Die Hälfte der Schulkinder nutzt im Unterricht ein Tablet
geschrieben von Redakteur | Juli 22, 2024
Ein Drittel der Eltern fürchten eine Ablenkung vom Schulunterricht
Während die meisten skandinavischen Länder, Frankreich, Großbritannien und selbst Italien Bildschirmgeräten im Unterricht den Rücken kehren, geht man in Deutschland einen anderen Weg. Wie eine repräsentative Umfrage von Civey im Auftrag der DEVK Versicherungen festgestellt haben will, verwenden rund 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler inzwischen ein Tablet im Unterricht. Im Mai wurden dazu 2.000 Eltern von Kindern befragt, die eine Grundschule oder eine weiterführende Schule besuchen. In den westdeutschen Bundesländern sind es 54,1 Prozent, in den ostdeutschen 35,8 Prozent. Einer der Gründe könnte sein, dass an westdeutschen Schulen Tablets vielfach schon vorgeschrieben sind (55,8 Prozent), an ostdeutschen Schulen weniger (40,2 Prozent). Im Bundesdurchschnitt sind sie für 53,1 Prozent der Kinder obligatorisch. Darüber hinaus verwenden Schülerinnen und Schüler sie oft freiwillig.
Gen Z sorgt sich offenbar mehr um Unversehrtheit der Geräte
Fast ein Drittel der Eltern, deren Kinder Tablets im Unterricht nutzen, haben keine Bedenken, dass ihre Söhne und Töchter in der Schule damit arbeiten. Allerdings sorgen sich fast genauso viele, dass es vom Unterricht ablenken könnte. Rund ein Viertel der Befragten befürchtet Diebstahl (27,3 Prozent) oder Verlust (23,5 Prozent). Große Unterschiede zeigen sich hier beim Alter der Eltern. Junge Väter und Mütter zwischen 18 und 29 Jahren, die schon zur „Gen Z“ zählen, befürchten vor allem eine Beschädigung am Tablet (54,6 Prozent), haben aber kaum Bedenken, dass es vom Unterricht ablenken könnte (rund 1 Prozent). Dagegen vermutet fast die Hälfte der Väter und Mütter zwischen 30 und 39 Jahren, die noch zur „Gen Y“ gehören, eine Ablenkung (47,8 Prozent), hat aber weniger Angst vor Beschädigung (19,5 Prozent).
Quelle: Pressemitteilung DEVK
Kinder können eine einmal begonnene Bewegung nicht einfach unterbrechen
geschrieben von Redakteur | Juli 22, 2024
Unfallforschung der TU Graz: Rennende Grundschulkinder benötigen 1,8 Meter zum Stehenbleiben
Die unfalltechnische Rekonstruktion von Verkehrsunfällen liefert wichtige Erkenntnisse hinsichtlich deren Vermeidbarkeit. Sind Fußgänger*innen beteiligt, nutzen Sachverständige kinematische Modelle, die typische Werte für Beschleunigung, Geschwindigkeit, Reaktionszeit und die zum Stehenbleiben benötigte Strecke umfassen. Für Kinder gab es bislang allerdings keine entsprechenden Daten, obwohl sich ihre Bewegungsmuster deutlich von denen Erwachsener unterscheiden. Im Rahmen des Forschungsprojekts KISIMO haben Ernst Tomasch vom Institut für Fahrzeugsicherheit der TU Graz und Bettina Schützhofer vom verkehrspsychologischen Institut „sicher unterwegs“ nun solche Daten für Kinder im Volksschulalter erhoben und für die Unfallforschung zur Verfügung gestellt.
1,8 Meter bis zum Stillstand – unabhängig vom Alter
„Anders als Erwachsene können Kinder bis zu einem gewissen Alter eine begonnene Bewegung nicht einfach unterbrechen“, sagt die Verkehrspsychologin Bettina Schützhofer. Daher brauchen sie im Straßenverkehr mehr Zeit und mehr Strecke, bis sie stehenbleiben können. Die Forschenden haben daher mit Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren Bewegungsversuche durchgeführt, bei denen diese gehen oder laufen mussten, um beim Ertönen eines Pfiffs schnellstmöglich anzuhalten. Ein zentrales Ergebnis dabei: Unabhängig vom Alter brauchten rennende Kinder rund 1,8 Meter, um zum Stehen zu kommen. „Die älteren Kinder reagierten schneller auf das Signal und konnten auch stärker abbremsen“, erläutert Ernst Tomasch. „Aufgrund ihrer höheren Ausgangsgeschwindigkeit war ihr Bremsweg aber gleich lang wie der der jüngeren Kinder.“
Die Forschenden haben mit Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren Tests durchgeführt, bei denen diese gehen oder laufen mussten, um beim Ertönen eines Pfiffs schnellstmöglich anzuhalten.
Verkehrsraum für Kinder einsehbar gestalten
Ihre Daten zu Beschleunigung, Höchstgeschwindigkeiten und Anhalteweg von Volksschulkindern haben die Forschenden bereits auf Workshops mit Unfallsachverständigen präsentiert. Die Erkenntnisse können aber auch die verkehrssichere Planung des Straßenraums erleichtern. „Der Verkehrsraum sollte für Kinder daher soweit einsehbar sein, dass sie bei Gefahr rechtzeitig stehen bleiben können“, sagt Ernst Tomasch.
Das Forschungsprojekt KISIMO wurde gefördert mit Mitteln des Österreichischen Verkehrssicherheitsfonds im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie im Rahmen der 6. VSF-Ausschreibung „schwer-Verkehr-sicher!“.
Diese Forschung ist im Field of Expertise „Mobility & Production“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.
