Irritationen.
Warum nun diese Vorbemerkung? Weder die PISA-Studien noch übliche, schulinterne Prüfungsverfahren, weder dogmatische Einlassungen und anspruchsvolle Erwartungen sehr leistungsgeprägter Eltern noch hemdsärmelige Forderungen der Politik tragen dazu bei, die Frage nach den Merkmalen einer fachlich begründbaren Schulfähigkeit sachlich zu beantworten. Gefragt ist vielmehr eine sorgsame Betrachtung des Begriffes – ausgerichtet auf relevante wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische, sinnverbundene, nachvollziehbare Notwendigkeiten.
„Das Konzept individueller Unterschiede
Es gab einmal eine Zeit, da hatten die Tiere eine Schule. Das Curriculum bestand aus Rennen, Klettern, Fliegen und Schwimmen, und alle Tiere wurden in allen Fächern unterrichtet. Die Ente war gut im Schwimmen; besser sogar als der Lehrer. Im Fliegen war sie durchschnittlich, aber im Rennen war sie ein besonders hoffnungsloser Fall. Da sie in diesem Fach so schlechte Noten hatte, musste sie nachsitzen und den Schwimmunterricht ausfallen lassen, um das Rennen zu üben. Das tat sie so lange, bis sie auch im Schwimmen nur noch durchschnittlich war. Durchschnittliche Noten waren aber akzeptabel, darum machte sich niemand Gedanken darum, außer: die Ente. Der Adler wurde als Problemschüler angesehen und unnachsichtig und streng gemaßregelt, da er, obwohl er in der Kletterklasse alle anderen darin schlug, darauf bestand, seine eigene Methode anzuwenden. Das Kaninchen war anfänglich im Laufen an der Spitze der Klasse, aber es bekam einen Nervenzusammenbruch und musste von der Schule abgehen wegen des vielen Nachhilfeunterrichts im Schwimmen. Das Eichhörnchen war Klassenbester im Klettern, aber sein Fluglehrer ließ ihn seine Flugstunden am Boden beginnen, anstatt vom Baumwipfel herunter. Es bekam Muskelkater durch Überanstrengung be den Starübungen und immer mehr „Dreien“ im Klettern und „Fünfen“ im Rennen. Die mit Sinn fürs Praktische begabten Präriehunde gaben ihre Jungen zum Dachs in die Lehre, als die Schulbehörde es ablehnte, Buddeln in das Curriculum aufzunehmen. Am Ende des Jahres hielt ein anormaler Aal, der gut schwimmen und etwas rennen, klettern und fliegen konnte, als Schulbester die Schlussansprache.“ (Originalquelle unbekannt)
a) Schulreife – Schulfähigkeit – Schulbereitschaft
Vor einigen Jahrzehnten sprach man durchgängig von „Schulreife“, weil man der festen Überzeugung war, dass Kinder, die einerseits körperlich den so genannten „ersten Gestaltswandel“ abgeschlossen hatten (also die so genannte körperliche Kleinkindform überschritten hatten) und gleichzeitig ein stabiles Körperbild besaßen, automatisch als „schulreif“ angesehen und entsprechend eingestuft werden sollten. Dieses „Konstrukt Schulreife“ stammt aus einer Zeit, in der die gesamten Veränderungen im Zeitfenster Kindheit und Jugend nahezu ausschließlich als „Reifungsphänomene“ verstanden wurden. Dabei ging man von der Annahme aus, dass mit diesem ersten Gestaltswandel auch automatisch die „seelische Entwicklung“ eines Kindes Entwicklungsfortschritte macht. So waren es vor allem H. Hetzer und W. Zeller, die durch ihre Aussagen für diese jahrzehntelange Annahme sorgten. „Denn gerade bei den Aufgaben, die grundsätzlich neue Leistungen und Einstellungen fordern, sind die Unterschiede zwischen den Kleinkindformen und den Schulkindformen erhebliche, während dort, wo die mit zunehmendem Alter zu beobachtende Leistungssteigerung vorwiegend eine quantitative ist, wo der Leistungszuwachs auf zunehmender Erfahrung und Übung beruht, die Unterschiede zwischen den beiden Kindergruppen geringfügig sind. Dem Gestaltswandel entspricht also ein Wandel der seelischen Struktur und die Zusammenhänge zwischen den körperlichen Veränderungen und dem seelischen Anderswerden sind deutlich zu erkennen.“ (Hetzer 1936, S. 21). W. Zeller greift diese Annahme auf und schreibt: „In diesem ersten Gestaltswandel wird auch die seelische Gestalt des Kindes gleichzeitig mit den körperlichen Veränderungen verwandelt. Die kleinkindhafte Seelenstruktur mit ihrem magischen Weltbild und der ganzheitlichen synthetischen Wahrnehmung macht einer neuen seelischen Haltung Platz, deren wesentlicher Grundzug die Fähigkeit zu analysierenden Denkvorgängen ist.“ (Zeller 1952, S. 26) Kinder seien damit in der Lage, beispielsweise analysierend zu denken, systematischer ihre Umgebung wahrzunehmen und konstruktiver an gestellte Aufgaben heranzugehen. Dabei wurde nicht selten diese „Schulreife“ vor allem mit Hilfe der so genannten „Philippinoprobe“ überprüft: das Kind sollte seinen rechten Arm mitten über den Kopf die Hand zum linken Ohr führen. Hinzu kamen dann ein paar Aufgaben, meist durch den Schularzt, den Schulleiter oder eine Lehrkraft, bei denen die Kinder ein überschaubares „Bündel an Fertigkeiten“ aus dem Bereich des Wissens (kognitiver Bereich) und Könnens (motorischer Bereich) unter Beweis stellen sollten. So ging es beispielsweise darum, Bildreihen in systematischer Abfolge zu ordnen (Beweis für logisches Denken), passende Bilder zu erzählten Geschichten zu zeigen (Beweis der Inhaltserfassung), gesehene und dann verdeckte Bilder sprachlich zu beschreiben (Beweis für Gedächtnisleistungen), größere und kleinere Mengen zu unterscheiden (Beweis für ein Mengenverständnis), geometrische Formen zu erkennen und gleichen Formen zuordnen zu können (Beweis der Formerfassung) oder „ein Männchen“ zu malen (Beweis zur Erfassung des Körperschemas). Darüber hinaus wurden Aufgaben gestellt, bei denen Kinder von eins bis zwanzig „richtig“ zählen sollten, den eigenen Vor- und Zunamen schreiben oder ihre Wohnanschrift nennen konnten. Doch schon Mitte der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts hat der „Deutsche Bildungsrat“ von dem Einsatz und Gebrauch solcher „Test“untersuchungen dringend abgeraten! Ebenso haben viele wissenschaftliche Untersuchungen dokumentiert, dass solche o.g. Überprüfungen einer angenommenen „Schulreife“ in keinerlei fachlich berechtigten Art und Weise Aussagekraft bezüglich eines erfolgreichen Schulbesuchs eines Kindes besitzen. Die Gründe sind schnell genannt:
Solche „Testverfahren“ beschränken sich ausschließlich auf den kognitiven und motorisch-körperlichen Bereich und das wiederum nur in einem selektiven Ausschnitt. Seit vielen Jahren weiß man aber, dass sich eine Schulfähigkeit aus weitaus wichtigeren, bedeutsameren Faktoren ableiten lässt.
