ADHS als Risikofaktor für andere psychische Erkrankungen

Studie der Universität Augsburg weist auf möglichen Zusammenhang zu psychischen Erkrankungen hin

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine neuronale Entwicklungsstörung, die vor allem bei Kindern und Jugendlichen auftritt und in bis zu zwei Dritteln der Fälle bis ins Erwachsenenalter reicht. Weltweit wird die Prävalenz auf etwa fünf Prozent bei Kindern/Jugendlichen und 2,5 Prozent bei Erwachsenen geschätzt. Eine gerade veröffentlichte Studie des Lehrstuhls für Epidemiologie der Universität Augsburg in der renommierten Zeitschrift BMJ Mental Health konnte zeigen, dass ADHS mit schweren Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen, der Essstörung Anorexia nervosa und Selbstmordversuchen in Verbindung steht.

Auf der Suche nach genetischen Beweisen

„In Beobachtungsstudien wurde ADHS mit Stimmungs- und Angststörungen in Verbindung gebracht, aber bisher ist nicht bekannt, ob es in einem kausalen Zusammenhang mit anderen psychischen Erkrankungen steht“ erklärt Prof. Christine Meisinger, Wissenschaftlerin am Lehrstuhl für Epidemiologie und Erstautorin der Studie. Um dies herauszufinden, verwendeten die Forschenden die Mendelsche Randomisierung, eine Technik, bei der genetische Varianten als Stellvertreter für einen bestimmten Risikofaktor, in diesem Fall ADHS, verwendet werden, um genetische Beweise für ein bestimmtes Ergebnis zu erhalten – in dieser Studie für sieben häufige psychische Erkrankungen: schwere klinische Depression, bipolare Störung, Angststörung, Schizophrenie, posttraumatische Belastungsstörung (PTSD), Anorexia nervosa sowie Suizidalität.


Advertorial

Hilfe für Kinder mit ADS oder ADHS

Elisabeth Aust-Claus und Petra-Marina Hammer stellen mit Optimind ein Team-Konzept für die Betreuung von Kindern mit ADS vor: Wenn Eltern, Lehrer und Therapeuten zusammen arbeiten, kann die Lebensqualität der Kinder schnell ver-bessert werden!

  • Alles über ADS: Symptome, Ursachen und Folgen
  • Umfassende Hilfe für Kinder mit ADS: Das Optimind-Konzept
  • Individuell abgestimmte Leitfäden für Eltern, Lehrer:innen und Kinderärzte
  • Bist du ein Zappelphilipp oder ein Träumer? Kindgerechte Erklärung von ADS
  • Mit zahlreichen Fallbeispielen, Checklisten und Tipps für den Alltag mit ADS

Elisabeth Aust-Claus, Marina Hammer: Das ADS-Buch, Neue Konzentrationshilfen für Zappelphilippe und Träumer. 320 Seiten, ISBN: 978-3-96304-038-2, 20 €.


Erkenntnisse über das komplexe Beziehungsgeflecht

„Unsere Studie liefert neue Erkenntnisse über das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen psychiatrischen Störungen, die im Zusammenhang mit ADHS stehen. So gibt es Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang zwischen ADHS und einer schweren klinischen Depression. Beide psychischen Störungen können einzeln und gemeinsam das Risiko für eine posttraumatische Belastungsstörung bzw. einen Suizidversuch vergrößern. Ein erhöhtes Risiko für Anorexia nervosa kann jedoch ausschließlich auf ADHS zurückgeführt werden. Auf der anderen Seite gab es keine Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang zwischen ADHS und bipolaren Störungen, Angstzuständen sowie Schizophrenie,“ erklärt Dr. Dennis Freuer, verantwortlich für die statistischen Analysen und Ko-Autor der Studie.

Mendelsche Randomisierung weist methodische Limitationen auf

Auch wenn die Mendelsche Randomisierung methodische Limitationen aufweist, ist sie doch so aussagekräftig, dass die Ergebnisse der aktuellen Studie Klinikerinnen und Kliniker ermutigen sollten, bei der Behandlung von Menschen mit ADHS proaktiver vorzugehen, sagen Meisinger und Freuer. „Diese Studie eröffnet neue Einblicke in die Wege zwischen psychiatrischen Störungen. Daher sollten Patientinnen und Patienten mit ADHS in der klinischen Praxis auf die in dieser Studie untersuchten psychiatrischen Störungen überwacht und gegebenenfalls Präventivmaßnahmen eingeleitet werden“, erklären die beiden Autoren.

Originalpublikation:

Understanding the causal relationships of attentiondeficit/hyperactivity disorder with mental disorders and suicide attempt: a network Mendelian randomisation study, BMJ Mental Health 2023: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37669871/

Corina Härning, Universität Augsburg




Rhythmus für Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen

Rhythmische Erziehung unterstützt das Agieren aus dem eigenen Kraftzentum

Viele Kinder fallen schon in den ersten Lebensjahren durch ein Verhalten auf, für das man zahlreiche Bezeichnungen in der psychologischen, psychiatrischen, psychotherapeutischen und heilpädagogischen Literatur findet. Für Begriffe wie exogenes Psychosyndrom, psychoneurologische Lernschwäche, Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS), Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), hyperkinetisches Syndrom (HKS) und andere Syndrome gibt es zahlreiche Symptome (Klein 2018a, S. 106 ff.). Beunruhigend sind Angaben, nach denen sich die Zahl der Zwei- bis Vierjährigen, die Psychopharmaka schlucken, im vergangenen Jahrzehnt verdreifacht habe.

An erster Stelle der Verschreibungen stehe das Aufputschmittel (Psychostimulans) Methylphenidat (Ritalin), das bei emotionaler Labilität, Störungen der Wahrnehmung und der Bewegungskoordination, Teilleistungs-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen oder Hyperaktivität helfen soll. Nach amerikanischen Studien weist etwa jedes dritte bzw. vierte Kind unter sieben Jahren solche Symptome auf. Bis zu neun Millionen „Zappelphilippe“ bekommen Ritalin verordnet. Hilft das nicht, was oft der Fall ist, müssen Eltern, Erzieher und Wissenschaftler nach anderen Lösungen suchen.