Philipp Jarke, Technische Universität Graz
Schultoiletten für viele Schüler ein Problem
geschrieben von Redakteur | Juli 22, 2024
Umfrage des DKHW zum Schulhof- und Pausenbereich: Ausreichend Platz für Bewegung und Spiel, kritische Situation bei Schultoiletten
Bei der Bewertung des Schulhof- und Pausenbereiches ihrer Schule sehen die Kinder und Jugendlichen in Deutschland ein bisschen Licht, aber auch viel Schatten. Nach Einschätzung von rund dreiviertel der Schülerinnen und Schüler (76 Prozent) gibt es zwar ausreichend Platz für Bewegung und Spiel, gleichzeitig meint aber nur eine knappe Mehrheit (55 Prozent), dass es dort attraktive und vielfältige Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten gibt.
58 Prozent sind der Meinung, dass es ausreichend gute Sitzmöglichkeiten im Schulhof- und Pausenbereich ihrer Schule gibt. Dass es dort einen guten Ort zum Entspannen gibt, meinen hingegen nur 48 Prozent der Befragten. Und während Zustand und Sauberkeit des Schulhof- und Pausenbereiches insgesamt von rund zwei Dritteln (65 Prozent) für gut befunden wird, sehen das bezogen auf die Schultoiletten nur 44 Prozent so.
In Sachsen gibt es wohl die besten Toiletten
Es zeigen sich allerdings deutliche Unterschiede in den Bewertungen der Schülerinnen und Schüler in den Bundesländern, beispielsweise bei den Schultoiletten. Damit bestätigt sich der Trend der letzten Jahre, dass die Hygiene in Schultoiletten als besonders kritisch angesehen wird.
So sind 67 Prozent der Befragten in Nordrhein-Westfalen und 65 Prozent in Hamburg der Auffassung, dass die Toiletten in schlechtem Zustand sind, in Sachsen (32 Prozent) und Bayern (44 Prozent) sind es hingegen deutlich weniger. Große Unterschiede gibt es in diesem Bereich auch in der Bewertung zwischen Schülerinnen und Schülern in Großstädten und kleinen Kommunen. Während in kleinen Kommunen 46 Prozent der Kinder und Jugendlichen den Zustand der Schultoiletten als schlecht einstufen, sind es in Großstädten 62 Prozent.
Investitionsstau in deutschen Schulen wird mittlerweile auf rund 55 Milliarden Euro
„Der Investitionsstau in deutschen Schulen wird mittlerweile auf rund 55 Milliarden Euro beziffert. Aber nicht nur die Schulgebäude selbst, sondern auch die Schulhof- und Pausenbereiche sind oftmals in einem jämmerlichen Zustand. Ganz besonders trifft das auf die Schultoiletten zu, die bei entsprechenden Befragungen regelmäßig besonders schlecht abschneiden. Es ist also eine dringliche Aufgabe für die Bundesländer, nicht nur den Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler endlich vom sozioökonomischen Status der Eltern abzukoppeln, sondern ein besonderer Fokus muss zudem auf den baulichen Zustand unserer Schulen gelegt werden, und hier auch auf den Schulhof- und Pausenbereich. Natürlich kostet das Geld, aber vieles ist auch mit ein bisschen Einfallsreichtum und Kreativität möglich, gerade wenn die Schülerinnen und Schüler einbezogen und beteiligt werden. Das ist dann gleichzeitig auch im Sinne der Kinderrechte und der Schulgemeinschaft“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes.
3.218 Kinder befragt
Die Umfrage, für die vom Sozial- und Politikforschungsinstituts Verian deutschlandweit 3.218 Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 17 Jahren online unter Nutzung eines Access-Panels befragt wurden, ist Teil des 2. „Kinderrechte-Index“ des Deutschen Kinderhilfswerkes. Den Index wird das Deutsche Kinderhilfswerk im nächsten Jahr veröffentlichen, die Umfrage geht als ein Teilaspekt in diese Studie ein. Beim Kinderrechte-Index wird der Stand der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in verschiedenen Lebensbereichen von Kindern und den damit verbundenen Politikfeldern in den deutschen Bundesländern gemessen und evaluiert. Weitere Informationen zum Kinderrechte-Index unter www.dkhw.de/kinderrechte-index und zur aktuellen Umfrage unter www.dkhw.de/kinderrechte-index-aktuell
Pressemitteilung DKHW
Im freien Spiel des Kindes liegen heilende Kräfte
geschrieben von Redakteur | Juli 22, 2024
Prof. Ferdinand Klein über das Kinderspiel und seine Bedeutung für die Entwicklung
Bekanntlich gibt es viele Theorien über das Spiel. Sollen wir nun einer kulturtheoretischen, evolutionstheoretischen oder lerntheoretischen Sicht des Spiels folgen? Im Folgenden stelle ich meine Spieltheorie vor, die sich aus jahrzehntelangen Erfahrungen mit Kindern für die inklusive Kita-Praxis herauskristallisiert hat und der Idee des Guten folgt, die uns der Begründer des Kindergartens, Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782 – 1852) nahelegt. Fröbel lernte bis zum Lebensende von den Kindern. Er bezeichnete das freie Spiel als „Herzblatt des künftigen Lebens“ (Klein 2019, 133 ff.).
Der Idee des Guten folgt die Spieltherapie
In der Idee des Guten gründet auch der Erfolg der Spieltherapie. Darauf hat der Schweizer Lehrer, Psychotherapeut und Schriftsteller Hans Zulliger in seinem 1952 erstmals und 2017 in 8. unveränderter Auflage erschienene Buch „Heilende Kräfte im kindlichen Spiel“ aufmerksam gemacht (Zulliger 2017): Zulliger beobachtete immer wieder, dass Kinder mit Schwierigkeiten und Problemen im Verhalten durch das Spiel selbst geheilt wurden, noch ehe er ihnen etwas gedeutet hatte. Allein im Spiel des Kindes liegen gute, heilende oder ganz machende Kräfte.
