Wenn das Smartphone erzieht: Eltern im Mediendilemma

„Safe am Screen“ von freenet liefert Einblicke in den Alltag moderner Familien – und bietet Unterstützung statt Druck

Die digitale Mediennutzung von Kindern ist längst kein Randphänomen mehr – sie ist Teil des Familienalltags. Eine Initiative namens „Safe am Screen“, des Telekommunikationsunternehmens freenet hat eine Umfrage unter Eltern durchgeführt: Demnach empfinden es 36 Prozent als Erleichterung, wenn ihre Kinder digitale Inhalte nutzen – doch ein Viertel leidet dabei unter Schuldgefühlen.

Der Erhebung nach nutzt ein Drittel der Eltern die freie Zeit zumindest, um selbst etwas zu erledigen. 28 Prozent verwenden diese zur Motivation der Kinder und 24 Prozent zur eigenen Entspannung. 17 Prozent wünschen sich schlicht etwas ungestörte Freizeit.

Die von infas quo im Mai 2025 durchgeführte Umfrage mit 1.095 Eltern verdeutlicht die Ambivalenz vieler Erziehender. Digitale Medien werden bewusst eingesetzt – zur Überbrückung von Zeit, zur Motivation oder schlicht zur eigenen Entspannung. Gleichzeitig erleben viele einen Kontrollverlust oder fühlen sich von digitalen Trends überfordert.

Digitale Präsenz beginnt im Kleinkindalter

Schon in Familien mit Kindern unter drei Jahren sind digitale Geräte allzu präsent. In 61 Prozent der Haushalte spielen Smartphones, Tablets & Co. eine große Rolle – sogar ein Viertel der Eltern von Babys bis zwei Jahren berichtet von täglichem Medienkontakt.

Die Medienpädagogin Edina Medra mahnt zur bewussten Vorbildfunktion: „Eltern prägen durch ihr eigenes Medienverhalten entscheidend mit. Schon das Baby beobachtet – und ahmt nach.“

Zwischen Anspruch und Alltagsstress: Medienerziehung sorgt für Spannungen

Trotz guter Vorsätze sind viele Eltern in der Umsetzung inkonsequent: Zwar sind drei Viertel überzeugt, ihre Kinder gut begleiten zu können – doch fast die Hälfte gesteht, kein konsistentes Vorbild zu sein. Jedes fünfte Kind hat das Medienverhalten der Eltern bereits kritisiert, besonders häufig Kinder im Kitaalter.

Auch in der Familie sorgt das Thema für Konflikte: Ein Drittel empfindet die Diskussionen über Medienzeiten als belastend, knapp ein Fünftel sogar als stark stressend – vor allem, wenn unterschiedliche Vorstellungen aufeinanderprallen, etwa zwischen Elternteilen oder mit Großeltern.

Weitere Infos auf der Safe am Screen Website

Medienkompetenz beginnt bei den Erwachsenen

Kinder jeden Alters erleben die vielfältige digitale Mediennutzung überall in ihrem Lebensalltag Da bleibt es nicht aus, dass sie sich ebenfalls der Faszination digitaler Medien nicht entziehen können. Gleichzeitig gehört es zu den >Lebenskompetenzen< eines Menschen, mit den unübersehbaren und besonders verlockenden Angeboten in einer stark konsumorientierten […]weiterlesen

Armin Krenz: Medienkompetenz beginnt mit der Sach- und Medienkompetenz bei den Erwachsenen und nicht zuvorderst „am“ Kind! Heft, 28 Seiten, 5 €.




Suchtverhalten am Bildschirm: Wenn digitale Medien Kinderseelen belasten

Neue JAMA-Studie zeigt: Nicht die Dauer der Nutzung, sondern das „Wie“ entscheidet über psychische Risiken

Kinder und Jugendliche, die ein suchtartiges Nutzungsverhalten bei Social Media, Smartphones oder Videospielen zeigen, haben ein deutlich höheres Risiko für psychische Probleme – bis hin zu Suizidgedanken oder suizidalem Verhalten. Das ist das zentrale Ergebnis einer groß angelegten US-amerikanischen Langzeitstudie, die am 18. Juni 2025 im renommierten Fachjournal JAMA veröffentlicht wurde.

Die Forscher:innen werteten die Daten von 4.285 Kindern aus, die zu Beginn der Studie neun oder zehn Jahre alt waren. Über einen Zeitraum von vier Jahren wurden sie regelmäßig zu ihrem Umgang mit digitalen Medien und zu ihrer seelischen Verfassung befragt. Dabei zeigte sich: Kinder, die über die Jahre hinweg ein zunehmend zwanghaftes Nutzungsverhalten entwickelten – etwa, indem sie trotz Vorsatz nicht aufhören konnten, sich nervös fühlten, wenn sie offline waren oder zunehmend soziale Kontakte und schulische Verpflichtungen vernachlässigten –, hatten ein mehr als doppelt so hohes Risiko, suizidales Verhalten zu zeigen, als Kinder mit geringem oder unproblematischem Medienkonsum. Auch depressive Symptome wie Rückzug, Angst oder Antriebslosigkeit traten in dieser Gruppe deutlich häufiger auf.

