Das Spiel ist der Beruf des Kindes und keine Spielerei

Das Spiel ist der Weg der Kinder zur Erkenntnis der Welt, in der sie leben

Das Spiel hat – dokumentiert durch vielfältige Beobachtungen in Kindertageseinrichtungen als auch durch Berichte von besorgten elementarpädagogischen Fachkräften und Wissenschaftler:innen – in den vergangenen Jahren im Rahmen der entwicklungsgestaltenden Praxis immer mehr an Wert verloren, weil die PRAXIS des Spiels, im Unterschied zu allgemein formulierten und in vielen Konzeptionen nachzulesenden Aussagen, nach Einschätzung vieler Eltern und Fachkräfte keine effiziente Lernbedeutung für Kinder besitzt.

So trägt vor allem die vergangene und immer noch hochaktuelle, aus unterschiedlichen Richtungen kommende und ständig aktualisierte Forderung nach einer gezielten und zugleich geplanten, alltäglichen Bildungs-/ Förderdidaktik erheblich dazu bei, dass in der Pädagogik der >Förderfaktor des begabten Kindes< stärker in den Vordergrund rückt und das Spiel damit, sowohl aus zeitlich begrenzten Gründen als auch aus einer fachlichen Abwägung von Tagesprioritäten, immer mehr in den Hintergrund gedrückt wird. Das Spiel wird unbemerkt und zunehmend als eine überwiegend unausgesprochen nutz- und damit wenig bildungsintensive/-effektive Zeitschiene eingeschätzt, als ein vielleicht sogar überflüssiger und zu vernachlässigender Zeitvertreib der Kinder.

Etwas Gescheiteres kann einer doch nicht treiben in dieser schönen Welt, als zu spielen.

Henrik Ibsen

Ohne Frage ist damit die hohe entwicklungspsychologische Bedeutung des Spiels vielerorts auf dem Nullpunkt angelangt. Jan van Gils, Präsident der Internationalen Gesellschaft für Spiel, erklärte auf dem 16. Weltkongress: „Allzu oft wird Spiel als ein Zeitvertreib betrachtet, um Kinder ruhig zu halten bis sie erwachsen sind. Allzu oft wird das Spiel auch als ein Bildungswerkzeug angesehen. Aber nur selten ist man sich der Tatsache bewusst, dass Kinder beim Spielen für das Leben lernen.“ Ja, selbst in der UN-Charta „Rechte des Kindes“ ist das Spiel in Artikel 31, Absatz 1 fest verankert. Dort anerkennen die Vertragsstaaten (und damit auch Deutschland!) das „Recht des Kindes auf Ruhe, Freizeit, Spiel und altersgemäße Erholung sowie auf freie Teilnahme am künstlerischen und kulturellen Leben.“

Auch in den meisten länderspezifischen Bildungsplänen und Bildungsgrundsätzen wird das Spiel in seiner Bedeutung hervorgehoben, wenngleich die inhaltlichen Ausführungen sehr unterschiedlich dargestellt werden. Immer seltener sind sich Eltern – und leider auch vermehrt viele Fachkräfte – wirklich der Tatsache bewusst, dass Kinder in bindungsstarken Spielsituationen alle Fähigkeiten für ihr Leben aufbauen (könnten), die sie später einmal für eine aktive, kreative und selbstbewusste Lebensgestaltung brauchen.

Spiel ist das reinste geistige Erzeugnis des Menschen auf dieser Stufe und zugleich das Vorbild und Nachbild des gesamten Menschenlebens… es gebiert darum Freude, Freiheit, Zufriedenheit, Ruhe in sich und außer sich, Frieden mit der Welt.

Friedrich Fröbel

Prof. Dr. Hans Scheuerl, einer der bekanntesten Pioniere der Spielforschung, formulierte es so, dass Spielen und Spiele ein so unersetzliches Erfahrungs- und Erlebnisfeld sind, ohne das wir alle ärmer wären. Und der >Arbeitsausschuss Gutes Spielzeug<, der die hohe Bedeutung des Spiels in den ersten Lebensjahren der Kinder erforscht, geht davon aus, dass Kinder rund 15.000 Stunden in den ersten Lebensjahren spielen (müssen), um basale Kompetenzen aufzubauen und zu stabilisieren – dieser Zeitrahmen umfasst umgerechnet etwa ein Drittel eines Tages!

Spielen, Spiel ist die höchste Stufe der Kindesentwicklung, der Menschheitsentwicklung dieser Zeit, denn es ist frei tätige Darstellung des Inneren, die Darstellung des Inneren aus Notwendigkeit und Bedürfnis des Inneren selbst…

Friedrich Fröbel

Viele wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse aus den vergangenen drei Jahrzehnten zeigen immer wieder übereinstimmend, dass erstens das Spiel als Vorstufe und Nährboden für einen darauf aufbauenden Erwerb schulischer und beruflicher Fähigkeiten gilt und zweitens das Spiel von entscheidender Bedeutung für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes ist.