Spiel ist aller Bildung Anfang
Bildungs-, Entwicklungs- und Hirnforscher sagen uns eindeutig: Spiel ermöglicht jedem Menschen sich Veränderungen anzupassen, diese auch zu wandeln und Widersprüche zu verbinden. Nur die Freiheit des Spiels verbindet die Widersprüche, die das Dasein dem rechnenden und zergliedernden Verstand präsentiert, zu jener Einheit in der Vielheit, in der sich das Wesen jeglicher Schöpfung bekundet.
Ganzheitliche Spielerfahrungen wirken auf das Lernverhalten nachhaltig
Dieses kreative Spiel ist die Bedingung dafür, dass Fühlen, Denken und Wollen als Ganzheit sich frei entwickeln können. Die Forschung legt nahe, dass durch ganzheitliche Spielerfahrungen sich bleibende Netzwerkstrukturen im Gehirn verankern und ausbilden. Besonders neurowissenschaftliche Untersuchungen haben hinreichend dargelegt: Das Spiel sorgt für die Ausbildung eines komplex verschalteten und zeitlebens lernfähigen Gehirns. Insofern schafft das Spiel die Bedingung für ein erfolgreiches Lernen (Klein 2019, 216).
Inklusion ist eine der größten und wichtigsten Herausforderungen, vor denen Pädagogen und Pädagoginnen heute in der Praxis stehen. Pädagogisches Wirken beginnt bei der pädagogischen Fachkraft und so beginnt auch Prof. Dr. Ferdinand Klein bei seinem eigenen Werdegang als Heilpädagoge und beim Kinderarzt und Pädagogen Janusz Korczak, um sich dem Begriff und der Aufgabe des Heil- und Sonderpädagogen zu nähern. Zudem bietet das Buch vielfältige Fallbeispiele, konkrete Tipps und Hilfestellungen zum Umgang mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen, praxisgerecht, leicht verständlich und direkt umsetzbar.
Inklusive Erziehung in der Krippe, Kita und Grundschule
Dem Kind das Eintauchen in die schöpferische Spielwelt ermöglichen
Geboten ist ein aufmerksames Begleiten des Kindes, damit es möglichst viele Strukturen bilden kann. Der dem Kind angeborene offene Blick wird aber blockiert, wenn ihm Lerngegenstände vorgelegt werden, die gleich materiellen Erfolg versprechen, den es schnell selbst (be)schaffen und konsumieren kann. Dadurch verkümmern aber seine offene Erwartungshaltung und Selbstwirksamkeitserfahrungen, sein lebendiges Wahrnehmen und Gestalten der Umwelt. Und der ursprünglich neugierige kleine Forscher (Wissenschaftler) folgt der Machbarkeit der Dinge, dem Messen und der Zahl. Hier dominiert das tote Konstrukt. Mehr nicht. Und bald wird der materielle Lerngegenstand lustlos weggelegt. Bald können viele unerwartete Verhaltens- und Entwicklungsprobleme folgen.
Auf die Einheit „Fühlen, Denken und Wollen“ achten
In den drei einander ergänzenden Bereichen Fühlen-Denken-Wollen ist dem Kind durch eine achtsame und vertrauensvolle Haltung die ganzheitliche Entwicklung seiner veranlagten Kräfte zu ermöglichen:
Bewegungsentwicklung (Entwicklung rhythmischer Bewegungsfolgen und koordinierter Bewegungen, Entwicklung der Motorik, Grob- und Feinmotorik, der Mundmotorik und Augen-Hand-Koordination);
Ich- und Sozialentwicklung (Entwicklung der personalen und sozialen Kompetenz);
Gefühlsentwicklung (Entwicklung von Haltungen und Einstellungen gegenüber Menschen, Tieren und Natur);
Motivationsentwicklung (Entwicklung von Neugierde und Wünschen, Interessen und Neigungen);
Fantasie- und Kreativitätsentwicklung;
Denk- und Intelligenzentwicklung;
Sprach- und Kommunikationsentwicklung.
Erkenntnis: Spiel ist aller Bildung Anfang
Im Spiel übt und entwickelt jeder Mensch ganz persönlich sein Selbstwirksamwerden, sein bio-psycho-soziales und emotionales Wachstum, seine Ressourcen, Lernpotenziale und Kompetenzen (Krenz 2009). Das Spiel verstehe ich als Urphänomen (Wesenszug) des Lebens: „Spiel ist aller Bildung Anfang“ (Klein 2012, 78). Geboten ist das Hören auf das Kind, sich ihm ganz hingeben und die eigenen Absichten verstummen zu lassen.
Jedes Kind gestaltet sein persönliches Spiel
Ein Holzstück kann ein Schiff sein. Und ein Stück Stoff verkörpert die Prinzessin. Die Prinzessin geht vom Schiff an Land, und das Kind betrachtet es weder als Betrug noch als Selbstbetrug, dass es in Wirklichkeit ein Stoffstück selbst an Land trägt, das es in eine Prinzessin verwandelt hat. Im Spiel gewinnt der Gegenstand jene Bedeutung, die ihm das Kind verleiht: „Es schafft im Spiel die Bedingungen, unter denen verschiedenste, selbst widersprüchlich erscheinende Lebenserfahrungen sich miteinander verbinden lassen“ (Schäfer 2005, 116). Jedes Kind spielt sei ganz persönliches Spiel. Das lehren uns Anna und Berrit. Hören wir in sie hinein (Klein 2018, 138 ff.):
Anna spielt
Anna, vier Jahre, ein Kind mit Down-Syndrom, spielt im Kindergarten mit ihrer Puppe. Die Puppe ist ihr Kind. Sie hat einen Namen. Sie heißt Susi. Susi ist
bald hungrig,
bald traurig,
bald schmutzig,
bald unfolgsam und
dann am Ende ist Susi müde.
