Alleinerziehende am stärksten von Armut betroffen

Vier von zehn alleinerziehenden Familien in Deutschland sind armutsgefährdet

Alleinerziehende Familien sind nach wie vor die am stärksten von Armut betroffene Familienform in Deutschland. Fast 700.000 von ihnen oder 41 Prozent gelten als einkommensarm, und damit deutlich mehr als bei Paarfamilien. Hier sind zwischen 8 Prozent (bei einem Kind) und 30 Prozent (bei drei und mehr Kindern) armutsgefährdet. Knapp die Hälfte aller Kinder, die in einer Familie mit Bürgergeldbezug aufwachsen, leben mit nur einem Elternteil zusammen. Seit 2020 sind alleinerziehende Familien in Westdeutschland häufiger von Sozialleistungen abhängig als in den ostdeutschen Ländern. Der Anteil von alleinerziehenden Haushalten, die Bürgergeld beziehen, ist in Bremen mit 55 Prozent am höchsten und in Thüringen mit 27 Prozent am niedrigsten.

„Factsheet Alleinerziehende“

Wie die Daten aus dem neuen „Factsheet Alleinerziehende“ der Bertelsmann Stiftung ebenfalls zeigen, lässt sich die Armutsfalle für Alleinerziehende nicht auf mangelnde Erwerbstätigkeit zurückführen: 71 Prozent der alleinerziehenden Mütter und 87 Prozent der alleinerziehenden Väter gehen einer Arbeit nach. Das sind zwar jeweils etwas weniger als die Elternteile in Paarfamilien, allerdings arbeiten alleinerziehende Mütter deutlich häufiger in Vollzeit als Mütter in Paarfamilien.

Ausfallende Unterhaltszahlungen tragen weiterhin wesentlich zu der finanziell schwierigen Situation in vielen alleinerziehenden Familien bei. „Trotz einzelner sinnvoller Maßnahmen, wie Reformen des Unterhaltsvorschusses und des Kinderzuschlags, ist es noch immer nicht gelungen, die belastende Situation für viele Alleinerziehende entscheidend zu verbessern“, sagt Antje Funcke, Expertin für Familienpolitik bei der Bertelsmann Stiftung.

Die Care-Arbeit ist sehr ungleich verteilt

Der Anteil alleinerziehender Väter ist inzwischen gestiegen und lag 2023 bei 18 Prozent. Doch noch immer sind acht von zehn Alleinerziehenden Frauen. Alleinerziehende Mütter leben im Schnitt mit mehr und mit jüngeren Kindern zusammen. Care-Arbeit, also die Betreuung und Fürsorge der Kinder, wird – vor einer Trennung ebenso wie danach – überwiegend von den Müttern geleistet. Laut Statistischem Bundesamt erbringen sie im Wochenschnitt über 15 Stunden mehr Care-Arbeit als alleinerziehende Väter. Insgesamt sind alleinerziehende Mütter deutlich häufiger von Armut betroffen, müssen öfter Sozialleistungen beziehen und haben ein höheres Risiko für Altersarmut.

Rund 1,7 Millionen alleinerziehende Familien

Die Zahl alleinerziehender Familien hat seit 2019 leicht zugenommen und lag 2023 bei rund 1,7 Millionen. Der Anstieg ist unter anderem auf die Geflüchteten aus der Ukraine zurückzuführen, unter denen sich viele Mütter mit ihren Kindern befinden. In Ostdeutschland lebten mit 25 Prozent anteilsmäßig mehr Alleinerziehende als in den westdeutschen Ländern mit 19 Prozent. Dabei hat sich ihr Anteil vor allem in den westdeutschen Ländern seit 2019 erhöht, während er im Osten ungefähr gleichgeblieben ist.

Der Anteil alleinerziehender Familien in den einzelnen Bundesländern ist unterschiedlich hoch – er schwankt zwischen 17 Prozent in Bayern und 28 Prozent in Berlin. Alleinerziehende sind zudem vor allem ein Großstadtphänomen: Jede:r fünfte lebt in einer Stadt mit mehr als einer halben Million Einwohner:innen.

Bessere Bedingungen für Erwerbstätigkeit und bedarfsgerechte Unterstützung

Um die Lage für Alleinerziehende zu verbessern, empfiehlt die Bertelsmann Stiftung, ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Ausbildung zu erleichtern. Dazu gehören sowohl die notwendige Infrastruktur in Form guter Kitaplätze und verlässlicher Ganztagsbetreuung in der Schule, als auch flexiblere Arbeitszeitmodelle seitens der Unternehmen.

Zudem sollte die Politik Anreize für Väter erhöhen, mehr Verantwortung für ihre Kinder und Care-Arbeit zu übernehmen – und das nicht erst nach einer Trennung. Schließlich braucht es eine wirksamere finanzielle Unterstützung. Laut Sarah Menne, Expertin für Familienpolitik bei der Bertelsmann Stiftung, sei der aktuelle Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung zwar ein wichtiger Schritt und werde vor allem die Situation von Alleinerziehenden im Bürgergeldbezug verbessern. Aber: „In der jetzigen Form wird die Kindergrundsicherung bei Weitem nicht reichen, um alleinerziehende Familien aus der Armutsfalle zu befreien. Vielmehr sind erneut Verschlechterungen für Alleinerziehende zu befürchten.“

Grundsätzliche Neubestimmung der Leistungen erforderlich

Neben punktuellen Nachbesserungen, etwa beim Anrechnen von Unterhaltszahlungen, ist aus Sicht der Bertelsmann Stiftung eine grundsätzliche Neubestimmung der Leistungen erforderlich, die Kinder und Jugendliche für gutes Aufwachsen und Teilhabe benötigen. Dabei ist es wichtig, sie selbst daran zu beteiligen und zu befragen. Mit Blick auf alleinerziehende und getrenntlebende Familien sollten zudem die Mehrbedarfe systematisch erhoben werden, die je nach Betreuungsmodell in den Haushalten beider Elternteile für Kinder wie Eltern entstehen. Generell unterstreichen die Familienexpertinnen der Stiftung, dass für eine effektivere Unterstützung für Alleinerziehende umfangreichere Daten nötig sind, etwa zu den verschiedenen Betreuungskonstellationen oder dem getrennt lebenden Elternteil.

