Flüchtlingskinder in die Gruppe integrieren

Wie wir Kinder mit Fluchterfahrung aufnehmen und eingewöhnen können

Der erste Schritt zur Integration von Kindern mit Fluchterfahrung ist die Aufnahme in die Gruppe. Ist das geschafft, beginnt die Eingewöhnung. Die Diplom-Sozialpädagogin und Spieltherapeutin Regina Grabbet arbeitet seit vielen Jahren in der Flüchtlingshilfe. In ihrem Beitrag skizziert sie die Integration in den ersten Wochen. Der Beitrag stammt aus „Schön, dass ihr da seid – Das Erzieherinnenbuch“.

Der Begriff „Flüchtlingskinder“

Vorweg möchte ich noch klären, ob die Bezeichnung „Flüchtlingskinder“ nicht eine Stigmatisierung dieser Kinder bedeutet und die Bezeichnung „Kinder geflüchteter Menschen“ nicht sinnvoller wäre, wie es in Pädagogenkreisen manchmal diskutiert wird.

Meiner Meinung nach ist das „Wortklauberei“. Ich habe die betroffenen Personen selber gefragt und sie finden die Bezeichnung in Ordnung. Wir sollten uns darum kümmern, es den geflüchteten Menschen in Deutschland so angenehm wie möglich zu machen, uns um Ideen für Bildungsangebote kümmern, um Ideen zur Integration, statt stundenlang über Wortdefinitionen zu diskutieren. Weniger Diskussion, mehr praktische Umsetzung durch Aktivitäten – das ist meine Devise. 

Hilfen beim Umgang mit fremden Werten, Gewohnheiten, Traditionen…

Alle in der Kita werden zu WegbegleiterInnen der Kinder in ein neues, anderes Leben. Wir holen uns Informationen zu den Werten, Normen, Traditionen, welche die Kinder gewohnt sind. Andererseits ist es natürlich unser Ziel, dass sie sich an unsere Gesellschaft anpassen. Das geht nur gemeinsam mit den Eltern. Für sie ist es oft nicht leicht, mit dem Rollenbild der Frau in unserer Gesellschaft zurechtzukommen oder mit gewaltfreier Erziehung.

Wir müssen den Kindern Sicherheit geben bei der Integration in eine Kita. Dazu gehört viel Wertschätzung auch für die Eltern. Folgende Aspekte sind für den Umgang der Kinder untereinander zu beachten:

  • Wir sollten die Kinder, die schon länger in der Kita sind, auf die neuen Kinder vorbereiten.
  • Wir sollten mit den Stärken der geflüchteten Kinder arbeiten.
  • Die Kinder, die in Deutschland aufgewachsen sind, können bereits besser Deutsch und haben bereits Kompetenzen erworben, welche die Flüchtlingskinder bisher nicht erwerben konnten, – daher sollten wir darauf achten, dass keine Minderwertigkeitskomplexe bei den Neuankömmlingen entstehen.
  • Kontaktkinder sollten sensibel mit den Ängsten der Flüchtlingskinder umgehen.
  • Situationen in denen Ängste entstehen können, sollten wir vermeiden.
  • Wir sollten möglichst viele Situationen schaffen, in denen Kinder mit- und voneinander lernen; je spielerischer, liebevoller und lustvoller diese Situationen gestaltet sind, umso besser.
  • Die Kinder sollten sich nicht unter Druck gesetzt fühlen.

Spielerisch mit Spaß lernen

Es ist ein großer Unterschied, ob ein Kind lachend, in der Gesellschaft anderer Kinder, gemütlich, mit vielen bunten Kissen, auf einem Teppich sitzt und „spielerisch“ mit Spaß lernt, oder ob es an einem Tisch sitzt und ernst dazu aufgefordert wird, eine Aufgabe zu erfüllen, und dabei vielleicht auch noch mit fremden Erwachsenen zu tun hat, statt mit Kindern. Nur wenn die Flüchtlingskinder sich wohlfühlen, lernen sie mit fremden Verhaltensweisen, Werten und Umgangsformen umzugehen.

Sprachförderung mit lustigen Klatsch- und Rhythmus- oder Bewegungsspielen ist etwas anderes, als nur nüchterne Arbeitsblätter zu bearbeiten und Begriffe für Bilder zu nennen. Manchmal ist auch der Wechsel zwischen beidem hilfreich.

Orientierungshilfen und Konstanz

Auf jeden Fall sind Orientierungshilfen in Form von Bildern und Piktogrammen sinnvoll, die überall in den Räumen hängen. Die Bezugspersonen für die Kinder sollten möglichst selten wechseln.

