Warum sich unsere Kinder viel zu wenig bewegen

Trotz ausgeprägtem Bewegungsdrang bewegen sich unsere Kinder immer weniger

In der Kindheit ist der natürliche Bewegungsdrang am stärksten ausgeprägt. Aber die Kinder unserer Informationsgesellschaft bewegen sich heute nur noch halb so viel wie vor 30 Jahren! Und zwar nicht etwa weil ihr Bewegungswunsch nachgelassen hätte, sondern weil wir nachlässig mit diesem ihrem existentiellen Bedürfnis umgehen. Unsere Umwelt bietet den Kindern immer weniger Freiräume, in denen sie ungestört und ungestraft nach Herzenslust toben und matschen, ihre Kräfte messen, ihre Grenzen spüren, ihre Fein- und Grobmotorik entwickeln und sich spontan auf neue Menschen zu bewegen können.

Vor allem in Großstädten ist der Erfahrungs- und Bewegungsraum von Kindern Mangelware geworden.

Auf den wenigen freien Grundstücken, wo Kinder noch etwas entdecken und erkunden könnten, machen sich zunehmend Büro- und Gewerbegebiete breit. Und die oftmals unattraktiven Spielplätze können Großstadtkinder nur unter großen Gefahren allein aufsuchen. Sie sind auf Erwachsene angewiesen, um Spielplätze sicher zu erreichen und dort geschützt zu spielen. Und wann sie ihren Spiel- und Bewegungsdrang ausleben können, hängt zunehmend vom Zeitplan der Eltern ab.

Die Folge ist, dass immer mehr Kinder zum „Spiel-doch-was-in-deinem-Zimmer“ verdonnert werden.

Aber auch hier sieht es in punkto Bewegungsfreiraum nicht rosig aus: Große Wohnungen sind teuer, kleine Wohnungen oft ungünstig geschnitten, das Kinderzimmer ist eng und vollgestellt, das Elternschlafzimmer dagegen hell und geräumig. Und wenn das Kind auf dem wenigen verbliebenen Platz im Zimmer mal freudig mit dem Seilchen hüpft, dann folgt bald die Ermahnung: „Denk an die Nachbarn!“ Kinder, die viel drinnen spielen, sind in ihrer sozialen Entwicklung benachteiligt. Sie können keine spontanen Bekanntschaften machen oder eigenständig neue Freundschaften schließen. Stattdessen müssen Spielkameraden nach Hause bestellt werden.

Aber nicht nur im Elternhaus, auch in Kindergärten und Schulen ist wenig Platz für Bewegung.

Die Außenflächen sind klein, oftmals zubetoniert, die Gruppen- und Klassenräume beengt. Viele Pädagogen begegnen dem natürlichen Bewegungsdrang der Kinder mit Disziplinregeln. Aber dies kann nicht die Lösung sein, denn Bewegungsmangel ist folgenreich!

Immer mehr Kinder fallen durch Haltungsschwäche, Übergewicht und Konditionsschwäche auf.

Einverstanden, wir wollen keine Generation von Spitzensportlern ausbilden, aber rückwärts oder auf einer Linie laufen, das sollten unsere Kinder schon noch können! Warum? Weil dies Ausdruck eines gut entwickelten Gleichgewichtssinns ist. Ohne ihn wären wir nicht in der Lage, aufrecht zu gehen, uns im Raum zu orientieren und unsere innere Balance zu finden. Wir gerieten aus dem Lot!

Bewegungsmangel schürt auch Aggressionen.

Die Gewalttätigkeiten nehmen unter Kindern stetig zu. Kein Wunder, in engen Kinderzimmern und Gruppenräumen staut sich die natürliche Bewegungsenergie. Geballt und unkontrolliert bricht sie aus: Bei Konflikten wird nicht mehr lange gefackelt, man schlägt einfach zu! Aus nervösen Zappelphilippen werden dann kleine ‚Rambos‘, die um jeden Preis ihre angestauten Kräfte messen wollen.

Kinder brauchen eine bewegte Kindheit.

Sie brauchen ausreichend Freiraum, um vielfältige Primärerfahrungen zu sammeln. Ihre gesunde ganzheitliche Entwicklung hängt davon ab, wie viel Körpererfahrungen sie machen. Denn schließlich trainiert Bewegung nicht nur die Muskulatur, sondern auch Geist und Psyche! Sie vermittelt Raum- und Zeiterfahrungen, die für die intellektuelle Entwicklung bedeutsam sind. In der Bewegung lernen Kinder, ihren Körper im Raum und innerhalb der Gruppe zu koordinieren, sich selbst und andere einzuschätzen. Alle Kinder machen durch Bewegung ihre ersten Erfahrungen mit sich und ihrem Lebensraum. Sie greifen nach ihren Fingern und Füßen und nach den ersten Gegenständen, krabbeln vor- und rückwärts, bis sie gehen, hüpfen und laufen können. Schritt für Schritt erschließen sie sich Raum und Zeit, Chancen und Grenzen, die verlockende Welt des Neuen, des Lernens.

Kinder brauchen also zu Hause, im Kindergarten und in der Schule viel Platz und Zeit für Bewegung! Denn Bewegung ist Leben, ist das Tor zur Welt des Lernens. Bewegung ist ein wesentlicher Bestandteil zur ganzheitlichen Entwicklungsförderung!

Bewegung bedeutet:

  • Überschüssige Energie abbauen
  • Sauerstoff tanken
  • Mit sich und anderen ins Gleichgewicht kommen
  • Raum und Lage erfahren
  • Aggressionen abbauen

Spiele für mehr Bewegung:

 Die kleinen Springteufel

Welches Kind spielt nicht gerne den kleinen ‚Springteufel‘, der auf Kommando in die Höhe schnellt? Zunächst machen sich die Kinder auf ihrem Stuhl ganz klein, so als säßen sie in einem ‚Spielkästchen‘, das heißt, sie ziehen die Beine an, runden den Rücken ab, beugen den Kopf nach unten und sind ganz still. Wenn sie das vereinbarte Signal – z. B. einen Buchstaben, eine Zahl, ein Wort oder Geräusch – hören, schnellen sie mit erhobenen Armen hoch und strecken und dehnen ganz genüsslich ihren Körper. Dann nehmen sie wieder ihre Ausgangsposition ein.

Tipp

Es können auch mehrere Kinder eine kleine ‚Springteufel-Gruppe‘ bilden, indem sie sich zunächst an den Händen festhalten und dann auf Signal gemeinsam die Arme hochstrecken.

Alter: ab 3 bis 6 Jahre, Sozialform: Einzelspiel, Material: Stühle

Die Raum-Roboter kommen!

Jeweils drei Kinder bilden eine Gruppe. Zwei Kinder, die zu Robotern erklärt werden, stellen sich Rücken an Rücken. Aufgabe des dritten Kindes ist es, die beiden Roboter durch den Raum zu dirigieren, indem es die Schultern der Roboter antippt. Berührt es die rechte Schulter eines Roboters so bewegt er sich rechts gehend durch den Raum und zwar solange bis er ein weiteres Tastsignal erhält. Wird er an der linken Schulter berührt, so geht er links herum durch den Raum. Werden beide Schultern gleichzeitig angetippt, so geht der Roboter geradeaus. Ein leichtes Antippen des Kopfes bedeutet: Stop, bitte stehen bleiben.

Ziel des Spieles ist es, beide Roboter so durch den Raum zu steuern, dass sie sich irgendwann gegenüber stehen und sich freundlich mit Handschlag begrüßen. Nun kann ein Rollentausch erfolgen.

Tipp

Nutzen Sie die Freude der Kinder, Roboter nachzuahmen. Denn bei diesem Spiel sammeln sie wertvolle Raum-Zeit-Erfahrungen.

Alter: ab 5 bis 10 Jahre, Sozialform: Gruppenspiel

Diesen Artikel haben wir aus dem Buch von Dr. Charmaine Liebertz mit dem Titel „Spiele zum ganzheitlichen Lernen“ entnommen. Das Buch ist bei Burckhardthaus-Laetare erschienen.

spiele lernen

Charmaine Liebertz
Spiele zum ganzheitlichen Lernen
Bewegung, Wahrnehmung, Konzentration, Entspannung und Rhythmik in der Kindergruppe

Broschur, 96 Seiten
ISBN: 9783944548166
14,95 €
Mehr dazu auf www.oberstebrink.de




Foto des Jahres: Kinder suchen Zuflucht zu Büchern

UNICEF kürt zum 23. Mal die Fotos des Jahres – Von Kindern uns ihrer Sehnsucht

Das UNICEF-Foto des Jahres 2022 hält einen seltenen Moment von Ruhe und Glück inmitten des Konflikts im Norden Äthiopiens fest. In der zerstörten Bibliothek einer Grundschule in der äthiopischen Region Tigray vertiefen sich ein Mädchen und ein Junge in Bücher. Das diesjährige Siegerbild des argentinischen Fotografen Eduardo Soteras zeigt, was die Kinder von Tigray mit den Kindern auf der ganzen Welt teilen: das Bedürfnis, sich friedlich und neugierig mit etwas beschäftigen zu dürfen, das ihnen Freude bereitet.

