Leitbilder geben der Einrichtung qualitative Ziele vor
Ein werteorientiertes Leitbild bildet die Grundlage für eine qualitätsgeprägte Einrichtungskultur
Wie in unserer Gesellschaft existiert auch in Kindertageseinrichtungen ein weit gefasster Wertepluralismus, durch den teilweise übereinstimmende aber auch sehr unterschiedliche Ein- und Vorstellungen ihren Ausdruck finden. Auf der einen Seite werden gesellschaftliche sowie gesellschaftspolitische Erwartungen an frühkindliche Erziehungs- und Bildungseinrichtungen gestellt, auf der anderen Seite gibt es reichhaltige Träger-, Eltern-, Kinder- und weitere Außenerwartungen, mit denen sich die Mitarbeiter/innen täglich konfrontiert sehen. Schließlich sind es die Mitarbeiter/innen und Leitungskräfte selbst, die ihrerseits ihre Erwartungen mit in ihr Arbeitsfeld einbringen und nur in den seltensten Fällen wird es zu einer Übereinstimmung der Erwartungsvielfalt kommen.
Leitbilder sind mehr als Konzepte
Ein Leitbild erfasst mit seinen klar benannten Zielen, Tätigkeitsmerkmalen und Handlungsvorgaben Vorstellungen, welche Grundlagen in der Arbeit bestehen, welche Aufgaben zu erfüllen sind, wie die unterschiedlichen Aufgaben gestaltet werden, welche Besonderheiten die Einrichtung auszeichnet und vor allem welches Menschenbild der Arbeit und dem Selbstverständnis aller Mitarbeiter/innen zu Grunde liegt. Das heißt, dass im Leitbild die charakteristischen und unverwechselbaren Merkmale zusammengefasst und auf den Punkt gebracht werden. Im Gegensatz zu Konzepten, die lediglich Absichtserklärungen beinhalten, sind Leitbilder klar gefasste Formulierungen, die sich in der Realität widerspiegeln. Konzeptionen konkretisieren dann wiederum anhand differenzierter Erläuterungen und mit Hilfe von Beispielen die im Leitbild enthaltenen Grundlagen.
Leitbilder führen zu einer fassbaren Identität
Dadurch, dass in einem Leitbild alle wesentlichen Grundlagen sowohl zum unverwechselbaren Einrichtungsprofil als auch zum Selbstverständnis der Mitarbeiter/innen vorgestellt und benannt sind, trägt es zur Darstellung der eigenen Einrichtungsidentität bei und verdeutlicht damit, was Kinder, Eltern und die Öffentlichkeit in der vorgestellten Institution erwartet. Insofern erfüllt das Leitbild eine bedeutsame Außenpräsentation. Gleichzeitig – und das ist stets der erste und bedeutsamste Schritt – hilft es den Mitarbeiter/innen, ihre Einstellungen zur Arbeit, zu Kindern und Eltern, zu den mannigfachen Aufgabenstellungen, eigene Überzeugungen und Wertehaltung mit den formulierten Zielen, Aufgaben und Herausforderungen in Beziehung zu setzen, um einerseits Entsprechungen zu identifizieren und andererseits Widersprüche zu bemerken, die notwendigerweise und folgerichtig zu klären sind. Nur dadurch wird es möglich sein, eine nach außen präsentierte und nach innen gelebte Identitätshaltung umzusetzen.