Die kritische Betrachtung lässt folgenden Schluss auf mögliche Bedingungen zu

Fernsehen, Computerspiele und die Spielzeugindustrie machen Jagd auf die Kinder. Was tun, wenn schon die Kleinsten vor dem Bildschrim sitzen? Was sollen sie dem Konsumdruck und Markenterror denn entgegensetzen? Eltern und Erzieher sind oft ratlos und resignieren. Wie können sie ihr Kind begleiten? Für Josef Weizenbaum, einen Pionier der Computertechnik, ist der kindliche Geist ursprünglich voll von herrlicher kreativer Phantasie. Die intuitive Kraft werde aber gestört, wenn das Kind bedingungslos ihm von außen aufgenötigten Regeln folge. Tatenlosigkeit beim Zuschauen lähme seinen Willen, es werde von der vorgegebenen Welt abhängig. Außengeleitet und lediglich konsumierend sei das Kind nicht oder nicht hinreichend in sich geborgen und frei für eigenes schöpferisches Tun. Da es primär auf Reize zu reagieren lerne, fehle ein Agieren aus eigenem Kraftzentrum. Ganz offensichtlich halten uns die heutigen Kinder einen entlarvenden Spiegel vor: Sie sind Kinder ihrer Zeit und Umwelt, an der auch wir Teil haben.

Diagnostische Kriterien von ADS, ADHS und HKS sind keineswegs spezifisch:

  • Unaufmerksamkeit/Desorganisation: Die Kinder können ihre Aktivität nicht selbst in die Hand nehmen oder zu Ende führen, sind unkonzentriert und ablenkbar, können ihre Zeit nicht einteilen, ordnen sich in die Gruppe schlecht ein, machen viele Flüchtigkeitsfehler und wirken häufig wie geistesabwesend.
  • Hyperaktivität: Kinder zeigen motorische Unruhe (Bewegungsunruhe), wirken innerlich unausgeglichen, können sich nicht ausreichend entspannen.
  • Impulsivität: Kinder führen häufig unüberlegte Handlungen aus, können die Konsequenzen nicht einkalkulieren und kontrollieren, auf Kritik reagieren sie mit Wut.
  • Emotionale Instabilität: Kinder zeigen raschen Stimmungswechsel ohne besonderen Anlass, sind schnell ermüdbar und vermindert belastbar.

Welche Ursachen dieser Störung eigentlich zugrunde liegen, darauf geben Medizin und Neurobiologie (noch) keine befriedigende Antwort. Genetische Komponenten spielen wahrscheinlich eine wichtige Rolle, bestimmte Funktionssysteme des Gehirns dürften beeinträchtigt sein, eindeutig pathologische Befunde sind aber (bisher) nicht nachzuweisen. Man vermutet einen Mangel am Neurotransmitter Dopamin, der die Verarbeitung von Informationen steuert und Aufmerksamkeit strukturiert. Ritalin soll ein Dopamin-Defizit ausgleichen. Die medikamentöse Therapie muss aber durch psychosoziale Maßnahmen ergänzt werden (multimodale Therapie). Leider zeigt die Praxis, dass bei vielen Kindern ohne umfassende Diagnostik, die alle möglichen Ursachen analysiert, allein wegen der Symptome ein Medikament gegeben und die wichtige Einsicht negiert wird: Ein ADS-Kind ist vorrangig kein medizinisches Problem, sondern eine gesellschaftliche, soziale und pädagogische Herausforderung.

Es gibt nämlich Erfolg versprechende Hilfe auch ohne Medikament. So wurden Übungsprogrammen zur Konzentration entwickelt, die Spaß machen und einfach zu verwirklichen sind.

Folgende Aspekte sollte der therapeutische Erzieher beachten:

  • Gib wichtige Informationen in der Nähe des Kindes und ihm zugewandt, artikuliere deutlich, ohne dabei zu übertreiben.
  • Ergänze mündliche Informationen möglichst durch eine visuelle Informationsdarbietung: Bilder oder Blätter.
  • Ermuntere das Kind zum Nachfragen und achte darauf, dass dies von den anderen Kindern nicht als Unaufmerksamkeit abgewertet wird.
  • Sorge möglichst für Ruhe oder ruhiges Sitzen, zumindest solange wichtige Dinge angesprochen werden.
  • Akzeptiere, wenn sich das Kind eine Pause gönnt, versuche aber auch, es durch bewusste Ansprache in die Gruppe einzubinden.
  • Mache häufig Einzelübungen (Spiele) mit dem Kind, versuche dabei zu gegebener Zeit auch ein anderes in die Übungssituation einzubeziehen, so dass daraus nach und nach Partner- und Gruppenspiele werden.
  • Halte regelmäßigen Kontakt zum Elternhaus.

Diese Hinweise zur heilpädagogisch-psychologischen Begleitung von Kindern mit Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität sind gut durch rhythmische Erziehung zu ergänzen. Sie kann „das Übel an der Wurzel“ fassen und den Kindern helfen, sich einer Aufgabe konzentriert zuzuwenden, Störungen der Aufmerksamkeit zu meiden, Lern- oder Verhaltensprobleme auszugleichen. Auch wenn mitunter auf ein Medikament nicht verzichtet werden kann, ist doch dessen Dosis möglichst gering zu halten bzw. seine Anwendung zeitlich zu begrenzen.