Zusatzinformationen:

In das „Factsheet Alleinerziehende“ sind Daten vom Statistischen Bundesamt (2024, Erstergebnisse des Mikrozensus 2023) eingeflossen. Die Quoten zum Bürgergeldbezug stammen von der Bundesagentur für Arbeit und beziehen sich auf das Jahr 2023.

Quelle: Pressemitteilung Bertelsmann Stiftung




Studie Kindergrundsicherung: weniger Armut und mehr Chancengleichheit

Wissenschaftler weisen langfristigen Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft nach

Die von der Bundesregierung beschlossene Kindergrundsicherung hat trotz erheblicher Schwächen deutliche positive Effekte sowohl für benachteiligte Kinder und ihre Familien als auch für Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt. Das zeigt eine neue Studie der Wirtschaftswissenschaftler Prof Dr. Tom Krebs und Prof. Dr. Martin Scheffel, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wird.

Kurzfristig sinkt die Armut im Land

Wenn laut Studie rund 1,5 Millionen Kinder mehr als bisher ihnen zustehende Leistungen auch wirklich erhalten und sich die finanzielle Lage ihrer Familien verbessert, sinkt die Kinderarmut nach Einführung der Kindergrundsicherung relativ rasch um knapp zwei Prozentpunkte. Das entspricht rund 282.000 Kindern, die nicht mehr unterhalb der Grenze der Armutsgefährdung (Haushaltseinkommen von höchstens 60 Prozent vom mittleren Nettoeinkommen in Deutschland) leben müssen.

Bedeutsame langfristige Effekte

Noch bedeutsamer sind demnach langfristige Effekte, die die Forscher aus gut gesicherten Erkenntnissen der Bildungsforschung ableiten: Ein erheblicher Teil der Kinder aus Familien, die durch die Grundsicherung finanziell bessergestellt werden, erreicht später höhere Bildungsabschlüsse. Im Jahr 2050, auf das die Ökonomen ihre Modellberechnungen beziehen, wäre die Zahl der Personen in Deutschland, die ein mittleres bis höheres statt einem niedrigen Bildungsniveau haben, dadurch um 840.000 höher als in einem Szenario ohne Grundsicherung.

Nach Abschluss der Ausbildung können viele dieser Personen höher qualifiziert, besser bezahlt und besser abgesichert arbeiten. Das verbessert die Situation der direkt betroffenen heutigen Kinder spürbar: Die so genannte „Chancenlücke“, die benachteiligte Kinder mit Blick auf ihr zu erwartendes Lebenseinkommen haben, wird durch die langfristige Wirkung der Kindergrundsicherung bis 2050 um 6,8 Prozentpunkte reduziert. Das entspricht einem Rückgang der Chancenungleichheit um gut 15 Prozent.

Gesellschaft und Wirtschaft profitieren

Auch Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt profitieren. So steigt die Beschäftigung spürbar: 2050 liegt das gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsvolumen, umgerechnet auf Vollzeitstellen („Vollzeitäquivalente“), um rund 155.000 Stellen höher als ohne Einführung einer Kindergrundsicherung.

Die gesamtwirtschaftliche Produktion wächst ebenfalls stärker: 2050 ist sie als Folge der Grundsicherung um 11,3 Milliarden Euro höher als in einem Szenario ohne deren Einführung. Die Zahl der Erwerbspersonen, die unter der Armutsgefährdungsgrenze leben müssen, liegt 2050 um gut 841.000 niedriger als in einem Szenario ohne Kindergrundsicherung, was einer Reduzierung der Armutsquote für Erwerbspersonen um gut 1,8 Prozentpunkte entspricht. Die Zahl der armutsgefährdeten Kinder ist 2050 mit Kindergrundsicherung um 440.000 niedriger als ohne, was einem Rückgang bei der Kinder-Armutsquote um knapp drei Prozentpunkte entspricht. 

Die Summe der Steuern und Sozialabgaben wächst

Durch diese positiven Effekte wächst auch das Aufkommen an Steuern und Sozialabgaben stärker als ohne die Reform. Daher übersteigen ab 18 Jahren nach Einführung die zusätzlichen Einnahmen der öffentlichen Hand die jährlichen Ausgaben für die Kindergrundsicherung. „Die Kindergrundsicherung ist nicht nur ein effektives Instrument zur Bekämpfung von Kinderarmut, sondern auch gut für die Wirtschaft und die öffentlichen Finanzen“, lautet das Fazit der Forscher.

Makroökonomisches Modell

Tom Krebs, Professor für Makroökonomie an der Universität Mannheim, und Martin Scheffel, VWL-Professor an der Hochschule für Finanzwirtschaft und Management in Bonn, nutzen ein makroökonomisches Modell, mit dem sie die gesamtwirtschaftlichen langfristigen Auswirkungen einer Kindergrundsicherung kalkulieren können. Dabei legen sie den Schwerpunkt bei den langfristigen Bildungseffekten, denn aus der Forschung ist gut belegt, dass im Durchschnitt mit größeren finanziellen Möglichkeiten eines Haushalts auch die Wahrscheinlichkeit wächst, dass die Kinder höhere Bildungsabschlüsse erwerben. Dieser Zusammenhang lässt sich auf Basis der bildungsökonomischen Forschung zu „Bildungsrenditen“ und des repräsentativen sozio-ökonomischen Panels (SOEP) für Deutschland abschätzen. Für ihre Kalkulationen setzen Krebs und Scheffel konservativ einen Wert an, der „am unteren Ende“ der dabei möglichen Spannweite liegt. Für die Berechnung der Effekte wählen die Wissenschaftler das Jahr 2050, weil sich dann auch für heute sehr junge Kinder prognostizieren lässt, wie ihre Arbeitsmarktsituation nach Abschluss der Ausbildung aussehen wird. 