Eine dialogische, wechselseitige Kommunikationsfähigkeit mit dem Kind kommt bei einer solchen Überprüfung gar nicht zum Tragen.
Basale Fähigkeiten wie Fantasie und Kreativität sind hier nicht nur unerwünscht sondern werden auch als störend erlebt.
Die Ergebnisse der Testverfahren im obigen Sinne waren bzw. sind immer abhängig von dem Aufbau des Prüfverfahrens, der Tagesverfassung eines Kindes, der Beziehungsqualität zwischen testender und der gestesteten Person, von der Sprach- und Aufgabenqualität des Testverfahrens selbst, von dem Raum, in dem das Testverfahren durchgeführt wurde bis hin zu aktuellen Störreizen, die einen subjektiv starken Einfluss auf das Verhalten eines Kindes haben können.
Die Ergebnisse solcher Testverfahren haben eine außergewöhnlich hohe Fehlerquote bezüglich ihrer Aussagerelevanz – je nach Testverfahren bis zu 60%.
Solche Testverfahren konzentrieren die gesamte Aufmerksamkeit auf das Kind. Dabei bleibt die „Beschulungsfähigkeit der entsprechenden Schule“ ebenso außer Acht wie die persönlich-fachliche Kompetenz der Lehrkräfte bzw. alle schulorganisatorischen oder strukturellen Bedingungsgrößen, die die Qualität einer „Bildungs- und Lernatmosphäre“ auszeichnen. So schrieb beispielsweise der „Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen“ schon 1966 in seinem Gutachten und seinen Empfehlungen: „Die Entscheidung darüber, wann ein Kind für die Arbeit in der Schule reif ist, hängt davon ab, wie der Anfangsunterricht in der Schule erteilt wird.“
Testverfahren im o.g. Sinne können weder objektive noch gerechte Aussagen treffen, weil zu viele Ereignisse einen Einfluss auf alle Ergebnisse haben. Solche Testsituationen sind keine „sterilen Testlabors“, wo unter isolierten Bedingungen gearbeitet wird. Aufgrund der in Deutschland weit verbreiteten Testgläubigkeit (bei Eltern, pädagogischen Fachkräften und Ärzten) gibt ein Verfahren allerdings „Autorität und Gewicht“. Alleine diesem Grund „verdankt“ der o.g. „klassische Schulreifetest“ an vielen Orten bis heute seine Existenz – allerdings ohne fachliche Berechtigung oder Aussagekompetenz.
b) Schulfähigkeit – was ist aktuell darunter zu verstehen?
Unter Beachtung zurückliegender und aktueller Forschung zur Schulfähigkeit kann eine Definition in Anlehnung an Prof. Witzlack – die zwar schon älter ist aber dennoch gleichzeitig mit jetzigen Forschungsdaten eine enge Parallelität aufweist – wie folgt aussehen:
„Schulfähigkeit ist die Summe ganz bestimmter Verhaltensmerkmale und Leistungseigenschaften eines Kindes, die es braucht, um im Anfangsunterricht und der weiteren Schulzeit Lernimpulse wahrzunehmen, aufzugreifen und im Sinne einer Lernauseinandersetzung zu nutzen, um persönlichkeitsbildende (im emotionalen, motorischen sowie sozialen Bereich) und inhaltliche Weiterentwicklungen (im kognitiven Bereich) anzunehmen und umzusetzen. Dabei ist Schulfähigkeit als ein vernetzter Teil eines Ganzen zu betrachten: sie ist immer abhängig von den besonderen Rahmenbedingungen einer Schule und den Persönlichkeitsmerkmalen sowie den fachlichen Kompetenzen der dort tätigen Lehrkräfte.“ (vgl. Witzlack, G. in: Krenz, 4. Aufl. 2006, S. 63).
Um diese Definition besser zu verstehen, bedarf es einiger Erklärungen:
Schulfähigkeit umfasst nicht nur einige wenige Kriterien, sondern besteht aus einem ganzen Bündel sehr spezifischer Merkmale.
Schulfähigkeit ist durch ganz bestimmte Merkmale charakterisiert – keine Schule, kein Schularzt kann sie für sich individuell auslegen oder subjektiv interpretieren.
Schulfähigkeit beinhaltet aber nicht nur ganz bestimmte Merkmale sondern auch dem Kind zur Verfügung stehende Leistungseigenschaften, die bekannter Weise für einen weitestgehend erfolgreichen Schulbesuch den Kindern als Verhaltensdispositionen zur Verfügung stehen müssen. Diese werden vor allem durch die häusliche Entwicklungsbegleitung durch die Eltern (vor der Schulzeit) von den Kindern aufgebaut und internalisiert.
Schulfähigkeit ist ein Begriff, der nicht nur eine Bedeutung für das erste Schuljahr besitzt, sondern auch für die weiteren Schuljahre von großer Bedeutung ist. Insofern ist eine Schulfähigkeit mittel- und längerfristig zu betrachten und darf sich nie lediglich auf den Zeitpunkt der Einschulung beziehen.
Schulfähigkeit umfasst grundsätzlich die Fähigkeiten, für Lernreize offen zu sein, Lern(an)reize zuzulassen und diese mit einer persönlichen Wertigkeit und einem subjektiv vorhandenen Interesse zu versehen.
Schulfähigkeit hat sowohl mit einer Wissensorientierung/-erweiterung als auch immer mit einer Persönlichkeitsbildung/-entwicklung zu tun.
Sie bezieht dabei stets die vier „Lernfelder“ eines Menschen ein: den gefühlsorientierten, umgangsgeprägten, handlungsorientierten und wissens-/denkorientierten Bereich.
Schulfähigkeit ist kein „Lernfeld“, das oberflächlich antrainierbar ist, sondern nur dann wirklich vorhanden ist, wenn dieser Bereich sogenannte „persönlichkeitsstabile, verinnerlichte Verhaltensweisen“ beherbergt, die dann in entsprechend geforderten und notwendigen Situationen eingesetzt bzw. umgesetzt werden (können).
Schulfähigkeit ist abhängig von den Rahmenbedingungen, denen das Kind als „lernende, lerninteressierte Person“ ausgesetzt ist. Dazu zählen alle Besonderheiten einer Schule, die Lehrer/innen mit ihren spezifischen, bindungsbedeutsamen Persönlichkeitsmerkmalen und ihrem fachlichen Können, ihr methodisch/didaktisches Know-how, die Klassengröße und die Zusammensetzung einer Schulklasse, die räumlichen Bedingungen sowie die materielle Ausstattung. Gleichzeitig bilden Lerninteresse, Lernfreude, Lernbereitschaft und Lernwille der (angehenden) Schülerinnen und Schülerdie Grundlagen, um sich mit den unterschiedlichen Aufgabenstellungen und Lernherausforderungen beschäftigen zu wollen und aktiv auseinanderzusetzen.
