Wie die Pandemie Grundschulkinder belastet

Bildungsforscher:innen der Bergischen Universität Wuppertal stellen erhöhte Aggressivität, Zukunftsängste und mangelhaftes soziales Lernen fest

Wie geht es Kindern nach zwei Jahren Corona? Dieser Frage gingen Bildungsforscher:innen der Bergischen Universität Wuppertal nach. In der ersten Jahreshälfte 2022 befragten sie deshalb in Kooperation mit einem Schulamtsbezirk in Köln zahlreiche Eltern, Lehrkräfte, Kinder und Schulleitungen über die aktuelle Situation in den Grundschulen. Das Ergebnis: Die vergangenen zwei Pandemie-Jahre haben deutliche Spuren hinterlassen.

„Ausgangslage für die Studie war die hohe Anzahl an Problemen, die viele Lehrkräfte während der Corona-Pandemie bei Kindern festgestellt haben“, erklärt Prof. Dr. Christian Huber vom Arbeitsbereich für Rehabilitationswissenschaften mit dem Förderschwerpunkt Emotional-Soziale Entwicklung an der Bergischen Universität. Gemeint sind zum einen sogenannte externalisierende Auffälligkeiten – also etwa Unterrichtsstörungen, Konflikte und Hyperaktivität – aber auch internalisierende Verhaltensprobleme, wie sozialer Rückzug und Angst. Und auch die Lehrkräfte selber fühlten sich überfordert und hätten vor allem das Problem, dass sie die inhaltlichen Rückstände nach den Lockdowns – wie etwa Lesen, Schreiben, Rechnen – nicht aufholen können.

Auffälligkeiten und Belastungen sorgen für schwierige Lernatmosphäre

Um die aktuelle Situation genauer zu analysieren, befragte das Team um Prof. Christian Huber über 1200 Grundschulkinder, rund 1150 Eltern, fast 150 Lehrkräfte und 22 Schulleitungen aus insgesamt 30 Grundschulen im Schulamtsbezirk 3 in Köln.

Dabei stellte sich heraus,

  • dass Kinder selbst eine stark erhöhte Aggressivität bei sich selbst wahrnehmen, was laut den Forscher*innen eher ungewöhnlich ist,
  • dass diese Aggressivität insbesondere bei Kindern feststellbar ist, die auch starke Zukunftsängste im Zuge der Corona-Pandemie entwickelt haben,
  • dass Kinder der dritten und vierten Klassen im Schnitt deutlich in ihrem sozialen Lernen, insbesondere bei der sozial-kognitiven Verarbeitung, zurückliegen, weil sie in der Coronazeit viele soziale Lernerfahrungen nicht machen konnten.

Neben der gesteigerten Aggressivität waren auch Ängste und depressive Symptome bei den Kindern erhöht. „Viele Grundschulkinder sitzen somit in einem Zustand in den Klassenzimmern, in dem inhaltliches Lernen nur schwer möglich sein dürfte“, so Christian Huber.

Die Studie ergab aber auch, dass etwa 30 Prozent der Lehrkräfte stark oder auch sehr stark belastet sind, etwa 10 Prozent so stark, dass man befürchten muss, dass sie perspektivisch ausfallen könnten.

„Die Ergebnisse sind insofern interessant, weil sie unter anderem zeigen, wie stark die Pandemie – und auch die Situation in der Ukraine – viele Kinder noch beschäftigt und wie stark insbesondere coronabedingte Sorgen mit extern- und internalisierenden Verhaltensproblemen zusammenhängen“, sagt Huber.

Gemeinsame Aufbereitung und soziale Kontakte jetzt besonders wichtig

Aus ihren Ergebnissen konnten die Forscher:innen einige Empfehlungen ableiten, wie die Situation für Kinder, Familien und Eltern jetzt aufbereitet werden und der Stress im System reduziert werden könnte. So sind zum Beispiel viele Kinder mit der Aufbereitung der Corona-Pandemie und der Kriegsereignisse alleine. „Die Aufbereitung dieser Erlebnisse sollte in den Familien, Schule und Ganztag Vorrang vor dem Aufholen des verpassten Lernstoffs haben – sonst werden sich die Verhaltensprobleme auch im kommenden Schuljahr nicht oder nur sehr langsam reduzieren“, schätzt der Professor.

Zum anderen vollziehe sich soziales Lernen bei Kindern meist im Umgang mit Gleichaltrigen. Dies war in der Pandemiezeit aber nicht oder nur erschwert möglich. „Alle sozialen Erfahrungen in Schule, Sport und Freizeit sind jetzt wichtig. Die Rolle von Eltern und Schulen ist dabei, Konflikte regelmäßig zu besprechen und Konfliktlösungen mit den Kindern zu erarbeiten“, weiß Christian Huber. Zusätzlich können auch Sozialtrainings und Elterncoachings ein Teil der Lösung sein. Hier müssen jetzt alle Kräfte einer Schulregion gebündelt und niederschwellige Angebote geschaffen werden.

Denise Haberger Pressestelle/Bergische Universität Wuppertal




Neue Publikation „Kindertagesbetreuung Kompakt 2021“

2021 erneut mehr Kinder bis zum Schuleintritt in Kindertagesbetreuung als im Vorjahr

Eben hat das Bundesfamilienministerium die siebte Ausgabe von „Kindertagesbetreuung Kompakt“ veröffentlicht. Die aktuellen Zahlen 2021 zum Ausbau und Betreuungsbedarf der Kindertagesbetreuung zeigen deutlich, dass die Anzahl der Kinder, die ein Angebot der Kindertagesbetreuung in Anspruch nehmen, weiter angestiegen ist und der Betreuungsbedarf von Kindern das Angebot in allen Altersgruppen weiterhin übersteigt. Allein bezogen auf Kinder im Grundschulalter liegt die Lücke zwischen Betreuungsquote und Betreuungsbedarf bei 19 Prozent. Der Betreuungsausbau muss deshalb konsequent fortgesetzt werden.

Mehr Kinder besuchen Kindertagesbetreuung

Insgesamt besuchten 2.613.058 Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt ein Angebot der Kindertagesbetreuung. Das sind 48.343 Kinder mehr als im Vorjahr. Die Betreuungsquote der unter Dreijährigen betrug am 1. März 2021 34,4 Prozent. Bei Kindern im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt lag die Betreuungsquote bei 92,2 Prozent. Damit sind die Quoten im Vergleich zum Vorjahr zwar um jeweils 0,6 Prozentpunkte leicht gesunken, die sinkenden Zahlen beruhen unter anderem auf der weiterhin wachsenden Anzahl der Kinder dieser Altersgruppe in der Bevölkerung.

Zahl der betreuten Grundschulkinder leicht gesunken

Die Zahl der betreuten Grundschulkinder ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken: Zum Schuljahresbeginn 2021 wurden 1.621.000 Kinder in Hort- und Ganztagsschulangeboten gemeldet. Das sind 13.000 Grundschulkinder weniger als im Vorjahr und entspricht einem Rückgang um 0,5 Prozentpunkte. In den Jahren zuvor war die Anzahl der betreuten Kinder in Kita sowie Hort- und schulischen Ganztagsangeboten kontinuierlich angestiegen.

Betreuungsbedarf erfordert weiteren Ausbau

Nach den Zahlen der neuen Ausgabe von „Kindertagesbetreuung Kompakt“ wünschten sich 2021 insgesamt 46,8 Prozent der Eltern von Kindern unter drei Jahren einen Betreuungsplatz für ihr Kind. Hier liegt die Differenz zwischen Betreuungsquote und Betreuungsbedarf bei 12,4 Prozent. Bei Kindern im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt liegt die Differenz bei 3,6 Prozent, der Betreuungsbedarf liegt hier bei 95,8 Prozent. Bezogen auf Kinder im Grundschulalter äußerten 73 Prozent der Eltern einen Betreuungsbedarf. Einen Hort- oder Ganztagsplatz besuchten 54 Prozent. Damit gibt es auch hier eine Lücke von 19 Prozent zwischen Betreuungsquote und Betreuungsbedarf.

