Ein fundierter Ratgeber zum Gebrauch digitaler Medien durch Kinder

Eichenberg, Christiane & Auersperg, Felicitas: Chancen und Risiken digitaler Medien für Kinder und Jugendliche. Ein Ratgeber für Eltern, Lehrkräfte und andere Bezugspersonen

Wie alle Medien (und deren rasante Weiterentwicklung) bieten auch die digitalen Medien in ihren vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten Chancen und Risiken, die miteinander in Verbindung gesetzt sowie gesehen werden müssen und fachlich sorgsam betrachtet werden sollten. Auf der einen Seite benötigen Kinder und Jugendliche eine Medienkompetenz, die sie in ihre Freizeitgestaltung, Lebens- und späteren Schul-/Berufszeit als eine sinnvolle Bereicherung integrieren können. Auf der anderen Seite gilt es aber auch, einen entwicklungshinderlichen und devianten (=sozial/ gesellschaftlich inakzeptable) Gebrauch digitaler Medien zur Kenntnis zu nehmen und Möglichkeiten zu nutzen, eine selbstschädigende, asoziale bzw. exzessive Nutzung zu verhindern bzw. entwicklungsförderlich zu korrigieren.

So ist es sehr zu begrüßen, dass sich die beiden Autorinnen – Prof. Dr. Christiane Eichenberg, Leiterin des Instituts für Psychosomatik an der Medizinischen Fakultät der Sigmund Freud PrivatUniversität in Wien und Dr. Felicitas Auersperg, Universitätsassistentin an der zuvor genannten PrivatUniversität – dem Themenfeld der digitalen Medien zugewandt haben und ihre Erstveröffentlichung im Jahre 2018 nun in einer 2. überarbeiteten Auflage vorlegen.

Zum Aufbau des Buches

Die Veröffentlichung umfasst 4 Kapitel. Im ersten Kapitel (>Bedeutung digitaler Medien in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen<) wenden sich die beiden Autorinnen dem Nutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen, den zur Verfügung stehenden Medien, den Nutzungsgewohnheiten und der Medienkompetenz von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu.

Das zweite Kapitel (>Chancen digitaler Medien für Kinder und Jugendliche<) geht konkret auf die Identitätsentwicklung (z.B. Selfies), Soziale Kompetenzen und Beziehungen, Lernen (z.B. wissensbezogene Inhalte, Kindergarten bis zu weiterführenden Schulen), Spielen (z.B. Gewalt am Bildschirm, serious Gaming, Kreativität), Informationsaustausch und Meinungsbildung (z.B. Internet und der Abbau von Vorurteilen), Psychosoziale Hilfestellung bei typischen Problemen im Jugendalter (z.B. Selbsthilfeforen, Sexualität und Aufklärung im Internet) ein.

Im dritten Kapitel (>Risiken digitaler Medien für Kinder und Jugendliche<) finden sich Ausführungen zu den fünf Risikobereichen: a) Exzessive Nutzungsweisen – Internetsüchte-; b) Dysfunktionale Nutzungsweisen: Informationsüberflutung sowie Cyberchondrie & Co; c) Selbstschädigende Nutzungsweisen: Suizid-Foren, Ritzer-Seiten und Pro-Ana-Bewegung; d) Deviante Nutzungsweisen: Cybermobbing, Cybertalking und sexuelle Gewalt sowie e) Jugendgefährdende Inhalte: Politischer Extremismus. Anschließend folgen die Schwerpunkte Interventionsmöglichkeiten bei Online-Sucht und Cybermobbing, therapeutische Aspekte im Umgang mit Online-Sucht und präventive Maßnahmen.

Kapitel 4 stellt sich der Herausforderung, >Medienkompetenz sinnvoll zu vermitteln<. Dabei dreht sich zunächst alles um die Medienkompetenz in der Familie, um Strategien zur Vermittlung von Medienkompetenz bei Kindern, bei Jugendlichen und um die Mediennutzung sowie intergenerationale Konflikte in der Familie, um dann auf die Medienkompetenz in der Schule und Konzepte zur Vermittlung von Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen einzugehen. Ein kurzes Fazit, eine sehr umfangreiche Literaturliste sowie 4 Checklisten (Merkmale der Online-Spielsucht; Liste angenehmer Tätigkeiten; Medienvertrag – Regeln zu Internet, Fernseher & Co; Mein Medientagebuch) schließen diese Veröffentlichung ab.

Zum Inhalt des Buches

Als Ausgangspunkt kann folgende Aussage gelten: während Kinder als sogenannte >digital natives< aufwachsen, haben viele Erwachsene erst die Aufgabe gehabt, sich in die digitale Welt nach und nach einzuarbeiten. Dieser Unterschied ist eine dringend zu lösende Herausforderung, um zunächst selbst eine Medienkompetenz zu erlangen. Immer mehr Kinder und Jugendliche nutzen mit zunehmendem lt. JIM-Studie und KIM-Studie Smartphones, Laptops, Spielekonsolen, Tablets und nutzen bevorzugte Streamingdienste. Jugendliche greifen dabei zu Hause häufig auf Netflix, Amazon Prime Video oder Disney+, auf Musikstreamingdienste wie Spotify, Apple Music oder You-Tube Musik zu und auch die Zahl an eigenen Wearables wie z.B. Smartwatches steigt stetig an und Social-Media-Plattformen wie Instagram, TikTok & Co erfreuen sich einer breiten Beliebtheit. Hier ist eine Medienkompetenz gefragt, bei der die Kinder und Jugendlichen – entsprechend ihrem Alter – lt. dem deutschen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSF) selbstbestimmt, kritisch, kreativ und verantwortungsbewusst handeln sollen, wobei sie selbst die Fähigkeit besitzen sollen, ihren Konsum zu reflektieren und zu bewerten, um auch die Konsequenzen ihres Konsums einzuschätzen. Hieraus geben sich deutliche Aufgaben, die Eltern, Erzieher*innen, Lehrkräfte und andere Bezugspersonen sehen, aufgreifen und umsetzen müssen!

Die beiden Autorinnen schaffen es in ausgezeichneter Weise bei ihren inhaltlichen Ausführungen, die stets mit reichhaltigen, sogenannten >Fallbeispielen< angereichert sind, Chancen, Auswirkungen und Risiken (z.B. bei Computerspielen, der Handy-/ Computer-/ TV-/ Selfie-/ KI-nutzung, dem Online-Gaming) gegenüberzustellen und entsprechende Altersempfehlungen vorzunehmen. Leser*innen erfahren immer wieder aktuelle Untersuchungsdaten und mit Zahlen belegte Aussagen, worin einerseits die Chancen für Kinder und Jugendliche liegen, digitale Medien in ihre Lebens- und auch Lernwelt zu integrieren, andererseits werden aber auch die Risiken wie eine Zunahme an Internetsüchten wie beispielsweise Online-Spielsucht oder die exzessive Nutzung von Chatforen und sozialen Netzwerken, Online-Kaufsucht ebenso thematisiert wie Cybermobbing, Cyberstalking und direkte sexuelle Übergriffe in Chatrooms oder Sexting (Austausch sexueller Nachrichten/ Weiterleiten von Fotos) bzw. Online-Challenges, in denen es um grenzüberschreitende ‚Mutproben‘ geht.