Würde man nun versuchen, die Kompetenzen eines Kindes zu klassifizieren, die notwendig sind, um Leistungsinteresse und Lernmotivation im Unterricht aufzubringen, so ergeben sich 16 Kompetenzmerkmale. Diese können vier Schulfähigkeitsbereichen ohne Schwierigkeit zugeordnet werden.
c) Schulfähigkeitsbereiche und ihre Kompetenztendenzen
In der aktuellen Betrachtung von „Schulfähigkeit“ werden seit einigen Jahren vier Schulfähigkeitsbereiche klassifiziert, wobei ihnen – im Rahmen einer hilfreichen Übersicht sowie einer praktikablen Erfassung – wiederum jeweils vier Kompetenztendenzen der Kinder zugeordnet werden. Diese gilt es, möglichst (zumindest im Ansatz ausgeprägt) schon für die erste Klasse als internalisierte Verhaltensbereitschaft zur Verfügung zu haben.
Schulfähigkeit
emotionale Schulfähigkeit
soziale Schulfähigkeit
motorische Schulfähigkeit
kognitive Schulfähigkeit
Tab. Die vier Schulfähigkeitsbereiche
Basisbereich emotionale Schulfähigkeit: Kinder besitzenBelastbarkeit, um beispielsweise schwierige Aufgaben erfüllen oder auch aktuelle, persönliche Wünsche zurückstellen zu können. Sie können Enttäuschungen ertragen, um kleinere oder größere Misserfolge verkraften zu können oder in der Lage zu sein, an schwierigeren Aufgabenstellungen weiterhin mitzuarbeiten. Sie nehmen neue, unbekannte Situationen und Aufgaben angstfrei wahr, von denen sie vielleicht im ersten Augenblick den Eindruck haben, dass sie unlösbar erscheinen und sie besitzen Zuversicht bzw. Optimismus, um sich selbst und durch ihre eigene Motivation immer wieder in ihrem Lernwunsch zu aktivieren.
Basisbereich soziale Schulfähigkeit: Kinder können zuhören, um beispielsweise Aufgabenstellungen zu verstehen und Arbeitsanforderungen sachgerecht ausführen zu können. Sie fühlen sich auch als Einzelperson in einer Gruppe angesprochen, auch wenn sie nicht persönlich und direkt angesprochen worden sind, sondern beispielsweise eine Aufgabenstellung an die „anonyme Gruppe“ gerichtet wurde. Sie erfassen bedeutsame Regeln, die eine konstruktive Kommunikation in einer Gruppe möglich werden lassen und sind in der Lage, ein überwiegend konstruktives Konfliktlöseverhalten bei persönlichen oder sozial geprägten Irritationen zu zeigen.
Basisbereich motorische Schulfähigkeit: Kinder besitzen eine grundständige, flüssige viso-motorische Koordination (Finger- und Handgeschicklichkeit), um koordinierte Schreib-/Zeichenbewegungen ausführen zu können; sie besitzen Eigeninitiative, um beispielsweise selbsttätig entsprechende Arbeitsaufgaben zu übernehmen und sie können Belastungen weitgehend selbständig und selbstaktiv verändern, um bestehenden Anforderungen nachkommen zu können. Sie besitzen eine Gleichgewichts-, taktile und kinästhetische Wahrnehmung, um aus ihrer Innenwahrnehmung eine Konzentration auf ihre Außenwahrnehmung zu richten und zu steuern.
Basisbereich kognitive Schulfähigkeit: Hierzu gehört es, dass Kinder ein gewisses Maß an Konzentrationsfertigkeit, Ausdauer und Aufmerksamkeit aufweisen können, um ihr Lern- und Arbeitsinteresse möglichst zielgerichtet fokussieren zu können. Sie verfügen über ein ausgeprägtes auditives Kurzzeitgedächtnis, eine auditive Merkfertigkeit und ein visuelles Gedächtnis, das ihnen helfen wird, zurückliegende Ereignisse und aktuelle Anforderungen/Erkenntnisse mit aktuellen Erwartungen und Erfordernissen zu verbinden. Sie zeigen Neugierdeverhalten und Lerninteresse, um immer wieder aufs Neue möglichst selbstmotiviert eine Aufgabenstellung zu erledigen und sie sind in der Lage, ein folgerichtiges Denken an den Tag zu legen bzw. Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, um logische Zusammenhänge nachvollziehen, übertragen und selbst ableiten/herstellen zu können.
Bei allen sechzehn Kompetenztendenzen geht es nicht darum, dass ein Kind in allen Merkmalsbereichen eine hundert prozentige Erfüllung unter Beweis stellt. Vielmehr geht es – wie der Begriff selbst schon zum Ausdruck bringt – um eine grundsätzliche Existenz dieser Aspekte! In letzter Zeit wird dementsprechend der Begriff >SCHULBEREITSCHAFT< immer stärker unter Fachleuten genutzt, um einerseits eine grundsätzliche Bereitschaft der schulpflichtigen Kinder anzunehmen und andererseits Ausgrenzungen von Kindern zu vermeiden (Stichwort: Inklusion). Wenn Kinder – im Sinne einer Skalierung – diese Kompetenztendenzen „eher häufig oder überwiegend“ in Alltagssituationen zeigen, so ist davon auszugehen, dass sie damit so genannte basale Qualitäten im Sinne einer vorhandenen Schulfähigkeit besitzen. Erst wenn mehrere Merkmale dieser Kompetenztendenzen kaum oder gar nicht ausgeprägt sind, ist voraussagbar, dass Kinder sowohl schon zum Schulstart als auch mit sehr hoher Wahrscheinlich in der weiteren Schulzeit Lernschwierigkeiten haben werden.
In diesem Zusammenhang sei eine weitere, wichtige Anmerkung gestattet. In einigen Bundesländern (z.B. in Bayern und NRW) wird inzwischen auch der Stichtag für die Einschulung schrittweise vorgezogen (ab Schuljahr 2007/2008): vom bisher üblichen 30. Juni eines jeden Jahres auf den 31. Dezember ab 2014/15, wobei pro Schuljahr der Einschulungsstichtag um einen Monat vorverlegt wird. Damit soll erreicht werden, dass schließlich eine Einschulung mit fünf Jahren erfolgen wird. Diese (politisch gesetzte) Tatsache widerspricht allerdings diametral allen ernst zu nehmenden, wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, die bisher in Deutschland vorliegen. Angefangen von dem achtjährigen „Kindergarten-Vorklasse-Versuch“ des Landes NRW (1970–1977), der schon damals als versuchsweise Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bildungsrates von 1970 zur Vorverlegung des Schuleintrittalters gedacht war bis hin zu den Ergebnissen einer Analyse der IGLU-Daten (November 2005, vorgestellt von P. Puhani und A. Weber, beide TU Darmstadt) unter dem Aspekt „Früheinschulung/Späteinschulung“. Die Ergebnisse beider Studien bringen eindeutige Daten zutage:
Kinder, die vor Vollendung ihres sechsten Lebensjahres eingeschult wurden, weisen im vierten Schuljahr in den IGLU-Aufgaben deutlich schlechtere Leistungsergebnisse auf als spät eingeschulte Kinder.