Mit dem zweiten Preis wird ein Foto des amerikanischen Fotografen Ron Haviv aus einem Souterrain in Kiew (Ukraine) ausgezeichnet. Eine Gruppe von Kindern, die dort vor den Angriffen Zuflucht gesucht hat, blickt aufmerksam auf ein Kinderbuch, das ihnen gezeigt wird. Der deutsche Fotograf Daniel Pilar erhält den dritten Preis. Seine Reportage begleitet Schülerinnen in einer heimlichen Mädchenschule in der afghanischen Hauptstadt Kabul. 

„Der Wunsch, Neues zu entdecken und zu lernen, ist bei Kindern oft so groß, dass er sie die Bedrohlichkeit einer Situation vergessen lässt. Das ist die Botschaft des UNICEF-Foto des Jahres 2022“, sagte UNICEF-Schirmherrin Elke Büdenbender bei der Preisverleihung in Berlin. „Das Siegerbild fordert uns auf, alles zu tun, damit Kinder auch unter den widrigsten Umständen spielen und lernen können. Denn nur so können sie sich ihre Hoffnung und Zuversicht in Zeiten des Krieges und anderer Krisen erhalten.“

„Der Hunger nach Wissen und Bildung ist das verbindende Element der prämierten Bilder in diesem Jahr“, sagt Peter-Matthias Gaede, Mitglied der Jury und des Deutschen Komitees für UNICEF. „Gerade in Konfliktgebieten und Krisenländern sind Schulen und psychosoziale Hilfsangebote Orte der Hoffnung, die die Kinder stabilisieren und ihnen Kraft geben.“

„Die Siegerbilder zeigen das Positive im gegenwärtigen Chaos der Welt“, erklärte Prof. Klaus Honnef, Vorsitzender der Jury. „Die Kinder auf diesen Fotos symbolisieren die Kraft und den Willen durchzuhalten und weiter nach einer besseren Zukunft zu streben.“

Das Siegerbild: Äthiopiens Kinder im Krieg

Der argentinische Fotograf Eduardo Soteras dokumentiert seit 2020 besonders die Situation der Kinder im Norden Äthiopiens. Dabei fotografiert er solch rare Augenblicke wie jene des Siegerbildes: In der zerstörten Bibliothek einer Grundschule in der äthiopischen Region Tigray vertiefen sich zwei Kinder in Bücher. Das Lächeln in ihren Gesichtern verrät einen Moment des Glücks. Es ist ein seltener Moment umgeben von Zerstörung und Gewalt.

In Folge des Konflikts im Norden Äthiopiens braucht die Zivilbevölkerung dringend humanitäre Hilfe. Die Mehrheit der rund 5,2 Millionen Menschen in der Region Tigray hat unter Gewalt und Vertreibung, Unterernährung und Trinkwassermangel gelitten. Viele Gesundheitseinrichtungen und Schulen wurden zerstört.

Der zweite Preis: „Einst hatte ich ein Zuhause“

Eine Lehrerin liest einer Gruppe von Mädchen und Jungen in einem Souterrain der ukrainischen Hauptstadt Kiew Geschichten vor. Vielleicht ist es ein spannendes Märchen, das sich in den Augen der Kinder spiegelt. Aber ebenso könnten es all die von den Erfahrungen der Kinder ausgelösten Emotionen sein, die sich hier zeigen: von Angst bis Erschrecken bis Fassungslosigkeit.

In seiner Reportage zeigt der US-amerikanische Fotograf Ron Haviv Bilder von Abschied und Flucht, von verlassenen Kinderwagen, von zerstörten Brücken und zerschossenen Wohngebäuden. Und von Kellern und Metrostationen, in denen Kinder geboren werden. In denen sie spielen. Und in denen sie lernen.

Millionen Ukrainerinnen mit ihren Kindern sind innerhalb des Landes auf der Flucht oder suchen in den Nachbarländern Schutz. Fast 1000 Schulen waren, Stand November 2022, beschädigt, fast 130 komplett zerstört – mindestens 400 Kinder hatten durch Artilleriebeschuss ihr Leben verloren, 800 ihre körperliche Unversehrtheit.

Der dritte Preis: Die versteckte Mädchenschule

Die Reportage des deutschen Fotografen Daniel Pilar erzählt von einer heimlichen Mädchenschule im afghanischen Kabul. Er hat sie in einem behelfsmäßig hergerichteten Gebäude am Rande der Hauptstadt entdeckt, verborgen in einem Hinterhof. Hier unterrichtet eine junge mutige Lehrerin auch Mädchen der 7. und 8. Klasse. Und hier zeigt sich, dass deren Bildungshunger stärker ist als jedes Verbot. So anonym wie die Lehrerin müssen allerdings auch die Eltern bleiben, die ihre Töchter auf solche Schulen schicken.

Seit die Taliban im August 2021 erneut die Macht in Afghanistan übernommen haben, ist Mädchen der Besuch weiterführender Schulen wieder verboten. Mehr als einer Million Mädchen werden hierdurch Bildungschancen verweigert – während das Risiko von Ausbeutung, Missbrauch und früher Verheiratung steigt. Solidarität mit den Mädchen regt sich im Verborgenen, wie die versteckte Mädchenschule zeigt.

Sieben weitere Reportagen hob die Jury mit ehrenvollen Erwähnungen hervor:

  • Agoes Rudianto, Indonesien, Reportage:  Wie Rifki seine Armut versilbert (Indonesien)
  • Amnon Gutman, Rumänien, Reportage: Rette sich, wer kann (Ukraine)
  • Fabio Bucciarelli, Italien, Reportage: Toxischer Stress (Ukraine)
  • Federico Rios Escobar, Kolumbien, Reportage: Der harte Marsch zu einem ungewissen Ziel (Kolumbien)
  • Irina Werning, Argentinien, Reportage: „Das Versprechen“ (Argentinien)
  • Mads Nissen, Dänemark, Reportage: Der hohe Preis für einen Frieden, der keiner ist (Afghanistan)
  • Shayan Hajinajaf, Iran, Reportage: „Die zwei Flügel eines Schmetterlings“ (Iran)

Eine Ausstellung mit allen prämierten Arbeiten ist bis Mitte Januar im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin zu sehen. Anschließend werden die Fotoreportagen vom Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V. ausgestellt und sind ab dem 18. Januar 2023 für die allgemeine Öffentlichkeit im Willy-Brandt-Haus zugänglich.

UNICEF-Foto des Jahres

Zum 23. Mal zeichnet UNICEF Deutschland mit dem internationalen Wettbewerb „UNICEF-Foto des Jahres“ Bilder und Reportagen professioneller Fotojournalistinnen und -journalisten aus, die die Persönlichkeit und die Lebensumstände von Kindern auf herausragende Weise dokumentieren. Voraussetzung für die Teilnahme ist die Nominierung durch eine*n international renommierte*n Fotografie-Expert*in.

Eine Übersicht aller ausgezeichneten Fotoreportagen finden Sie auf www.unicef.de/foto.

Niklas Klütsch: Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von UNICEF




Bildungspolitische Podien und Vorträge auf der Frankfurter Buchmesse

Veranstaltungen des Forum Bildung in Halle 3.1 Stand D12.

Lern-, Medien- und Schulkonzepte, Zugänge zum Lernen, Lernkultur und Grundwerte für die Bildung: Das Forum Bildung – gemeinsam gestaltet von Frankfurter Buchmesse, Verband Bildungsmedien e. V. und LitCam – bringt vom 19. bis 21. Oktober 2022 zentrale Fragen der Bildungspolitik auf die Frankfurter Buchmesse.

Zu Gast sind u. a. Christine Streichert-Clivot, Ministerin für Bildung und Kultur des Saarlandes, Prof. Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, Prof. Dr. Thomas Kahlisch, Geschäftsführer und Direktor Deutsches Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb lesen), Udo Beckmann, Bundesvorsitzender Verband Bildung und Erziehung (VBE), Maike Finnern, Bundesvorsitzende der GEW, Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende Deutscher Philologenverband, und Dr. Christian Büttner, 1. Vorstandsvorsitzender Bündnis für Bildung. 

