Mit Janusz Korczak Inklusion in Krippe und Kita gestalten

Inklusion

Inklusive Erziehung hat durch eine feinfühlende Haltung der Selbstbildung des Kindes zu dienen

Diesen grundlegenden Gedanken der Pädagogik versucht der Autor in seinem langen Berufsleben für die inklusive Erziehung zu pflegen, das ihm sein Vorbild Janusz Korczak nahelegt und im Folgenden für das Handlungsfeld der Frühpädagogik näher erläutert wird. Stets geh es darum: Mit dem Arztpädagogen im Dialog zu sein, mit ihm zu denken und zu handeln.

Persönliche Hinweise

  • Der Einblick in meine Professionalität kann als persönlicher Bericht eines Zeitzeugen verstanden werden, der seine berufliche Tätigkeit unter den Bedingungen der von ihm erlebten Zeit beschreibt und sein Denken und Handeln, sein Forschen und Lehren als Einheit sieht. Man könnte einwenden, dass der Darstellung der Geruch der Selbstbewunderung anhafte. Doch in neueren Beiträgen zur Forschung und Lehre wird der Selbstdarstellung des Wissenschaftlers Raum gegeben, da sie zu einem nicht unerheblichen Erkenntnisgewinn beitragen kann.
  • 1944 musste ich mit 10 Jahren mein geliebtes Dorf Schwedler (Ostslowakei) verlassen. Erst nach der politischen Wende 1989 konnte ich es wieder besuchen. Besonders die Flucht- und Lebenserfahrungen führten mich zur Einsicht: Der Mensch braucht Liebe, Vertrauen, Lebensfreude und Zuversicht, das mir der polnische Arzt und Pädagoge Janusz Korczak zeigt. Sein Denken in Freiheit folgt nicht dem Gesetz des Stärkeren, das ich in der angegebenen Literatur facettenreich ausführte.
  • Vor allem Friedrich Fröbel, der aus dem innersten Kern seines Wesens heraus Pädagoge, nichts als Pädagoge war, begleitet mein Denken und Handeln. Neben der beruflichen Tätigkeit studierte ich seine Spielpädagogik, die 1978 in die Dissertation „Die häusliche Früherziehung des entwicklungsbehinderten Kindes“ einging. (Klinkhardt 1979)
  • Besonders die über drei Jahrzehnte gepflegte Zusammenarbeit mit dem international bekannten Kindheitspädagogen Armin Krenz begleiten mein Denken. Mein erstes Korczak-Buch „Janusz Korczak – Sein Leben für Kinder …“ (Klinkhardt 1995; 1997, 2. Auflage) führte uns zusammen. 

Selbstbildung formt die Persönlichkeit

Bei der Selbstbildung (Selbstentwicklung, Selbstführung, Selbstgestaltung, selbstkritische Reflexion) geht es um Formung der Persönlichkeit, professionelle Selbstverwirklichung und berufliche Identität. Das zeigte der Arzt und Pädagoge Janusz Korczak: Er lebte aus der Kraft der Liebe mit seinen Waisenkindern im Warschauer Ghetto bis zuletzt. (Korczak wurden Angebot zur Flucht gemacht, die er entschieden ablehnte. Er begleitete seine Kinder bis zuletzt.) Für ihn war die Pädagogik keine Wissenschaft mit hochtrabenden Begriffen, sondern ein situationsorientiertes Handeln, das für jedes Kind tagtäglich zu finden ist. Stets geht es um ein Denken, das im Wesen des Menschen verankert und aus feinfühlender Haltung heraus zu gestalten ist.

 Korczak weist uns auf das pädagogische Urprinzip der Selbstbildung hin: „Sei Du selbst – suche Deinen eigenen Weg. Lerne Dich selbst kennen, ehe Du Kinder zu erkennen trachtest. Mache Dir klar, wo Deine Fähigkeiten liegen, ehe Du anfängst, den Kindern den Bereich ihrer Rechte und Pflichten abzustecken. Unter ihnen allen bist Du selbst ein Kind, das du vor allem kennenlernen, erziehen und formen musst“ (Korczak 2004, 147). Mit diesem selbstkritischen Nachdenken kann dem Zeittrend geantwortet werden.

Tendenzen der Zeit

Umbrüche und Entsolidarisierung erzeugen Unsicherheit und Angst

Viele Menschen finden in einer durch Krisen geprägten Zeit keinen ausreichenden Ratgeber mehr und leben in existentieller Angst. Weit verbreitet ist die Angst vor dem Anderen. Es können verschiedene Ursachen ausfindig gemacht werden. Liegen sie im Beziehungsgeflecht mitten unter uns?

Die Google-Facebook-Welt negiert das Begegnen von Mensch-zu-Mensch

Diskurse über das „neue Profil des Menschen“ weisen darauf hin, dass der Mensch zu einem Datensatz geworden ist, der durch Firmen wie Facebook und Google im Netz vermarktet wird. Informatiker sprechen vom Computer als Bewusstseinsmaschine. Doch die hergestellten Zusammenhänge sind keine von Menschen gestalteten Sinnzusammenhänge und es kommt nicht zu einer intersubjektiven Begegnung.

Auf diese drohende Unsicherheit, Angst und Vermarktung des Menschen, die auf pädagogische Fachkräfte und Kinder einwirken, ist durch Selbstbildung zu antworten.

Dem Kind sein schöpferisches Selbstbewusstsein ermöglichen

Alles, was das kleine Kind wahrnimmt, versucht es unermüdlich in schöpferische Eigenaktivität umzusetzen, auf die sein späteres Leben aufbaut. Solange es wach ist, gibt es keinen Moment, in dem es nicht etwas tut. Es will sich selbst entwickeln, aus seinen veranlagten Kräften heraus frei spielen, gestalten und arbeiten. Nach und nach erwacht sein schöpferisches Selbstbewusstsein, das sich bis ins hohe Alter wandelt.

