Kleine Kinder rechnen besser, wenn sie ihre Finger zur Hilfe nehmen
geschrieben von Redakteur | September 22, 2024
Forschende am psychologischen Institut der Universität von Lausanne belegen das Erfolgsmodell des Fingerzählens
Der Zahlenraum geht ins Unendliche. Was bedeuten dagegen zehn Finger? Eine ganze Menge, haben Forschende der Universität von Lausanne in der Schweiz festgestellt. Eine Studie mit 328 fünf- und sechsjährigen Kinder belegt, dass Kinder, die mit den Fingern rechnen sich den Zahlenraum erheblich leichter erobern als andere. So konnte zum ersten Mal belegt werden, dass das Training des Fingerzählens eine hochwirksame Methode zur Verbesserung der arithmetischen Leistung vom Kindergartenkindern darstellt.
Umstritten in der Elementarpädagogik
Das Rechnen mit den Fingern ist im Bereich der Elementarpädagogik umstritten. Einige sehen es als Zeichen von Schwierigkeiten, während andere es mit Kindern in Verbindung bringen, die über fortgeschrittene numerische Kenntnisse verfügen. Unbestreitbar ist jedoch die starke Verbindung zwischen Fingern und Zahlen. Diese Assoziation ist bereits früh in der Entwicklung vorhanden und zeigt sich, wenn etwa dreijährige Kinder ihre Finger benutzen, um ihr Alter mitzuteilen oder Vierjährige ihre Finger benutzen, um einfache Subtraktionsaufgaben zu lösen. Solche Strategien sind nicht auf die Kindheit beschränkt, und selbst Erwachsene verlassen sich in numerischen Kontexten auf ihre Finger, etwa um eine Zählsequenz zu verfolgen.
Ab wann wir das Zählen mit Fingern zum Problem?
Dennoch verwenden Erwachsene selten die Finger zum Lösen mathematischer Aufgaben. Ein solches Verhalten würde wohl auch eher auf Schwierigkeiten hindeuten. Das Alter zu bestimmen, ab wann das Rechnen mit den Fingern auf mathematische Probleme hindeutet, ist nach wie vor schwierig. Sicher ist, dass Kinder im Kindergartenalter davon nicht betroffen sind. Denn mehrere Studien im Bereich der Bildungs- und Entwicklungspsychologie zeigen, dass Kindergartenkinder, die ihre Finger zum Lösen von Rechenaufgaben benutzen, effizienter sind als Kinder, die diese Strategie nicht anwenden. Tatsächlich sind Kinder, die in diesem Alter ihre Finger benutzen, auch kognitiv leistungsfähiger als Kinder, die dies nicht tun. Hier geht es zur Studie.
Gernot Körner
Kinder- und Jugendbericht: Sicherheit und Orientierung sind gefragt
geschrieben von Redakteur | September 22, 2024
Die meisten jungen Menschen in Deutschland blicken mit Zuversicht auf die kommenden Jahre
In Deutschland leben derzeit rund 22 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Der Bericht zeigt: Ihre Generation ist so vielfältig wie nie zuvor. Aber eins haben sie gemeinsam: Sicherheit und Orientierung sind notwendig für gutes Aufwachsen. Das ist jedoch aktuell geprägt von sich überlagernden Herausforderungen wie Krieg, Klimawandel, globale Fluchtmigration, Nachwirkungen der Pandemie, aber auch von Fachkräftemangel und dem Druck auf die Demokratie.
Zukunftsvertrauen hat abgenommen
Die meisten jungen Menschen in Deutschland blicken mit Zuversicht auf die kommenden Jahre. Ihr Zukunftsvertrauen hat jedoch abgenommen. Von den aktuellen Krisen sind sie unterschiedlich stark betroffen – je nachdem, unter welchen Bedingungen und mit welchen Zugehörigkeiten und Zuschreibungen sie aufwachsen.
Die Gesellschaft verfügt über vielfältige Ressourcen für die junge Generation. Es gelingt ihr aber nicht, diese allen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen gleichermaßen zugänglich zu machen.
Die Berichtskommission sieht Politik und Gesellschaft gefordert, junge Menschen und künftige Generationen mit ihren Bedürfnissen stärker zu berücksichtigen.
Vertrauenswürdige Rahmenbedingungen
Der Bericht betont, dass junge Menschen auch in schwierigen Zeiten vertrauenswürdige Rahmenbedingungen brauchen. Dafür ist eine starke Kinder- und Jugendhilfe unverzichtbar. Dazu gehören viele Arbeitsfelder und Aufgaben – etwa die Kinderbetreuung in Kitas und Schulen, Jugendzentren, Jugendverbände, der internationale Jugendaustausch, die Jugendsozialarbeit und die vielfältigen Leistungen der Jugendämter vor Ort.
Jugendhilfe muss besser werden
Prof. Dr. Karin Böllert, Vorsitzende der Berichtskommission: „Die Kinder- und Jugendhilfe ist trotz der Ausnahmesituationen der letzten Jahre funktionsfähig, kommt aber zunehmend an ihre Grenzen. Zum guten Aufwachsen gehören Zuversicht und Vertrauen. Wenn die Kinder- und Jugendhilfe mit ihren Leistungen auch weiterhin dazu beitragen soll, muss sie verlässlich sein und noch besser werden als sie es ist.“
Bei der Erstellung des Berichts hat die Berichtskommission großen Wert auf eine umfängliche Beteiligung junger Menschen gelegt. Insgesamt hat sie rund 5.400 junge Menschen zwischen fünf und 27 Jahren zu verschiedenen Fragestellungen beteiligt.
Hintergrund:
Gemäß § 84 SGB VIII ist die Bundesregierung verpflichtet, dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat in jeder Legislaturperiode einen Kinder- und Jugendbericht vorzulegen und dazu Stellung zu nehmen. Mit der Ausarbeitung des Berichtes wird jeweils eine unabhängige Sachverständigenkommission beauftragt. Mit einer Stellungnahme der Bundesregierung wird der Bericht Bundestag und Bundesrat zugeleitet.
Von der Herzensbildung zur emotionalen Intelligenz
geschrieben von Redakteur | September 22, 2024
Das Herz hat Gründe, von denen die Vernunft nichts weiß
Über weite Strecken des 20. Jahrhunderts waren Gefühle in wissenschaftlichen Labors verpönt. Sie seien zu subjektiv, verschwommen und stünden im absoluten Gegensatz zur Vernunft. Doch diese These wurde im Laufe der Geschichte von vielen Philosophen, Pädagogen und Dichtern immer wieder in Frage gestellt. Der folgende Exkurs in die Vergangenheit der Herzensbildung macht dies deutlich:
„Das Herz hat Gründe, von denen die Vernunft nichts weiß“, gab schon im 17. Jahrhundert der französische Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal 52 (1623 – 1662) zu bedenken, als er um das Recht auf intuitive Gewissheit kämpfte. Dem Naturwissenschaftler haben wir nicht nur viele Erfindungen (die Rechenmaschine, die Wahrscheinlichkeitsrechnung, das Barometer und das Pascalsche Dreieck) zu verdanken, sondern vor allem die wunderbare Wortschöpfung raison du coeur also die Vernunft des Herzens. Pascal vertrat die Ansicht, die Mathematik fördere mit ihrer streng geometrischen Methode rationales Denken, was in der Wissenschaft notwendig sei.
Aber es gäbe viele nichtwissenschaftliche Lebensfragen, die weder die mathematische Vernunft noch der geometrische Geist (esprit de geometrie) beantworten könnten. In den existentiellen Fragen des menschlichen Lebens sei vielmehr die gefühlsmäßige Intuition als feinsinniger Geist (esprit de finesse) gefragt. Pascal glaubte, dass nur die Gründe des Herzens und nicht die der Vernunft den irrenden und zweifelnden Menschen zu Wissen und Erkenntnis führen könnten. Das Herz habe dabei Gründe, die die Vernunft nicht kenne. Es folge somit einer eigenen Logik, einer Herzensvernunft (raison du coeur ). Erst diese – so meint Pascal – führe den Menschen zur Nächstenliebe und zum wahren christlichen Glauben.