Rhythmik ist aller Bildung Anfang

Bei allen Versuchen, Rhythmik zu beschreiben und zu erklären, findet man Hinweise auf Lebensabläufe oder körperliche Funktionen und auf ihre Wechselwirkungen mit der Umwelt. Rhythmik kann auch verstanden werden als Bewusstmachen der Leiblichkeit mit dem Ziel, diese in Bewegungsformen auszudrücken. Sie ist so gestaltet, dass jeder Mensch, unabhängig von seinen Anlagen und Schwächen, die Möglichkeit hat, sich mit Hilfe des Rhythmus in Einklang mit seiner Umwelt zu bringen. (Klein 2012, S. 106)

Rhythmus ist offensichtlich schon im vorgeburtlichen Leben bedeutsam. Rhythmik und Musik erreichen den Menschen auch dort, wo keine andere Kommunikation möglich ist. Rhythmische Klänge erzeugen inneres Mitschwingen, wirken auf hormonelle und neurophysiologische Funktionen und setzen Entwicklungsprozesse frei. Erfahrungen von Musiktherapeuten sprechen für eine besondere, frühe Fähigkeit zur Lautperzeption, wobei tiefere Frequenzen über den Magen, höhere über Kopf, Hals und Brust wahrzunehmen sind. Der Kontaktvibrationssinn, ein Wahrnehmen von Schwingungen durch Berühren eines Resonanzkörpers, ist physiologisch durch auf Druck reagierende Sinnesrezeptoren in Muskeln, Gelenken, Bändern und Sehnen zu erklären.
Rhythmus ist ein Vorgang des Ordnens und Gliederns, des Weckens und Entfaltens. Er wirkt auf den Menschen als bio-psycho-soziale Einheit. Rhythmik ermöglicht ein Wechselspiel zwischen Empfangen und Geben, Empfinden/Wahrnehmen und Sich-Ausdrücken bzw. Handeln – eine Grundlage der Kommunikation. (Klein 2012, S. 108)

Kinder brauchen Rhythmus

Ohne Rhythmus ist unser Leben nicht denkbar. Zwischen Rhythmen und Gewohnheiten besteht ein enger Wechselbezug: Rhythmen tragen zu Gewohnheiten bei und Gewohnheiten stabilisieren die Rhythmen.
Jedes Kind hat ein Bedürfnis nach Rhythmus und Kontinuität, Üben und Wiederholen. Damit entstehen Gewohnheiten, die Zuversicht, Sicherheit und Vertrauen in die eigenen Kräfte geben.

Bereits bei den ersten reflektorischen und sensomotorischen Aktivitäten des Neugeborenen spielen rhythmische Vorgänge eine große Rolle. Im Säuglingsalter bilden sich sensomotorische Schemata durch aktive Organisation von früheren Erfahrungen: Aus Greifreflexen entstehen Greifakte, Handbewegungen und Sehen werden koordiniert. In Wechselwirkung mit der Umwelt entstehen aus Nachahmung erste Gewohnheiten. Durch Differenzierung gehen neue aus vorhandenen Handlungsstrukturen hervor.
Die Entwicklungspsychologie weist eindringlich darauf hin, dass jedes Kind einen rhythmisch strukturierten Tagesablauf und stabile Gewohnheiten benötigt. Ist es von einer Entwicklungsauffälligkeit bedroht, braucht es ganz besonders Halt gebende Gewohnheiten und Rhythmik.

Die Bedeutung verschiedener Rhythmen, des Tages-, Wochen- oder Jahresrhythmus, ist durch viele Beobachtungen gut bekannt. Gewohnheiten stärken die Lebenskraft, sie können sie aber auch schwächen. Wenn Kinder und Erzieher heute über Kraftlosigkeit und Müdigkeit klagen, liegt dies auch an fehlenden Lebensgewohnheiten, die das Kohärenzgefühl stärken.

Literaturhinweise

Klein, F. (2012): Inklusion von Anfang an. Bewegung, Spiel und Rhythmik in der inklusiven Kita-Praxis. Köln (Vertrieb: Schaffhausen, SCHUBI Lernmedien AG)

Klein, F. (2018a): Inklusive Erziehung in Krippe, Kita und Grundschule. Heilpädagogische Grundlagen und praktische Tipps im Geiste Janusz Korczaks. München

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

cover-klein-therapeutisch

Gerhard Neuhäuser, Ferdinand Klein

Therapeutische Erziehung
Resiliente Erziehung in Familie, Krippe, Kita und Grundschule
Oberstebrink
ISBN: 9783963046056
192 Seiten, 25,00 €




Kinder mit Autismus: ihre Schwächen, ihre Stärken

autismus

Die Stiftung Kindergesundheit informiert über Autismus-Spektrum-Störungen

Autismus ist eine durch genetische und umweltbedingte Faktoren verursachte Störung der Gehirnentwicklung im frühen Kindesalter. Experten registrieren weltweit übereinstimmend eine starke Zunahme der Störung in den letzten Jahren. Inzwischen wird davon ausgegangen, dass der Anteil autistischer Menschen an der Gesamtbevölkerung bei etwa einem Prozent liegt. Das betrifft in Deutschland ungefähr 800.000 Frauen und Männer, berichtet die in München beheimatete Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.

„Viele autistische Kinder haben große Schwierigkeiten, Kontakte zu anderen Menschen, manchmal sogar zu den eigenen Eltern aufzunehmen“, sagt die Münchner Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Priv.-Doz. Dr. med. Katharina Bühren, ärztliche Direktorin des kbo-Heckscher-Klinikums und Vorstandsmitglied der Stiftung Kindergesundheit. „Diese Kinder sind nicht wie ihre Altersgenossen in der Lage, die Stimmungen oder Absichten anderer Menschen zu erfassen und weichen selbst von liebevollen Berührungen zurück, weil sie deren Absicht nicht erkennen können“.

Schon als Babys verhalten sie sich etwas seltsam

Eine autistische Störung kündigt sich meist bereits in den ersten 24 Lebensmonaten an, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. So sind autistische Babys oft übermäßig ruhig und Liebkosungen gegenüber gleichgültig. Sie reagieren nicht oder nur verzögert auf Ansprache und sind zum Beispiel teilnahmslos oder sogar ablehnend, wenn man sie auf den Arm nimmt. Sie suchen keinen Blickkontakt, lächeln nicht zurück und reichen den Eltern nicht die Arme entgegen. Auch die Sprachentwicklung ist zum Teil verzögert oder sogar schwer gestört.