Diese Erkenntnis fordert von der pädagogischen Fachkraft eine anspruchsvolle Professionalität. Es geht um eine persönliche Anstrengung zur Selbstführung, die keine beliebige Beigabe ist, sondern eine notwendige Verpflichtung. Besonders durch regelmäßiges Prüfen der Arbeit (Selbstbewertung, Selbstevaluation, Beurteilung durch Mitarbeiter oder Eltern) ist die Professionalität als nie endende Aufgabe zu pflegen. Dadurch wird Professionalismus verhindert, der Eigeninteressen vor die Bedürfnisse der Kinder stellt.

Geboten ist eine feinfühlende Haltung

Im Zuge der Verwissenschaftlichung der Pädagogik wurde der Begriff Haltung als unwissenschaftlich beiseitegeschoben. Heute wird er als Gegengewicht gegen Haltlosigkeit, Eile und Beschleunigung wiederentdeckt. Kinder sehnen sich nach Menschen, die ihnen seelischen Halt geben, bei ihnen positive Gefühle und Stimmungen auslösen.

Jedes Kind erwartet und benötigt bei der gemeinsamen Gestaltung der Bildungsarbeit einen äußeren und inneren Halt durch die pädagogische Fachkraft, damit sein Halt wachsen kann.

Eine Fachkraft, die dem Kind konsequent und eindeutig Halt gibt, ermöglicht ihm, dass es

  • sich wohlfühlen,
  • im strukturierten Raum und in der strukturierten Zeit geborgen erleben,
  • Selbstvertrauen und Sicherheit gewinnen  kann.

Durch diese Haltung kann die pädagogische Fachkraft entwicklungshinderliche Bedingungen und Einflüsse in entwicklungsförderliche wandeln und das seelische Grundbedürfnis des Kindes befriedigen. Sie ermöglicht ihm seine Selbststeuerung und Selbstaktivierung auf der Grundlage seiner Selbstwirksamkeitsüberzeugung.

Diese Entwicklungsarbeit beginnt dort, wo die pädagogische Fachkraft

  • selbst Freude und Interesse daran hat, immer wieder neues Wissen zu erwerben;
  • sich gemeinsam mit Kindern auf die Suche nach Antworten begibt;
  • sich bemüht, offen und neugierig schwierige Situationen zu meistern, damit Kinder erleben können, dass Konflikte zum Leben gehören und weitgehend lösbar sind;
  • verborgene Talente entdeckt, mutig aufgreift und sich mit Kindern auf eine spannende Entdeckungsreise einlässt; 
  • weltoffen auf alles Unbekannte zugeht, um mit Kindern den alltäglichen Schatz der unbekannten Welten zu heben.          

Dem Kind Selbstbildung ermöglichen

Eine sich selbst bildende Fachkraft versucht die günstigste Umgebung für das Kind zu geben, in die es durch eigenes Handeln und Entdeckerfreude eintauchen kann. Durch diese Haltung weckt und stärkt sie die Fähigkeit des Kindes zu seiner Selbstwirksamkeit. Das zeigt das folgende Beispiel, das wir Mariele Diekhof verdanken.

Anton und seine Erzieherin

Schon an ihrem ersten Arbeitstag hörte die Erzieherin von dem „schlimmsten Jungen im ganzen Kindergarten“. Der 5-jährige Anton würge die Kinder. Ihre Eltern wollen nicht, dass er mit ihnen spiele.

Die Erzieherin versucht das Kind aus gemeinsamen Erlebnissen heraus zu verstehen: Anton zeigt großen Bewegungsdrang, klettert am liebsten auf Bäume oder auf das Dach des Spielzeughäuschens. Er fühlt sich stark und mächtig, spart nicht mit Schimpfwörtern. Auch einige Kinder wollten so cool wie er sein. Halten sich Spielgefährten nicht an Antons Regeln, dann kann er aggressiv werden. Wird er zu Mahlzeiten gerufen, wenn er sich gemütlich auf dem Dach des Häuschens eingerichtet hat, dann kann es zu Tobsuchtsanfällen kommen, die dazu führen, dass er andere Kinder schubst, tritt oder auch würgt. Bald nennen ihn die Kinder nur noch „der Würger“. Antons Eltern suchen Rat und forschen „verzweifelt nach dem Grund für seine Aggressivität“. Sein auffälliges Verhalten führt bei Kindern und Erwachsenen zu verschiedenen Reaktionen, die zur Verfestigung des störenden Verhaltens beitragen. Anton steckt in einem unauflösbaren Teufelskreis.

Die Erzieherin setzt sich eines Tages zu Anton auf die Gartenbank. „Wir saßen eine Weile schweigend nebeneinander, dann nahm ich seine schmutzige Hand in meine Hände. Ganz vorsichtig streichelte ich sie und sagte leise zu ihm: ‘Anton, du hast so schöne Streichelhände. Hast du nicht Lust, unseren Kleinen in der Krippe mittags beim Einschlafen zu helfen?‘“ Schnell zieht Anton die Hand weg, das wäre ja völlig uncool. Er läuft weg. Doch die Erzieherin bleibt „sanft“ hartnäckig. Nach ihrem vierten Versuch erklärt sich Anton damit einverstanden darüber nachzudenken und mit einem „Na, gut“ zu bekräftigen. „Die zwei Worte lösen in ihr „ein unbeschreibliches Glücksgefühl“ aus. Die Erzieherin fühlt sich in ihrer Selbstwirksamkeit bestärkt.

Nun setzen sich beide auf die Bank, sie überlegen und stellen gemeinsam Regeln auf, damit alles gut gelingt.