Dabei wird auch die Erstellung und Verbreitung von Pornografie über das Netz thematisiert. Doch hier bleiben die beiden Autor*innen inhaltlich nicht stehen! So umreißen sie kurz und bündig vor allem bei der Problemstellung der Online-Sucht und des Cybermobbings einige therapeutische Behandlungsoptionen und Interventionsmöglichkeiten bei gleichzeitiger Notwendigkeit, die Bezugspersonen miteinzubeziehen, um keine isolierte Veränderung bei Kindern und Jugendlichen zu versuchen, sondern im Sinne eines systemischen Ansatzes ganzheitlich vorzugehen. Gleichzeitig werden auch präventive Maßnahmen erwähnt wie >Surf-Fair< (Pieschl & Porch) sowie >KiVa< (Salmivalli) und es werden Vorschläge unterbreitet, wie Medienkompetenz sinnvoll vermittelt werden kann: in der Familie, bei Kindern und bei Jugendlichen, in der Schule.

Ein Wermutstropfen ist allerdings bei aller positiven Beurteilung des Buches vorhanden: die beiden Wissenschaftlerinnen haben dem Einsatz/ der Nutzung von digitalen Medien im frühesten Kindesalter (z.B. im Krippenalter/ in der Krippenpädagogik) keinen Raum in ihrem Buch zur Verfügung gestellt, obgleich es viele Lern-, Spiel- und Unterhaltungsapps für Kinder vom 1. bis zum 3. Lebensjahr gibt, deren Bedeutungssinn aus entwicklungspsychologischer und neurobiologischer Sicht besonders hinterfragt werden muss. Als Ergänzung zum Buch sei an dieser Stelle auf folgende 3 Internetseiten hingewiesen: >Empfehlungen zu Bildschirmmedien bei der U3, Download als PDF, Zeitschrift Kinder- und Jugendarzt: https://die-pädagogische-wende.de/empfehlungen-zu-bildschirmmedien-bei-der-u3/,  kindergesundheit-info.de ( Tipps zum Umgang mit Medien für Babys und Kleinkinder): https://www.kindergesundheit-info.de/themen/medien/alltagstipps/medienwahrnehmung/medienumgang-0-3-jahre/,   Schau hin – Medien und Kleinkinder: https://www.schau-hin.info/medien-kleinkinder; Kindergesundheit-info.de – Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Wie Medien Kindern schaden können): https://www.kindergesundheit-info.de/themen/medien/mediennutzung/medien-gefahren/

Fazit:

Diese Veröffentlichung erfasst in fundierter Weise die Chancen und Risiken der Nutzung digitaler Medien. Die vielen Beispiele erhellen in anschaulicher Weise die theoretischen Ausführungen und machen es Leser*innen leicht, sich mit den Fakten auseinanderzusetzen, die immer wieder durch wissenschaftliche Belege dokumentiert werden. Alleine die 20 Seiten, auf denen die Literaturbelege, die in den Texten genannt sind, aufgeführt werden, lassen einen fachlichen Rückschluss auf die Textaussagen erkennen. Somit kann diese Veröffentlichung als eine sehr hilfreiche Handreichung für Erzieher*innen, Lehrer*innen, Eltern und Betreuungs-/Bezugspersonen in bestem Sinne dienlich sein.

Schlussbemerkung:

(1) Im Umgang der Kinder mit digitalen Medien kommt zuvorderst der Vorbildwirkung der Erwachsenen eine besondere Bedeutung zu! Solange z.B. Erzieher*innen während ihrer Arbeitszeit ihr Smartphone oder Tablet für private Anliegen nutzen, was bei Kitabesuchen nicht die Ausnahme darstellt, wird Kindern etwas vorgelebt, das Kinder gerne imitieren wollen. Zudem wird Kindern eine Zuwendungszeit vorenthalten, die aus arbeitsrechtlicher und berufspädagogischer Sicht nicht akzeptabel ist. Auch wenn Eltern beim Holen und Bringen der Kinder mit ihrem Smartphone kommunizieren, bei gemeinsamen Unternehmungen statt mit ihren Kindern sprechen und stattdessen ihren Smartphoneunterhaltungen Aufmerksamkeit schenken, wird das Kind einen zweitrangigen Wert erfahren. (2) Wer bei und mit Kindern eine >Medienkompetenz< aufbauen und nachhaltig erzielen möchte, muss selbst eine >Medienkompetenz< besitzen und die Chancen und Gefahren einer digitalen Mediennutzung gegeneinander abwägen können. (3) Kritiker*innen an einem zu frühen digitalen Medieneinsatz in der Pädagogik oder an einer zu intensiven digitalen Mediennutzung dürfen nicht als medienfeindlich bezeichnet werden – dieses häufig zu erlebende und ausgesprochene Vorurteil entspricht einer destruktiven Haltung in einer sachlich zu führenden Diskussion. (4) Digitale Medien in der Elementarpädagogik haben ihren Sinn, wenn sie in handlungsaktiven und alltagsorientierten Projekten/ Themenschwerpunkten integriert werden. Hier heißt es: vom kindorientierten und alltagsbezogenen Thema zum digitalen Medium und nicht vom digitalen Medium zum Kind! Genau das geschieht aber in vielen elementarpädagogischen Einrichtungen. (5) Bei der Bedeutungsbetrachtung digitaler Medien in der Frühpädagogik müssen entwicklungspsychologische Untersuchungsergebnisse und neurobiologische Erkenntnisse als ein fachlich fundierter Ausgangspunkt für den Einsatz digitaler Medien und keine wirtschaftlichen Interessen zur Grundlage dienen. (6) Eine vorhandene Medieninkompetenz, eine Internetdistanzierung oder eine pauschale Ablehnung digitaler Medien ist weder akzeptabel noch zielführend, wenn es um eine sachliche Auseinandersetzung über digitale Medien(nutzung) gehen soll.

Armin Krenz – Hon.-Professor für Elementarpädagogik & Entwicklungspsychologie (a.D.)

Eichenberg, Christiane & Auersperg, Felicitas
Chancen und Risiken digitaler Medien für Kinder und Jugendliche
Ein Ratgeber für Eltern, Lehrkräfte und andere Bezugspersonen
Hogrefe Verlag GmbH & Co KG
2. überarbeitete Auflage 2024
190 Seiten
ISBN: 978-3-8017-3209-7
19,95 €




Die Skepsis der Eltern gegenüber sozialen Netzwerken wächst

medienmonitor

Der Kinder Medien Monitor 2023 zeigt Trends bei der Medienutzung von Kindern und Jugendlichen

Digitale und soziale Medien gehören immer mehr zum Alltag von Kindern und Jugendlichen. Klassische Medien wie TV und Print werden jedoch weiterhin auf sehr hohem Niveau genutzt. Eine besondere Faszination übt Bewegtbild aus. Kostenlose Videodienste wie YouTube stehen inzwischen bei 63 Prozent der sechs- bis 13-jährigen Kinder mindestens mehrmals pro Woche auf dem Programm. Ein rasantes Wachstum erlebt TikTok: 42 Prozent nutzen die Plattform heute, 2021 waren es noch 26 Prozent. Das sind einige Ergebnisse des jüngst erschienenen Kinder Medien Monitors.

