Studie zu Müttern mit Zuwanderungsgeschichte

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung analysiert Erwerbs- und Sorgearbeit, Geschlechternormen und schulische Unterstützungsleistungen

Mütter mit Zuwanderungsgeschichte sind in Deutschland eine bedeutende Gruppe der Bevölkerung und der Gesellschaft. Eine Betrachtung von Familien mit Kindern zeigt, dass mehr als jede dritte Mutter mit minderjährigen Kindern eine Zuwanderungsgeschichte hat. Von diesen Müttern sind etwa vier Fünftel selbst zugewandert, während ein Fünftel eine Zuwanderungsgeschichte aufgrund der Zuwanderung eines Elternteils hat.

Quelle: BiB

Eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) unter Leitung der Bildungs-, Familien- und Bevölkerungsökonomin Prof. Dr. C. Katharina Spieß beleuchtet die Erwerbs- und Sorgearbeit, Geschlechternormen und schulischen Unterstützungsleistungen von Müttern, die selbst zugewandert sind.

„Mehr als jede vierte Mutter mit minderjährigen Kindern ist nach Deutschland zugewandert“, sagt Prof. C. Katharina Spieß. „Ihr Anteil an allen Müttern mit Kindern unter 18 Jahren in der Bundesrepublik ist in den vergangenen zehn Jahren von 23 auf 29 Prozent angestiegen.“ Die 2022 gestartete Studie untersuchte drei zentrale Themenbereiche, die bislang noch nicht auf Grundlage aktueller, repräsentativer Daten systematisch erforscht wurden. Zum einen wurden zugewanderte Frauen in ihrer Rolle als Mütter und zum anderen in ihrer Rolle als (Ehe-)Partnerinnen und Erwerbstätige betrachtet.

Bildungsförderung durch Staatsangehörigkeit

Eines der zentralen Ergebnisse der Studie: Mütter mit Zuwanderungsgeschichte, deren Kinder seit Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, unterstützen ihre Kinder intensiver in schulischen Belangen als Mütter mit Kindern ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Die Studie zeigt, dass die bereits seit Geburt besessene Staatsangehörigkeit die Bildungsförderung und den langfristigen schulischen Erfolg dieser Kinder positiv beeinflusst.

Zur Untersuchung dieser Effekte wird in der Studie die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1999 analysiert, die unter bestimmten Voraussetzungen die Staatsangehörigkeit ab Geburt ermöglicht. In der Evaluation werden dafür unterschiedliche Gruppen verglichen: Kinder, die im Jahr vor der Reform geboren sind, mit Kindern, die im Jahr nach der Reform geboren wurden, sowie Kinder, deren Eltern nach Deutschland zugewandert sind, mit Kindern, deren Eltern beide in Deutschland geboren sind. Dies ermöglicht es den bloßen Effekt der Änderung in der Staatsangehörigkeit zu isolieren.

Von der Bildungsförderung von Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit profitieren auch ältere Geschwister unabhängig von deren eigener Staatsangehörigkeit: Denn die Mütter unterstützen nicht nur die betreffenden Kinder mehr und häufiger, sondern auch deren ältere Brüder und Schwestern.

Eine Annahme, warum Mütter mit Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit mehr unterstützen wir in der Studie wie folgt formuliert: „Es ist auch möglich, dass Mütter ihre Kinder, welche die deutsche Staatsangehörigkeit haben, eher unterstützen, da diese eine größere Wahrscheinlichkeit haben, in Deutschland zu bleiben und damit von einem guten schulischen Abschluss in Deutschland besonders profitieren könnten.“

Längerfristig wirkt sich das auf die Schulabschlüsse der Kinder positiv aus.

Erwerbs- und Sorgearbeit von Müttern und Anerkennung von Berufsabschlüssen

In einem zweiten Teil der Studie wurde die Arbeitsmarktteilhabe von Müttern, die ihren Berufsabschluss außerhalb der EU erworben haben, untersucht. Es zeigt sich, dass die durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2012 transparentere und schnellere Anerkennung dieser Berufsabschlüsse einen erheblichen Effekt auf die Integration der Mütter in den deutschen Arbeitsmarkt hat. Die Erwerbsarbeit nimmt zu. Allerdings führt dies nicht zu einer Reduzierung der Sorgearbeit der Mütter an Werktagen.

Bedeutung regionaler Bildungs- und Betreuungsangebote

Der Zugang zu Bildungs- und Betreuungsangeboten spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Integration von Müttern mit Zuwanderungsgeschichte. Bei diesem dritten Forschungsschwerpunkt lag der Fokus auf Müttern aus der Ukraine, die in Deutschland Schutz suchen. Ihnen können bedarfsgerechte Kita-Angebote die Teilnahme am Arbeitsmarkt erleichtern und damit auch zur Reduktion des Fachkräftemangels in Deutschland beitragen. „Der soziale Austausch mit anderen Müttern und im Falle der Kinder mit Gleichaltrigen kann den Schutzsuchenden helfen, ihr Leben in Deutschland ohne ihre zurückgebliebenen Familienangehörigen so zu gestalten, dass sie besser an der deutschen Gesellschaft teilhaben können“, sagt Elena Ziege.

Unerschlossene Potenziale und politische Implikationen

Die Studie zeigt aber auch, dass bei Müttern mit Zuwanderungsgeschichte vor allem im Hinblick auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt und die Bildungskarrieren ihrer Kinder noch nicht alle Potenziale ausgenutzt sind. Die Erwerbsbeteiligung liegt um 29 Prozentpunkte niedriger als bei Müttern ohne Zuwanderungsgeschichte. Darüber hinaus sind Unterschiede im Bildungserfolg von Kindern mit und ohne Zuwanderungsgeschichte sowie der schulischen Unterstützung der Mütter dokumentiert, was auch langfristige Auswirkungen auf die Entwicklungspotenziale der Kinder hat. Die Rahmenbedingungen, unter denen die Frauen leben und arbeiten, sind entscheidend für ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt sowie für den Bildungserfolg ihrer Kinder. Der Fachkräftemangel in Deutschland könnte durch eine bessere Unterstützung dieser Mütter reduziert werden. Gleichzeitig könnte das Bildungspotenzial der nächsten Generation stärker ausgeschöpft werden.

Die Studie kann hier heruntergeladen werden: www.bib.bund.de/muetter-zuwanderung

Dr. Christian Fiedler (BiB)




Hohe Sensibilität für Geschlechtergerechtigkeit aber Mangel an Konzepten

Forschungsgruppe: Schutz vor geschlechtsbezogener Gewalt in Schleswig-Holsteins Kindertagesstätten und Schulen ausbaufähig

Eine hochschulübergreifende Forschungsgruppe zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Bildungsinstitutionen in Schleswig-Holstein hat gemeinsam mit dem Landesverband Frauenberatung Schleswig-Holstein (LFSH) ihre Ergebnisse aus einer landesweiten Befragung im Jahr 2022 veröffentlicht. Die Forschungsgruppe, bestehend aus Prof. Dr. Melanie Groß (Fachhochschule Kiel), Prof. Dr. Christiane Micus-Loos und Dipl.-Päd. Esther van Lück (beide Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) hat das Projekt mit Unterstützung des LFSH und der interministeriellen Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Istanbul-Konvention umgesetzt.

Einblicke in die Fortschritte zur Umsetzung des Schutzes von Mädchen und Frauen

207 Kindertagesstätten und 104 Schulen verschiedener Schultypen aus ganz Schleswig-Holstein haben sich an der Online-Umfrage beteiligt und somit Einblicke in die Fortschritte zur Umsetzung des Schutzes von Mädchen und Frauen vor Gewalt und Diskriminierung gegeben.

