Schlusslicht bei der Inklusion: Baden-Württemberg vor der Bildungswahl 2026

Freiburger Initiativen fordern konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention – Wahljahr als Chance für echten Wandel

Von außen betrachtet wirkt Baden-Württemberg modern, wirtschaftsstark und bildungspolitisch gut aufgestellt. Doch wenn es um schulische Inklusion geht, ist das „Ländle“ bundesweit Schlusslicht. Das belegt die Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und der Bertelsmann Stiftung des Soziologen Sebastian Steinmetz und anderer (2021) zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in den Bundesländern. In keinem einzigen der geprüften Kriterien erfüllte Baden-Württemberg seinerzeit die Vorgaben von Artikel 24 UN-BRK. Seither hat die Grün-Schwarze Landesregierung unter der Leitung des Ministerpräsidenten und langjährigen Gymnasiallehrers Winfried Kretschmann nur wenig getan.

Dabei gibt es seit dem 1. August 2015 ein „inklusives Schulgesetz“. Die Sonderschulpflicht wurde abgeschafft, Kinder mit Behinderungen dürfen theoretisch jede allgemeine Schule besuchen. In der Praxis funktioniert das jedoch selten. Viele Eltern berichten von fehlenden Ressourcen, überlasteten Lehrkräften, mangelnder Unterstützung sowie Diskriminierung und Mobbing. „Wir sprechen mit Eltern, die alles versucht haben, um ihr Kind in einer Regelschule zu halten – und am Ende doch aufgeben“, sagt Simone Ruser, Vorstandsmitglied von buntes wir e.V.. „Sie sind frustriert, weil das Versprechen von Inklusion in Baden-Württemberg oft nur auf dem Papier steht.“

Wir sprechen mit Eltern, die alles versucht haben, um ihr Kind in einer Regelschule zu halten – und am Ende doch aufgeben.
– Simone Ruser

„Ein Menschenrecht, das eingeklagt werden könnte“

Dass Inklusion in Baden-Württemberg noch so unzureichend umgesetzt ist, kann Eckhard Feige, Inklusionspädagoge und ehemaliger Schulleiter aus Bremen, kaum fassen. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Bremen heute als Vorreiter der schulischen Inklusion gilt. „Alle Argumente und Bezüge zur UN-Konvention, die die Initiativen in Baden-Württemberg vortragen, sind absolut richtig. Tragisch ist nur, dass diese Debatte dort – wie auch in Bayern – noch keinen nennenswerten Niederschlag in der Schulrealität gefunden hat.“

Dass sich eine Landesregierung diesem Auftrag seit so vielen Jahren verweigert, ist beschämend. Es ist nicht nur ein Versäumnis – es ist eine Missachtung der Rechte von Kindern und Jugendlichen.
— Eckhard Feige

Feige verweist auf den klaren rechtlichen Rahmen: „Der Anspruch auf inklusive Bildung ist laut UN-Konvention ein Menschenrecht – und könnte im Grunde eingeklagt werden. Dass sich eine Landesregierung diesem Auftrag seit so vielen Jahren verweigert, ist beschämend.“

Wahljahr 2026: Druck auf die Parteien steigt

Am 8. März 2026 wählt Baden-Württemberg einen neuen Landtag. Für die Freiburger Initiative „buntes wir e.V.“ der perfekte Zeitpunkt, um den Parteien klare Forderungen vorzulegen. Der zehn Punkte umfassende Katalog reicht vom Moratorium für den Neubau von Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) über verbindliche Reduktionsziele für die Segregationsquote bis zur verpflichtenden Aufnahme inklusiver Unterrichtsinhalte in Lehramtsstudiengänge.

„Wir wollen der Finger in der Wunde der Bildungspolitiker im The Länd sein“, betont Ruser. „Wir haben genug von unverbindlichen Bekenntnissen. Jetzt ist der Moment, dass sich im Wahlkampf alle Kandidatinnen und Kandidaten klar zur UN-BRK bekennen – mit konkreten Schritten und einem verbindlichen Zeitplan.“

Wir fordern ein klares Bekenntnis zur UN-BRK / Artikel 24 inklusive dem dort geforderten Rückbau von segregativen Schulformen.
— Forderungspapier buntes wir e.V.

