Bewegung und Musik entwickeln Körper und Gehirn

Eine Skizze über die Bedeutung von zwei Grundbedürfnissen und deren Auswirkungen im Kindheitsalltag

Unser Gehirn ist entstanden, damit wir uns bewegen können. Es ist die Schaltzentrale unseres Körpers und bekommt von diesem Impulse für seine Entwicklung. Das gehört heute zu den Binsenweisheiten der Neurobiologie. Das Schöne an Binsenweisheiten ist, dass sie nicht nur simpel, sondern einfach wahr sind. Die Notwendigkeit der Bewegung ist offensichtlich auch der Grund für den natürlichen Bewegungsdrang des Menschen, speziell der Kinder. So entwickeln sich Körper und Geist weiter. Und weil Kinder ebenso einen natürlichen Spieltrieb haben, lernen sie.

Kulturtechniken wachsen nicht auf Bäumen

Der Haken dabei ist, dass sie auf diesem Weg nicht automatisch Mathematik, Lesen oder Schreiben lernen. Denn das war vor rund 200.000 Jahren, als sich die Menschheit zum Homo sapiens sapiens, also zum „verstehenden, verständigen Menschen“ entwickelte, einfach noch nicht vorgesehen. Und in der freien Wildbahn, dem ersten und wichtigsten Lernraum des Menschen, kamen keine Differentialgleichungen oder komplexe Traktate vor. Schrift und Mathematik sind erst vor 5000 bzw. 3000 Jahren entstanden. Zu kurz, als dass sich unser Gehirn darauf einstellen konnte.

Bildung als Spiel und in der Schule

Dieser Umstand hat vor allem zu Zeiten der Industrialisierung und des freien Bürgertums im 18. und 19. Jahrhundert dahin geführt, möglichst allen Kinder mithilfe von Schulen die so genannten Kulturtechniken näher zu bringen. Ab welchem Alter und in welcher Form das geschehen sollte, ist seit jeher umstritten. Die meisten Generationen haben die frühe Kindheit davon ausgenommen, um die Jüngsten spielen und toben zu lassen. Auch der Begründer des Kindergartens, Friedrich Wilhelm Fröbel, baute seine Kindergartenpädagogik auf der Erkenntnis auf, dass Bildung im frühen Kindesalter vorrangig im Spiel und nicht durch Belehrungen erfolgt.

Mangel an Möglichkeiten

Ob es jemals eine Zeit gab, in der sich Kinder auf natürliche Art und Weise entwickeln konnten, ist nicht bekannt. Ganz sicher gehören unsere modernen Zeiten nicht dazu. Im Gegenteil: Säuglinge und Kleinkinder brennen geradezu darauf, ständig Neues zu entdecken und auszuprobieren. Dabei fehlen ihnen aber allzu oft die Möglichkeiten und oftmals lassen wir sie auch nicht. In den vergangenen Jahren sei es zu einem regelrechten Boom von Angeboten zur Frühförderung gekommen, erklärt die Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Maria Klatte. In einem Beitrag zum Thema „Gehirnentwicklung und frühkindliches Lernen“ schreibt sie: „Aus Verunsicherung, Sorge oder auch übertriebenem elterlichen Ehrgeiz sind die Terminkalender mancher Kinder so gefüllt, dass für spontane, selbst-initiierte Aktivitäten kaum noch Raum bleibt.“ In vielen Kinderbetreuungseinrichtungen sieht die Situation nicht viel besser aus. Die zahlreichen Förderprogramme unterdrücken allzu oft den natürlichen Bewegungsdrang der Kinder und halten sie auf den Stühlen fest.

Mangel an Freiflächen

Daneben fehlt es zunehmend an Freiflächen, auf denen freie sportliche Aktivitäten oder einfach nur Toben möglich sind. Selbst auf den eigentlich gesetzlich geschützten Gehsteigen und in Parks können Eltern ihre Kinder kaum mehr unbeschwert laufen lassen, da diese zunehmend von Fahrrad- und E-Scooter-Fahrern okkupiert werden.

Wie viel Bewegung ein Kind braucht

Kein Wunder also, dass sich unsere Kinder zunehmend schlechter motorisch und kognitiv entwickeln. Schließlich geht beides Hand in Hand. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt für Kinder im Alter zwischen fünf und 17 Jahren 60 Minuten moderate bis intensive Bewegung täglich. An drei Tagen in der Woche sollten die Kinder und Jugendlichen so richtig ins Schwitzen kommen, mit aerober Aktivität von hoher Intensität, aber auch Aktivitäten, die Muskeln und Knochen stärken. Die im Sitzen verbrachte Zeit müsse zudem durch ausreichend Aktivität kompensiert werden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) empfiehlt sogar 90 Minuten tägliche Bewegung mit mittlerer bis hoher Beanspruchung.

Die Realität sieht anders aus. Laut der 2022 erschienenen internationalen Kinder- und Jugendgesundheitsstudie Health Behaviour in School-aged Children“ (HBSC), an der 51 Länder beteiligt sind, bewegt sich etwa nur jedes zehnte Mädchen, jeder fünfte Junge sowie jede:r achte der gender-diversen Heranwachsenden täglich mindestens 60 Minuten am Tag. Dieser Bewegungsmangel hat schlimme Folgen für die physische und psychische Gesundheit.

Alle Menschen brauchen Musik

Noch schlechter sieht es mit einem weiteren Grundbedürfnis des Menschen aus, der Musik. In ihrer Forschungsarbeit konnte Charlotte Großmann 2020 nachweisen, dass sich das Bedürfnis nach Musik bei allen Menschen wiederfinden und sich dieses auf unterschiedliche Weise befriedigen lässt.