Selbst der Vater des Wirtschaftsliberalismus, der Philosoph John Locke 53 (1632 – 1704) riet:
„Alles, was Sie zum Vorteil der Geister- und Herzensbildung Ihres Sohnes auslegen, wird Ihre wahre Güte bekunden, selbst wenn es zur Verminderung seines Habes und Gutes beiträgt.“
Wenige Jahrzehnte später formulierte der französische Dichter und Moralist Luc de Clapier Vauvenargues54 (1715 – 1749) treffend: „Die großen Gedanken kommen aus dem Herzen.“ („Les grandes pensées viennent du coeur“).
Mitte des 18. Jahrhunderts verwendete der franz.-schweizerische Philosoph Jean-Jacques Rousseau55 (1712 – 1778) Begriffe wie education du coeur oder Menschenbildung. In seinem Erziehungsroman Émile ou de l’éducation von 1762 stellt er das Ideal einer naturnahen, undogmatischen Erziehung auf, in der sich die natürlichen Anlagen des Kindes frei entwickeln sollen. Und dazu gehört natürlich auch das Recht auf die Freiheit von Gefühl und Leidenschaft. Mit dieser Forderung gilt Rousseau als Wegbereiter einer kindgerechten Pädagogik.
Wissenswertes aus der Geschichte der Pädagogik:
Heute erscheint uns der Appell von Rousseau, die natürlichen Anlagen des Kindes müssten sich frei entwickeln, als selbstverständlich. Doch in der Geschichte der Pädagogik war dies nicht immer so. Zur Zeit Rousseaus, der Aufklärung, gab es noch keine Pädagogen als ausgewiesenen Berufsstand. Es waren die Philosophen, die das zeitgenössische Menschenbild und somit die Maßstäbe der Erziehung prägten. Damals rangen zwei philosophische Strömungen um die Vorherrschaft:
die Idealphilosophie Platons bestimmte bis in die Neuzeit die Erziehungsmaßstäbe des Abendlandes. Sie wollte den Menschen nach Idealen ausrichten, d. h. das Kind auf ein vorgegebenes, von außen festgelegtes Ziel hin erziehen.
die Existenzphilosophie hielt erst mit Rousseau Einzug in die Pädagogik. Ihr ging es erstmals darum, den Menschen nach seinen Fähigkeiten zu erziehen, seine Begabungen zu erkennen und zu fördern. Das Kind selbst, seine geistige und körperliche Entwicklung, seine Bedürfnisse und Gefühle rückten von nun an in den Mittelpunkt der Erziehung. Ein Meilenstein in der Pädagogik!
Der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi 56 (1746 – 1827) forderte:
„Der erste Unterricht des Kindes sei nie die Sache des Kopfes, er sei nie die Sache der Vernunft – er sei ewig die Sache der Sinne, er sei ewig die Sache des Herzens. Wenn es mir nur von ferne gelingen sollte, die abgestorbenen Fundamente der Geistes- und Herzensbildung und einer mit den veredelten Kräften des Geistes und des Herzens übereinstimmenden Kunstbildung dem Herzen meiner Zeitgenossen wieder näher zu bringen, so würde ich mein Leben segnen und die größten Hoffnungen meiner Bestrebungen erfüllt sehen.“
Pestalozzi betonte, dass die Lernschritte und die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes unmittelbar von den mitmenschlichen Qualitäten des Erziehers und Lehrers abhängen. In seinen zahlreichen Briefen57 an den Reformpädagogen Peter Petersen (1884 – 1952) betonte Pestalozzi immer wieder den Vorrang der Herzensbildung gegenüber der Geistesbildung. Es ist sicher kein Zufall, dass Pestalozzi, der von seinem sechsten Lebensjahr an vaterlos aufgewachsen und trotz Mutter und Kinderfrau emotional verwahrlost war, in seinem pädagogischen Werk so viel Wert auf eine Gefühlserziehung legte. Aber ihm selbst war der Erfolg bei seinem eigenen Sohn nicht vergönnt. Er war zwar in der Lage fremden Waisenkindern genügend väterliche Wärme zu geben, sein Sohn jedoch wuchs verwahrlost auf, galt als Zehnjähriger als geistesschwach und starb mit 30 Jahren. Von Schuldgefühlen geplagt, schrieb Pestalozzi: „Du kannst den Teufel aus deinem Garten verjagen, doch im Garten deines Sohnes findest du ihn wieder.“
Die Vordenker kamen nicht nur aus den Reihen der Philosophen und Pädagogen
Auch der Theologe Adolf Kolping (1813 – 1865) erklärte die Herzensbildung zum Leitmotiv seines sozialreformerischen Erziehungs- und Bildungskonzeptes.
Der österreichische Neurologe Sigmund Freud58 (1856 – 1939) beschäftigte sich als erster in intensiven Studien mit dem Einfluss der Gefühle auf unser Denken und Handeln. Die von ihm entwickelte Psychoanalyse interessierte sich vor allem für die unbewussten Gefühle, die uns triebhaft steuern. Das Es wurde zum Sinnbild der unbewussten Triebe und Gefühle und das Ich verkörperte das vernünftig Handelnde. Freud war der erste, der das pathologische Potenzial gestörter Emotionen erforscht und beschrieben hat.
Die Stimmen, die die Einheit von Denken und Gefühl forderten, wurden zunehmend lauter und kamen aus den verschiedensten Bereichen. So meinte der französische Dramatiker Romain Rolland (1866 – 1944): „Die Intelligenz des Denkens ist nichts ohne die Intelligenz des Herzens. Und sie ist auch nichts, ohne den gesunden Menschenverstand.“ Selbst für den dänischen Physiker Niels Bohr (1885 – 1962) folgte das Denken nicht nur berechenbaren Regeln sondern auch spontanen Gefühlen. Sein Satz, den er einem Student tadelnd sagte, wurde zu einem bekannten Ausspruch: Sie denken nicht nach, Sie denken nur logisch!
Heute beschreibt der Philosoph Ronald De Sousa 59 in seinem epochalen Werk, dass Gefühle maßgeblich am Erwerb von Überzeugungen und Wünschen beteiligt sind. Für ihn entziehen sie sich keinesfalls der rationalen Beurteilung, sondern sie öffnen gemeinsam vor aller Rationalität dem Menschen die Welt. Gefühle – das zeigt de Sousa ausführlich – lenken und kontrollieren die Erfahrung. Immer steht der Mensch unzähligen Eindrücken gegenüber, deren Dringlichkeit man eiligst beurteilen muss. Erst die Gefühle machen die Rationalität der menschlichen Vernunft möglich.
Auch der bekannte Hirnforscher Antonio R. Damasio 60 betont:
„Meine Forschungsergebnisse haben mich überzeugt, dass die Emotion ein integraler Bestandteil des Denkprozesses ist“. Seiner Meinung nach leide „die Menschheit nicht an einem Defekt ihrer logischen Kompetenz, sondern vielmehr an einem Defekt ihrer Emotionen, die wichtige Informationen für den logischen Prozess bereitstellen.“ Für den Computerwissenschaftler David Gelernter61 sind „Emotionen nicht eine besondere Form von Gedanken, kein zusätzlicher Weg des Denkens, kein spezieller kognitiver Prozess, Emotionen sind vielmehr grundlegend mit dem Denken verwoben.“ Erst die Gefühle machen unser Denken flexibel. Während der logische Verstand die Gedanken lange abwägt, vermag das Gefühl rasche Entscheidungen zu treffen, die nicht aus der Logik entspringen. Die Urteile aus dem Gefühl entstammen aus zwei anderen Quellen: Aus der genetischen Programmierung unserer Intuition und aus unseren Erfahrungen. „Wie ein Bild mehr als tausend Worte ausdrücken kann, so sagt eine Emotion oft mehr als tausend Gedanken.“62
Auf meinem Exkurs in die Vergangenheit der Herzensbildung suchte ich nach den ersten zeitgenössischen Literaturbelegen und stellte mir die Frage nach dem Wortursprung 63. Der wertvollste Fund ist ein Beleg aus dem Jahr 1779.
