Inklusion beginnt in den Köpfen und in den Herzen
Ein Interview mit Prof. Dr. Thomas Maschke über Inklusion und warum sie ein Gewinn für uns alle wäre:
Bei Spielen und Lernen geht es uns immer in erster Linie um die Kinder und die Menschen, die sich um die Kinder kümmern. Deshalb lautet unsere Kernfrage: „Was können wir dazu tun, um Kinder in ihrer Entwicklung optimal zu unterstützen?“ Diesmal geht es um Inklusion. Mit Herrn Professor Thomas Maschke konnten wir einen bekannten Wissenschaftler und Praktiker für unser Interview gewinnen. Wir hätten ihn eigentlich noch viel mehr fragen müssen, nur hätte dies den Rahmen komplett gesprengt
spielen und lernen: Herr Professor Maschke, Sie sind Professor für inklusive Pädagogik mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung. Sie leiten das Institut für Waldorfpädagogik, Inklusion und Interkulturalität an der Alanus Hochschule in Mannheim. Sie haben Pädagogik, Sonderpädagogik und Behindertenpädagogik sowie Waldorfpädagogik studiert. Das ist ja eine ganze Menge. Sie haben dann auch noch zwei Mal promoviert. Da würde uns natürlich als allererstes interessieren, wie kommt man auf so einen Bildungsweg?
Thomas Maschke: Vielen Dank für die Frage. Ich fange mal von mir ganz basal an und damit komme ich auch schon fast zu einer Kernaussage. Als junger Mann wollte ich Philosophie studieren, weil ich mich schöngeistigen Ideen hingegeben habe. Das war mein Ziel. Ich ging dann nach Würzburg, um meinen Zivildienst in einer Kinderklinik zum machen. Dort habe ich sogenannte schwerst-mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche gepflegt. Und dann wollte ich dort im Anschluss studieren. Aber das Verhältnis, das ich zu diesen Kindern entwickelt habe, hat mich dann von meinen schöngeistigen Ideen weggebracht. Ich erlebte, was Begegnung tatsächlich macht. Begegnung mit den Kindern, Verbindlichkeit, Aufmerksamkeit, Achtsamkeit mit diesen Kindern zu arbeiten. Daraufhin habe ich mich entschlossen Sonderschullehrer zu werden und Sonderpädagogik zu studieren.
Ich erlebte, was Begegnung tatsächlich macht. Begegnung mit den Kindern, Verbindlichkeit, Aufmerksamkeit, Achtsamkeit mit diesen Kindern zu arbeiten.
sl: Können sie uns ein einschneidendes Erlebnis aus dieser Zeit schildern?
TM: Für mich sind Elemente aus dieser Zeit sehr unmittelbar noch in Erinnerung. Ich hatte einen jungen Mann zu pflegen, der ein Jahr jünger war als ich. Er wog 27 Kilo als ich kam, bei einer Körpergröße von einem Meter fünfzig. Und als ich gegangen bin, wog er über 40 Kilo. Das heißt, die Beziehung, das zuverlässige da sein, das regelmäßige da sein, natürlich über die Zeit hinaus, all das führte dazu, dass er auch an Lebenskräften zunahm. Das ist tatsächlich etwas, was sich auch ganz real zeigte.
Ich habe Sonderpädagogik studiert und mich den Kindern gewidmet, die unter manchen Umständen aus dem System herausfallen. Das war mir wichtig. Das war in den achtziger Jahren, in denen man Menschen mit Beeinträchtigungen noch nicht unbedingt im Straßenbild sah. Und ich weiß noch genau, wie es mir ergangen ist, als ich mit einem Jungen, den ich dort nur für eine kurze Zeit betreut hatte, ins Kino gegangen bin. Man ist im Grunde dafür angefeindet worden, dass man die Öffentlichkeit jetzt mit so einem Menschen im Rollstuhl konfrontierte. Wir könnten uns fragen: „Ist das denn heute grundlegend anders? Oder ist es vielleicht nur unter dem Mäntelchen von political correctness verborgen?“ Das ist eine große Frage.
Thomas Maschke (Hg.)
Bildungsinnovation: Impulse aus Reformpädagogik und Inklusiver Pädagogik
Impulse für [schulische] Entwicklungen aus „klassischer“ Reformpädagogik und Inklusiver Pädagogik.