Spielen ist die beste Mitgift des verlorenen Paradieses.

Unbekannt

Spielen ist nicht angeboren

Spielen ist dabei keine Fertigkeit, die den Kindern angeboren ist. Vielmehr wecken die unzähligen Umfeldreize die in den Kindern existente Neugierde und so wollen Kinder in Erfahrung bringen, warum sich etwas bewegt, was man mit einem bestimmten Gegenstand machen kann, wozu es diese Gegenstände gibt, aus welchen Teilbereichen sie bestehen, wie sie schmecken und wie sie sich anfühlen, ob sie Geräusche machen können…

Später entdecken Kinder, dass es eine größere Freude macht, gemeinsam mit Kindern etwas zu unternehmen, Aktionen zu planen und entsprechend auszuführen. Aus diesem Neugierdeverhalten heraus – einer ausgeführten Tätigkeit, dem Beobachten, was geschieht sowie aus einem gefühlten Spannungsmoment – entstehen Handlungen, die nun zu einem Spiel werden können. Dabei verfolgen Kinder ein bestimmtes Ziel und gleichzeitig können Dinge geschehen, die die Kinder in ein Staunen versetzt und schon erweitert sich diese Tätigkeit in eine Handlungsvielfalt. Sie erleben es als besonders angenehm, wenn Erwachsene ein gesteigertes Interesse an ihren Tätigkeiten zeigen und aus der Beobachtung des Kindes erkennen können, ob sich das Kind freut, den Erwachsenen als Spielpartner gewonnen zu haben.

Und Spielunfähigkeit gibt es auch

Viele Kinder zeigen immer häufiger eine Spielunfähigkeit: sie schauen eher anderen Kindern zu oder klagen über Langeweile, entdecken von selbst keine Spielimpulse oder ziehen eine sehr verstärkte Nutzung eines Tablets vor und das schon in immer früheren Jahren. So gibt es beispielsweise schon Apps für Kinder im Krippenalter, die damit nicht nur eine einseitige Fixierung auf ein Medium programmieren sondern auch eine Konsumorientierung anlegen, die das Interesse an den unterschiedlichen Spielformen sinken lässt. Wen wundert es da, wenn selbst schon Grundschulkinder mit dem Smartphone in der Hand zur Schule gehen, Schwierigkeiten haben, ihr Smartphone im Unterricht auszustellen und sofort nach Schulschluss wieder ihr Smartphone aktivieren.

Aus der Art, wie das Kind spielt, kann man erahnen, wie es als Erwachsener seine Lebensaufgabe ergreifen wird.

Rudolf Steiner

Kindheitspädagog:innen müssen ebenso wie Eltern der Tatsache ins Auge blicken, dass das Spiel ein grundlegendes, sehr zentrales Entwicklungsfeld im Rahmen der gesamten Persönlichkeits-, Lern- und Selbstbildungsentwicklung eines Kindes ist und dabei in einer sehr komplexen, vernetzten Weise die vielfältigen Entwicklungsbereiche des Kindes in nachhaltiger Auswirkung förderlich beeinflusst.

Durch das Spiel sättigt das Kind verschiedene Grundbedürfnisse; es baut sein Autonomieerleben auf und entdeckt bei seinen Spielausführungen seine Fähigkeiten, einen Einfluss auf Handlungsabläufe nehmen zu können. Es nimmt Kontakt mit seiner Umgebung auf, lernt Dinge und Situationen kennen, ist in der Regel ständig mit seiner vorhandenen Grob- und Feinmotorik aktiv, stellt Vergleiche mit zurückliegenden Erfahrungen an, lernt die eigene Selbstverantwortung für einen Spielverlauf kennen, baut Anstrengungsbereitschaft auf, um auch ein schwieriges Spielziel erreichen zu können, erkennt Regelabläufe, entwickelt eine Zielstrebigkeit, um das ersehnte Ziel auch möglichst genau zu treffen oder kann im Spiel erlebte Situationen noch einmal aktualisieren. Dies sind nur einige Verhaltensmerkmale, die durch ein vielfältiges und ein zugleich intensiv erlebtes Spiel auf- und ausgebaut werden können.

Es ist schon etwas eigenartig, wenn Eltern, Kindheitspädagog:innen oder Lehrkräfte auf der einen Seite einen Mangel an den zuvor aufgeführten Verhaltensmerkmalen beklagen und andererseits dem Spiel der Kinder in den ersten sechs Lebensjahren nicht den Bedeutungswert beimessen, den das Spiel hat.

Das Spiel ist der Weg der Kinder zur Erkenntnis der Welt, in der sie leben.

Maxim Gorki

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz

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Armin Krenz
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