Er stammt aus der Zeitschrift Zuschauer in Baiern 65 und lautet:
„So viel ich merke, sagte der Verwalter, so wird in dieser Monathschrift nicht einmal von den Türken, von den Engländern und Amerikanern etwas vorkommen, sondern bloß neue Worte und Redensarten, wie’s jetzt im Schwung gehen, und so abgeschmackte Dinge von Herzensbildung, wie sie’s nennen.“
Es klingt so, als sei der Begriff Herzensbildung damals gerade erst von bestimmten Leuten, die der Schreiber offenbar nicht mag, aufgebracht worden.
Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm gibt als ersten schriftlichen Beleg eine Literaturzeitung66 aus dem Jahre 1838 an. Es handelt sich dabei um einen Artikel über Astronomie, genauer um planetarische Seelenwanderung: „So wie jemand durch Geistes- und Herzensbildung sich für diesen oder jenen Planeten qualifiziert, scheidet die Seele aus ihrer Hülle, und wird dort in einer neuen als Kind geboren.“
Der nächste Beleg 67 aus dem Jahre 1855 stellt die Herzensbildung der Frauen in Frage:
„Was sind das für wechselnde Geschöpfe, die uns in ihrem Empfangszimmer durch ihre Freundlichkeit bezaubern und uns in der Küche, im Bügelzimmer, der armen Magd oder Näherin gegenüber, das Blut vor Entrüstung kochen machen? Die wahre, echte Herzensbildung besitzen sie freilich nicht, denn diese bewährt sich allenthalben, aber sie sind doch nicht so schlimm wie sie scheinen. Es ist gewiß häufiger Unkenntniß der Sache als innere Härte, die sie zu solchen häßlichen Ausbrüchen verleitet.“ Wie soll die Frau, wie soll das junge Mädchen gerecht sein, Dienstleistungen gegenüber, von deren Ausübung sie kaum eine Ahnung hat?“
Auch 1856 scheint Herzensbildung eine reine Frauenangelegenheit zu sein. So ist im Frauen-Brevier 68 zu lesen:
„Und wie viel kann eine edle, gebildete Frau wirken für die Linderung allgemein menschlicher Leiden, für die Verbesserung gesellschaftlicher Uebelstände, wenn sie sich diesen Pflichten aus wahrer Herzensneigung, mit ernster Hingebung und unter der Leitung eines aufgeklärten, gebildeten Verstandes widmet … ohne Verbitterung des Gemüths und ohne Verkümmerung des Geistes zu ertragen und an der Stelle des vom Schicksal ihnen versagten Looses sich ein anderes, möglichst befriedigendes für sie selbst und möglichst nutzbringendes für die Welt zu schaffen, auch dazu befähigt die Frauen nur eine wahre, gründliche Geistesbildung und Herzensbildung.“
Geht man heute ins Internet auf die Suche nach dem Begriff Herzensbildung so findet man unzählige Verweise z. B. auf die Universität St. Gallen in der Schweiz, deren Studiengänge von Kopf, Herz und Hand bestimmt werden oder auf die Gutenberg-Grundschule in Finnentrop, die lobenswerterweise in ihrem Schulprogramm die Herzensbildung als wichtigen Baustein ausweist.
Was Johann Wolfgang von Goethe noch zärtlich romantisierend Herzensbildung nannte, wird heute als emotionale Intelligenz bezeichnet
Der Begriff wurde erstmals 1986 von den beiden amerikanischen Psychologen Peter Salovey (Yale University) und John Mayer69 (University of New Hampshire) benutzt. Sie vertraten die Ansicht, die emotionale Intelligenz bilde eine Teilmenge der sozialen Intelligenz. Der Entwicklungspsychologe Howard Gardner70 (Harvard Graduate School of Education) unterteilt diese wiederum in eine intrapersonale Intelligenz, bei der es um das Verständnis der eigenen Gefühle geht, und in eine interpersonale Intelligenz, bei der es um das Verständnis der Gefühle unserer Mitmenschen geht. Erst durch den Bestseller Emotionale Intelligenz des amerikanischen Psychologen und Publizisten Daniel Goleman71 wurde der Begriff weltweit bekannt. Er hat die seit der Aufklärung auseinanderdriftenden Welten von Ration und Emotion wieder zu einer griffigen Formel vereint: Emotionale Intelligenz. Lange Zeit galt der Intelligenz-Quotient (IQ) als der Maßstab für Erfolg. Doch immer mehr Kritiker bezweifelten dies: Was sagt schon eine im IQ-Test erworbene Punktzahl aus; hat der Kandidat mit 135 Punkten mehr Intelligenz als der mit 105 Punkten? „Ich kenne niemanden, der in diesem Sinne Intelligenz hat. Die Menschen, die ich kenne, tun manchmal etwas Kluges, und sie tun manchmal etwas Dummes – das hängt von den Umständen ab, unter denen sie handeln.“ 72 Goleman, der mit mehr als 500 Unternehmen zusammenarbeitet, hatte festgestellt, dass die emotionale Intelligenz der Mitarbeiter stärker am Erfolg einer Firma beteiligt sei als Intelligenzquotient und Sachverstand zusammengenommen.
„Emotionale Intelligenz bedeutet auch, die eigenen Gefühle zu kennen und sie optimal managen zu können. Empfindungen so zu regulieren, dass Zorn effektiv wird, Furcht bezähmbar. Ein emotional intelligenter Mensch findet fast immer selber aus einer Niedergeschlagenheit heraus, kann seine optimistische Stimmung bewahren und beispielsweise am Arbeitsplatz trotz Frustration unbeirrt weitermachen.“73
Rasch avancierte die emotionale Intelligenz zum soft skill der New Economy, die darin den eigentlichen Schlüssel zum Erfolg sah
Das neuartige an dem Begriff Emotionale Intelligenz ist die Verbindung von zwei Welten, die lange Zeit als unvereinbar galten: Diffuse Emotionen und konkrete Intelligenz. Denn in unserer Gesellschaft dominiert weithin das Bild vom vernunftgesteuerten, bewussten und frei entscheidenden Menschen. Gefühle gelten als schwer fassbar und beängstigend; sie haben im Gegensatz zu Gedanken keinen konkret benennbaren Inhalt, sind gegenstandsarm und daher unpräziser. Die Annahme Denken und Fühlen müssten streng unterschieden werden, ist zwar immer noch tief verwurzelt, aber sie entspricht schon lange nicht mehr den Erkenntnissen der neurowissenschaftlichen Forschung. Die Hirnfoschung lehrt uns heute, dass Vernunft und Verstand eingebettet sind in die emotionale Natur des Menschen. Körper, Denken und Gefühle sind durch neuronale Netzwerke eng miteinander verbunden und funktionieren als Einheit.
Emotionale Reize wirken auf nahezu alle Bereiche der Großhirnrinde, die unsere Wahrnehmung und komplexen Denkabläufe steuert. Das limbische System bewertet und wägt alles, was wir tun mit unserem emotionalen Erfahrungsschatz ab. Unsere Gefühle gehen mit sicht- und messbaren körperlichen Empfindungen einher: Das Herz schlägt vor Freude höher, der Angstschweiß auf der Stirn entsteht, die Trauer lässt die Schultern hängen, der Schreck macht uns kreidebleich, die Wut zornesrot und der Neid macht uns blass.