Die Teilnahme an den Veranstaltungen des Forum Bildung 2022 ist im Rahmen des Messebesuchs kostenfrei und ohne Anmeldung möglich. Das Forum Bildung ist in Halle 3.1, Stand D12.

Programm

19. Oktober 2022

11.00 bis 11.45 Uhr: Demokratie – (k)ein Thema für Kinder?!

Was bedeutet eigentlich Demokratie? Und kann man das in der Schule lernen? Wir finden: Ja – und das so früh wie möglich. Jeden Tag erleben Kinder Situationen, in denen demokratische Prozesse und verantwortungsvolles Handeln wichtig sind. Dabei geht es darum, Haltung zu zeigen, „und das geht nur, wenn man sie hat“ (Fritz Schäffer). Je früher, desto besser.

  • Barbara Busch ist Schulleiterin der Albert-Schweitzer-Grundschule in Langen.
  • Dr. Claudia Rathmann ist Lehramtsausbildnerin für Grundschule, zunächst in Bonn und nun in Eichstätt. Beim Finken-Verlag ist sie Autorin verschiedener Publikationen, u. a. gemeinsam mit Liane Kürschner von „Wie stehst du dazu?“ zur Demokratieerziehung.

Moderation: Katja Irle, Bildungsjournalistin

13.15 bis 14.15 Uhr: Antisemitismus in der Schule

Weit über 1.000 antisemitische Vorfälle ereignen sich jedes Jahr in Deutschland, die Dunkelziffer ist hoch. Besonders Kinder und Jugendliche sind – im Digitalen wie im Analogen – beeinflussbar, werden leicht Täter und Opfer. Der Schule kommt die Aufgabe der aktiven Bekämpfung und der Prävention zu. Lehrkräfte brauchen dafür Aus- und Weiterbildung und die Unterstützung von außerschulischen Lernorten. Wie bekämpfen wir Antisemitismus wirkungsvoll? Welche neuen Formen kann er zum Beispiel in sozialen Netzwerken annehmen und wie sollten Eltern und Schule dem begegnen? Welche Unterstützung brauchen unsere Lehrkräfte?

  • Udo Beckmann, Bundesvorsitzender Verband Bildung und Erziehung (VBE)
  • Shila Erlbaum, Bildungsreferentin Zentralrat der Juden in Deutschland
  • Prof. Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt

Moderation: Katja Irle, Bildungsjournalistin

14.30 bis 15.30 Uhr: Lehren und Lernen der Zukunft: Wie kommen digitale Bildungsmedien in die Schule?

Damit Unterrichten und Lernen mit digitalen Angeboten, Medien und Portfolios umfassend gelingen kann, brauchen Schüler/-innen und Lehrkräfte gute didaktische Konzepte, qualitätsgesicherte Inhalte, einfache Zugänge und eine rechtssichere Infrastruktur. Wie stellen die Länder dafür jetzt die richtigen Weichen? Wie sieht das Lehren und Lernen der Zukunft aus?

  • Dr. Ilas Körner-Wellershaus, Vorsitzender Verband Bildungsmedien e. V.
  • Christine Streichert-Clivot, Ministerin für Bildung und Kultur des Saarlandes
  • Prof. Dr. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg

Moderation: Peter Hanack, Frankfurter Rundschau

15.45 bis 16.45 Uhr: Freier Markt der Bildung: Regelt der Staat zu viel?

„Freedom of educational publishing“ – diese Forderung gilt weltweit. Denn die Tendenz, dass Staaten massiv in Bildungsmärkte eingereifen, nimmt zu. Dadurch kann nicht nur ein gefährliches Missverhältnis von Wirtschaft und Staat entstehen. Auch ideologischer Beeinflussung kann Tür und Tor geöffnet werden. Ein Thema auch in Deutschland? Wie viel Staatsinterventionismus verträgt die Bildung? Welche Rahmenbedingungen sind sinnvoll? Wo ist trotz Bildungsföderalismus der Bund in der Pflicht?

  • Dr. Anja Hagen, Geschäftsführerin Education 360° Consulting GmbH
  • Dr. Peter Schell, Geschäftsführer Westermann Gruppe und Stellvertretender Vorsitzender Verband Bildungsmedien e. V.

Moderation: Prof. Dr. Markus Ritter, Ruhr-Universität Bochum

17.00 bis 17.45 Uhr: Warum Schule sich verändern muss, es aber nur begrenzt kann!

In einer fluiden Gesellschaft, die von Entgrenzung, Fusion, wechselnden Konfigurationen und Durchlässigkeit geprägt ist, muss Schule anders agieren als in einer Gehorsams-Verzichtsgesellschaft. Es gibt keine Normalbiografien mehr, Techniken verändern sich, Zuhause und Schule verschmelzen miteinander, Schüler werden zu Lehrenden, Lehrende zu Schülern etc. Gleichzeitig ermöglicht die Konstruktion unserer Institution Schule in Deutschland nur begrenzt adaptives Verhalten der Schule. Was ist hier zu tun? Wie kann zwischen der Notwendigkeit der Veränderung und der Beharrungstendenz der Schule vermittelt werden?

Prof. Dr. Ewald Kiel, Lehrstuhl für Schulpädagogik an der LMU München, Prodekan der Fakultät für Psychologie und Pädagogik

Moderation: Peter Hanack, Frankfurter Rundschau

20. Oktober 2022

10.00 bis 10.45 Uhr: Anti-Bias: Schule diskriminierungskritisch gestalten

Damit Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichsten Lebensgeschichten und -verhältnissen gerechte Chancen auf Bildungserfolg haben, muss das Gesamtsystem Schule auf den Umgang mit Differenz ausgerichtet werden. Mithilfe des Anti-Bias-Ansatzes kann eine diskriminierungskritische Schulentwicklung gelingen. Strategien auf Unterrichts-, Personal- und Organisationsentwicklungsebene ermöglichen durch gemeinsames Nachdenken und Handeln, ausgrenzendes Verhalten zu erkennen und Bildungsbarrieren abzubauen.

Dr. Rita Panesar ist gestaltorientierte und systemische Organisationsberaterin mit den Schwerpunkten Diversität, Bildung und Arbeitsmarkt. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt 2022: „Gerechte Schule. Vorurteilsbewusste Schulentwicklung mit dem Anti-Bias-Ansatz“

Moderation: Prof. Dr. Markus Ritter, Ruhr-Universität Bochum

11.00 bis 12.00 Uhr: Bildungsqualität und -gerechtigkeit (im Kontext der Corona-Krise) – Quo vadis, Deutschland?

Die Corona Pandemie hat viele Schwächen des deutschen Schulsystems sichtbar gemacht. Der Zusammenhang zwischen Kompetenzen und „sozioökonomischem Status“ der Familie hat in allen Bereichen „signifikant“ zugenommen. Fast 20 Prozent der 4. Klässler können nicht ausreichend lesen. Gleichzeitig verstärkt sich der Lehrermangel. Ein bewährtes Modell, die Sprach-Kitas, soll eingestellt werden. Dafür werden die Anforderungen an die Schüler abgesenkt. Wohin entwickelt sich die Bildungsqualität und -gerechtigkeit in Deutschland?

  • Prof. Dr. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik, Uni Augsburg
  • Prof. Dr. Petra Stanat, IQB (angefragt)
  • Dr. Markus Warnke, Wübben Stiftung (angefragt)

Moderation: Karin Plötz, LitCam

12.15 bis 13.15 Uhr Welche rechtlichen Grundlagen benötigen Verlage in Zeiten des Umbruchs

Die Verlagswelt steht seit vielen Jahren in einem starken digitalen Wandel. Das Profil vieler Verlage verändert sich. Um wettbewerbsfähig zu sein, benötigen Verlage nicht nur eine starke digitale Infrastruktur, um ihre Inhalte – Content – zu organisieren, um Social-Media-Kanäle zu bedienen, um ihre Titel über vielfältige digitale Plattformen anbieten zu können. Künstliche Intelligenz, text-to-speech und viele weitere digitale Entwicklungen bieten große Chancen für das Verlegen. Durch diese Innovationen entstehen zugleich rechtliche Unsicherheiten und ungelöste rechtliche Fragen.

In der Podiumsdiskussion wollen wir diskutieren, welche rechtlichen Grundlagen Verlage benötigen, um für die dynamischen Entwicklungen der Zukunft gut ausgestattet zu sein und damit ihren Autor/-innen und Leser/-innen starke Partner sein zu können.