Früheinschulung widerspricht damit der Erwartung, dass durch die vorgezogene Einschulung ein Zeitjahr gewonnen wird. Im Gegenteil: die Gefahr ist außergewöhnlich hoch, dass dadurch bei vielen Kindern das Gegenteil des Erwünschten erreicht wird.
Früheingeschulte Kinder weisen sich besonders häufig durch eine fehlende Konzentrationsfertigkeit, mangelnde Belastbarkeit und Frustrationstoleranz sowie fehlende Selbstorganisation aus. Im Übrigen erfolgt in Finnland, dem „Pisa-Sieger“, die Einschulung erst mit sieben Jahren.
„Kleine Kinder und überhaupt Kinder vor der Schulfähigkeit sollen noch nicht ge-, nicht beschult, sondern sollen entwickelt werden. Nur die Einseitigkeit und Halbheit schuf Kleinkinderschulen‘, welche ein Widerspruch mit der Kindernatur sind.“aus einem Brief Friedrich Fröbels an Ida Seele
d) Fazit
Schulfähigkeit ist damit nicht das Ergebnis einer immer früher angesetzten kognitiven Förderung eines Kindes sondern vielmehr das Ergebnis einer stabilen Gesamtpersönlichkeitsentwicklung von Kindern, ausgestattet mit einem gut und sicher ausgeprägten Selbstwertgefühl. Weder vorverlegte „Kader(vor)schulen einer bildungsoffensiven Frühförderpädagogik“ noch „schulvorgezogene, kognitionsfokussierte Trainingseinheiten im Kindergarten“ können eine Schulfähigkeit mit nachhaltigen Tendenzen fördern. Genau das Gegenteil ist der Fall. Es gibt von Jahr zu Jahr eine steigende Tendenz von gut begabten Schulversagern. Dabei haben Kinder und Jugendliche mit einem gut ausgeprägten Intelligenzquotienten massive Schulschwierigkeiten, weil die drei anderen Schulfähigkeitsbereiche – und hier insbesondere im emotionalen und sozialen Kompetenzbereich – größere bzw. große Defizite aufweisen. Allzu lange wurde (und wird bis heute) der Begriff „Schulfähigkeit“ mit dem Begriff „Intelligenz“ gleichgesetzt bzw. verwechselt. Um es mit einer einfachen Analogie auszudrücken: Intelligenz ist wie der Besitz eines Fahrrades – der Besitz eines Rades gibt aber noch keine Auskunft darüber, ob der Radbesitzer auch Rad fahren kann. Letzteres meint Schulfähigkeit. Vieles zu wissen heißt nicht, automatisch Vieles zu können.
Gerade in der heutigen Zeit braucht eine Industriegesellschaft wie Deutschland Querdenker und Menschen, die mit viel Eigeninitiative und in Kenntnis ihrer besonderen Begabungen (Qualitäten) Lebens- und Arbeitsanforderungen erkennen und selbstaktiv gestalten, Menschen, die Bildungswagnisse eingehen und kreative Möglichkeiten suchen bzw. finden, ihren Lebens- und Berufsweg selbstverantwortlich und sozial verträglich zu gestalten. Menschen, die innovative Problemlösungsmöglichkeiten entdecken und perspektivorientiert handeln. All das sind Herausforderungen der Gegenwart und in noch stärkerem Maße Handlungsnotwendigkeiten in der Zukunft.
Um diesem gesellschaftlich notwendigen und politisch sehr bedeutsamen Aspekt entgegenzukommen, brauchen Kinder und Jugendliche eine lebendige und konstruktiv ausgerichtete Kommunikations-, Umgangs-, Konflikt-, Freizeit- und Sprachkultur, die sie schon im Elternhaus erleben. Gleichzeitig brauchen Kinder dafür eine entdeckungsorientierte, spannende, lebensbezogene und aktive Elementar- und Schulpädagogik, in der die Fülle der unterschiedlichen Spielformen und Aktionsprojekte Tag für Tag erfahren und erlebt werden kann. Nur so zeigen sich Elternhäuser, Kindertagesstätten und später auch die Schulen als „Orte für Entdecker, Tüftler und Forscher“ in bester Qualität im Sinne eines Auf- und Ausbaus von Schulfähigkeit/Schulbereitschaft. So lernen Kinder „nebenbei“ (= concomitant learning) ihr Leben kennen, entdecken ihre vielfältigen Potenziale und Begabungen, entwickeln Lern- und Handlungsstrategien und erfahren gleichzeitig „nebenbei“ eine erfüllte, glückliche Kindheit.
Es besteht eine enge und nicht zu trennende Verbindung zwischen der Spielfähigkeit eines Kindes und seiner Schulfähigkeit. Ingrid Pramling Samuelsson, Inhaberin des Lehrstuhls für frühkindliche Erziehung an der schwedischen Universität Göteborg, bezeichnet das Spiel als zentralen Faktor in unserem Leben. Sie hebt immer wieder hervor, dass die Entwicklungsmöglichkeiten eines Kindes in seiner frühen Entwicklungszeit immens seien und dabei statte die unerschöpfliche Vielfalt des Spielens die Kinder mit einem Reaktionsmuster aus, das seine zukünftige Erlebnis- und Gestaltungswelt entscheidend beeinflussen werde. Doch so bahnbrechend neu ist ihre Erkenntnis nicht.
Schon in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts konnte die Psychologin Monika Keller mit ihren weithin bekannten Untersuchungen belegen, dass bedeutsame kognitive Fähigkeiten wie der Erwerb und die zielgerichtete Nutzung von Begriffen und Wissen, der Aufbau von Strategien zur zielgerichteten Betrachtung und Lösung von Problemen, ein faktenorientiertes, schlussfolgerndes und logisches Denken sowie der sorgsame Umgang mit der Sprache als ein wesentliches Medium zur konstruktiven Kommunikation sich auch und gerade in Interaktionssituationen vollziehen, die nicht auf kognitive Lernziele ausgerichtet sind. Und hier sind als Beispiele die vielfältigen Spielformen als solche Interaktionssituationen zu nennen. Sie stieß in ihren empirischen Untersuchungen (1970-1978) vor allem auf die Tatsache, dass Kinder, die viel spielten, ein ausgeprägtes Maß an „Aufmerksamkeit, Konzentrationsfertigkeit, Wahrnehmungs- und Beobachtungsfertigkeit sowie einer analytischer Wahrnehmung“ aufwiesen.