Die Unterzeichner-Staaten der UN-Behindertenrechtskonvention haben sich auf dem Feld der Bildung (Art. 24) zu einem umfassenden Reformprozess verpflichtet. Inklusive Pädagogik kann daher als aktuell-innovative reformpädagogische Entwicklung bewertet werden, besonders insofern sie die Möglichkeiten und Potenziale aller Schüler*innen für Aktivität und Teilhabe aufgreift. Grundlagen, Persönlichkeiten und praktische Erfahrungen aus der „klassischen“ Reformpädagogik können in vielerlei Hinsicht für diesen Prozess hilfreich sein. Sie werden in diesem Buch umfassend dargestellt und können zur Entwicklung eigener innovativer pädagogischer Praxis anregen.
Mit zahlreichen SW-Abbildungen, 288 Seiten
ISBN: 9783990530313
30 €
sl: Wie ging es dann weiter?
TM: Ich habe den Ort gewechselt, weil Würzburg doch relativ konservativ war und ging nach Bremen, an die sogenannte Reform-Universität. Dort habe ich Georg Feuser kennengelernt.Feuser hat einen interessanten Satz geprägt. Der hat nämlich den Buberschen Satz „Der Mensch wird am Du zum Ich.“, dahingehend erweitert, dass er sagte: „Er wird zu dem Ich, dessen Du wir ihm sind.“
Wir sind die personale Umgebung dafür, wie Kinder oder wie Menschen sich überhaupt entwickeln.
Also wir sind die personale Umgebung dafür, wie Kinder oder wie Menschen sich überhaupt entwickeln. Und das habe ich dann in 23 Jahren als Sonderschullehrer an einer Schule, damals hieß sie Schule für Erziehungshilfe, versucht zu leben.
sl: Das war an der Kaspar-Hauser-Schule…
TM: Das war die Kaspar Hauser Schule in Überlingen, eine Waldorf Sonderschule. Ich habe dort als Klassenlehrer gearbeitet und später auch als Schulleiter. Als Klassenlehrer in einer Schule mit Waldorf Hintergrund ist man viele Jahre für eine Klasse verantwortlich. Ich habe in meinem letzten Durchgang die Kinder von der ersten bis zur neunten Klasse durchgängig als Klassenlehrer betreut.
Kann ich mich einlassen darauf, tatsächlich in die Begegnung zu gehen?
Ich habe immer alle Kinder aufgenommen. Das war auch so ein Moment. Ich erinnere mich an eine Situation, als mich ein verzweifelter Vater am Ende der Sommerferien anrief und sagte, er habe keine Schule für seine Tochter. Und ich habe gesagt: „Tut mir leid, die Klasse ist voll. Ich kann es den anderen Kindern gegenüber auch nicht verantworten.“ Der Vater war sehr geschickt. Er kam einfach am ersten Schultag mit seiner Tochter und stellte sie mir vor. Natürlich habe ich sie genommen. Ich habe immer alle Kinder genommen, die ich gesehen habe. Aber das ist so ein Moment. Und daran sehen sie wieder, das ist Begegnung. Kann ich mich einlassen darauf, tatsächlich in die Begegnung zu gehen?
sl: Der Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist ja auch emotionale und soziale Entwicklung.
TM: Genau!
sl: Was kann man darunter gegenüber dem verstehen, was Sie uns jetzt schon gesagt haben?
TM: Wir stellen uns durch unser Verhalten ja in einer bestimmten Weise in die Welt. Und wir erleben. Also, wir nehmen auf und wir zeigen uns nach außen. Man spricht in der heilpädagogischen Psychologie davon, dass die Seele quasi eindrucks- und ausdrucksfähig ist. Ich bekomme Eindrücke. Und so wie es mir geht, drücke ich es wiederum nach außen aus. Wenn das nicht harmonisch oder belastet ist, zeigt sich das in Formen, die wir als gestört oder als schwierig im Sinne von Verhalten ausdrücken. Früher hieß diese Pädagogik Verhaltensgestörten-Pädagogik. Heute sagt man, es gibt einen Förderschwerpunkt für die emotionale und soziale Entwicklung. Das heißt: Die emotionale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen ist durch spezifische Umstände beeinträchtigt. Damit sind sie auch nicht handlungsfähig in einer vielfältigen und adäquaten Weise. Aber man merkt, wenn ich so ein bisschen stammele, dann liegt das daran, dass da ganz viel Bewertung drin ist.
Ich muss das Verhalten verstehen, unter Umständen auch aus einer Geschichte heraus. Dann kann ich auch Unterstützung geben, vielleicht andere Erlebnisformen auch zu erweitern und zu ermöglichen für Kinder, Jugendliche, aber auch für Erwachsene.