Wenn festangestellte pädagogische Fachkräfte mit den Kindern arbeiten und zusätzlich von ehrenamtlichen Mitarbeitern unterstützt werden, ist das eine andere Basis für die Kinder als die hohe Fluktuation im Bereich der ehrenamtlichen Mitarbeiter.

Während der Eingewöhnungsphase sollten alle Situationen vermieden werden, die bedrohlich auf die Kinder wirken könnten. Außerdem sollte Druck vermieden werden. Es muss nicht sein, dass gleich mit rasanten Förderprogrammen gearbeitet wird. Die Kinder sollten die Möglichkeit bekommen, sich nach und nach einzugewöhnen. Man muss ihnen Zeit geben, die vielen neuen Eindrücke zu verarbeiten. Möglichst viel sollten sie im Kontakt mit anderen Kindern lernen.

Eltern sollten dabei bleiben

Kinder mit Fluchterfahrungen, haben oft Trennungsängste. Deshalb sollten wir die Eltern so lange in der Eingewöhnungsphase dabeisein lassen, bis die Kinder soweit sind, loslassen zu können. Damit die Eltern sich nicht langweilen, sollten sie einbezogen werden – dafür gibt es in der Kita viele Möglichkeiten, sodass wir durch die Eltern auch Hilfe und Unterstützung erfahren können. Ein großes Problem in den Unterkünften ist zudem die Langeweile, auch für die Eltern.

erzieher

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:
Schön, dass ihr da seid – Das Erzieherinnenbuch
NEUE Ideen für Bildungsaktivitäten mit Kindern aus Flüchtlingsunterkünften
Regina Grabbet
Burckhardthaus-Laetare
ISBN: 9783944548265
112 Seiten
12,95 €
Mehr dazu auf www.burckhardthaus-laetare.de

Ich habe erlebt, dass Mütter aus Syrien und Eritrea froh über die Möglichkeit waren, mit uns gemeinsam zu spielen, beim Sortieren der Spielsachen zu helfen, mitzusingen, den Tisch mit abzudecken, usw. Die Väter der Kinder waren mitunter froh, sich mit handwerklichen Arbeiten nützlich machen zu können.

Wenn die Flüchtlingskinder das Gefühl haben, wieder Kinder sein zu dürfen, und die Eltern das Gefühl haben, gebraucht zu werden, ist schon viel erreicht. Wenn wir dann selbst erleben, wie glücklich das die Kinder und ihre Eltern macht, bewirkt das auch etwas in uns selbst. Wir sind dann auch glücklich, ihnen dafür eine Brücke gebaut zu haben.

Kinder und Eltern brauchen in einem fremden Land das Gefühl akzeptiert zu werden. Manchmal erleben sie leider das Gegenteil.In öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Einkaufen … bei Begegnungen mit rechten Demonstranten vor ihrer Unterkunft. Wir sollten diesen Eindrücken, die Kinder und ihre Eltern verunsichern, etwas entgegensetzen.

Herausforderungen bei der Integration – Erwartungen

Arabische Eltern haben oft hohe Erwartungen an den Kindergarten und teilweise andere pädagogische Vorstellungen als deutsche Eltern. Sie glauben, dass Bildung sich aus hoher Leistung ergibt, die durch Anpassung erbracht wird. Sie möchten, dass Kinder brav ihre Aufgaben erfüllen und zweifeln daran, dass Selbstbildungsprozesse effektiv sind.

Fortschrittliche deutsche Pädagogen jedoch möchten, dass Kinder beim Lernen nicht unter Druck stehen. Wir haben also die Aufgabe, die Eltern mit ins Boot zu holen, ihnen bei ihrem Besuch in der Kita (auch tagsüber) zu zeigen, dass es bei Selbstbildungsprozessen nicht nur um die Aneignung von Lerninhalten geht, sondern auch um den Erwerb der Kompetenz, selbstständig zu lernen.