Hohe Sensibilität für das Thema

„Sehr erfreulich ist die Tatsache, dass in den befragten Kindertagesstätten eine insgesamt vergleichsweise hohe Sensibilität für das Thema Geschlechtergerechtigkeit festzustellen ist. Etwa 71 Prozent von ihnen haben dieses für alle Kinder wichtige Thema in ihrer pädagogischen Arbeit verankert“, sagt Prof. Dr. Melanie Groß (FH Kiel). Dennoch fehlen nach wie vor konkrete Konzepte zum Umgang mit geschlechtsbezogener Gewalt. 68 Prozent der Kindertagesstätten geben an, dass sie keine Verfahrensregelungen bei geschlechtsbezogener Gewalt haben, sondern stattdessen auf bewährte Konzepte zum Umgang mit Gewalt allgemein zurückgreifen. „Diese Situation ist dann problematisch, wenn geschlechtsspezifische Aspekte von Gewalt nicht in ihren Ursachen bearbeitet werden, was für die Prävention dringend erforderlich ist“, sagt Katharina Wulf, Geschäftsführerin des LFSH. Hierfür bräuchte es in den Kitas aber auch mehr Know-how:

Fort- und Weiterbildungsprogramme sind gewünscht

Etwas mehr als Dreiviertel der befragten Kitas geben an, dass sie sich ein verbindliches Fort- und Weiterbildungsprogramm für alle Fach- und Lehrkräfte zum Thema geschlechtsbezogene Gewalt wünschen, damit sie in der Kita eine bessere Präventionsarbeit leisten können.

Auch den Schulen fehlen die Konzepte

„Auch die Schulen machen sich auf den Weg“, sagt Prof. Dr. Christiane Micus-Loos (CAU). „Immerhin haben 41 Prozent der Schulen das Thema geschlechtsbezogene Gewalt in ihrer Schule fest verankert, allerdings fehlt es noch weitestgehend an Konzepten zum Umgang mit geschlechtsbezogener Gewalt – lediglich 20 Prozent der Schulen können auf solche Konzepte zurückgreifen“, erklärt Micus-Loos. Auch in den Schulen wird Unterstützung zum Thema gesucht: 60 Prozent der befragten Schulen wünschen sich ein umfassendes Internetportal mit Informationen zum Thema und etwas mehr als jede zweite Schule sagt, dass es in der Lehramtsausbildung in den Hochschulen Pflichtmodule zum Thema geschlechtsbezogene Gewalt bräuchte.

Transgeschlechtliche und intergeschlechtliche Kinder selten mitgedacht

Die Forschungsgruppe hat auch danach gefragt, inwieweit in den befragten Institutionen der Schutzauftrag auch gegenüber transgeschlechtlichen und intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen umgesetzt wird: „Die wenigsten der Befragten denken bei ihren Aktivitäten zum Thema geschlechtsbezogene Gewalt oder Geschlechtergerechtigkeit auch diese Gruppen mit – hier braucht es noch viel Wissensaufbau in Schulen und Kitas“, sagt Prof. Dr. Melanie Groß.

Es gibt noch viel zu tun

„Es ist noch viel zu tun“, schreibt eine teilnehmende Person, die für ihre Kita an der Befragung teilgenommen hat. Darauf verweist auch Esther van Lück (CAU): „Wir haben Handlungsempfehlungen entwickelt, die die Bedarfe auf der Ebene der Organisationen, der Ausbildungen und der Kompetenzerweiterung von Fach- und Lehrkräften umfassen – auf all diesen Ebenen brauchen Kindertagesstätten und Schulen langfristige Veränderungen, Ressourcen und Unterstützungen, damit Kinder und Jugendliche ausreichend vor geschlechtsbezogener Gewalt geschützt werden können.“

Istanbul-Konvention

Die Istanbul-Konvention ist ein internationales Übereinkommen, das 2018 von Deutschland ratifiziert wurde. Die Konvention zielt auf den besseren Schutz vor geschlechtsbezogener und häuslicher Gewalt sowie die Beseitigung von Diskriminierung und Ungleichheit von Frauen. Die Konvention betont dabei u. a. die Bedeutung der Bildungsinstitutionen für die Prävention.

Originalpublikation:

Weitere Informationen und Ergebnisse sind in Form von Fact-Sheets online abrufbar unter:
https://www.fh-kiel.de/fileadmin/data/presse/studien/fact_sheet_kita_umsetzung_istanbul_konvention_sh_25.11.2024.pdf
https://www.fh-kiel.de/fileadmin/data/presse/studien/fact_sheet_schule_umsetzung_istanbul_konvention_sh_25.11.2024.pdf

Frauke Schäfer, Fachhochschule Kiel




Neu aufgelegt: Der Bilderbuch-Klassiker über Vielfalt und Toleranz

blauland

Tina Rau: Kennt ihr Blauland?

Endlich – und auch von vielen pädagogischen Fachkräften sowie Eltern seit langem erwartet – ist das Buch „Kennt ihr Blauland?“ in einer Neuauflage erschienen. Es wurde schon vor vielen Jahren vom „Bulletin Jugend & Literatur“ ausgezeichnet und gehört seitdem zu den deutschsprachigen Bilderbuch-Klassikern.

Worum geht es in diesem Bilderbuch?

Dort begegnen uns die „Fizzli-Puzzlis“, die friedfertig in einem blau gefärbten Land leben. In dem Nachbarland lebte der Farbenkönig, dem alles gar nicht bunt genug sein konnte. Und aus Mitleid über die farbliche Eintönigkeit des Nachbarvolkes brachte er nacheinander die Farben Rot und Gelb ins Fizzli-Puzzliland. Bei einer Berührung dieser Farben nahmen die Fizzli-Puzzlis auch die Farben an. Ja es entstand sogar eine weitere Farbe, nämlich das Grün. Und so wurde schließlich aus einem eintönigen kleinen Völkchen ein buntes Volk mit individuellen Menschen, die auch bei ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit eine verbundene Zusammengehörigkeit erleben konnten.

Dieses Bilderbuch erfasst zwei Komponenten. Auf der einen Seite hebt es die Einzigartigkeit jeder Person hervor, die zu keinem trennenden Aspekt im Umgang miteinander führen muss, sondern vielmehr zu einer Bereicherung für alle Beteiligten führen kann. Zum anderen geht es um das Kennenlernen von Farben und Farbmischungen und regt Kinder dazu an, Farben näher kennenzulernen und mit Farben zu experimentieren.

Sowohl die Bilder als auch die Texte harmonieren in sehr gekonnter Weise und werden sich mit Sicherheit auch dieses Mal in viele Kinderherzen hineinzaubern.

Armin Krenz – Hon.-Professor für Elementarpädagogik & Entwicklungspsychologie (a.D.)


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Tina Rau
Kennt ihr Blauland?

Hardcover, 34 Seiten
ISBN: 978-3-759757-28-9
28,50 €

BoD – Books on Demand

Weitere Informationen zur Arbeit von Tina Rau und Aktuellem aus dem Blauland finden Sie bei Facebook unter https://www.facebook.com/profile.php?id=61567744342370




Forschende fordern dringend mehr Sportunterricht

Laut einer Studie sind Kinder in den vergangenen Jahrzehnten immer unsportlicher geworden

Körperliche Aktivität und Fitness sind gerade im Kindesalter von großer Bedeutung. Kinder, die viel Sport treiben, sind im gesamten späteren Leben – auch im Erwachsenenalter – nicht nur aktiver als unsportliche Kinder, sie werden auch gesünder alt, weil sie einen sportlichen Lebensstil weiter behalten. Und wer regelmäßig Sport macht, lebt länger und gesünder, das Risiko vieler Zivilisationskrankheiten wie Krebs oder Diabetes ist reduziert.