Es diskutieren:

  • Dr. Wolf von Bernuth (Mäger von Bernuth Rechtsanwälte, Berlin)
  • Olivera Kipcic (Leiterin Rights Management FAZ, Frankfurt a.M.)
  • Dr. Jörg Platiel (Geschäftsführer UTB, Stuttgart)
  • Angelika Schaack (Geschäftsführerin Hörcompany, Hamburg)

Moderation: Dr. Kerstin Bäcker (Lausen Rechtsanwälte, Köln

13.30 bis 14.15 Uhr: Bildungserfolg mit digitalen Bildungsmedien – was es dafür braucht

Auch die Bildungsmedienverlage sind Experten für die Entwicklung und Herstellung von Bildungsinhalten und deren didaktische Aufbereitung. Dies gilt auch für digitale Angebote. Doch nicht zuletzt die Corona-Krise hat gezeigt, dass für den erfolgreichen Einsatz digitaler Bildungsmedien in der Schule noch wichtige Rahmenbedingungen fehlen: Welche pädagogischen Konzepte kommen in den Schulen zum Tragen? Wie wird die Qualität digitaler Angebote gesichert; welche Anforderungen gibt es bei Zulassung und Datenschutz? Wie wird der einfache und sichere Zugang aller Schüler/-innen und Lehrkräfte sichergestellt? Und wie wird das finanziert? Wie müssen Lehrkräfte, Schulen und deren Träger, Bildungsmedienanbieter und Politik jetzt zusammenarbeiten?

Frank Thalhofer, Geschäftsführung Cornelsen Verlag GmbH und Vorstandsmitglied Verband Bildungsmedien e. V.

Moderation: Peter Hanack, Frankfurter Rundschau

14.30 bis 15.30 Uhr: Reading Promotion and Role Models

Reading role models are influential, showing us the more there are in a child’s life, the more likely a child is to be a frequent reader. In our digital and media world, people like popular football players or actors could be role models as well and can influence the behaviour of childs. We will talk about the role of reading role models with experts from different branches.

  • Dr. Betty Becker-Kurz, Scientific Associate, Stiftung Lesen
  • Marc Lambert, CEO of Scottish Book Trust
  • Dr. Maszlee Malik, Deputy Chairman of Selangor Public Library (PPAS), Malaysia
  • Galder Reguera, Head of Project in the Athletic Club Foundation

Moderation: Karin Plötz, Litcam

An Activity within the project ALDUS UP, the network of European book fairs co-founded by the Creative Europe Program of the European Union

15.45 bis 16.45 Uhr: Digitale Innovationen in der Schule: EdTech vs. Verlage?

Infrastruktur, Ausstattung, Lehreraus- und -fortbildung – wenn es um Digitalität in der Bildung geht, gibt es in Deutschland viele Dauerbaustellen. Als Allheilmittel werden eine bessere Start-Up-Kultur, staatliche Förderung von EdTechs und die Disruption des Bildungsmedienmarktes gehandelt. Gleichzeitig gibt es in Deutschland rund 100 etablierte Bildungsmedienanbieter, die jährliche rund 6.000 analoge, hybride und digitale Bildungsmedien auf den Markt bringen. Wie passt das zusammen? Ist die Innovationskraft der etablierten Unternehmen zu gering? Was sind die Bedürfnisse des Marktes?

  • Nicole Bühler, Finance & Business Development phase6
  • Dr. Christian Büttner, 1. Vorstandsvorsitzender Bündnis für Bildung
  • Martina Fiddrich, Geschäftsführung Cornelsen Verlag

Moderation: Prof. Dr. Markus Ritter, Ruhr-Universität Bochum

17.00 bis 17.45 Uhr: Schuleintritt trotz Lockdown & Co: Vorschulkinder optimal vorbereiten

Kinder individuell auf die Schule vorzubereiten ist, gerade während einer Pandemie, eine Herausforderung. ErzieherInnen, LehrerInnen und andere pädagogische Fachkräfte brauchen alltagstaugliche Hilfestellungen, um eine zielgerichtete vorschulische Förderung (z. B. der Motorik und der emotional-sozialen Kompetenzen) auch unter erschwerten Bedingungen umsetzen zu können. Daniel Mays benennt Stolpersteine und vor allem Gelingensbedingungen erfolgreicher Übergangsverläufe und diskutiert diese unter Einbezug aktueller Forschung und konkretem Handlungswissen.

Prof. Dr. Daniel Mays hat die Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Förderpädagogik („Emotionale und soziale Entwicklung“) an der Universität Siegen inne und hat mehrere Bücher im Bereich Erziehungswissenschaft geschrieben.

Moderation: Peter Hanack, Frankfurter Rundschau

21. Oktober 2022

10.00 bis 10.45 Uhr: Schule als Ort gelebter Demokratie

Unterricht ist das Kerngeschäft von Schule. Das klingt schlüssig und beinhaltet mehr als nur fachliche Vermittlung. Denn Schule kann ein Ort für Aushandlungsprozesse, Wertebildung, Konsensfindung und Feedback sein, ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche gehört werden, sich ins Geschehen einbringen können und verschiedene Perspektiven kennenlernen – ein Ort gelebter Demokratie. Wer Schule und Unterricht partizipativ gestaltet, verbindet inhaltliches, soziales und gesellschaftspolitisches Lernen miteinander.

Nikola Poitzmann arbeitet im Hessischen Kultusministerium im Projekt »Gewaltprävention und Demokratielernen« und im Bereich »Bildungssprache Deutsch und schulische Integration«. Sie gibt Fortbildungen zu den Themen Sexualisierte Gewalt, Gewaltfreie Kommunikation, Demokratiepädagogik und Diversity. Sie lebt in Darmstadt.

Moderation: Prof. Dr. Markus Ritter, Ruhr-Universität Bochum

11.00 bis 12.00 Uhr: Innovativer Unterricht: Digitale Berufsorientierung am Gymnasium

Der Fachkräftemangel in Deutschland ist in aller Munde. Eine der Ursachen ist aus Sicht der Ausbildungsbetriebe schon die mangelhafte Berufsorientierung in der Schule. Eine Lösung könnten die digitalen Formate zur Studien- und Berufsorientierung von Anne-Christin Zeng und Konrad Schaller vom Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Berlin-Pankow sein. Mit Berufeblog, Podcast „Ausbildungsberuf“, Lernspielen zum Studien-ABC und der Online-Veranstaltung „Schüler:innen fragen Studierende“ haben sie den 1. Preis beim Deutschen Lehrkräftepreis – Unterricht innovativ 2021 gewonnen, den der Deutsche Philologenverband (DPhV) seit 2009 verleiht. Was zeichnet das Projekt und die Preisträger aus? Ein Vorbild auch für andere Schulen? Wie wird der Unterricht in Deutschland innovativer?

  • Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende Deutscher Philologenverband
  • Konrad Schaller, Carl-von-Ossietzky-Gymnasium Berlin und Preisträger Unterricht innovativ 2021
  • Anne-Christin Zeng, Carl-von-Ossietzky-Gymnasium Berlin und Preisträgerin Unterricht innovativ 2021

Moderation: Katja Irle, Bildungsjournalistin

13.30 bis 14.15 Uhr: Barrierefreies Lesen: Wann sind wir so weit?

eBooks, eJournals, Webseiten und digitale Bildungsmedien – selbstverständlich müssen sie auch für Blinde und Sehbehinderte jederzeit ohne Einschränkung nutzbar sein. Doch das ist nicht der Fall. Auch der Gesetzgeber hat das erkannt und ist aktiv geworden. Wo liegen die Probleme? Was wurde schon erreicht? Was ist noch zu tun? Wer muss sich bewegen?

Prof. Dr. Thomas Kahlisch, Geschäftsführer und Direktor Deutsches Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb lesen)

Moderation: Katja Irle, Bildungsjournalistin

14.30 bis 15.30 Uhr: Ausgezeichnete Schulbücher: Was leisten moderne Bildungsmedien?

Der Chemie Gesamtband 11-12 vom C.C.Buchner Verlag hat 2022 in der Kategorie MINT den Preis „Schulbuch des Jahres“ des Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut (GEI) gewonnen. Die Jury lobte das Ineinandergreifen von Print- und Online-Ausgabe und die gleichzeitige Förderung von Medienkompetenz. Wie entsteht ein solches Lehrwerk? Wie viele Menschen arbeiten daran? Was ist die Verlagsleistung? Welches sind die wachsenden Herausforderungen an Bildungsmedien – und wann ist ein Schulbuch „ausgezeichnet“?