Die Regeln wurden mit einem goldenen Stift auf „schönes Büttenpapier geschrieben:

  • „Bevor Anton ins Sternchenzimmer geht, wäscht er sich gründlich die Hände, damit beim Streicheln das Kind nicht schmutzig wird.
  • Im Sternchenzimmer wird geflüstert, damit die Kleinen nicht gestört werden.
  • Anton sucht sich aus, welches Kind er streicheln möchte.
  • Das Kind wird von Anton leise gefragt, ob es gestreichelt werden möchte. Wenn nicht, dann nicht!
  • Das Kind wird am Arm, an der Schulter, am Hinterkopf oder am Rücken zart gestreichelt. Anton fragt das Kind, wo es gerne gestreichelt werden möchte.
  • Sobald das Kind zeigt, dass es nicht mehr gestreichelt werden möchte, hört Anton sofort auf.
  • Wenn das Kind eingeschlafen ist oder Anton nicht mehr streicheln möchte, kann er leise hinausgehen.
  • Anton kann immer Nein sagen, wenn er wieder gefragt wird, ob er im Sternchenzimmer helfen möchte.“

Für die Erzieherin ist es wichtig, dass Anton das Streicheln als besondere Aufgabe empfindet.

Sie füllt für das Händewaschen eine Blechdose mit besonderen Duftseifen und einer bunten Nagelbürste. Die einzelnen Seifen duften nach Rosen, Zitronen, Erdbeeren, Pfirsichen, und eine schokoladenfarbige „Männerseife“ riecht nach Gewürzen. Anton kann entscheiden mit welcher Seife er sich die Hände waschen will. Die Erzieherin schreibt: „Ich werde nie den Anblick vergessen, wie versunken Anton alle Seifen beschnupperte und sich viel Zeit ließ, um sich dann für eine zu entscheiden. Die coole Männerseife sollte es sein.“

Nun tastet sich Anton mit geschrubbten und nach Gewürzen duftenden Händen durch den Schlafraum und „hielt zögernd nach einem geeigneten Kind Ausschau“. Er wählt die kleine Emely. Wie zuvor besprochen, fragt er sie „flüsternd, ob er sie ganz vorsichtig streicheln dürfe“. Streicheln ist für Emely keine ungewohnte Situation, da die Kinder von den Erzieherinnen täglich in den Schlaf gestreichelt werden. Anton macht es sich neben Emely auf der Matratze bequem und „bewegte seine Finger zunächst sehr zaghaft auf ihrer Schulter. Emely schien es zu gefallen, zunächst schaute sie Anton mit großen Augen an, bevor sie dann tatsächlich während des Streichelns in den Schlaf sank.“ Anton bleibt noch etwas auf der Matratze sitzen und schleicht dann aus dem Sternchenzimmer.

Im Verlauf der Wochen erlebt Anton was seine Hände bewirken können.

Durch Selbstwirksamkeit entwickelt er ein Verantwortungsbewusstsein. Die Kinder verlieren bald die Angst vor Anton. Der Teufelskreis ist durchbrochen. Andere Kinder folgen ihm. Bis zu drei Kinder können beim Streicheldienst mitwirken und die Erzieherinnen unterstützen. Interessierte Kinder können sich in eine Liste eintragen und die Kleinen nach den vereinbarten Regeln streicheln. Auch der Akt mit den besonderen Duftseifen entwickelt sich zu einer Zeremonie, die den Kindern sinnliche Düfte und Wertschätzung erleben lässt.

Das Beispiel motiviert das Team und die Eltern.

Sie überlegten, ob dieser Streicheldienst nicht als Standard in die Kita-Konzeption einfließen könne. Die älteren Kinder konnten für eine sozial motivierte Selbstwirksamkeit interessiert und bei der Betreuung der Kleinen mit einbezogen werden. Sie halfen nicht nur im Sternchenzimmer beim Streicheln, auch beim Füttern der Jüngsten übernahmen sie Verantwortung.

Nun kamen von Kindern und Erwachsenen immer wieder neue Ideen und Anregungen hinzu:

Spielsachen wurden für die Kleinen gebaut, Kissenbuden zum Reinkriechen gebastelt, Matschecken angelegt. Anton war immer mittendrin. Er war der Chef und Bestimmer. Er wusste, was zu tun war und wie man die Kleinen tröstet, wenn die Mama ging, wie man sie füttert und sanft in den Schlaf streichelt. Ja, so war er, unser Anton – und manches Kind wollte ein wenig so sein wie er, so klug, so stark, so voller Ideen und Tatendrang. Nachsatz: In der 4. Klasse wurde Anton von seinen Klassenkameraden zum Konfliktberater gewählt. (Klein 2021, 25 f.)

Fazit

  • Kinder mit und ohne Behinderung erwarten in der inklusiven Kita eine von der pädagogischen Fachkraft gestaltete Umgebung, in der sie sich vielfältig bewegen können, Anregungen für ihre Sinne, Phantasie, für die Lust am Gestalten und Forschen bekommen. Sie kann die Selbstbildung der Kinder begleiten, indem sie ihnen möglichst viele Erfahrungsbereiche eröffnet und sie selbst bestimmen lässt, welche sie nutzen wollen.
  • In dieser offenen und selbstkritischen Haltung wurzelt Korczaks Kultur des partnerschaftlichen Dialogs, der maßgebend sein soll für die Forschung in Wissenschaft und Praxis, denn wo Liebe gelebt wird findet Begegnung und Selbstbildung als nie endende Aufgabe statt.