Anna
füttert ihre hungrige Susi,
tröstet und ermutigt ihre traurige Susi,
wäscht ihre schmutzige Susi,
„bestraft“ ihre unfolgsame Susi und
bereitet schließlich ihre müde Susi zum Schlafengehen vor und legt sie in aller Ruhe ins Bett.
Anna erlebt ihre Susi in Analogie zum eigenen Ich. Sie schlüpft in die Rolle der Mutter und identifiziert sich mit der Puppe, die ganz und gar ihr gehört: Die müde Susi muss jetzt schlafen – Anna ist müde und geht jetzt auch schlafen.
Berrit spielt
Berrit, ein fünfjähriges Mädchen, geht im Gruppenraum zu ihrer Freundin Theresia. Sie erzählt ihr wozu sie Lust hat (Interesse). Ausgiebig spricht sie über ihre Wünsche und Gedanken, darüber wie sie sich ihre Hochzeit mit Jan, ihrem Freund vorstellt (Sprache, Sprechen). Berrit führt Theresia zuerst zur Verkleidungskiste, dann zum Spiegel und Berrit probiert mit ihrer Hilfe viele verschiedene Sachen an (sozialer Bereich). Die Hüte, Schleifen und Schleier reichen offenbar nicht aus. Berrit überlegt und geht bald zum Materialschrank, in dem sie schöne Stoffreste findet. Sie schaut diese mit Theresia an. Beide entschließen sich ein Kleid herzustellen, das alle bisherigen Hochzeitskleider weit in den Schatten stellen soll.
Aber wie kann aus den Stoffresten das Kleid gemacht werden? Nadel und Faden sind nicht vorhanden. Berrit überlegt weiter (Denken). Plötzlich kommt ihr eine Idee. Sie geht zum Kerzenschrank, fragt die Erzieherin um Erlaubnis und schmilzt alle Kerzenstummel in einem Topf ein. Sie weiß, dass Kerzenwachs bei entsprechender Hitze flüssig wird (Intelligenz). Bald ist das gesamte Wachs flüssig. Nun breitet sie einen großen Papierstreifen auf den Boden aus, legt sich darauf und lässt von Theresia ihren Körperumriss auf dem Papier aufzeichnen. Sie legt die Stoffe so auf das Papier, wie sie es sich ausgemalt hat (Fantasie). Bald beginnt sie die Stoffreste an ihren Enden mit dem flüssigen Wachs zu verbinden. Sie geht zwischen dem nun entstehenden Brautkleid und dem heißen Wachs hin und her (Bewegung). Ihre konzentrierte Spiel-Tätigkeit führt zum Erfolg. Berrit fühlt sich bestätigt. Sie hat ihre Vorhaben so abgeschlossen, wie sie sich das in ihrer Vorstellung und Fantasie ausgemalt hatte (Kreativität). Rasch zieht sie das Kleid an und tanzte vor Freude (Gefühl). Die Tatsache, dass ihr Auserwählter wegen des Weiterspielens mit Heiko keine Lust zur Heirat hatte, störte Berrit nicht weiter. Sie entschließt sich spontan, „mit Theresia ab sofort eine Modeboutique zu eröffnen“ (Krenz 2009, 153).
Spielen und Lernen gehören zusammen
Anna und Berrit erleben das Spiel als Mittelpunkt ihrer Aktivitäten und verleihen ihm die Bedeutung, die sie für wichtig halten. Hier stabilisieren sie ihre Ich-Identität, verbessern ihre Belastbarkeit und erweitern ihre soziale Sensibilisierung für einen verträglichen Umgang mit anderen Menschen und sie eignen sich auf ihrem ganz persönlichen Entwicklungsniveau die Gegenstände der Natur und Kultur an. Spielen war und ist zu allen Zeitendie Haupttätigkeit des Kindes, es gilt sowohl als die bedeutsamste Grundbedingung für alle Bildungs- und Lernprozesse als auch für das Lernen überhaupt.
Das Spiel des Kindes ist also kein ineffektiver und bedeutungsloser Zeitvertreib, wie Erwachsene oftmals meinen. Spiel darf aber nicht in funktionalisierter Form gezielt eingesetzt werden. Es muss zweckfrei und funktionsvielfältig erlebt werden können. Spielfreude hilft dem Kind dabei, seine Selbstaktivität immer wieder aufs Neue entdecken und einsetzen zu wollen – und das ist bekanntermaßen die wichtigste Form des Lernens, geht es doch auch im späteren Leben darum, die Welt zu erkunden und dabei den eigenen Stellenwert zuentdecken, sich bei Problemstellungen auf die Suche nach Lösungswegen zu begeben, lösungsorientierte Handlungswege zu entwickeln und mit Motivation, Konzentration und Lernbereitschaft das eigene Leben selbstverantwortlich zu gestalten.
Kompetenzen im Spiel entwickeln
Spielen ist untrennbar mit der Entwicklungdes Kindes verbunden und besitzt daher entscheidende Bedeutung für seine Persönlichkeitsentwicklung. Es gilt als Vorstufe und Nährboden für den Erwerb lebenspraktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten, um das eigene Leben weitestgehend autonom, initiativ und selbstbewusst zu gestalten.