Inaktivität und schlechte Fitness belasten somit nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch das Gesundheitssystem. Deshalb ist eine Analyse von Bewegungstrends bei Kindern für eine frühzeitige Intervention und für konkrete Handlungsempfehlungen notwendig.

3.500 Schülerinnen und Schülern an österreichischen Sportschulen untersucht

Forschende aus Klagenfurt haben zusammen mit Prof. Dr. Jan Wilke vom Lehrstuhl für Neuromotorik und Bewegung der Universität Bayreuth die körperliche Aktivität von über 3.500 Schülerinnen und Schülern an österreichischen Sportschulen untersucht – und das fast 20 Jahre lang. An den Sportschulen haben die Kinder mehr Sportunterricht pro Woche als an normalen Schulen. „Die Besonderheit unserer Studie ist, dass wir über achtzehn Jahre kontinuierlich Daten der neuen Schulanfänger gesammelt und analysiert haben, und so echte Trends erkennen. Vorangegangene Studien haben oft nur die Erhebungen einzelner Jahre miteinander verglichen, beispielsweise von 1990 und 2010“, so Wilke.

Die Leistungen haben über die Jahre kontinuierlich abgenommen

Für die Ermittlung der körperlichen Fitness haben die Kinder im Alter von etwa zehn Jahren an diversen Tests teilgenommen, darunter Sprints, Sprünge, Medizinballwürfe, Messungen von Reaktionszeit und Bewegungsschnelligkeit, ein Acht-Minuten-Ausdauerlauf sowie ein Agilitäts-Lauf durch einen Parcours. Die ernüchternde Erkenntnis: Die Leistungen haben über die Jahre kontinuierlich abgenommen, mit Ausnahme der Reaktionszeit und der Ausdauer. Besonders deutlich war der Rückgang der Leistung im Kraftbereich. Auch der Body Mass Index der Kinder hat zugenommen. Die Abnahme der Fitness waren jedoch auch nach Korrektur um diesen Faktor sowie um Alter und Geschlecht noch sichtbar.

Alarmierender Leistungsabfall

„Mögliche Erklärungen für die Reduktion der körperlichen Fitness sind die zunehmende Dominanz von sitzenden bzw. inaktiven Lebensstilen, die verstärkte Nutzung von digitalen Medien sowie zu wenige Bewegungsangebote“, sagt Wilke. Besonders erschreckend: „Wir haben unsere Studie mit Kindern an Sportschulen durchgeführt. Dass sogar diese Kinder, bei denen man ein grundlegend hohes Interesse an körperlicher Aktivität erwartet, Leistungsabfall zeigen, ist alarmierend. Es ist gut möglich, dass Kinder, die weniger an Sport und Bewegung interessiert sind, einen noch stärkeren Rückgang der Fitness aufweisen. Wir empfehlen deshalb nachdrücklich, Bewegungsangebote an Schulen und für Kinder auszuweiten, den Schulsport nicht nur als Beigabe zu betrachten und den Vereinssport attraktiver zu machen“, sagt Wilke.

Die Schule ist für eine Intervention einer der besten Orte, weil hier die Kinder über aktive Pausen oder ein bewegungsfreundliches schulisches Umfeld direkt erreicht werden können, unabhängig von Elternhaus, Freundeskreis oder Wohnsituation.

Die Studie entstand in Zusammenarbeit der Universitäten Klagenfurt und Bayreuth sowie der Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Österreich (ASKÖ) und dem Olympiazentrum Kärnten.

Originalpublikation:

Secular trends of physical fitness in Austrian children attending sports schools: An analysis of repeated cross-sections from 2006 to 2023. Alexandra Unger, Walter Reichel, Katrin Röttig, Jan Wilke. Preventive Medicine (2024)

DOI: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0091743524003049?via%3Dihub

Anja-Maria Meister, Universität Bayreuth




Bitterschokolade: Lindt und Penny fallen durch – Spekulatius mit ein wenig Acrylamid

schokolade

Öko-Test hat 21 Bitterschokoladen und 19 Gewürzspekulatius getestet

Das Ergebnis des Tests zur Bitterschokolade hat einen bitteren Beigeschmack: Öko-Test kann für keine Schokolade im Test Kinderarbeit sicher ausschließen. Ausgerechnet die Schokolade von Lindt fällt mit „ungenügend“ durch – ebenso wie die von Penny. Immerhin: Fünf sind „gut“.

Neben den Inhaltsstoffen wollten die Verbraucherschützer wissen, wie es um die Unternehmensverantwortung und die Lieferketten der Anbieter steht.

Das Ergebnis: Kinderarbeit kann Öko-Test für kein Testprodukt mit Sicherheit ausschließen

Bei vielen Anbietern gibt es in Sachen Transparenz Luft nach oben. Lindt & Sprüngli zeigt sich besonderes zugeknöpft – und das obwohl Lindt Anfang des Jahres wegen Kinderarbeit in Ghana Schlagzeilen machte. Der Anbieter teilte nicht einmal mit, aus welchen Ländern der Kakao der untersuchten Schokolade stammte. Nur ein allgemeiner Nachhaltigkeitsbericht erreichte Öko-Test, der aber keinen Bezug auf das getestete Produkt zuließ. Im Teilergebnis CSR sowie im Gesamtergebnis ist die Lindt Excellence Mild 70 % Cacao Edelbitter Mild nur „ungenügend“.

„Bei all den Diskussionen um faire Löhne und problematische Bedingungen im Kakaoanbau erwarten wir von Anbietern, dass sie ihre Lieferketten kennen und bereit sind, diese transparent zu belegen“, sagt Öko-Test Redakteurin Heike Baier.

Genauso schlecht wie Lindt schneidet die Best Moments Edelbitter-Schokolade, 74 % Kakao von Penny ab. Hier ziehen vor allem Mineralölbestandteile und Pestizidrückstände in der Schokolade das Ergebnis nach unten.

Bei fünf Schokoladen geben die Verbraucherschützer sowohl bei den Inhaltsstoffen als auch bei den Anbaubedingungen des Kakaos grünes Licht – vier davon mit Bio-Siegel.

Weitere Informationen finden Sie in der Dezemberausgabe des Öko-Test-Magazins oder unter: oekotest.de/15047

Acrylamid in Spekulatius

Gebäck ist häufig mit Acrylamid belastet. Deswegen hat Öko-Test 19 Gewürzspekulatius auf diesen Stoff prüfen lassen. In fast allen Spekulatius konnte Öko-Test Acrylamid nur in Spuren nachweisen. Nur wenige Produkte schwächeln. Bei den Testprodukten von Lidl und Aldi gibt es Luft nach oben.

Die Testergebnisse sind bis zum 27. Dezember gratis abrufbar.

Acrylamid ist eine Substanz, die beim Erhitzen von stärkehaltigen Lebensmitteln entstehen kann. In Tierversuchen hat sich der Stoff als krebserregend und erbgutschädigend erwiesen. Einen gesetzlichen Grenzwert für Acrylamid gibt es immer noch nicht, obwohl das Problem seit Jahrzehnten bekannt ist.

Aber es gibt einen sogenannten Richtwert der EU, an den sich die Hersteller halten sollten, aber nicht müssen. Der liegt für Kekse bei 350 μg pro Kilogramm.

