Verbal oder Zahl? – Schulzeugnisse verändern den Blick von Eltern

Neue BiB-Studie zeigt: Klare Noten statt blumiger Worte fördern das Engagement von Eltern

Sommerzeit ist Zeugniszeit – für viele Familien ein emotionaler Moment, der nicht nur Rückblick, sondern auch Weichenstellung für die Zukunft bedeutet. Passend zum Schuljahresende hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) eine neue Studie veröffentlicht, die beleuchtet, wie Schulzeugnisse das elterliche Verständnis für die Leistungen ihrer Kinder beeinflussen – und wie sich dies auf das Bildungsengagement zuhause auswirkt.

Eltern schätzen Leistungen oft zu positiv ein

Das zentrale Ergebnis: Viele Eltern überschätzen die schulischen Fähigkeiten ihrer Kinder, besonders in Deutsch, Mathematik und den Naturwissenschaften. Dies gilt vor allem in Haushalten mit niedriger formaler Bildung oder Migrationshintergrund. Die Forscherinnen der Studie, Elena Ziege und Ariel Kalil, warnen: Diese Fehleinschätzungen können dazu führen, dass Kinder nicht in dem Maße gefördert werden, wie es ihrem tatsächlichen Lernstand entspricht.

Format entscheidet: Noten wirken besser als Texte

Doch das muss nicht so bleiben. Wie die Untersuchung zeigt, können Schulzeugnisse diese Wahrnehmung wirksam korrigieren – vorausgesetzt, sie sind klar und verständlich. Dabei spielt das Format der Leistungsrückmeldung eine entscheidende Rolle: Während schriftliche Lernstandsbeschreibungen – wie sie in vielen Grundschulen für die ersten Jahrgangsstufen üblich sind – oft nicht richtig gedeutet werden, führen klare numerische Noten oder Gespräche mit Lehrkräften deutlich häufiger zu einer aktiveren Unterstützung der Kinder durch die Eltern.

Mehr Engagement durch bessere Information

„Väter und Mütter, die präzise Informationen zum Leistungsstand erhalten, lesen häufiger mit ihren Kindern oder spielen gezielter mit ihnen – insbesondere, wenn es sich um das erste Zeugnis handelt“, fasst Bildungsforscherin Elena Ziege zusammen. Besonders bedeutsam sei dies für Kinder aus sozial benachteiligten Haushalten. Hier könne eine frühzeitige, transparente Rückmeldung über die Schulleistungen ein Schlüssel sein, um Bildungspotenziale besser zu nutzen.

Frühe Rückmeldung als Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit

Die Datenbasis der Studie stammt aus dem Nationalen Bildungspanel (NEPS) und bezieht sich auf das erste Grundschuljahr. Die Autorinnen empfehlen, bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auf klar strukturierte Rückmeldungen zu setzen – idealerweise in Form von Noten oder standardisierten Einschätzungen, ergänzt durch persönliche Gespräche. Denn: Gut informierte Eltern sind besser in der Lage, ihre Kinder beim Lernen zu begleiten.

Quellenhinweis:

Ziege, Elena & Kalil, Ariel (2025): How Information Affects Parents‘ Beliefs and Behavior: Evidence from First-Time Report Cards for German School Children
Veröffentlichung beim Becker Friedman Institute, University of Chicago
Link zur Studie

Quelle: Dr. Christian Fiedler, Pressestelle, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)




Kinder gleichen Konzentrationsschwäche durch Kreativität aus

Gluehbirne

Studie zeigt, dass Kinder dank breitem Fokus eigene Lösungswege finden

Im Vergleich zu Erwachsenen können sich Kinder noch nicht so gut konzentrieren, sich weniger merken und ihre Aufmerksamkeitsspanne ist verhältnismäßig kurz. Dies ist auf den Stand der kognitiven Entwicklung zurückzuführen. Dadurch – so bisher angenommen – haben sie einen Nachteil beim Lösen von Aufgaben. Dass sich der breitere Fokus jedoch auch als Vorteil erweisen kann, zeigt jetzt eine Studie der Max Planck Forschungsgruppe „NeuroCode – Neuronale Grundlagen des Lernens und Entscheidens“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung: Kinder sind gut darin, weniger relevante Informationen zu verarbeiten und mithilfe dieser spontan neue und kreative Strategien beim Lösen von Aufgaben zu finden.