Vorsichtig geschätzt

Bei der Modellierung der zukünftigen Wirkungen beziehen die Forscher auch den – insgesamt kleinen – Effekt ein, dass einige der heutigen Eltern ihre schlecht bezahlte Erwerbsarbeit reduzieren, wenn die Familie durch die Kindergrundsicherung etwas mehr Geld zur Verfügung hat. Die kurzfristige Steigerung des privaten Konsums in Deutschland durch erhöhte Haushaltseinkommen beziehen sie hingegen nicht ein. „In diesem Sinne bietet die Studie eine vorsichtige Abschätzung (untere Grenze) der positiven Effekte der Kindergrundsicherung“, schreiben Krebs und Scheffel daher. 

Die Wissenschaftler gehen in ihrer Modellrechnung von den aktuell im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltenen finanziellen Größen für die Kindergrundsicherung aus: Für jedes Kind wird ein Garantiebetrag von 250 Euro im Monat gezahlt. Für Kinder aus einkommensschwachen Familien gibt es darüber hinaus einen Zusatzbetrag von maximal 247 bis 361 Euro monatlich, je nach Alter.

Neben einigen Fortschritten erhebliche Defizite

Dieser Zusatzbeitrag wurde im vergangenen Herbst in einer Bundestagsanhörung von verschiedenen Expert*innen als nicht „armutsfest“, da zu niedrig kritisiert. Auch Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, konstatiert in ihrer Stellungnahme neben einigen Fortschritten erhebliche Defizite: „Es ist begrüßenswert, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein Schritt in die Richtung einer Kindergrundsicherung gegangen wird, in der viele Leistungen für Kinder und Jugendliche in einem Instrument zusammengeführt werden. Die aktuell genannten Vorhaben entsprechen aber eher einer Verwaltungsreform als einer echten Kindergrundsicherung.“ 

Positive Effekte durch Verwaltungsvereinfachung

Dass selbst diese „Rumpfversion“ einer Grundsicherung in Krebs´ und Scheffels Modellrechnungen deutlich positive Effekte erzeugt, hat denn auch in erster Linie mit der prognostizierten Wirkung der Verwaltungsvereinfachung zu tun. Im aktuellen System scheitern viele Eltern daran, etwa den Kinderzuschlag zu beantragen als einkommensabhängige Leistung für Familien, die zwar ein niedriges Einkommen haben, aber kein Bürgergeld bekommen. Nach Schätzungen der Bundesregierung gibt es derzeit rund 2,3 Millionen Kindern, bei denen die Eltern Anspruch auf Kinderzuschlag haben. Aber Ende 2022 wurde nur für 800.000 von ihnen die Leistung auch wirklich bezahlt. Diese Zahl stieg bis Herbst 2023 um rund 200.000. Oft, weil die öffentliche Debatte um die Kindergrundsicherung Eltern mit Anspruch auf den Zuschlag dafür sensibilisierte, dass sie diesen aktiv beantragen müssen, schätzen die Forscher, die darin gewissermaßen eine positive Vorabwirkung der Reform sehen.

Durch die mit der Einführung der Grundsicherung avisierte Vereinfachung, durch die Digitalisierung des Antragsverfahrens und vor allem durch den „Kindergrundsicherungs-Check“, bei dem der zuständige Familienservice automatisch prüft, ob eine Familie Anspruch auf den Zusatzbeitrag der Kindergrundsicherung hat, werde sich das weiter fundamental verbessern, erwarten Krebs und Scheffel: Wenn so „aus der Holschuld der Bürger*innen eine Bringschuld des Staates“ werde, könnten fast alle Kinder das ihnen zustehende Geld bekommen – und daraus die berechneten individuellen und gesamtwirtschaftlichen Verbesserungen bei Bildung, Beschäftigung, Wirtschaftsleistung und Armutsbetroffenheit entstehen.

Kindergrundsicherung hat großes Potenzial

WSI-Direktorin Kohlrausch attestiert der Kindergrundsicherung ebenfalls ein großes Potenzial, die bislang enorme Lücke beim Abruf der Leistungen für Kinder zu schließen. „Wichtig ist, dass die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes die Zugänge berechtigter Familien tatsächlich erleichtert und alle Familien tatsächlich das erhalten, was ihnen rechtlich zusteht. Die Kindergrundsicherung ist eine große Chance und die Studie zeigt, dass nicht nur die jeweiligen Empfänger*innen, sondern die Gesellschaft als Ganzes von angemessenen Sozialleistungen profitiert. Sie sind eine gute Investition in die Zukunft.“
Die Armut senken und die Chancengleichheit erhöhen

Das betonen auch die Studienautoren Krebs und Scheffel: „Konkret trägt die Reform dazu bei, die Armut zu senken und die Chancengleichheit zu erhöhen“, schreiben die Wissenschaftler im Fazit ihrer Untersuchung. Dabei heben sie auch die prognostizierte langfristige Reduzierung der „Chancenlücke“ hervor, die sie beziffern, indem sie das durchschnittliche Lebenseinkommen eines Kindes mit geringqualifizierten Eltern mit dem vergleichen, das ein Kind aus einer durchschnittlich qualifizierten Familie erzielen kann. Ohne Kindergrundsicherung ist eine Lücke von gut 44 Prozent zu erwarten, mit Kindergrundsicherung von gut 37 Prozent – ein Rückgang um knapp 7 Prozentpunkte oder gut 15 Prozent. 

