Spielen und lernen: Grundsatzgedanken zur Psychologie des Spiels

Die hohe Bedeutung des Spiels als Bildungsmittelpunkt für Kinder und als Basiswert einer späteren „Schulfähigkeit“ (Teil 1)

Spielen und lernen ist unser Thema, weil uns Kinder wichtig sind und das der einzige Weg ist, wie Kinder wirklich lernen können. Zum Thema „Spielen“ hat Prof. Dr. Armin Krenz in seinem Buch „Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik“ einen sehr umfassenden Beitrag über rund 50 Seiten verfasst. Da die Erfahrung zeigt, dass aktuell eher kürzere Beiträge viele Leser finden, veröffentlichen wir daraus, seine „Grundsatzgedanken zur Psychologie des Spiels“. Alle 14 Tage publizieren wir einen weiteren Teil.

Die Frage nach dem Warum

Wenn sich (sozial)pädagogische Fachkräfte mit dem großen und gleichzeitig bedeutsamen Thema „Psychologie des Spiels“ auseinandersetzen wollen, wird zunächst eines sehr deutlich werden: Es gibt kaum einen zweiten Themenschwerpunkt in der Psychologie und Pädagogik, der in einem gleichen Maße so umfangreich in der Literatur berücksichtigt und behandelt wurde/wird. So sind hunderte von Büchern auf dem Markt, die sich dem „Spiel“ zuwenden und es gibt weltweit ungezählte wissenschaftliche Untersuchungen, die sich ganz bestimmten Phänomenen des Spiels gewidmet haben. Die Frage nach dem „warum“ ist auf den ersten Blick vielleicht schnell zu beantworten – weil das Spiel(en) in allen Kulturen und zu allen Zeiten ein fester Bestandteil im Leben des Menschen war bzw. ist und dadurch überall eine große Beachtung findet.

Das Spiel gehört zum Leben des Menschen

Ob in der Steinzeit, der Antike, im Hochland von Mexiko oder im alten Ägypten, im Mittelalter, in sakralen Handlungen oder auf Hinterhöfen: auf der ganzen Welt legen Aufzeichnungen, Dokumente und Berichte Zeugnis davon ab, dass das Spiel aus dem Leben des Menschen nicht wegzudenken war und es damit ganz offensichtlich eine wichtige Funktion im Leben von Menschen erfüllt hat. Insofern kann dieses wichtige Phänomen Spiel auch in der Alltagspädagogik gar nicht ausgeblendet werden, sondern muss zweifelsohne eine Berücksichtigung in der Kleinkindpädagogik finden. Andreas Flitner, einer der großen Spielforscher des letzten Jahrhunderts, schrieb:

„Das Kinderspiel ist eine zu auffällige Erscheinung aller Zeiten und aller Kulturen, als dass die Menschen es nicht von jeher beachtet […] hätten […]. Schon die frühesten Bilder des alten Reichs der Ägypter zeigen Puppen, Spieltiere, Bälle und Wagen zum Ziehen; sie zeigen Kinder, die tanzen und hüpfen, übereinander wegspringen und sich balgen, ja sogar theatralische Szenen spielen und dabei Masken tragen […]. In der vorindustriellen Gesellschaft haben die Kinder auch unmittelbar an den eigenen Spielen der Erwachsenen teilgenommen […], so wie ihr ganzes Kinderleben noch in das Leben und Arbeiten der Erwachsenen eingefügt war. Erst das Industriezeitalter zerstörte diese Gemeinschaft. Erst an der Schwelle entstand deshalb die moderne pädagogische Reflexion, welche Theorie und Erforschung des Kinderspiels ermöglichte.“

Flitner, A. (1977): Spielen- Lernen. Praxis und Deutung des Kinderspiels. München: Piper, S. 13

Heute hingegen verbinden viele Menschen mit dem Begriff „Spiel“ weniger bedeutsame Lebensrituale oder gesellschaftspolitische Aspekte als vielmehr die einfache Gleichung, dass das Spiel vor allem etwas sei was zu Kindern gehöre. Jeder, der sich mit seiner eigenen Kindheit beschäftigt wird automatisch auch an eigene Kinderspiele denken.