Die Eltern befinden sich im Zwiespalt

Immerhin 44 Prozent der Kinder und Jugendlichen dürfen allein ohne Aufsicht im Internet surfen und Apps nutzen. Plattformen wie YouTube und soziale Netzwerke werden jedoch zunehmend kritisch beäugt: Während in der Zeit der Corona-Pandemie 2021 noch 39 Prozent der Eltern der Meinung waren, ihre Kinder könnten über YouTube etwas lernen, sind es 2023 nur noch 35 Prozent. Soziale Netzwerke schneiden in dieser Hinsicht noch schlechter ab, sie rutschen von 24 Prozent in 2021 auf aktuell 14 Prozent. Diese Skepsis bringt den Wunsch nach Eigenverantwortung mit sich. 45 Prozent der Eltern halten es für wichtig, dass ihr Kind Medienkompetenz erlernt.

Die Medien-Klassiker: Eltern und Kinder in der Sicherheitszone

Print und TV – Mediatheken und Streamingdienste inklusive – genießen einen Vertrauensbonus bei den Eltern. Zu den Top-Argumenten für die Nutzung klassischer Medien gehören die pädagogische Sinnhaftigkeit aber auch der Spaßfaktor für das Kind. Entsprechend räumen Eltern ihren Kindern mehr Freiräume ein als im Umgang mit digitalen Medien: 46 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen dürfen selbst bestimmen, welche Fernsehsendungen sie sehen. Freie Wahl bei Büchern oder Zeitschriften haben 67 Prozent.

Auch die Kinder fühlen sich offenbar nach wie vor wohl mit klassischen Medien: 85 Prozent schauen mindestens mehrmals pro Woche Serien, Filme oder Videos, wenn sie gerade im Fernsehen laufen. 66 Prozent hören Radio/Autoradio, 35 Prozent nutzen CD-Spieler oder Musikanlage.

Beim Lesen schwören Kinder auf Papier: 72 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen lesen mindestens mehrmals pro Woche Bücher oder Zeitschriften, elektronische Lesemedien spielen dabei so gut wie keine Rolle. Dafür spricht auch die im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegene Netto-Reichweite der 26 ausgewiesenen Kinderzeitschriften: Vier Millionen sechs- bis 13-jährige Mädchen und Jungen lesen mindestens eine davon. Eltern lesen mit: Insgesamt erreichen die ausgewiesenen Kinderzeitschriften 4,5 Millionen Elternteile der Sechs- bis 13-Jährigen.

Über den Kinder Medien Monitor 2023

Zuschauen, Zuhören, Lesen, Gaming – die repräsentative Markt-Media-Studie bietet umfassendes Datenmaterial rund um die Mediennutzung von Kindern in ihrer Freizeit. Darüber hinaus liefert die Untersuchung vielseitige Einblicke in weitere Lebensbereiche der Kinder, zum Beispiel Freizeitgestaltung, Konsumverhalten und Umweltengagement. Den Ergebnissen zugrunde liegen die Antworten der Kinder sowie die ihrer Eltern. Der Kinder Medien Monitor repräsentiert 7,69 Millionen Kinder in Deutschland im Alter von vier bis 13 Jahren und liefert für 26 Printmagazine repräsentative Reichweiten bei Kindern und mitlesenden Eltern. Die Untersuchung ist die einzige zählbare Studie ihrer Art in Deutschland. Herausgeber sind Egmont Ehapa Media, Gruner + Jahr, SUPER RTL, EDEKA Media und PANINI Verlag.

Quelle: KINDER MEDIEN MONITOR 2023




Was Bildung heute braucht, um morgen zu bestehen

Kompendium vom Netzwerk Digitale Bildung als PDF-Version inklusive Hörbuch kostenlos bestellen

Bildung legt die Basis für gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung sowie soziale Teilhabe. Unsere gesamte Lebens- und Arbeitswelt ist von der Digitalisierung beeinflusst. Damit wir weiterhin als mündige, kreative Bürgerinnen und Bürger die Gesellschaft in allen ihren Dimensionen mitgestalten können, ist digitale Bildung wichtig.

Wie künftige Generationen auf die digitale Welt vorbereitet werden, bestimmen Schulleitungen und Lehrkräfte, aber auch Schulträger und Bürgermeister vom ersten Schultag an mit. Das Netzwerk Digitale Bildung, das von Unternehmen aus der Wirtschaft getragen wird, hat deshalb ein Kompendium mit dem Titel „ZukunftLernen! Bildung neu denken.“ herausgebracht. Sie finden das Kompendium mit Ideen, Impulsen und praktischen Tipps für die Zukunft des Lernens und Lehrens hier:

Zum Kompendium

Das Kompendium ist aus dem größten Bildungskongress im deutschsprachigen Raum entstanden, den das Netzwerk Ende vergangenen Jahres online veranstaltet hat.

Zukunft der Bildung, Zukunft der Schule, Zukunft des Lernens

Autorinnen und Autoren sind Teilnehmende des Kongresses, unter anderem schreiben Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Dr. Volker Titel, wissenschaftlicher Leiter der Akademie für Ganztagsschulpädagogik, Ulrike Gießner-Bogner, Leiterin der Kulturvermittlung mit Schulen aus Österreich, Ottmar Misoph, Schulleiter a.D., Martin Breier von SMART Technologies, Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Alexander Handschuh, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Hermann Morgenbesser, Koordinator des Future Lerning Lab Wien, und Philipp Raulf, Mitglied des Landtags Niedersachsen. Der Ansatz des Netzwerkes Digitale Bildung ist immer eine heterogene Diskussion mit bereicherndem Austausch. Die Expertencommunity und Förderpartner tragen die Ansätze weiter.

Das neue Kompendium behandelt zehn unterschiedliche Themengebiete mit vielen konkreten Tipps und Links. Unter anderem geht es darum, wie sich der Lernraum Schule verändern muss, wenn wir ein konzentriertes, motiviertes und selbstständiges Lernen und Lehren über den Schulvormittag hinweg erwarten und wenn wir im Hinblick auf die Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern die Belastungen reduzieren wollen. Daraus folgt zwingend eine Lernatmosphäre zu schaffen, die das ermöglicht.