„Neben diesen positiven Verteilungseffekten zahlt sich diese Reform in der langen Frist auch fiskalisch aus“, konstatieren die Wissenschaftler angesichts eines prognostizierten „fiskalischen Break Even“ 18 Jahre nach Einführung der Grundsicherung. Und das, obwohl sie für das aktuell vorliegende Konzept der Kindergrundsicherung mit etwas höheren Ausgaben rechnen als die Bundesregierung: 2,75 Milliarden Euro im Jahr, wovon 500 Millionen auf die Verwaltung entfallen.

Weitere Informationen

Tom Krebs, Martin Scheffel 

Auswirkungen der Kindergrundsicherung auf Armut, Beschäftigung und Wachstum., WSI Study Nr. 36, März 2024.




Grundschulen so ausstatten, dass sie ihren Auftrag erfüllen können!

Grundschulverband weist auf schwaches Startchancenprogramms hin und fordert Richtungswechsel

Seit vielen Jahren schon weist der Grundschulverband darauf hin, dass die Grundschulen unterfinanziert und mit Aufgaben überfrachtet sind. Er fordert eine Änderung dieser Praxis. Das im Koalitionspapier groß angekündigte Startchancen-Programm der Bundesregierung kommt, so der Plan, erst zum Schuljahr 2024/2025 an den Start und zwar statt für die angekündigten 4.000 Schulen nur für 1.000. Ganz aktuell streicht das Land Nordrhein-Westfalen Mittel für den gemeinsamen Unterricht. Auch in anderen Bundesländern steht zu fürchten, dass am Bildungshaushalt gespart wird. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass von diesen Sparmaßnahmen einmal mehr die Grundschulen besonders betroffen sein werden.

„Kein gutes Zeugnis für das deutsche Bildungssystem“

Im Abschnitt „Bildung: Kein gutes Zeugnis für das deutsche Bildungssystem“ benennt der UNICEF- Bericht aktuelle Mängel im Bildungsbereich unmissverständlich:

  • Knapp 47.000 junge Menschen verlassen jährlich ohne Abschluss die Schule.
  • Betroffen sind hierbei in besonderem Maße Kinder und Jugendliche, die im Ausland geboren sind und in Deutschland zur Schule gehen.
  • Der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die die unterste Kompetenzstufe des Lesens nicht erreicht haben, liegt bei rund 21 Prozent.

Vor dem Hintergrund dieser wenig befriedigenden Ergebnisse zur aktuellen Lage beleuchtet der Bericht die Ausgaben für den Bildungsbereich und damit die öffentlichen Investitionen in Bildung und stellt fest: Die Ausgaben für Bildung sind im internationalen Vergleich für den Grundschulbereich sehr niedrig: „Deutschland investierte hier 2019 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit 1,2 Prozentpunkte weniger als Spitzenreiter Schweden. Von den betrachteten Ländern investiert nur Rumänien noch weniger in die Grundschulbildung (0,5 Prozent). Dabei sind gerade die Grundschulen für Kinder wichtig. Hier entscheidet sich, ob Kinder unabhängig von der sozio-ökonomischen Herkunft ihre Talente entfalten können.“

Die Situation von in Armut lebenden Kindern und Jugendlichen hat sich verschärft

Prekär sind sowohl die Aussagen des UNICEF-Berichts, als auch die des aktuellen Deutschen Schulbarometers zur Kinderarmut: Die Situation von in Armut lebenden Kindern und Jugendlichen hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahren verschärft. Deutlich sichtbarer wird, dass immer häufiger das Geld für zentrale Dinge des Schulalltags fehlt und Schulmaterialien, Ausflüge oder das Mittagessen nicht finanziert werden können.

Der Grundschulverband stellt fest: Es ist höchste Zeit für Investitionen in Bildungschancen und fordert:

  • Die Grundschulbildung ist besonders in den Fokus zu nehmen. Es ist sicherzustellen, dass Grundschulen personell und sächlich so ausgestattet sind, dass sie ihrem Auftrag, allen Kindern eine grundlegende Bildung zu vermitteln, auch gerecht werden können! Dazu gehört auch, dass den Grundschulen künftig endlich angemessen digitale Medienausstattungen zur Verfügung stehen.
  • Anstehende Haushaltskürzungen dürfen nicht zu Lasten von Kindern in Armutslagen gehen!
  • Es ist Aufgabe der Politik, Familien und Schulen in sozial herausfordernder Lage schnell, unbürokratisch und wirksam zu unterstützen!
  • Wir fordern auf Bundes- und Landesebene politisch längst fällige Entscheidungen zur Verbesserung der Startchancen von allen Kindern!

Weitere Informationen und Rückfragen:
Dipl.-Päd. Edgar Bohn, Vorsitzender Grundschulverband e.V.
Mobil: 0151 67 20 28 35
Mail: edgar.bohn@grundschulverband.de
Internet: www.grundschulverband.de




„Eine armutsfeste Kindergrundsicherung muss jetzt beschlossen werden!“

kinderarmut

ZFF, AWO und DKHW sehen Ampelregierung in der Pflicht

Das Zukunftsforum Familie e.V. (ZFF), der AWO Bundesverband e.V. und das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. (DKHW) fordern die Bundesregierung auf, endlich eine Einigung bei der Kindergrundsicherung zu erzielen! Das Taktieren auf dem Rücken von Millionen Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, die dringend eine bessere Unterstützung brauchen, ist entwürdigend und erbärmlich. Es muss endlich ein Ende haben.