  • Prof. Dr. Claudia Bohrmann-Linde, Bergische Universität Wuppertal, Didaktik der Chemie und Herausgeberin von Chemie Gesamtband 11-12
  • Dr. Maren Saiko, Geschäftsführerin C.C.Buchner Verlag und Vorstandsmitglied Verband Bildungsmedien e. V.
  • Dr. Maren Tribukait, Leiterin Forschungsteam „Didaktik in einer mediatisierten Welt“ beim Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut (GEI)

Moderation: Prof. Dr. Markus Ritter, Ruhr-Universität Bochum

Quelle: bildungsmedien.de




Entspanntere Wege durch die Grundschulzeit finden

VNN startet Akademie zu Themen rund ums Lernen, Schule und Bildung

„Durch die Gespräche mit Eltern, Nachhilfelehrkräften und VNN-Mitgliedern wissen wir, dass es viele Fragen rund ums Lernen, die Schule oder den Unterricht gibt, auf die man nur schwer Antworten findet. Hier setzt die VNN-Akademie an“, erklärt Patrick Nadler, Erster Vorsitzender des VNN Bundesverbands Nachhilfe- und Nachmittagsschulen e. V., die Motivation zur Gründung der VNN-Akademie.

Vom Umgang mit Schulangst und der Wahl der richtigen Schule

Im Fokus der Veranstaltungen für Eltern stehen Themen, die für den Schulerfolg der Jungen und Mädchen wichtig sind: Der Umgang mit Schulangst oder die Frage nach der Wahl der richtigen weiterführenden Schule, die optimale Vorbereitung auf den Elternsprechtag oder die Bedeutung des flüssigen Lesens und Schreibens für den Schulerfolg. Letzteres ist das Thema der ersten Elternveranstaltung der VNN-Akademie, die am 20.10.2022 um 19 Uhr stattfindet. „Wir kennen die Sorgen der Eltern und möchten ihnen Wege zeigen, wie sie und ihre Kinder entspannt und erfolgreich durch die Schulzeit kommen“, so Nadler.

Wie wichtig regelmäßige Weiterbildungen sind, wissen die Bildungsexperten aus ihrer Nachhilfeschulpraxis. Zumal zu unterrichten selbst erfahrene Lehrkräfte bisweilen vor Herausforderungen stellt. Die kompakten, anderthalbstündigen Veranstaltungen vermitteln wertvolles praktisches Wissen für die Arbeit in der Nachhilfeschule oder Schule. Zugleich sichern die Weiterbildungen die hohe Unterrichtsqualität in den Mitgliedsschulen des VNN. Für die VNN-Mitglieder gibt es Angebote zur Stärkung ihrer pädagogischen und unternehmerischen Kompetenzen.

Weitere Veranstaltungen sollen folgen

Alle zwei Monate gibt ein Experte oder eine Expertin für eine der Zielgruppen fundierte Einblicke in ein wichtiges Thema. Neben wertvollen Informationen und wegweisenden Impulsen erhalten die Teilnehmenden konkrete Tipps und Hilfestellung für den Alltag.

Alle Veranstaltungen finden digital statt und kosten pro Teilnehmer 5,00 €. Mehr Informationen auf der Website unter www.nachhilfeschulen.org.

Quelle: Pressemitteilung VNN




GEW: „Ungleiches ungleich behandeln!“

Abschlusspressekonferenz des außerordentlichen Gewerkschaftstages der Bildungsgewerkschaft

„Ungleiches muss ungleich behandelt werden! Wir müssen endlich dafür sorgen, dass die Gelder da ankommen, wo sie am dringendsten benötigt werden: in benachteiligten Stadtvierteln und Regionen. Dafür haben wir einen neuen Verteilungsschlüssel entwickelt, der für mehr Chancengleichheit sorgt“, sagte GEW-Vorsitzende Maike Finnern während der Abschlusspressekonferenz des außerordentlichen Gewerkschaftstages der Bildungsgewerkschaft am Freitag in Leipzig. Dieser Schlüssel nehme die unterschiedliche Wirtschaftskraft der Länder in den Blick. Er berücksichtige die Kriterien Finanzleistung, soziale Bedürftigkeit sowie Bildungsstand der Menschen und Bevölkerungsstruktur. Die Berechnung der Verteilung der Mittel erfolge bundesweit und könne bis auf die lokale Ebene heruntergebrochen werden. „Es ist nicht akzeptabel, dass Bildungserfolg und Lebenschancen der Menschen von der Postleitzahl abhängen“, betonte Finnern.

Königsteiner Schlüssel lenkt Gelder in falsche Kanäle

Sie erläuterte, dass der „Königsteiner Schlüssel“, nach dem zurzeit Bundesmittel verteilt werden, Gelder in die falschen Kanäle lenke. „Aktuell gilt das Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben. Die Folge: Schülerinnen und Schüler erhalten in Bayern im Schnitt 910 Euro für digitale Endgeräte, in Bremen mit viel mehr ärmeren Familien aber nur 228 Euro“, unterstrich die GEW-Vorsitzende. Der Grund: Der „Königsteiner Schlüssel“ verteile die Bundesmittel zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungszahl an die Länder. „Wir mahnen Bund und Länder, unverzüglich Verhandlungen zu einem sozial gerechten Verteilungsmodus aufzunehmen und den ‚Königsteiner Schlüssel‘ einzumotten. Dafür stellen wir unsere Studie mit Vorschlägen für einen anderen Verteilungsschlüssel gerne als Grundlage zur Verfügung“, hob Finnern hervor. Sie forderte die Ampelregierung auf, die Bundesmittel für die – im Koalitionsvertrag vereinbarte – finanzielle Förderung von mehr als 4.000 allgemein- und berufsbildenden Schulen nach einem gerechten, sozial-indizierten Verteilungsschlüssel an die Länder auszuzahlen.

Integration geflüchteter Kinder

„Bildung kann nicht warten“, stellte Uschi Kruse, Vorsitzende der GEW Sachsen, mit Blick auf die Integration geflüchteter Kinder und Jugendlicher in die Bildungseinrichtungen in Deutschland fest. „Unsere Kitas und Schulen müssen ein sicherer Zufluchtsort für alle Geflüchteten sein. Gerade traumatisierte Kinder brauchen besonders gut ausgestattete Bildungseinrichtungen. Bund und Länder müssen die Voraussetzungen schaffen, damit alle geflüchteten Kinder und jungen Menschen so schnell wie möglich in Kitas, Schulen, Hochschulen oder eine berufliche Qualifizierung aufgenommen werden können.“

Die Lehrenden sind nach gut zwei Jahren Corona-Pandemie vor dem Hintergrund eines dramatischen Fachkräftemangels am Limit. Für ihr weiteres Engagement brauchen sie dringend zusätzliche Unterstützung. „Wir erwarten, dass über 400.000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine in Schulen und Kitas integriert werden sollen, schon jetzt sind weit über 100.000 in der Bundesrepublik angekommen“, sagte Kruse. Deshalb benötigten die Bildungseinrichtungen dringend mehr finanzielle Mittel für Fachkräfte, Räume und Ausstattung, um ein gutes Bildungs- und Betreuungsangebot anzubieten. An Schulen würden vor allem Lehrkräfte für Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache (DaZ), Sozialarbeitende, Schulpsychologinnen und -psychologen, Fachkräfte für Traumata sowie Dolmetscherinnen und Dolmetscher gebraucht.

Für den Einstieg der Schülerinnen und Schüler müssten ausreichend Willkommens-, Intensiv- oder Vorbereitungsklassen eingerichtet werden. Allerdings müsse dafür gesorgt werden, so die GEW-Landesvorsitzende, dass die Lernenden möglichst schnell am Regelunterricht teilnehmen können. Wichtig sei, dass ihnen von Anfang an Deutsch als Zweitsprache angeboten wird.

„Geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer sowie pädagogische Fachkräfte müssen schnell und niedrigschwellig an Schulen und Kitas einen Arbeitsplatz bekommen. Dabei müssen ihre Qualifikationen unbürokratisch anerkannt und mögliche (Nach-)Qualifizierungen angeboten werden“, betonte Kruse. Dazu gehörten kostenfreie, berufsspezifische Sprachkurse für Pädagoginnen und Pädagogen.

Quelle: Pressemitteilung GEW




Wie die Pandemie Grundschulkinder belastet

Bildungsforscher:innen der Bergischen Universität Wuppertal stellen erhöhte Aggressivität, Zukunftsängste und mangelhaftes soziales Lernen fest

Wie geht es Kindern nach zwei Jahren Corona? Dieser Frage gingen Bildungsforscher:innen der Bergischen Universität Wuppertal nach. In der ersten Jahreshälfte 2022 befragten sie deshalb in Kooperation mit einem Schulamtsbezirk in Köln zahlreiche Eltern, Lehrkräfte, Kinder und Schulleitungen über die aktuelle Situation in den Grundschulen. Das Ergebnis: Die vergangenen zwei Pandemie-Jahre haben deutliche Spuren hinterlassen.