Was Musik für Kinder bedeutet

Was Musik für Kinder bedeutet, ist unter anderem im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan festgehalten. „Kinder handeln von Geburt an musikalisch. Mit Neugier und Faszination begegnen sie der Welt der Musik. Sie haben Freude daran, den Geräuschen, Tönen und Klängen in ihrer Umgebung zu lauschen, diese selbst zu produzieren sowie die Klangeigenschaften von Materialien aktiv zu erforschen. Gehörte Musik setzen Kinder in der Regel spontan in Tanz und Bewegung um.“, ist hier zu lesen. Weiter ist hier zu lesen: „Die Vielfalt der Sinneswahrnehmungen durch das ,Spiel mit Musik‘ bietet in den ersten Lebensjahren grundlegende Anregungen. Neben ihrem ästhetischen Selbstwert verfügt sie über weit reichende entwicklungspsychologische Effekte. Der aktive Umgang mit Musik fordert und fördert die gesamte Persönlichkeit des Kindes.“

Wie Musik die Entwicklung des Menschen untersützt  

Die Autorinnen und Autoren stellen anschließend die Bedeutung der Musik für das Wohlbefinden, für Ausdruck, Fantasie und Kreativität, Sozialkompetenzen, kulturelle Identität und interkulturelle Kompetenz, Sprachkompetenz, aufmerksames Zuhören, kognitive Kompetenzen, Körperbewusstsein und motorische Kompetenz heraus. Nach diesem beeindruckenden Bekenntnis zur Bedeutung von Musik sollten wir eigentlich nun getrost davon ausgehen können, dass die bayerischen Kinder stetig mit dem Musikzieren und Tanzen beschäftigt sind.

Musik und Alltag

Die Realität sieht jedoch genauso trist aus, wie in zahlreichen anderen Bundesländern. Schlimmer noch! Im südlichen Bundesland legt man derzeit den Musik-, Kunst- und Werkunterricht in der Grundschule zusammen und kürzt den Stundenanteil auf vier Stunden pro Woche. Lesen, Schreiben und Rechnen werden laut dem Beschluss des Bayerischen Kabinetts dagegen ausgebaut. Man will eben fördern, was der Wirtschaft nutzt. Der Grund ist in den schlechten Ergebnissen bei IQB und PISA zu finden. Dabei gälte es doch, diese Ergebnisse deutlich zu hinterfragen. Liegt es an der Digitalisierung, dem Gemeinschaftsschulsystem oder dem geringen Migrantenanteil, dass Estland so viel besser abgeschlossen hat? Möglich das Südkorea vor allem deshalb so gut abschneidet, weil dort nur ausgewählte, hochmotivierte Schüler am PISA-Test teilnehmen durften, während hierzulande unsere 15-Jährigen keine Wahl hatten. Vielleicht reagieren auch Länder wie Schweden, Frankreich oder Neuseeland richtig, die auf die schlechteren Ergebnisse mit dem Rückbau der Digitalisierung reagieren?

Solche Überlegungen sind dem Bayerischen Kabinett offenbar fremd und die Ministerinnen und Minister wissen offenbar auch nichts von der Bedeutung von Musik für Kinder. Einen jämmerlichen Trost gibt es: Sie stehen damit nicht allein. Für die Wirtschaft ist das dennoch ein Bärendienst. Schließlich unterdrückt die Bayerische Staatsregierung auf diesem Weg zunehmend die Entwicklung der sozialen Fähigkeitenu und der Kreativität.

Musik ist Seelenproviant für Kinder

In seinem „Plädoyer für mehr Musik und Tanz in Kindertagesstätten“ schreibt Prof. Armin Krenz „Musik ist Seelenproviant für Kinder“. „Musik ist weitaus mehr als nur eine bloße Aneinanderreihung von Noten, eingebettet in bestimmte Takte. Musik setzt Energien frei, die offensichtlich innere Impulse in Gang setzen, die das ,reine Hören‘ erweitern wollen, Emotionen ansprechen und vielfältige Ausdrucksformen aktivieren, die sich schließlich in sichtbare und rhythmische Bewegungsaktivitäten umsetzen.“ Mit Blick auf die Bedeutung der Musik ruft er jede Kita dazu auf, das aktive Musikerleben stärker als bisher zu unterstützen und ihre Alltagspraxis daraufhin überprüfen, inwieweit ihre Musikpraxis auch einen hohen Stellenwert einnimmt.

Die Entfernung von den Grundbedürfnissen bedeutet Entfremdung vom Menschsein

Das Ergebnis dürfte für viele ernüchternd ausfallen. Vor allem im Zuge der zunehmenden Verschulung des Kindergartens nimmt man den Kindern ihre Kindheit. Während die Orff-Instrumente auf den Regalen verstauben, gibt es nun Sprachförderung auf dem Tablet. Dabei ließe sich Sprachförderung mit Instrumenten doch viel sinnlicher und sinnvoller gestalten. Bewegung und Musik sind Urbedürfnisse des Menschen. Indem wir Kinder darin einschränken, entfernen wir sie von sich selbst und verwehren ihnen grundlegende Erfahrungen. Es bleibt also zu hoffen, dass die Entwicklungen und Studien im internationalen Bereich auch hierzulande Früchte tragen.

Quellen:

Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen/Staatsinstitut für Frühpädagogik München: Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zu Einschulung, 5. Auflage, Cornelsen, 2012

Großmann, Charlotte: Die Bedeutung von Musik für den Menschen – Musizieren als Grundbedürfnis, Hochschule Darmstadt, 2020

Kinder- und Jugendgesundheitsstudie Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) in Journal of Health Monitoring, Robert Koch Institut, 2024

Klatte, M. (2007). Gehirnentwicklung und frühkindliches Lernen. In: Brokmann-Nooren, Ch.; Gereke, I.; Kiper, H. & Renneberg, W. Bildung und Lernen für die Drei- bis Achtjährigen. S. 117-139. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Körner, Gernot: Bewegung bringt das Gehirn erst in Schwung – Warum körperliche Aktivität das Lernen fördert, spielen-und-lernene.online, 2023

Krenz, Armin: Musik ist Seelenproviant für Kinder – Ein Plädoyer für mehr Musik und Tanz in Kindertagesstätten, spielen-und-lernen.online, 2022

Gernot Körner




Wie Kinder das rhythmische Prinzip von Ruhe und Kraft erfahren

Tanzen

Drei Spielideen von Dr. Charmaine Liebertz für ein inneres Gleichgewicht

Ebenso wichtig wie Anspannung ist im Leben die Entspannung. Das rhythmische Prinzip von Ruhe und Kraft findet sich überall in unserem Alltag, sei es in der Musik, der Beobachtung von Naturphänomenen oder dem täglichen menschlichen Umgang. Kinder lernen hier spielend ein inneres Gleichgewicht kennen.