Bücher von Prof. Ferdinand Klein im Verlag Burckhardthaus

Literatur

(Univ.-Prof. em. Dr. Dr. et Prof. h.c. Ferdinand Klein)




Kinder mit Autismus: Ringen um Zugang und Teilhabe

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Lebenslagen und Bedürfnisse von Autistinnen und Autisten sichtbar machen

In Deutschland leben etwa 800.000 Autistinnen und Autisten. Viele von ihnen leben recht zurückgezogen und haben Schwierigkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. „Unsichtbarkeit führt zu Ausgrenzung. Sichtbarkeit schafft Akzeptanz und Normalität. Die Belange von Autistinnen und Autisten müssen sichtbar und akzeptiert sein, damit die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien verbessert wird.“, erklärt die Landesbehindertenbeauftragte von Baden-Württemberg, Simone Fischer. Dies gelte insbesondere für Kinder und Jugendliche in Kita und Schule sowie für Autistinnen und Autisten mit höherem Assistenzbedarf.

„Der Wissenszuwachs über Autismus und die besonderen Teilhabebedarfe ist enorm. Vielen betroffenen Kindern und jungen Menschen nutzt das aber noch zu wenig“, so Simone Fischer. Beispielsweise berichten Eltern, dass sie mit missbilligenden Blicken gestraft werden, wenn ihr autistisches Kind bestimmte Regeln nicht einhält, Kinder und Jugendliche werden missverstanden und ihnen werde unterstellt, etwas nicht zu wollen, obwohl sie es schlicht nicht könnten.

Zugang und Teilhabe in Kitas

An die Ombudsstelle der Beauftragten werden Probleme herangetragen, bei denen es um den Zugang und die Teilhabe in Kitas gehe. Es betreffe beispielsweise die drastische Reduzierung von Betreuungszeit, insbesondere bei Personalengpässen, in einem Fall auf bis zu zwei Stunden pro Woche, während Kinder ohne Beeinträchtigungen die Kita weiterhin besuchen oder höhere Betreuungszeiten nutzen konnten.

Die Umsetzung von Assistenzleistungen gestalte sich teilweise schwierig. Viele Kinder erhalten zwar dem Grundsatz nach Assistenz, zum Beispiel durch Inklusionskräfte, die Eltern sind hinsichtlich der Suche und Organisation aber häufig auf sich gestellt. Dies führe dazu, dass Kinder die Kita nicht oder nicht mehr besuchen dürfen, wenn sie keine Begleitung haben. Problematisch sei es auch, wenn bei Kindern die Diagnostik noch nicht abgeschlossen sei, der Bedarf noch nicht festgestellt wurde oder wenn sich die Zuständigkeiten zwischen SGB VIII und SGB IX aufreiben und die Kinder deshalb noch keine Eingliederungshilfe erhalten. Es liegen auch Eingaben zu Kündigungen vor.

Eltern kämpfen häufig für die Teilhabe ihrer Kinder

„Aus diesen Anfragen geht hervor, dass Eltern für die Teilhabe ihrer Kinder häufig sehr kämpfen müssen. Belastend kommt hinzu, wenn ihnen vermittelt wird, dass sie das Problem sind oder wenn Wartezeiten für Beratung, Diagnostik und Therapieangebote sehr lang sind.“ Fehlende Inklusionskräfte, Erzieherinnenwechsel, steigende Gruppengrößen und die damit verbundene Reizüberflutung bei den betroffenen Kindern, Personalmangel, Unklarheiten über Zuständigkeiten und die damit zusammenhängende familiäre Belastung würden den Alltag der Familien erschweren.

Die Beauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg plädiert für eine gute Ausstattung der Kitas, um den Zugang der Kinder zu gewährleisten. Im Zentrum stehe die Stärkung der Erzieherinnen und Erzieher, der Eltern und Kinder. Dazu gehöre ein qualitativ-inklusiv ausgerichtetes Kita-Setting, die Bereitstellung von speziell strukturiertem Spiel- und Lernmaterial und Rückzugsmöglichkeiten, die Fort- und Weiterbildungen von Fachkräften für den Umgang mit neurodiversen Kindern sowie die Einstellung von pädagogischem Personal mit autismusspezifischer Zusatzqualifikation.

Kurze Wartezeiten für geeignete Beratungs- und Therapieplätze, eine gute Vernetzung zwischen Medizin und Kita, Beratung und Unterstützung durch Fachkräfte sowie die nachhaltige Unterstützung von Eltern und Angehörigen stellen Kriterien dar, die die Lebenssituation der Familien und die Voraussetzungen für alle Beteiligten verbessern.

Frühzeitiger Zugang zu Beratung, Diagnostik und Therapie ist wesentlich

In Freiburg tauschte sich die Landes-Behindertenbeauftragte auch mit dem Zentrum für Autismus-Kompetenz Südbaden (ZAKS) aus. Insgesamt betrügen Wartezeiten bei Beratung, Diagnostik und Therapien für Autistinnen und Autisten deutschlandweit ein Jahr und länger. Simone Fischer: „Es ist bedeutsam, dass Autistinnen und Autisten sowie ihre Familien früh die notwendige Unterstützung bekommen und auf Verständnis stoßen. Dies trägt dazu bei, dass sie weder in Kita, Schule, Ausbildung und Studium ausgegrenzt werden, im Berufsleben Fuß fassen und ihr Leben gestalten können. Eine frühzeitige Diagnose ermöglicht gezielte Fördermaßnahmen und kann gute Erfolge erzielen.“

Die von der Landesregierung geförderten Interdisziplinären Frühförderstellen (IFF) bieten einen niederschwelligen Zugang zur Frühförderung, um eine gezielte ganzheitliche Therapie und Förderung einzuleiten, Entwicklungsstörungen sowie drohenden oder bestehenden Behinderungen zu begegnen. Sie arbeiten unter anderem mit den Sozialpädiatrischen Zentren für Kinder und Jugendliche (SPZ) und den Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin zusammen. Und sie bieten eine zentrale und wichtige Anlaufstelle. Für das SPZ in der Nähe gibt es eine Kartensuche.