Besonders kritisch sieht die Diplom-Volkswirtin den oft beschworenen „Elternwunsch“ als Argument für den Fortbestand zweier getrennter Schulsysteme: „Das ist eigentlich gar kein Wunsch, sondern eine Notlösung. Die Eltern dürfen sich zwischen einem gut ausgestatteten Förderschulsystem und einer Inklusion entscheiden, die in vielen Schulen schlicht nicht umgesetzt wird.“

Beispiele, die wütend machen

Ein aktueller Streitpunkt ist der geplante Neubau eines neuen SBBZ in Niederrimsingen für rund elf Millionen Euro. „Ich habe noch nie davon gehört, dass so viel Geld in inklusive Bildung investiert wurde“, sagt Ruser. „Das ist wieder eine verpasste Chance. Statt Barrieren abzubauen, werden neue Mauern hochgezogen.“

Feige macht deutlich, dass es auch anders geht: „In Bremen haben wir seit der Schulgesetznovelle 2009 konsequent Förderschulen abgebaut – von 25 blieben nur drei spezialisierte Förderzentren. Neue Förderschulen werden nicht errichtet. Alle anderen Kinder lernen gemeinsam im Regelsystem – mit individueller Förderung.“

Neue Förderschulen werden bei uns auf gar keinen Fall errichtet – jeder Euro fließt in den gemeinsamen Unterricht.
— Eckhard Feige

Noch ein alarmierender Befund: Über 60 Prozent der Kinder in Freiburg mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben einen Migrationshintergrund. „Das steht schwarz auf weiß im Schulentwicklungsbericht der Stadt“, so Ruser. „Hier werden Kinder ‚behindert‘ gemacht, statt sie gezielt zu fördern. So beginnt oft eine lebenslange Kette der Ausgrenzung – bis hin zur Werkstatt für Menschen mit Behinderung.“

„Inklusion ist kein Luxus“

Auch Cornelia Bossert von der Initiative Inklusion neu denken spricht Klartext: „Inklusion ist kein Extra, sondern eine Investition in eine starke, kreative und gerechte Gemeinschaft, von der jeder profitiert. Je vielfältiger eine Gruppe, desto reicher die Ideen, desto größer die Lösungskompetenz.“

Inklusion ist kein Extra, sondern eine Investition in eine starke, kreative und gerechte Gemeinschaft.
— Cornelia Bossert

Sie verweist auf die wirtschaftlichen Vorteile einer inklusiven Gesellschaft: „Der Fachkräftemangel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Menschen mit Behinderung sind oft motivierte und gut ausgebildete Fachkräfte, die wir uns nicht leisten können zu übersehen. Inklusion ist also auch eine kluge wirtschaftliche Entscheidung.“

Für Bossert ist Inklusion ein Lackmustest für die Demokratie: „Eine inklusive Gesellschaft ist wie ein großer Tisch, an dem jeder Platz hat – egal, ob mit oder ohne Behinderung, egal welcher Herkunft, Religion oder Lebensweise. Wenn wir diesen Anspruch nicht im Schulsystem umsetzen, schwächen wir unsere Gesellschaft von innen.“

Hürden in Köpfen und Strukturen

Die Aktivistinnen sehen die Ursachen für die Misere in einem Zusammenspiel aus fehlender Betroffenheit in der Mehrheitsgesellschaft, stereotype Vorstellungen, mangelnde Sanktionen bei Diskriminierung und hohen bürokratischen Hürden. „Ohne gesellschaftlichen Druck, klare Zielvorgaben und den Mut, das Schulsystem strukturell zu verändern, bleibt es beim Inklusions-Blabla“, warnt Ruser.