Maßnahmen zum Ausbau der Kindertagesbetreuung im Überblick:

Schutzsuchende Kinder und ihre Familien aus der Ukraine

Seit Beginn des Krieges ist die Anzahl der schutzsuchenden Kinder und ihrer Familien in Deutschland angestiegen. Für sie leisten Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege einen wichtigen Beitrag: Die Kinder finden sich in der neuen Situation schneller zurecht, knüpfen neue Kontakte und lernen die deutsche Sprache. Die schutzsuchenden Kinder haben mit dem Tag ihres Ankommens in Deutschland – wie alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr – einen Rechtsanspruch auf eine qualitativ hochwertige Bildung, Betreuung und Erziehung in einer Kita oder Kindertagespflege. Sie sollen in Deutschland einen guten Start haben und sich hier wohlfühlen. Der Bund unterstützt die Länder und Kommunen im Jahr 2022 mit insgesamt zwei Milliarden Euro bei ihren Mehraufwendungen für die schutzsuchenden Menschen aus der Ukraine. Darunter fällt auch die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für die Kindertagesbetreuung und Beschulung.

Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026

Um die Betreuungslücke, wenn Kinder nach der Kita eingeschult werden, zu schließen, ist der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder für Kinder und Eltern wichtig. Ab August 2026 haben zunächst alle Kinder der ersten Klasse einen Anspruch auf ganztägige Förderung. In den Folgejahren wird der Anspruch um jeweils eine Klassenstufe ausgeweitet. Ab August 2029 hat jedes Grundschulkind der Klassenstufen eins bis vier einen Anspruch auf ganztägige Betreuung. Der Bund unterstützt die Länder und Kommunen beim quantitativen und qualitativen Ganztagsausbau mit Finanzhilfen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro und beteiligt sich ab 2026 aufsteigend an den Betriebskosten.

Mehr Qualität in Kitas und Kindertagespflege

Gemeinsam mit den Ländern setzt sich der Bund außerdem für mehr Qualität ein. Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung beteiligt sich der Bund bis 2022 mit rund 5,5 Milliarden Euro an der Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung. Trotz vielfältiger positiver Entwicklungen zeigt der Monitoringbericht zum Gesetz zum Teil große Unterschiede zwischen den Ländern. Die Evaluation des Gesetzes zeigt Stellschrauben auf, an denen das Gesetz weiterentwickelt werden kann. Der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sieht daher vor, das Gute-KiTa-Gesetz auf der Grundlage der Ergebnisse des Monitorings und der Evaluation weiterzuentwickeln und dieses bis Ende der Legislaturperiode gemeinsam mit den Ländern in ein Qualitätsentwicklungsgesetz mit bundesweiten Standards zu überführen. Zusätzlich fördert das Bundesfamilienministerium die Qualitätsentwicklung durch mehrere Bundesprogramme. 2022 ist das Bundesprogramm „Integrationskurs mit Kind“ gestartet.

Die siebte Ausgabe von „Kindertagesbetreuung Kompakt“ finden Sie hier: www.bmfsfj.de/kita-kompakt




Gute Krippenpädagogik erfüllt die psychosozialen Bedürfnisse der Kinder

Die Qualität in der Entwicklungsbegleitung von Kindern bis zum 3. Lebensjahr ist in erster Linie eine Frage der Bindung!

Jede entwicklungsförderliche Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit vollzieht sich nur in Form eines sehr engen Bindungsgeschehens zwischen Kindern und Erwachsenen! Unter dieser Maxime betrachtet, kann eine Krippenpädagogik nur dann für Kinder entwicklungsförderlich sein, wenn ein Bindungserleben, getragen von Nähe, Aufmerksamkeit, Zuneigung, Sicherheitserleben, Interesse, Staunen, Neugierde und Zutrauen zur festen Alltagserfahrung von Kindern dazugehört.

Dabei ist es immer wieder und hauptsächlich der positiv erlebte, zwischenmenschliche Kontakt, der Kinder tag-/täglich motiviert, Kontakt zu sich selbst zu suchen, herzustellen und sich über die eigene Existenz zu freuen. Nur wenn dies gelingt, ist der erste – und gleichzeitig entscheidende – Schritt zur Aktivierung und zum Aufbau einer Selbstbildung des Menschen getan – mit einer lebenslangen Bedeutung.

Bildungsziel: Entdeckung der eigenen Lebensfreude und Lebenskunst

Wilhelm Schmid, der als Privatdozent an der Universität Erfurt lehrt, schreibt: „Ein früher Akt der Sorge ist der erste Schrei, eine erste Selbstbehauptung, aber das Kind bleibt noch abhängig von der Fürsorge anderer, ohne die es nicht leben könnte… Wie immer der Weg der Kindheit und des Heranwachsenden verläuft, es geht darum, den Umgang mit sich selbst zu erlernen und zur Sorge für sich selbst in der Lage zu sein, soll das eigene Lernen nicht von anderen abhängig bleiben. Nur über die Selbstsorge wird das Leben zu einem eigenen, und nur dort, wo es Selbstaneignung gibt, kann es Selbstverantwortung geben. Sich um sich zu kümmern und doch nicht die Unbekümmertheit dabei zu verlieren – das stellt das dynamische Zentrum der kindlichen Lebenskunst dar…“ (2003, S. 40).

Wenn der Frage nachgegangen wird, wie Kinder durch frühe Lebenserfahrungen zu einer  „dynamischen Lebenskunst“ finden können, so ergeben sich u.a. folgende Antworten: Kinder bis zum dritten Lebensjahr müssen auch außerhalb ihrer familialen Erfahrungen in einer Sicherheit vermittelnden Umgebung aufwachsen, in der sie vor allem

• gegenwärtige, positive Handlungserlebnisse und tragfähige Beziehungspartnerschaften in all’ ihrer Vielschichtigkeit genießen können;
• immer wieder über eigene Entwicklungen und Stärken staunen können;
• mit Offenheit, Interesse und Neugierde die Herausforderungen des Alltags in einer angenehmen Umgebung suchen und sich ihnen mit Interesse zuwenden können;
• Zusammenhänge von Ereignissen erkennen und herstellen können, um einerseits bekannte Handlungsschritte zu wiederholen und andererseits aus einer Impulserkenntnis heraus neue Handlungsversuche zur Lösung von Problemen entdecken;
• neue, unbekannte Spielräume im Rahmen eigener Verhaltensvielfalten entwickeln;
• ihre Handlungsstrategien erproben, vertiefen und erweitern können;
• in möglichst vielen, für sie selbst bedeutsamen Situationen unbelastet mit sich umgehen können und sich selbst sagen: „Wie schön, dass ich geboren bin, dem Leben schenk’ ich einen Sinn.“

Die Macht der Gefühle

Über viele Jahrhunderte sahen Wissenschaftler/innen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen (auch der Psychologie) ebenso wie Laien die ‚Rationalität und Intelligenz des Menschen’ als die ‚Perle der Schöpfung’ an. Das hat sich inzwischen durch vielfältige Untersuchungen relativiert, ist doch demgegenüber bekannt, dass stets vor allen kognitiven Prozessen und Handlungsimpulsen die Emotionen die entscheidenden Impulse dafür geben, in welche Richtung gedacht und wie gehandelt wird. Es ist die „Macht der Gefühle“, die unser Leben steuert und inzwischen haben führende Emotionsforscher und Hirnspezialisten den Beweis dafür vorgelegt, wie Emotionen das gesamte Leben bestimmen. Dieses >Grundmuster der Gefühle< wird in erheblichem Maße auch durch die Qualität der Krippenpädagogik geprägt – nicht in erster Linie durch strukturelle Qualitäten sondern vielmehr durch die hohe Beziehungsfähigkeit der gleichzeitig sehr gut ausgebildeten elementarpädagogischen Fachkräfte.


Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik

Was brauchen Kinder für eine positiven Selbstentwicklung wirklich? Armin Krenz behandelt fach- und sachkundig und stets praxisnah das Thema der frühkindlichen Entwicklung, sei es im Bereich der Sprache, der Motorik, der sozialen Persönlichkeit oder der Kognition. Er zeigt auf, welch große Bedeutung die Beobachtung und Begleitung der kindlichen Entwicklung in der Pädagogik spielt, sei es im Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten oder zur Ermöglichung einer freien Spielpraxis, die die positive Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit erst ermöglicht.

Armin Krenz
Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik – Kinder sehen, verstehen und entwicklungsunterstützend handeln
Klappenbroschur, 200 Seiten
ISBN: 978-3-944548-02-9
24,95 €uro


Bindungen provozieren Bildungs- und Entwicklungswünsche

In Anbetracht dieser für die Pädagogik und Psychologie außergewöhnlich bedeutsamen Erkenntnisse aus der Neurobiologie sowie der Bindungsforschung besitzen diese fundamentalen Ergebnisse für elementarpädagogische Fachkräfte einen besonders hohen Bedeutungswert. Auf den Punkt gebracht heißt das: eine liebevolle, vertrauensvolle und verlässliche Bindung, die Kinder in ihren ersten (und auch weiteren) Lebensjahren neben ihren Eltern auch mit externen Personen erfahren und aufbauen können, ist die Grundlage für die Entstehung der oben genannten „Lebenskunst des Menschen“ und gleichzeitig die Basis für ein tiefes Selbstvertrauen, Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Nur durch eine tief erlebte Geborgenheit und Annahme sind Kinder in der Lage, ihre ‚Lebenswurzeln’ in Form von Sicherheit und Lebensfreude zu entwickeln und gleichzeitig vor einer Reihe seelischer Irritationen und Lebens einschränkender Ängste geschützt. So vielfältig die Verhaltensirritationen bei immer mehr Kindern ausgeprägt sind – vor allem Ängste, gewaltbereites Handeln, aggressives Verhalten, Anstrengungsvermeidungsverhalten, oppositionelles Widerstandsverhalten gegenüber Anforderungen oder eine generelle Antriebslosigkeit – , so deutlich haben unterschiedliche, epidemiologische Studien unter Beweis gestellt, dass diese und weitere problematischen Verhaltensweisen häufig direkt oder indirekt auf fehlende Bindungserfahrungen in der frühen Kindheit zurückgeführt werden können (vgl. Grossmann, K & Grossmann, K.E., 2012). So kommt immer wieder zum Ausdruck, dass eine als sicher erlebte Bindung ein wesentlicher Schutzfaktor gegen seelische Irritationen ist. Dieser Tatsache und der damit verbundenen Verantwortung haben sich sowohl die Institution Krippe als auch die Eltern und hier insbesondere die Mitarbeiter/innen in den Krippen zu stellen.

Bindungserlebnisse stärken die kindliche Entwicklung

In einer sicheren Bindung erleben Kinder vor allem Verbundenheit, Nähe, Zärtlichkeit, Fürsorge und Schutz. Sie haben das Gefühl, erwünscht und stets gern gesehen zu sein, sie bekommen den Körperkontakt, den sie brauchen, sie werden gestreichelt und merken: es kümmert sich jemand um mich, weil ich meiner Bezugsperson wichtig bin (vgl. Holmes, 2002).

Kennzeichen einer sicheren Bindung kommen vor allem dadurch zum Ausdruck, wenn Kinder

• die Bindungsperson als einen ‚grundsätzlich sicheren Hafen’ erleben, den sie bei Verunsicherungen, Ängsten und Verlassenheitsgefühlen gerne, freiwillig und selbstmotiviert aufsuchen,
• durch die Verhaltensweisen der Bindungspersonen Sicherheit und Hilfe erleben dürfen,
• bei Sorgen, Kummer und Trennung die Nähe zu ihrer Bindungsperson suchen,
• schon sehr früh durch intensive Bindungserfahrungen immer weniger auf Bindungserlebnisse angewiesen sind und sich mit einem Gefühl der inneren Grundsicherheit auf die „Erkundung der großen, weiten Welt“ einlassen und ihrem innewohnenden Forscherdrang nachgehen,
• Mit zunehmendem Alter motiviert und freiwillig über ihre Gefühle berichten und dabei emotionale Belastungen ebenso zum Ausdruck bringen wie Augenblicke der Freude und des tiefen Glücksempfindens.

Im Grunde sind es immer die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben

(Wilhelm von Humboldt)

Eine qualitativ hochwertige Krippenpädagogik befriedigt psychosoziale Grundbedürfnisse der Kinder

Ergebnisse der Entwicklungspsychologie weisen deutlich darauf hin, dass gerade psychosoziale Grundbedürfnisse von Kindern in den ersten Lebensjahren einer dringenden und ständigen Sättigung bedürfen. Wenn in diesem Zusammenhang die Krippenpädagogik den Qualitätsanspruch erhebt, einen nachhaltig förderlichen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes zu haben, dann muss es den Fachkräften möglich sein, vor allem die basalen Grundbedürfnisse jedes Kindes zu befriedigen. Kinder müssen vielfältige Erfahrungen und Erlebnisse machen können, in denen sie

• Zeit mit bindungsnahen Menschen erleben, um sich selbst in den eigenen Entwicklungsmöglichkeiten wahrzunehmen und die Welt um sich herum zu entdecken;
• Ruhe in ihrer Entwicklungszeit erfahren, um sich nach eigenem Gutdünken in ihrer Krippenwelt umzuschauen und mit eigenen Gedankenimpulsen beschäftigen zu können;
• Liebe im Sinne einer personalen Annahme erleben, um ein Gefühl der Selbstannahme zu entwickeln und eine zunehmende Empathie für die lebende und dingliche Welt aufzubauen;
• Vertrauen durch andere spüren, um eigenen Stolz erleben zu dürfen und Leistungsbereitschaft weiterzuentwickeln;
• von ihren Entwicklungsbegleiter/innen verstanden werden, um in den vielfältigen Lebenssituationen und Lebensherausforderungen immer wieder Kontakt zu sich selbst herzustellen und eine Mitverantwortung für Situationsverläufe zu entdecken; 
• Sicherheit durch Nähe und feste (Sinn bedeutsame!!!) Regeln erfahren, um in einen nachhaltigen Prozess der Selbstentwicklung zu finden;
• Bewegung lebendig ausdrücken können, um durch selbstgewählte motorische Aktivitäten Stress abbauen und in eine gedankliche, emotionale und motorische Selbststeuerung kommen zu können;
• Intimität und Geheimnisse bejahend zuerkannt bekommen, um zu erkennen, dass es im Ausdrucksverhalten eine „öffentliche“ und eine „private“ Person gibt;
• Mitwirkung erleben und umsetzen dürfen, um ein individuelles, persönliches Wertigkeitsempfinden zu entwickeln;
• Erfahrungsräume erkunden können, und die Vielfalt der eigenen Entwicklungspotenziale zu entdecken;
• Gefühle (Freude, Angst, Wut, Trauer) ausdrücken dürfen, ihre Existenz akzeptieren und in die eigene Gefühlswelt bejahend zu integrieren;
• die eigene Sexualität annehmen und integrieren können, um sich im eigenen Körper rundherum wohlzufühlen;
• Gewaltfreiheit als ein besonders wichtiges „Lebensgut“ erfahren, um  in den vielfältigen, Angst auslösenden Alltagssituationen immer stärker angstfrei handeln zu können;
• Neugierde umsetzen können, um sich und der Welt lernmotiviert zu begegnen;
• Optimismus von anderen spüren sowie Respekt bzw. Achtung in der erlebten Kommunikation erfahren, um Lebensherausforderungen als Lernchancen anzusehen und mit konstruktiven Gedanken und Handlungsweisen selbst schwierige Situationen anzunehmen und lösen zu wollen.