Chef-Vize

Die Kinder sitzen im Kreis, bestimmen einen Chef und einen Vize (Stellvertreter). Alle anderen Kinder zählen durch und merken sich ihre Zahl. Der Spielleiter erklärt nun die Firmenhierarchie: »Wir haben einen Chef, einen Vize und 20 Mitarbeiter. Die Mitarbeiter von 1 – 5 sind Topmanager, die Mitarbeiter von 6 – 15 gehören zum mittleren Management und die restlichen Mitarbeiter arbeiten im Versand oder als Putzkolonne. Aber keine Sorge, unser Unternehmen bietet große Aufstiegschancen: Von der Putzfrau zum Chef oder umgekehrt; das hängt nur von eurer Geschicklichkeit ab!« Nun führt der Spielleiter diesen Viererrhythmus vor:

  • Einmal mit beiden Handflächen auf die Oberschenkel schlagen,
  • einmal die Hände vor der Brust klatschen,
  • mit rechtem Daumen über die Schulter zeigen und dabei die
  • eigene Identität (Zahl, Chef oder Vize) nennen,
  • mit linkem Daumen über die Schulter zeigen und dabei die Person nennen (Zahl, Chef oder Vize), die das Spiel fortsetzen soll.

So geht es im rasanten Wechsel immer weiter: Jeder Genannte sagt erst seine Zahl (rechter Daumen über Schulter), nennt dann eine neue Zahl (linker Daumen über Schulter) und bestimmt somit den nächsten Mitspieler. Dabei sollten natürlich alle Mitspieler im Rhythmus bleiben. Wer einen Fehler (z. B. Stottern, Rhythmus nicht einhalten) macht, verlässt seinen Stuhl und setzt sich auf den letzten Platz der Firma. Alle anderen Mitspieler rücken bis zum frei gewordenen Stuhl nach und übernehmen die entsprechend neue Zahl. Und eh man sichs versieht, sitzt der Topmanager auf dem Putzfrauenstuhl!

  • Alter: 7 bis 99 Jahre
  • Zeit: 10 bis 20 Minuten
  • Sozialform: Gruppenspiel

Das Gewitter

Die Kinder sitzen im Stuhlkreis und schließen ihre Augen. Falls erforderlich, verbindet ihnen der Spielleiter die Augen. Nun erzählt er eine spannende Geschichte zum Wetterverlauf, der voller Sonne beginnt und mit einem heftigen Gewitter endet. Dabei werden seine Worte mit folgenden Geräuschen, die bei ihm starten und nacheinander von Kind zu Kind im Kreis weitergegeben werden, untermalt:

  1. Sonne ➟ Stille
  2. Nieselregen ➟ Hände fest aneinander reiben
  3. Kleine Regentropfen ➟ mit den Fingern schnippen
  4. Starker Regen ➟ fest in die Hände klatschen
  5. Prasselnder Regen ➟ mit den Händen auf die Oberschenkel schlagen
  6. Starkes Gewitter ➟ mit den Füßen trampeln

  • Alter: 4 bis 9 Jahre
  • Zeit: 10 Minuten
  • Sozialform: Gruppenspiel
  • Material: evtl. Augenbinde

Schiff ahoi!

Es ist nicht einfach, als großer Überseedampfer unbeschadet durch eine enge Einfahrt in den Hafen einzulaufen. Die Pfosten der Hafeneinfahrt spielen diesmal zwei Kinder, die sich ca. einen Meter entfernt gegenüberstehen. Viele solcher Paare stehen verteilt im Raum. Nun wird ein weiteres Kinderpaar für folgende Rollen ausgewählt: Ein Kind spielt mit verbundenen Augen den Überseedampfer, der jedoch, um unbeschadet in den Hafen einlaufen zu können, einen kleinen, erfahrenen Lotsen braucht.

Diesen spielt das zweite Kind, das den blinden Dampfer mit einem akustischen Signal (Klangschale, Klanghölzer, Triangel oder Pfeifzeichen) unbeschadet durch die Hafeneinfahrten, d. h. zwischen die Kinderpaare im Raum lotst.
Berührt der Dampfer dabei ein Kind, also die Kaimauer, so muss er ausscheiden. Nun versucht ein neues Dampfer-Lotse-Paar sein Glück.

  • Alter: 3 bis 8 Jahre
  • Zeit: 5 Minuten
  • Sozialform: Gruppenspiel
  • Material: 1 Augenbinde, 1 Klangsignal (z. B. zwei Klanghölzer oder Teelöffel, die sanft aneinander geschlagen werden)
kartei bewegung

Diese Spiele stammen aus folgender Spielekartei:

Die Spielekartei Bewegung und Rhythmus

Charmaine Liebertz
Burckhardthaus
ISBN: 9783944548203
14,95 €
Mehr unter: oberstebrink.de




Viele Schüler fühlen sich wohl, bewegen sich aber viel zu wenig

Freundschaft

HBSC-Studie: Nur jedes zehnte Mädchen und jeder fünfte Junge bewegen sich täglich mindestens 60 Minuten

Die HBSC-Studie ist eine internationale Studie an der 51 Länder beteiligt sind und die in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelt wurde. Alle vier Jahre werden repräsentative Umfragen an Schulen durchgeführt. Die aktuellen Daten für Deutschland hat ein Forschungsverbund unter Leitung der Technischen Universität München (TUM) und der Universitätsmedizin Halle erhoben.

Die Wissenschaftler:innen untersuchten Fragestellungen rund um die Themen körperliche Aktivität, Mobbing und Cybermobbing, psychisches Wohlbefinden, Gesundheitskompetenz und gesundheitliche Ungleichheiten. An der jüngsten Erhebung im Jahr 2022 beteiligten sich 6.475 Schüler:innen im Alter von elf bis 15 Jahren aus ganz Deutschland. Die Ergebnisse sind im Journal of Health Monitoring erschienen.

Ergebnisse aus der aktuellen Erhebung

Bewegung und Sport

  • Nur etwa jedes zehnte Mädchen, jeder fünfte Junge sowie jede:r achte der gender-diversen Heranwachsenden erfüllte die Empfehlung der WHO für tägliche Bewegung von mindestens 60 Minuten.
  • Je älter die Befragten waren, desto weniger bewegten sie sich. Während rund 15 Prozent der elfjährigen Mädchen die WHO-Bewegungsempfehlung erreichten, waren es bei den Fünfzehnjährigen nur knapp sieben Prozent.
  • Während die körperliche Aktivität von 2009 bis 2022 bei Jungen relativ stabil blieb, nahm diese bei Mädchen insgesamt leicht ab.