Der Schweizer Neurowissenschaftler Andreas Bartels stellte fest, dass der Serotoninwert (ein Botenstoff bzw. Neurotransmitter) im Hirn um 40 % unter den Normalwert sinkt, wenn wir verliebt sind. Dann ist unser Erregungsniveau erhöht, wir verspüren wenig Schlafbedürfnis und Appetit, unsere Wahrnehmung ist gestört, unsere Hemmungen sinken und unsere Bereitschaft zu irrationalen Handlungen steigt. Zum Glück hält dieser Zustand nur die ersten Monate des Verliebtseins an. Danach steigt der Serotoninwert langsam bis zum Normalwert an. Eines ist jedenfalls klar: Jeder Mensch meistert kritische Augenblicke, schwierige Phasen, gefährliche Versuchungen, dauerhafte Belastungen und ungünstige Lebensbedingungen umso besser, je ausgeprägter seine emotionale Intelligenz ist. Er vermag seine Gefühle und Reaktionen und die anderer in verschiedenen Situationen einzuschätzen, zu handhaben und zu bewerten. Die emotionale Intelligenz beinhaltet fünf Baustein, die in den nächsten Kapiteln ausführlich erläutert werden: Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung, Motivation, Empathie und soziale Kompetenz.
Was Pädagogen beherzigen sollten
Auch wenn emotionale Intelligenz nicht messbar ist, so ist sie doch erlernbar. Wer in seiner Kindheit und Jugend gelernt hat, mit seinen Gefühlen und denen seiner Mitmenschen umzugehen, vermag sein geistiges Potenzial voll auszuschöpfen ohne zum Spielball seiner Emotionen zu werden.
Überdenken Sie immer wieder den Appell des Neurobiologen Gerald Hüther74: „Die Kleinen sollten nicht ständig unterrichtet werden. Gedichte oder Vokabeln auswendig lernen sind relativ einfache Lernleistungen, die gar nicht einmal im Frontalhirn verankert werden, sondern in hinteren Hirnregionen. Kinder müssen in dieser Zeit vielmehr lernen können, wie man Beziehungen gestaltet: Zu anderen Kindern, zu den Eltern und Erziehern, zur äußeren Welt und zu sich selbst. In diesen Erfahrungen müssen sie sicher werden! Gemessen an diesen Leistungen sind Lesen, Schreiben und Rechnen lernen oder einen Computer bedienen ein Kinderspiel!“
Kinder und Jugendliche mit hoher emotionaler Intelligenz verfügen über ein stabiles Selbstwertgefühl, über Problemlösungsstrategien, über ein inneres Krisenmanagement und vor allem kennen sie Alternativen zu Gewalt und Drogen, um sich selbst zu spüren.
Die Lern- und Persönlichkeitsentwicklung des Kindes hängt unmittelbar von den emotionalen Qualitäten seiner Eltern, Erzieher und Lehrer ab.
Emotionen und Gefühle sind die persönlichsten, elementarsten und mächtigsten Antriebskräfte des Menschen. (Yehudi Menuhin)
Anmerkungen:
54 vgl. Vauvenargues, Luc de Clapiere: Introduction à la connaissance de l’ésprit humain, suvi de reflexions et de maximes. Paris 1747. 55 vgl. Rousseau, Jean-Jacques: Emil oder Über die Erziehung. Paderborn 1975. 56 Pestalozzi, Heinrich: Wie Gertrud ihre Kinder lehrt. Baden-Baden 1947. S. 175 ff. 57 vgl.: Pestalozzi, Johann H: Sämtliche Briefe. Kritische Ausgabe. Hrsg. v. Pestalozzianum Zürich und Pädagogisches Institut d. Universität Zürich 58 vgl. Freud, Sigmund: Abriß der Psychoanalyse. Das Unbehagen in der Kultur. Frankfurt a. M. 1970 59 vgl. De Sousa, Ronald: Die Rationalität des Gefühls. Frankfurt a.M. 2001 60 Damasio, Antonio R.: Descartes Error and the Future of Human Life. In: Scientific American, Okt. 1994, S. 144 61 Gelernter, David: The Muse in the Machine. Computerizing Poetry of Human Thought. New York 1994. S. 46 – 47. 62 Klein, Stefan: Die Glücksformel oder Wie die guten Gefühle entstehen. Hamburg 2002. S.43. 63 Ohne die freundliche Unterstützung des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim hätte ich diese sicher nicht beantworten können. Nach gründlicher Recherche fand man kleine lexikalische Edelsteine. 64 Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Band IV,II. Leipzig 1877. S. 1233. 65 Zuschauer in Baiern. Erster Band 1779. S. 2. 66 Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung. September 1838, Nr.179, S. 471. 67 Büchner, Luise: Die Frauen und ihr Beruf. (Erstdruck 1855, anonym) Band 4. vermehrte und verbesserte Auflage, Leipzig: Th. Thomas.1872. S. 42-43 68 Biedermann: Frauen-Brevier (Erstv. 1856), 1986, S. 83. 69 Salovey, Peter / Mayer, John: Emotional Intelligence. Imagination, Cognition an Personality. 1990. 70 vgl. Gardner, Howard: Abschied vom IQ. Die Rahmen-Theorie der vielfachen Intelligenzen. Stuttgart 1991. 71 vgl. Goleman, Daniel: Emotionale Intelligenz. München 2000. Daniel Goldman, geb. 1946, war klinischer Psychologe an der Harvard Universität, USA. Zur Zeit ist er Redakteur für Psychologie und Neurowissenschaften bei der New York Times. 72 Postmann, Neil: Keine Götter mehr. Das Ende der Erziehung. München 2001. 3.Aufl. S. 43; S. 210. 73 Goleman, Daniel: Unser Gehirn tanzt. Interview in : Der Spiegel. Nr.6, 1996. S.127.
Berufsbild Erzieher*in – Grundsatzgedanken zu einem anspruchsvollen Beruf
geschrieben von Redakteur | September 22, 2024
Vortrag von Prof. Armin Krenz auf der Buchmesse in Frankfurt
In ein paar Wochen schon, öffnet die Buchmesse in Frankfurt ihre Tore. SPIELEN UND LERNEN wird in Halle 3.0 C155 mit einem eigenen Stand dabei sein. Gemeinsam mit unseren Schwesterverlagen veranstalten wir auch einige Vorträge, Buchvorstellungen und Gespräche.
Am Eröffnungstag, den 16.10.2024, hält Prof. Armin Krenz einen Vortrag mit dem Titel „Berufsbild Erzieher*in – Grundsatzgedanken zum Selbstverständnis eines anspruchsvollen Berufs“. In seinem Vortrag in Halle 4.0 H104 spricht Prof. Armin Krenz um 16 Uhrüber die wichtigsten berufsspezifischen Grundlagen für eine professionelle Elementarpädagogik. Und er macht auf bedeutsame basale Herausforderungen aufmerksam, damit der gesetzlich verankerte Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrag unter Beachtung der jeweils länderspezifischen Bildungsrichtlinien, der UN-Charta Rechte des Kindes sowie der grundlegenden Ausgangsdaten aus den Feldern der Bildungs-/Bindungsforschung und Entwicklungspädagogik auch tatsächlich erfüllt werden kann. Der Zutritt ist für Messebesucher*innen kostenlos.
Anschließend, um 17 Uhr, besucht uns Prof. Krenz am Stand, spricht über den Vortrag, seine neuen Bücher und signiert Bücher.