Suchtverhalten ist nicht gleich Bildschirmzeit

Interessanterweise spielte die bloße Dauer der Bildschirmzeit keine entscheidende Rolle. Entscheidend war, ob die Nutzung mit Kontrollverlust, Entzugsgefühlen oder innerem Druck verbunden war. Die Studienautor*innen sprechen daher von „addiktiven Nutzungsmustern“, die von der Oberfläche her vielleicht harmlos wirken – aber tiefgreifende Folgen für das seelische Gleichgewicht junger Menschen haben können.

„Diese Muster wären anhand der bloßen Nutzungszeit zu Beginn nicht vorhersagbar gewesen“, betont Dr. Yunyu Xiao, Erstautorin der Studie und Assistenzprofessorin für psychische Gesundheit an der Weill Cornell Medical School. „Gerade das macht sie so tückisch. Wir sehen, dass es nicht reicht, Kinder einfach weniger ans Handy zu lassen – wir müssen verstehen, wie sie es nutzen und warum.“

Was die Studie so aussagekräftig macht

Die Studie ist Teil der sogenannten Adolescent Brain Cognitive Development (ABCD) Study, einer der größten und umfassendsten Langzeitstudien zur Entwicklung des kindlichen Gehirns weltweit. Seit 2016 begleitet sie über 11.000 Kinder aus den USA mit regelmäßigen Befragungen, psychologischen Tests, bildgebender Diagnostik und Berichten aus Schule und Familie. Für die vorliegende Auswertung wurden standardisierte Fragebögen zu Suchtverhalten bei digitalen Medien mit Fragen zur psychischen Gesundheit kombiniert – darunter auch zur Suizidalität, inneren Unruhe, Depressivität und aggressivem Verhalten.

Was Eltern und Pädagog:innen jetzt wissen müssen

Was bedeutet das für Eltern, Erzieher:innen und Lehrkräfte? Die Studienergebnisse zeigen vor allem eines: Es ist nicht die reine Bildschirmzeit, die das Risiko für seelische Belastungen erhöht. Vielmehr geht es um den Charakter der Nutzung – ob sie kontrolliert, beiläufig und eingebettet in soziale Beziehungen erfolgt, oder ob sie sich verselbstständigt, als Rückzugsraum dient oder emotionale Regulation ersetzt. „Viele Jugendliche nutzen ihr Handy oder Social Media, um negative Gefühle zu betäuben oder Konflikte zu vermeiden“, erklärt Xiao. „Aber das kann in eine Spirale führen, die sie noch verletzlicher macht.“

Eltern und pädagogische Fachkräfte sollten daher weniger mit der Stoppuhr an die Mediennutzung herangehen, sondern vielmehr beobachten, wie sich ein Kind beim und nach dem Konsum fühlt. Wirkt es gereizt, wenn es offline gehen soll? Zieht es sich zunehmend zurück? Spricht es kaum noch über andere Interessen? All das können Hinweise auf eine beginnende Problemnutzung sein.

Prävention beginnt mit Beziehung – nicht mit Verboten

Die Studienautor:innen plädieren für einen bewussteren, begleitenden Umgang mit Medien – und für regelmäßige Gespräche über das, was Kinder und Jugendliche online erleben. „Pädiater:innen und schulische Bezugspersonen könnten viel bewirken, wenn sie wiederholt und frühzeitig nach dem Wie der Nutzung fragen – nicht erst, wenn ein Kind bereits deutliche Symptome zeigt“, so Xiao.

Finanziert wurde die Studie unter anderem vom US-amerikanischen National Institute of Mental Health, der American Foundation for Suicide Prevention sowie von Google. Die Forscher:innen betonen, dass weitere Untersuchungen nötig sind, um die Langzeitfolgen und individuelle Schutzfaktoren besser zu verstehen. Klar ist aber schon jetzt: Digitale Medien prägen die Lebenswelt junger Menschen – und der Weg in die Abhängigkeit ist oft schleichend.

Quelle: Xiao Y, Meng Y, Brown TT, Keyes KM, Mann JJ. Addictive Screen Use Trajectories and Suicidal Behaviors, Suicidal Ideation, and Mental Health in US Youths. JAMA. 18. Juni 2025. DOI: 10.1001/jama.2025.7829