Als „erhöht“ bewertet Ökö-Test Produkte, die mit ihren gemessenen Gehalten von Acrylamid mehr als die Hälfte dieses EU-Richtwerts ausschöpfen – und das sind in diesem Test die Wintertraum Gewürzspekulatius von Aldi und die Favorina Gewürzspekulatius von Lidl. Da sie den Richtwert aber noch einhalten, wertet Öko-Test sie nur um zwei Noten ab.

Weitere Informationen finden Sie in der Dezemberausgabe des Öko-Test-Magazins oder hier auf oekotest.de

Quelle: Pressemitteilung Öko-Test und oekotest.de




Traumawissen für Eltern

Traumawissen

Wie lässt sich ein Trauma erkennen, und was hilft?

Manchmal verändert sich ein Kind nach einem belastenden Erlebnis: Es zieht sich zurück, wirkt plötzlich ängstlich oder aggressiv, zeigt körperliche Beschwerden wie Schlafprobleme oder Bauchschmerzen. Für Eltern stellen sich dann drängende Fragen: Ist dieses Verhalten noch normal? Könnte es ein Zeichen für eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sein? Und vor allem: Was braucht mein Kind jetzt?

Die erfahrene Psychotherapeutin Melissa Goldberg Mintz bietet in ihrem Buch „Ist mein Kind traumatisiert?“ Orientierung und konkrete Unterstützung für Eltern. Sie erklärt, wie sich traumatische Erfahrungen je nach Lebensalter des Kindes äußern können und macht dabei deutlich, wie individuell die Reaktionen auf ein Trauma sind: Während einige Kinder scheinbar schnell zur Normalität zurückfinden, zeigen andere erst Wochen oder Monate später Veränderungen.

Was Eltern tun können – und wann sie Hilfe brauchen

Eltern spielen eine zentrale Rolle im Heilungsprozess. Im Buch gibt die Autorin konkrete Tipps, wie sie mit veränderten Verhaltensweisen ihres Kindes umgehen können. Ein wichtiger Aspekt ist, dem Kind Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. Dies kann durch eine klare Tagesstruktur, ein offenes Ohr, physische Nähe etc. geschehen. Zudem erläutert sie, wie Eltern lernen können, sogenannte Triggersituationen zu erkennen und ihrem Kind in solchen Momenten stabilisierend beizustehen.

Doch nicht immer reichen elterliche Maßnahmen aus. Die Autorin zeigt daher auf, welche Anzeichen darauf hinweisen, dass professionelle Hilfe notwendig ist – etwa, wenn Symptome wie Albträume, Konzentrationsprobleme oder sozialer Rückzug über Wochen hinweg anhalten. Hier ist es wichtig, dass Eltern frühzeitig handeln und Unterstützung suchen, etwa in Form von Traumatherapie.

Liebevolle Begleitung macht den Unterschied

Auch wenn eine therapeutische Begleitung irgendwann nötig werden könnte, bleibt die emotionale Nähe der Eltern ein unverzichtbarer Anker. Mit ihrer Geduld, Liebe und Präsenz können Eltern wesentlich dazu beitragen, dass ihr Kind nach einem belastenden Erlebnis wieder Vertrauen in sich und die Welt fasst.

Eltern müssen kein Trauma-Expert:innen sein, um zu helfen – aber sie können ihrem Kind genau das geben, was es am dringendsten braucht: Sicherheit, Verständnis und eine schützende Hand.

Melissa Goldberg Mintz: Ist mein Kind traumatisiert?

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Runter vom Gas 5 – Die Authentizität der Lehrkraft

Weil Schulkinder nicht das lernen, was wir ihnen vortragen, sondern nur das lernen, was sie aktiv aufnehmen wollen und bei ihnen ankommt

Das Wichtige ist nicht die Bildung des Lehrers, so wie die Gescheitheit und die Beschäftigung mit Pädagogik einen Vater nicht zum Erzieher fähig macht, wenn er nicht als Mensch, als Vorbild, das Überzeugende hat, dem ein Kind mehr glaubt als Worten. (Hermann Hesse, Lektüre für Minuten, Frankfurt am Main, S.118)

Bedeutsamer als das gesprochene Wort ist das, was wir „zwischen den Zeilen“ senden

Wenn du eine Unterrichtseinheit als interessant und spannend ankündigst, dir aber denkst, was für einen langweiligen Quatsch du unterrichten musst, dann wird nicht dein gesprochenes Wort, sondern deine insgeheim gedachte Botschaft bei den Kindern ankommen. Du musst dir so etwas nicht einmal ausformuliert denken. Es genügt schon, wenn du lustlos und uninspiriert den Stoff „durchnimmst“.

Deine Schüler lernen nicht das, was du ihnen vorträgst

Sie lernen nur das, was sie aktiv aufnehmen wollen, was wirklich bei ihnen ankommt. Und dafür ist es zuallererst wichtig, dass du als Lehrerin, als Lehrer, voll hinter den Inhalten stehst, die du deiner Klasse nahebringen möchtest.

Nun kannst du einwenden, dass du ja nicht einfach in deinem Gehirn einen Schalter umlegen kannst, damit du irgendwelche Lehrplaninhalte gut findest. Deshalb ist es wichtig, dass du erst einmal dein eigenes Verhältnis zu den Inhalten deines Unterrichts klärst. Es wird wohl kaum jemand bezweifeln, dass allem, was mit Lesen, Schreiben und Rechnen zu tun hat, allerhöchste Priorität zukommt. Dank der großen Autonomie, die du als Lehrkraft in deinem Unterricht hast, kannst du nun entscheiden, mit welcher Methode und welchem Material du an diese Inhalte herangehst.

Und das macht den Unterschied aus. Genauso, wie du bei Büchern, die du in der Klasse vorlesen willst, unbedingt nur solche auswählen sollst, die dir auch selbst gefallen, solltest du in den unbestritten wichtigen Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen nur mit Material arbeiten, das dir selbst sinnvoll erscheint. Und bei dem du selbst findest, dass es deinen Schülern etwas bringt und nicht nur eine Schulstunde füllt.

Beim Artikel über das Lesenlernen habe ich das konkret ausgeführt. Aber das Gleiche gilt auch für das Aufsatzschreiben, das ich im ersten Artikel angesprochen habe, auch für das Rechtschreiben und ganz besonders für den Rechenunterricht. Darüber findest du in meinen Büchern und auf meinem Matheblog viele Ideen, die es dir erleichtern, Methoden einzusetzen, hinter denen du wirklich überzeugt stehen kannst. (Christina Buchner, So lernen alle Kinder rechnen, Weinheim und Basel, 2012; Christina Buchner, Das Phantom Dyskalkulie, Weinheim und Basel, 2018;  www.die-rechentante.de)

Eigene Stärken und Vorlieben machen dich authentisch

Über die Unterrichtsgestaltung im engeren Sinn hinaus kannst du dir und deinen Schülern etwas Gutes tun, wenn du gezielt die Ressourcen nutzt, die aus deinen eigenen Vorlieben erwachsen.

Das macht ja gerade den leidenschaftlichen und mitreißenden Lehrer aus, dass er nicht vormittags „im Dienst“ ist und nachmittags „privat“, sondern dass er neben seinem Fachwissen auch sich selbst einbringt, mit seinen Pfunden wuchert und aus seinen Begabungen und Vorlieben pädagogisches Kapital schlägt.

Gerade weil unser Beruf so viele Freiheiten bietet, können wir das, was uns selbst begeistert, in die Schule einbringen. Alles, was Schule bunt und lebenswert macht, dient – so ganz nebenbei und gleichsam durch die Hintertür – auch dem Lernklima und damit dem Lernerfolg.