„Ausgangslage für die Studie war die hohe Anzahl an Problemen, die viele Lehrkräfte während der Corona-Pandemie bei Kindern festgestellt haben“, erklärt Prof. Dr. Christian Huber vom Arbeitsbereich für Rehabilitationswissenschaften mit dem Förderschwerpunkt Emotional-Soziale Entwicklung an der Bergischen Universität. Gemeint sind zum einen sogenannte externalisierende Auffälligkeiten – also etwa Unterrichtsstörungen, Konflikte und Hyperaktivität – aber auch internalisierende Verhaltensprobleme, wie sozialer Rückzug und Angst. Und auch die Lehrkräfte selber fühlten sich überfordert und hätten vor allem das Problem, dass sie die inhaltlichen Rückstände nach den Lockdowns – wie etwa Lesen, Schreiben, Rechnen – nicht aufholen können.

Auffälligkeiten und Belastungen sorgen für schwierige Lernatmosphäre

Um die aktuelle Situation genauer zu analysieren, befragte das Team um Prof. Christian Huber über 1200 Grundschulkinder, rund 1150 Eltern, fast 150 Lehrkräfte und 22 Schulleitungen aus insgesamt 30 Grundschulen im Schulamtsbezirk 3 in Köln.

Dabei stellte sich heraus,

  • dass Kinder selbst eine stark erhöhte Aggressivität bei sich selbst wahrnehmen, was laut den Forscher*innen eher ungewöhnlich ist,
  • dass diese Aggressivität insbesondere bei Kindern feststellbar ist, die auch starke Zukunftsängste im Zuge der Corona-Pandemie entwickelt haben,
  • dass Kinder der dritten und vierten Klassen im Schnitt deutlich in ihrem sozialen Lernen, insbesondere bei der sozial-kognitiven Verarbeitung, zurückliegen, weil sie in der Coronazeit viele soziale Lernerfahrungen nicht machen konnten.

Neben der gesteigerten Aggressivität waren auch Ängste und depressive Symptome bei den Kindern erhöht. „Viele Grundschulkinder sitzen somit in einem Zustand in den Klassenzimmern, in dem inhaltliches Lernen nur schwer möglich sein dürfte“, so Christian Huber.

Die Studie ergab aber auch, dass etwa 30 Prozent der Lehrkräfte stark oder auch sehr stark belastet sind, etwa 10 Prozent so stark, dass man befürchten muss, dass sie perspektivisch ausfallen könnten.

„Die Ergebnisse sind insofern interessant, weil sie unter anderem zeigen, wie stark die Pandemie – und auch die Situation in der Ukraine – viele Kinder noch beschäftigt und wie stark insbesondere coronabedingte Sorgen mit extern- und internalisierenden Verhaltensproblemen zusammenhängen“, sagt Huber.

Gemeinsame Aufbereitung und soziale Kontakte jetzt besonders wichtig

Aus ihren Ergebnissen konnten die Forscher:innen einige Empfehlungen ableiten, wie die Situation für Kinder, Familien und Eltern jetzt aufbereitet werden und der Stress im System reduziert werden könnte. So sind zum Beispiel viele Kinder mit der Aufbereitung der Corona-Pandemie und der Kriegsereignisse alleine. „Die Aufbereitung dieser Erlebnisse sollte in den Familien, Schule und Ganztag Vorrang vor dem Aufholen des verpassten Lernstoffs haben – sonst werden sich die Verhaltensprobleme auch im kommenden Schuljahr nicht oder nur sehr langsam reduzieren“, schätzt der Professor.

Zum anderen vollziehe sich soziales Lernen bei Kindern meist im Umgang mit Gleichaltrigen. Dies war in der Pandemiezeit aber nicht oder nur erschwert möglich. „Alle sozialen Erfahrungen in Schule, Sport und Freizeit sind jetzt wichtig. Die Rolle von Eltern und Schulen ist dabei, Konflikte regelmäßig zu besprechen und Konfliktlösungen mit den Kindern zu erarbeiten“, weiß Christian Huber. Zusätzlich können auch Sozialtrainings und Elterncoachings ein Teil der Lösung sein. Hier müssen jetzt alle Kräfte einer Schulregion gebündelt und niederschwellige Angebote geschaffen werden.

Denise Haberger Pressestelle/Bergische Universität Wuppertal




Besucher- und Ausstellerzahl bei didacta 2022 extrem rückläufig

koelmesse

Die Bildungsmesse verliert offensichtlich den Kontakt zur Zielgruppe

Vermeldete die Kölner Messe im Jahr 2019 noch 915 Aussteller und Ausstellerinnen und rund 100.000 Besucher und Besucherinnen, stellten in diesem Jahr noch 555 Unternehmen aus, deren Exponate lediglich rund 35.000 Menschen sehen wollten. Als Hauptgrund für diesen dramatischen Absturz wird die Corona-Krisen-Zeit genannt. Doch gerade die Sehnsucht nach direktem Austausch nach der dreijährigen Durststrecke ohne Bildungsmesse hätte doch eigentlich zu einem Ansturm von Ausstellenden und Besuchenden führen müssen. Einen kleinen Anteil für das Wegbleiben verschiedener Ausstellender, dürfte dem geschuldet sein, dass im Süden des Landes Ferienzeit war. Ein Grund für das Ausbleiben von rund 65 Prozent der Besucherinnen und Besucher, die zu einem Löwenanteil immer aus der Region kommen, ist das jedoch nicht.

Fehlen die Antworten auf drängende Fragen?

Insofern kann nur darüber spekuliert werden, warum die didacta den Kontakt zu ihrer Zielgruppe zunehmend verliert. Hat sich das Messekonzept überholt? Fehlen der Messe die Antworten auf die drängenden Fragen der pädagogischen Fachkräfte im Alltag? Einiges spricht dafür. Natürlich kann die didacta die Personalsituation oder die marode Situation vieler Bildungseinrichtungen nicht verbessern, aber ein starkes Signal der Solidarität sowie ein deutlicher Appell an Politik und Gesellschaft hätten sicher mehr bewirkt, als das stetige Propagieren digitaler Bildung von Geburt an. Tablets ersetzen keine pädagogischen Fachkräfte und reparieren keine maroden Schultoiletten oder -heizungen.

Erfrischendes seitens der Startups

Insofern konnte die didacta auch kein starkes Signal für die Zukunft der Bildung geben, wie vom Veranstalter behauptet. Schließlich ist die didacta eben auch kein Bildungsverband, sondern der Verband der Bildungswirtschaft. Und dem geht es eben darum, seine Produkte der Zielgruppe zu verkaufen. Echte Innovationen gab es mit Ausnahme der Flut von digitalen Apps, Anwendungen und Geräten jedoch kaum. Und auch bei den so genannten „digitalen Lösungen“ war die Zahl der wirklich sinnvollen und praktischen Angebote doch recht überschaubar. Ein echtes Highlight der Messe ist dabei immer der Bereich, in dem sich die Startups tummeln. Hier finden sich seit einigen Jahren echte und erfrischende innovative Ideen.

Kaum Dissens und Diskussion

Das ist jedoch zu wenig für eine Messe, die zentrales Diskussionsforum, größter Weiterbildungskongress und wichtigste gesellschaftspolitische Bühne sein will. Denn Platz für Dissens und damit echte Diskussion hat die didacta nur wenig. Auf den von uns besuchten Veranstaltungen, die als Diskussion angekündigt waren, zeigten sich die Protagonisten in völliger Harmonie. Das Publikum, zahlenmäßig meist sehr überschaubar, kam entweder nicht zu Wort oder es mangelnde am Interesse. Ein weiteres Manko, dass die Messe mehr und mehr von echten Forschenden größtenteils gemieden wird. Stattdessen finden sich Veranstaltungen, bei denen Protagonisten erscheinen, die ihre angebliche forschende Tätigkeit kaum von ihrem kommerziellen Privatunternehmen unterscheiden können. Hier herrscht dringender Reformbedarf, der wohl kaum mit jenem Personal zu erreichen sein dürfte, das nun schon seit Jahrzehnten hier mitwirkt.

Viele Ausstellende aber zufrieden

Während viele frühere Ausstellende aufgrund der hohen Kosten nicht mehr teilnahmen, zeigten sich doch etliche teilnehmende Unternehmen mit dem Standbesuch zufrieden. Alle deuteten die relativ gute Frequenz damit, dass sich durch die geringere Ausstellendenzahl, die geringe Zahl der Besuchenden besser auf die einzelnen Stände verteilten.