„Wie geht es mir?“: Subjektive Gesundheit und psychosomatische Beschwerden

  • 84 Prozent der Kinder und Jugendlichen berichteten nach Selbsteinschätzung einen guten eigenen Gesundheitszustand und 87 Prozent eine hohe Lebenszufriedenheit. Diese hat sich gegenüber der Erhebung 2017/18 zwar verschlechtert, im Vergleich zu den Erhebungen 2009/10 sowie 2013/14 ist die Lebenszufriedenheit jedoch gestiegen.
  • Es konnte ein kontinuierlicher Anstieg von vielfältigen psychosomatischen Beschwerden, wie beispielsweise Bauch- oder Kopfschmerzen, Einschlafproblemen oder Gereiztheit, zwischen 2010 und 2022 beobachtet werden.
  • Mädchen, gender-diverse Heranwachsende und ältere Jugendliche berichteten häufiger von einer schlechten Gesundheit, niedrigen Lebenszufriedenheit oder multiplen psychosomatischen Beschwerden.

Mobbing und Cybermobbing

  • Die Häufigkeit von Mobbing in der Schule hat sich seit 2017 kaum verändert, ist aber im Vergleich zu 2009 und 2013 geringer geworden. Allerdings ist der Anteil der von Cybermobbing betroffenen Schüler:innen im Vergleich zu 2017 von vier auf sieben Prozent angestiegen.
  • Über acht Prozent der Schüler:innen berichteten, in der Schule gemobbt zu werden. Etwa drei Prozent – und damit im Durchschnitt eine:r pro Klasse – gaben an, selbst zu mobben. Gender-diverse Schüler:innen sind besonders betroffen – hier berichtete fast jede:r Dritte von Mobbingerfahrungen.

Gesundheitskompetenz: Das Vermögen, mit Gesundheitsinformationen umzugehen

  • Für rund ein Viertel der Schüler:innen lässt sich eine geringe Gesundheitskompetenz ableiten.
  • Die Gesundheitskompetenz hängt stark von den individuellen Umständen wie Geschlecht, Alter, Schulform und familiärem Wohlstand ab.
  • Die Gesundheitskompetenz hat sich zwischen 2017/18 und 2022 kaum verändert.

Gesundheitliche Ungleichheit: Zusammenhang zwischen Gesundheit und Wohlstand oder Geschlecht

  • In Familien mit niedrigem Wohlstand geben 24 Prozent der weiblichen Heranwachsenden eine niedrige Lebenszufriedenheit an. Das ist doppelt so häufig wie bei Schülerinnen mit höherem sozioökonomischen Status. Bei männlichen Heranwachsenden mit niedrigem familiären Wohlstand geben 17 Prozent eine niedrige Lebenszufriedenheit an. Das ist dreimal so häufig wie bei Schülern mit höherem sozioökonomischen Status.
  • Im Vergleich zu 2018 sind die Anteile der Schüler:innen, die eine niedrige Lebenszufriedenheit angaben, leicht gestiegen.

„Der Grundstein für die Gesundheit im Erwachsenenalter wird in Kindheit und Jugend gelegt“, sagt Studienleiter Matthias Richter, Professor für Soziale Determinanten der Gesundheit an der TUM. „Unsere Zahlen zeigen leider, dass uns das als Gesellschaft nicht immer gut gelingt. Auch wenn die Kinder und Jugendlichen grundsätzlich zufrieden sind: Dass psychosomatische Beschwerden seit Jahren zunehmen und nur eine Minderheit sich ausreichend bewegt, kann schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Hier müssen mehr Angebote geschaffen werden, die junge Menschen auch tatsächlich erreichen.“

„Die Ergebnisse unterstreichen nochmals, dass nicht alle Kinder und Jugendlichen die gleichen Gesundheitschancen haben. Um Mobbing, gesundheitliche Ungleichheiten und die Häufigkeit psychosomatischer Beschwerden zu reduzieren, braucht es zielgruppenspezifische Maßnahmen, die beispielsweise Schulform, Migrationshintergrund, sozioökonomischen Status, Geschlecht und Alter besonders berücksichtigen. Mädchen, ältere und gender-diverse Heranwachsende sind in vielen Bereichen besonders betroffen“, erklärt Dr. Irene Moor von der Universitätsmedizin Halle. Als stellvertretende Studienleitung koordiniert sie das Vorhaben am halleschen Institut für Medizinische Soziologie.

Publikation:

Die Kinder- und Jugendgesundheitsstudie „Health Behaviour in School-aged Children“ (HBSC) der Weltgesundheitsorganisation – Nationale Survey-Ergebnisse 2022 und Trends
https://www.rki.de/jhealthmonit-2024




Hunde fördern die Bewegung auch bei Kindern

Australisches Forscherteam hat in einer Langzeitstudie die Effekte der Hundehaltung untersucht

Bewegung fördert die körperliche, psychische und soziale Gesundheit. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt für Kinder ab fünf Jahren 60 Minuten körperliche Aktivität pro Tag. Laut KiGGS Studie erreichen das in Deutschland nur etwa jedes vierte Mädchen und jeder dritte Junge in Deutschland diesen Wert, mit entsprechenden Folgen für die körperlich wie geistige Fitness.

Vor diesem Hintergrund sollten es sich viele Eltern noch einmal überlegen, ob sie den Wunsch ihres Kindes nach einem Hund nicht doch erfüllen sollten. Denn ein australisches Forscherteam hat in einer Langzeitstudie festgestellt, dass ein Hund im Haushalt dazu führt, dass sich Kinder mehr bewegen.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Kinder, die durchgängig einen Hund besaßen, öfter körperlich aktiv waren als Kinder ohne Hund. Mädchen mit Hund machten durchschnittlich acht körperliche Aktivitäten mehr pro Woche wie Spielen im Freien, Spazierengehen oder mit dem Hund spielen als Mädchen ohne Hund. Bei Jungen mit Hund waren das sieben mehr pro Woche. Schon vorher haben zahlreiche Studien belegt, dass Kinder, die mit Hunden aufwachsen, aktiver sind als jene ohne Hund.