Eine Perspektive ist der ebenfalls erwähnte kollaborative Klassenraum als Lernumgebung der Zukunft. Kollaboratives Lernen – also lernen in Zusammenarbeit – heißt: Lernen mit verteilten Aufgaben, gemeinsame Projekte, Austausch und Nutzung verschiedener Medien, begleitet im Prozess von der Lehrkraft. Dazu passt der Abschnitt „In der Ausstattung auf Standards einlassen“. Wenn eine Schule bereits ein pädagogisches Konzept und einen Medienentwicklungsplan hat, muss die passende Technik ausgesucht und angeschafft werden. Dabei gilt als oberstes Gebot: Die Technik folgt der Pädagogik.

Digitale Bildung ist gelebte digitale Transformation

Für diese Zukunft des Lernens müssen alle an einem Strang ziehen – von der Politik, den Unternehmen, den Ministerien bis zu den Schulleitungen und Lehrkräften selbst. Im Kompendium kommen deshalb auch Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft, Politik und Lehrerverbände zu Wort. Letztere fordern mehr Freiräume in der Fort- und Weiterbildung. Dadurch können einerseits Defizite – zum Beispiel in der Digitalität – ausgeglichen werden. Andererseits soll dies Neugierde wecken, Neues auszuprobieren.

Ein wichtiger Schritt ist auch, Anreize zu schaffen, um Innovationen zu fördern, Fördermittelgeber zu finden und die Chancen des DigitalPakt Schule zu nutzen. Denn Schule als System kann sich nur dann weiterentwickeln, wenn alle Chancen genutzt werden. Die Digitalisierung bietet eine solche Chance – in den einzelnen Schulen, auf Landesebene, auf internationaler Ebene.

Internationale Beispiele und Vorbilder

Dabei können wir auch von den Erfahrungen anderer europäischer Länder wie Finnland, Österreich oder auch Polen lernen. Bei unserem östlichen Nachbarland wird Künstliche Intelligenz (KI) in Schulen unterrichtet und gefördert. So wurden im Jahr 2020 – finanziert durch das polnische Wirtschaftsministerium – rund 400 KI-Labore an polnischen Schulen eingerichtet. Und eine neue Initiative zielt darauf ab, weitere 4.000 Lehrkräfte fit in KI zu machen.

Das Ziel des Netzwerks Digitale Bildung ist klar: Kinder und Jugendliche sollen für die Zukunft und die digitalisierte Arbeits- und Lebenswelt gewappnet sein. Dafür müssen alle Beteiligten – von den Schulträgern und Kommunen, Schulleitungen und Lehrkräften bis zu den Eltern und Schülerinnen und Schülern selbst – Schule und Bildung neu denken. Um dies zu erreichen, müssen wir jetzt die Grundlagen dafür schaffen. Denn was wir heute im Schulsystem verändern, wird sich erst in fünf bis zehn Jahren auswirken.

Über das Netzwerk Digitale Bildung

Das Netzwerk Digitale Bildung wird von verschiedenen Partnern aus der Wirtschaft getragen. Neben einer finanziellen Unterstützung bringen sie sich mit ihrer fachlichen Expertise im Bereich Digitale Bildung ein. Das Netzwerk Digitale Bildung bietet konkrete Impulse und Handlungsempfehlungen für einen Unterricht mit digitalen. Die Informationsangebote richten sich an Lehrkräfte, Schulleitungen, Entscheidungsträger aus Politik, Städten, Kommunen und Gemeinden sowie eine an der Gestaltung von Bildung interessierte Öffentlichkeit.

Weitere Informationen

Quelle: Pressemitteilung Netzwerk Digitale Bildung




Digital – stark – Kinderrechte im Netz

digitalstark

Infos und Tipps für Eltern und pädagogische Fachkräfte zur Medienerziehung

Internet, Smartphone und digitale Geräte verändern die Alltagswelt von Kindern und Jugendlichen. Sie sollen von den Chancen der Digitalisierung profitieren. Schutz, Befähigung und Teilhabe sind ihr Recht. Eltern und pädagogische Fachkräfte bekommen Tipps von Experten, wie sie Heranwachsende im digitalen Raum schützen und Medienkompetenz vermitteln.

Die Broschüre „Gutes Aufwachsen mit Medien. Kinderrechte im Netz“ erklärt die Kinderrechte. In der Broschüre finden sich auch Hinweise auf Kinderportale und Suchmaschinen wie blinde-kuh.de, fragfinn.de und klick-tipps.net. Für den Umgang mit problematischen Situationen verweist die Broschüre auf Beratungsangebote.

Weitere Informationen finden sie hier auf www.bmfsfj.de

Broschüre als PDF zum Download

Gutes Aufwachsen mit Medien.

Kinderrechte im Netz




Schlechte Eltern frönen oft digitalen Medien

Studie sieht Zusammenhang mit negativen Erziehungspraktiken wie Nörgeln und Schreien

Eltern, die sich verstärkt digitalen Medien zuwenden, um zu entspannen, versagen öfter bei der Kindererziehung. Wenn sie viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen, vernachlässigen sie nicht nur ihre Familien, sondern greifen auch zunehmend zu negativen Erziehungspraktiken wie Nörgeln oder Schreien. Zu dem Ergebnis kommt eine multinationale Studie der University of Waterloo http://uwaterloo.ca , die den Zusammenhang zwischen digitalem Medienkonsum von Eltern, ihren Erziehungsmethoden und das mentale Wohlbefinden ihrer Sprösslinge analysiert.

Technologie dominiert alles

„Wenn wir in einer Gesellschaft, die voll von Technologie ist, die Familien verstehen wollen, kommt es auf jedes Familienmitglied an“, so Jasmine Zhang, Doktorandin im Fach Klinische Psychologie an der University of Waterloo. Es seien eben nicht immer nur Kinder und Jugendliche, die zu viel Zeit mit digitalen Geräten verbringen würden. „Auch die Eltern greifen aus den verschiedensten Gründen auf diese Medien zurück. Dieses Verhalten kann das Leben ihrer Kinder dramatisch beeinflussen“, erklärt die Wissenschafterin.


Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht

Im Alter zwischen zwei und sieben Jahren stellen Kinder besondere Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeit ihrer Eltern. Hier lernen Sie, wie Sie: die Gefühle ihrer Kinder verstehen und situationsgerecht reagieren. Ihre Kinder so loben, dass es diese unterstützt und nicht hemmt, gemeinsam mit Ihren Kindern Lösungen finden, die Kinder in Konflikten zur Kooperation motivieren, auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern mit Autismus und anderen Wahrnehmungsstörungen eingehen.

Joanna Faber/Julie King
Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht
Taschenbuch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-96304-026-9
24 €


Für ihre Studie hat sie 549 Teilnehmer aus unterschiedlichen Ländern befragt, die alle mindestens zwei Kinder im Alter zwischen fünf und 18 Jahren haben. Diese mussten unter anderem genau angeben, wie viel Zeit sie mit digitalen Medien verbringen, wie sie ihre und die geistige Gesundheit ihres Nachwuchses einschätzen und welche Erziehungspraktiken sie einsetzen. Das Ergebnis zeigt, dass Eltern mit höherem Stresslevel sich öfter vor dem Bildschirm entspannen und dabei nicht selten die Erziehung vernachlässigen. „Sie ziehen sich dann oft zurück, sind nicht für ihre Kinder präsent und setzen negative Erziehungspraktiken ein“, fasst Zhang zusammen.