Das Spiel trägt dazu bei, dass das Kind
selbst aktiv wird und gleichzeitig seine Lernauswirkungen aufbaut,
Gewohnheiten und Routine überwindet,
Lösungswege für Handlungsabsichten entwirft und einsetzt,
bekannte Handlungsmuster erweitert und hinderliche Muster überwindet,
sich unbekannten Dingen des Lebens zuwendet, sich mit ihnen auseinandersetzt und neugierig bleibt,
kreative Aspekte in seinen Handlungsspielraum integriert,
Neues wagt,
Sinnverbindungen knüpft und somit
ein suchendes Subjekt bleibt.
Fazit
Für Fröbel liegt „die Quelle alles Guten im Spiel liegt“ (Klein 2012, 78). Darauf weisen viele Untersuchungen und Erfahrungen hin: Kinder bilden im Spiel ihr eigeninitiatives Lernen heraus, das ihre geistigen, sozialen, emotionalen, motorischen und kreativen Potenziale weiter anregt. Das geschieht in einer differenzierten Vernetzung und gleichzeitigen Vielfalt, die kein gezieltes Lernförderprogramm erreichen kann.
Literatur
Klein, Ferdinand: Inklusive Erziehung von Anfang an. Bewegung, Spiel und Rhythmik in der inklusiven Kita-Praxis. Bildungsverlag EINS, 2012
Klein, Ferdinand: Inklusive Erziehung in Krippe, Kita und Grundschule. Heilpädagogische Grundlagen und praktische Tipps im Geiste Janusz Korczaks. Burckhardthaus bei Körner Medien, 2018
Klein, Ferdinand: Inklusive Erziehungs- und Bildungsarbeit in der Kita. Heilpädagogische Grundlagen und Praxishilfen. 3. Auflage. Bildungsverlag EINS, 2019
Krenz, Armin: „Das Spiel ist der Beruf des Kindes!“ – Die hohe Bedeutung des Spiels als Bildungsmittelpunkt für Kinder und als Basiswert einer späteren „Schulfähigkeit“. In: Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik – Kinder sehen, verstehen und entwicklungsunterstützend handeln. Burckhardthaus 2014.
Schäfer, Gerd: Bildung beginnt mit der Geburt. Beltz, 2005
Mit dem Online-Spiel „Garbage Grab“ richtige Mülltrennung lernen
geschrieben von Redakteur | Juli 22, 2024
Blitzschneller Trennspaß für die ganze Familie:
Runde zwei für richtige Mülltrennung im Gaming-Format: Das neue Online-Spiel „Garbage Grab“ folgt auf „Trash Crush“ in der Spiele-Reihe der Initiative „Mülltrennung wirkt“. Auch bei diesem Sammelspiel kommt es auf richtige Mülltrennung an. Darüber hinaus werden schnelle Reflexe und Geschicklichkeit benötigt – ein Spaß für die ganze Familie. Das Spiel steht kostenlos und als Browserspiel für alle Endgeräte nutzbar auf der Webseite der Initiative „Mülltrennung wirkt“ zur Verfügung.
„Wer bringt den Müll raus?“ – diese alltägliche Familienfrage kann ab sofort mit Hilfe einer spannenden Challenge geklärt werden. Im neuen Online-Spiel „Garbage Grab“ müssen sich die Familienmitglieder einem Wettlauf gegen die Zeit stellen, um Abfälle richtig zu trennen. Wer sich besonders geschickt anstellt und die meisten Punkte sammelt, gewinnt die Challenge. „‚Garbage Grab‘ ist ein Geschicklichkeitsspiel, das Konzentration und Schnelligkeit erfordert und auch trainiert“, erklärt Axel Subklew, Sprecher der Initiative „Mülltrennung wirkt“. „Die SpielerInnen müssen entscheiden, wie unterschiedliche Abfälle richtig entsorgt werden und dann schnell reagieren, um sie mit der richtigen Tonne einzusammeln. Das ist Spaß für die ganze Familie und vermittelt gleichzeitig Wissen über richtige Mülltrennung. Und die Belohnung: Wer gewinnt, muss den Müll nicht rausbringen!“
Spielanleitung: Die Shampooflasche darf nicht im Restmüll landen!
So funktioniert’s: Gleich nach Spielstart fallen leere Shampooflaschen, alte Zeitungen, Chipstüten und andere Abfälle von oben nach unten. Diese müssen mit der jeweils richtigen Mülltonne eingesammelt werden. Am linken Bildrand stehen dafür Gelbe Tonne, Altpapiertonne, Biotonne und Glascontainer zur Mülltrennung bereit.
Aber aufgepasst: Die passende Tonne muss möglichst schnell ausgewählt und zum fallenden Abfall gezogen werden, bevor dieser falsch im Restmüll am unteren Bildrand landet – und damit für das Recycling verloren ist.
Zu beachten ist: Abfälle wie zum Beispiel Windeln oder stark verschmutzte Pizzakartons bitte durchlassen! Sie gehören in den Restmüll.
Im Sammelfieber: Für alle richtig zugeordneten Abfälle gibt es Punkte. Bei falscher Zuordnung werden Minuspunkte vergeben.
Konzentration & Schnelligkeit ist gefragt: Mit jedem erreichten Level steigt der Schwierigkeitsgrad, Menge und Geschwindigkeit des „herabfallenden“ Mülls erhöhen sich genauso wie die Anzahl der Tonnen, die befüllt werden müssen.