Familien brauchen Zusage für die Zukunft

Michael Groß, Vorsitzender des Präsidiums des AWO Bundesverbandes, betont: „Seit Anfang des Jahres wird um die Kindergrundsicherung und ihre Ausgestaltung gerungen. Eine Einigung auf Schloss Meseberg ist nun dringend von Nöten. Leider geht es dabei in den letzten Monaten mehr um Machtspiele als um tatsächliche Herausforderungen, vor denen Familien – insbesondere Familien mit wenig oder keinem Einkommen – jeden Tag stehen. Viele von ihnen konnten nicht in die Sommerferien fahren. Es reicht kaum für den Schreibtisch, der nun für den Schulanfang gebraucht wird. Armut ist und bleibt ein Spielgefährte von Millionen von Kindern und Jugendlichen. Familien brauchen daher jetzt eine Zusage für ihre Kinder und für die Zukunft. Ein Herabspielen von Armut und Armutserfahrungen ist vollkommen fehl am Platz. Finanzminister Lindner muss seine Blockadehaltung aufgeben und Geld zur entschiedenen Armutsbekämpfung bereitstellen!“

Kindergrundsicherung muss echte Verbesserung darstellen

Britta Altenkamp, Vorsitzende des Zukunftsforum Familie, fügt hinzu: „Dabei ist es für uns besonders wichtig, dass dort, wo Kindergrundsicherung draufsteht, auch Kindergrundsicherung drin ist. Dass bedeutet, dass sie für alle Kinder, die in Deutschland aufwachsen, eine Verbesserung darstellt. Eine Verwaltungsvereinfachung und Erhaltung des Status quo, wie sie derzeit angedacht ist, ist absolut inakzeptabel. Seit 2009 setzt sich das ZFF dafür ein, das System der familienfördernden Leistungen vom Kopf auf die Füße zu stellen und eine neue Leistung zu schaffen, die dort die größte Wirkung entfaltet, wo diese auch am dringendsten gebraucht wird: bei den armen Familien. Darüber hinaus braucht eine wirksame Kindergrundsicherung neben einer armutsfesten Höhe auf Grundlage der Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums eine weitgehend automatische Auszahlung, die alle Anspruchsberechtigten erreicht. Dafür muss ausreichend Geld in die Hand genommen werden.“

Land, Staat und Gesellschaft in der Pflicht

Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes, schließt: „Der vom Deutschen Kinderhilfswerk im letzten Monat vorgelegte Kinderreport 2023 hat deutlich gemacht, dass die Menschen in unserem Land, Staat und Gesellschaft in der Pflicht sehen, mehr als bisher gegen die Kinderarmut in Deutschland zu unternehmen. Hier braucht es langfristig ein Gesamtkonzept, das mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet ist, umfassende Reformen bündelt und verschiedenste Politikbereiche miteinander verzahnt. Es braucht höhere Löhne, mehr Unterstützung für Alleinerziehende, mehr Investitionen in Schulen und Kitas, mehr bezahlbaren Wohnraum und letztlich auch höhere und leichter zugängliche Sozialleistungen. Die Kindergrundsicherung könnte die finanzielle Situation vieler Familien verbessern, aber dafür muss sie auch finanziell ausreichend untersetzt werden, um die realen Bedarfe von Kindern tatsächlich abzudecken und sie damit vor Armut zu schützen.“

Hintergrund:

Seit Anfang des Jahres wird zwischen dem Bundesfamilienministerium und dem Bundesfinanzministerium um die Ausgestaltung der Kindergrundsicherung gerungen. Obwohl eine Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag steht und das Bundesfamilienministerium Eckpunkte vorgelegt hat und derzeit an einem Gesetzentwurf gearbeitet wird, wird diese neue Leistung von Finanzminister Lindner immer wieder aufs Neue in Frage gestellt. Wenn der Zeitplan eingehalten werden und die Kindergrundsicherung noch in 2024 beschlossen und ab 2025 ausgezahlt werden soll, muss so schnell wie möglich eine Einigung erzielt werden.

AWO, ZFF und Deutsches Kinderhilfswerk sind Mitglied im Bündnis KINDERGRUNDSICHERUNG. Weitere Informationen zum Konzept des Bündnisses und seinen Forderungen finden Sie unter https://kinderarmut-hat-folgen.de/.

Quelle: gemeinsame Pressemitteilung Deutsches Kinderhilfswerk e.V. – Zukunftsforum Familie e.V. – AWO Bundesverband e.V.




Mehrkindfamilien brauchen Fairness statt Stigmatisierung

Die Kinderarmut zeigt sich besonders bei Mehrkindfamilien, dabei leisten sie Enormes für die Gesellschaft

Wer in Deutschland in einer Familie mit mehreren Kindern lebt, ist häufiger von Armut betroffen, als das in Haushalten mit weniger Kindern der Fall ist. Fast ein Drittel (32 Prozent) aller Familien mit drei oder mehr Kindern gilt als einkommensarm, knapp 18 Prozent beziehen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II. Der Blick auf die Länderebene unterstreicht diesen Befund: Über alle Bundesländer hinweg haben Paarfamilien mit drei und mehr Kindern ein fast dreimal so hohes Armutsrisiko wie Paarfamilien mit zwei Kindern.

Bremer Mehrkindfamilien haben es besonders schwer

Am häufigsten sind Mehrkindfamilien in Bremen (63 Prozent) von Armut betroffen, in Bayern ist das Risiko am geringsten (22 Prozent). Besonders schwierig ist die Lage für alleinerziehende Familien mit drei und mehr Kindern: Über 86 Prozent von ihnen sind auf Sozialtransfers angewiesen.