Mit spontanen Strategiewechseln Aufgaben bewältigen

Auch Erwachsene zeigen beim Lösen von Aufgaben spontane Strategiewechsel, ähnlich sogenannten „Aha-Momenten“, die das Lösen einer Aufgabe erleichtern. Der Fachartikel zeigt, dass Kinder zwar beim Lösen von Aufgaben mithilfe von herkömmlichen Strategien deutlich schlechter abschneiden, da ihnen beispielsweise fokussierte Aufmerksamkeit schwerer fällt, sie aber genauso oft wie die Erwachsenen mithilfe von spontanen Strategiewechseln die Aufgaben bewältigen.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Kinder zwar oft weniger fokussiert und leichter abzulenken sind als Erwachsene, aber erstaunlich flexibel beim Entdecken ganz neuer Lösungen“, sagt Psychologe und Neurowissenschaftler Nicolas Schuck, Gruppenleiter der Max-Planck-Forschungsgruppe „NeuroCode“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. „Gerade in Anbetracht ihrer nicht vollständig entwickelten Konzentrationsfähigkeit sind dies wichtige Ergebnisse für das Erforschen von Lernverhalten bei Kindern“, so Schuck weiter.

Neun Jahre Forschung

In der seit dem Jahr 2013 laufenden Studie wurde anhand folgender Methode geforscht: 47 Kinder zwischen acht und zehn Jahren und 39 junge Erwachsene zwischen 20 und 35 Jahren sollten dieselbe Entscheidungsaufgabe durchführen. Bei dieser Aufgabe sollten sie die Position eines Musters mithilfe von zwei möglichen Antworten bestimmen. Die Farbe des Musters war dabei anfangs nicht relevant für die richtige Antwort, begann im Verlauf jedoch mit der korrekten Antwort einherzugehen.

Wenn Versuchspersonen dies bemerkten, konnten sie die Aufgabe sehr viel effizienter und einfacher lösen. Die Proband:innen wurden nicht darüber informiert, dass es weitere Faktoren, die Einfluss auf die möglichen Lösungsstrategien haben, geben würde und konnten diese nur eigenständig identifizieren. Das NeuroCode-Team am MPIB konnte in Zusammenarbeit mit Forschenden der Goethe-Universität Frankfurt am Main, der FernUniversität Hagen, der Humbold-Universität zu Berlin, der UNSW Sydney und der PFH Göttingen folgende Ergebnisse erzielen: Im Vergleich mit den jungen Erwachsenen schnitten die Kinder beim Lösen der Aufgabe in der Regel deutlich schlechter ab. Sie hatten mehr fehlerhafte und verfrühte Antworten. Jedoch war der Anteil von Kindern (27,5%), welche die hilfreiche Farbstrategie entdeckten und nutzten, sehr ähnlich dem der jungen Erwachsenen (28,2%).

„Aha-Moment“ verbessert Erfolgsrate

Solange die Kinder nur die anfänglich zur Verfügung stehenden Strategien und Regeln nutzten, die Konzentration und Ausdauer erforderten, schnitten sie schlechter ab. Jedoch entdeckten und nutzen genauso viele Kinder wie junge Erwachsene die Farbregel. Obwohl Kinder also in sämtlichen Bereichen kognitiver Kontrolle schlechter abschnitten, konnte sich ein im Vergleich zu den jungen Erwachsenen nahezu gleicher Anteil von ihnen durch einen „Aha-Moment“ verbessern und erlangte dadurch einen ähnlichen Performanzvorteil wie die Erwachsenengruppe.

Das neu gewonnene Wissen rund um den „Aha-Moment“ ist eine wichtige Erkenntnis der Studie. „Unsere Ergebnisse geben Hinweise darauf, dass Erzieher*innen, Eltern und Lehrer:innen weniger auf starre Regeln pochen sollten, und nur den einen konkreten Lösungsweg vermitteln sollten, sondern auch den breiten Fokus der Kinder wertschätzen und fördern sollten. Unsere Befunde zeigen: Wir können stärker in die kreativen Lösungsstrategien von Kindern vertrauen“, sagt Anika Löwe vom NeuroCode Team des MPIB und Co-Autorin der Studie.

Mehr Forschung im Bereich kognitive Entwicklungspsychologie

Zukünftig solle es mehr Forschung im Bereich kognitive Entwicklungspsychologie zu Kreativprozessen statt zu Konzentrationsschwäche bei Kindern geben.

Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung wurde 1963 in Berlin gegründet und ist als interdisziplinäre Forschungseinrichtung dem Studium der menschlichen Entwicklung und Bildung gewidmet. Das Institut gehört zur Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V., einer der führenden Organisationen für Grundlagenforschung in Europa.

Originalpublikation:

Schuck, N. W., Li, A. X., Wenke, D., Ay-Bryson, D. S., Loewe, A. T., Gaschler, R., & Shing, Y. L. (2022). Spontaneous discovery of novel task solutions in children. PLoS ONE, 17(5), Article e0266253. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0266253

Elena Hungerland/Max-Planck-Institut für Bildungsforschung