Nicht nur negative Effekte

Die Forscherin betont allerdings auch, dass nicht gleich der gesamte Medienkonsum in einem negativen Zusammenhang mit den angewandten Erziehungsmethoden gestellt werden kann. Eine Ausnahme sei zum Beispiel die Möglichkeit, über digitale Kanäle soziale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. In einem solchen Fall könnten manchmal auch positive Effekte wie eine Reduktion der Angstlevel und eine geringere Anfälligkeit für Depressionen auftreten, heißt es in der Studie.

„Die Medienlandschaft, die einer Familie zur Verfügung steht, wird immer größer“, meint Dillon Browne, Co-Studienautor an der University of Waterloo. „Da diese Entwicklung immer weiter voranschreitet, ist es umso wichtiger, dass wir uns im Klaren darüber sind, welche Auswirkungen dieses Verhalten auf unser eigenes Wohlbefinden und das unserer Kinder haben kann.“

Markus Steiner/pressetext.redaktion




(Digitale) Medien: Kein Ersatz für Sinneswahrnehmung, Bewegungslernen und Spielerfahung

Marion Lepold/Monika Ullmann: Digitale Medien in der Kita

Diese Veröffentlichung greift informativ und zugleich praxisrelevant in eine weit verbreitete, oftmals sehr dogmatisch und emotional geführte Diskussion ein, inwieweit digitale Medien in der Elementarpädagogik ihren Platz haben dürfen/ sollen/ müssen, zumal sich einerseits Kindheit nicht mehr in einem medienfreien Raum abspielt (vgl. S. 12) und andererseits „vor allem Kinder ihre Alltagsstruktur mehr oder weniger von Medien bestimmt erleben“ (S. 30).

Tatsächlich „wirken Medien auf die (Umgangs-/ Kommunikations-/ Interaktions-/ Spiel- und Gestaltungs)Kultur, sie verändern und sie wandeln Kultur (vgl. S. 13). So geht es – laut beider Autorinnen – „nun darum, diese neuen Medien in den pädagogischen Alltag zu integrieren und sie zum Teil des kulturellen Angebotes für Kinder werden zu lassen.“ (S.20)

Der Inhalt setzt sich aus zehn Kapiteln zusammen und zunächst gehen die beiden Autorinnen der Frage nach, wie die Lebensrealität vieler Kinder bezüglich ihrer Erfahrungen mit digitalen Medien und ihrem Medienumgang aussieht und ob und was digitale Medien mit Kultur verbindet. Zudem werden Auszüge aus vier Bildungsplänen zitiert, die Medien als einen besonderen Bildungsbereich ausweisen (Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz).

Im zweiten Kapitel erfahren Leser*innen, in welcher Form sich die Medienaneignung im Kindesalter abspielt, welche Verbindung zwischen den Entwicklungsfeldern ‚Schlüssel- und Medienkompetenz’ besteht sowie welche Hintergründe dazu beitragen, dass sich durch eine aktive Medienbildung eine Medienkompetenz entwickelt. Kapitel drei erteilt Auskunft über den Unterschied zwischen analogen und digitalen Medien sowie Kita-bewährte digitale Medien wie beispielweise das Tablet (mit ihrer Fülle an Apps), den Beamer, den WLAN-Drucker, digitale Bilderbücher, digitale Mikroskope und diverse Programmier-Werkzeuge.

Das vierte Kapitel richtet sich direkt an die elementarpädagogischen Fachkräfte und stellt dabei die hohe Bedeutung der eigenen Medienbiographie im Hinblick auf die Arbeit mit digitalen Medien im Kita-Bereich, diverse Methoden als Reflexionshilfe für die eigene Medienbiographie, die fortbildungsunterstützende Funktion digitaler Medien und deren sinnvollen Einsatz in der Teamkommunikation in den Mittelpunkt. Das fünfte Kapitel konzentriert sich demgegenüber auf die Nutzung digitaler Medien im Einsatz mit Eltern (unter Berücksichtigung des ‚Risikos WhatsApp’).

Erst jetzt, im sechsten Kapitel, gehen die beiden Autorinnen gezielt auf spezifische Möglichkeiten des Einsatzes von digitalen Medien in der Kita ein (z.B. Internet-Recherche, Wissens-Apps, kurze Wissensfilme, Fotos aufnehmen und bearbeiten, Fotos für eine Dokumentation, selbsthergestellte Foto-Memorys, digitale Bilderbücher, digitale Buchgestaltung, Filme aufnehmen und schneiden, digitale Dokumentation). Das ist sicherlich sehr zu begrüßen, zumal die umfangreichen Vorinformationen deutlich werden lassen, dass ein aktionistischer, funktional geplanter oder als ein weiteres Stundenplanangebot im Sinne einer dramatisch zunehmenden Verschulung der Elementarpädagogik keinen Platz in einer digitalen Mediennutzung findet (finden darf) und auch keinerlei Sinnbedeutung hätte. Das siebente Kapitel mit dem Schwerpunkt „Einführungskonzept für Neueinsteiger“ gibt bei den folgenden Fragen eine deutliche Hilfestellung: wie können Mitarbeiter*innen praxisbegleitende, digitale Medien in ihre Arbeit einbeziehen, welche Handlungsschritte bei ihrer Einführung notwendig sind, in welchem zeitlichen Ablauf das Ganze geschehen kann und wie das Kollegium, der Träger und die Eltern an der Implementierung beteiligt werden können.

Die folgenden Kapitel „Sicherheit rund um die Medienbildung“, „Wichtige Begriffe rund um digitale Medien“, weiterführende Links+ Tipps für pädagogische Fachkräfte, für Eltern und für einen kreativen Medienumgang mit Kindern sowie umfangreiche Literaturhinweise schließen das hilfreiche und interessante Buch ab.

Der „Rote Faden“ dieser Veröffentlichung lässt sich am besten mit einigen zutreffenden Zitaten der beiden Autorinnen verdeutlichen. So heißt es beispielsweise: „(Digitale) Medien ersetzen keine Sinneswahrnehmung, kein Bewegungslernen und keine Spielerfahrung. (…) Folglich kann es nicht darum gehen, dass Kinder in der Kita möglichst viel und möglichst oft in Kontakt mit digitalen Medien kommen. (Sie) können keinesfalls die bestehenden Angebote der Einrichtungen ersetzen, aber sie können Erfahrungen verändern, erweitern …. (…) Es gibt kein Standardkonzept und kein einheitliches Vorgehen. Wie die Arbeit in den anderen Bildungsbereichen auch, verlangt die digitale Medienbildung eine höchst individuelle Anpassung.“ (S. 79)/ „Medienbildung hat einen alltagsintegrierten Ansatz. Digitale Medien sollten nicht als besonderes Element einmal in der Woche für eine Stunde einer Projektgruppe zur Verfügung gestellt werden.“ (S. 115)/ „Medien bereichern die Kinderwelt dort, wo sie gezielt und kritisch reflektiert kreativ zum Einsatz kommen. (S.114)/ „.. digitale Bilderbücher (sind) als Ergänzung und Erweiterung (von gedruckten Büchern) zu sehen. (S. 87). 