Mit zunehmendem Alter entwickelt sich dann meistens eine mehr oder weniger starke emotionale Beziehung zu den Eltern und anderen vertrauten Personen. Freundschaften mit Gleichaltrigen sind jedoch rar, auch gemeinsames Spielen findet nur selten statt. „Den Kindern mangelt es an Einfühlungsvermögen“, erläutert die Kinder- und Jugendpsychiaterin: „Sie können sich nicht in jemand anderen hineinversetzen und leben in ihrer eigenen Gedanken- und Vorstellungswelt.“

Autismus wurde von den Fachleuten lange in „Frühkindlicher Autismus“, „Asperger-Syndrom“ und „Atypischer Autismus“ eingeteilt. Da sich die Formen überschneiden und unterschiedliche Ausprägungsgrade auftreten können, wird heute der Oberbegriff Autismus-Spektrum-Störungen verwendet (englisch: Autism spectrum disorder, ASD).

Bei impfskeptischen Menschen hält sich hartnäckig die Annahme, Autismus könne durch Impfungen verursacht werden. Diese Behauptung ist durch mehrere Studien wissenschaftlich eindeutig widerlegt worden, unterstreicht die Stiftung Kindergesundheit.

Unvermittelte Wutausbrüche wegen Lappalien

Autistische Kinder „leiden“ nicht, zumindest nicht körperlich: Sie haben kein Fieber, müssen keine Schmerzen ertragen oder krank das Bett hüten. Dennoch können auch autistische Kinder Qualen empfinden und zwar oft aus Gründen, die kaum jemand versteht – meist nicht einmal ihre Eltern: Fremde Dinge, die sie hören, sehen, fühlen, schmecken oder riechen, lösen bei autistischen Kindern oft ungewöhnliche Reaktionen oder unberechenbare Wutausbrüche aus. Manche Betroffene können glitschige oder klebrige Dinge nicht anfassen, andere lehnen Mahlzeiten schon wegen ihrer ungewohnten Konsistenz, ihres (grünen) Aussehens oder ihres neuen, noch unvertrauten Geschmacks ab.

Betroffene haben ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Struktur und Vorhersehbarkeit, brauchen Routinen und vertraute Abläufe, die ihnen Sicherheit geben. Sie haben Angst vor Neuem und möchten am liebsten alles immer beim Alten behalten. Schon kleinste Veränderungen, wie zum Beispiel das Umstellen eines Möbelstücks, bringen sie zur schieren Verzweiflung und unvermittelt zum Ausrasten.

Zwanghafte Wiederholung von Bewegungen

Nicht selten zeigen autistische Kinder ritualisierte Handlungen, die oft automatenhaft wiederholt werden. Dazu gehören zum Beispiel das Berühren verschiedener Gegenstände in der stets gleichen Reihenfolge, das zwangartige Wiederholen bestimmter Bewegungsabläufe wie zusammenhangloses Händeklatschen oder Haareausreißen, rhythmisches Kopfanschlagen, Schaukeln, Drehen, Hochschnellen und Zucken oder statuenhaftes Ausharren in einer bestimmten Position. Eine häufige Angewohnheit ist auch die sogenannte „Echolalie“, die Neigung, Laute und Worte anderer Personen zu wiederholen. So antwortet ein autistisches Kind auf die Frage „Hast Du Hunger?“ vielleicht mit demselben Satz „Hast Du Hunger?“, weil es weiß, dass es nach diesem Satz meist etwas zu Essen gibt.

Bei manchen Kindern bilden sich starke Beziehungen heraus zu scheinbar wertlosen Gegenständen wie zum Beispiel Gummibändern oder Bindfäden, und sie sind unter Umständen heftig erregt, wenn man ihnen diese Dinge wegnimmt.

Spezialisten mit phänomenalen Fähigkeiten

Einige autistische Kinder sind überdurchschnittlich intelligent und entwickeln sich zu wahren Expert*innen auf einem bestimmten Gebiet. Betroffene mit so einer sogenannten Inselbegabung werden Savants genannt. Sie haben oft geradezu phänomenale Fähigkeiten zu abstraktem und logischem Denken und geben sich häufig sehr speziellen Interessen hin, in denen sie auch Großes zu leisten vermögen.

Zahlreiche bekannte Persönlichkeiten leben mit Autismus, zum Beispiel die Klima-Aktivistin Greta Thunberg, die Milliardäre Bill Gates und Elon Musk oder der Hollywood-Regisseur Steven Spielberg. Auch Einstein und Mozart und der Pop-Künstler Andy Warhol sollen Autisten sein bzw. gewesen sein.

Viele bekennen sich zu ihrer Störung. Ein von Autismus Betroffener schrieb vor einigen Jahren in der „New York Times“: „Wir haben keine Krankheit, und deswegen können wir nicht geheilt werden. Wir sind einfach so“.

ADHS – eine häufige Begleitstörung

Kinder mit Autismus neigen auch noch zu einer Reihe weiterer psychischer Begleitstörungen, wie zu übergroßen Befürchtungen, Phobien, Schlaf- und Essstörungen sowie zum herausfordernden Verhalten in Form von Wutausbrüchen und fremd -­ oder selbstverletzenden Verhaltensweisen.

Fast jede*r Zweite ist auch von einer Aufmerksamkeits-Defizit-Störung ADHS betroffen, Jungen häufiger als Mädchen.

Manche ihrer Kommunikationstörungen lassen mit der Zeit etwas nach, die meisten autistischen Kinder jedoch haben auch im Erwachsenenalter noch soziale und partnerschaftliche Probleme, weiß PD Dr. Katharina Bühren zu berichten.

Die Schuld liegt nicht bei den Eltern!

Die Ursache von Autismus ist immer noch ungeklärt. Fest steht jedoch, dass die Schuld an den Verhaltensstörungen nicht an Erziehungsfehlern der Eltern liegt, betont die Stiftung Kindergesundheit.

Vermehrter Konsum digitaler Medien ab dem frühen Kleinkindalter scheint mit der Entwicklung von autistischen Zügen in Verbindung zu stehen – durch die verminderte echte soziale Interaktion können diese Kinder Gefühle und Verhaltensweisen anderer Menschen schlechter einschätzen und adäquat auf sie eingehen.

Aufgrund von deutlichen Fortschritten in der Forschung können heute immer häufiger genetische Veränderungen als Ursache identifiziert werden.

Ist eine Behandlung möglich?