Informationen, Beratung und Unterstützung für Autistinnen und Autisten, Angehörige und Fachkräfte bietet der Bundesverband Autismus Deutschland e.V. Dort gibt es auch eine Kartensuche für regionale Angebote. 

Insolvenz der ZAKS gGmbH: Die betroffenen Land- und Stadtkreise wollen jetzige Angebote in welcher Form auch immer aufrechterhalten

Am 1. Juli 2024 hat das gemeinnützige Zentrum für Autismus-Kompetenz in Südbaden (ZAKS gGmbH) Insolvenz angemeldet. Davon betroffen sind 90 Beschäftigte in sechs südbadischen Land- und Stadtkreisen: Breisgau-Hochschwarzwald, Emmendingen, Freiburg, Lörrach, Ortenau und Waldshut. Bisher wurden im ZAKS 420 autistische Kinder und Jugendliche und knapp 30 Erwachsene behandelt.

Die sechs Kreise haben umgehend Verhandlungen aufgenommen, um die jetzigen Angebote der ZAKS in welcher Form auch immer aufrechterhalten zu können. Diese Verhandlungen laufen in alle Richtungen. Auf einem Termin der sechs Kreise mit rund 30 Leistungserbringern aus Südbaden gab es gestern großes Interesse, die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen gut zu versorgen und entsprechende Angebote auszuweiten oder neu zu schaffen. Dies gilt über alle beteiligten Kreise hinweg.

In wenigen Wochen werden sich die eingeleiteten Schritte konkretisieren. Die sechs Kreise werden erneut informieren, sobald konkrete Ergebnisse vorliegen. Miteinander wurde verabredet, bis dahin auf weitere Pressearbeit zu verzichten.

Quelle: Pressemitteilung Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg,
Pressemitteilung Stadt Freiburg im Breisgau




Kitas mit Kindern aus benachteiligten Familien sind vielfach mehrbelastet

Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung untersucht Unterschiede zwischen Kindertageseinrichtungen hinsichtlich der sozioökonomischen Verhältnisse von Kindern und Familien

Bildungsbenachteiligung zu reduzieren ist eine der großen politischen Herausforderungen unserer Zeit. Die Kindertagesbetreuung als erster gemeinsamer Bildungsort spielt dabei eine zentrale Rolle. Der Ausbau der frühen Bildung und die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Platz in Kita oder Kindertagespflege gelten vor diesem Hintergrund als wichtige Schritte um allen Kindern unabhängig von ihrem familiären Hintergrund gleiche Chancen auf eine gute Entwicklung und die Entfaltung ihrer Potenziale zu ermöglichen.

Eine Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt aber, dass gerade Kitas mit einem höheren Anteil an Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien unter Mehrbelastung leiden. Dazu zählen unter anderem:

  • Segregation im Sinne einer ungleichen Verteilung bzw. Ballung bestimmter Merkmale von Kindern und Familien in den Einrichtungen, infolgedessen die Kinder und Familien mit vergleichbaren Herausforderungen tendenziell unter sich bleiben.
  • Personalmangel (höherer Personalbedarf durch länger unbesetzte Stellen aufgrund mangelnder Bewerbungen, durch höheren Anteil an Mitarbeitenden mit längerer Abwesenheit etwa durch Krankheit etc.)
  • Weitere Faktoren, die z. B. die Platzvergabe, Zusatzkosten für Eltern, eine stärker wahrgenommene Beeinträchtigung durch mangelndes Engagement der Eltern, eine unzureichende Ausstattung in der Kita, behördliche Vorschriften und mangelnde Unterstützung durch den Träger betreffen

Die Studie untersucht Unterschiede zwischen Kindertageseinrichtungen hinsichtlich der sozioökonomischen Verhältnisse von Kindern und Familien. Die Expertise basiert dabei auf einer Sekundäranalyse des Datensatzes der Einrichtungsleitungen der ERiK-Surveys des Deutschen Jugendinstituts (DJI). Mehr zu Forschungsstand und Methodik finden Sie in der Studie.

Sie können die Studie hier herunterladen.

Quelle: Pressemitteilung Friedrich-Ebert-Stiftung




Die Folgen der Pandemie auf die Arbeit von Lehrkräften

Neues Impulspapier des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen diskutiert empirische Befunde

Die staatlich angeordneten Maßnahmen zum Schutz vor dem Covid-19-Virus trafen den Bildungsbereich in umfangreicher Hinsicht. Nicht nur Kinder und Jugendliche waren starken Belastungen ausgesetzt, auch die Lehrtätigkeit an Schulen erfuhr massive Einschränkungen. Wie blicken Lehrkräfte aus heutiger Perspektive zurück auf die pandemische Zeit zwischen 2020 und 2022? Welche langfristigen Folgen hinterlässt die Krise für die Arbeit von Lehrkräften?

Soziologische Pandemiefolgenforschung

Diesen Fragen geht das Forschungsprojekt „Soziologische Pandemiefolgenforschung am SOFI Göttingen“ nach, welches vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) im Zeitraum vom 01.10.2021 bis 31.12.2024 gefördert wird. Ziel des Projekts ist die Analyse arbeitsweltlicher Nachwirkungen der Pandemie in verschiedenen Branchen. Eine davon ist der Bildungsbereich, in dem die Arbeit von Lehrkräften in den Blick genommen wurde. In diesem Kontext entstand die Masterarbeit von Lena Schwerdt, Mitautorin der Publikation, an der Universität Göttingen. Einige empirische Befunde werden im neuen Impulspapier diskutiert. Die empirische Basis bilden sieben Interviews von Lehrkräften aus verschiedenen weiterführenden und allgemeinbildenden Schulformen zu ihren Erfahrungen und ihrer Bilanz aus der Pandemie.