Es kann des Weiteren der Aussage der beiden Autorinnen uneingeschränkt zugestimmt werden, wenn sie die Ausgangsthese vertreten, dass eine „Medienerziehung in der Kita immer auch die Fachkompetenz aller Mitarbeiter*innen erforderlich macht“ (S. 58), und darum beginnt die Arbeit damit, die eigene Medienbiographie / -kompetenz zu erkunden und an den Stellen zu erweitern, wo dieses notwendig erscheint.

Aus Sicht des Rezensenten gibt es lediglich nur einen einzigen inhaltlichen Stolperstein. Wie weithin in der ‚pädagogischen Szene’ verbreitet heißt es im Kapitel 5 (Digitale Medien im Einsatz mit Eltern) auf der Seite 59: „Die Eltern sind Experten für ihr Kind und dessen Lebenssituation.“

Nun: Experten können nur zu solchen werden, wenn sie eine qualifizierte Fachausbildung besitzen und sich kontinuierlich fort- und weiterbilden. Das trifft als generalisierte Behauptung für Eltern in keinerlei Weise zu! Eltern können und sollten es werden und insofern ist eine Gegenwartsbehauptung unangebracht und kann sich nur als eine Zukunftsorientierung, in einer damit veränderten Aussageformulierung verstehen.

Zusammenfassung: Diese empfehlenswerte Veröffentlichung der beiden Montessori-Pädagoginnen und Fortbildnerinnen ist rundum sehr leser*innenfreundlich gestaltet, strukturiert aufgebaut, leicht verständlich und von einer hohen Praxisrelevanz geprägt. Sie sollte in keiner Kita-Bibliothek fehlen.

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz

Marion Lepold/Monika Ullmann
Digitale Medien in der Kita
Alltagsintegrierte Medienbildung in der pädagogischen Praxis
Verlag Herder, Freiburg i. Br. 2018.
156 Seiten
ISBN: 978-3-451-37935-2
20,00 €




Wie lernen wirklich funktioniert

Henning Beck: Das neue Lernen heißt Verstehen

Eltern und Kinder, Auszubildende und Studenten suchen nicht erst in Zeiten der Pandemie nach dem „richtigen“ also dem effektiven Lernen.  Die Angebote sind vielfältig. Sie versprechen bessere Konzentrationsmöglichkeiten und Gedächtnisleistungen. Das soll alles fast mühelos geschehen. Gute Noten garantiert. Da kommt Henning Beck mit seinem Buch „Das neue Lernen heißt Verstehen“ scheinbar genau richtig, um Unterstützung anzubieten.

Wie das Gehirn arbeitet

Der Biochemiker und Neurowissenschaftler lässt uns in die Verarbeitung des Gehirns blicken und erklärt dessen Möglichkeiten. Dabei zeigt er die Unterschiede zwischen einem menschlichen Gehirn und der künstlichen Intelligenz. Denn so einfach lässt sich ein menschliches Gehirn nicht mit zwei Zuständen (1 und 0) imitieren. Hier holt er uns aus unseren oft sciencefictionhaft geprägten Vorstellungen und zeigt uns die Grenzen, die nicht einfach und manchmal gar nicht überschritten werden können.

Vom Lernen und Verstehen

Und das Lernen? Wie helfen all die tollen Angebote? Auch hier ist genaues Hinsehen angezeigt. Jetzt beginnt Beck uns den Unterschied zwischen Lernen und Verstehen zu erklären. Lernmethoden für das Memorieren von Vokabeln oder Formeln sind nicht das Gleiche, wie zu verstehen, was eigentlich passiert und welche Zusammenhänge vorliegen.

Daher unterscheidet er auch das Lernen auf eine Prüfung und das Lernen/Verstehen von Problemen und deren Lösungen. Dieses Wissen, das wir nicht einfach bei all den datengefütterten Internetwissenspools abfragen können, muss selbst aufgebaut werden. Und genau hierin unterscheidet sich das Lernen, das die Anbieter auf dem Nachhilfemarkt und die mittlerweile massiv im Internet beworbenen Hilfen mit eigentlich altbekannten Methoden unterstützen können, vom Verstehen. Die effektivsten Methoden zum Lernen stellt Henning Beck vor und die allermeisten von uns sollten diese sogar aus der Schule noch kennen. Wiederholungen, Zusammenfassungen, Eselsbrücken, Schaubilder und eine Selbst-Abfrage sind nun mal genau das, was schon unsere Lehrkräfte einsetzten.

Zusammenhänge verstehen, Orientierung schaffen

Aber damit begnügt sich Beck eben nicht und das aus gutem Grund. Er zeigt, wie wichtig das Verständnis von Zusammenhängen und damit ein gutes Allgemeinwissen ist. Er erklärt die Bedeutung einer guten Orientierung in dem Überangebot von Informationen. Dabei wird deutlich, wie sehr wir „Schule“ brauchen. Aber welche?

Auch da zeichnet Beck ein klares Bild. Schüler und Schülerinnen brauchen keine kleinschrittigen vorzerstückelten Unterrichtseinheiten. Denn „je passiver man ist, desto schlechter versteht man.“ (S. 200). Auch den aktuell oft angewendeten „umgedrehten Unterricht“, indem sich die Lernenden nun die Inhalte per Videoerklärung selbst erarbeiten, nachdem ihnen die Lehrenden die Seiten vorher herausgesucht haben, schickt Beck auf den Prüfstand und kommt zu dem Schluss, dass es sich dabei nicht um die Lösung handelt.

Die wahre Kunst…

Die wahre Kunst liegt darin, Problemstellungen zu offerieren, die im Setting der Gruppe erstmal herausfordern, die neues Denken aktivieren und die auch ein Scheitern mit sich bringen dürfen. Doch dann muss dieses Scheitern aufgefangen werden.

…und die Rolle des Lehrenden

Die Rolle des Lehrenden bleibt somit eine sehr entscheidende. Denn er muss die Problemstellung zunächst erstellen. Diese darf nicht banal sein. Denn Wissen sollte „nicht zu leicht konsumierbar“ (S. 216) sein. Beck gibt der Rolle des Unterrichtenden damit eine Dimension, die aktuell gelegentlich in der Diskussion zwischen „LehrerIn“ und „LernbegleiterIn“ in den Hintergrund tritt. Er bevorzugt nicht den einen oder anderen Begriff, sondern er setzt auf die Aufgaben. So sind gute Unterrichtende daran zu erkennen, dass auch Lehrkräfte voneinander lernen, ihre Lehrmethoden permanent hinterfragen und sich in ihrem Unterrichtsverhalten beurteilen lassen (S. 230). Dinge, die bei uns in den Schulen und Universitäten noch nicht zur alltäglichen Routine gehören.