Was ist denn das richtige Verhalten? Ist mein Verhalten angemessen ihnen gegenüber? Man spricht eigentlich davon, wenn man genauer hinschaut, dass die Kinder und Jugendlichen oder eigentlich jeder Mensch sich immer positiv verhalten möchte, weil sie oder er in Beziehung sein möchte. Das heißt, mein Verhalten ist eigentlich Ausdruck meiner aktuellen Fähigkeit. Deswegen ist es auch kein Defizit, sondern es ist eigentlich die bestmögliche Art, mich zu verhalten. Und Deswegen muss ich schauen, warum sich ein Mensch so verhält. Also ich muss das Verhalten verstehen, unter Umständen auch aus einer Geschichte heraus. Dann kann ich da quasi auch Unterstützung geben, vielleicht andere Erlebnisformen auch zu erweitern und zu ermöglichen für Kinder, Jugendliche, aber auch für Erwachsene.
sl: Und das bei Kindern, jetzt Jugendlichen, mit einem besonderem Förderbedarf. Habe ich das richtig verstanden.
TM: Naja, der Förderbedarf gestaltet sich dann oder wird dann evident, wenn Kinder und Jugendliche tatsächlich in ihren Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeiten vereinseitigen. Man spricht von zwei grundlegenden Tendenzen. Die eine ist zum Beispiel: Sie kennen alle diese sogenannten „aggressiven“ Kinder oder jetzt auch „hyperaktiven“ Kinder. Hier geht man davon aus, dass diese Kinder tatsächlich in ihren Handlungsweisen vereinseitigen. Das heißt, sie sind einerseits sehr expansiv, aber die Arten des Ausdrucks, also die Bandbreite, die Möglichkeiten, sind quasi eingeschränkt. Das ist immer ähnlich. Und das mag unterschiedliche Gründe haben. Das können physiologische Gründe sein. Es können aber auch Fragen von Erziehung, von Sozialisation sein. Was sich da auch immer bis dahin getan hat.
sl: Ich wollte nur mal auf einen Punkt zurückkommen, den Sie vorhin erwähnt haben. Sie haben erwähnt, wenn Sie früher mit den Kindern irgendwo hingegangen sind, dann sind Sie auf große Ablehnung gestoßen. Hat sich heute diesbezüglich etwas verändert? Hat sich denn in der Beziehung etwas verändert?
TM: Ja, es hat sich was verändert, aber es hat sich nicht genug verändert. Es hat sich einerseits verändert, dass wir darüber reden, dass es normal ist, verschieden zu sein. Da ist dieser Satz von Richard von Weizsäcker: „Es ist normal, verschieden zu sein.“ Der ist irgendwie Allgemeingut geworden. Andererseits leben wir in einer Welt, die sehr utilitaristisch geprägt ist. Es geht um Machbarkeit; es geht um Nutzbarmachung. Und wenn Sie etwa die Diskussionen um die Pränataldiagnostik verfolgen, dann ist eine Pränataldiagnose Down-Syndrom zu 95 Prozent ein Todesurteil. Insofern stellt sich die Frage tatsächlich, ob es akzeptiert ist, verschieden zu sein. Man kann sie auf verschiedenen Ebenen beantworten. Ich denke, bewusstseinsmäßig ist da einiges passiert. Aber wir haben diesen Umschwung, tatsächlich jeden Menschen so zu nehmen, wie sie oder er ist und das als positiv zu bewerten, noch lange nicht erreicht.
Wir haben diesen Umschwung, tatsächlich jeden Menschen so zu nehmen, wie sie oder er ist und das als positiv zu bewerten, noch lange nicht erreicht.
Und gerade weil ich das Beispiel Down-Syndrom erwähne: Mir berichten Eltern, deren Kind tatsächlich mit einer Trisomie 21 geboren wurden, dass sie beim Stadtspaziergang angesprochen werden. So nach dem Motto, „da hätte man doch was machen können“ …. Da haben Sie recht, wenn Sie sich schütteln, weil es grausam ist. Aber es ist natürlich Ausdruck dessen, wie wir mit einem Normalitätsbegriff umgehen, der nach Nutzbarkeits- Gesichtspunkten die Menschen bewertet. Ich finde, das kann sich jeder Mensch auch fragen: Wo geht es mir denn so? Wo gehe ich mit meinem Kind so um, dass ich sage, jetzt muss es aber mal schnell gehen zum Beispiel. Wo habe ich bestimmte Erwartungen an meine Partnerin, dass es so und so laufen muss? Wie gehe ich mit Schülerinnen und Schülern um, wie in der Kita? Das sind ja alles wichtige Fragen. Und ich glaube, da tragen wir tief in uns etwas, das wir als Gesellschaft noch lange nicht überwunden haben; einzelne Menschen natürlich schon.
sl: Ist das die größte Herausforderung für die Inklusion, oder sehen sie diese auch noch woanders?