Es sind also vor allem personale Kompetenzen der elementarpädagogischen Fachkräfte, die außerhalb des Elternhauses der Kinder für eine stabilisierende, persönlichkeitsförderliche und stark machende, ressourcenorientierte Entwicklung eine nicht zu unterschätzende Mitverantwortung mittragen.

Fazit:

Politische Mandatsträger und Wissenschaftler/innen, die sich zur Krippenpädagogik äußern, beziehen sich überwiegend bei Fragen zur pädagogischen Arbeit mit Kindern unter drei Jahren (!) auf Struktur- bzw. Organisationsdaten mit unterschiedlichsten Fragestellungen und Schwerpunkten.  Dabei wird den Ergebnissen der Bindungsforschung, Neurobiologie und Entwicklungspsychologie, was Kinder an Bindungserfahrungen für eine gedeihliche Entwicklung brauchen, kaum ein signifikanter Bedeutungswert beigemessen. Periphere Erwähnungen kommen vor – und hier muss ein dringender Perspektivwechsel vorgenommen werden!

Kinder brauchen liebenswerte Mitforscher/innen, geduldige, aufmerksame, staunende und achtsame, respektvolle und wertschätzende sowie selbsterfahrungsorientierte Entwicklungsbegleiter/innen, die mit ihnen gemeinsam den vielfältigen und unbekannten Geheimnissen der sie umgebenden LEBENSWELT auf die Spur kommen wollen. Dazu brauchen sie sicherlich auch beste Rahmenbedingungen, damit die Krippenpädagogik entwicklungsförderliche und –unterstützende Prozesse in Kindern wirksam werden lässt. Gleichwohl besitzt bei allen Fragestellungen zur Krippenqualität die Person eine a-priorierte Bedeutung, die als Ausgangspunkt aller Fragestellungen zum Mittelpunkt erklärt werden muss. 

Literaturhinweise:

Ainsworth, M.D.S. (2003). Feinfühligkeit versus Unfeinfühligkeit gegenüber den Mitteilungen von Babys. In: Grossmann, K.E. und Grossmann, K. (Hrsg.). Bindung und menschliche Entwicklung… Stuttgart: Klett-Cotta, S. 414-421

Bowlby, J. (2010). Frühe Bindung und kindliche Entwicklung. München, 6. Aufl.: Reinhardt

Damasio, A.R. (2003). Der Spinoza-Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen. München: List

Gebauer, K. (2012). Klug wird niemand von allein. Kinder fördern durch Liebe. Düsseldorf: Patmos

Grossmann, K. + Grossmann, K.E.(2012). Bindungen- das Gefüge psychischer Sicherheit. Stuttgart, 6. Aufl.: Klett-Cotta

Holmes, J. (2002). John Bowlby und die Bindungstheorie. München: Ernst Reinhardt

Krenz, A. (2019). Kinder brauchen Seelenproviant. Was wir ihnen für ein glückliches Leben mitgeben können. München 6. Aufl.: Kösel

Krenz, A. + Klein, F. (2013). Bildung durch Bindung. Frühpädagogik: inklusiv und beziehungsorientiert. Göttingen 2. Aufl.: Vandenhoeck + Ruprecht

Krenz, A.(2014). Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik. Kinder sehen, verstehen und entwicklungsunterstützend handeln. München: Burckhardthaus-Laetare

LeDoux, J.E. (2003). Das Netz der Persönlichkeit. Wie unser Selbst entsteht. Zürich/ Düsseldorf: Walter

Ostermayer, Edith (2015). Krippenkinder achtsam begleiten. Bildung und Betreuung von Kindern unter 3 Jahren. Freiburg: Herder 

Reisinger, Annette (2018). Unsere Krippe – ein Ort zum Wohlfühlen. München: Don Bosco

Schmid, W. (2002). Schönes Leben? Einführung in die Lebenskunst. Frankfurt, 5. Aufl.: Suhrkamp

Van Dieken, Christel (2012). Was Krippenkinder brauchen. Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern unter 3 Jahren. Freiburg: Herder

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz, Honorarprofessor a.D., Wissenschaftsdozent für Entwicklungspsychologie und Entwicklungspädagogik




Grundschulkinder und Jugendliche rund 111 Minuten täglich im Netz

59 Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen können sich ein Leben ohne Internet nicht vorstellen

Chatten, Videos schauen, Informationen suchen: So gut wie alle Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 18 Jahren (98 Prozent) nutzen ein Smartphone oder Tablet. Letzlich setzen mittlerweile ja auch voraus, dass Kinder sich viele notwendigen Informationen aus dem Netz ziehen können. Selbst die Jüngsten zwischen sechs und neun Jahren (95 Prozent) nutzen zumindest eines dieser beiden Geräte. Mit diesen oder anderen Geräten verbringen Deutschlands Kinder und Jugendliche im Alter ab sechs Jahren jeden Tag im Schnitt fast zwei Stunden (111 Minuten) im Netz.

Die Online-Zeit steigt mit dem Alter stark an: So sind Sechs- bis Neunjährige durchschnittlich 49 Minuten pro Tag im Internet und Zehn- bis Zwölfjährige eine Stunde und 27 Minuten. Jugendliche ab 13 Jahren verbringen über zwei Stunden im Netz: 13- bis 15-Jährige zwei Stunden und 20 Minuten, 16- bis 18-Jährige zwei Stunden und 46 Minuten. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie im Auftrag des Digitalverbands Bitkom, für die mehr als 900 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren befragt wurden. Die Angaben beruhen auf Selbstauskünften der Kinder und Jugendlichen, bei den jüngeren im Beisein der Eltern.

Kinder haben immer früher Kontakt mit Smartphone und Tablet

Sehr früh kommen Kinder und Jugendliche mit digitalen Medien und Geräten in Kontakt. 88 Prozent der Sechs- bis 18-Jährigen verbringen zumindest ab und zu Zeit im Internet. Fast genauso viele (87 Prozent) nutzen selbstständig oder zusammen mit ihren Eltern ein Smartphone. Acht von zehn Kindern und Jugendlichen (80 Prozent) nutzen Tablets – vor allem die Jüngeren zwischen sechs und neun Jahren (86 Prozent).

Mit dem Alter nimmt die Tablet-Nutzung leicht ab. 85 Prozent der Zehn- bis Zwölfährigen verwenden Tablets, unter den 16- bis 18-Jährigen noch 74 Prozent. Smartphones hingegen gehören ab dem Grundschulalter zum Alltag dazu: Während 66 Prozent der Sechs- bis Neunjährigen Smartphones nutzen, sind es bei den Zehn- bis Zwölfjährigen 92 Prozent und ab dem Alter von zwölf Jahren gibt es kaum ein Kind ohne Smartphone.

Viele Kinder und Jugendliche haben schon früh ein eigenes Gerät: So geben 36 Prozent der Sechs- bis Neunjährigen an, ein Tablet zu besitzen, ab zehn Jahren ist es mehr als die Hälfte. Insgesamt besitzt jede oder jeder Zweite zwischen sechs und 18 Jahren ein Tablet (50 Prozent). Auch der Smartphone-Besitz (gesamt: 71 Prozent) steigt mit dem Alter rasant: Während 21 Prozent der Sechs- bis Neunährigen ein eigenes Handy besitzen, sind es unter den Zehn- bis Zwölfährigen schon 86 Prozent und bei den 13- bis 15-Jährigen sogar 95 Prozent.

Das bedeutet aber auch, dass bei den Sechs- bis Neunjährigen 64 Prozent kein Tablet und 79 Prozent kein Smartphone besitzen. Erst in der weiterführenden Schule scheint der Großteil der Eltern geneigt, ihren Kindern ein solches Gerät zu beschaffen. Vorher verfügt der weitaus größte Teil eben über keines der beiden Geräte, womit Grundschulehrkräfte nicht annehmen dürfen, dass ihre Schüler und Schülerinnen darüber verfügen können.