Die digitalen Medien

Natürlich geht der Autor auch auf die aktuelle höchst priorisierte Frage nach den digitalen Medien im Unterricht ein. Und auch hier analysiert er klar. Einmal wissen wir, aber auch die Lehrenden und deren Verwaltungsapparat darüber viel zu wenig. Zudem sind die Effekte eher dürftig, wenn der Grundtenor des Unterrichtens nicht hinterfragt wird.

Verstehen entsteht durch Testen und Abfragen (weil Wissen benötigt wird). Das Einordnen und Pausen (damit Wissen sich festigen kann) sind nötig. Vertiefung durch aktives Erklären, Fehler nutzen und den Austausch in der Gruppe (S.222) gehört dazu. Das kann durch digitale Medien unterstützt werden. Aber sie sind dafür nicht zwingend nötig und schon gar kein Ersatz.

E-Bildung to go

An dieser Stelle führt er uns in die Zukunft mit einer sich entwickelnden analog gebildeten Elite gegenüber der E-Bildung to go, die alle „Fast Food“-artig quasi an jeder Ecke kostengünstig erhalten können. Und weil in dieser digitalen Welt viel gespielt wird, räumt er auch damit auf, dass das Spiel immer ein auf Punkte und Wettbewerb ausgerichtetes sein muss, um einen Beitrag zum Lernen leisten zu können.

Ahnungslosigkeit macht Meinungsbildung offenbar leichter

Ein sehr lesenswertes Buch nicht nur für alle mit Bildung beschäftigten. Aber noch wichtiger ist der Austausch darüber untereinander und das Nutzen der bisher gemachten Fehler. Das Problem ist längst gestellt, die Irrtümer massiv begangen. Nur leider scheint uns der Lehrende zu fehlen, den die Lernenden nach ihren Irrtümern zu Hilfe holen können. So wurschteln wir weiter, wie die befragten Lehrkräfte auf S. 219f, die zwar keine Ahnung haben, sich aber dennoch eine Meinung bilden. Upps! Wann ist uns das denn passiert, dass wir so ahnungslos agieren und es als Wissen deklarieren? Vermutlich in dem Unterricht, der uns nur vorgekautes kleinschrittig vermitteltes Wissen geliefert hat und uns nie Probleme präsentierte, an denen wir auch scheitern durften und weil wir nicht gelernt haben auch Fachfremde in unsere Lösungssuche einzubinden, sondern satt interdisziplinär zu agieren, den Fachspezialisten überhöhen. Umdenken ist also unsere wichtigste Aufgabe!

Daniela Körner

Henning Beck
Das neue Lernen heißt Verstehen
Taschenbuch, 272 Seiten
Ullstein 2021
ISBN 978-3-548-06457-4
9,99 Euro




Die Schattenseiten der digitalen Weihnachtswerbung

Dr. Ljupka Naumovska fordert in ihrer Analyse einen besseren Schutz für Kinder

Einer der Hauptgründe, warum Weihnachten eine Zeit zum Schenken ist, hängt mit dem Bild von Jesuskind zusammen, das von den Heiligen Drei Königen Weihrauch, Gold und Myrrhe geschenkt bekommen hat. Aber in einer Gesellschaft, in der das Konsumverhalten die Oberhand gewonnen hat, scheint das religiöse Element kaum noch in Erinnerung zu sein. 

Hauptschwerpunkt: Geschenke für Kinder

Geschenke für Kinder sind einer der Hauptschwerpunkte in der Weihnachtszeit, und diese sind seit langem die Hauptzielgruppe der Werbetreibenden. Die zunehmende Digitalisierung im Alltag selbst bei den Jüngsten hat für viele Unternehmen das Blatt gewendet. Die Weihnachtszeit und die soziale Kultur, die sie umgibt, schaffen das ideale Umfeld für Werbetreibende, um Kinder anzusprechen. 

100 % mehr Zeit vor den Bildschirmmedien als vor 10 Jahren

Mit Snapchat, YouTube, TikTok, Instagram und natürlich Videospielen verbringen Kinder heute doppelt so viel Zeit online wie noch vor einem Jahrzehnt. Das sind durchschnittlich etwa zwei Stunden pro Tag an Wochentagen und drei Stunden am Wochenende. Und während der jüngsten Lockdowns sind diese Zahlen noch weiter gestiegen. Mehr als die Hälfte der Kinder hat ein Profil in einem sozialen Netzwerk, und die Online-Werber geben Millionen aus, um jede Gelegenheit zu nutzen, diese Jugendlichen anzusprechen.  

Werbung für Kinder im Web innerhalb von 10 Jahren um 1000 Prozent gestiegen

In den vergangenen zehn Jahren ist die auf Kinder ausgerichtete digitale Werbung um unglaubliche 1.000 Prozent gestiegen, während die Ausgaben für traditionelle Medien wie Fernsehen, Radio und Presse unverändert geblieben sind. Viele Unternehmen halten dies für eine gute Investition, da die Konsumgewohnheiten bereits in der Kindheit geprägt werden. Untersuchungen zeigen auch eine unmittelbare und signifikante Auswirkung auf den Familienkauf, wo der Einfluss der Kinder auf den Kaufentscheidungsprozess ebenfalls deutlich zunimmt.

Das Ausmaß des Problems

Laut dem Bericht EU-Kids Online 2020  der London School of Economics, in dem die Nutzung digitaler Medien durch Kinder in 19 europäischen Ländern untersucht wurde, unterscheiden sich die digitale Nutzung und die Kenntnisse der Kinder von Land zu Land stark. 84 % der italienischen Kinder im Alter von 9 bis 17 Jahren gehen täglich ins Internet, vor allem über ihr Smartphone. Obwohl das Internet ein fester Bestandteil des täglichen Lebens der Kinder ist, bestehen weiterhin Unterschiede bei den Online-Aktivitäten und, was noch wichtiger ist, bei den Online-Kenntnissen. Angesichts der Tatsache, dass Fehlinformationen zu den größten Sorgen auf der öffentlichen Tagesordnung gehören, fällt auf, dass es Berichten zufolge nur 42 % der italienischen Kinder leicht finden, zu überprüfen, ob die Informationen, die sie online finden, der Wahrheit entsprechen. Italienische Eltern bevorzugen den Dialog gegenüber Einschränkungen, wenn es um die digitale Nutzung geht. 