TM: Es wird gesagt, Inklusion beginnt in den Köpfen und in den Herzen. Das würde ich eindeutig unterschreiben. Dieser Satz wird von vielen AutorInnen immer wieder betont. Aber dennoch: Wenn wir Inklusion in Schule und Kitas umsetzen wollen, handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Projekt. Wir bekommen es aber nicht zum Nulltarif. Das ist einfach so. Es kostet Geld. Nur geht es dabei nicht um die Menschen mit besonderen Bedürfnissen, sondern es geht bei der Umsetzung von Inklusion um alle Menschen.
Nur geht es dabei nicht um die Menschen mit besonderen Bedürfnissen, sondern es geht bei der Umsetzung von Inklusion um alle Menschen.
Das heißt, wir profitieren alle von besseren Bildungsangeboten. Und wenn wir in Schulen Lehrkräfte immer im Team arbeiten lassen würden, dann würden davon alle profitieren und nicht nur die Kinder mit einer Beeinträchtigung.
Götz Kaschubowski / Thomas Maschke (Hrsg.)
Anthroposophische Heilpädagogik in der Schule
Grundlagen – Methoden – Beispiele
Die Anwendung anthroposophischen Denkens auf die Heilpädagogik geht auf Rudolf Steiner zurück, der seinen heilpädagogischen Kurs als eine Vertiefung der Waldorfpädagogik betrachtete. In Deutschland gibt es heute ca. 80 anthroposophische heilpädagogische Schulen und ca. 15 integrativ arbeitende Waldorfschulen. Das Buch erörtert die Grundlagen zur Geschichte, der Methodik, zum Curriculum und zur Lernpsychologie. Anhand von Unterrichtsbeispielen wird das an diesen Schulen praktizierte Bildungsmodell anschaulich. Entlang einzelner Schulportraits werden die Profile der Institutionen deutlich und die „Spezifika’“ im Schulalltag herausgestellt. Das Konzept des Buches ist so gestaltet, dass es in der Aus- und Fortbildung von Lehrern für diese Einrichtungen zum Einsatz kommen kann. Zugleich richtet es sich auch an interessierte Fachkollegen.
Der Ehrenvorsitzende des Allgemeine Behindertenverband in Deutschland, Ilja Seifert, war Bundestagsabgeordneter und lebt im Rollstuhl. Er hatte immer die Forderung nach „Sonderschulen für alle“. Er sagte, dass das, was da an Ressourcen, an Möglichkeiten und personellen und auch sachlichen Ressourcen vorhanden sei, das müssten eigentlich alle Kinder zur Verfügung haben. Wir brauchen Rahmenbedingungen, ganz klar.
sl: Nun waren sie viele Jahre lang Lehrer und dann Schulleiter an einer Schule, wo es eben um die ganz gezielte Förderung von Menschen mit Behinderungen ging. So wie ich das aber mitbekommen habe, sind Sie jemand, der auch ganz, ganz massiv für das Thema eine Schule für alle eintritt. Wie vereinbart sich das?
TM: Jetzt haben Sie meinen biografischen Widerspruch erwischt. Wobei, das ist vielleicht kein Widerspruch. Wenn wir uns die Inklusionsdebatte anschauen oder die Genese von Inklusion, dann kommt sie aus zwei Richtungen. Die eine ist tatsächlich die Sonderpädagogik. Die Menschen, die in der Sonderpädagogik gearbeitet haben, die führenden „Pioniere“ sind jetzt alle Menschen um die 80 herum, haben tatsächlich mit ihrem sonderpädagogischen Blick diesen Kindern überhaupt ein Bildungsrecht zugesprochen. Das ist die eine Richtung. Das war in der Schulpädagogik nicht vorhanden. Und da komme ich auch her. Das heißt, ich habe Kinder kennengelernt. Ich habe Familiensysteme kennengelernt. Ich habe schulische Katastrophen kennengelernt, die mich dazu bewogen haben, nicht nur diesen Kindern zu helfen, das war meine sonderpädagogische Tätigkeit, sondern tatsächlich dafür zu werben und auch dafür zu arbeiten, Schule so zu verändern, dass diese Kinder nicht mehr rausfallen.