Wie aus der neuen Studie „Mehrkindfamilien gerecht werden“ der Bertelsmann Stiftung ebenfalls hervorgeht, sind Kinder aus kinderreichen Familien besonders häufig von Armut betroffen: Mit 46 Prozent lebt fast die Hälfte aller Kinder in Mehrkindfamilien im SGB II-Bezug.

Insgesamt 1,3 Millionen Mehrkindfamilien in Deutschland

In den insgesamt 1,3 Millionen Mehrkindfamilien in Deutschland – das entspricht etwa jeder sechsten Familie – stehen die Eltern in besonderer Weise vor der Herausforderung, Beruf und Kinderbetreuung miteinander zu vereinbaren. Die Erwerbstätigkeit beider Elternteile nimmt mit steigender Kinderzahl ab; in Familien mit drei und mehr Kindern liegt sie deutlich niedriger als bei Eltern mit einem oder zwei Kindern.

Insgesamt ist in Mehrkindfamilien häufiger als in anderen Familien der Vater Hauptverdiener, während die Mutter dazu verdient. Die Mütter wenden im Durchschnitt aber auch pro Tag rund doppelt so viel Zeit für die Kinderbetreuung auf wie die Väter. Erst mit zunehmendem Alter der Kinder weiten Mütter – wie in an- deren Familien auch – ihre Erwerbsbeteiligung aus.

Zudem zeigen die Daten, dass rund 70 Prozent der Mütter von drei und mehr Kindern gut bis sehr gut ausgebildet sind. Das wider- legt das Klischee, Eltern von Mehrkindfamilien hätten überwiegend einen niedrigen Bildungs- stand.

Kinderarmut durch Unterstützung von Mehrkindfamilien bekämpfen

„Da die Betreuung und Erziehung von drei und mehr Kindern viel Zeit kostet, können Eltern ihre Erwerbstätigkeit kaum ausweiten, sondern müssen sie meistens sogar reduzieren“, so Anette Stein, Direktorin des Programms Bildung und Next Generation der Bertelsmann Stiftung. Für viele Familien stelle das angesichts der fehlenden Betreuungsmöglichkeiten und steigenden Lebensmittelkosten eine immer größere Herausforderung dar. „Die soziale Situation von Mehrkindfamilien muss viel stärker ins Blickfeld rücken – vor allem auch deshalb, um die Kinderarmut in Deutschland entschlossen zu bekämpfen“, appelliert die Expertin.

Um ein besseres Verständnis für die Lebenswirklichkeit und die Bedarfe von Mehrkindfamilien zugewinnen, haben Sabine Andresen, Professorin für Familienforschung an der Goethe-Universität Frankfurt, und ihr Team 20 von ihnen ausführlich befragt. Dabei wurde deutlich, dass die Sorge um finanzielle Engpässe als auch um ausreichend bezahlbaren Wohnraum Mehrkindfamilien ständig begleitet. Zudem beklagen sie Benachteiligungen im Alltag, da zum Beispiel Familientickets im öffentlichen Personennahverkehr, im Schwimmbad oder im Zoo häufig auf die klassische Zwei-Kind-Familie ausgerichtet sind. Eine zusätzliche Belastung stellen Vorurteile und Stigmatisierungen dar, denen sich Mehrkindfamilien häufig ausgesetzt sehen.

„Mehrkindfamilien sind mit vielen Vorurteilen konfrontiert“

„Mehrkindfamilien sind mit vielen Vorurteilen konfrontiert; übersehen werden dabei ihre enormen Leistungen für die Gesellschaft“, betont Sabine Andresen. „Wer drei Kinder oder mehr großzieht, sorgt im Umkehrschluss dafür, dass der Generationenvertrag unserer solidarisch organisierten Sozialversicherungssysteme funktioniert. Ohne die Care-Arbeit der Eltern, vor allem der Mütter, die dafür häufig auf die eigene Karriere und damit ausreichende Altersvorsorge verzichten, wäre das nicht möglich. Schon deshalb schulden wir diesen Familien eine gezielte Unterstützung, mehr Wertschätzung sowie die Überwindung von Klischees.“

Um Kindern in Mehrkindfamilien ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen und ihnen bessere Chancen auf Bildung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu eröffnen, plädiert die Bertelsmann Stiftung weiterhin mit Nachdruck für die Einführung einer Kindergrundsicherung, wie sie im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Hierauf hätte jedes Kind Anspruch, unabhängig von der Familienform und der Zahl der Geschwister. Wichtig ist, dass damit die tatsächlichen, altersgerechten Bedarfe von Kindern und Jugendlichen gedeckt werden.

Schnelle und unbürokratische Entlastungen sind gefragt

Kurzfristig sind angesichts der rasant steigenden Verbraucherpreise zudem schnelle und unbürokratische Entlastungen gerade für kinderreiche Familien vonnöten. Bei Angeboten und Vergünstigungen für Familien in Bereichen wie Mobilität, Freizeit, Sport und Kultur müssen die speziellen Bedürfnisse dieser Familienform stärker mitgedacht werden.

Erleichterungen bedarf es auch in der Betreuung und Erziehung. Neben einem Ausbau der Angebote in der Kindertagesbetreuung sollte die Care-Arbeit von Müttern und Vätern – in allen Familienformen – gesellschaftlich stärker anerkannt und gerechter zwischen den Geschlechtern aufgeteilt werden.

Langfristig wäre Mehrkindfamilien damit geholfen, wenn sich Politik, Wissenschaft und Gesellschaft von der Norm der Zwei-Kind-Familie lösen würden. Denn Mehrkindfamilien sind vielfältig, was bei politischen Maßnahmen ebenso wie in der öffentlichen Wahrnehmung sowie in der Forschung konsequent berücksichtigt werden sollte.