Und außerdem gibt es gar nicht so wenige Querverbindungen von den „zweckfreien“ Aktivitäten zu schulischen Inhalten.


Kochst du gerne?

Dann kannst du im Mathematikunterricht Rezeptmengen umrechnen lassen und hin und wieder mit den Schülern auch wirklich etwas zubereiten, sodass Abmessen, Wiegen, Zeitplanung und Strukturierung eines Ablaufs tatsächlich getan und nicht nur gedacht werden. In Deutsch können Rezepte aufgeschrieben werden, im Sachunterricht kann über einzelne Zutaten gesprochen werden und mit Buchstaben- und Zahlenkeksen können Erstklässler sich Wichtiges „einverleiben“. Mit einem Zweiplattenkocher und exakter Organisationen lassen sich auch in Klassen mit 30 Kindern viele Ideen umsetzen. Mehr dazu, auch Rezepte, findest du in meinem Buch „Unterricht entschleunigen“ und im Download dazu. (Christina Buchner, a.a.O., S.232 f.)


Hast du Freude an Singen, Tanzen, Musizieren?

Dieser Bereich ist auch im Lehrplan verankert, kommt dort aber – das ist meine persönliche Meinung – ziemlich dröge daher.

Dabei ist gerade alles, was mit Musik und Rhythmus zu tun hat, in allerhöchstem Maße lernförderlich. Trommeln, Rappen und Beatboxen bieten einmalige Chancen, gerade auch an Buben, und sogar an die besonders coolen, heranzukommen. Also lass, wenn es für dich einigermaßen passt, diese Gelegenheit nicht an dir vorüberziehen.


Bist du gerne im Freien aktiv?

Auch hier bieten sich neben „zweckfreien“ Unterrichtsgängen, bei denen im Wald „nur“ gespielt wird, noch viele weitere Gelegenheiten für eine Einbindung in Unterrichtsinhalte:

Sammeln von Blättern und Früchten, Orientierungsspiele, Vermessen von Bäumen, Büschen, Waldrändern und Wegabschnitten und dann dazu Karten in einem geeigneten Maßstab zeichnen, Sammeln von Rinden, Wurzeln und Moos für die Gestaltung einer Weihnachtskrippe, Sammeln von Holunderbeeren im Herbst, aus denen ein köstlicher Saft gekocht werden kann und vieles mehr.


Macht dir Theaterspielen Spaß?

Dann sind Theaterprojekte ein absolutes Muss. Auch Lesetexte und Gedichte lassen sich gut dramaturgisch gestalten. Ich arbeite sogar im Mathematikunterricht mit den Handpuppen von Räuber, Liesel und Krokodil und begeistere Kinder immer wieder damit. (Christina Buchner, 2012)

Selbst etwas so Trockenes wie Grammatik kann gewaltig aufgewertet werden, wenn nach der Montessori-Idee mit Wortartsymbolen gearbeitet wird und dazu das Wortartmärchen von Eva Maria Schröer als Vorlage für Spielszenen dient. (Die Website Schröers existiert nicht mehr, aber im Auer Verlag gibt es darauf basierend ein Buch von Bernd Ganser: Wortarten – einfach märchenhaft, Donauwörth, 2021)


Bist du eine Leseratte?

Dann wirst du mit einer täglichen Vorleseviertelstunde viel Gutes bewirken können. Es gibt so gute Kinderliteratur, die auch für Erwachsene wertvoll ist. Und, wie ich bereits mehrfach erwähnt habe: Eine tägliche Vorlesezeit bietet nicht nur Sprachförderung von hoher Qualität, sondern ist darüber hinaus für das Klassenklima von größtem Wert.

Es ist nicht nur legitim, sondern sogar notwendig, dass auch wir Lehrer in der Schule auf unsere Kosten kommen und Spaß haben. Schule ist kein Spaß, auch Lernen ist es nicht, aber man kann jede Menge Spaß haben, und das tut allen Beteiligten gut.


Sinnerfülltheit erleben

Viele unserer Kolleginnen und Kollegen, ja, eigentlich die allermeisten, arbeiten nicht bis zum gesetzlichen Rentenalter, sondern gehen früher. Sie sind „fertig“ oder „ausgebrannt“. Das ist so schade, denn das müsste nicht sein, davon bin ich zutiefst überzeugt. Ich will jetzt nicht mit solchen Allerweltsfloskeln wie „Schau auf dich“ oder „Pass auf dich auf“ kommen.

Aber ich glaube, dass viele unserer Kolleginnen tagtäglich das Unmögliche versuchen und daran zwangsläufig scheitern müssen.
Wenn du dich von meinen Beispielen und Anregungen dazu verführen lassen würdest, das Unmögliche sein zu lassen und nur das, was möglich ist, anzustreben, dann würde es dir und deinen Schülern zu „Nutz und Frommen“ gereichen. Aber es geht nicht einfach um das Weglassen. Es geht in erster Linie um das Anders-Machen. Wenn du siehst, dass es dir gelingt, in deinen Schülern Lernfreude zu wecken, aus grauer und öder Schule mit ihnen gemeinsam einen Ort zum Wohlfühlen zu machen, dann hast du etwas Wichtiges und Nachhaltiges getan, etwas, das auch im späteren Leben deiner Schüler noch bedeutsam sein wird.

Für die Lehrergesundheit gibt es nichts Besseres, als die eigene Arbeit als sinnvoll zu empfinden und als authentischer Mensch zu agieren. Authentizität ist energiesparend und sich selbst als wichtig und sinnvoll zu erleben gibt Kraft. So hast du gute Chancen, ein Lehrerleben lang mit Freude zu arbeiten.

Akzeptanz und Anerkennung

Noch etwas ist wichtig, damit es uns gut geht: Wir brauchen, wie jeder Mensch (siehe Maslow-Pyramide vom Artikel vier), soziale Zugehörigkeit. Dieses Bedürfnis kann einerseits privat durch Familie und Freunde erfüllt werden. Wenn wir aber im beruflichen Kontext keinerlei Wertschätzung erfahren, also uns dort, wo wir arbeiten, nicht zugehörig und angenommen fühlen, dann tut uns das nicht gut.

Es ist gewiss nicht einfach, heutzutage Lehrer zu sein. Die Umwelt des Lernens ändert sich. Eltern stellen Ansprüche, die Gesellschaft steht der Schule nicht positiv gegenüber. Kinder wachsen unter Verhältnissen auf, die alles andere als förderlich sind.
All das stimmt. Und trotzdem hast du in der Schule viele Möglichkeiten, für dich und deine Schüler in deinem Klassenzimmer einen gewissen Schonraum und eine lebenswerte Insel zu schaffen.

Dafür habe ich in dieser Artikelserie geworben.

Wenn es dir nun auch noch gelingt, die Eltern mit in dein pädagogisches Boot zu holen, dann wirst du für deine Arbeit sehr viel Rückenwind bekommen und nicht nur das. Du wirst auch Akzeptanz und Anerkennung von dieser Seite erfahren.

Ich möchte dir einige Eckpunkte für den Umgang mit Eltern nennen, mit denen ich über viele Jahre die besten Erfahrungen gemacht habe. Das soll nun aber nicht heißen, dass zu hundert Prozent und mit allen Eltern immer nur eitel Sonnenschein war.

Doch wenn die überwiegende Mehrheit deiner Erfahrungen positiv ist, dann wiegt das Negative nicht schwer.