Beschleunigte Digitalisierung

Als sichtbarste Veränderung wird die beschleunigte Digitalisierung in den Schulen gesehen. Der Ausbau digitaler Kommunikationssysteme und der Einzug von Tablets und digitalen Tafeln in die Klassenräume wirken sich in hohem Maße auf den gegenwärtigen Arbeitsalltag der Lehrkräfte aus. Möglichkeiten der digitalen Kooperation unter den befragten Lehrkräften bieten Potenziale der Arbeitserleichterung. Im Gegenzug bringen zunehmende Kommunikationsmöglichkeiten aber auch neue Belastungen mit sich. Spürbar sind laut Aussage der befragten Lehrkräfte ebenfalls Veränderungen im sozialen Verhalten der Schüler:innen. „Hieraus ergeben sich neue Anforderungen an die pädagogische Arbeit“, kommentiert Lena Schwerdt die empirischen Befunde. Bilanzierend stellen die Lehrkräfte im Rückblick auf die Pandemie die Bedeutung der Beziehungsarbeit heraus.

Weitere Impulspapiere sollen folgen

Sarah Herbst, Co-Autorin und Forscherin am SOFI, weist darauf hin, dass aus dem Projekt noch weitere Impulspapiere in der Reihe „Arbeitsweltliche Folgen der Coronakrise“ folgen werden und es spannend sein wird, die Diskussionsbeiträge über das Pandemiegeschehen in unterschiedlichen Branchen und Bereichen zu vergleichen.

Veröffentlichung:

Schwerdt, Lena; Herbst, Sarah (2024): Arbeitsweltliche Folgen der Coronakrise I. Empirische Einblicke in die Arbeit von Lehrkräften. SOFI-Impulspapier.
Kostenfreier Download des Impulspapiers: https://sofi.uni-goettingen.de/fileadmin/user_upload/Impulspapier_Corona_I_Lehrkraefte.pdf

Dr. Jennifer Villarama, Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI)




Kinderaugen: Sonnenschäden zählen doppelt schwer

Tipps für den richtigen UV-Schutz von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft

Die Augen von Kindern sind durch Sonnenstrahlen besonders gefährdet. Ihre klaren Linsen lassen UV-Strahlung noch ungefiltert auf die Netzhaut treffen. Zudem gilt Sonnenbelastung in jungen Jahren als extrem starker Risikofaktor, später weißen und schwarzen Hautkrebs unter anderem an den Augenlidern zu entwickeln. Warum Eltern bei ihrem Nachwuchs deshalb gewissenhaft auf den Sonnenschutz achten sollten. Welche Maßnahmen sinnvoll sind, erklären Experten der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft e.V. (DOG).

Bis zum 20. Lebensjahr sind die Linsen des menschlichen Auges sehr klar, noch ungetrübt. „Das macht es UV-Strahlen leicht, fast ungefiltert ins Auge einzudringen und dort Langzeitschäden hervorzurufen“, erläutert Professor Dr. med. Vinodh Kakkassery, Chefarzt der Augenklinik am Klinikum Chemnitz. Zum Vergleich: Im ersten Lebensjahr erreichen 90 Prozent der UVA- und über 50 Prozent der UVB-Strahlen die Netzhaut, zwischen zehn und 13 Jahren noch 60 und 25 Prozent.

„Erst mit 18 bis 20 Jahren werden UV-Strahlen fast vollständig von der Linse aufgehalten“, betont Professor Dr. med. Dr. phil. Ludwig M. Heindl vom Zentrum für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Köln. Er und Kakkassery sind Delegierte der DOG und des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands e.V. im UV-Schutzbündnis, einer Initiative zur Prävention UV-bedingter Erkrankungen.

Langfristige Schäden an Linse und Makula

Somit kann UV-Strahlung bei Kindern besonders leicht photochemische Schäden an Proteinen der Augenlinse auslösen, die deren Eintrübung und damit die Entstehung des Grauen Stars fördern. „Es handelt sich dabei um einen kumulativen Prozess, der Jahrzehnte benötigt, bis er zu Seheinschränkungen führt“, betont Kakkassery. „Dennoch steigert intensive Sonneneinstrahlung bei Kinderaugen das Risiko, frühzeitig an einer Katarakt zu erkranken.“

UV-Exposition begünstigt generell Alterungsprozesse im Auge – darunter möglicherweise auch Spätschäden an der Netzhaut samt Makula, dem Punkt des schärfsten Sehens. „UV-Licht steht unter Verdacht, durch oxidativen Stress zum Untergang von Netzhautzellen beizutragen“, so Heindl. In der Folge kann sich eine altersabhängige Makuladegeneration (AMD) entwickeln, die häufigste Erblindungsursache in Industrienationen.

40 Jahre später wächst Hautkrebs

Weil UV-Strahlen auch die Hautzellen genetisch verändern, fördert zu viel Sonne darüber hinaus das Entstehen gutartiger und bösartiger Tumoren an Augenlidern oder Bindehaut. „Kindheit und Jugend spielen dabei wieder eine entscheidende Rolle“, so Kakkassery. „Denn wir wissen mittlerweile, dass die Schadensbelastung, die man in frühen Lebensjahren sammelt, die Hauptursache ist, wenn sich später weißer und insbesondere schwarzer Hautkrebs entwickelt“, sagt der Chemnitzer DOG-Experte.