Zusatzinformationen

Für die empirischen Angaben zu Mehrkindfamilien in Deutschland wurden überwiegend Daten des Statistischen Bundesamtes aus dem Mikrozensus sowie der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2021 herangezogen. Für die qualitative Studie von Prof. Sabine Andresen und ihrem Team der Goethe-Universität Frankfurt wurden im Jahr 2020 Interviews mit 20 Mehrkindfamilien geführt und mit der Methode der Qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.

Hier finden Sie das pdf der Studie:




Bündnis Kindergrundsicherung fordert einen echten Systemwechsel

Ausführliche Stellungnahme stellt klare Anforderungen zur Ausgestaltung

Die Kindergrundsicherung sei eine grundlegende Reform. Die Umsetzung müsse sich an den großen Zielen Bekämpfung der Kinderarmut und Stärkung von Familien messen lassen, heißt es in einer Mitteilung des Bündnisses Kindergrundsicherung. Eine Beteiligung aller relevanter Akteure am Vorbereitungs- und Umsetzungsprozess müsse gewährleistet sein.

Klare Eckpunkte

Das Bündnis habe zu den konkreten Eckpunkten einer Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP, eine ausführliche Stellungnahme erarbeitet und fordere einen echten Systemwechsel in der Familienförderung.

„Mit der Kindergrundsicherung steht eine große Reform an. Jetzt besteht endlich die Chance, Kinderarmut wirksam abzubauen und die Familienförderung gerechter zu machen. Diese Ziele müssen auch bei der anstehenden Umsetzung im Blick bleiben. Denn weiterhin wächst mehr als jedes fünfte Kind in Armut auf. Es reicht nicht mehr aus, an kleinen Stellschrauben zu drehen. Wir haben die klare Erwartung, dass es bei der Umsetzung einen starken politischen Willen für eine große Reform gibt. Der aktuell diskutierte Sofortzuschlag kann dabei nur eine Übergangslösung sein, bei der Höhe und dem Kreis der Anspruchsberechtigten muss aber noch kurzfristig nachgesteuert werden. Alle armutsbetroffenen Kinder müssen jetzt schon mit einer substanziellen Unterstützung erreicht werden!“, so Michael Groß, Präsident des AWO Bundesverbandes und Bündnissprecher.

Kinder tatsächlich aus der Armut holen!

In seiner Stellungnahme betont das Bündnis, dass die Kindergrundsicherung so ausgestaltet sein muss, dass sie Kinder tatsächlich aus der Armut holt, viele Leistungen bündelt sowie gleichzeitig automatisch und unbürokratisch jedes Kind erreicht.

„Kinderarmut bekämpft man auch mit Geld. Deshalb wird es auch maßgeblich von der Höhe der Kindergrundsicherung abhängen, ob sie Kinder aus der Armut holt. Die im Ampel-Koalitionsvertrag verankerte Neuberechnung des kindlichen Existenzminiums ist daher entscheidend. Die kindlichen Bedarfe müssen besser abgedeckt werden als bisher. Ich rate der Bundesregierung sehr, im jetzt anstehenden Vorbereitungsprozess zur Umsetzung einer Kindergrundsicherung auf die Kompetenz der zivilgesellschaftlichen Akteure zurückzugreifen. Die Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums darf nicht nach Kassenlage erfolgen“, so Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes und Bündnis-Koordinator.

Weitere Informationen finden Sie hier.

https://kinderarmut-hat-folgen.de/wp-content/uploads/2023/05/Mythen-zur-Kindergrundsicherung.pdf




Mit dem Sofortzuschlag schnell und spürbar helfen

Kinderhilfswerk und Kinderschutzbund fordern schnelle Umsetzung der Hilfe für arme Familien

Das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) hofft auf eine schnelle Umsetzung des von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel angekündigten Sofortzuschlags für arme Familien und ihre Kinder. Aus Sicht der Kinderrechtsorganisation wird es dabei darauf ankommen, diesen Sofortzuschlag ausreichend hoch anzusetzen. „Der in der Diskussion befindliche Betrag von 25 Euro deckt den tatsächlichen Bedarf von Kindern und Jugendlichen für eine soziokulturelle Teilhabe nicht ab und erweckt den Eindruck von Politik nach Kassenlage“, heißt es in einer Erklärung des (DKHW).

„Willkürliche und systemwidrige Streichungen“

Ebenso hat bereits der Deutsche Kinderschutzbund die geplante Höhe des Sofortzuschlags kritisiert und eine größere Investition zugunsten der Kinder und Jugendlichen gefordert. „Seit vielen Jahren wird der Bedarf von Kindern und Jugendlichen künstlich kleingerechnet. Dadurch fehlen betroffenen Kindern allein durch willkürliche, systemwidrige Streichungen durchschnittlich 78 Euro des Regelsatzes pro Monat. Selbst 25 Euro monatlicher Sofortzuschlag können das nicht auffangen“, so der DKSB in einer Mitteilung. Hatte das Bundesfamilienministerium Medienberichten zufolge 25 Euro vorgeschlagen, kam aus dem Sozialministerium ein Vorschlag in Höhe von nur zahn Euro.

Kindergrundsicherung

„Nach der viel zu geringen Erhöhung des Regelsatzes für Kinder und Jugendliche im Hartz-IV-Bezug zum 1. Januar 2022, die keinen Beitrag zur Bekämpfung der Kinderarmut geleistet hat, muss der Sofortzuschlag arme Kinder und ihre Familien jetzt spürbar entlasten. Es bleibt gleichzeitig eine vordringliche Aufgabe der neuen Bundesregierung, die Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums und Einführung einer Kindergrundsicherung zügig voranzubringen“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerks. „Die geltenden Regelbedarfe halten den sozialrechtlichen Mindestbedarf von Kindern künstlich klein. Sie entsprechen insgesamt nicht dem notwendigen soziokulturellen Existenzminimum und sollten auf ein Niveau angehoben werden, das echte gesellschaftliche Teilhabe möglich macht. Hier hoffen wir auf die im Koalitionsvertrag angekündigte Kindergrundsicherung, die ein wichtiger Eckpfeiler bei der Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland werden muss.“
Zum 1. Januar war der Hartz-IV-Regelsatz für Kinder um zwei, für Jugendliche um drei Euro erhöht worden. Auch damals hatte das DKHW den geringen monatlichen Zuschlag heftig kritisiert.