Im Langzeit-Vergleich kommen Kinder und Jugendliche der Bitkom-Studie zufolge immer früher mit digitalen Endgeräten in Kontakt. Im Jahr 2014 nutzten lediglich 20 Prozent der Sechs- bis Siebenjährigen ab und zu ein Smartphone, aktuell sind es 64 Prozent. Bei den Zehn- bis Elfjährigen stieg der Nutzungsanteil von 57 Prozent im Jahr 2014 auf 87 Prozent im Jahr 2022. Auch bei den 16- bis 18-Jährigen ist die Handy-Nutzung heute nochmals ausgeprägter und stieg von 88 Prozent (2014) um weitere neun Prozentpunkte auf 97 Prozent.

Messenger- und Streaming-Dienste sind beim Nachwuchs am beliebtesten

Die Zeit im Netz verbringen Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 18 Jahren am liebsten mit Chatten oder Video-Streaming. So verschicken mehr als acht von zehn Kindern und Jugendlichen zumindest gelegentlich Chat-Nachrichten (86 Prozent) und schauen Filme, Serien und Co. (83 Prozent) im Netz. 71 Prozent hören Radio oder Musik und 69 Prozent suchen Informationen für Schule oder Ausbildung. Sechs von zehn spielen Online-Games (61 Prozent). Vier von zehn Kindern und Jugendlichen ab zehn Jahren informieren sich über aktuelle politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachrichten (38 Prozent). Etwa ein Viertel shoppt online (23 Prozent).

YouTube ist die meist genutzte Online-Plattform

Die große Beliebtheit von Videos und Streaming zeigt sich in der Plattformnutzung: Über alle Altersgruppen hinweg dominiert das Videoportal YouTube. So nutzen 82 Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen zumindest ab und zu die Internetseite oder App. Mit großem Abstand folgt Instagram. Auf dieser sozialen Plattform ist etwas mehr als die Hälfte (54 Prozent) aktiv – die Nutzung nimmt mit dem Alter jedoch stark zu: Während erst 17 Prozent der Zehn- bis Zwölfjährigen auf Instagram Zeit verbringen, sind es unter den 13- bis 15-Jährigen schon 60 Prozent und 84 Prozent bei den 16- bis 18-Jährigen. TikTok (gesamt: 50 Prozent) hingegen büßt mit dem Alter an Interesse ein. So nutzen zwar knapp zwei Drittel der 13- bis 15-Jährigen (63 Prozent) die Video-Plattform, die Älteren zwischen 16 und 18 Jahren allerdings nur noch zur Hälfte (52 Prozent). Deutlich geringer ist das Interesse an Facebook und Twitter: So nutzen nur zwölf Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen Twitter und elf Prozent Facebook. Von drei Prozent bzw. vier Prozent unter den 10- bis 12-Jährigen steigen die Werte bei den 16- bis 18-Jährigen auf 21 Prozent für Twitter und 17 Prozent für Facebook.

Bei den Kurznachrichtendiensten und Messenger-Apps dominiert WhatsApp die Kommunikation. Hier versenden 82 Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen häufig Text-, Bild- oder Sprachnachrichten, weitere zehn Prozent manchmal. Mit deutlichem Abstand folgt Snapchat, worüber sich 52 Prozent häufig oder manchmal austauschen. Den iPhone-basierten Dienst iMessage nutzt noch etwa jede oder jeder Vierte in dieser Altersgruppe (23 Prozent) zumindest manchmal, Skype jede oder jeder Fünfte (20 Prozent). Andere Dienste wie Facebook-Messenger (zwölf Prozent) oder Telegram (acht Prozent) werden von den wenigsten verwendet.

69 Prozent achten in sozialen Netzwerken auf ihre Privatsphäre

Dabei achten viele Kinder und Jugendliche nach eigenen Angaben auf ihre Privatsphäre. So wissen 69 Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen, die mindestens ein soziales Netzwerk nutzen, wie sie dort aktiv ihre Privatsphäre-Einstellungen ändern können. 22 Prozent wissen, dass es solche Einstellungen gibt, aber nicht, wie sie diese ändern können. Lediglich sechs Prozent ist die Möglichkeit unbekannt. Wer weiß, wie es geht, macht davon häufig Gebrauch: 83 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit entsprechendem Vorwissen haben ihre Privatsphäre-Einstellungen bereits aktiv geändert.

Grundsätzlich machen Kinder und Jugendliche viele positive Erfahrungen im Internet: 68 Prozent der 10- bis 18-Jährigen finden es gut, online immer mit Freundinnen, Freunden oder ihrer Klasse in Kontakt sein zu können. Etwa jede und jeder Dritte (31 Prozent) hat über das Netz schon neue Freundschaften geschlossen. Zudem haben knapp zwei Drittel (64 Prozent) online ihr Wissen erweitern können und ein Viertel (25 Prozent) hat so seine Leistungen in der Schule oder Ausbildung verbessert. Ob für das soziale Leben, zum Lernen oder einfach zur Unterhaltung: sechs von zehn Kindern und Jugendlichen (59 Prozent) können sich nicht vorstellen, nie wieder online zu sein.

45 Prozent haben negative Erfahrungen im Internet gemacht

Allerdings haben 35 Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen das Gefühl, online zu viel Zeit zu verbringen. Und auch negative Erlebnisse gehören für sie dazu: 45 Prozent haben bei der Netz-Nutzung bereits schlechte Erfahrungen gemacht. So haben 19 Prozent Inhalte gesehen, die ihnen Angst eingeflößt haben. Etwa jede oder jeder Sechste (17 Prozent) wurde schon einmal beleidigt oder gemobbt – unter den Zwölf- bis 13-Jährigen gibt sogar fast ein Viertel (23 Prozent) an, im Netz Opfer von Mobbing oder Beleidigungen geworden zu sein. Dass Lügen über sie verbreitet wurden, sagten zwölf Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen. Sexuelle Belästigung ist ein Problem, das vor allem Mädchen betrifft: So wurde bereits fast jedes zehnte Mädchen im Alter zwischen zehn und 18 Jahren von Gleichaltrigen im Netz sexuell belästigt (9 Prozent), jedes zwanzigste Mädchen von Erwachsenen (fünf Prozent). Jungen werden hingegen sehr viel seltener damit konfrontiert (ein Prozent bzw. zwei Prozent).

Kontrolle durch Eltern nimmt mit steigendem Alter der Kinder und Jugendlichen ab

Die Rolle der Eltern bei der Mediennutzung nimmt erwartungsgemäß mit dem Alter stark ab. So dürfen drei Viertel (76 Prozent) der Sechs- bis Neunährigen sowie 58 Prozent der 10- bis 12-Jährigen nur eine bestimmte Zeit online sein. Bei den 13- bis 15-Jährigen trifft das noch auf drei von zehn zu (30 Prozent), bei den 16- bis 18-Jährigen lediglich auf fümf Prozent. Insgesamt erhalten vier von zehn Kindern und Jugendlichen ab sechs Jahren (41 Prozent) zeitliche Vorgaben. Komplettes Online-Verbot erhalten auch mal 31 Prozent von ihren Eltern – 39 Prozent der Sechs- bis Neunjährigen, aber nur neun Prozent der 16- bis 18-Jährigen. Weiterhin sagen 44 Prozent der Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren, dass ihre Eltern ihnen bei der Internetnutzung nichts verbieten – unter den Sechs- bis Neunjährigen haben nur zwei Prozent alle Freiheiten. Insgesamt gibt ein Fünftel der Sechs- bis 18-Jährigen (19 Prozent) an, nichts vorgeschrieben zu bekommen.