Erschreckend gering erwies sich auch das Interesse seitens der Presse. Hier fand die Messe so gut wie nicht statt. Im Pressezentrum gähnende Leere, auch wenn sich hier immer wieder Besucherinnen und Besucher fanden, die überhaupt nichts mit Pressearbeit zu tun hatten und auch nicht interviewt wurden.

didacta Stuttgart 2023

Aber nach der Messe ist vor der Messe. Vom 7. bis 11. März 2023 findet die nächste Bildungsmesse statt. Es bleibt zu hoffen, dass der Verband der Bildungswirtschaft bis dahin die richtigen Antworten auf die aktuellen Herausforderungen gefunden und sich auch intern erneuert hat.

Gernot Körner




Mehr Vertrauen in unsere Kinder könnte die Welt retten

Wie Faulheit, Eitelkeiten, Profitinteressen und Dummheit zukunftsorientierte Bildung verhindern

Über Bildung lässt sich wunderbar diskutieren. Dabei herrscht landläufig die Meinung, wer in der Schule und neuerdings auch im Kindergarten recht viel lernt, aus dem wird ein gebildeter Mensch. Der Erwerb von wertvollem Wissen gilt als mühsam. Nur, was mit Schweiß und Tränen eingetrichtert wurde, scheint bedeutend. Insofern konnte die Schlussfolgerung aus den schwachen Ergebnissen der so genannten PISA-Studie zur Jahrtausendwende auch nur lauten, dass die Kinder in der Schule eben nicht genug gelernt hätten.

Bildung landläufig gesehen

Hand aufs Herz. Vielerorts ist das die landläufige Meinung, wenn es um Bildung und Schule geht. Dabei hat schon Titus Petronius im alten Rom geklagt, dass die Jugend in den Schulen verdummen würde, weil sie nichts von dem zu hören bekäme, was sie im Alltag brauche. Das ist 2000 Jahre her. Dass sich daran nicht viel geändert hat, zeigen etwa die kritischen Äußerungen des populären Philosophen Richard David Precht. Für ihn hat der heutige Schulbetrieb nur wenig mit sinnvoller, zukunftsgerichteter Vermittlung von Bildung zu tun.

Das Frühstück bleibt vielen Kindern im Halse stecken. Einzige Möglichkeit, das zu verhindern, wäre in den meisten Fällen: sie von der Schulpflicht zu befreien.

Christine Nöstlinger

Auch dass sich Bildung nicht eintrichtern lässt, ist schon länger bekannt. „Lehren heißt, ein Feuer entfachen, und nicht einen leeren Eimer füllen“, schrieb vor 2500 Jahren der griechische Philosoph Heraklit. Eine Erkenntnis, die heute durch die moderne Hirnforschung verbunden mit den bildgebenden Verfahren längst belegt ist.

Was aus uns werden könnte

Warum handeln wir dann trotz besseren Wissens anders und reden über Bildung, als gälte es, einen störrischen Esel zur Futterkippe zu zerren? Eine Antwort lautet ganz einfach: „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht!“ Schließlich haben nur wenige von uns einen Bildungsprozess erlebt, wie er nach allen Erkenntnissen sinnvoll wäre. Der bekannte Hirnforscher Gerald Hüther betont in seinen Vorträgen immer wieder, dass wir uns nicht damit trösten sollten, dass aus uns doch aus etwas geworden wäre. Viel wesentlicher sei die Frage, was aus uns hätte werden können.

Eines der größten Probleme unserer Zeit ist, dass viele geschult aber wenige gebildet sind.

Thomas Morus

Angesichts der enormen Probleme, vor denen die Menschheit heute steht, erscheint diese Frage noch viel dringlicher. Was bedeutet Bildung heute? Wie muss eine moderne Bildung aussehen, die uns darin unterstützt, die anstehenden Aufgaben zu erfüllen?

Muss Schule liefern?

Um das zu beantworten, ist es naheliegend, in einer so genannten „Leistungsgesellschaft“ von den Aufgaben her zu denken. Ganz abgesehen davon, dass ein gebildeter Mensch schon dem widersprechen würde, dass wir es hierzulande mit einer „Leistungsgesellschaft“ zu tun haben, sondern eher um eine Erben- oder Geldgesellschaft, zeigt sich bereits nach den ersten Versuchen, dass sich der Bildungsbegriff von Seiten der Anforderungen her gar nicht wirklich erschließen lässt. Ein beliebtes Argument ist, dass die Schule das abliefern müsse, womit „die Wirtschaft“ etwas anfangen könne.

Schule ist jenes Exil, in dem der Erwachsene das Kind solange hält, bis es imstande ist, in der Erwachsenenwelt zu leben, ohne zu stören.

Maria Montessori

Dazu hat unter anderem die Kultusministerkonferenz (KMK) die Bildungsstandards formuliert. Deutsch und Mathematik sind mit dabei, später die Erste Fremdsprache. Naturwissenschaften wie Biologie und Physik kommen hinzu. Reicht das? „Natürlich nicht“, antworten etwa die Verfechter der digitalen Bildung und fordern mittlerweile schon einen DigitalPakt KiTa. „Natürlich nicht“, werden die Demokraten in unserem Land sagen. Schließlich braucht eine Demokratie mündige Bürger. „Natürlich nicht“, behaupten die Pädagogen, die danach fragen, wo denn der Mensch bei all dem bleibe.

Bildung beginnt beim Fötus

Bevor wir nun weiter diesen Irrweg gehen, auf dem wir noch einer Fülle von Anforderungen begegnen, die weder ein noch so gutes Bildungssystem noch ein von ihm gebildeter Mensch leisten kann, müssen wir uns weiter in die Tiefe des menschlichen Seins begeben. Denn wer Bildung richtig vorantreiben möchte, darf nicht vergessen, dass er es mit lebendigen Wesen und ihren Eigenheiten zu tun hat.

Dabei hilft es, sich klar zu machen, dass das Wort Bildung vom althochdeutschen Wort „bildunga“ kommt, was in etwa so viel bedeutet, wie Vorstellung oder Vorstellungskraft. Je größer die Bildung, desto größer ist die Vorstellungskraft von den Zusammenhängen der Dinge dieser Welt. Damit beginnt Bildung schon beim Fötus im Mutterleib, auch wenn sich das ein wenig seltsam anhört.

Vom Streben nach Erkenntnis

Aber schon gegen Ende der Schwangerschaft strebt der Mensch nach Erkenntnis und damit der Entwicklung seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten. Schließlich geht es darum, sich im Leben zurecht zu finden und erfolgreich zu sein. Erfolg bedeutet dabei, sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Spätestens ab seiner Geburt gestaltet ein Kind sein eigenes Bildungsprogramm. Auch das ist wissenschaftlich belegt und seit der griechischen Antike bekannt. Das Kind beginnt, sich die Welt anzueignen.

Die größte Gefahr bei diesem Entwicklungsprozess besteht darin, dass wir es dabei stören, statt es darin zu unterstützen. Schon die chinesischen Weisen Konfuzius und Laotse kannten den Weg und wurden durch ein Heer von Pädagogen, Psychologen und Naturwissenschaftlern bis zum heutigen Tage bestätigt. Warum wir es dennoch anders angehen, hat damit zu tun, dass wir versuchen Kinder uns und unserem fiktiven Bild von Welt anzupassen. Und oftmals kommt noch ein ordentliches Stück Unverständnis und Faulheit hinzu, manchmal auch das Profitinteresse.

Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.

Friedrich Nietzsche

Immer wieder ist davon die Rede, dass die jungen Menschen im Bildungssystem geformt werden müssten. Wie absurd und vermessen das ist, zeigt sich schon, wenn man die verschiedenen Interessen, die an die junge Generation gestellt werden, sich genauer ansieht. Diese sind so widersprüchlich, dass nur ein psychisch kranker Geist daraus entstehen könnte.

Ausgangspunkt muss der Mensch sein

Ein erfolgreiches Bildungssystem muss immer vom individuellen Menschen ausgehen, ihn verstehen und ernst nehmen. Wer das nicht versteht, dem sei der Ausspruch eines Genies wie Albert Einstein ans Herz gelegt: „Jeder ist ein Genie! Aber wenn Du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist.“ Leider läuft unser Bildungssystem vom Tage unserer Geburt an in weiten Teilen in diese Richtung und gipfelt darin, unter dem Vorwand der individuellen Förderung, unsere Schulsystem in drei- bis viergliedrig Schultypen zu unterteilen. Angesichts der sehr unterschiedlichen Entwicklung der Menschen in ihren ersten 20 Lebensjahren ist dies schlcht völliger Unsinn.