Diese Kinder zeigten darüber hinaus einen konstruktiven Problemlösestil, ein angemessenes reaktionsschnelles Handeln und eine gewissenhafte Planung bei schwierigen Aufgabenstellungen, ein vorausschauendes Denken und vor allem Anstrengungsbereitschaft. Das Spiel ist damit nicht nur eine kindertypische Ausdrucksform sondern vielmehr auch ein „indirekter, direkter Weg“ zum Aufbau und zur Verbesserung einer Schulfähigkeit! So zeigte sich beispielsweise auch in dem Modellversuch „Wiener Spielprojekt“, der von der Psychologin Waltraud Hartmann (Universität Wien und Leiterin des Charlotte-Bühler-Instituts für praxisorientierte Kindheitsforschung) geleitet wurde, dass durch das „freie Spiel “ ein fließender Übergang vom Kindergarten zur Grundschule geschaffen werden sollte, um Kindern mit Schulschwierigkeiten effektiv zu helfen. Die Wissenschaftlerin interessierte sich dabei weniger für die Schulleistungen der Kinder als vielmehr für deren Persönlichkeitsentwicklung, weil sie davon ausging, dass das Spiel innerlich motiviert ist und den Kindern vor allem hilft, eigene Gefühle nach außen zu tragen. Dies sah sie als eine Voraussetzung dafür an, dass Kinder in einem erholten und entspannten Zustand besonders gut lernen.
So wurden über den ganzen Schulvormittag bestimmte Spielzeiten verteilt. Freie Spielphasen vor dem Unterrichtsbeginn, in den Pausen und während des Unterrichts – außerdem wurden Spiele zur Veranschaulichung und Differenzierung von Themenbereichen und im Förderunterricht angeboten. Obgleich das Spielprojekt zunächst nur für die erste Klasse gedacht war wurde es wegen der positiven Auswirkungen auf das Lern- und Leistungsverhalten der Kinder und aufgrund der angenehmen Erfahrungen der Lehrkräfte bis zur vierten Klasse fortgesetzt. Außenstehende Skeptiker bezweifelten dennoch immer wieder, ob die „Spielprojektkinder“ auch genügend lernen würden. So wurden regelmäßig vergleichende Leistungstest mit diesen Kindern und einer Kontrollgruppe durchgeführt.
Das Ergebnis war eindeutig: die „Spielprojektkinder“ zeigten im Vergleich zur Kontrollgruppe erstens eine größere Schulzufriedenheit, zweitens mehr Pflichteifer und drittens ein hochsignifikant besseres Ergebnis bezüglich eines divergenten Denkens! Außerdem konnten bei den Kindern im sozialen Bereich positive Effekte beobachtet werden und zusätzlich zeigten die „Spielprojektkinder“ keinen Leistungsabfall zur Kontrollgruppe. Eine spätere Nachuntersuchung der Kinder in der neunten Klasse ergab sogar, dass die ehemaligen „Spielprojektkinder“ weiterhin sprachlich kreativer waren. In Deutschland führte der Erziehungswissenschaftler Hanns Petillon von der Universität Landau von 1992 – 1996 an sechs Grundschulen in Rheinland-Pfalz ein ähnliches Projekt mit dem Konzeptschwerpunkt „Lern- und Spielschule“ durch, mit dem Ergebnis, dass die Leistungs-, Kreativitäts- und Persönlichkeitsentwicklung ähnlich positiv verlief wie bei dem Wiener Projekt.
Was hier jedoch zusätzlich in besonders starkem Maße auffiel: die Kinder zeigten ganz besonders hohe Werte im sozialen Bereich. So nahmen die Ausgrenzung anderer Kinder und ein aggressives Verhalten deutlich ab. Das deutlich geringere Aggressionspotenzial wirkte sich zusätzlich lernfördernd auf die gesamte Gruppe aus und die Kinder verglichen ihre gezeigten Leistungen weniger mit denen anderer Kinder sondern legten den Vergleichsmaßstab vielmehr an den bewältigten Aufgaben selbst an.
Bedingungen zur Förderung des Spiels
Wenn das Spiel des Kindes als eine grundlegende Haupttätigkeit seines Lebens gesehen und als solche auch eingestuft werden muss, dann ist es erforderlich, dass Kinder auch entsprechende Spielbedingungen erhalten, um entsprechende Entwicklungsprozesse auf- und auszubauen. Entsprechend der Beschaffenheit dieser Bedingungen wird das Spielverhalten von Kindern eher gefördert oder behindert– schlimmstenfalls unterbunden. Gleichzeitig ermöglichen oder verhindern die vorhandenen Spielbedingungen die vielfältigen Spielformen, die jede für sich ganz spezifische Lernerfahrungen initiiert und in einen weiteren Gestaltungsprozess führt. Grundsätzlich zählen zu den wesentlichen Spielbedingungen die Merkmale Zeit, Platz, Materialien, Mitspieler/innen, Entscheidungsfreiheit und Ruhe(vgl. Baer 1981, S. 39 ff.).
Zeit:Je jünger die Kinder sind, desto intensiver sind sie ganz in ihr Spiel vertieft. Beobachtungen haben ergeben, dass kleine Kinder bis zu neun Stunden am Tag spielen, wenn man ihnen die Möglichkeit dafür einräumt. Spielen ist die Zeit, die frei von äußeren Erwartungen oder Verpflichtungen ist und sie ist für Kinder immer ausgefüllt. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie auch tatsächlich – von einer Außensicht betrachtet – immer „aktiv“ sind. Das Spielen ist durch Tätigkeiten und zurückgezogene Beobachtungen, wildes Agieren und stummes Betrachten, Gespräche mit anderen und eine innere Zwiesprache mit sich selbst gekennzeichnet, in denen das Kind seinem subjektiven Spielerlebnis nachgeht. Unterbrechungen oder Zeitabbrüche stören diesen Ereignisprozess ganz erheblich.
Platz: Zunächst nutzen kleinere Kinder ihren unmittelbaren Lebensraum für ihre Spielaktivitäten. Solange sie noch im Kinderwagen oder im „Laufstall“ sind und noch nicht den freien Gang beherrschen, fixieren sie sich auf ihre eigene, kleine Spielfläche. Mit zunehmendem Alter richten sie ihre ganze Aufmerksamkeit allerdings auch auf ihr gesamtes, weiteres Umfeld. So werden alle Räume der Wohnung, der eigene Garten und/oder öffentliche Rasen- und Spielflächen, öffentliche Plätze, Wiesen und Wälder, die Wohnungen ihrer Spielkameraden und alle zur Verfügung stehenden Flächen zu ihrem Spielplatz, den sie nach eigenen Vorstellungen und Möglichkeiten (um)-gestalten und nutzen. Angesichts der Tatsache, dass alle Spielräume ihren eigenen Charakter und ihre eigenen Besonderheiten besitzen ist es notwendig, dass Kinder diese unterschiedlichen Spielorte kennen lernen, nutzen und damit vielfältigste Erfahrungen in abwechslungsreicher Umgebung und großzügiger Vielfalt machen können. Es bleibt nicht aus, dass Kinder aufgrund eigener Spielvorstellungen andere Maßstäbe an Ordnung oder Sauberkeit anlegen als Erwachsene! Sie sollten daher darauf achten, das Spiel der Kinder nicht durch einengende Regeln oder normativ geprägte Erwartungen einzuschränken, unattraktiv werden zu lassen oder gar zu unterbinden.