Zur Behandlung von autistischen Störungen steht in Deutschland eine Reihe von therapeutischen Verfahren zur Verfügung. Für die Kernsymptomatik der Autismus-Spektrum-Störung gibt es allerdings bis heute kein Verfahren und Medikament, das einen völligen Rückgang der autistischen Symptome erreichen könnte.

Die aktuellen Leitlinien zur Therapie empfehlen grundsätzlich verhaltenstherapeutisch-übende Verfahren, da für derartige Methoden die besten Wirksamkeitsnachweise vorliegen. Durch solche Therapien, die möglichst früh beginnen sollten, können insbesondere die soziale Interaktion und die Fähigkeiten der betroffenen Kinder (und Erwachsenen) zur Kommunikation verbessert und ihre herausfordernden und seltsam anmutenden Verhaltensweisen reduziert werden.

Doch die Kapazitäten der Therapiezentren geraten derzeit zunehmend an ihr Limit, beklagen Prof. Dr. Heidrun Thaiss und Prof. Dr. Volker Mall, Präsident*innen der Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin. Der wesentliche Grund hierfür ist der personelle Engpass in fast allen medizinischen, psychosozialen und therapeutischen Berufen, der sich auch in den Autismus-Therapiezentren zeigt.

Hier gibt es weitere Informationen

Selbsthilfe-Organisationen von Autist*innn und Eltern autistischer Kinder benutzen häufig die Bezeichnungen „Auties“ (für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen) und „Aspies“ (für Menschen mit Asperger-Syndrom), um zu verdeutlichen, dass der Autismus ein Teil ihrer Persönlichkeit ist. Viele haben sich zu Selbsthilfe-Organisationen zusammengeschlossen. Hier einige Beispiele:

Bundesverband autismus Deutschland e.V.
Rothenbaumchaussee 15, 20148 Hamburg
Telefon: 040/5 11 56 04, Fax: 040/5 11 08 13 E-mail: info@autismus.de, Internet: www.autismus.de

Verein „Autismus deutsche Schweiz“
Riedhofstrasse 354,
CH-8049 Zürich
Internet: www.autismus.ch
E-mail: anfrage@autismus.ch

Österreichische Autistenhilfe
Eßlinggasse 17
1010 Wien
Telefon: +43 (1) 533 96 66 – 0
E-Mail: office@autistenhilfe.at

Weitere Internet-Adressen:
www.autisten.enthinderung.de, www.autismus.ra.unen.de,
www.aspies.de

Giulia Roggenkamp, Stiftung Kindergesundheit




Studie: Methylphenidat auch bei ADHS-Langzeittherapie sicher

Wahrscheinlichkeit für Wachstumsstörungen, psychiatrische oder neurologische Nebenwirkungen nicht erhöht

Ein internationales Forscherteam hat festgestellt, dass das am häufigsten verschriebene Medikament zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen auch im Rahmen einer Langzeittherapie über zwei Jahre im Allgemeinen sicher ist und die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Wachstumsstörungen, psychiatrischen oder neurologischen Nebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen nicht erhöht.

Die Ergebnisse zeigten sich in einer naturalistischen, prospektiven, kontrollierten Längsschnittstudie, die Forscherinnen und Forscher des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski (Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters und stellvertretender Direktor des ZI) zusammen mit einem internationalen Forscherteam unter der Leitung von Forschern der UCL School of Pharmacy und der Universität Hongkong (Dr. Kenneth Man und Prof. Ian Chi-Kei Wong) sowie Prof. David Coghill, Department of Paediatrics, University of Melbourne durchgeführt haben. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift „The Lancet Psychiatry“ veröffentlicht.


Alles über ADS: Symptome, Ursachen, Folgen und Hilfen

Dr. Elisabeth Aust-Claus und Dr. Petra-Marina Hammer stellen mit Optimind ein Team-Konzept für die Betreuung von Kindern mit ADS vor: Wenn Eltern, Lehrer und Therapeuten zusammen arbeiten, kann die Lebensqualität der Kinder schnell verbessert werden!

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Das ADS-Buch: Neue Konzentrationshilfen für Zappelphilippe und Träumer
Sotfcover, 320 Seiten, zahlreiche vierfarbige Abbildungen
ISBN: 978-3-96304-038-2
20 €
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Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine der häufigsten Entwicklungsstörungen. Weltweit sind etwa 7 Prozent aller Kinder und 2 Prozent aller Erwachsenen von ADHS betroffen. Unbehandelt geht ADHS unter anderem mit einem erhöhten Risiko für emotionale Probleme, schlechte schulische Leistungen, Schulausschlüsse, Schwierigkeiten bei der Arbeit und in Beziehungen sowie Kriminalität und Drogenmissbrauch einher.

Langfristige Sicherheit von Methylphenidat

Methylphenidat ist in vielen Ländern das am häufigsten verschriebene Medikament zur Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen. Die kurzfristige Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit wurde durch zahlreiche randomisierte kontrollierte Studien belegt. Hingegen gab es nur wenige Daten zur Sicherheit und Verträglichkeit einer langfristigen Behandlung mit Methylphenidat. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) lehnte daher die Aufnahme von Methylphenidat in die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel ab und äußerte „Bedenken hinsichtlich der Qualität und der Grenzen der verfügbaren Nachweise in Bezug auf Nutzen und Schaden“.

Um die Bedenken hinsichtlich der langfristigen Sicherheit in der Behandlung mit Methylphenidat bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS auszuräumen, finanzierte die Europäische Union das Projekt ADDUCE (Attention Deficit Hyperactivity Disorder Drugs Use Chronic Effects). Im Rahmen des EU-Projektes wurde eine naturalistische Studie unter Beteiligung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim durchgeführt und die Auswirkungen einer Langzeitbehandlung mit Methylphenidat auf Wachstum und Entwicklung sowie auf psychiatrische, neurologische und kardiovaskuläre Gesundheitsfolgen bei Kindern und Jugendlichen untersucht.