Allerdings bekommen 59 Prozent der Kinder und Jugendlichen von ihren Eltern erklärt, was online erlaubt ist und was nicht. Bei den Sechs- bis Neunjährigen sind es 60 Prozent und bei den 16- bis 18-Jährigen noch knapp die Hälfte (47 Prozent). Das Posten von privaten Inhalten thematisieren insbesondere die Eltern bei ihrem Zwölf- bis 15-jährigen Nachwuchs (75 Prozent) – insgesamt wird bei 59 Prozent aller Kinder und Jugendlichen darüber gesprochen. Generell redet nur ein Drittel (34 Prozent) der Eltern regelmäßig mit ihren Kindern über deren Online-Erfahrungen.

Quelle: Pressemitteilung Bitkom




Wie Kinder sauber werden können

Keine Frage der Erziehung, sondern der biologischen Entwicklung

Mag es auch das Natürlichste der Welt sein. Bis ein Kind sein Geschäft selbstständig auf der Toilette erledigen kann, ist viel Zeit und eine Menge Geduld nötig. Dabei können alle, die mit Kindern leben, ganz schön unter Druck geraten. Denn die ganze Geschichte stinkt im Laufe der Jahre nicht nur mehr. Viel schwieriger ist es, mit den Ratschlägen von  so genannten Expertinnen und Experten und erfahrenen Kolleginnen und Kollegen klar zu kommen. Da gibt es jede Menge gut gemeinte Tipps und Tricks, damit die Kinder schnell keine Windel mehr brauchen. Sollte ihnen im Laufe der Zeit jemand empfehlen, das Kind

  • regelmäßig auf die Toilette zu setzen, bis etwas kommt,
  • es zu wecken, um es aufs Töpfchen zu setzen,
  • gegen Abend weniger trinken zu lassen,
  • für eine nasse Hose zu bestrafen oder
  • für eine trockene Hose zu belohnen,

gehen sie bitte darüber hinweg. Im besten Fall erreichen sie mit diesen Methoden nichts. In allen anderen Fällen tun Sie dem Kind wirklich etwas Übles an. Das Ergebnis ist nichts Gutes.

Warum die Kontrolle von Darm und Blase so kompliziert ist

Denn damit ihr Kind Darm und Blase erfolgreich kontrollieren kann, müssen alle an Ausscheidungs-Funktionen beteiligten anatomischen Strukturen intakt sein. Zudem müssen die zur Steuerung notwendigen Nervenbahnen vollständig ausreifen. Dabei geht es um höchst komplizierte Vorgänge, die einige Jahre Entwicklungszeit brauchen. Schauen wir uns mal die Entwicklungsstufen an. In Ihrem Buch, „Wie Kinder richtig sauber werden“, unterscheidet die Verhaltensbiologin Dr. Gabriele Haug Schnabel vier Schritte, bis ein Kind nicht mehr einkotet.

1. Schritt: Das Kind nimmt wahr, dass sich sein Bauch ein- oder zweimal am Tag anders als sonst anfühlt. Er drückt, manchmal rumort er. „Wichtig für diese Entwicklungsstufe ist, dass die kindliche Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Körpergefühl gerichtet ist, das bald vertraut ist“, schreibt Haug-Schnabel.

2. Schritt: Das Kind kotet bewusst ein. In dieser Phase können sie auch gut erkennen, dass ihr Kind das Gefühl wieder erkennt und richtig zuordnet. Es unterbricht seine Aktivitäten und zieht sich an ein abgeschiedenes Plätzchen zurück oder macht es sich irgendwie bequem. Nun kann das Geschehen in aller Ruhe in die Windel gehen.

3. Schritt: Wenn das Kind soweit ist, das mitzuteilen, was gerade passiert ist „Stinker macht!“, ist der dritte Schritt, die „Meldung im Nachhinein“, geschafft.

Wichtig ist, positiv zu reagieren: „Hast Du es gemerkt? Prima! Dann gehen wir schnell die Windel wechseln.“

4. Schritt: Nach einiger Zeit kann das Kind die einen Stuhlgang ankündigenden „Empfindungen“ melden und passend „bearbeiten“, so dass die Chance besteht, noch rechtzeitig mit nacktem Po aufs Töpfchen zu kommen.

Über 90 Prozent aller Kinder schaffen das bis sie drei Jahre alt sind.

Entwicklung braucht Zeit

Deutlich komplizierter ist dagegen die Blasenkontrolle. Das liegt vor allem daran, dass das kleine Geschäft viel häufiger am Tag und mit weniger Regelmäßigkeit anfällt als das große. Es verlangt mehr Aufmerksamkeit. Die Blase perfekt zu beherrschen, kann vier bis fünf Jahre dauern. Mehr Komplexität verlangt auch mehr Entwicklungsschritte. Haug-Schnabel unterscheidet sieben:

1. Schritt: Das Kind erkennt die Signale im Blasenbereich.

2. Schritt: Es meldet das kleine Geschäft im Nachhinein.

3. Schritt: Das Kind zeigt deutlich, dass es den Harndrang spürt (trippeln, Beine zusammenpressen …) und versucht die Harnabgabe hinauszuzögern. Die richtige Reaktion wäre, auf das Kind zuzugehen und zu sagen: „Ich glaube, Du musst Pipi. Komm, wir versuchen mal, ob es ins Töpfchen plätschert.“ Aber nur vorschlagen, nicht erzwingen.

4. Schritt: Aufs Töpfchen oder zur Toilette gehen, wenn Harndrang verspürt wird.

5. Schritt: Harn abgeben, wenn die Blase noch nicht voll ist.

6. und 7. Schritt: Aufschieben, wenn die Blase voll ist und nachts aufwachen, wenn der Harndrang da ist.

Auf diesem Weg können sie ihr Kind positiv begleiten. Sie haben jedoch keine Chance, etwas zu beschleunigen. Ihr Kind lernt von ihnen durch Beobachtung, wann es Zeit ist zur Toilette zu gehen, wie viel Zeit es vorher einkalkulieren muss damit es noch rechtzeitig klappt, wo und wie es den passenden Ort findet – und was es dort machen muss. Seien sie also an der Seite ihres Kindes, aber drängen sie es nie. Es wird immer wieder Fortschritte, aber auch oftmals Rückschläge geben, etwa wenn das Kind im Spieleifer in die Hose pinkelt. Für das Kind ist die Geschichte ohnehin dann erst geschafft, wenn es allein auf die Toilette gehen darf und dort selbstständig zurechtkommt.

Kinder auf dem Weg zur Resilienz begleiten

Kinder stärken und sie in ihrer Entwicklung unterstützen. Das ist der Weg, Kinder körperlich, geistig und seelisch zu bilden. Auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse zeigen die Autorinnen, wie Sie dazu beitragen, dass Kinder zu starken Persönlichkeiten werden, die sich nicht in Angst, Gewalt oder Sucht flüchten. Ein umfassender Ratgeber für Eltern, Erzieher und Therapeuten.

Stark von Anfang an – Kinder auf dem Weg zur Resilienz begleiten
Gabriele Haug-Schnabel/Gabriele Schmid-Steinbrunner
Hardcover, 250 Seiten
ISBN/EAN: 978-3-934333-45-1
20 Euro




Wenn Papa nur noch traurig ist

Claudia Gliemann/Ann Cathrin Raab: Papas bunte Brücke – Papas Seele hat Schnupfen

Depression ist die psychische Volkskrankheit Nummer Eins. In Deutschland leiden laut RKI (Robert-Koch-Institut) fast elf Prozent der Frauen und knapp acht Prozent der Männer darunter, mehr als in den meisten anderen europäischen Ländern. Klar, dass auch ihre Kinder mitbekommen, dass Mama oder Papa anders sind als früher.

So geht es auch Nele. Ihr Vater arbeitet als Hochseilartist im Zirkus. Eigentlich ist er ein sehr fröhlicher Mensch. Doch seit kurzem ist er immer traurig, hat Angst, auf das Seil zu steigen und will eigentlich nur noch im Bett liegen. Er lacht nicht einmal mehr über Neles Kunststücke. Und das lastet ziemlich schwer auf ihrer Seele.