Im Detail stellten die Wissenschaftler auch fest, das Mädchen, die sich einen Hund zulegen, ihre Bewegung um 52 Minuten pro Tag steigerten, und bei Verlust eines Hundes um 46,3 Minuten täglich verringerten.

Zusammenfassend erklären die Forscher, dass der Erwerb eines Hundes einen signifikant positiven Effekt hatten und der Verlust eines Hundes einen signifikant negativen Effekt auf die Veränderung des Bewegungsverhaltens kleiner Kinder beim Übergang von der Vorschule zur Vollzeitschule. Allerdings waren diese Effekte bei Jungen und Mädchen unterschiedlich und wurden nicht bei allen Bewegungsverhaltensweisen beobachtet. Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass die Vorteile der Hundehaltung bereits im Kindesalter beginnen. Weitere Längsschnittstudien seien erforderlich, um diese Ergebnisse zu bestätigen, und zukünftige Studien sollten den spezifischen Beitrag untersuchen, den der Hund durch körperliche Aktivität zur gesamten körperlichen Aktivität leistet.

Wichtig dabei wäre allerdings, dass das Kind sich auch um den Hund kümmert.

Quelle: https://ijbnpa.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12966-023-01544-9




Wer sich viel bewegt, denkt schneller und besser

Wissenschaftler weisen verstärkte Ausschüttung des Hormons Dopamin bei sportlichen Aktivitäten nach

Körperliche Anstrengungen sind nicht nur gut für die Gesundheit, sie verbessern auch die kognitiven Fähigkeiten. Das Gehirn denkt wegen des Dopamins schneller und besser. Das hat Sportwissenschaftler Joe Costello von der University of Portsmouth mit seinem Team herausgefunden.

Für kognitive Gesundheit

Der Neurotransmitter Dopamin, der gemeinhin als Glückshormon bezeichnet wird, spielt eine entscheidende Rolle. Das könnte zu einem neuen therapeutischen Weg für die kognitive Gesundheit führen, da Dopamin bei verschiedenen Erkrankungen, darunter Parkinson, Schizophrenie, ADHS, Sucht und Depression, entscheidenden Einfluss hat.

Dass Dopamin ausgeschüttet wird, wenn man sich körperlich anstrengt, haben die Forscher mit der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) nachgewiesen. Das ist ein bildgebendes Diagnoseverfahren. Dabei erhält der Patient ein Radiopharmaka, das meist in eine Armvene injiziert wird. Dieses Präparat verteilt sich über den Blutkreislauf im Körper. Es sendet Positronen aus, elektrisch positiv geladene Teilchen, den Gegenstücken zu Elektronen.

52 Männer im Versuchslabor

Positronen und Elektronen verschmelzen, nachdem erstere emittiert worden sind, im Bruchteil einer Sekunde. Dabei senden sie zwei Lichtteilchen (Photonen) aus, die eine PET-Kamera aufzeichnet. Aus vielen dieser Momentaufnahmen entsteht ein Bild des Kreislaufs, auf dem beispielsweise detailliert zu sehen ist, wie gut die Herzkranzgefäße durchblutet sind.

Um die Ausschüttung von Dopamin beim Training zu erkennen, haben die Forscher 52 männliche Probanden ausgewählt. Im ersten Test sollten sie kognitive Aufgaben im Ruhezustand und beim Radfahren im PET-Scanner ausführen. Die zweite Studie hat elektrische Muskelstimulation genutzt, um zu testen, ob erzwungene Muskelbewegungen die kognitive Leistung ebenfalls verbessern. Das letzte Experiment kombinierte echtes Training mit Muskelstimulation. Ergebnis: Die Gehirnleistung verbesserte sich nur bei „echtem“ Training.

Wolfgang Kempkens, pressetext.redaktion




Studie: Was Eltern von der Schule erwarten

Befragung der Universität Würzburg zur Ganztagsbetreuung im Grundschulalter

Familien wünschen sich eine bewegte Schule. Das ist eines der Ergebnisse einer Studie, die von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg durchgeführt wurde. Die Ergebnisse der Befragung sollen der Stadt Würzburg helfen, sich besser auf den kommenden Rechtsanspruch vorzubereiten. Etwas überraschend steht für die Familien das Lernen am Nachmittag nicht unangefochten an erster Stelle.

1.154 Eltern befragt

Es ist die erste bundesweite Kommunalstudie zu Erwartungen an die Ganztagsbetreuung im Grundschulalter. Insgesamt 1.154 Eltern gaben mittels Fragebogen Auskunft darüber, was ihnen an einer guten Ganztagesbetreuung wichtig ist. „Das ist eine sehr verlässliche Datengrundlage, wir haben alle strukturellen Stadtbereich abgebildet“, erläutert Studienleiter Professor Heinz Reinders vom Lehrstuhl Empirische Bildungsforschung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) die Vorgehensweise der Studie.

Er betont: „Die Ergebnisse helfen bei der inhaltlichen Planung der Angebote. Es geht nicht nur einfach um die Anzahl notwendiger Plätze, sondern was sich die Familien an qualitativen pädagogischen Angeboten wünschen.“ Ein besonderer Clou der Untersuchung ist, dass nicht nur Eltern befragt wurden, die aktuell ein Kind in der Primarstufe haben, sondern auch jene Eltern, die bei Einführung des Rechtsanspruchs im Jahr 2026 eines ihrer Kinder an einer Grundschule in Würzburg haben werden.

Sport und Bewegung ist Eltern wichtig

Von den Ergebnissen zeigten sich diee Wissenschaftler zum Teil überrascht: „Häufig hören wir, das Erledigen von Hausaufgaben sei den Eltern mit Abstand besonders wichtig“, beschreibt Reinders. „Tatsächlich gibt es da aber keinen großen Abstand. Den Eltern ist Sport und Bewegung als Angebot in der Nachmittagsbetreuung ebenso wichtig wie das Büffeln für die Schule.“ Beide Angebote liegen in der Erwartungsgunst der Eltern gleichauf, so dass sich hier laut Reinders klare Hinweise für ein pädagogisch vielfältiges Angebot ergeben.