Sprechen in der Muttersprache und die Rückübersetzung

Häufig taucht die Frage auf, ob es okay ist, wenn Eltern ihre Kinder in der Kita in ihrer Muttersprache ansprechen. Dazu schreibt der Fortbilder und Autor Volker Abdel Fattah in seinem Buch „Flüchtlingskinder in der Kita“, dass man in solchen Momenten die Eltern um eine Rückübersetzung bitten sollte. Das Verhalten an sich solle aber akzeptiert werden. Fachkräfte sind auch oft unsicher, wie korrekt sie mit der deutschen Sprache umgehen sollten. Abdel Fattah ist der Meinung, dass die Begrenzung auf infinitive Verbformen nicht der Ausbildung einer guten Sprachkompetenz dient. Es sollten, ähnlich wie bei anderen Kindern mit Migrationshintergrund, die gleichen Regeln gelten. Oft stoßen Kita-Mitarbeiter bei der Arbeit mit Flüchtlingskindern an ihre sprachlichen Grenzen – deshalb ist es wichtig, offen miteinander über die Herausforderungen zu sprechen. Eine Kooperation mit Hochschulen ist nützlich. Dort gibt es Studierende mit eigenem Migrationshintergrund, die helfen können. Für die Betreuung der Kinder in Kitas gibt es verschiedene Modelle. Von mobilen Kitas bis zur Aufnahme in normale Kitas. Oft gibt es nicht genügend freie Plätze, da ja die deutschen Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz haben. Des Weiteren gibt es das Problem, dass Flüchtlingsfamilien oft keine staatliche Einmischung bei der Erziehung wünschen.

„Willkommenskitas“

Das Ziel „Willkommenskitas“ zu schaffen, mit dem Hintergrund des Inklusionsgedankens, ist nicht einfach voranzubringen. Oft scheitert es an den begrenzten Möglichkeiten durch die Strukturen ringsherum, die Rahmenbedingungen. Darauf hat auch die Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung hingewiesen.

Eine kompetente Fachberatung der Träger sowie Coaching des betreuenden Personals sind nötig, damit die Kitas mit den Herausforderungen zurechtkommen können. 

Deutsche Kinder für die Situation der Flüchtlingskinder sensibilisieren

Es geht zwar in erster Linie darum, dass die Flüchtlingskinder Deutsch lernen, aber es geht auch darum, dass die deutschen Kinder ein Verständnis dafür aufbringen, wie diese Kinder sich fühlen, wenn alles fremd ist. Nur dann gelingt Integration. Was können wir tun, um die Situation der Flüchtlingskinder den Nichtflüchtlingskindern näherzubringen und diese dafür zu sensibilisieren?

Wir können gemeinsam mit den Kindern überlegen, in welchen Situationen sie sich schon einmal fremd gefühlt haben. Auch kleine Filme oder Bilderbücher helfen den Kindern, sich in die besondere Situation einzufühlen.

Sie verstehen dann, warum sich die Kinder bedroht gefühlt haben und warum es sie so geprägt hat, Bedrohung hautnah zu erleben. Nur durch dieses Verständnis können die Kinder auf die Situation der Flüchtlingskinder eingehen. Pädagogen sollen nicht nur die Kinder verstehen, sondern so auf die Kinder einwirken, dass das zunächst Fremde für sie vertraut wird und sie sich in die anderen Kinder einfühlen. Erst dann können auch Patenschaften funktionieren.

Rolle und Aufgaben der Erzieher bei der Integrationsarbeit in der Kita

Um reflektiert und professionell die Integration von Flüchtlingskindern in der Kita zu ermöglichen, sollten wir folgende Aspekte bedenken: 

BEI DER EINGEWÖHNUNG:

  • Wo können wir Informationen über die Herkunftsländer beschaffen?
  • Wie können wir uns mit anderen Kitas austauschen?
  • Gibt es die Möglichkeit der Beratung und Supervision?
  • Welche Materialien brauchen wir zusätzlich?
  • Was gibt den Kindern Sicherheit?

ZUR EIGENEN HALTUNG:

Jeder Pädagoge sollte seine eigene Haltung gegenüber Fremdem kritisch reflektieren:

  • Lassen wir uns von Vorurteilen beeinflussen?
  • Wie fühlen wir uns, wenn uns etwas fremd ist?
  • Wann und warum sind wir überfordert und wo holen wir uns Hilfe?
  • Wo setzen wir Grenzen und warum?
  • Was hat gut geklappt und wie bauen wir das aus?

Ganz wichtig ist eine wertschätzende Haltung den Kindern gegenüber:

  • positiv auf die Fortschritte achten
  • nicht defizitorientiert arbeiten
  • darauf achten, dass die Kinder selbstständig arbeiten
  • sie dabei begleiten, statt alles vorzugeben
  • darauf achten, dass Integrationsprozesse möglich werden, dass Kinder nicht allein für sich arbeiten, sondern in gemischten Teams
  • Konflikte aufgreifen und besprechen
  • Probleme sensibel wahrnehmen und an Lösungen arbeiten