In Bremen gehört individuelle Förderplanung für alle Schüler*innen zum Standard – unabhängig davon, ob ein sonderpädagogischer Förderbedarf vorliegt oder nicht. Das ist kein ‚Luxus‘, sondern schlicht professionelle Pädagogik.
— Eckhard Feige

Feige ergänzt: „Bremen hat gezeigt, dass Wandel möglich ist – wenn der politische Wille da ist und alle Ebenen, von der Universität bis zur Schulbehörde, konsequent auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten.“

Wahl 2026: Die Stunde der Wahrheit

Die Freiburger Initiativen Inklusion neu denken, buntes wir, Freiburger Bündnis – Eine Schule für alle und der Grundschulverband Baden-Württemberg bündeln ihre Kräfte, um die Landtagswahl 2026 zu einem Wendepunkt zu machen.

„Wir werden alle Parteien daran messen, ob sie sich klar für die Umsetzung der UN-BRK und den Rückbau segregierender Schulformen positionieren“, kündigt Ruser an. „Die Wählerinnen und Wähler, die sich für eine inklusive Gesellschaft einsetzen, werden genau hinschauen – und wir werden nicht locker lassen.“

Bossert ergänzt: „Wahlkampf ist immer auch ein Wettbewerb der Visionen. Wir wollen, dass Inklusion in Baden-Württemberg endlich nicht mehr als Kostenfaktor, sondern als Zukunftsinvestition begriffen wird.“

Jetzt, so sind sich die Aktivistinnen einig, sei der Moment, in dem die Weichen gestellt werden: Entweder bleibt Baden-Württemberg Schlusslicht in Sachen schulischer Inklusion – oder es wird Vorreiter. „Am 8. März 2026 haben die Menschen im Land die Möglichkeit, mit ihrer Stimme zu zeigen, wie wichtig ihnen die Rechte aller Kinder sind“, sagt Ruser. „Diese Chance sollten wir nicht verpassen.“

Gernot Körner




Kinder brauchen ein Gegenüber, das zuhört und mit ihnen spricht

Die Leiterin der Kita Dietrich-Bonhoeffer in Bremen, Kirsten Vöge, im Interview zum Thema „Sprachförderung“

Die Kita Dietrich-Bonhoeffer liegt im Bremer Stadtteil Huchting. Ein „durchmischter“ Stadtteil am Stadtrand, in dem verschiedene soziale Milieus zusammenkommen. Die Kita begleitet mit Krippe und Kindergarten derzeit 128 Kinder. Gemeinsam mit einer Kollegin leitet Kirsten Vöge die Einrichtung. Da die Kita auch inklusiv ist, arbeitet hier mit insgesamt 53 Kolleginnen und Kollegen Fach- und Hilfskräfte unterschiedlicher Profession. Von den 128 Kindern haben 28 einen besonderen Förderbedarf.

Stärkere Untersützung für mehr Kinder

Auch in Huchting ist die Zahl der Kinder, die im Spracherwerb stärker unterstützt werden müssen, gestiegen. Die Kita ist auch deshalb eine Sprachkita. Zwei Fachkräfte kümmern sich speziell um diesen Bereich. Dass die Zahl der Kinder, die sprachliche Schwierigkeiten haben, auch in Huchting gewachsen ist, hat sich laut Kirsten Vöge in den Ergebnissen des sogenannten PRIMO-Tests gezeigt. Das ist ein Sprachtest, an dem alle Bremer Kinder ein Jahr vor der Einschulung teilnehmen. Waren es in den vergangenen Jahren immer zwischen 12 bis 15 von 40 Kindern die auffällig waren, zeigte sich im jüngsten Test, dass diesmal knapp 30 Kinder einen besonderen Förderbedarf hatten.

Auf der Suche nach den Ursachen

Daraufhin hätte das Team noch einmal genauer hingesehen, wie der Hintergrund der Betroffenen sei. Wie immer gebe es keine einfachen Antworten, so Vöge. Zunächst einmal betreffe das Kinder, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen würden und die relativ spät in die Kita kämen. Deren Anteil sei in den vergangenen Jahren gewachsen. Eine besondere Gruppe sind auch die Kinder aus der Ukraine, deren Familien vor der Frage stünden, ob es sich um eine Übergangssituation handelt oder ob sie sich auf das neue Land einlassen.