Zum Glück gibt es den Dummen August. Der ist natürlich gar nicht dumm, sondern ziemlich schlau. Er fragt Nele, wo ihr Lächeln geblieben sei. Und da bricht es aus ihr heraus. Sie macht sich Sorgen um ihren Vater, fragt sich, ob sie an der Traurigkeit schuld sei, ob sie etwas falsch gemacht habe, ob sie nicht gut genug sei.

Das ist das Brutale, wenn die Familie tiefgehenden Veränderungen unterliegt: Sie sind für Kinder nicht einzuordnen. Sie zweifeln an sich selbst. Grundsätzlich, existenziell. Deshalb brauchen sie Erwachsene, die sie dabei tatkräftig unterstützen, Geschehnisse einzuordnen und einen Weg aus der Misere hinaus zu finden.

Und die findet Nele. Im Dummen August, der ihr erklärt, was ihrem Papa hilft: Zeit, Zuwendung und ein guter Arzt oder Psychologe. Und natürlich Mama, die ihr bestätigt, dass sie ihren Mann lieb hat. So können sie gemeinsam eine bunte Brücke bauen, über die der kranke Hochseilartist gehen kann – zurück in die Manege.

Depression betrifft alle

Depressive brauchen Unterstützung des gesamten Umfeldes. Alle zusammen müssen wissen, dass es sich um eine Krankheit handelt. Nicht um Unwohlsein oder fehlenden Willen. Wenn es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen, dann braucht es auch ebendieses Dorf, um einen psychisch Kranken ins Leben und die Gemeinschaft zurückzuholen. Dabei brauchen allerdings auch alle aus dieser Gemeinschaft die Unterstützung der anderen: die Ehefrau, die Kollegen, die Freunde, aber vor allem die Kinder.

Das setzt Ann Cathrin Raab mit etwas kindlich-zittrigem Strich und vielen bunten Punkten in ihren Illustrationen angemessen um. Einfache Linien schaffen fröhliche oder traurige Gesichter, für Kinder in diesem Alter einfach zu erkennen, dabei aber niemals süßlich oder niedlich, sondern dem Ernst der Situation entsprechend.

Im Anhang erklärt Dr. Susanne Schmidt, die in einer psychosomatischen Klinik für Kinder und Jugendliche arbeitet, was Depression ist, was am besten hilft und wie Kinder sich Unterstützung holen können. Claudia Gliemann hat mit ihrer Buchreihe  Reihe Figuren geschaffen, die für Kinder in unterschiedlichen Altersstufen ab vier Jahren die Problematik der Depression nahe bringen. Es begann mit dem vielfach ausgezeichneten Bilderbuch „Papas Seele hat Schnupfen“, das nach kurzer Zeit auch als Hörbuch erarbeitet wurde. Nach diesem Erfolg erschien mit „Ein Muffin für Nele“ ein Sach- und Erzählbuch für Kinder ab sechs Jahren. „Eine bunte Brücke für Papa“, das hier vorgestellt wurde, ist ein klassisches Bilderbuch für Kinder ab vier Jahren. Gliemann hat weiterführend Unterrichtskonzepte und –materialien entwickelt und setzt sich in Schulklassen und sozialen Einrichtungen für die Belange von Kindern psychisch kranker Eltern ein.

Ralf Ruhl

Bibliographie:

Papas Seele hat Schnupfen – Papas bunte Brücke
Text: Claudia Gliemann
Illustration: Ann Cathrin Raab
Ab 4 Jahren
Hardcover
4-farbig illustriert
62 Seiten
ISBN 978-3-942640-16-9
Preis: 19,80 Euro




Massive Probleme beim Handschreiben nach Corona

Ergebnisse der Studie STEP 2022 – 850 Lehrkräfte befragt

Nachdem über 70 Prozent der Lehrkräfte bei ihren Schülerinnen und Schülern größere Probleme beim Handschreiben feststellen, sehen das Schreibmotorik Institut und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) die Notwendigkeit, das Schreiben von Hand über alle Klassenstufen hinweg gezielter zu fördern.

An der STEP-Studie 2022 („Studie über die Entwicklung, Probleme und Interventionen zum Thema Handschreiben“) zum Schuljahr 2020/21 haben rund 850 Lehrkräfte aus dem Primar- und Sekundarbereich teilgenommen. Die Online-Umfrage des Schreibmotorik Instituts in Kooperation mit dem Verband Bildung und Erziehung (VBE) wurde nach 2015 und 2019 zum dritten Mal deutschlandweit durchgeführt.

„Das Ergebnis ist alarmierend“, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des VBE. „Kinder und Jugendliche, die schon vorher Schreibschwierigkeiten hatten, wurden in der Pandemie weiter abgehängt. Eine Ursache hierfür ist die personelle Unterdeckung, unter der Schulen seit Jahren leiden. Dies betrifft verstärkt die Grundschulen. Die notwendige individuelle Förderung, die auch im Schulgesetz verankert ist, kann deshalb nicht mehr geleistet werden.“

Lehrkräfte unzufrieden mit Schreibleistungen

Fast ein Drittel der Lehrkräfte im Primarbereich und sogar gut die Hälfte der Lehrkräfte im Sekundarbereich sind mit den Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler beim Handschreiben unzufrieden. Im vergangenen Schuljahr fand der Umfrage zufolge mit 48 Prozent knapp die Hälfte der Stunden als Distanz- oder Wechselunterricht statt. Anfang November 2020 wurde wegen der Corona-Pandemie das Leben in Deutschland ein zweites Mal weitgehend heruntergefahren. Erst ab Ende April 2021 wurden die Maßnahmen gelockert, was jedoch nur bedingt für die Schulen galt.

„Einen besonders starken Rückgang der Handschreibfertigkeiten gibt es infolge der Pandemie bei den Jungen, von denen ohnehin die Hälfte Probleme mit dem Handschreiben hat“, erläutert Marianela Diaz Meyer, Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts, die Ergebnisse der Studie. Hier machten drei Viertel der Lehrkräfte einen leichten oder sogar starken Einbruch der Leistung aus. Bei den Mädchen, von denen sich ein Drittel mit dem Schreiben von Hand schwertut, sehen 56 Prozent der Befragten eine leichte bis starke Verschlechterung. Aber auch bei denjenigen, die bislang durch gute Leistungen beim Handschreiben glänzten, sieht jede vierte Lehrkraft eine negative Entwicklung.

Eine intensivere Förderung empfohlen

Neun von zehn Lehrkräften (89 Prozent) empfehlen deshalb, die Schreibfertigkeiten mehr zu fördern – über alle Klassenstufen hinweg. Dieses Resultat der Umfrage stützt die Forderung von Diaz Meyer, eine Stunde pro Woche ins Handschreiben zu investieren. Forschungsergebnisse des Schreibmotorik Instituts mit Erstklässlern haben gezeigt, dass Kinder damit ermüdungsfreier und schneller schreiben können. In weiterführenden Schulen kann laut STEP-Studie nicht einmal die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler länger als eine halbe Stunde ohne Verkrampfungen oder Ermüdung schreiben. Expertin Diaz Meyer: „Wer nicht flüssig und in einer gewissen Geschwindigkeit schreiben kann, kann dem Unterricht auch oft nicht mehr richtig folgen und fällt in seinen Leistungen zurück.“ Dem stimmt der VBE-Bundesvorsitzende Beckmann zu: „Wir sehen dadurch eine ganze Reihe Probleme auf betroffene Kinder und Jugendliche zukommen. Handschreiben hat einen großen Einfluss auf den Lernprozess in Gänze und damit auf die gesamte Bildungsbiografie.“

„Schwierigkeiten bei der Schreibstruktur, im Tempo des Handschreibens sowie bei der Leserlichkeit sind die drei Hauptprobleme, die sich nach Angaben der Lehrkräfte durch den Distanz- und Wechselunterricht verstärkt haben“, erläutert Diaz Meyer weiter. Wie es um die Schreibstruktur bestellt ist, hat eine Lehrerin in der Befragung drastisch veranschaulicht. Sie habe Schülerinnen und Schülern nach dem Homeschooling erst wieder beibringen müssen, „dass man vom linken bis zum rechten Rand schreibt und weder in der Mitte des Papiers anfängt noch über den rechten Rand hinausschreibt.“ Die fehlende Schreibstruktur bemängelten insgesamt 76 Prozent der Lehrkräfte als häufig oder sehr häufig, zu langsames Schreiben 71 Prozent. Über die Unleserlichkeit der Handschrift ihrer Schülerinnen und Schüler klagten 65 Prozent.