Materialien:So vielfältig die Spielformen und Ausdrucksmöglichkeiten der Kinder sind so vielfältig sind ihre Spielmaterialien. Ob es der eigene Körper ist (mimisches Ausdrucksspiel) oder ob es die unterschiedlichen Materialen zum Bauen und Werken sind, die zur Herstellung von Spielgegenständen benötigt werden, ob es Verkleidungsutensilien für das Rollenspiel oder Bäume und große Steine sind, die zu Kletter- und Fangspielen einladen, ob ein unübersichtliches Gelände zum Versteckspiel dient oder Zelte und Höhlen als Burgen umgedeutet werden, ausgediente Elektrogeräte zum Zerlegen als Fundus für Experimentierspiele benötigt werden oder – selbst entwickelte – Musikinstrumente die Fantasie anregen, Stifte und Farben zum Malen oder zur endgültigen Gestaltung von Kulissen eingesetzt werden – immer sind es vielfältigste und sehr unterschiedliche Dinge, die das Spiel reichhaltiger werden lassen. Bei allen Materialien geht es aber nicht in erster Linie um fertige Spielmittel – vielmehr müssen die Materialien auch immer wieder entgegen ihrer funktionalen Bestimmung zweckentfremdet werden können und veränderbar sein, Neugierde provozieren und die Fantasie des spielenden Kindes anregen. (Anmerkung: Im klassischen Verständnis des Spiels sind daher „Spiele“ auf dem Gameboy oder PC-„Spiele“ Beschäftigungen und keine Spiele!) Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts entstand in einem Suchtarbeitskreis in Oberbayern die pädagogische Idee des so genannten „spielzeugfreien Kindergartens“ mit den intendierten Zielen, dass Kinder weniger Konsumabhängigkeit entwickeln (indem sie lernen sollten, Langeweile und Frustration auszuhalten), mehr Kreativität aufbauen, mehr Lebenskompetenzen zeigen (indem sie die Erfahrung machen müssen, mehr miteinander zu reden und zu agieren) und vor allem, dass dies der „Suchtprophylaxe“ dienlich sei. Kinder könnten im Sinne einer Vermeidungsstrategie nicht mehr zum Spielzeug „flüchten“ und wären damit später weniger anfällig für Süchte aller Art. Dr. Hans Mogel, Psychologieprofessor an der Universität Passau, sagt dazu Folgendes: […] „Kindern kein Spielzeug zu geben ist Spielzeugdeprivation. Das ist eine Form von Kindesmisshandlung. Deprivation geht auf Kosten des Erlebens von Geborgenheit und der Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls. […] Wenn Kinder die Realität unserer modernen Gesellschaft bewältigen sollen, dann brauchen sie auch Spielzeug, welches diese Gesellschaft widerspiegelt. […] Die Kindergärten können auf teures Modespielzeug durchaus verzichten, aber Puppen, Klötzchen und Bausteine sollten sie auf jeden Fall behalten.“ (H. Mogel. In: Focus Nr. 27/1997, S. 152). Thomas Dannenberg, Diplompsychologie, äußert sich in dem gleichen Beitrag unter der Überschrift „Versuchskaninchen Kind“ so: „Ein Teil der Kinder reagiert mit Stress und Ängstlichkeit auf das Chaos im spielzeugfreien Kindergarten“ (S. 151) und Dr. Hans- Rudolf Becher, Pädagogikprofessor an der Universität zu Köln kommt zu dem Schluss: „Der Wechsel zwischen Phasen mit Spielzeug und ohne Spielzeug ist an sich sehr sinnvoll – aber Spielzeug über einen festen Zeitraum zu verbieten ist ein unpädagogisches Zwangsmittel. Man sollte nicht neben der Welt her erziehen.“ (S. 153).
Mitspieler/innen: Da das Spiel – je nach Spielform und Absicht des Kindes – sehr unterschiedliche Funktionen besitzt, ermöglicht es der spielenden Person, entweder mit sich alleine und dem Spiel zu kommunizieren o d e r mit sich, dem Spiel und anderen Menschen (Gleichaltrigen, älteren und jüngeren Kindern, Eltern, Großeltern, Nachbarschaftskindern oder ErzieherInnen) zu interagieren. So kann das Kind in diesen Spielsituationen Erlebnisse, Erfahrungen und (Sinnes)Eindrücke verarbeiten, zukünftige, für das Kind bedeutsame Situationen kognitiv bzw. emotional ordnen oder „einfach nur“ mit Freude eine Spielhandlung erleben. Doch bei allen Spielerlebnissen gibt es einen „roten Faden“: das Spiel unterstützt das Kind dabei, seine eigene Identität zu finden bzw. zu stabilisieren bzw. seine soziale Kompetenz zu erweitern. Und hierbei bekommt es Hilfe und Anregungen durch seine Mitspieler/innen. Sie sind es, die durch ihre Spielimpulse neue Aspekte in ein Spiel hineintragen und so dafür sorgen, dass das spielende Kind zu neuen, inneren Auseinandersetzungen finden kann.
Entscheidungsfreiheit: Da jedes Spiel aus seiner „Zweckfreiheit“ heraus lebt und sich durch sich selbst zum Umgang mit den Spielmaterialien bzw. Mitspieler/innen auffordert, gewinnt jedes Spiel für Kinder nur dadurch einen (An)Reiz, wenn es für das Kind motivierende Merkmale enthält. So lebt das Spiel in erster Linie aus der kindeigenen Freude daran, sich auf die Spielhandlung selbst einlassen zu wollen. In der Praxis ist häufig zu beobachten, dass immer wieder zwischen „sinnvollen“ (konstruktiven) und „sinnlosen“ (destruktiven) Spielen unterschieden wird. Eine solche Differenzierung ist weder fachdidaktisch noch entwicklungspsychologisch haltbar, weil jedes Kinderspiel sinnvoll und damit entwicklungsbedeutsam ist. Gerade so genannte „didaktisierte Spiele“ bieten kaum die Möglichkeit, eigenen Fantasien und kreativen Gestaltungsmöglichkeiten nachgehen zu können. Wo dann durch Erwachsene entsprechende Spielreglementierungen folgen oder gar disziplinierend auf Kinder eingewirkt werden soll, ist der Sinn eines Spiels im originären Sinne nicht mehr vorhanden.