Sprache und Sprachfreude verstärken

Daneben wächst auch die Zahl der Kinder, die hierzulande geboren sind und dennoch einen erhöhten Sprachförderbedarf haben. Hier kann Kirsten Vöge nur Vermutungen anstellen. „Wir nehmen verstärkt zur Kenntnis, dass Kinder früh mit Medien Kontakt haben, also mit Medien, mit Smartphones, mit Tablets und dann natürlich gut beschäftigt sind“, sagt sie. Diese Kinder hätten kein Gegenüber, mit dem sie sprechen könnten, das ihnen Feedback gebe, das sie bestätige, in dem, was sie sagten. Und wenn niemand die Sprache und die Sprachfreude verstärke, dann sei das womöglich auch ein Hemmnis. Die Kinder müssten an das Kommunizieren herangeführt werden. Und da läge der Ball schon bei den Eltern, die auf ihr Kind eingehen sollten.

Zugang zu Büchern verstärken

Auch der Zugang zu Büchern sei ein großes Thema. Vöge fragt danach, ob sich jemand in den Familien mit einem ein Buch hinsetze und vorlese. „Ich müsste ja nicht mal die Geschichte vorlesen, die in diesem Buch steht, sondern einfach ins Gespräch kommen über Bilder, die wir gemeinsam betrachten.“

Um den Familien hier mehr Anregung zu geben, habe man nun eine Ausleihbücherei vor Ort. Neben dem Besuch in der Stadteilbücherei, könnten die Kinder nun auch hier wöchentlich Bücher ausleihen, um einfach überhaupt die Möglichkeit zu haben, zu Hause gemeinsam Bücher anzuschauen.

Sprache als Querschnittaufgabe

Viele Sachen, die in der Kita getan würden, sind lauf Vöge keine besonderen Sachen. Die Haltung in der Kita sei zunächst einmal, Sprache als Querschnittaufgabe zu sehen. Überall stecke Sprache drin und Sprache sei der Schlüssel zur Welt. Vieles stamme aus dem Bundesprojekt „Sprachkita“. Das sei das Fundament. „Wir nutzen jede Möglichkeit im Alltag, um ins Gespräch zu gehen oder dem Kind ein Feedback zu geben“. Dann gebe es eine feste Struktur. So etwa die festen Essenszeiten, zu denen jederzeit Tischgespräche geführt werden könnten. Die Kinder hätten immer eine relativ homogene Gruppe um sich, in der sie ihr Gegenüber kenne und vertrauen würden. So könnten sie sich jederzeit an einem Gespräch beteiligen. Vertrauen und Bindung seien nun mal die Grundlage, um lernen und sich einlassen zu können.

Brücken schaffen mit Metacom Karten

Bedingt durch den erhöhten Förderbedarf setze man auch Metacom Karten ein. Das seien Karten, die eine Situation in einem sehr leichten Bild oder einen Gegenstand zeigten, durch deren Nutzung Kinder die Möglichkeit haben, in einen Kontakt zu kommen. Das sei nun zunächst nicht sprachlich. Aber in jedem Fall habe das Kind die Möglichkeit, etwas auszudrücken. Zudem seien sprachbegleitende Gebärden von besonderer Bedeutung, die überall im Alltag eingesetzt würden. Kinder könnten diese Gebärden mit Worten, mit Lauten und Singen in Verbindung bringen. Damit könnte eine Brücke gebaut werden kann.
Das Wichtigste ist laut Vöge, dass sich jede Fachkraft jederzeit darüber bewusst ist, dass sie das Sprachvorbild für die Kinder darstellt. Zudem sollte jedem klar sein, was für eine Kompetenz oder sogar Macht er habe, Sprache anzuregen oder auch nicht, „durch mein eigenes Sprechen, durch meine Nutzung von gewissen Worten. Das sollten wir in jedem Moment, in dem wir im Kita-Alltag unterwegs sind, wissen.“

Kinder wirklich wahrnehmen

Eltern rät sie, mit ihren Kindern direkt im Kontakt zu sein, ihr Kind wirklich wahrzunehmen, zu hören, was es sagt, was es ausdrücken möchte und es darin zu unterstützen, indem sie natürlich immer positiv darauf reagieren und es verstärken. Das wäre die Grundvoraussetzung,

„Und dann würde ich sagen, das Handy mal in der Tasche lassen und Bücher oder Geschichten nutzen, um gemeinsame Welten auch zu erschaffen.“, ergänzt sie. Dabei gehe es nicht unbedingt darum, die Bücher zu lesen, sondern einfach nur gemeinsam anzuschauen. Gemeinsam Bilder anzusehen, etwas zusammen zu machen und das, was das Kind dort anbiete, zu verstärken, sei enorm wichtig nicht nur für den Spracherwerb.