Langfristige Einnahme von Methylphenidat führt nicht zu verlangsamtem Wachstum

Für die ADDUCE-Studie wurden 1410 Kinder und Jugendliche aus 27 europäischen Zentren für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Vereinigten Königreich, Deutschland, der Schweiz, Italien und Ungarn rekrutiert. Die Studie ist insofern einzigartig, als es sich um die erste prospektive Studie handelt, in der Kinder und Jugendliche mit ADHS, die eine Langzeitbehandlung mit Methylphenidat erhielten und solche, bei denen keine Pharmakotherapie erfolgte, direkt miteinander verglichen wurden.
Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass die langfristige Einnahme von Methylphenidat nicht mit Beeinträchtigungen des Wachstums oder mit einem höheren Risiko für psychiatrische oder neurologische Symptome einherging. Tatsächlich zeigte sich bei der langfristigen Einnahme von Methylphenidat ein durchschnittlich sehr geringer Anstieg des Blutdrucks und der Pulsfrequenz, wenn man die Methylphenidat-Gruppe mit der Gruppe ohne Methylphenidat verglich. Diese Erhöhungen werden jedoch nicht als schwerwiegend oder gesundheitsschädlich angesehen. Frühere Untersuchungen aus dem ADDUCE-Projekt haben zudem gezeigt, dass die Behandlung mit Methylphenidat das Risiko für Suizidversuche nicht erhöht und das Risiko, Opfer von körperlicher Misshandlung zu werden, senken kann.


ADS – Das Erwachsenenbuch

Dieser ADS-Ratgeber bietet wichtige Hilfestellungen und praktische Tipps für Betroffene und klärt über Symptomatik und Umgang mit der Diagnose ADS im Er-wachsenenalter auf.

  • ADS erkennen: Typische Symptome von Erwachsenen
  • Wissenschaftliche Hintergründe zu ADS-Varianten mit und ohne Hyperaktivität
  • Konkrete Praxis-Tipps: So meistern Sie den Alltag mit ADS
  • ADS-Problematik in Beziehung und Familie: Was Sie als Angehörige wissen müs-sen
  • Therapie und Medikamente: Behandlungsmethoden für ADS bei Erwachsenen

Aufmerksamkeits-Defizit- Syndrom: Neue Konzentrations- und Organisationshilfen für Ihr Berufs- und Privatleben
Sotfcover, 352 Seiten, zahlreiche vierfarbige Abbildungen
ISBN: 978-3-934333-06-2
19,80 €
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„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Methylphenidat in der Langzeitbehandlung von Kindern mit ADHS im Allgemeinen sicher und gut verträglich ist. Allerdings sind in Einzelfällen auch stärkere Anstiege von Pulsfrequenz und Blutdruck möglich, so dass regelmäßige Kontrollen durchgeführt werden sollten“, sagt Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters und stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit.

Die ADDUCE-Studie wurde durch das Siebte Rahmenprogramm der EU unterstützt. Die Originalstudie wurde in der Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht.

Torsten Lauer/Zentralinstitut für Seelische Gesundheit




Wie wir Kinder mit ADS unterstützen können

Um Kindern zu helfen, ist ein koordiniertes Zusammenspiel aller an der Erziehung Beteiligten notwendig

Sie gehören zu den etwas anstrengenden Kindern. Max zappelt herum, ist wie aufgezogen, nur ohne Abstellknopf, platzt ständig aus sich heraus und fällt öfter mal aus dem Rahmen. Kim wirkt abgewendet, reagiert kaum auf ihre Umgebung und hat bei Klassenarbeiten ein „Brett vor dem Kopf“. Beide können sich nicht wirklich konzentrieren und sich auf ihre Umgebung einlassen. Beide leiden unter dem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom, kurz ADS. Nur ist bei Max das Syndrom mit Hyperaktivität verbunden, bei Kim nicht.

Viele reden darüber, nur wenige wissen Bescheid

Ein kurzer Blick auf landläufige Äußerungen zeigt auch: Viele reden darüber, nur wenige wissen Bescheid. Da heißt es etwa: „Bei Kindern ist ADS ein Hirngespinst, welches zu oft fehlerhaft diagnostiziert wird. Das kommt oft davon, dass sich Eltern mit ihren Sprösslingen von klein auf nicht genug abgeben.“ Oder: „ADHS zu diagnostizieren, ist oft leichter, als den Eltern ihr Erziehungsversagen über lange Zeit zu erklären …“

Aufklärung tut not

Aufklärung tut not. Denn unter den vielen Gerüchten und Unterstellungen leiden vor allem die Betroffenen und deren Angehörige. ADS ist eine neurobiologische Störung mit Problemen in der Informationsverarbeitung. Das heißt, dass unsere ADS-Kinder Max und Kim Schwierigkeiten mit den Aufmerksamkeitsfunktionen und der Impulssteuerung haben. „ADS-Betroffene sind in ihrer Konzentrationsfähigkeit erheblich eingeschränkt, Sie sind leicht ablenkbar, oft motorisch unruhig oder verträumt. Sie haben einen oberflächlichen, sprunghaften Wahrnehmungsstil und können Reizeinflüsse nicht gut sortieren und organisieren. Sie reagieren impulsiv und ecken dadurch oft mit ihrem Verhalten an. Sie sind durch diese Störung in allen Lebensbereichen erheblich beeinträchtigt.“ So erklärt das OptiMind-Institut von Dr. med. Elisabeth Aust-Claus und Dr. Dipl. Psych. Petra-Marina Hammer ADS. Gemeinsam haben die Medizinerin und die Psychologin den Klassiker unter den ADS-Ratgebern verfasst: „Das ADS-Buch“.

Koordiniertes Zusammenspiel notwendig

Eindringlich und mit der Erfahrung aus jahrzehntelanger Arbeit mit Betroffenen werben beide für ihr Trainingsprogramm. Dieses stellt zwar das Kind in den Mittelpunkt, setzt aber ganz stark darauf, dass Eltern, ErzieherInnen, LehrerInnen und andere wichtige Personen eng koordiniert zusammenspielen.

Den Eltern kommt neben den Kindern die anstrengendste und wichtigste Funktion zu.  Denn schwierige Kinder fallen nicht nur auf, sondern machen ihre Mitmenschen auch rat- und hilflos. Kind und Eltern spüren, dass sie den Erwartungen ihrer Umwelt nicht entsprechen. Max würde vermutlich mit noch mehr Aggression antworten, Kim sich ganz zurückziehen. Die Eltern verzweifeln oftmals. Dabei sollen doch gerade sie auf das Verhalten ihres ADS-Kindes ruhig, positiv und unterstützend reagieren.