SPIEL und SELBSTBILDUNG
Am Donnerstag, den 17.10.2024 stellt er in Halle 3.0 C155 ab 10 Uhr das Buch „SPIEL und SELBSTBILDUNG – Kitas brauchen eine pädagogische Revolution“ vor. Gerne beantwortet er die Fragen der Besucher und signiert seine Bücher. Auch hier ist der Zugang für Messebesucher*innen kostenlos.
Erscheint am 16.10.2024, jetzt schon vorbestellen! 22,00 € (inkl. MwSt.)
Zum Inhalt: Das SPIEL hat in den vergangenen Jahren in vielen Kindertageseinrichtungen deutlich an Wert verloren. Dafür kann es viele Gründe geben: sei es die deutliche Zunahme an Verhaltensirritationen bei vielen Kindern, denen sich die frühpädagogischen Fachkräfte verstärkt zuwenden müssen. Sei es die fachliche Herausforderung in einer inklusiven Pädagogik, die hohe Ansprüche an eine besondere Entwicklungsbegleitung erfordert, seien es die Bildungsansprüche vieler Eltern, die an die Fachkräfte gerichtet werden oder sei es die deutliche Zunahme an administrativen Aufgaben, die viel Arbeitszeit bindet. Hinzu kommen Beobachtungen, dass viele Fachkräfte dem SPIEL eine untergeordnete Bedeutung im Vergleich mit „Lernprogrammen“ und „Förderangeboten“ beimessen oder Quereinsteiger*innen ohne eine pädagogische Ausbildung die Lücke von fehlenden Fachkräften besetzen.
Doch unabhängig von allen Gründen bleibt der hohe Bedeutungswert des SPIELS für die SELBSTBILDUNG des Kindes bestehen! Wenn diesem Bedeutungswert kaum noch eine Beachtung geschenkt wird, hat dies gravierende Folgen für die Persönlichkeits- und Lernentwicklung der Kinder. Und damit auch auf die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung des Landes. In dieser Veröffentlichung werden fachliche Grundlagen vorgestellt, um das SPIEL wieder verstärkt in die Elementarpädagogik zu integrieren. Es muss eine praxisorientierte Revolution stattfinden, indem einer wirtschaftlich und funktional gestalteten Elementarpädagogik die „Rote Karte“ gezeigt und erneut Kinder und ihre Entwicklungsbedürfnisse in das Zentrum der Pädagogik gerückt wird. Das gelingt nur mit einer aktiven, lebendigen, authentisch gestalteten SPIELPÄDAGOGIK und spielfreudigen kindheitspädagogischen Fachkräften.
Zuschauen, zuhören, lesen, gaming: Kinder sind wahre Multimediaprofis
geschrieben von Redakteur | September 22, 2024
Der Kinder Medien Monitor 2024 bietet Datenmaterial rund um die Mediennutzung von Kindern in ihrer Freizeit
Kinder im Alter von vier bis 13 Jahren sind wahre Multimediaprofis, wie aktuelle Ergebnisse aus dem Kinder Medien Monitor 2024 zeigen. Mindestens mehrmals wöchentlich schauen sie in ihrer Freizeit Sendungen, Serien, Filme oder Videos (92 Prozent). Sie lesen Zeitschriften, Comics, Mangas oder Bücher (63 Prozent) – bevorzugt auf Papier (88 Prozent). Sie hören Musik, Hörbücher, Hörspiele, Podcasts und Radio (88 Prozent), und sie zocken (59 Prozent).
Jedes Medium hat seinen Platz
In der Welt der Kinder findet jedes Medium seinen Platz. Sie bedienen sich je nach Stimmung und Situation der verschiedenen Gattungen. Dabei setzen die Eltern die Grenzen. So dürfen lediglich acht Prozent der Vier- bis 13-Jährigen selbst darüber entscheiden, welche Apps oder Webseiten sie nutzen. Bei der Auswahl der Fernsehsendungen haben 18 Prozent freie Wahl, bei Büchern und Zeitschriften 42 Prozent. Eine wichtige Erkenntnis dabei: So vielfältig das Angebot und das eigene Nutzungsverhalten auch sind – Kinderaugen sehen in allen Medien eine entscheidende Gemeinsamkeit: Sie sorgen für Entspannung.
Einschalten, um abzuschalten – Entspannung hat viele Gesichter
Warum schauen Kinder so gern Bewegtbild? Vor allem, um zu lachen! 63 Prozent der sechs- bis 13-jährigen Kinder genießen Filme, Serien & Co., weil sie lustig sind und sie zum Lachen bringen. 62 Prozent tun es zur Entspannung. Beim Lesen suchen viele Kinder den Nervenkitzel: 55 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen lesen gern, weil sie spannende Geschichten mögen, 53 Prozent lesen zur Entspannung. Musik, Hörspiele, Hörbücher oder Podcasts werden vor allem zur Entspannung gehört (67 Prozent). Selbst beim Gaming steht das Motiv „Abschalten und Entspannen“ mit 51 Prozent an erster Stelle – allerdings meldet sich hier auch der Ehrgeiz: 39 Prozent lieben am Gaming, dass sie sich mit anderen messen können. (Basis: Sechs- bis 13-Jährige; jeweiliges Medium mindestens selten genutzt.)
Eltern bestätigen die Medienkompetenz ihrer Kinder
Eltern fühlen sich selbst sicher im Umgang mit Medien und setzen in diesem Kontext auch großes Vertrauen in ihre Schützlinge: Drei Viertel der Eltern schätzen ihre vier- bis 13-jährigen Kinder als medienkompetent ein. Dabei genießen klassische Medien das größte Vertrauen der Eltern. Zeitschriften halten sie für besonders kindgerecht, um Inhalte im eigenen Tempo aufzunehmen (68 Prozent), Fantasie und Kreativität zu fördern (63 Prozent) und den richtigen Umgang mit Medien zu lernen (56 Prozent). Auch TV, Mediatheken und Streamingdienste werden sehr von Eltern geschätzt: Sie sind ihrer Meinung nach am stärksten mit Spaß und Freude verbunden (79 Prozent), fördern das Erinnerungsvermögen (69 Prozent) und stehen – fast gleichauf mit Zeitschriften – für den Lerneffekt bei ihren Kindern (TV: 67 Prozent; Zeitschriften: 66 Prozent).
Über den Kinder Medien Monitor 2024
Zuschauen, Zuhören, Lesen, Gaming – neben Reichweiten für 25 Printmagazine bietet die repräsentative Markt-Media-Studie umfassendes Datenmaterial rund um die Mediennutzung von Kindern in ihrer Freizeit. Darüber hinaus liefert die Untersuchung vielseitige Einblicke in weitere Lebensbereiche der Kinder, zum Beispiel Interessen, Freizeitgestaltung und Konsumverhalten. Den Ergebnissen zugrunde liegen die Antworten der Kinder sowie die ihrer Eltern. Der Kinder Medien Monitor 2024 repräsentiert acht Millionen Kinder in Deutschland im Alter von vier bis 13 Jahren.
Eltern immer öfter Vorbild – Laut wissenschaftlicher Erhebung ist nur direkte Interaktion hilfreich
Kinder in Familien, in denen die Mitglieder viel Zeit vor diversen Bildschirmen verbringen, haben Schwierigkeiten, ihre Muttersprache richtig zu erlernen. Das haben Wissenschaftler um Tiia Tulviste von der estnischen Universität Tartu festgestellt. Tulviste und Co-Forscher Jaan Tulviste hatten zuvor eine repräsentative Auswahl estnischer Familien mit 421 Kindern im Alter zwischen zweieinhalb und vier Jahren befragt.