Armutsquote erreicht in der Pandemie neuen Höchststand

Paritätischer stellt Bericht zur Armut in Deutschland vor

Laut aktuellem Paritätischen Armutsbericht hat die Armutsquote in Deutschland mit 16,1 Prozent (rechnerisch 13,4 Millionen Menschen) im Pandemie-Jahr 2020 einen neuen Höchststand erreicht.

Auch wenn das Ausmaß der Armut nicht proportional zum Wirtschaftseinbruch und dem damit verbundenen Beschäftigungsabbau zunahm, gibt es eindeutige Corona-Verlierer: So sind es laut der Studie des Wohlfahrtsverbandes vor allem die Selbstständigen, unter denen die Einkommensarmut zugenommen hat. Der Verband wirft der Politik armutspolitische Versäumnisse vor und appelliert an die neue Bundesregierung, nicht nur die im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen wie Kindergrundsicherung oder Verbesserungen bei Wohngeld und BAFöG zügig und entschlossen anzugehen: Zwingend, so die Forderung, sei darüber hinaus insbesondere eine bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze in der Grundsicherung.

Armut regional unterschiedlich verteilt

Der Bericht geht unter anderem auf die Lage in den Bundesländern ein, die von tiefen Gräben zeugt: Während die beiden süddeutschen Länder Bayern und Baden-Württemberg auf eine gemeinsame Armutsquote von ‚nur‘ 12,2 Prozent kommen, weisen die übrigen Bundesländer eine gemeinsame Armutsquote von 17,7 Prozent aus. Der Abstand zwischen Bayern (11,6 Prozent) und dem schlechtplatziertesten Bundesland Bremen (28,4 Prozent) betrage mittlerweile 16,8 Prozentpunkte. „Deutschland ist nicht nur sozial, sondern auch regional ein tief gespaltenes Land und die Gräben werden immer tiefer. Wenn in einem Bundesland jeder zehnte und in dem anderen mehr als jede*r vierte Einwohner*in zu den Armen gezählt werden muss, hat dies mit gleichwertigen Lebensbedingungen in ganz Deutschland nichts mehr zu tun”, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Arme von Pandemie ungleich härter betroffen

Neben soziodemografischen Aspekten und der Zusammensetzung der Gruppe armer Menschen liegt ein Schwerpunkt des Armutsberichts auf der Analyse der Pandemie-Auswirkungen.  „Die allgemeinen Folgen der Pandemie trafen Arme ungleich härter”, kritisiert Schneider. Insbesondere das Kurzarbeitergeld, aber auch das Arbeitslosengeld I hätten zwar durchaus als Instrumente der Armutsbekämpfung gewirkt, so ein Befund des Berichts. Doch seien vor allem Erwerbstätige, und darunter vor allem die Selbständigen, die Einkommensverlierer der Corona-Krise und das schlage sich auch in den Armutsquoten nieder: Zählte die Mikrozensuserhebung 2019 unter den Erwerbstätigen insgesamt 8 und unter den Selbständigen 9 Prozent Arme, kommt die 2020er Erhebung auf 8,7 Prozent bei den Erwerbstätigen und sogar 13 Prozent bei den Selbständigen.

Versäumnisse der Großen Koalition angeprangert

Der Paritätische kritisiert in dem Bericht Versäumnisse der Großen Koalition, deren Krisenbewältigungspolitik zwar teilweise neue Armut verhinderte, aber zu wenig für die Menschen getan habe, die bereits vor der Pandemie in Armut lebten. „Eine ‚nur‘ um 0,2 Prozentpunkte höhere Armutsquote als in der Erhebung aus 2019 darf als Hinweis darauf verstanden werden, dass die rasch ergriffenen Unterstützungsmaßnahmen von Bund und Ländern noch höhere Armutswerte durchaus verhindern konnten. Für die Ärmsten und ihre besonderen Nöte hatte die große Koalition 2020 allerdings im wahrsten Sinne des Wortes einfach nichts und in 2021 bestenfalls den berühmten Tropfen auf den heißen Stein übrig”, so Schneider.

Was jetzt zu tun ist

Von der neuen Ampel-Regierung fordert der Verband eine schnellstmögliche Anhebung der Regelsätze in der Grundsicherung. Schneider: „Der Regelsatz ist und bleibt die zentrale Stellgröße im Kampf gegen die Armut und für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft. Wer dies ignoriert, wird keine erfolgreiche Armutspolitik machen können. Wir appellieren dringend an die Bundesregierung, hier nicht weitere vier Jahre tatenlos zu bleiben.”

Der Armutsbericht des Paritätischen arbeitet mit amtlichen Statistiken, u.a. einer Auswertung des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes, der erstmals zuverlässige Armutsquoten für das Pandemie-Jahr 2020 liefert. Der Vergleich der Ergebnisse aus den Erhebungen 2020 und 2019 ist aus methodischen Gründen nur eingeschränkt möglich. Doch fügen sich die aktuellen Daten in das Bild der letzten Jahre: Rückblickend auf 2006 lässt sich ein stetiger Aufwärtstrend ausmachen, der auch 2020 nicht gebrochen zu sein scheint. 2006 lag die Quote noch bei 14,0 Prozent.

Dokumente zum Download

Armut in der Pandemie. Der Paritätische Armutsbericht 2021. 837 KB