Mehr von Prof. Dr. Armin Krenz:
Der situationsorientierte Ansatz – Auf einen Blick
Konkrete Praxishinweise zur Umsetzung
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Das Kollegium ist (nicht immer) ein Abbild der Leitkultur
Papier ist geduldig: diese Aussage kennt jeder und so zeigt sich immer wieder bei einem Vergleich von Leitbildaussagen und den zum Ausdruck gebrachten Verhaltensweisen von Mitarbeiter/innen, dass es große Diskrepanzen zwischen wohlfeil formulierten, wunderbar niedergeschriebenen Aussagen und der erlebbaren Einrichtungsrealität gibt. So ist beispielsweise von einer Partizipationspädagogik die Rede und gleichzeitig zeigt sich bei genauerem Hinschauen, dass Erwachsene den Alltagsablauf bestimmen, an traditionsorientierten, ja normierten (!) Strukturen festhalten und nur am Rande eine erwachsenengesteuerte, so genannte Kinderkonferenz mit pseudodemokratischem Charakter abhalten. An anderer Stelle wird davon gesprochen, dass „Kinder im Mittelpunkt der Arbeit stehen“ und bei einer sorgsamen Betrachtung eher Träger- oder Elternwünsche die Arbeitsschwerpunkte im Alltag vorgeben. Oder im Leitbild ist zu lesen, dass Kindertageseinrichtungen – lt. Landesgesetz und Bildungsrichtlinien – einen eigenständigen „Erziehungs-, Betreuungs- und Bildungsauftrag“ in Abgrenzung zur Schulpädagogik haben, dennoch werden immer wieder funktionalisierte Vorschultrainings angeboten bzw. Vorschulgruppen gebildet. Darüber hinaus bleibt die Frage unbeantwortet, warum einerseits im Leitbild immer wieder von einem „ganzheitlichen Ansatz“ gesprochen wird, andererseits schematische „Sprach- und Lerneinheiten“ den Kindern vorgesetzt werden. Hier treffen deutliche, widersprüchliche Aussagen aufeinander, die es in einer Leitbilddiskussion sorgsam und nachhaltig zu erfassen und zu klären gilt.
Werte bilden die Grundlage für Qualität, Professionalität und Identität
Mitarbeiter/innen sind die wichtigsten Vertreter/ Repräsentant/innen der im Leitbild formulierten Werte. Insofern beginnt jede zum Leben erweckte Leitbildkultur mit folgenden Fragen: wer bin ich/ wer sind wir und welche Einstellungen kennzeichnen mein/ unser Selbstverständnis als Fachkraft? Welche ethischen, moralischen, ästhetischen, religiösen, wissenschaftlichen Werte liegen meiner Haltung zu Grunde und welche Einstellungen/ Haltungsgrundsätze bestimmen mein Verhalten im Umgang mit mir selbst, mit Kolleg/innen, der Leitungskraft, dem Träger, den Kindern, den Eltern, den mit der Einrichtung verbundenen Menschen? Wie stehe ich zur Trägerphilosophie – welchen Aussagen kann ich zustimmen, welche Inhalte fordern meinen Widerspruch heraus und wie kann ich den Widerspruch klären? Was verstehe ich unter dem Begriff „Qualität“ und welche Anstrengungen unternehme ich ganz konkret, um klar definierte Qualitätskriterien zu erfüllen? Welches Menschenbild besitze ich und wie/ wodurch kommt es tag-/täglich im Umgang mit mir, mit Kindern, Eltern, Kolleg/innen, der Leitungskraft, dem Träger, der Öffentlichkeit zum Ausdruck? Welche konkreten Vorhaben und selbst gestellte Herausforderungen tragen dazu bei, meine Persönlichkeit weiterzuentwickeln, meine Teamfähigkeit auszubauen, meine Konfliktlösekompetenz zu vergrößern sowie meine Visionen zu konkretisieren? Diese und viele weitere Fragen sind in einem Prozess zum Aufbau und zur Stabilisierung einer unverwechselbaren und in sich stimmigen Einrichtungskultur unverzichtbar und notwendig.
Gelebte Werte prägen die Einrichtungskultur
Werte und Wertehaltungen sind primär das Ergebnis frühkindlicher Sozialisationsbedingungen und –einflüsse, die den Menschen zu ganz bestimmten Sichtweisen und Einstellungen führen. Manche sind ihm bewusst, andere unterliegen dem >blinden Fleck< und wiederum andere sind Wunschvorstellungen, die zwar der eigenen Überzeugung entspringen, allerdings nicht der Realität entsprechen. So gehört es zu einer Leitbildentwicklung und –überprüfung dazu, zunächst einen >Wertekatalog< für sich zu erstellen, um diesen im Kollegium vorzutragen und bei jedem (!) geäußerten Wert konkrete Beispiele zu benennen, um Wunsch-, Phantasie-, Real- und Vermutungswerte zu sondieren. Diese Aufgabe bildet stets die Ausgangssituation für eine stimmig gelebte Umgangskultur, die wiederum für eine entwicklungsförderliche Einrichtungskultur sorgt und einer entwicklungshinderlichen Einrichtungskultur keine Entfaltungschance bietet.