Verhalten an Wochenenden
Die Forscher haben die Eltern gebeten zu schätzen, wie viel Zeit jedes Familienmitglied an einem typischen Wochenendtag mit der Nutzung verschiedener Bildschirmgeräte für unterschiedliche Zwecke verbringt. Außerdem sollten sie angeben, wie viel Zeit die Familie gemeinsam vor einem Bildschirm verweilt, zum Beispiel beim Anschauen eines Filmes. Schließlich sollten die Eltern die Sprachkenntnisse ihrer Kinder beurteilen.
Darauf aufbauend haben die Experten sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen in drei Gruppen eingeteilt: hohe, geringe und moderate Bildschirmnutzung. Anschließend analysierten sie die Umfrageergebnisse, um festzustellen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Bildschirmnutzung der Eltern und jener der Kinder gibt.
Kinder halten es wie Eltern
Ergebnis: Eltern und Kinder gehören im Allgemeinen zu denselben Gruppen: Eltern, die viel Zeit vor Displays verbringen, haben beispielsweise Kinder, die sich ebenso verhalten. Unter Berücksichtigung des Alters haben die Fachleute die Sprachentwicklung dieser Kinder untersucht und dabei festgestellt, dass Heranwachsende, die Bildschirme weniger nutzen, in Sachen Grammatik und Wortschatz besser abschneiden. Keine Form der Bildschirmnutzung hatte einen positiven Effekt auf die Sprachkenntnisse der Kinder.
„Während das Lesen von E-Books und einige Lernspiele vor allem für ältere Kinder Möglichkeiten zum Sprachenlernen bieten, zeigt die Forschung, dass die alltägliche verbale Interaktion zwischen Eltern und Kind in den ersten Lebensjahren den größten Einfluss hat“, so Tulviste. Videospiele wirken sich dagegen deutlich negativ auf die Sprachkenntnisse der Kinder aus, unabhängig davon, ob Eltern oder Kinder spielen. Speziell in Estland kommt erschwerend hinzu, dass es kaum Spiele in der Muttersprache gibt.
Wolfgang Kempkens/pressetext.redaktion
Runter vom Gas 1 – Impulse für entspannten Unterricht in der Grundschule
geschrieben von Redakteur | September 22, 2024
Wie Sie Ihren Unterricht entschleunigen, um stressfrei und entspannt zu unterrichten
Die Volksschule langweilte mich vier Jahre. Während meines neunjährigen Eingewecktseins an einem Augsburger Realgymnasium gelang es mir nicht, meine Lehrer wesentlich zu fördern. (Bertolt Brecht)
Diese Äußerung Bertolt Brechts ist zwar vordergründig zum Schmunzeln. Doch eigentlich ist sie bitter ernst, denn im Grunde spricht sie etwas an, was auch heute noch für die Institution „Schule“ in weiten Teilen symptomatisch ist:
Der Sinn der ganzen Veranstaltung kann unseren Schülern nur bedingt vermittelt werden und das umso weniger, je länger sie dem schulischen Zugriff ausgesetzt sind.
Liebe Kollegin, lieber Kollege, vielleicht bist du jetzt entsetzt von dieser Einschätzung, empfindest das womöglich sogar als Nestbeschmutzung. Dann frage doch einmal in deinem Bekanntenkreis bei Schulabgängern, wie sie auf ihre Schulzeit zurückschauen.
ABER das soll nun kein Aufruf zur Pädagogikverdrossenheit sein, sondern es soll vielmehr eine Chance markieren, nämlich die Chance, es anders – und zwar besser – zu machen.
Viele Kolleginnen haben sich bereits auf den Weg gemacht, alte verkrustete Strukturen aufzubrechen und ich hatte in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von positiven Begegnungen mit solchen Vertretern unserer Zunft und kann auf geglückte Kooperationen zurückblicken. In der Summe allerdings sind diese innovativen und begeisterten Lehrer, die mit Kreativität, Mut und Entschlossenheit das Leben und Lernen in einer Klasse gestalten, noch stark in der Minderzahl.
Um diesen Kolleginnen den Rücken zu stärken und um weitere Kolleginnen mit dem Virus der Innovation, des Selber-Denkens und der Eigenverantwortung anzustecken, möchte ich von den Erfahrungen berichten, die möglich sind, wenn wir Lehrer das Heft selbst in die Hand nehmen und uns auf das besinnen, was uns dank unserer Lehrpläne und der Lehrerdienstordnung alles möglich ist: nämlich ein Maß an Selbstbestimmtheit, von dem viele andere Beamte nur träumen können.
Der autonome Lehrer
Hast du tagtäglich das Gefühl, mit „dem Stoff“ nicht fertig zu werden und fühlst du dich von „dem Lehrplan“ gehetzt und gegängelt? Dann sitzt du, wie viele deiner Kolleginnen und Kollegen, einem gewaltigen Irrtum auf. In diesem Fall empfehle ich dir, dem Lehrplan einmal genau „aufs Maul zu schauen“ und zuallererst die Präambel aufmerksam zu lesen. Da findet sich nämlich eine so unglaublich sinnvolle Bestimmung wie jene:
Um der Schule ausreichend Gestaltungsmöglichkeiten für das Lernen auch über einzelne Fächer hinaus zu ermöglichen, sind die Fachlehrpläne auf 26 Wochen ausgelegt. Bei insgesamt 38 Schulwochen steht damit ein pädagogischer Freiraum zur Verfügung, der von der Schule in Einklang mit ihrem pädagogischen Profil gestaltet wird. Hierdurch können in der Klasse Lehrplanthemen entsprechend den Interessen der Kinder weiter vertieft und weiterführende Schülerinteressen und –bedürfnisse aufgegriffen werden. Dazu gehören z.B. das Aufgreifen aktueller Tagesereignisse sowie die Gestaltung des Schullebens einschließlich Klassenfahrten, Wanderungen, Schulfesten und Gottesdiensten. (Lehrplan PLUS 2014, S. 19)
Nun kann mit der in unserem Beruf leider häufig vorhandenen Ja-aber-Mentalität gleich ein Haar in der Suppe gefunden werden, nämlich: Da werde ich ja mit „dem Stoff“ erst recht nicht fertig.
Dann schau dir doch einmal den Lehrplan vor allem in den drei Kernbereichen Lesen, Schreiben und Rechnen genau an. Da wird alles Mögliche verbal aufgebläht, aber letztendlich kannst du die dort aufgeführten Kompetenzen ganz leicht auf das Wesentliche eindampfen.
Am Beispiel Texte verfassen möchte ich das exemplarisch genauer ausführen:
Das, was im Folgenden über die Spracharbeit gesagt wird, lässt sich aber auch auf die anderen Kernfächer anwenden. Es ist nicht „der Lehrplan“, der uns hetzt. Es ist das Bestreben, alle in Büchern und Arbeitsheften angebotenen Möglichkeiten lückenlos abzuarbeiten.
Für den Bereich „Texte verfassen“ bleibt, wenn wir nur das Wesentliche herausfiltern, in der 3. und 4. Klasse lediglich Folgendes übrig:
Die Kinder sollen Texte verschiedener Art verfassen, ordentlich und passend zum Inhalt gestalten, ihre Rechtschrift überprüfen und gegebenenfalls den Text überarbeiten und verbessern.
Und wie lernen sie das am besten? Natürlich, indem sie es tun und nicht indem sie darüber reden oder in einem Arbeitsheft Lückentexte ausfüllen, Satzanfänge verändern, Textteile nummerieren, Pronomina einsetzen und Multiple-choice-Kreuzchen machen, so wie ich es zum Thema Texte verfassen 24 Seiten lang in einem Arbeitsheft für die 3. Klasse gefunden habe. 24 Seiten, jede mit einem eigenen Schwerpunkt, das sind womöglich 24 Schulstunden! Du hast die Entscheidungsgewalt, solche Seiten einfach nicht anzubieten und stattdessen die Kinder selber schreiben zu lassen.