„Familien sehen Ganztagsbetreuung längst nicht mehr nur als reine Aufbewahrung mit Mittagessen und Hausaufgabenzeit. Sie möchten, dass ihre Kinder in der Zeit außerhalb der Familie ein anregungsreiches Umfeld erleben dürfen.“ Dazu gehören neben Sport und Bewegung auch musisch-kreative Angebote; auch wenn diese nicht ganz so häufig gewünscht würden. In Zahlen liest sich das so: 66 Prozent der Eltern erachten Sport und Bewegung als sehr wichtig. Ebenso viele betonen die Bedeutung der Hausaufgabenzeit. 54 Prozent können sich zudem musisch-kreative Anregungen für ihre Kinder gut als Bestandteil der Nachmittagsbetreuung vorstellen.

Höherer Stellenwert durch Corona?

Dass Eltern nicht nur Zeit zum Büffeln wollen, hatten die Würzburger Forschenden durchaus erwartet. Ein so klares Votum für zum Beispiel Sportangebote habe Reinders dann doch überrascht: „Wir erklären uns das mit der Corona-Erfahrung, als die Kinder viel zu Hause waren und wenig Bewegung hatten – das wird die Eltern geprägt haben.“

Hinzu komme, so Reinders, dass viele Familien berufstätig sind und es nicht immer schaffen, ihre Kinder im Vereinssport unterzubringen: „Da bieten sich Kooperationen zwischen Vereinen und Ganztagsangeboten an“, weiß Reinders, der im Ehrenamt selbst als Vereinsvorsitzender eine solche Kooperation initiiert hat. Gemeinsam mit der Grundschule Heuchelhof, seinem Lehrstuhl und dem Sportverein am Heuchelhof wurde vor zwei Jahren eine Gruppe im offenen Ganztag (OGS) mit Bewegungsschwerpunkt für Mädchen gegründet.

Erfolgsmodell Sport-OGS

„In jedem Schuljahr können 20 Mädchen das Angebot nutzen, bei dem an jedem Nachmittag ein anderes Sportangebot durch erfahrene Trainerinnen gemacht wird“, erläutert der Fußballtrainer das Konzept. Mittlerweile sei die Warteliste allein am Heuchelhof auf 30 Mädchen angestiegen und andere OGS-Standorte seien ebenfalls an dem Modell interessiert, so dass das Angebot durchaus erweitert werden müsse. „In dem Konzept steckt sehr viel Potenzial und offensichtlich wünschen es sich die Würzburger Familien laut unserer Studie mehrheitlich“, ist sich der Bildungsforscher sicher.

Nachzulesen sind die detaillierten Resultate in der soeben erschienen Veröffentlichung in der Schriftenreihe des Lehrstuhls. Praktisch genutzt werden sollen die Ergebnisse von der Stadt Würzburg und ihren zuständigen Stellen, die bis 2026 die schrittweise Versorgung mit Ganztagsplätzen für Grundschulkinder zu bewerkstelligen haben. Damit werden die Studienergebnisse wertvolle Hinweise dafür liefern, wie diese Ganztagesbetreuung auch nach den Wünschen der Familien pädagogisch wertvoll gestaltet werden können.

Die Studie des Lehrstuhls für Empirische Bildungsforschung mit dem Titel „Eltern-Erwartungen zur ganztägigen Betreuung im Grundschulalter“ können Sie hier einsehen.




Die Natur als Entwicklungsraum für Kinder

kinder baum

Elementarpädagogische Grundsätze auf den Punkt gebracht

Wer mit Kindern in der Natur unterwegs ist und dabei mit allen Sinnen wahrnimmt, welche selbstbestimmten Tätigkeiten Kinder genussvoll ausführen, wird kaum in der Lage sein, alle Beobachtungsmöglichkeiten zu registrieren und in einem Protokoll festhalten zu können.

Auf der einen Seite sind Kinder pausenlos in Bewegung:

Sie klettern über umgefallene Baumstämme oder versuchen, sich an tiefer hängenden Ästen anzuhängen; sie umarmen Bäume und sind gespannt, ob sich ihre Hände berühren oder ob der Stamm einen größeren Umfang hat, so dass sie ein anderen Kind bitten, hinzuzukommen und vielleicht vier Armlängen das gesetzte Ziel erreichen; sie springen über niedrige Waldpflanzen oder in Restpfützen, die noch vom vergangenen Regen als kleine Wasserstellen übriggeblieben sind oder sammeln Äste, um sich daraus eine kleine Höhle zu bauen; sie tragen losgelöste Baumrindenstücke zusammen, um ihre Höhle mit einem Dach regensicher zu machen, sammeln Moos, um die Astwände damit abzudichten oder ziehen mit einem Stock Linien auf dem Boden, um anschließend auf ihrer ›Straße‹ entlangzulaufen.

Dann gibt es wiederum Kinder, die sich auf eine Baumwurzel gesetzt haben und in tiefer Entspannung immer wieder ihre Blicke schweifen lassen; Kinder, die von Baum zu Baum gehen und dabei mit ihren Händen oder ihren Fingerspitzen die Baumrinden erfühlen – vielleicht, um den Baum zu streicheln oder die Oberflächen zu ertasten: nur sie werden wissen, was hinter ihren taktilen Aktivitäten steckt.

Andere Kinder hocken auf dem Waldboden und beobachten einen Käfer, der sich mühsam durch das niedergefallene Blattwerk kämpft und wiederum andere Kinder suchen einen Vogel, der in irgendeinem Baumwipfel hockt und mit seinem lauten Gesang auf sich aufmerksam macht. Und einige Kinder gehen von einem Sonnenstrahl zum anderen, der sich durch die Baumwipfel bis hinunter auf den Waldboden hindurchgeschoben hat.

Um es mit einem Satz zu sagen: Der Wald scheint ein ›Forschungslabor‹ erster Güte zu sein, voller Geheimnisse, angereichert mit unzähligen Möglichkeiten, einem eigenen Interesse nachzugehen und sich mit selbstgestellten Herausforderungen zu beschäftigen, bei dem Zeit und Raum unbegrenzt zu sein scheinen. Hier kommen Bewegungsmöglichkeiten und Ruhezeiten zum Ausdruck, Staunen und Bewundern, Neugierde und der Versuch, Antworten auf Fragen zu finden, die für Kinder einen hohen, aktuellen Bedeutungswert haben.