Das ADS-Buch

Elisabeth Aust-Claus und Petra-Marina Hammer stellen mit Optimind ein Team-Konzept für die Betreuung von Kindern mit ADS vor: Wenn Eltern, Lehrer und Therapeuten zusammen arbeiten, kann die Lebensqualität der Kinder schnell ver-bessert werden!

Elisabeth Aust-Claus/Petra-Marina Hammer
Das ADS-Buch
Neue Konzentrationshilfen für Zappelphilippe und Träumer: Das Optimind®-Konzept
Broschur, 320 Seiten
ISBN/EAN: 978-3-96304-038-2
20 €


Informieren und aufklären

Eltern müssen sich deshalb nicht nur informieren, sondern zudem Aufklärungsarbeit bei den Bezugspersonen ihres Kindes leisten. Als ErzieherInnen können wir sie dabei unterstützen. Aust-Claus und Hammer geben dazu folgende Tipps:

  • Eltern sollten andere Personen über das ADS ihres Kindes informieren, aber mit den Defiziten ihres Kindes nicht hausieren gehen. Vielen Kindern ist es peinlich, wenn über ihre Probleme gesprochen wird.
  • Für Geschwisterkinder ist es hilfreich, wenn sie kindgerecht über ADS und seine Auswirkungen informiert werden.
  • Personen, bei denen das Kind sowieso funktioniert, also keine Auffälligkeiten zeigt, brauchen keine Aufklärung.
  • Wenn sich das Kind beim Besuch anderer Kinder in der Regel daneben benimmt, sollten die Eltern die anderen Eltern aufklären.
  • Alle Personen, die das Kind miterziehen, sollten sich möglichst über ADS informieren und motiviert sein, sich damit ernsthaft zu befassen.

Kurzregeln zu ADS

Nur so begreift die Umgebung, dass ein Kind wie Max nicht mit Absicht impulsiv ist oder wie Kim in Tagträume verfällt, beide keine Mitmenschen ärgern möchten. Und nur so können alle an einem Strang ziehen und zumindest die Kurzregeln zur ADS-Erziehung einheitlich befolgen, die laut unseren Expertinnen folgende sind:

  • Liebevoll, aber stur bleiben. Die Erziehenden stellen die Regeln auf und sind auf deren Einhaltung bedacht. Einmal „nein“ heißt „nein“.
  • Über Kleinigkeiten hinwegsehen. Wenn ein Mädchen den rosa Pullover zur roten Hose trägt, ist das kein Grund für eine Auseinandersetzung.
  • ADS-Kinder brauchen ein ruhiges Umfeld – mit Routine und Struktur.
  • Alle Erziehenden müssen klar und deutlich in ihren Aussagen bleiben.
  • Bei extrem negativem Verhalten ist eine „Auszeit“ nötig. Das bedeutet, dass das Kind in einer solchen Situation aus dem Verkehr gezogen werden sollte. Dabei hilft ruhiger Raum.

Hat sich das Kind beruhigt, sollten wir das Feuer nicht neu schüren, sondern am besten zur Tagesordnung übergehen. Einige Stunden später können wir gemeinsam den Vorfall besprechen.

Von der Negativ-Spirale in die Positiv-Spirale

Wichtig: Ein einheitlicher „roter Faden“ muss die Erziehungskonzepte der einzelnen Personen durchziehen. Noch wichtiger: Ein Kind sollte spüren, dass es die Erziehenden verstehen. Nur so kann es den Schritt von der Negativ-Spirale in die Positiv-Spirale schaffen.

Das fällt vielen Eltern und anderen Bezugspersonen von ADS Kindern schwer. Sie fühlen sich oft enttäuscht, genervt, erschöpft, entmutigt, verletzt, verärgert, verwirrt, beschämt und kraftlos. Das Team der Bezugspersonen sollte deshalb laufend miteinbeziehen sein und gleichzeitig das Kind unterstützen und stärken, wo es nur geht. Denn nur mit der Stärkung seines Selbstbewusstseins, kann sich das Kind positiv entwickeln. „Zum Ausbau eines guten Selbstwertgefühls sollten einer negativen Äußerung mindestens drei positive gegenüberstehen“, erklärt Hammer. Sollten die negativen Reaktionen häufiger als die positiven gewesen sein oder sich die Waage gehalten haben, müssen die Eltern etwas ändern. Hammer rät zu einem Tagebuch, in dem positive wie negative Äußerungen Niederschlag finden. Zudem raten Aust-Claus und Hammer noch zu folgendem:

  • Realistische Ziele setzen (damit das Kind auch die Anforderungen erfüllen kann)
  • Ermutigen: Die Bezugspersonen sollten Vertrauen in die Fähigkeiten ihres Kindes haben und das auch zeigen.
  • „Inseln der Kompetenz“ suchen: Jedes Kind kann irgendetwas sehr gut. Diese Fähigkeiten sollten die Erziehenden mit ihren Kindern gemeinsam aufspüren und fördern.
  • Dem Kind helfen, Freundschaften aufzubauen. Dazu gehört, das Kind im Spiel zu beobachten und mit ihm darüber zu sprechen, was den anderen Kindern nicht gefallen hat.
  • Bei passender Gelegenheit Körperkontakt zum Kind suchen. Zärtliche und liebevolle Berührungen signalisieren dem Kind, dass die Bezugspersonen gerne seine Nähe spüren und stärken damit sein Selbstbewusstsein.

Zeit ist ein Geschenk

Ein ganz wichtiges Geschenk für das Kind ist Zeit. Die Eltern sollten etwa zumindest einmal pro Tag mit ihrem Kind spielen, ohne zu kritisieren. Die gemeinsame Zeit sollte ein Genuss für das Kind sein. Es sollte die Aktivität aussuchen dürfen. Im Spiel sollte es nicht um Leistung gehen, sondern um das Gefühl der Zusammengehörigkeit.