Vor der Korrekturarbeit musst du keine Angst haben. Denn wenn du die Kinder häufig Texte verfassen lässt und in diesen Texten wirklich nur falsche Rechtschrift und fehlerhafte Grammatik anstreichst, dann hast du auch nur einen Bruchteil an Korrekturarbeit und die Kinder werden wesentlich motivierter arbeiten, weil du damit zeigst, dass du vor ihrem sprachlichen Konstrukt Respekt hast und nicht einfach die Ausdrücke der Kinder durch solche ersetzt, die dir geeigneter erscheinen.
Wie schreibt Goethe so wunderbar:
Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde! Es war getan fast eh gedacht. Der Abend wiegte schon die Erde, Und an den Bergen hing die Nacht.
Johann Wolfgang von Goethe, Willkommen und Abschied
Kannst du dir vorstellen, hier als Korrektur anzumerken: Die Nacht hängt nicht?
Eigene Sprache ist etwas sehr Persönliches. Und wenn wir hier wirklich nur das objektiv Falsche anstreichen und die ureigene Sprache der Kinder – oder manchmal auch die Sprachschöpfungen – akzeptieren, dann wird das von den Kindern auch verstanden und gebilligt.
Meine Tochter hatte in der 3. und 4. Klasse einen Lehrer, der es genau anders machte, in den Aufsätzen der Kinder herumstrich und regelmäßig deren Ausdrücke durch das ersetzte, was er für besser hielt. Das machte meine Tochter so wütend, dass sie zu Hause schimpfte wie ein Rohrspatz, wenn wieder einer ihrer Aufsätze von Herrn M. „verunstaltet“ worden war, denn so empfand sie das. Als ich einmal versuchte, sie mit dem Argument zu beruhigen: „Wenn der Herr M. dir etwas beim Rechnen anstreicht, dann ärgerst du dich doch auch nicht!“, da gab sie mir eine Antwort, die genau den Kern der Sache trifft: „Ja, schon, Mami, aber weißt du, da kränkt es mich nicht so!“
Damit ist eigentlich alles gesagt. Nun kann man sich natürlich fragen, wie denn dann an Verbesserungen gearbeitet werden soll, wenn man einfach alles lässt, wie es ist. Diese Frage ist berechtigt und dafür gibt es eine ganz einfache Lösung. Du kannst den Kindern einen von dir verfassten Text zu dem bearbeiteten Thema vorlegen, in den du Fehler oder Sprachschwächen einbaust, die entweder wirklich vorkamen oder die du auch erfindest und diesen Text dürfen die Kinder dann verbessern. Das kann in Gemeinschaftsarbeit an der Tafel, in Gruppenarbeit, Partnerarbeit oder auch einzeln gemacht werden. Ich ließ bei diesen Arbeiten die Kinder immer einen Rotstift verwenden, das hatten sie gern, sie erlebten dadurch so etwas wie einen Rollentausch – vom Schüler zum Lehrer.
In meinen zweiten Klassen betitelte ich diese Texte auch oft mit: Kasperl hat geschrieben.
Nun zurück zu unserem Thema: Stress und Hetze in der Schule verhindern.
Wenn du so wie beschrieben vorgehst, dann ermöglichst du den Kindern ein In-die-Tiefe-Lernen, das heißt, ihr verzettelt euch nicht mit allen möglichen Einzelthemen, sondern ihr bleibt an der Sache, um die es geht: am Verfassen von Texten. Die Kinder verbessern unweigerlich ihr Schreiben, wenn sie dazu oft Gelegenheit haben und das angstfrei und ohne Sorge tun können, weil sie wissen, dass du achtsam und respektvoll mit ihrer Arbeit umgehst. Du musst dich nicht mit den langweiligen Arbeitsblättern herumplagen und das Korrigieren ist schnell erledigt. Die Kinder sind motivierter bei der Sache und die Möglichkeit des Verbesserns und Reflektierens ist auch vorhanden.
Das Ganze hat nur Vorteile. Und die Entscheidung, wie du vorgehen möchtest, liegt allein bei dir. Dass du das wirklich „darfst“, ist dir ganz explizit im Lehrplan gestattet. Da heißt es:
Die Lehrkraft initiiert und beeinflusst das Lernen, indem sie Lernanlässe schafft und gezielt Lernformen, Materialien und Methoden auswählt. (Lehrplan PLUS, 2014, S.17)
Da steht nicht, dass du ein Schulbuch von vorne bis hinten durcharbeiten musst.
Du bestimmst, mit welchem Material und mit welcher Methode du deine Schüler sprachlich fördern möchtest.
Dass einzelne isolierte Sprachschnipsel, bei denen zum Beispiel die Vorsilbe ver- oder vor- oder um-, passend zu vorgegebenen Sätzen, in eine Lücke eingesetzt werden soll, die Sprachkompetenz der Kinder mit einer Effektstärke gegen Null fördern, müsste eigentlich jedem einleuchten. Die Zeit für solche Übungen – die noch dazu sterbenslangweilig für Kinder und Lehrerin sind – kannst du dir getrost sparen.
Sprachbetrachtung kann stattdessen, wenn du sie für nötig hältst, wunderbar beim Reflektieren über den von dir verfassten Korrektur-Aufsatz untergebracht werden, und zwar so, wie es für das Schülergehirn am besten geeignet ist: Kontextspezifisch und in kleinen Häppchen.
Was für den Bereich „Texte verfassen“ gilt, ist überhaupt bei jeder Spracharbeit das Entscheidende: Kinder lernen Sprache, indem sie mit echter Sprache aktiv umgehen, sie also aktiv gestalten, oder passiv erleben.
Wenn du alleine für die Bereiche Texte verfassen und Sprachbetrachtung so vorgehst, dass du das Überflüssige und Demotivierende weglässt und dich auf das konzentrierst, was effektiv und wesentlich ist, gewinnst du Zeit und die kannst du extrem gewinnbringend einsetzen: zum Beispiel für das Vorlesen schöner Bücher.
Das ist kein bloßer Zeitvertreib, sondern Sprachförderung in Höchstform. Wo haben denn unsere Schulanfänger ihren Wortschatz her? Von Wörtern, die sie von Erwachsenen gehört haben. Nun wird in der Alltagssprache der Reichtum unserer Ausdrucksmöglichkeiten nicht annähernd ausgeschöpft. Deshalb ist das Vorlesen schöner Geschichten so wichtig. Wir wissen aus zahlreichen Untersuchungen, dass entscheidende Determinanten für Lern- und Leseerfolg Wortarmut oder Wortreichtum sind. Wir wissen auch, dass viele Kinder in der Vorschulzeit sehr wenig, andere hinwiederum sehr viel vorgelesen bekommen. Das betrifft eine Spannweite von 30 bis 1700 Stunden! Was soll es denn so spracharmen „30-Stunden-Kindern“ nützen, wenn sie irgendwelche Sprachschnipsel in Lücken einsetzen sollen? Wenn sie hingegen in der Schule schöne Geschichten hören, von der Lehrerin ausdrucksvoll und – je nach persönlicher Neigung – dramatisch ausgestaltet vorgetragen, dann haben sie auch eine Chance, allmählich ihre Defizite zu verringern.
Vorlesen ist für die sprachverwöhnten 1700-Stunden-Kinder schön, für die spracharmen 30-Stunden-Kinder aber sprachlich lebensnotwendig.
Ich habe in jeder meiner Klassen – von der ersten bis zur neunten – jeden Tag 15 bis 20 Minuten vorgelesen. Das lässt sich gut mit der Brotzeitpause verbinden, in der zuerst 10 Minuten „freie Konversation“ stattfinden kann und danach die Lesezeit beginnt. Einige meiner Kolleginnen haben das tägliche Vorlesen ebenfalls in ihr festes Programm aufgenommen und ebenso wie ich die allerbesten Erfahrungen damit gemacht.