Fachleute gehen von einer 40-jährigen Entwicklungszeit aus. Dabei nehmen in Deutschland die Basaliom- und Melanomfälle jährlich um fünf Prozent zu – vermutlich, weil die UV-Strahlenbelastung steigt. „In Australien, wo eine besonders hohe UV-Belastung herrscht, ist jeder Zweite mit dem 70. Lebensjahr zumindest einmal im Leben von weißem Hautkrebs betroffen gewesen“, berichtet Kakkassery. „Auch die Fälle von schwarzem Hautkrebs haben deutlich zugenommen.“

Ab UV-Index 3: Sonnenhut und gut abdeckende Sonnenbrille

Eltern sind daher gut beraten, auf ausreichenden Sonnenschutz beim Nachwuchs zu achten. „Eine Orientierung bietet der UV-Index, den viele Apps auf dem Handy anzeigen“, meint Heindl. Dabei gilt: Ab UV-Index 3 sollten Maßnahmen ergriffen werden. „Kinder tragen dann am besten einen Sonnenhut und eine Sonnenbrille“, rät der Kölner Augenarzt. Befindet man sich nicht gerade in den Bergen, genügt eine EU-zertifizierte Brille mit CE-Zeichen, die vor UV-Strahlen bis zu einer Wellenlänge von 380 Nanometern schützt. „Sofern die Brille Augen und Seiten gut abdeckt, verhindert sie Verbrennungen am Auge, auf der Hornhaut oder Netzhaut“, betont der DOG-Experte.

Bei praller Sonne in den Schatten oder ins Haus

In den zwei Stunden vor und nach Sonnenhöchststand sollten Kinder und Jugendliche die direkte Sonne meiden und sich im Schatten aufhalten. „Bewegt sich der UV-Index auf acht zu, ist es besser, wenn Kinder während dieser Hauptsonnenzeit zuhause bleiben“, so Heindl. „Sie sollten dennoch regelmäßig ins Freie gehen, um die Entwicklung einer Kurzsichtigkeit möglichst zu verhindern – bei hohem UV-Index dann nur nachmittags und in den Schatten, geschützt durch Sonnenhut und Sonnenbrille“, so Kakkassery. Den Nachwuchs über den Zweck des UV-Schutzes kindgerecht aufzuklären, sei sehr hilfreich.

Sonnenbrille bei Bewölkung? Es kommt auf den UV-Index an

Was die Sonnenschutzcreme betrifft, ist beim Auftragen auf Ober- und Unterlid Vorsicht angebracht. „Die Creme sollte nicht mit Bindehaut oder Hornhaut in Berührung kommen“, warnt Heindl. Im Zweifel sei eine Sonnenbrille ausreichend. In diesem Zusammenhang räumen beide Experten auch mit einem Missverständnis auf: „Ob man bei Bewölkung eine Sonnenbrille tragen sollte, hängt nicht von den Wolken, sondern vom UV-Index ab – ab Index 4 ist es angezeigt.“ Aber Vorsicht: Eine Sonnenbrille kann das Kind auf dem Roller oder Fahrrad durch die verminderte Sicht in Gefahr bringen.

Kerstin Ullrich/Deutsch Ophthalmologische Gesellschaft




Fahrradanhänger im Test – Verbotene Schadstoffe und Sicherheitsmängel

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Stiftung Warentest: Totalausfall im Test von Fahrradanhängern für Kinder

Die Stiftung Warentest hat zahn Kinder Fahrradanhänger getestet. Alle Modelle sind mangelhaft – wegen Sicherheitsmängeln, Schadstoffen oder beidem. Fast alle geprüften Anhänger enthalten verbotene Chemikalien, manche schützen Kinder bei Unfällen zu wenig und bei einem Produkt brach obendrein die Deichsel.

Hauptkritikpunkt sind verbotene Fluorverbindungen (PFAS)

„Die Stoffe in dieser Gruppe sind chemisch ausgesprochen stabil und bauen sich in der Umwelt nicht ab“, sagt Holger Brackemann, Leiter des Bereichs Untersuchungen der Stiftung Warentest. „Sie verteilen sich weiträumig bis in die Antarktis und können sich auch in Lebewesen anreichern.“

Ein direktes Gesundheitsrisiko für Kinder in den Fahrradanhängern besteht bei diesen Chemikalien nicht. Doch die Tester fanden auch noch zahlreiche andere problematische Schadstoffe: In Griffen, Sitzbezügen, Gurten oder Wänden haben sie PAK, Phthalate oder Chlorparaffine nachgewiesen.

Vier der zehn getesteten Fahrradanhänger versagten zudem im Sicherheitstest

Sie boten beim 180-Grad-Überschlag zu wenig oder keinen Platz zwischen Kopf und Boden, in Seitenlage berührte der Kopf des angeschnallten Dummies harte Bauteile. Beides kann bei Unfällen zu schweren Kopfverletzungen führen. Ein Modell fiel im Dauertest durch: An einem Prüfexemplar brach die Deichselkupplung, an einem weiteren riss sie ein.

Das Fazit von Brackemann: „Die Testergebnisse sind wirklich enttäuschend. Wir können keinen einzigen Fahrradanhänger empfehlen.“

Der Test erscheint in der August-Ausgabe der Zeitschrift test und unter www.test.de/fahrradanhaenger.

Quelle: Pressemitteilung Stiftung Warentest




Mit Mut und Lust ins volle Leben

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Lawrence Schimel / Juan Camilo Mayorga: Glückspilz

In einer auf Stereotype ausgerichteten Gesellschaft gelingt es nur schwer, die Vielfalt der Realität zu verarbeiten, geschweige denn zu begrüßen. Schließlich ist das bevorzugte Schwarz-Weiß-Denken weniger anstrengend und kommt dem menschlichen Bedürfnis nach einfachen Erklärungen entgegen. Lawrence Schimel gehört zu jenen Autoren, die mit ihrem literarischen Werk einen wohltuenden Kontrapunkt zu dieser Geisteshaltung setzen. Der amerikanische Autor, der heute in Madrid lebt, verarbeitet seine vielfältigen Themen vorwiegend in seinen Science-Fiction- und Fantasy-Büchern.