Und natürlich wird es dir höchstwahrscheinlich so ergehen wie auch mir immer mal wieder: Du wirst dich in manchen Fällen nicht optimal verhalten und Eltern unnötig gegen dich aufbringen. Wenn du aber solche Ausrutscher dann analysierst, wirst du daraus viel lernen und sie werden dir immer seltener passieren.

Miteinander ist besser als gegeneinander – die Chancen des ersten Elternabends

Wenn ich eine neue Klasse übernahm, fand ich den ersten Elternabend immer sehr aufregend. Und das sagte ich den Eltern auch. In Bayern werden Klassen für gewöhnlich zwei Jahre lang von einer Lehrerin geführt. Und das bedeutet, dass mit jeder neuen Klasse eine Partnerschaft beginnt, die unbedingt gelingen sollte.

Ich hatte für diesen Kennenlern-Abend eine Standardformulierung, die ich immer vorbrachte:

„Wir sind nun zwei Jahre sowas Ähnliches wie ‚verheiratet‘ miteinander. Und ich möchte unbedingt, dass das eine gute Ehe wird.“ Das klang zwar immer lustig, sorgte auch für Heiterkeit, war aber dennoch ganz ernsthaft gemeint.

Denn wie man es auch dreht und wendet: Eltern, die der Schule ablehnend und feindselig gegenüberstehen, behindern unsere Arbeit erheblich. Deshalb sollten wir uns nicht zu gut dafür sein, hier um Sympathien zu werben. Geschäftsleute machen so etwas ja auch. Und auch wenn wir unsere Kundschaft aufgrund der Schulpflicht sicher haben, so bedeutet es für unsere eigene Arbeits- und Lebensqualität einen gewaltigen Unterschied, ob wir mit Rückenwind oder mit Gegenwind arbeiten.

Natürlich meine ich mit „Sympathiewerbung“ nicht, dass es empfehlenswert wäre, sich bei den Eltern anzubiedern, womöglich gar noch ihnen nach dem Munde zu reden und ihnen schönzutun.

Aber wenn wir vorhaben, das Zusammensein mit unserer Klasse nicht nur von Stoffdruck und Prüfungen dominieren zu lassen, dann wäre es sehr sinnvoll, den Eltern genauer zu schildern, wie das konkret aussehen soll, ihnen die Gründe dafür zu nennen und auch die damit für jedes Kind verbundenen Vorteile aufzuzählen.

Wenn uns bewusst ist, wie wir Lehrer im ungünstigen Fall wahrgenommen werden, nämlich als Bewerter, Notengeber und Chancengewährer oder -vernichter und damit auch als „natürlicher Gegner“, wenn nicht gar Feind, dann führt das in meinen Augen zwingend zur Notwendigkeit, an dieser „Wahrnehmungsschraube“ zu drehen. Worte alleine schaffen das aber nicht. Es muss uns schon ernst damit sein, das große Thema Unterricht und Leistung anders anzugehen, als es gemeinhin üblich ist und als die Eltern es erwarten.

Dann ist es auch von großer Wichtigkeit, unsere pädagogischen Richtlinien konkret zu nennen und zu begründen und auch das Thema Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus anzusprechen. Es ist doch viel geschickter, die Linien, die für gedeihliche und respektvolle Kommunikation wichtig sind, abzustecken, solange noch kein konkretes Problem im Raum steht.

Und es ist auch wichtig, die Stolpersteine zu benennen, die auf unserem gemeinsamen Weg durch ein Schuljahr auftreten können:

  • Es ist eine Unmöglichkeit für uns Lehrer, immer alles richtig zu machen. Da an einem normalen Schultag x-mal ad hoc reagiert werden muss, sind Fehler „eigentlich“ schon eingepreist.
  • Missverständnisse wird es sicher auch gelegentlich geben, sodass zu Hause etwas ganz anders ankommt, als es gemeint ist.
  • Kinder werden auch zu Hause nicht immer objektiv schildern, was in der Schule vorgefallen ist und zwar nicht, weil sie lügen würden. Sie geben einfach nur ihre subjektive Wahrnehmung wieder und versuchen manchmal auch, eine Variante darzustellen, die für sie günstiger ist. Das ist ganz normal, nur sollte uns das bewusst sein.
  • Wenn Eltern wegen eines Problems in die Schule kommen, wäre es gut, nicht gleich Vorwürfe zu erheben, sondern vielleicht erst einmal nachfragen, wie sich etwas erklärt oder was genau vorgefallen ist. Und das sollte man auch – eben gerade im Vorhinein und ohne konkreten Bezug, nur als allgemeine „Geschäftsgrundlage“ – thematisieren.

Viele Eltern sind von nichtssagenden Elternabenden enttäuscht. Wenn es dir gelingt, ein plastisches Bild davon zu entwerfen, wie Schule sein könnte, dann hast du einen wichtigen Schritt geschafft. Ein großer Teil der Eltern wird positiv gestimmt und neugierig auf deine Arbeit sein. Damit hast du schon einmal mentale Unterstützung, die du sehr gut brauchen kannst.

Information – nicht nur im Internet eine wichtige Währung

Wenn du nun entschlossen sein solltest, den Fuß vom pädagogischen Gashebel zu nehmen und dir und deinen Schülern Zeit für das Wesentliche zu gönnen, dann wird dein Schultag anders als „normal“ sein.
Deshalb ist es unbedingt notwendig, den Eltern nicht nur Grundsätzliches zu erzählen, sondern sie ganz konkret zu informieren, wie dieses Grundsätzliche im Unterricht konkret aussieht:

Wenn du deinen Leseunterricht im Wesentlichen ohne Fibel gestaltest, beschreibe das genau und benenne die Vorteile. Falls du das Hundertstundentraining im Lesen machst, rechne genau vor, warum du es so organisierst.

Wenn du im Rechenunterricht bereits am zweiten Schultag den Zwanzigerraum öffnest, aber bis Weihnachten ohne Gleichungen arbeitest, erkläre genau, warum und welchen Nutzen das für die Kinder hat.

Im Idealfall erstellst du für die Eltern ein Handout mit Beispielen, sodass sie zu Hause in Ruhe noch einmal nachsehen können, wenn ihr Kind mit bestimmten Aufgaben nach Hause kommt.

Konkrete Handreichungen für Elternabende und Handouts zum Thema Rechnen findest du bei Beltz im Download zu meinem Buch: So lernen alle Kinder rechnen.


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So wird Unterricht entspannt

Stress, Druck und Hetze bestimmen oft bereits in der Grundschule den Alltag von Lehrern, Schülern und Eltern. Doch es ist möglich, trotz starrer Rahmenbedingungen und zahlreicher Anforderungen den schulischen Alltag für alle Beteiligten angenehm zu gestalten – ohne Hektik und Stress.
Der Fokus liegt auf der Autonomie der einzelnen Lehrer. Du findest erprobtes Handwerkszeug für eine alternative Umsetzung des Lehrplans. Methodenfreiheit neu gedacht, fächerübergreifendes Unterrichten und Projektarbeit ermöglichen einen entschleunigten Unterricht. Zusätzlich gibt es noch Online-Materialien.

Buch, broschiert, 260 Seiten 
ISBN:978-3-407-25762-8
24,95 €

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Coaching und professionelle Hilfe bei Problemen

Wenn Eltern in der Sprechstunde die Klassenlehrerin um Hilfe bitten, weil ihr Kind sich schwertut mit dem Lesen, Schreiben oder Rechnen, dann kommt sehr häufig die Empfehlung: Ihr Kind muss mehr üben.