Es ist deshalb nötig, dass wir dem Kind die Möglichkeit geben, sich in Übereinstimmung mit den Gesetzen seiner Natur so zu entwickeln, dass es stark werden kann und, wenn es stark geworden ist, sogar noch mehr tun kann, als wir zu hoffen gewagt haben.

Maria Montessori

Dabei steckt die Begeisterung für die Zusammenhänge dieser Welt tief ins uns allen. „Es ist deshalb nötig, dass wir dem Kind die Möglichkeit geben, sich in Übereinstimmung mit den Gesetzen seiner Natur so zu entwickeln, dass es stark werden kann und, wenn es stark geworden ist, sogar noch mehr tun kann, als wir zu hoffen gewagt haben“, schreibt Maria Montessori. „Denn nur für das, was einem Menschen wichtig ist, kann er sich auch begeistern, und nur wenn sich ein Mensch sich für etwas begeistert, werden all jene Netzwerke ausgebaut und verbessert, die der betreffende Mensch in diesem Zustand der Begeisterung nutzt. Zwanzig bis fünfzig Mal am Tag erlebt ein Kleinkind diesen Zustand. Jeder dieser kleinen Begeisterungsstürme führt gewissermaßen dazu, dass im Hirn die Gießkanne mit dem Dünger angestellt wird, der für alle Wachstums- und Umbauprozesse von neuronalen Netzwerken gebraucht wird“, erklärt Hüther den inneren Bildungsprozess, durch den etwa der so wichtige Forschergeist in uns geweckt wird. „Alle Bildung ist Selbstbildung“, stellte einst Edith Stein fest. Und Maria Montessori vermutete, wenn wir unseren Kindern vertrauen und sie sich entfalten lassen würden, könnte daraus einst eine bessere Welt entstehen.

Handwerkszeug statt Teilwissen

Wir wissen nicht, was die Zukunft eines Tages von unseren Kindern abverlangen wird. Der Pädagoge Jean-Jacques Rousseau äußerte sein Unverständnis für jene Menschen, die ihre Kinder für eine Zukunft quälten, die sie doch gar nicht kennen. Ein schönes Beispiel sind jene, die Kleinkinder heute schon mit Tablets ausstatten möchten, um sie digital fit zu machen, und dabei vergessen, dass diese Tablets spätestens in zehn Jahren im Museum liegen.

Wer Kleinkinder heute schon mit Tablets ausstatten möchte, um sie digital fit zu machen, vergisst, dass diese Tablets spätestens in zehn Jahren bestenfalls im Museum liegen

Dabei wissen die wenigsten wirklich was sie meinen, wenn sie von digitaler Bildung sprechen. Einige verweisen etwa darauf, dass schon Kleinkinder eine bessere Feinmotorik entwickeln, wenn sie viel mit den Smartphones ihrer Eltern spielen. Das ist auch tatsächlich so. Dabei ignorieren sie aber nicht nur die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Schutz der Kinder, sondern eben auch, dass einseitige Förderung in einem Teilgebiet zwar gewöhnlich zu einer Verbesserung in der Leistung in diesem Bereich führt, diese aber auf Kosten der Entwicklung anderer Fertigkeiten und Fähigkeiten geht. Hier gibt es so gut wie keine Forschung, aber so genannte Wissenschaftler:innen, die es kaum schaffen, zwischen ihren wissenschaftlichen Interessen und denen wirtschaftlichen Interessen ihres eigenen Unternehmens zu unterscheiden. Während andere wiederum meinen, sie müssten „modern“ sein und in Aktionismus verfallen. Wiederum andere verwechseln ihr gut gemeintes Engagement schlicht mit ihrem Geldbeutel, während die nächsten meinen, sie müssten die Kinder fit machen, für die veränderten Umstände.

Damit trampeln viele über die eigentlichen Bedürfnisse der Kinder hinweg und schaden ihnen, statt einer ernsthaften Wissenschaft Raum zu bieten, die letztlich auch zu einer sinnvollen „digitalen Bildung“ führt. Augenblicklich besteht diese mehr darin, den Erwachsenen zunächst mal einen vernünftigen Umgang mit ihren digitalen Gerätschaften nahe zu bringen und die Schülerinnen und Schüler in ihrem Interesse an dieser faszinierenden Welt ernsthaft dann zu unterstützen, wenn ihr Interesse vorhanden ist und diese zumindest lesen können.

Ja, sind die denn verrückt, diese Erwachsenen, dass sie unsere Jüngsten in einem Alter in die Schule schicken wollen, da sie doch so viel zu lernen haben?

Weisheit aus dem Himalaja

Es geht darum, Bildung so zu entwickeln, dass der Mensch je nach seiner Individualität seine Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickelt, damit die Gesellschaft als Ganzes das Handwerkszeug in Händen dazu erhält, mit dem sie eine schwierige und komplexe Zukunft gestalten kann.

Kreativität ist gefragt

„Wo Deine Gaben liegen, da liegen Deine Aufgaben“, lautet ein altes deutsches Sprichwort. Wir brauchen heute kein Heer an Industriearbeitern und Soldaten mehr, die alle die gleichen Fähigkeiten haben. Und Konsumenten mögen zwar ihre Befriedigung aus dem Konsum ziehen, sind aber in Zeiten der Klimakrise auch zunehmend weniger gefragt. Wir brauchen Menschen, die mit ihren besonderen Fähigkeiten, die Herausforderungen der Zukunft meistern.

Der Philosoph Hans Lenk nennt dafür zwölf Bildungsziele: Kreativität, Flexibilität, Selbsterkenntnis, Selbstwertbewusstsein, Führungsfähigkeit, Sachlichkeit, Zielstrebigkeit, interdisziplinäre Offenheit, generalistisches Interesse, Fortschrittsorientierung, Zivilcourage, Grundwertorientierung. Der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Klafki nennt drei Fähigkeiten: Selbstbestimmungsfähigkeit, Mitbestimmungsfähigkeit, Solidaritätsfähigkeit.

Kreativität ist eine Haltung im Leben, eine Fähigkeit jedwede Gegebenheit der Existenz zu meistern.

Arno Stern

Dabei beschreiben Lenk und Klafki nicht anderes als das, was der Mensch letztlich seit Entstehung des Homo sapiens sapiens eigentlich ist, wenn man ihn nur lässt. Denn genau diese Fähigkeiten haben dafür gesorgt, dass sich die Menschheit immer wieder aufs neue den neuen Umweltbedingungen angepasst und Lösungen für die Herausforderungen gefunden hat. Dass diese Lösungen nicht immer optimal waren, zeigt sich an vielen Beispielen. Wurde das Auto kurz nach seiner Erfindung doch als großer Fortschritt für die Umwelt gefeiert, weil dadurch der Pferdekot, der sich meterhoch am Straßenrand in den Städten sammelte, verschwand. Heute hat sich die Einstellung gegenüber dem Automobil oftmals ins Gegenteil gewendet.

Auch dafür kann die Menschheit Lösungen finden. Und man muss kein Prophet sein, um voraus zu sagen, dass es die kreativen, flexiblen und offenen Köpfe sein werden, die diese finden. Während jene, die einfache Lösungen bevorzugen, weil sie die Komplexität der Realität nicht erfassen können und wollen, diese nicht verstehen und möglicherweise verhindern werden. Wer dabei die Oberhand gewinnt, lässt sich noch nicht sagen. Letztlich sollte aber allen klar sein, dass wir jene kreativen Köpfe fördern sollten.

Bildung braucht einen Grund

Und wo bleiben dabei Deutsch und Mathematik? Menschen haben Sprache, Schrift und das Rechnen entwickelt, um miteinander umgehen zu können. Neugierige, soziale junge Menschen werden sich diese aus denselben Gründen aneignen. Gerne mit unserer Unterstützung und vor allem ohne Druck. „Die Bildung wird täglich geringer, weil die Hast größer wird“, klagte einst Friedrich Nietzsche. In diese Klage stimmen heute viele Eltern, Pädagog:innen und Lehrer:innen ein. Angesichts der hohen Lebenserwartung und in so einem reichen Land sollte es hier keinen Druck mehr geben. Vertrauen wir also dem inneren Bildungsmotor unserer Kinder und unterstützen sie.

Denn das Leben verstehen bedeutet Bildung heute

„Im Unterricht fragte die Lehrerin uns einst, was wir einmal werden wollen.  Ich antwortete ,glücklich‘, woraufhin die Lehrerin meinte, ich hätte die Frage nicht verstanden. Ich antwortete darauf, sie hätte das Leben nicht verstanden.“ Diese Erinnerung stammt von John Lennon und niemand wird widersprechen wollen. Denn das Leben verstehen bedeutet Bildung heute.

Gernot Körner