Alle Kinder scheinen ganz intensiv mit ihren Tätigkeiten beschäftigt

– ja, regelrecht gefangen – zu sein.

Fast könnte man annehmen, dass der Wald eine hypnotisierende Wirkung auf Kinder ausübt: und das alles ohne Anleitung, ohne ›Lernvorgaben‹, ohne Impulshinweise und ohne vorgegebene Materialien. Die Natur kommt offenbar für Kinder einem ›Entwicklungszauber‹ gleich, der sich von den üblichen Beschäftigungstätigkeiten in einer Kindertagesstätte deutlich unterscheidet. Hier werden Kindern keine didaktisierten, schulvorgezogene und fremdbestimmte Angebote vorgegeben, hier gibt es reichlich Platz, um in vielfältiger Weise eigenen Bewegungsbedürfnissen nachgehen zu können und hier gibt es keine künstlich hergestellten Materialien, die in den allermeisten Fällen jegliche sinnliche Erfahrungen aussperren.

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Armin Krenz
Elementarpädagogische Grundsätze auf den Punkt gebracht

20 PowerPoint Präsentationen als Grundlage für Teambesprechungen, Fortbildungsveranstaltungen, Fachberatungen
336 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 978-3-96304-613-1
Burckhardthaus
29,95 [D], 30,80 [A]

Kinder begreifen sich als Teil der Natur.

Sie stellen Querverbindungen zwischen sich und ihren Naturerfahrungen her und kommen von sich aus auf immer neue Fragen:

  • »Warum hat der eine Baum so viele Blätter und der andere Baum fast keine Blätter mehr?«
  • »Wie findet denn der Käfer in diesem großen Wald nach Hause – hier gibt es doch keine Straßen und keine Hinweisschilder …?«
  • »Warum liegt das Vogelnest auf dem Boden – wer hat es wohl aus der Baumkrone geworfen?«
  • »Woher wissen denn die Schnecken, welche Pilze essbar und welche giftig sind?«
  • »Hier kamen die früheren Dinosaurier aber nicht durch den Wald – da- für stehen die Bäume viel zu eng nebeneinander: oder?« …

Fragen über Fragen, die die Kinder in den Raum werfen und voller Spannung darauf warten, dass Kindheitspädagog:innen gemeinsam mit ihnen auf die spannende Suche nach einer Antwort gehen. Doch auch dabei bleibt es nicht. Urplötzlich entstehen Spielhandlungen, indem Kinder zueinanderfinden und gemeinsame Vorhaben absprechen. Schaut man diesen Kindern dabei zu und versucht festzustellen, welche Entwicklungsbereiche involviert sind, fällt es nicht schwer, alle neun Entwicklungsbereiche nahezu gleichzeitig zu identifizieren – im Unterschied zu den so genannten Teilleistungsförderbereichen, die in üblicher Weise zum Angebotskanon in Kindertagesstätten gehören und, sofern sie alltagsfremd angeboten werden, kaum bis keine Nachhaltigkeit besitzen:

Es gibt keinen anderen, besser geeigneten Ort für den Auf- und Ausbau von Wahrnehmungskompetenzen und selbstbestimmte, intrinsisch motivierte Handlungs- und Erfahrungsaktivitäten als die Natur, zumal die Hirnforschung gezeigt hat, dass, je reichhaltiger und vielfältiger sowie interessanter die Sinneserfahrungen sind, desto umfangreicher entwickeln sich im Gehirn die abgespeicherten Muster, durch die die Kinder wiederum ihre Handlungskompetenzen und ihre Erfahrungswerte speichern und für zukünftige Tätigkeiten zur Verfügung haben. Diese Form des Lernens wird in der Lernpsychologie ›concomitant learning‹ genannt: ein ›Lernen nebenbei‹ (= Bemerken – Fixieren – Verweilen – Erleben – Speichern). Natürlich darf zum Schluss dieser Einführung nicht der schon fast überflüssige Hinweis fehlen, dass eine reichhaltige Naturerfahrung auch der Gesundheit dient!

Hier die PowerPoint Präsentation zum Artikel, zum kostenlosen Download

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz, Honorarprofessor i.R.,
Wissenschaftsdozent für Elementarpädagogik und Entwicklungspsychologie




Warum sich unsere Kinder viel zu wenig bewegen

Trotz ausgeprägtem Bewegungsdrang bewegen sich unsere Kinder immer weniger

In der Kindheit ist der natürliche Bewegungsdrang am stärksten ausgeprägt. Aber die Kinder unserer Informationsgesellschaft bewegen sich heute nur noch halb so viel wie vor 30 Jahren! Und zwar nicht etwa weil ihr Bewegungswunsch nachgelassen hätte, sondern weil wir nachlässig mit diesem ihrem existentiellen Bedürfnis umgehen. Unsere Umwelt bietet den Kindern immer weniger Freiräume, in denen sie ungestört und ungestraft nach Herzenslust toben und matschen, ihre Kräfte messen, ihre Grenzen spüren, ihre Fein- und Grobmotorik entwickeln und sich spontan auf neue Menschen zu bewegen können.

Vor allem in Großstädten ist der Erfahrungs- und Bewegungsraum von Kindern Mangelware geworden.

Auf den wenigen freien Grundstücken, wo Kinder noch etwas entdecken und erkunden könnten, machen sich zunehmend Büro- und Gewerbegebiete breit. Und die oftmals unattraktiven Spielplätze können Großstadtkinder nur unter großen Gefahren allein aufsuchen. Sie sind auf Erwachsene angewiesen, um Spielplätze sicher zu erreichen und dort geschützt zu spielen. Und wann sie ihren Spiel- und Bewegungsdrang ausleben können, hängt zunehmend vom Zeitplan der Eltern ab.

Die Folge ist, dass immer mehr Kinder zum „Spiel-doch-was-in-deinem-Zimmer“ verdonnert werden.

Aber auch hier sieht es in punkto Bewegungsfreiraum nicht rosig aus: Große Wohnungen sind teuer, kleine Wohnungen oft ungünstig geschnitten, das Kinderzimmer ist eng und vollgestellt, das Elternschlafzimmer dagegen hell und geräumig. Und wenn das Kind auf dem wenigen verbliebenen Platz im Zimmer mal freudig mit dem Seilchen hüpft, dann folgt bald die Ermahnung: „Denk an die Nachbarn!“ Kinder, die viel drinnen spielen, sind in ihrer sozialen Entwicklung benachteiligt. Sie können keine spontanen Bekanntschaften machen oder eigenständig neue Freundschaften schließen. Stattdessen müssen Spielkameraden nach Hause bestellt werden.