Das ist nicht nur eine völlig nutzlose Empfehlung, sie passt auch nicht zu einem Profi, der wir ja sein sollten.
Das Kind wird sich mit noch mehr und noch mehr üben nicht verbessern. Die Eltern sind zu Recht enttäuscht von der Schule und aus einem Miteinander wird sehr schnell ein Gegeneinander.

In einem entschleunigten Unterricht kannst du deine Schüler intensiver wahrnehmen

Und wenn du auch noch eine tägliche Freiarbeitsphase fest in deinem Unterrichtsalltag installiert hast, dann kannst du im Elterngespräch schon einmal detailliert darlegen, wo genau es hapert. In einem nächsten Schritt kannst du den Eltern ein tägliches 15-Minuten-Training empfehlen, für das du ihnen auch Material bereitstellst und das du auch – z.B. über einen wöchentlichen Rückmeldebogen – von Seiten der Schule begleitest.

Ein zeitlich sehr überschaubares tägliches Übungspaket, das inhaltlich genau auf einen Schüler zugeschnitten ist, das zusätzlich auch von der Lehrkraft begleitet wird, ist natürlich etwas viel Wirkungsvolleres als irgendeine Übung, die mit Hilfe irgendeines Ratgebers von den Eltern auf eigene Faust – und meistens dann in viel zu langen Übungssequenzen – durchgeführt wird.

Eine Viertelstunde täglich, und wenn der Küchenwecker klingelt, ist Schluss. Damit kommen Kinder gut zurecht.

Individuelles Arbeitsmaterial zu erstellen ist dank unserer technischen und digitalen Möglichkeiten überhaupt kein Problem, z.B. mit dem worksheetcrafter. Wenn ein Schüler sein eigenes Arbeitsheft hat, zeigt ihm das, dass wir uns speziell für ihn einsetzen und das ist unglaublich motivations-fördernd.

Du kannst zusätzlich zu den Rechenblättern in das Trainingsheft auch Uhrenseiten einfügen, die jeweils in 10- oder in 15-Minuten-Abschnitte eingeteilt sind. Jeder absolvierte Übungszeitraum wird schraffiert, ein Elternteil unterschreibt, dass korrekt geübt wurde und das Kind bekommt pro Übungsstunde einen Aufkleber ins Trainingsheft unter die absolvierte Stunde. Die konkrete Gestaltung liegt ganz bei dir.

Allerdings: Ein Spiralbindegerät – am besten elektrisch! – sollte jede Schule haben. Damit lassen sich schnell individuelle Hefte erstellen.

Dann muss noch ein unverzichtbarer Bestandteil jedes Trainingsvorhabens vorab geklärt werden:

Das Kind muss wollen. Wenn nur die Mutter will, wird das Vorhaben nicht erfolgreich sein. Deshalb ist ein klärendes Gespräch im Vorfeld unerlässlich.

Wenn wir mit dem Kind sprechen, sachlich, ohne Vorwürfe und lösungsorientiert, dann haben wir sehr gute Chancen, es für ein aktives Mitmachen bei einem kurzen täglichen Training zu gewinnen. Wir müssen uns allerdings genau an die Abmachung halten: Fünfzehn (oder in Einzelfällen zehn) Minuten und beim Läuten des Küchenweckers ist sofort Schluss.

Besonders die Mütter sind hier gefährdet, die Abmachung nicht einzuhalten und dann zu insistieren: „Schau, du bist gerade so gut dabei. Mach doch diese Aufgabe – oder diese Seite oder diesen Satz – noch fertig!“ Das ist verhängnisvoll, denn dann wird es am nächsten Tag wahrscheinlich Probleme geben, das Kind überhaupt zum Üben zu bringen.

Zielorientierte Kommunikation im Elterngespräch

Ist der Boden für die Zusammenarbeit mit den Eltern bereitet, fühlen sie sich gut informiert über das Was, Wie und Warum deines Unterrichts. Und bist du glaubwürdig in deinem Bemühen um den Schulerfolg ihres Kindes, dann stehen Elterngespräche schon einmal von vornherein unter einem anderen Stern als das in der „normalen“ Praxis oft der Fall ist.

Die fatale Schleife von Vorwurf – Verteidigung – neuer Vorwurf, in die Lehrer sich so leicht hineinziehen lassen, wird nicht so schnell entstehen. Aber diese Gefahr sollte uns bewusst sein, damit wir nicht doch unversehens in die Gesprächsfalle tappen.
Wir sollten mit professioneller Distanz an die Bewältigung schulischer Krisen herangehen.

Und dabei hilft uns eine grundsätzliche Positionierung, die Folgendes akzeptiert:

  • Eltern sind natürlich subjektiv, wenn es um ihr eigenes Kind geht und es fällt ihnen darum auch schwer, aus dieser persönlichen Befangenheit herauszutreten und sich mit Schwierigkeiten einigermaßen objektiv auseinanderzusetzen.
  • Auch ein Gespräch, das mit Kritik und Vorwürfen beginnt, muss nicht zwangsläufig entgleisen. Es liegt an dir, diesen Ball nicht aufzunehmen, sondern ruhig und sachlich zu bleiben.
  • Eltern, die Sorgen und Ängste haben, müssen unbedingt erst einmal angehört werden. Bereits das aufmerksame Zuhören und das Ernstnehmen wirken deeskalierend. Klug ist es, auf einen Kritikpunkt oder einen Vorwurf nicht mit einer Antwort zurückzuschießen, die auf Mängel des Kindes hinweist. Das führt sehr schnell zu einem kommunikativen Super-GAU, bei dem nichts mehr geht.
  • Viel besser und in jedem Gespräch zu empfehlen ist es, das, was die Eltern vorgebracht haben, noch einmal zusammenzufassen. Oft ist es sinnvoll, auch auf die Meta-Ebene zu gehen und das zu artikulieren, was du an Emotionen herausgehört hast.
  • Eltern wollen, dass es ihrem Kind in der Schule gut geht. Argumentiere deshalb bei der Lösungssuche vor der geistigen Matrix, dass das Kind in Not ist und dass du dich mit den Eltern verbündest, um ihm zu helfen.

Bei Verhaltensproblemen ist oft ein Feedbacksystem hilfreich, das die Eltern über das informiert, was in der Schule vorfällt und welche Maßnahmen du ergriffen hast. Aber bitte nicht durch einen Telefonanruf nach der Schule! Du kannst ein Feedbackformular entwerfen oder eine Notiz ins Hausaufgabenheft schreiben. Bei Lernproblemen sind die bereits angeführten Coaching-Tipps hilfreich.

Natürlich hat niemand von uns einen Zauberstab, mit dem er alle Elternkontakte in konstruktive und erfreuliche Begegnungen verwandeln kann. Aber die Chancen hierfür können drastisch steigen und du wirst sehen: Anerkennung und Akzeptanz von Seiten der Eltern sind möglich. Und das wird dich in deinem Alltag stärken.

Entschleunigung – ein Geschenk auf allen Ebenen

Je mehr du dich auf das Wesentliche deiner Arbeit fokussierst und das Überflüssige „ausmistest“, desto mehr wirst du auch mit deinen Schülern in individuelle Gespräche und Aktivitäten kommen. Das wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass du ihre Eigenheiten, ihr Potenzial, aber auch ihre Schwächen kennenlernst. Und das wiederum macht dich für die Eltern zu einem wertvollen Gesprächspartner und Ratgeber.