Keine starren Stundengrenzen
Was hier exemplarisch für die Deutschbereiche Sprachbetrachtung und Texte verfassen gesagt wurde, lässt sich natürlich in abgezirkelten 45-Minuten-Einheiten nur schwer unterbringen. Aber das muss auch gar nicht sein, denn auch hier haben wir die explizite „Erlaubnis“, das starre Stundengerüst aufzubrechen:
Die zeitliche Strukturierung des Unterrichtsvormittags orientiert sich an kindgerechten Phasen für konzentriertes Lernen und berücksichtigt das Bedürfnis nach Bewegung und Pausen. […] Rituale strukturieren den schulischen Alltag und schaffen eine Atmosphäre der Sicherheit und des Vertrauens […] (Lehrplan PLUS, 2014, S.17)
Du hast nicht nur die Freiheit, deinen Schultag so zu gestalten, wie es zur Situation in deiner Klasse passt, du wirst sogar ausdrücklich dazu aufgefordert. Es ist gar nicht sinnvoll, eine Stunde nach der anderen zu halten, jede mit dem Glockenschlag zu beenden, womöglich gar noch mit dem Bestreben, nach jeder einzelnen Unterrichtsstunde ein Ergebnis zu erzielen. Schlimm genug, dass so etwas in den Lehramtsprüfungen immer noch verlangt wird.
Aber du kannst selbst entscheiden. Was spricht denn gegen eine Unterrichtspraxis, in der nicht jedes Thema künstlich auf 45 Minuten gedehnt wird? Ganze Rechtschreibstunden sind zum Beispiel völlig sinnlos. Es profitieren bestenfalls die Verleger von Arbeitsheften davon, dass Schüler seitenweise in Lücken „z“ oder „tz“ einsetzen oder aus Silben Tiernamen bilden und dann bei „Tiger, Biber, Nilpferd und Krokodil“ die lang gesprochenen, aber kurz geschriebenen „i“ farbig markieren. Weit wirkungsvoller ist es, kontextspezifisch immer wieder – oft und kurz – Rechtschreibprobleme und echte – von Schülern wirklich gemachte – Fehler zu besprechen und so aus vielen Reflexionen allmählich Strukturen und Regeln zu entwickeln.
Stress, Druck und Hetze bestimmen oft bereits in der Grundschule den Alltag von Lehrern, Schülern und Eltern. Doch es ist möglich, trotz starrer Rahmenbedingungen und zahlreicher Anforderungen den schulischen Alltag für alle Beteiligten angenehm zu gestalten – ohne Hektik und Stress. Der Fokus liegt auf der Autonomie der einzelnen Lehrer. Du findest erprobtes Handwerkszeug für eine alternative Umsetzung des Lehrplans. Methodenfreiheit neu gedacht, fächerübergreifendes Unterrichten und Projektarbeit ermöglichen einen entschleunigten Unterricht. Zusätzlich gibt es noch Online-Materialien.
Andererseits brauchen manche Themen Zeit. Und es wäre kontraproduktiv, Schüler, die gerade dabei sind, konzentriert etwas zu üben oder auszuprobieren, aus dieser Arbeit zu reißen, nur, weil „die Zeit“ um ist.
Ein Schultag braucht ein Design: Phasen des selbstbestimmten Lernens, der Selbsttätigkeit, Partner- oder Gruppenarbeit wechseln ab mit Phasen konzentrierten Zuhörens und Mitmachens. Dann muss es noch gemeinsame Aktivitäten geben wie Singen, Tanzen, Musizieren, Rhythmik, aber auch Zeit für Entspannung.
Das geht nur, wenn du über die Zeit bestimmst und nicht die Zeit über dich!
Du bestimmst und du trägst die Verantwortung
Doch bereits an den wenigen hier aufgeführten Beispielen wird klar: Wenn du dich auf den Weg hin zu einer entspannten, stressfreien Schule machst, in der du die gemeinsame Zeit mit sinnvollem Lernen und gemeinschaftsfördernden Aktivitäten verbringen willst, dann bist du die Person, die bestimmt, die aber auch selbst die Verantwortung trägt. Das Verschanzen hinter dem Lehrplan, den Vorschriften oder dem „So-machen’s-doch-alle“ greift dann nicht.
In den weiteren Artikeln werde ich noch einige wesentliche Themen ansprechen wie zum Beispiel das Classroom Management, die Klimaarbeit im sozialen Bereich, die Kommunikation mit den Eltern, einen sinnvollen Leselehrgang und die Bereiche Authentizität, Sinnerfüllung und Anerkennung.
Zum Abschluss möchte ich Immanuel Kant zitieren, der in seinem Aufsatz „Was ist Aufklärung?“ aus dem Jahr 1784 alles Wesentliche zum Selber-Denken und der damit verbundenen Verantwortung gesagt hat. Niemand könnte das heute treffender formulieren:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen (naturaliter majorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt u.s.w., so brauche ich mich ja nicht selber zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen.
(Immanuel Kant, 1999, 1784, Was ist Aufklärung? Philosophische Bibliothek Hamburg, Nachdruck aus der Berlinischen Monatsschrift)
Wage es also, mit Kant, selber zu entscheiden, was für das Erreichen der angestrebten Ziele wichtig ist, verwende Schulbücher so, dass du das Nützliche herausgreifst und das Überflüssige weglässt und werde zum Herrn oder zur Herrin über die Zeit in deiner Klasse. Dann hast du einen wichtigen Schritt hin zu deiner eigenen Autonomie getan und damit auch ganz entscheidend zu mehr Entspannung und weniger Stress im Schulalltag beigetragen.
Christina Buchner
Die Autorin:
Christina Buchner arbeitete viele Jahre als Lehrerin an Grund- und Hauptschulen und war 16 Jahre Rektorin an Grundschulen im Landkreis München. Sie ist in Oberbayern auf dem Land aufgewachsen. Ihre Kindheit war geprägt durch große Freiheit, Nähe zur Natur, Freude an Büchern und die Möglichkeit, kreative Einfälle in die Tat umzusetzen. Vor diesem Hintergrund war es ihr von Anfang an ein zentrales Anliegen, für ihre Schüler eine bunte und anregende Lernwelt zu schaffen.
Sie ist nach wie vor fest davon überzeugt, dass in der Schule ohne Freude, Begeisterung und ohne Erfolgserlebnisse sehr wenig läuft. Die Mischung aus Pflicht und Freude, aus Begeisterung und konsequenter Übung, aus Disziplin und individueller Freiheit beim Lernen ist ihr Markenzeichen. Für diese Mischung wirbt sie in ihren Büchern und in Vorträgen und Lehrerfortbildungen in Deutschland, Österreich, Italien, der Schweiz und Luxemburg. Christina Buchner entwickelte eigene Methoden für das Lesenlernen, für Rechtschreiben und Schreiberziehung, für den elementaren Mathematikunterricht und für das Theaterspielen mit einer Klasse. Ihr MatheBlog: www.die-rechentante.de Ihre Website: www.christina-buchner.de
Großer Dekowettbewerb mit tollen Preisen!
geschrieben von Redakteur | September 22, 2024
Die kleine Raupe Nimmersatt wird 55 Jahre alt
Die kleine Raupe Nimmersatt feiert in diesem Jahr ihren 55. Geburtstag und lädt ein zum großen Dekowettbewerb für Kindergärten, bei dem es tolle Preise zu gewinnen gibt!
Zusätzlich können Sie hier einen von 10 Bildbänden Eric Carles Welt der Tiere gewinnen!
Zu gewinnen gibt es für die teilnehmenden Kindergartengruppen Holz-Sitztruhen von der kleine Raupe Nimmersatt und Buchpakete mit Büchern von Eric Carle.