Zu wenig Bewegung

„Kinder und Jugendliche bewegen sich immer weniger. Das ist ein wichtiger Grund für den deutlichen Leistungsabfall beim Handschreiben“, sagt Marianela Diaz Meyer. „Viele Aktivitäten, die die Motorik fördern, konnten in den vergangenen beiden Jahren nicht stattfinden. Zudem fehlt zuhause oft der Platz, sich kreativ zu entfalten“, ergänzt Beckmann. „Da wundert es nicht, dass während der Pandemie zuhause mehr Zeit vor Displays und Bildschirmen verbracht wurde.“ Jede zweite Lehrkraft attestiert Schülerinnen und Schülern einen häufigen Medienkonsum, 30 Prozent einen sehr häufigen.

„Der Einsatz digitaler Medien wird für die Zukunft des Lernens allerdings immer wichtiger. Das hat die Pandemie gezeigt“, sagt Beckmann. „Aber noch melden uns die Lehrkräfte zurück, dass die technischen Möglichkeiten die Vorteile von Stift und Papier beim Schreiben mit der Hand nicht ersetzen können.“ Stift und Papier sind für 97 Prozent der Lehrkräfte der Primarstufe und für 98 Prozent der Sekundarstufe die bevorzugten Schreibmedien.

Problematischer Lehrkräftemangel

Die Vorteile handschriftlicher Bewegungen gegenüber dem Tippen erklärt Diaz Meyer so: „Kaum etwas hat auf die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen einen derart großen Einfluss wie das Schreiben von Hand, weil dabei mehr als 30 Muskeln und 15 Gelenke koordiniert werden müssen. Dies aktiviert zwölf verschiedene Areale im Gehirn: von der Wahrnehmung über die Verarbeitung von Informationen bis hin zur motorischen Ausführung.“ Neurowissenschaftler hätten bei Gehirnscans entdeckt, dass beim Tippen viel weniger Hirnaktivität registriert wird, weil es sich dabei um die immer gleiche Bewegung handelt, egal ob man ein A oder S tippt.

Der Bundesvorsitzende des Bildungsverbandes, Udo Beckmann, nimmt beim Thema Handschreiben die Politik in die Verantwortung: „Die Probleme sind hausgemacht. Wir leiden seit Jahren an Lehrkräftemangel in den Schulen. Die Situation hat sich in den vergangenen Monaten durch Corona deutlich verschärft. Zudem müssen aktuell weit über 100.000 ukrainische Kinder und Jugendliche in den Unterricht integriert werden. Die Politik muss sich ehrlich machen und den Schulen, aber auch der Gesellschaft offen und transparent vermitteln, was unter den gegebenen Bedingungen leistbar ist und was nicht. Wie können wir dem Thema Handschreiben auch im Unterricht einen angemessenen Stellenwert einräumen? Trotz dieser enormen Arbeitsbelastung haben viele Lehrkräfte an der zeitintensiven Befragung teilgenommen. Das unterstreicht die Bedeutung, die dem Schreiben mit der Hand zugemessen wird.“




Trauriger Befund für Kitas und die Entwicklungschancen der Kinder

Neue Studie des Paritätischen illustriert die extrem angespannte Situation in Deutschlands Kitas

Der aktuelle Kita-Bericht des Paritätischen Gesamtverbandes, der auf einer Befragung von über 1000 Kindertageseinrichtungen aus dem gesamten Bundesgebiet basiert, illustriert die höchst angespannte Situation in Deutschlands Kitas: Arbeitsbelastung und Rahmenbedingungen während der Pandemie sowie vielerorts unzureichende Personalschlüssel und teilweise mangelhafte Ausstattung erschweren es, den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden und führen zu einer hohen Unzufriedenheit bei den pädagogischen Fachkräften. Nach der Studie verhindert der anhaltend hohe Fachkräftemangel bundesweit in jeder zweiten Kindertageseinrichtung, dass Kapazitäten vollständig ausgeschöpft werden. Der Paritätische fordert angesichts der alarmierenden Befunde konzertierte Anstrengungen aller politischen Ebenen zur Qualitätsentwicklung und Fachkräftegewinnung.

Schlechte Ausstattung für Kitas in benachteiligten Sozialräumen

Erstmals untersucht wurde mit der Studie auch der Zusammenhang mit der sozialräumlichen Lage der Kindertageseinrichtungen. Der Befund: Unabhängig von der Pandemie fehlt es insbesondere für Kitas in benachteiligten Sozialräumen an gezielter Unterstützung. „Die Fachkräfte vor Ort leisten Tag für Tag Enormes unter vielerorts wirklich schweren Bedingungen. Gerade dort, wo viele Kinder in Armut aufwachsen oder auf besondere Unterstützung angewiesen sind, klagen auch die Kitas über schlechtere Ausstattung. Hier braucht es dringend gezielte und bessere Unterstützung”, fordert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Viele Kitas können den Bedürfnissen der Kinder nicht gerecht werden

Insgesamt gehen 60 Prozent der Teilnehmenden an der Befragung davon aus, dass sie mit dem gegenwärtigen Personalschlüssel den Bedürfnissen der Kinder nicht gerecht werden können. Kindertageseinrichtungen in benachteiligten Sozialräumen sind davon besonders betroffen. Defizite belegt der Bericht dabei unter anderem im Bereich der Sprachförderung: Je höher die sozialräumliche Benachteiligung, desto größer ist die Zahl der Kinder mit Unterstützungsbedarf bei der sprachlichen Bildung. Gleichzeitig könne dieser Bedarf mit dem gegenwärtigen Personalschlüssel überwiegend nicht gedeckt werden.

Strukturelle Defizite beim Personalschlüssel und der Kita-Finanzierung

Strukturelle Defizite werden nicht nur bei den Personal-Schlüsseln, sondern auch im Bereich der Kita-Finanzierung ausgemacht. Neu- und Ersatzanschaffungen seien kaum selbstverständlich. Mehr als ein Drittel der Teilnehmenden gibt zudem an, dass die vorgesehenen Finanzmittel nicht ausreichen, um die Kinder mit einer ausgewogenen Ernährung zu versorgen. „Die Befunde des Kita-Berichts sind erschütternd. Es ist schon ein Armutszeugnis, wenn es uns in diesem reichen Land nicht gelingt, jedem Kind eine gesunde Mahlzeit, bestmögliche Förderung in der individuellen Entwicklung und eine möglichst unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen”, so Schneider.

Zur Studie:

Der Kita-Bericht des Paritätischen erscheint inzwischen zum zweiten Mal. Die Studie gibt detaillierte Einblicke zum Stand der Qualitätsentwicklung und der praktischen Umsetzung des so genannten Gute-Kita-Gesetzes. Die Umfrage wurde gemeinsam mit Wissenschaftler*innen der Universität Osnabrück ausgewertet. Defizite wurden in allen Handlungsfeldern der frühen Bildung, Erziehung und Betreuung festgestellt. Insgesamt haben 1.171 Personen aus unterschiedlichen Kindertageseinrichtungen vollständig teilgenommen. Damit erfasst die Umfrage ein Fünftel aller Paritätischen Kindertageseinrichtungen in Deutschland. Die Teilnehmenden an der Umfrage kommen aus dem gesamten Bundesgebiet.

Hier geht es zur Studie