Eine solche, werteorientierte Einrichtungskultur kann nur dort entstehen, wenn alle (!) Mitarbeiter/innen * für ein freundliches, aufgeschlossenes, solidarisches Miteinander sorgen, *arbeitsbedingte/ personorientierte Vermutungen oder eigene Ängste offen und direkt ansprechen, * Konflikte rechtzeitig und inhaltsorientiert, mit konkreten Beispielsbeschreibungen belegt konstruktiv klären (wollen), * die Gleichwertigkeit aller Kolleg/innen – unabhängig von ihrem Status/ ihrer Ausbildung, ihrer Ethnie – akzeptieren, * sich selbst, ihr Arbeitsverständnis, ihre Arbeitsleistung, ihre Teamfähigkeit regelmäßig selbstkritisch hinterfragen, * auf egozentrische, unsoziale Einstellungen/ Erwartungen verzichten, * ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden besitzen, *Selbstdisziplin, Selbstmotivation und Anstrengungsbereitschaft an den Tag legen, * Besonnenheit in hektischen Situationen ausdrücken, * strukturiertes, qualitätsorientiertes Sachhandeln – gerade bei vielfältigen Erwartungen – zum Ausdruck bringen, * Wahrnehmungsoffenheit zur Differenzierung von Wesentlichem und Unwesentlichem besitzen, * sinnverbundenes Denken, ein kausales und logisches Denken praktizieren, * Zuverlässigkeit im Alltag ausdrücken, * Gewaltfreiheit zum unverrückbaren Gut ihrer Haltung erklären, * Kommunikationsfreude sowie Achtsamkeit und Wertschätzung sich selbst sowie anderen gegenüber zeigen, um für eine nachhaltige Wertekultur zu sorgen.
Zusammenfassung
Werte, die im Leitbild einer Einrichtung formuliert sind, besitzen erst dann eine Bedeutung, wenn sie zur gelebten Realität geworden sind bzw. werden. Damit kommt es zu einer Wertekultur, die immer wieder – regelmäßig – hinterfragt, überprüft und verbessert/weiterentwickelt wird/werden muss. Dabei ist jede Fachkraft ein bedeutsamer Ausgangspunkt für eine allseitige, erfahrbare Einrichtungskultur, die eine nachhaltige Bedeutung für alle beteiligten Personen mit sich bringt.
Literaturhinweise:
Binder, E. (2020):Was für mich zählt. Lebensorientierung durch Werte. Paderborn: Junfermann
Frey, D. (2015): Psychologie der Werte. Von Achtsamkeit bis Zivilcourage – Basiswissen aus Psychologie und Philosophie. Wiesbaden: Springer
Herbst, D. (2009): Corporate Identity. Aufbau einer einzigartigen Unternehmensidentität, Leitbild und Unternehmenskultur, Image messen, gestalten, überprüfen. Berlin: Cornelsen
Krenz, A. (2008): Konzeptionsentwicklung in Kindertagesstätten – professionell, konkret, qualitätsorientiert. Köln: Bildungsverlag EINS
Krenz, A. (2007): Werteentwicklung in der frühkindlichen Bildung und Erziehung. Berlin: Cornelsen Scriptor
Rütten, B. (2010): Auf dem Weg zum Leitbild. Prozessschritte, Gelingensbedingungen und Hemmnisse in der Leitbildentwicklung. München: Grin
Strunk, A. (Hrsg.) (2013): Leitbildentwicklung und systemisches Controlling. Baden-Baden: Nomos
Werther, D. (2015): Vision – Mission – Werte. Die Basis der Leitbild- und Strategieentwicklung. Weinheim: Beltz
Autor: Armin Krenz, Prof. h.c. Dr. h.c., Honorarprofessor a.D., Wissenschaftsdozent für Elementarpädagogik + Entwicklungspsychologie.