Georg Feuser, Thomas Maschke (Hg.)
Lehrerbildung auf dem Prüfstand
Welche Qualifikationen braucht die inklusive Schule?
Bereits seit vier Jahrzehnten werden Integration und Inklusion in der Schule diskutiert und praktiziert. Dennoch wird die aktuelle LehrerInnenbildung den Ansprüchen eines inklusiven Schulwesens nicht gerecht. Diesen unbefriedigenden Zustand nehmen die FachautorInnen zum Anlass, die Voraussetzungen gelingender inklusiver Schul- und Unterrichtspraxis herauszuarbeiten. Die Rahmenbedingungen werden ebenso erörtert wie rechtsphilosophische Grundfragen und Möglichkeiten der Bewältigung alltäglicher Grenzerfahrungen von PädagogInnen durch Aus- und Weiterbildung sowie beratende Prozesse. Eine ausführliche Darstellung bestehender Ausbildungsgänge und -formen rundet den Band ab.
352 Seiten
ISBN 978-3-8379-2300-1
29,90 €
Ich habe in den vergangenen Jahren meiner schulischen Tätigkeit verstärkt den sogenannten sonderpädagogischen Dienst gemacht. Das heißt, wenn eine Schule rief und sagte: „Wir haben hier ein schwieriges Kind“, dann habe ich geantwortet: „Okay, ich komme, mal gucken, wie das Problem um das Kind ist.“ Die Leute dort nahmen dann an, ich käme und würde das Kind mitnehmen. Und da habe ich gesagt: „Nein, ich komme und versuche euch zu helfen, dass das Kind bleiben kann. Dafür ist aber eine gewisse Fachlichkeit notwendig, um zu verstehen, warum zum Beispiel Kinder sich so und so verhalten. Insofern brauchen wir tatsächlich auch eine ganz bestimmte Expertise im Sinne von Diagnose und auch von pädagogischen Fähigkeiten. Es gibt Menschen, die sagen, Inklusion braucht die Sonderpädagogik. Ich würde das ein bisschen relativieren. Ich würde sagen, wir brauchen multiprofessionelle Teams, die sich gegenseitig tatsächlich befruchten und gegenseitig offen sind für die jeweilige Expertise des oder der anderen.
Es gibt Menschen, die sagen, Inklusion braucht die Sonderpädagogik. Ich würde das ein bisschen relativieren. Ich würde sagen, wir brauchen multiprofessionelle Teams, die sich gegenseitig tatsächlich befruchten und gegenseitig offen sind für die jeweilige Expertise des oder der anderen.
sl: Sie haben auch ein Buch zum Thema Lehrerausbildung geschrieben. Was braucht die Schule der Zukunft dann? Wären das dann diese Lehrerteams, die Sie gerade beschrieben haben. Können Sie noch ein bisschen näher darauf eingehen?
TM: Mir ist es wichtig, dass es hier um multiprofessionelle Teams geht. Also wie verstehe ich mich in meiner Lehrerrolle? Bin ich quasi der König, der auch mit geschlossenen Türen in seinem Reich regiert oder bin ich offen dafür, dass ich Anregung bekomme? Das heißt, ich muss mich immer weiter bilden.
Wenn sie meinen, sie sind fertiger Lehrer, dann gehen Sie bitte in Rente.
Das ist etwas, das niemals abgeschlossen ist. Ich sage meinen Studierenden immer: „Wenn sie meinen, sie sind fertiger Lehrer, dann gehen Sie bitte in Rente.“ Wir sprechen heute von drei Phasen der Lehrerbildung: Die erste ist die universitäre Lehrerbildung, die zweite die Praxis-Ausbildung und die dritte die lebenslange Weiterbildung. Das finde ich ganz wesentlich. Das heißt, in der ersten Phase ist es natürlich wichtig, dass man auf der theoretischen Ebene sich mit den unterschiedlichen Bedingungen des Menschseins auseinandersetzt. Also auch mit Formen von Beeinträchtigung, mit Exklusionsmechanismen und vielem anderen. In der zweiten Phase kennenlernen, ausprobieren und in der dritten Phase quasi immer wieder neu Schule gestalten. Und damit ist das eine Anforderung, die sich an die an die Lehrkräfte dauerhaft und lebenslang richtet.
sl: Das war eigentlich schon ein schönes Schlusswort. Dann danke ich Ihnen für dieses Interview und wünsche Ihnen weiter viel Erfolg. Wiedersehen!
TM: Vielen Dank. Auf Wiedersehen.
sl: Danke Ihnen.