Ruhe: Auch wenn es bei den unterschiedlichsten Spielformen häufig lebendig und laut zugeht, brauchen Kinder Ruhe, um sich weitestgehend ungestört in ihren Spielsituationen wohl fühlen zu können. Nahezu jedes Spiel ist durch einen Spielaufbau gekennzeichnet – so gibt es einen Einstieg, eine intensive Hauptphase und einen Abschluss. Störungen von außen würden dabei diese Struktur unterbrechen und für Kinder durcheinander bringen. Mögen manche „Ratschläge“ der Erwachsenen auch noch so gut gemeint sein, ein Spiel so oder so zu gestalten, ändert dies nichts an der Tatsache, dass Spielaufläufe dadurch eine andere Wendung als vom Kind beabsichtigt bekommen. Damit kann sich ein Kind aber nicht mehr in sein Spiel fallenlassen.
Aufgrund dieser hohen Bedeutung des Spiels für die Entwicklung der Kinder ergeben sich viele Fragen, mit denen sich (sozial)pädagogische Fachkräfte auseinandersetzen müssen.
Fragen, die die eigene Person betreffen:
Wird dem Auf- und Ausbau der eigenen Spielfähigkeit ein hoher Wert beigemessen und auf welche Art und Weise wurde bisher die eigene Spielfähigkeit erweitert?
Welche Rolle nehme ich in den unterschiedlichen Spielformen ein? Trete ich in der Regel als Mitspieler/in, Spielunterbrecher/in, Spielentwickler/in, Spielinitiator/in, Spielverderber/in oder Spielbeobachter/in auf?
Welche Spielformen machen mir am meisten Freude und warum?
Mit welchen Spielformen habe ich persönlich am meisten Schwierigkeiten und warum?
Wirke ich in der Spielzeit der Kinder als Spielvorbild und biete ich mich damit immer wieder als Spielmodell an?
Welche Vorstellungen von „Spielregeln“ habe ich während des Spiels der Kinder/mit Kindern und inwieweit sind sie dazu geeignet, das Spielverhalten der Kinder im Hinblick auf „Kreativität und Fantasie, Selbstständigkeitsentwicklung und Autonomie“ entscheidend zu unterstützen?
Fragen, die die Spielpraxis direkt betreffen:
Welche Spielformen wurden bisher in der Praxis ausreichend bzw. zu wenig initiiert und berücksichtigt?
Gibt es Spielformen, die in der Vergangenheit völlig ausgeblendet wurden?
Wird den Kindern genügend Zeit und Raum zur Verfügung gestellt, um das Spiel in seiner Vielfalt zu entdecken und zu erleben?
Sind die räumlichen und strukturellen Rahmenbedingungen in der Einrichtung dazu geeignet, das Spielverhalten der Kinder anzuregen und zu unterstützen?
Stehen den Kinder ausreichend attraktive Spielmittel zur Verfügung?
Legen die vorhandenen Spielmittel (im Innen- und Außenbereich der Einrichtung) durch ihren Aufbau und ihre Struktur den Spielablauf fest oder bieten sie ausreichende Möglichkeiten zur Selbstgestaltung und Veränderung?
Welche Regeln und Vorgaben gibt es, die das Spielverhalten der Kinder aktivieren und welche Regeln oder normativen Einflüsse sind dazu geeignet, das Spielverhalten der Kinder einzuschränken?
Wenn „Spielen der Urgrund der Entwicklung ist“ (Renz-Polster, 2013, S. 159) und in bundesdeutschen Kindergärten aufgrund der verschulten Bildungsmaschinerie das Spielen immer mehr ins Abseits gedrängt wird, dann – so Renz-Polster – „müssen sich nicht etwa die Erzieherinnen rechtfertigen, die Kinder frei spielen lassen, sondern diejenigen, die dies nicht tun.“ (2013, S. 210).
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Im Frühjahr haben die SchülerInnen weniger gelernt
geschrieben von Redakteur | Mai 18, 2021
Info-Institut: Kinder haben nur 4,3 Stunden am Tag mit schulischen Tätigkeiten verbracht
Die deutschen Schulkinder haben im Corona-Lockdown Anfang 2021 im Schnitt nur 4,3 Stunden am Tag mit schulischen Tätigkeiten verbracht. Das ist zwar eine knappe Dreiviertelstunde mehr als während der ersten Schulschließungen im Frühjahr 2020. Aber immer noch drei Stunden weniger als an einem üblichen Schultag vor Corona. Das geht aus einer Befragung des ifo Instituts unter 2122 Eltern hervor.
Extreme Belastung für die Lernentwicklung
„Besonders bedenklich ist, dass 23 Prozent der Kinder sich nicht mehr als zwei Stunden am Tag mit der Schule beschäftigt haben“, sagt der Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik, Ludger Wößmann. „Die Coronakrise ist eine extreme Belastung für die Lernentwicklung und die soziale Situation vieler Kinder.“
Die Schulkinder haben täglich mehr Zeit mit Fernsehen, Computerspielen und Handy (4,6 Stunden) verbracht als mit dem Lernen für die Schule. 26 Prozent der Schüler*innen hatten täglich gemeinsamen Unterricht für die ganze Klasse, zum Beispiel per Video. Aber 39 Prozent hatten dies nur maximal einmal pro Woche. 56 Prozent der Eltern denken, dass ihr Kind pro Stunde zu Hause weniger lernt als im regulären Unterricht in der Schule, 22 Prozent sind vom Gegenteil überzeugt. 21 Prozent der Schüler*innen nahmen seit den ersten Schließungen an Maßnahmen wie Förder- oder Nachhilfeunterricht oder Ferienkursen teil.
Und natürlich fehlen die FreundInnen
Leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler sowie Nicht-Akademikerkinder haben zu Hause deutlich weniger effektiv und konzentriert gelernt. Die große Mehrzahl der Schulkinder hat zu Hause Zugang zu Computer und Internet. Für die Hälfte der Kinder aber war die Situation während der Schulschließungen eine große psychische Belastung – deutlich mehr als während der ersten Schließungen (38 Prozent). Ein knappes Drittel (31 Prozent der Eltern berichten, ihr Kind habe während der Corona-Pandemie wegen Bewegungsmangel an Körpergewicht zugenommen. Für 76 Prozent der Kinder war es eine große Belastung, nicht wie gewohnt Freunde treffen zu können. Aber es gibt auch positive Aspekte: Die Mehrheit der Eltern gibt an, dass ihr Kind durch die Schulschließungen gelernt hat, sich eigenständig Unterrichtsstoff zu erarbeiten (56 Prozent) und mit digitalen Techniken besser umzugehen (66 Prozent).