Level geschafft: Ist das Level geschafft, heißt es: „Großartig! Du hast eine Menge Müll erfolgreich sortiert und kennst dich aus! Mit der richtigen Mülltrennung trägst du zum Klimaschutz bei.“
Im Finale: Auch das letzte und schwierigste Level ist gemeistert? Dann folgt ein großes Lob: „Dein Einsatz hat viel Müll sortiert. Damit hast du vielen Verpackungen ein zweites (und drittes und viertes …) Leben geschenkt. Sehr gut!“
Das Browserspiel „Garbage Grab“ ist wie „Trash Crush“ mit einem Internetzugang auf allen Endgeräten einfach zu spielen. Beide Spiele stehen auf der Webseite der Initiative „Mülltrennung wirkt“ kostenlos und werbefrei für alle NutzerInnen zur Verfügung. Hier geht’s zu den Spielen.
Mülltrennung lernen – schneller werden
Übrigens: Wer diese Grundregel für richtige Mülltrennung lernt, kann sich im Spiel voll und ganz auf Schnelligkeit und Geschicklichkeit konzentrieren: In die Gelbe Tonne oder den Gelben Sack gehören alle leeren Verpackungen, die nicht aus Papier, Pappe, Karton oder Glas sind. Das sind zum Beispiel Verpackungen aus Kunststoff, Aluminium, Weißblech oder Verbundmaterialien wie Getränkekartons. Papier, Pappe und Karton werden im Altpapier, pfandfreie Einweg-Glasverpackungen nach Farben sortiert in Glascontainern gesammelt.
Richtige Mülltrennung spielend leicht gemacht
Die Initiative „Mülltrennung wirkt“ plant in diesem Jahr noch ein weiteres Online-Spiel. Ziel der neuen Spiele-Reihe ist, das Wissen rund um richtige Mülltrennung spielerisch, mit Spaß und zeitgemäß zu vermitteln. Kinder und Jugendliche sollen sich davon genauso angesprochen fühlen wie Erwachsene jeden Alters. Denn noch immer gehören etwa 30 Prozent der in den Gelben Tonnen und Gelben Säcken gesammelten Abfälle dort nicht hinein. Diese „Fehlwürfe“ erschweren das Recycling der richtig entsorgten leeren Verpackungen erheblich und machen es teilweise sogar unmöglich. Umgekehrt gehen falsch in den Restmüll geworfene Verpackungen als Wertstoffe für immer verloren.
Quelle: Pressemitteilung „Mülltrennung wirkt“
„Zukunft Mitgemacht“ fördert innovative Schulprojekte mit 1 Million Euro
geschrieben von Redakteur | Juli 22, 2024
Der Bewerbungsstart für Schulen hat begonnen – „Maker Spaces“ und „DigitalSchoolStory“ werden gekürt
Die Initiative „Zukunft Mitgemacht“ fördert deutschlandweit innovative Schulprojekte mit einer Million Euro. Gefördert werden dabei sowohl die Einrichtung offener, kreativer Lernräume – sogenannte Maker Spaces – als auch „DigitalSchoolStory“ – ein Format, das Schulen dabei unterstützt, digitales Storytelling in Form von Kurzvideos in den Unterricht zu integrieren.
Ab sofort kann sich jede interessierte Schule auf www.dkhw.de/ZukunftMitgemacht über den genauen Bewerbungsprozess informieren. Und sie kann sich für eins der beiden Projekte bewerben. Die Hauptförderung ist mit 30.000 Euro dotiert. Unterstützt werden die Schulen bei der Projektrealisierung der Maker Spaces von der Initiative #wirfürschule. „DigitalSchoolStory“ verantwortet die Projektumsetzungen eigenverantwortlich gemeinsam mit den Gewinnerschulen.
Maker Spaces sind offene Lernräume
Maker Spaces sind offene Lernräume, die einen einfachen Zugang zu Werkzeugen, Technologien, Materialien und Know-how bieten. Und so einen gezielten Raum für kollaboratives und interdisziplinäres Arbeiten bilden. In Maker Spaces soll projektorientiert, experimentell und kreativ gearbeitet werden – mithilfe von verschiedenen digitalen sowie analogen Hilfsmitteln, wie zum Beispiel 3D-Druckern, für handwerkliches Arbeiten, Kameras und Greenscreens zur Produktion von Filmen und Videos. Durch das Teilen von Gelerntem und durch das Meistern von Herausforderungen werden unterschiedlichste Fähigkeiten und Zukunftskompetenzen der Lernenden unterstützt.
Das Projekt „DigitalSchoolStory“
Das Projekt „DigitalSchoolStory“ soll die Begeisterung junger Menschen für soziale Medien in eine kraftvolle Lernressource verwandeln, in dem sie ihre regulären Lerninhalte in kreative Kurzvideoformate übersetzen. Es soll die Persönlichkeitsbildung und Potenzialentwicklung von Jugendlichen durch innovative Bildungsansätze fördern und in der Schule Lern-Communities aufbauen helfen. Die Stärkung der digitalen, methodischen und sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler unterstützt den kritischen Blick auf soziale Medien sowie die gesellschaftliche Verantwortung und damit die Demokratie. Ein Cent in den Fördertopf Die Erhöhung des jährlichen Spendenvolumens der Initiative „Zukunft Mitgemacht“ auf 1 Million Euro wird durch die Einführung einer neuen Spendenmechanik möglich. Mit jedem Kauf eines Procter & Gamble Produktes bei ROSSMANN fließt fortan ein Cent in den Fördertopf. Ende 2024, sobald die Spendensumme von 1 Million Euro erreicht ist, werden die Gewinner ausgezeichnet.