Aber nicht nur im Elternhaus, auch in Kindergärten und Schulen ist wenig Platz für Bewegung.

Die Außenflächen sind klein, oftmals zubetoniert, die Gruppen- und Klassenräume beengt. Viele Pädagogen begegnen dem natürlichen Bewegungsdrang der Kinder mit Disziplinregeln. Aber dies kann nicht die Lösung sein, denn Bewegungsmangel ist folgenreich!

Immer mehr Kinder fallen durch Haltungsschwäche, Übergewicht und Konditionsschwäche auf.

Einverstanden, wir wollen keine Generation von Spitzensportlern ausbilden, aber rückwärts oder auf einer Linie laufen, das sollten unsere Kinder schon noch können! Warum? Weil dies Ausdruck eines gut entwickelten Gleichgewichtssinns ist. Ohne ihn wären wir nicht in der Lage, aufrecht zu gehen, uns im Raum zu orientieren und unsere innere Balance zu finden. Wir gerieten aus dem Lot!

Bewegungsmangel schürt auch Aggressionen.

Die Gewalttätigkeiten nehmen unter Kindern stetig zu. Kein Wunder, in engen Kinderzimmern und Gruppenräumen staut sich die natürliche Bewegungsenergie. Geballt und unkontrolliert bricht sie aus: Bei Konflikten wird nicht mehr lange gefackelt, man schlägt einfach zu! Aus nervösen Zappelphilippen werden dann kleine ‚Rambos‘, die um jeden Preis ihre angestauten Kräfte messen wollen.

Kinder brauchen eine bewegte Kindheit.

Sie brauchen ausreichend Freiraum, um vielfältige Primärerfahrungen zu sammeln. Ihre gesunde ganzheitliche Entwicklung hängt davon ab, wie viel Körpererfahrungen sie machen. Denn schließlich trainiert Bewegung nicht nur die Muskulatur, sondern auch Geist und Psyche! Sie vermittelt Raum- und Zeiterfahrungen, die für die intellektuelle Entwicklung bedeutsam sind. In der Bewegung lernen Kinder, ihren Körper im Raum und innerhalb der Gruppe zu koordinieren, sich selbst und andere einzuschätzen. Alle Kinder machen durch Bewegung ihre ersten Erfahrungen mit sich und ihrem Lebensraum. Sie greifen nach ihren Fingern und Füßen und nach den ersten Gegenständen, krabbeln vor- und rückwärts, bis sie gehen, hüpfen und laufen können. Schritt für Schritt erschließen sie sich Raum und Zeit, Chancen und Grenzen, die verlockende Welt des Neuen, des Lernens.

Kinder brauchen also zu Hause, im Kindergarten und in der Schule viel Platz und Zeit für Bewegung! Denn Bewegung ist Leben, ist das Tor zur Welt des Lernens. Bewegung ist ein wesentlicher Bestandteil zur ganzheitlichen Entwicklungsförderung!

Bewegung bedeutet:

  • Überschüssige Energie abbauen
  • Sauerstoff tanken
  • Mit sich und anderen ins Gleichgewicht kommen
  • Raum und Lage erfahren
  • Aggressionen abbauen

Spiele für mehr Bewegung:

 Die kleinen Springteufel

Welches Kind spielt nicht gerne den kleinen ‚Springteufel‘, der auf Kommando in die Höhe schnellt? Zunächst machen sich die Kinder auf ihrem Stuhl ganz klein, so als säßen sie in einem ‚Spielkästchen‘, das heißt, sie ziehen die Beine an, runden den Rücken ab, beugen den Kopf nach unten und sind ganz still. Wenn sie das vereinbarte Signal – z. B. einen Buchstaben, eine Zahl, ein Wort oder Geräusch – hören, schnellen sie mit erhobenen Armen hoch und strecken und dehnen ganz genüsslich ihren Körper. Dann nehmen sie wieder ihre Ausgangsposition ein.

Tipp

Es können auch mehrere Kinder eine kleine ‚Springteufel-Gruppe‘ bilden, indem sie sich zunächst an den Händen festhalten und dann auf Signal gemeinsam die Arme hochstrecken.

Alter: ab 3 bis 6 Jahre, Sozialform: Einzelspiel, Material: Stühle

Die Raum-Roboter kommen!

Jeweils drei Kinder bilden eine Gruppe. Zwei Kinder, die zu Robotern erklärt werden, stellen sich Rücken an Rücken. Aufgabe des dritten Kindes ist es, die beiden Roboter durch den Raum zu dirigieren, indem es die Schultern der Roboter antippt. Berührt es die rechte Schulter eines Roboters so bewegt er sich rechts gehend durch den Raum und zwar solange bis er ein weiteres Tastsignal erhält. Wird er an der linken Schulter berührt, so geht er links herum durch den Raum. Werden beide Schultern gleichzeitig angetippt, so geht der Roboter geradeaus. Ein leichtes Antippen des Kopfes bedeutet: Stop, bitte stehen bleiben.

Ziel des Spieles ist es, beide Roboter so durch den Raum zu steuern, dass sie sich irgendwann gegenüber stehen und sich freundlich mit Handschlag begrüßen. Nun kann ein Rollentausch erfolgen.

Tipp

Nutzen Sie die Freude der Kinder, Roboter nachzuahmen. Denn bei diesem Spiel sammeln sie wertvolle Raum-Zeit-Erfahrungen.

Alter: ab 5 bis 10 Jahre, Sozialform: Gruppenspiel

Diesen Artikel haben wir aus dem Buch von Dr. Charmaine Liebertz mit dem Titel „Spiele zum ganzheitlichen Lernen“ entnommen. Das Buch ist bei Burckhardthaus-Laetare erschienen.

spiele lernen

Charmaine Liebertz
Spiele zum ganzheitlichen Lernen
Bewegung, Wahrnehmung, Konzentration, Entspannung und Rhythmik in der Kindergruppe

Broschur, 96 Seiten
ISBN: 9783944548166
14,95 €
Mehr dazu auf www.oberstebrink.de