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Mit „Glückspilz“ hat er nun eine Bilderbuchgeschichte verfasst, in deren Mittelpunkt der kleine Bruno steht, der einerseits das Zusammensein mit seinem Kumpel Deniz in vollen Zügen genießt. Die beiden verbringen viele Zeit miteinander und leben im Spiel ihre Fantasie aus. Andererseits fühlt er sich auch in der Gesellschaft seines Bruders Matteo wohl, den er bewundert. Dieser spielt Klavier, hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis, lernt viel, kann tolle Geschichten erfinden und liebt es zu lesen, selbst wenn es finster ist. Denn Matteo ist blind und liest mit seinen Fingerspitzen Brailleschrift.

Dass Matteo blind ist, steht allerdings nicht im Buch. Dahinter muss der Leser schon selbst kommen. Schließlich stehen in der Geschichte die Lebensfreude und die tollen Fähigkeiten, die jeder unterschiedlich hat, im Vordergrund. So ist Bruno ein „Glückspilz“ weil er einen so tollen Freund und einen tollen Bruder hat. Matteo ist ebenfalls ein „Glückspilz“, weil er auch einen klasse Bruder und einen Hund hat, und zudem noch über viele beeindruckende Fähigkeiten verfügt. Und Deniz ist selbstverständlich auch ein „Glückspilz“. Er hat zwar keinen Bruder, aber mit Bruno einen echten Freund, mit dem er Pferde stehlen gehen kann, und viele schöne Spielsachen. So feiert Schimel in seinem Bilderbuch das Fest des Lebens, das auch durch die Einschränkung Matteos nicht getrübt wird.

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Illustriert hat die Geschichte der kolumbianische Künstler Juan Camilo Mayorga. Dieser ist Meister vieler Stile und Techniken. Für „Glückspilz“ hat er eine Mischtechnik aus Stift und Aquarell gewählt. Diese erinnert an den Stil von Jean-Jacques Sempé. Fast könnte der kleine Nick hier Pate für den kleinen Bruno gestanden haben. Mayorgas liebevolle Zeichnungen heben den fröhlichen Charakter der Geschichte hervor. Seine Akteure stahlen Herzlichkeit und Nähe aus. Es gibt auf jeder Seite viel zu entdecken.

Das Sahnehäubchen des Buches ist eine Doppelseite in Brailleschrift. Ein spannendes Erlebnis, auch diese ein wenig zu erkunden. Einziger Wehmutstropfen ist die Wahl der Schrift, da es doch einige Konzentration erfordert, das a vom ä zu unterscheiden. Das lenkt von der Geschichte ab und stört den Lesefluss.

„Glückspilz“ ist ein Buch, das Mut und Lust macht, dem Leben mit Neugier und Freude zu begegnen. Es fordert geradezu dazu auf, das Leben so zu nehmen, wie es ist, und selbst zu entscheiden, wie sich das Beste daraus machen lässt. Und nicht zuletzt ist es eine gute Medizin gegen das Schwarz-Weiß-Denken.

Gernot Körner

cover glückspilz 400

Lawrence Schimel, Juan Camilo Mayorga
Glückspilz

aus dem Englischen von Maxime Pasker
38 Seiten, Hardcover, 22 x 22 cm
ab 3 Jahren
ISBN: 978-3-96843-056-0
19,95 €

Carl-Auer Verlag




Fachtagung: Pädagogische Interaktion zwischen Materialität und Digitalität

pfv

Bundesfachtagung des Pestalozzi-Fröbel-Verband e.V. am 27. und 28. September 2024

Heute wachsen Kinder in materielle wie digitale Welten hinein, die einander zunehmend durchdringen. Der Pestalozzi-Fröbel-Verband (pfv) beleuchtet dieses Spannungsfeld aus theoretischer wie praktischer Perspektive und fragen nach den Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Kind und Fachkraft.

Sollen pädagogische Fachkräfte Kinder bei ihren frühen digitalen Medienerfahrungen unterstützen und ihnen im pädagogischen Alltag einen Raum geben? Welche Fragestellungen ergeben sich daraus für pädagogische Konzeptionen und für die pädagogische Interaktion im Alltag? Individuelle Medienkompetenz wie auch die Einbindung in das pädagogische Konzept des Teams sind wichtige Voraussetzungen. Der pfv wirft in diesem Zusammenhang einen kritischen Blick auf die Vielzahl der digitalen Projekte, Angebote und Einsatzmöglichkeiten.

In Vorträgen, Workshops und persönlichen Gesprächen entsteht Raum für einen kritischen Diskurs. Der Verband Lädt dazu ein , anlässlich der Bundesfachtagung Teil dieser Diskussion zu sein und neue Impulse für die eigene Arbeit zu erhalten. Besonders hinweisen möchte er auf die im Rahmenprogramm ausgewählten Kindergärten in Erfurt, die ihre Türen öffnen und den hier beschriebenen Fragen aus Praxisperspektive nachgehen wollen.

Die Bundesfachtagung des pfv erfolgt in Kooperation mit dem Thüringer Institut für Kindheitspädagogik der Fachhochschule Erfurt. Weitere Informationen finden Sie hier

  • Teilnahmegebühr: 90,-€ / für pfv-Mitglieder und Studierende 60,-€
  • Veranstaltungsort: FH Erfurt, Altonaer Straße 25, 99085 Erfurt
  • Anmeldung: Melden Sie sich über den Flyer oder über die Website an:

Werden Sie Mitglied im Verband und nutzen Sie direkt den Mitgliederrabatt:

Lernen Sie die Arbeit des Verbands und andere Mitglieder aus dem ganzen Bundesgebiet auf der Mitgliederversammlung am 27. September 2024 kennen. Folgen Sie dem Verband auf Instagram: @pfv_verband