Über gemeinsame Erlebnisse zur eigenen Familiensprache finden

Gemeinsame Erlebnisse würden Anregungen zu gemeinsamen Gesprächen schaffen, um Sprache in den Alltag zu integrieren. So entstünde eine Familiensprache, die das Fundament für jede weitere Sprache sei. Dabei sollten Eltern einfach die Sprache nutzen, in der sie selbst sicher seien. Denn mit dem Kind Deutsch zu sprechen, wenn man selbst unsicher in dieser Sprache sei, helfe der sprachlichen Entwicklung des Kindes nicht. „Wenn ich allerdings eine Sprache spreche, in der ich groß geworden bin, in der ich denke und träume, dann ist das eine gute Grundlage. Da kann man natürlich sehr schnell feststellen, spricht das Kind diese Sprache wirklich gut oder gibt es auch in der Familiensprache eigentlich Punkte, bei denen man denkt, oh, das könnten Hinweise auch auf eine verzögerte, eine Entwicklungsstörung sein und da gibt es Hilfebedarf.“ Und diese Hilfen stehen in der Kita in Huchting und in der Gemeinde zur Verfügung.

Gernot Körner




In Deutschland fehlen rund 266.000 U3-Kitaplätze

Betreuungslücke hat sich mittlerweile ein Stück weit geschlossen

Wer 2019 nach einem Kitaplatz für sein Kleinkind gesucht hat, hatte besonders schlechte Karten: Damals lag die Betreuungslücke bei knapp 360.000 fehlenden Plätzen – ein Negativrekord. Nach einem moderaten Rückgang 2020 um rund 35.000 Plätze ist die Lücke bis zum Frühjahr 2022 auf 266.000 Betreuungsangebote gesunken. Das zeigt eine neue IW-Studie auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes. 

Bremen löst NRW als Schlusslicht ab

Besonders schlecht ist die Lage derzeit in Bremen: Zwar ist die Betreuungslücke seit 2019 prozentual von 19,7 Prozent auf 16 Prozent gesunken, doch mit diesem Wert löst Bremen das bisherige Schlusslicht NRW ab. Im bevölkerungsreichsten Bundesland liegt die Betreuungslücke bei 13,9 Prozent – vor drei Jahren waren es noch sechs Prozentpunkte mehr. Spitzenreiter ist Sachsen mit 3,3 Prozent, dicht gefolgt von Hamburg mit 3,7 Prozent. Insgesamt konnten alle Bundesländer die Betreuungslücke etwas schließen. Das liegt an drei Gründen: Erstens haben die Städte und Gemeinden den Kitaausbau vorangetrieben, zweitens ist die Zahl der Kinder unter drei Jahren gesunken, ebenso wie pandemiebedingt der Anteil der Eltern, die überhaupt einen Betreuungsplatz gesucht haben. 

Trend vermutlich nicht von Dauer

Sind die Ergebnisse nun ein Grund zur Entwarnung? „Nein“, meint IW-Studienautor Wido Geis-Thöne. „Aufgrund der Coronapandemie wurden weniger Betreuungsplätze benötigt. Außerdem suchen seit einigen Monaten viele Menschen aus der Ukraine Schutz vor dem russischen Angriffskrieg – auch Eltern mit ihren Kleinkindern.“ Wie sich die Bedarfssituation in den kommenden Jahren entwickeln werde, lasse sich daher nur schwer abschätzen. Es könne aber dazu kommen, dass sich die Lage wieder verschärfe. 

Geis-Thöne, Wido, 2022, Die Kitalücke schließt sich langsam, IW-Kurzbericht, Nr. 97, Köln