Quelle: Ifo-Institut
„Kinderrechte müssen immer und überall Maßstab sein“
geschrieben von Redakteur | Mai 18, 2021
Deutsches Kinderhilfswerk stellt massive Defizite in vielen Einrichtungen fest:
Das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) beklagt deutliche Defizite in der Verankerung von Kinderrechten in den rechtlichen und programmatischen Rahmengebungen für den schulischen Hort- und Ganztagsbereich. Das betrifft aus Sicht der Kinderrechtsorganisation auch weitere zentrale Aspekte ganzheitlicher Demokratiebildung, wie Partizipation, Inklusion und Schutz vor Diskriminierung.
Eine dazu vorgelegte Analyse des DKHW der Schul- und Kitagesetze sowie Bildungs- und Rahmenlehrpläne zeigt auf, dass es im Bundesländervergleich eine große Heterogenität insbesondere hinsichtlich des Stellenwerts von Kinderrechten und Demokratiebildung gibt. So fehlen einheitliche Vorgaben und ein verbindlicher Orientierungsrahmen für die pädagogische Praxis in Hort und Ganztag. Ein besonders großer Bedarf zeigt sich an der Schnittstelle zwischen Schulen und Kindertageseinrichtungen. Hier ist vor allem die Kultusministerkonferenz gefordert, gemeinsam mit dem Bundesfamilienministerium und in Zusammenarbeit mit den in diesem Bereich tätigen Organisationen und Verbänden stimmige Konzepte zur Beseitigung der Defizite vorzulegen.
Kinderrechte nach Gutdünken zugestanden
„Kinderrechte dürfen nicht nach Gutdünken zugestanden werden, sondern müssen immer und überall der Maßstab sein, wenn es um die Interessen von Kindern und Jugendlichen geht. Das gilt sowohl für den schulischen Bereich als auch für außerschulische Angebote. Deshalb brauchen wir eine verbindliche und wirksame Festschreibung der Kinderrechte in allen gesetzlichen und programmatischen Vorgaben. Der bisherige Flickenteppich in diesem Bereich muss durch eine einheitliche Rahmengebung beendet werden. Der 16. Kinder- und Jugendbericht bezeichnet den Hort- und Ganztagsbereich im Hinblick auf demokratische Bildung als, unterschätzten Raum‘. Diesen Raum gilt es für eine ganzheitliche Demokratiebildung vor allem mit Kinderrechten zu füllen. Demokratieförderung darf nicht erst dann beginnen, wenn Kinder und Jugendliche kurz vor der Teilnahme an ihren ersten Wahlen stehen. Demokratie muss als Alltag für Kinder erlebbar sein, schon für die Kleinsten. Wir dürfen aber auch nicht alles, was die Schulen selbst nicht schaffen, auf den Hortbereich abwälzen. Hier gilt es eine vernünftige Balance zu finden“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des DKHW.
Verankerung der UN-Kinderrechtskonvention gefordert
Das DKHW fordert deshalb die Verankerung der in der UN-Kinderrechtskonvention normierten Kinderrechte in den rechtlichen Rahmengebungen für Hort und Ganztag in allen Bundesländern. Hier braucht es kinderrechtebasierte und bundeseinheitlich verbindliche Qualitätsstandards für den Hort und Ganztagsbereich. Zudem ist eine flächendeckende Verankerung von Kinderrechte- und Demokratiebildung in der Aus- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte notwendig.
Außerdem plädiert das Deutsche Kinderhilfswerk für die Entwicklung von auf den Hort- und Ganztagsbereich zugeschnittenen Konzepten, Methoden und Materialien zur Verankerung und Umsetzung ganzheitlicher Demokratie- und Kinderrechtebildung sowie für die Bereitstellung von fachlicher Information, Beratung, Fortbildung und Vernetzung.
Informationen zur Unterstützung von Demokratiebildung
Umfangreiche Informationen zur Unterstützung der Demokratiebildung in Kita, Hort und Ganztag bietet die Website www.kompetenznetzwerk-deki.de. Auf dieser Seite präsentiert das im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ geförderte Kompetenznetzwerk „Demokratiebildung im Kindesalter“ sich und seine Arbeit im Online-Bereich. Auf der Website finden die Besucherinnen und Besucher umfangreiche Informationen, Empfehlungen und praxisbezogene Tipps rund um das Thema Demokratiebildung im frühkindlichen und Primarbildungsbereich. Verantwortlich für die Website sind das Deutsche Kinderhilfswerk und das Institut für den Situationsansatz (ISTA) als Träger des Kompetenznetzwerkes. Dieses wird unter dem offiziellen Fördertitel „Kompetenznetzwerk Frühkindliche Bildung und Bildung in der Primarstufe“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.
Die Analyse des Deutschen Kinderhilfswerkes zu den rechtlichen und programmatischen Rahmengebungen im schulischen Hort- und Ganztagsbereich findet sich unter www.kompetenznetzwerk-deki.de/feldanalyse.
15 Schulen erhalten Fördermittel für ihr Außengelände
geschrieben von Redakteur | Mai 18, 2021
Die Aktion „Schulhofträume“ fördert Projekte mit bis zu 15.000 Euro
15 Schulen aus zehn verschiedenen Bundesländern erhalten im Rahmen der Aktion „Schulhofträume“ eine Förderung in Höhe von bis zu 15.000 Euro. Mit der Aktion „Schulhofträume“ fördert das Deutsche Kinderhilfswerk zusammen mit seinen Partnern die nachhaltige und naturnahe Umgestaltung modernisierungsbedürftiger Außenbereiche. Insgesamt stehen 100.000 Euro zur Verfügung.
Nachhaltigkeit ist Voraussetzung
Damit können die Schulen ihre oft vernachlässigten Außengelände mit neuen Aufenthaltsbereichen, naturnahen Arealen und altersgerechten Rückzugsräumen umgestalten. Daran sind zumeist die gesamte Schule, allen voran die Schülerinnen und Schüler selbst, beteiligt.
Beteiligung und Kreativität
Bei der Juryentscheidung spielten verschiedene Kriterien eine Rolle. So wurde neben der Beteiligung der Schülerinnen und Schüler, insbesondere auf die Kreativität des Projekts und die Eigenleistung der Schule geschaut. Aber auch der grundsätzliche Bedarf des Projekts wurde als wichtiges Entscheidungskriterium herangezogen.
400 BewerberInnen
Bei der Aktion „Schulhofträume“ hatten sich deutschlandweit rund 400 Schulen, Schülergruppen, Elterninitiativen, Vereine oder Kommunen beworben. Gefördert wird eine naturnahe Umgestaltung der Schulhöfe, insbesondere durch die Einrichtung grüner Klassenzimmer oder das Anlegen von Schulgärten. Die Gesamtfördersumme der Aktion beträgt 100.000 Euro, verteilt auf 15 Projekte. Die Hauptförderung ist mit 15.000 Euro dotiert.
Eine Aufstellung der Gewinnerschulen und weitere Infos zur Aktion „Schulhofträume“ unter www.dkhw.de/schulhoftraeume.
Partner des Deutschen Kinderhilfswerks sind bei diesem Projekt die Drogeriemarktkette Rossmann und der us-amerikanische Konsumgüterkonzern Procter & Gamble.