Die Initiative
Bereits seit vielen Jahren engagieren sich ROSSMANN, das Deutsche Kinderhilfswerk und Procter & Gamble gesellschaftlich für Familien und Kinder, seit 2021 unter dem gemeinsamen Dach „Zukunft Mitgemacht“. Ziel der Partner ist es, junge Menschen zu stärken und ihnen die Möglichkeit zu geben, selbstbestimmt zu lernen und die Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Dabei wird Schülerinnen und Schüler besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Neben Digitalisierung geht es bei „Zukunft Mitgemacht“ auch um Themen wie Nachhaltigkeit, Diversität oder die Förderung der MINT-Fächer, also Mathematik, Informatik, Technik und Naturwissenschaften. In diesem Zusammenhang unterstützen die Partner auch in diesem Jahr wieder die Bildungsinitiative #wirfürschule.
Bildungschancen sind in den Bundesländern unterschiedlich verteilt
geschrieben von Redakteur | Juli 22, 2024
Laut Ifo-Studie wirkt sich ein ungünstiger familiärer Hintergrund für Kinder in Berlin und Brandenburg am wenigsten negativ aus
Die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen in Deutschland unterscheiden sich deutlich zwischen den Bundesländern. Das ist das Ergebnis einer neuen ifo-Studie. Am wenigsten negativ wirkt sich ein ungünstiger familiärer Hintergrund für Kinder in Berlin und Brandenburg aus: Es ist etwa halb so wahrscheinlich (Berlin: 53,8 Prozent; Brandenburg: 52,8 Prozent), dass Kinder aus benachteiligten Verhältnissen ein Gymnasium besuchen wie Kinder aus günstigen Verhältnissen. Bundesweit beträgt der Wert 44,6 Prozent.
Am unteren Ende liegen Sachsen mit 40,1 und Bayern mit 38,1 Prozent. Chancengleichheit wäre bei 100 Prozent erreicht. „Bildung und Einkommen der Eltern sind entscheidende Faktoren für die Bildungschancen von Kindern in Deutschland. Aber dies gilt in den Bundesländern in unterschiedlichem Ausmaß“, sagt Ludger Wößmann, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik.
26,7 Prozent der Kinder aus benachteiligten Verhältnissen ein Gymnasium
Die Studie vergleicht die Wahrscheinlichkeit eines Gymnasialbesuchs für Kinder aus benachteiligten Verhältnissen (weder ein Elternteil mit Abitur noch oberes Viertel der Haushaltseinkommen) mit der für Kinder aus günstigen Verhältnissen (mindestens ein Elternteil mit Abitur und/oder oberes Viertel der Haushaltseinkommen). Deutschlandweit besuchen 26,7 Prozent der Kinder aus benachteiligten Verhältnissen ein Gymnasium, aus günstigen Verhältnissen sind es 59,8 Prozent.
Alternativ kann auch der absolute Abstand zwischen den beiden Werten berechnet werden. Hier liegt Mecklenburg-Vorpommern vorn mit 26,4 Prozentpunkten vor Rheinland-Pfalz mit 28,4 Prozentpunkten. Am Ende liegen Sachsen-Anhalt mit 38,1 und Sachsen mit 40,1 Prozentpunkten Abstand. Chancengleichheit würde hier bei null Abstand erreicht. Die Unterschiede sind statistisch, bildungspolitisch und wirtschaftlich bedeutsam. Tatsächlich verdienen Menschen mit Abitur im Durchschnitt monatlich netto 42 Prozent mehr als Menschen ohne Abitur.
Sprachförderung sowie Mentoring-Programme
„Das große Ausmaß der Ungleichheit der Bildungschancen ist zum Glück nicht unumstößlich. Politische Maßnahmen könnten Kinder aus benachteiligten Verhältnissen gezielt fördern, am besten schon im frühkindlichen Alter“, sagt Florian Schoner, Mitautor der Studie. Wichtige Ansatzpunkte seien eine gezielte Unterstützung von Eltern und Schulen in herausfordernden Lagen, eine datenbasierte Sprachförderung sowie Mentoring-Programme. Schließlich könnte auch eine spätere schulische Aufteilung etwas an der ungleichen Chancenverteilung ändern. „Interessanterweise sind Berlin und Brandenburg die einzigen Länder, in denen die Kinder erst ab der 7. Klasse auf das Gymnasium wechseln“, fügt Wößmann an.
Die Datenbasis ist der Mikrozensus 2018 und 2019. Für eine Stichprobe von 102.005 Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 18 Jahren liefert er Informationen über den Gymnasialbesuch und den familiären Hintergrund. Die Fallzahlen reichen von 947 Kindern in Bremen bis 23.022 in Nordrhein-Westfalen.
Corona: keine Auswirkungen auf Mathekompetenzen von Neuntklässlern
geschrieben von Redakteur | Juli 22, 2024
Bildungspanel von Wissenschaftler:innen des LIfBi zeigt keinen negativen Effekt auf die mathematische Kompetenzen
Haben Schüler:innen in Mathe weniger gelernt, weil sie von Schulschließungen 2020/21 betroffen waren? Diese Frage können Wissenschaftler:innen des LIfBi nun erstmals anhand eines Vergleichs verschiedener Schuljahrgänge beantworten. Mit Daten des Nationalen Bildungspanels kann die Entwicklung der Mathekompetenzen von Jugendlichen von der 7. bis zur 9. Klasse verfolgt werden – und das im Vergleich zweier Jahrgänge, von denen einer die Sekundarstufe mit, der andere ohne Pandemie durchlaufen hat. Die Ergebnisse zeigen, dass die Corona-Einschränkungen keinen negativen Effekt auf die Mathekompetenzen hatten und bestätigen damit nicht Vermutungen der PISA-Studie und des IQB-Bildungstrends von 2022.