In Deutschland ist Youtube bei Kindern die Nummer 1

In Deutschland ist YouTube die beliebteste Internetseite bei Kindern. Im Jahr 2020 gaben 38 Prozent der im Rahmen der KIM-Studie befragten internetnutzenden Kinder die Videoplattform als ihre Lieblingsseite an. Die Suchmaschine Google folgt mit rund elf Prozent der Nennungen, während gut ein Zehntel der Befragten angibt, die Seite TOGGO am liebsten zu nutzen. Die Nutzungshäufigkeit stieg mit zunehmendem Alter stark an. Während nur 32 Prozent der befragten 6- bis 7-Jährigen in Deutschland angaben, mindestens einmal pro Woche Musikvideos anzuschauen, waren es bei den befragten 12- bis 13-Jährigen mehr als zwei Drittel. Mit zunehmendem Alter der befragten Kinder steigt auch die Nutzungsdauer des Internets: Während die Erziehungsberechtigten der befragten 6- bis 7-Jährigen angaben, dass ihre Kinder nur etwa 14 Minuten pro Tag im Internet verbrachten, lag diese Dauer bei den 12- bis 13-Jährigen bei etwa 84 Minuten – länger als die TV-Nutzung. Rund sieben Prozent der Kinder sind bereits auf Dinge gestoßen, die nicht für ihr Alter geeignet sind.

In Großbritannien besitzt jeder zweite Zehnjährige ein Smartphone

Laut dem Ofcom-Bericht 2019 wissen im Vereinigten Königreich weniger als die Hälfte der Eltern, deren Kinder ein Smartphone oder Tablet benutzen, wie sie die Kindersicherungseinstellungen verwenden können. Eine überwältigende Anzahl britischer Eltern gewährt ihren Kindern bereits in der Grundschule uneingeschränkten Zugang zu digitalen Geräten. Die Hälfte der Zehnährigen besitzt ein eigenes Smartphone, und viele von ihnen nutzen Social-Media-Plattformen. 

YouTube ist bei Kindern im Vereinigten Königreich nach wie vor sehr beliebt. Neben hochkarätigen oder „prominenten“ Influencern erfreuen sich auch leicht zugängliche Vlogger mit einem gemeinsamen Interesse zunehmender Beliebtheit. Die Mehrheit der Kinder versteht jedoch immer noch nicht, wie Suchmaschinen funktionieren, oder ist nicht in der Lage, Werbung auf diesen Websites zu erkennen.   

Anfällige Zielgruppe

Engagement, Gamification und Content sind die wichtigsten Waffen, um Kinder anzusprechen. Unternehmen entwickeln Spiele in sozialen Netzwerken eher, um Kinder in eine Beziehung zu ihren Marken zu bringen, als um sie zu unterhalten, so dass die Grenze zwischen Unterhaltung und Werbung zunehmend verschwimmt. Influencer mit einer großen Fangemeinde von Kindern werden dafür bezahlt, für Produkte zu werben, ohne dass die Kinder das unbedingt merken. Ein besonders besorgniserregender Trend ist die wachsende Nachfrage nach hypersexualisiertem Make-up und Kleidung bei vorpubertären Mädchen, die ihren oft ein paar Jahre älteren Idolen nacheifern wollen.

Kinder können Werbung nicht von sonstigen Programminhalten unterscheiden

Das zentrale Problem im unkontrollierten Medienraum sind die Inhalte, denen Kinder direkt und indirekt ausgesetzt sind, was besonders für Kinder unter neun Jahren besorgniserregend ist. Studien zeigen, dass Kinder bis zum Alter von zehn Jahren nicht über die kognitiven Fähigkeiten verfügen, Programminhalte von kommerziellen Inhalten zu unterscheiden, selbst wenn Trennvorrichtungen eingesetzt werden. Mit anderen Worten: Kreative, interaktive und werbliche Inhalte werden von Kindern unter neun Jahren als ein und dasselbe angesehen, da sie keinen Unterschied zwischen ihnen erkennen können. Ihre naive Glaubwürdigkeit und ihre Reaktion auf diese Botschaften können letztlich negative Folgen haben, darunter obsessiven Materialismus und Probleme mit Selbstvertrauen und Angstzuständen. Es kommt auch zu Konflikten in der Familie, da sich die Eltern zu Käufen gezwungen fühlen, die sie nicht wollen. Der Druck der Werbung hat auch zur aktuellen Epidemie der Fettleibigkeit bei Kindern beigetragen. So ergab eine kanadische Studie, dass 90 % der Lebensmittel, für die auf den 10 wichtigsten kanadischen Websites geworben wurde, ungesund waren. 

Kinder aus unterprivilegierten Familien stärker gefährdet

Unsere Untersuchungen zeigen, dass Kinder aus Arbeiterfamilien, deren Eltern es sich nicht leisten können, Aktivitäten wie Sport, Ausflüge, bezahlte Freizeitaktivitäten usw. anzubieten, einem überdurchschnittlich hohen Werbedruck ausgesetzt sind. Auch Einzelkinder sind stärker von Online-Werbung betroffen als Kinder, die Geschwister haben, mit denen sie spielen können. Die Forschung legt auch nahe, dass Kinder, die von ihren Eltern als Belohnung für gutes Verhalten Zugang zu Bildschirmen erhalten, besonders anfällig sind.

Daraus ergibt sich die Frage: Sollten wir die Manipulation von Kindern durch die Werbung in einer Zeit hinnehmen, in der die Risiken des übermäßigen Konsums zunehmend erkannt werden? Sollten wir ein Phänomen tolerieren, das Spannungen zwischen Eltern und Kindern, insbesondere in hilfsbedürftigen Familien, erzeugt?

Lösungen

Weltweit gibt es zahlreiche Initiativen und Kampagnen, die darauf abzielen, die Werbeindustrie zu kontrollieren. So ist beispielsweise in Großbritannien, Griechenland, Belgien und Dänemark die Werbung für Kinder eingeschränkt, während in Norwegen, Schweden und Quebec die Werbung für Kinder unter 12 Jahren verboten ist. In Kanada gibt es eine Hotline, bei der unerlaubte Werbung für Kinder gemeldet werden kann, während Griechenland Werbung für Spielzeug verboten hat und in Irland Kindersendungen werbefrei sein müssen. Doch trotz staatlicher Eingriffe bleibt die Frage der fairen und verantwortungsvollen Werbung für Kinder der Selbstregulierung der Industrie überlassen. 

Was kann denn getan werden, um Kinder zu schützen? Erstens müssen Eltern ihre digitale Kompetenz verbessern, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Kontrolle der Inhalte zu finden, auf die ihre Kinder zugreifen, und der digitalen Unabhängigkeit, die sie in einer sich schnell verändernden Welt benötigen. Zweitens müssen die Kinder schon früh lernen, zwischen Inhalten und Werbung zu unterscheiden und vor allem zu verstehen, wie die Werbeindustrie funktioniert. Drittens muss die Branche sowohl von den Medien als auch von der Regierung besser reguliert werden. Und schließlich sind internationale Standards zur Begrenzung der Auswirkungen von Werbung auf Kinder dringend erforderlich.  

Dr. Ljupka Naumovska, Rennes School of Business