Ein Unterricht, der im Wesentlichen aus dem Abarbeiten von Stoff und immer noch mehr Stoff besteht, lässt uns Lehrern gar keine Zeit für das Wesentliche unseres Berufes, nämlich mit den Kindern in pädagogische Interaktion zu treten und sie als menschliche Wesen mit eigener Ausprägung wahrzunehmen und nicht nur als mehr oder weniger „gute“ Schüler.

„Carpe diem!“ heißt das lateinische Sprichwort: „Nutze den Tag!“ Ich möchte es abwandeln in „Carpe occasionem!“, also: „Nutze die Gelegenheit!“, denn Gelegenheiten hast du in unserem System ausreichend.

Nutze die Chance, autonom und authentisch zu agieren, dann wirst du deine Tätigkeit als sinnvoll erleben. Pflege die Kommunikation mit den Eltern, dann werden Akzeptanz und Anerkennung von dieser Seite steigen.

Niemand kann verlangen, dass unser schulischer Alltag immer nur leicht und angenehm ist. Aber dennoch: Wir können ein erfülltes Lehrerleben haben, das „System“ macht es uns möglich. Carpe occasionem!

Die Autorin:

Christina Buchner arbeitete viele Jahre als Lehrerin an Grund- und Hauptschulen. Und sie war 16 Jahre Rektorin an Grundschulen im Landkreis München.
Sie ist in Oberbayern auf dem Land aufgewachsen. Ihre Kindheit war geprägt durch große Freiheit, Nähe zur Natur, Freude an Büchern und die Möglichkeit, kreative Einfälle in die Tat umzusetzen.
Vor diesem Hintergrund war es ihr von Anfang an ein zentrales Anliegen, für ihre Schüler eine bunte und anregende Lernwelt zu schaffen.

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Sie ist nach wie vor fest davon überzeugt, dass in der Schule ohne Freude, Begeisterung und ohne Erfolgserlebnisse sehr wenig läuft. Die Mischung aus Pflicht und Freude, aus Begeisterung und konsequenter Übung, aus Disziplin und individueller Freiheit beim Lernen ist ihr Markenzeichen. Für diese Mischung wirbt sie in ihren Büchern und in Vorträgen und Lehrerfortbildungen in Deutschland, Österreich, Italien, der Schweiz und Luxemburg.
Christina Buchner entwickelte eigene Methoden für das Lesenlernen, für Rechtschreiben und Schreiberziehung, für den elementaren Mathematikunterricht und für das Theaterspielen mit einer Klasse.

Ihr MatheBlog: www.die-rechentante.de
Ihre Website: www.christina-buchner.de

Weitere Beiträge:

Runter vom Gas 1 – Impulse für entspannten Unterricht in der Grundschule

Runter vom Gas 2 – Disziplin und Classroom Management

Runter vom Gas 3 – Abstrakte Zeichen und Symbole entdecken

Runter vom Gas 4 – richtig am Schulklima arbeiten




Die Kinderrechte sind noch immer zu wenig bekannt

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Aktuelle Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerkes

Eine aktuelle Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerkes zeigt, dass viele Kinder und Jugendliche in Deutschland die Kinderrechte weiterhin nur oberflächlich kennen. Dass sie sich bei den Kinderrechten „ganz gut auskennen“ und auch einzelne nennen können, sagen nur 22 Prozent der Kinder und Jugendlichen. 67 Prozent kennen Kinderrechte nur vom Namen her, und 9 Prozent haben vom Thema Kinderrechte noch nichts gehört oder gelesen.

Die Bekanntheit der Kinderrechte bei Kindern und Jugendlichen hat sich in den letzten Jahren nur geringfügig verbessert

Im Jahr 2018 antworteten 19 Prozent bei der gleichlautenden Frage für die Pilotstudie Kinderrechte-Index des Deutschen Kinderhilfswerkes, dass sie sich hier „ganz gut auskennen“ und auch einzelne Kinderrechte nennen können, bei Umfragen für den Kinderreport des Deutschen Kinderhilfswerkes waren es 18 Prozent im Jahr 2017, und 15 Prozent im Jahr 2016.

Zwischen den Bundesländern gibt es deutliche Unterschiede:

Dass sie sich bei den Kinderrechten „ganz gut auskennen“ und auch einzelne nennen können, sagen 32 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Bremen, 29 Prozent in Berlin und 28 Prozent in Hamburg. Bei den Flächenstaaten haben Sachsen-Anhalt mit 27 Prozent und Brandenburg mit 26 Prozent am besten abgeschnitten. In Bayern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen (jeweils 19 Prozent) und Thüringen (18 Prozent) sind die Anteile am niedrigsten.

Auch zwischen Großstädten und kleinen Kommunen gibt es Unterschiede:

Während sich in kleinen Kommunen 18 Prozent bei den Kinderrechten nach eigener Aussage „ganz gut auskennen“, sind es in Großstädten 25 Prozent. Kinder aus Haushalten mit höherem Einkommen geben häufiger an, die Kinderrechte gut zu kennen (30 Prozent) als der Durchschnitt, ebenso Schülerinnen und Schüler an Gymnasien (26 Prozent), während es an Hauptschulen nur 13 Prozent sind.

„Bei der Bekanntheit der Kinderrechte in Deutschland haben wir in den letzten Jahren kleine Fortschritte erzielt. Aber diese sind nicht zufriedenstellend. Nur wer seine Rechte kennt, kann für diese einstehen. Gerade in Zeiten, in denen sich demokratiefeindliche Tendenzen mehr und mehr in Wahlergebnissen niederschlagen, ist eine nachwachsende Generation notwendig, die sich aufbauend auf der Auseinandersetzung mit den eigenen Rechten für die Demokratie einsetzt. Wir brauchen daher dringend eine Bildungsoffensive in Sachen Kinderrechte, die Kinder und Erwachsene erreicht. Denn auch bei den Erwachsenen gibt es diesbezüglich vergleichbar große Wissenslücken. Das wissen wir aus vorhergehenden Befragungen“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Kinderrechte gehören in schulische Lehrpläne und Bildungspläne von Kindertageseinrichtungen

„Wichtig ist dabei, die in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschriebenen Kinderrechte nicht nur abstrakt zu vermitteln, sondern sie konkret auf die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen zu beziehen und im Kita- und Schulalltag gemeinsam zu verwirklichen. Auch Jugendzentren, Kinderhäusern, kulturellen Einrichtungen oder Sportvereinen kommt hierbei eine wichtige Rolle zu.  Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Verantwortungsübernahme für die Vermittlung und die Anwendung von Kinderrechten in Deutschland. Zur Bekanntheit der Kinderrechte würde zudem ihre Verankerung im Grundgesetz entscheidend beitragen“, so Hofmann weiter.

Die Umfrage, für die vom Sozial- und Politikforschungsinstituts Verian vom 19. April bis 10. Mai 2024 deutschlandweit 3.218 Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 17 Jahren online unter Nutzung eines Access-Panels befragt wurden, ist Teil des 2. „Kinderrechte-Index“ des Deutschen Kinderhilfswerkes. Den Index wird das Deutsche Kinderhilfswerk im nächsten Jahr veröffentlichen, die Umfrage geht als ein Teilaspekt in diese Studie ein. Beim Kinderrechte-Index wird der Stand der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in verschiedenen Lebensbereichen von Kindern und den damit verbundenen Politikfeldern in den deutschen Bundesländern gemessen und evaluiert.

Weitere Informationen zum Kinderrechte-Index unter www.dkhw.de/kinderrechte-index und zur aktuellen Umfrage unter www.dkhw.de/kinderrechte-index-bekanntheit.

Quelle: Pressemitteilung Deutsches Kinderhilfswerk e.V.