Befürchtungen einer lebenslangen Benachteiligung der „Generation Corona“, also Schülerinnen und Schüler, die von den Schulschließungen betroffen waren, wurden schon während der Pandemie in drastischen Bildern geschildert. Dass die Einschränkungen tatsächlich deutliche Folgen auf das Lernen hatten, wurde mittlerweile in zahlreichen Studien beschrieben. Auch Ergebnisse aus dem Nationalen Bildungspanel (NEPS) zeigten bereits 2021, dass Schülerinnen und Schüler beim Distanzunterricht weniger Zeit in das Lernen investierten. Studien wie der IQB-Bildungstrend und PISA zeigten 2022 deutliche Kompetenzrückstände von Neuntklässlerinnen und -klässlern im Vergleich zu jenen Neuntklässler:innen, die 7 bzw. 3 Jahre zuvor an den jeweiligen Vorläuferstudien teilgenommen haben. Allerdings können die in diesen wiederkehrenden Querschnittstudien gefundenen Unterschiede auch andere Ursachen haben. Sie lassen sich also nicht zuverlässig als Effekte der Corona-Pandemie interpretieren.
Stärke des Nationalen Bildungspanels: Langzeitbegleitung von Kohorten mit und ohne Corona-Einschränkungen
Langzeitstudien wie das NEPS begleiten Schülerinnen und Schüler über einen längeren Zeitraum und können damit Aufschluss über die Lernentwicklung geben. So lassen sich sowohl Veränderungen in der Kompetenzentwicklung über mehrere Schuljahre hinweg dokumentieren als auch Gruppen miteinander vergleichen, die die Schule zu unterschiedlichen Zeiten und unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen durchlaufen haben. Für die aktuelle Studie wurden die Daten von 6.048 Jugendlichen verwendet, die zwischen 2012 und 2015 bzw. zwischen 2018 und 2021 in der Sekundarstufe verschiedener Schulformen waren. In beiden Kohorten wurden mehrmals Kompetenztests durchgeführt. Die Auswirkungen der Schulschließungen auf die mathematische Kompetenzentwicklung können so in einem deutschlandweiten Kohortenvergleich sichtbar gemacht werden. Zur Messung der mathematischen Kompetenzen mussten die Jugendlichen mathematische Zusammenhänge in realitätsnahen Aufgaben erkennen und flexibel anwenden. Die Tests gingen damit über das reine Abfragen von Schulwissen hinaus.
Befürchtungen können nicht bestätigt werden
Die Auswertung der NEPS-Daten bestätigt die Befunde aus wiederkehrenden Querschnittstudien mit Schüler:innen in der Sekundarstufe in Deutschland nicht, im Gegenteil. Die Kompetenzzuwächse von der 7. bis zur 9. Klasse fallen in Mathematik bei beiden Alterskohorten nahezu identisch aus. In beiden Kohorten gibt es in fast gleichen Anteilen Schülerinnen und Schüler mit überdurchschnittlichen bzw. unterdurchschnittlichen Kompetenzwerten. Die Kompetenzen sind in beiden Kohorten im Mittel gleich stark ausgeprägt, unabhängig davon, ob die Kinder Schulschließungen erlebt haben oder nicht. Auch wenn Gruppenunterschiede zwischen Mädchen und Jungen, Schüler:innen an Gymnasien im Vergleich zu Schüler:innen anderer Schulformen und Jugendlichen aus akademischen beziehungsweise nicht-akademischen Elternhäusern berücksichtigt werden, zeigen sich parallele Zuwächse für die verschiedenen Gruppen über die beiden Kohorten hinweg.
„Die Vermutung, dass es durch die Pandemie zu Einbrüchen in den Mathematikkompetenzen der betroffenen Jugendlichen gekommen ist, lässt sich mit den Daten des Nationalen Bildungspanels nicht bestätigen. Obwohl das Lernen in der Pandemie weniger strukturiert war, die Schülerinnen und Schüler weniger Kontakt zu Lehrkräften hatten, mehr auf sich gestellt waren und weniger Zeit in das Lernen investiert wurde, ist der Kompetenzzuwachs in der Sekundarstufe vergleichbar mit dem von Jugendlichen, die ihre Schulzeit normal durchlaufen haben“, fasst Autorin Dr. Lena Nusser die Ergebnisse zusammen. Diese vergleichsweise positiven Ergebnisse gelten für den Bereich Mathematik, oder genauer für mathematische Kompetenzen, wie sie im Rahmen der NEPS-Studie erfasst wurden.
Kompensation durch selbstgesteuertes Lernen?
Ein Grund für die kaum vorhandenen negativen Effekte auf die Leistungsentwicklung könnte darin liegen, dass bei Jugendlichen in der Sekundarstufe die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen deutlich stärker ausgeprägt ist als beispielsweise bei Grundschülerinnen und -schülern. Die Jugendlichen konnten die Einbußen durch Corona womöglich selbst recht gut kompensieren – zumindest im Bereich Mathematik. Ob die Pandemie in anderen Bereichen, insbesondere emotional und motivational, längerfristige Folgen für die Jugendlichen hat, lässt sich aus den Befunden nicht ableiten. Offen bleibt auch, welche Auswirkungen die Corona-Einschränkungen auf die Kompetenzentwicklung von jüngeren Schülerinnen und Schüler unterhalb der 7. Klasse hatte.
Die Auswertung ist als Transferbericht in der Reihe NEPS Corona & Bildung unter dem Titel „Geringere Lernzuwächse durch coronabedingte Einschränkungen im Bildungsbereich? Ein Kohortenvergleich zu Entwicklungen in der Sekundarstufe“ erschienen. Der Bericht steht auf https://www.lifbi.de/Transferberichte als Download zur Verfügung.