Ebenso wichtig ist das Gefühl von Zuverlässigkeit und Sicherheit. Dafür müssen alle Bezugspersonen den Kindern Struktur und Organisation vermitteln. Und damit sind sie auch Vorbild im Erlernen von Struktur und Disziplin, die für das Kind unerlässlich sind, um sich im Alltag behaupten zu können.

Fortschritte entdecken und würdigen

Sozusagen als Coach ihres Kindes müssen die Erziehenden deshalb diszipliniert, ruhig und gelassen, durchschaubar, gut organisiert, planvoll, unendlich geduldig, selbstverständlich gerecht und fähig sein, die Fortschritte des Kindes zu erkennen und zu loben. Dazu gehört es auch, Rituale in den Alltag einzubauen, Änderungen der Routine immer rechtzeitig bekannt zu geben und klare Anweisungen zu geben.

Das ist alles nicht so einfach und oft auch unbequem. Aber auch Aust-Claus und Hammer erinnern daran: Nichts ist so stark, wie ein gutes Vorbild.

Selbstständigkeit und Unabhängigkeit

Selbstständigkeit und Unabhängigkeit sind weitere wichtige Erziehungsziele. Das kann ein Mensch nur dann lernen, wenn er Aufgaben bekommt, die auch Wertschätzung finden. Für Kinder wie Kim und Max ist es deshalb wichtig, Aufgaben zugeteilt zu bekommen, die von seiner Umgebung geschätzt sind und für deren Erfüllung es auch Lob erhält. Dann wird es auch seine Aufgaben bewältigen und stolz auf sich sein. Dabei sind kleine Belohnungen oder ein ganzes Belohnungssystem, wie es etwa die Expertinnen empfehlen, durchaus erlaubt. In solch einem Umfeld könnten sich auch Kim und Max gut entwickeln.

ADS-Kinder haben es schwer – und ihre Eltern auch. Ebenso wichtig ist deshalb, dass die Eltern Unterstützung finden und sich von Zeit zu Zeit selbst belohnen. Sie haben es verdient. Gesprächs- oder Selbsthilfegruppen, die über das Internet leicht zu finden sind, können eine wesentliche Stütze sein. Trotz aller hohen Anforderungen ist Nachsicht gegen sich selbst gefragt. Denn wie vieles andere im Leben, braucht Erziehung Zeit und den langen Atem der Eltern.

Mehr zu Optimind finden Sie hier: https://opti-mind.de/home-2/

Unsere Empfehlung:

Elisabeth Aust-Claus / Marina Hammer: Das ADS-Buch – Neue Konzentrationshilfen für Zappelphilippe und Träumer: Das OptimMind-Konzept, 18. Auflage, Oberstebrink 2015, 320 Seiten, ISBN: 978-3-9804493-6-6, 19,80 Euro.

Elisabeth Aust-Claus / Marina Hammer: Das ADS-Buch für Erwachsene, Oberstebrink 2015, 352 Seiten, ISBN 978-3-934333-06-2, 19,80 Euro.

Gernot Körner




Weiterbildung zur „Fachkraft AD(H)S-Experte“

Seminar ab Januar in Elmshorn:

Die ADHS-Expertin und Lerntherapeutin Jeannine Hohmann bietet ab Januar 2021 ein Weiterbildungsseminar zur „Fachkraft AD(H)S-Experte“ am „Institut Lernen“, Kaltenhof 5 in Elmshorn an. An insgesamt neun Seminartagen lernen die TeilnehmerInnen im Rahmen von Gruppenarbeiten und ergänzenden Vorträgen alle neuen Erkenntnisse zur Zusammenarbeit mit den Betroffenen. Das Seminar ist zudem als eine Schnittstelle zwischen den pädagogischen Fachkräften, ihren dazugehörigen Trägern und den Eltern der betroffenen Kinder gedacht. Ausgearbeitet wurden die Inhalte über einen Zeitraum von zwei Jahren. Das intensive Seminar ist in der Branche einmalig und wurde aufgrund der steigenden Nachfrage entwickelt.

Mit dem Expertenteam zum Experten

„Es traut sich keiner so wirklich an das Thema ran, da es sehr vielschichtig ist. Ich selbst wollte eine komplexe Schulung zum Thema besuchen, fand aber keine Möglichkeit. Das ändere ich nun zusammen mit meinen weiteren Referenten und Referentinnen am Institut-Lernen“, so Hohmann. Für sie und ihr Team stellt die ADHS-Problematik ein Tabuthema dar, welches in den vergangenen Jahren durch die fortschreitende Inklusion an Schulen und Kindergärten intensiver in den Vordergrund rückte. Häufig fehle es hier jedoch an Expertise und entsprechender Wissensvermittlung vor Ort. Zwei Jahre lang arbeitete Hohmann die vier Module ihres Seminars aus, die sich auf das Krankheitsbild, die Diagnostik, die Therapie und die Praxismethoden beziehen. Wer anschließend die Professionalisierung absolviert, ist schlussendlich eine zertifizierte „Fachkraft AD(H)S-Experte“.

Weitere Infos und das Kontaktformular zur Anmeldung gibt es auf www.jeannine-hohmann.de

Über Jeannine Hohmann:

Nach ihrer Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin arbeitete Jeannine Hohmann in einem sozialen Brennpunkt im Saarland. Es folgten weitere pädagogische Projekte,

Fortbildungen und Coachings sowie die Arbeit als Kita-Leiterin, als Dyslexie- und Dyskalkulietherapeutin (BVL), ADHS/ADS-Trainerin und die Ausbildung zur Montessori-Diplom Pädagogin. Seit 2010 arbeitet Hohmann in ihrer eigenen, durch den Bundesverband für Legasthenie (BVL) zertifizierten, Praxis in Elmshorn. Im Jahr 2018 gründete sie mit dem „INSTITUT LERNEN“ die Möglichkeit zur rundum Betreuung für Eltern und allen pädagogischen Fachkräften. Die zweifache Mutter und ihr Team aus weiteren, spezialisierten Referentinnen und Referenten diagnostizieren, therapieren, beraten und vermitteln ihr Wissen in der Praxis für die Praxis und fokussieren sich besonders auf Menschen mit der Diagnose ADS/ADHS.