„Das ganze Leben ist ein Spiel“

Nebenbei fällt aber auch auf, dass das Wort selbst in unserer Sprache häufiger vorkommt als auf den ersten Blick gedacht. So sagen wir bei Dingen, die uns unwichtig erscheinen: „Das spielt doch keine Rolle.“ Menschen, die ein hohes Risiko eingegangen sind, haben „alles aufs Spiel gesetzt“ und wenn eine befreundete Person etwas getan hat, durch das man selbst tief verletzt wurde und von der man sich nun trennen wird, hat sie „ein für alle Mal verspielt“. Menschen, die das Leben nicht so ernst nehmen, besitzen aus Sicht der ernsthafteren Personen eine „Spielernatur“ und andere wiederum sind der festen Überzeugung: „Das ganze Leben ist ein Spiel“. Wenn jemand ein außergewöhnlich hohes Risiko eingeht, dann sagen wir, er „spielt mit dem Feuer“ und wenn jemand etwas nicht versteht heißt es: „Der weiß gar nicht, was hier gespielt wird.“ Menschen, die viele Schicksalsschläge hinnehmen mussten, wurde „im Leben übel mitgespielt“ und einem Übeltäter kann es passieren, dass er bei seiner Festnahme die Worte hört: „Das Spiel ist aus.“

Phänomen Spiel

So vielschichtig die jeweiligen Bedeutungen dieser alltagssprachlichen Aussagen sind, so unterschiedlich werden auch in der „Psychologie des Spiels“ bestimmte Phänomene betrachtet. Doch darf diese Tatsache nicht dazu führen, dass man sich weniger ernsthaft diesem „Phänomen Spiel“ zuwendet. Im Gegenteil: es kommt darauf an, in der ungewöhnlich großen Menge fachwissenschaftlicher Arbeiten das Wesentliche zu entdecken und für die Praxis nutzbar werden zu lassen. Im Rahmen des 16. Weltkongresses der Internationalen Gesellschaft für Spiel (IPA- International Play Association), die 2005 in Berlin tagte und bei der sich Fachleute aus aller Welt darüber austauschten, welche Rolle das Spiel(en) heute einnimmt, äußerten sich beispielsweise Fachleute und Politiker wie folgt:

„Allzu oft wird Spiel als Zeitvertreib betrachtet, um Kinder ruhig zu halten bis sie erwachsen sind. Allzu oft wird Spiel auch als ein Bildungswerkzeug angesehen. Aber nur selten ist man sich der Tatsache bewusst, dass Kinder beim Spielen für das Leben lernen.“

Jan van Gils, IPA Präsident 2005

„Beim Spielen lernen Kinder den Umgang mit anderen; sie probieren sich aus, entwickeln körperliche Fähigkeiten und geistige Talente. Darum müssen Kinder spielen dürfen… Ich freue mich besonders, wenn Erwachsene den Lärm spielender Kinder als Zukunftsmusik empfinden.“´

Horst Köhler, ehem. Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland

„Spielen ist ein Kinderrecht. Wir alle sind aufgefordert, uns für dieses Recht einzusetzen.“

Edelgard Bulmahn, damalige Bundesministerin für Bildung und Forschung

„… für Kinder ist die Fähigkeit zu spielen einzigartig. Hier können sie ihre Gefühle artikulieren und aktiv ihre Umgebung mitgestalten.“

Renate Schmidt, ehemalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

„Kinder lernen im Spiel am besten. Und sie eignen sich dabei mehr an als es jede Paukerei vermag: nämlich ein lebendiges Wissen, das nicht auswendig gelernt werden kann …“

Klaus Wowereit, ehem. Regierender Bürgermeister von Berlin

kirenz elementarpaedagogik

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:
Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik
Kinder sehen, verstehen und entwicklungsunterstützend handeln

Krenz, Armin
Burckhardthaus-Laetare
ISBN: 9783944548029
200 Seiten, 24,95 €
Mehr dazu auf www.oberstebrink.de