Projektarbeit neu denken: alltagsorientiert, lebensnah und gegenwartsorientiert

Merkmale, Planung und Durchführung von Projekten und was sie für Kinder bedeuten

Hört man sich deutschlandweit in vielen Kindertageseinrichtungen einmal um und fragt nach den zurückliegenden oder gerade aktuellen pädagogischen Arbeits- bzw. Beschäftigungsschwerpunkten, so fällt immerzu das Wort „Projekt“ in Kombination mit einer Wortergänzung oder einer Tätigkeitsbeschreibung. So ergab eine Befragung unter 160 Kindertagesstätten im Zeitraum vom, welcher pädagogische Arbeits- bzw. Beschäftigungsschwerpunkt für die elementarpädagogischen Fachkräfte aus der Vergangenheit in besonderer Erinnerung geblieben ist oder welcher Schwerpunkt gerade die gegenwärtige Pädagogik bestimmt, beispielsweise folgende Antworten:

„Projekt Zähne und Zahnarzt“/ „Projekt: warum die Körperpflege so wichtig für uns Menschen ist“/ „Projekt: Die vier Jahreszeiten – Frühling, Sommer, Herbst und Winter“/ „Projekt Fußgängerführerschein für jedes Kind“/ „Projekt: rot, gelb, grün und blau – wir lernen die wichtigsten Farben kennen./ „Projekt Obstsorten – was es da alles gibt, wie sie heißen und wie sie schmecken“/ „Projekt Verkehrserziehung – wie verhalten wir uns richtig im Straßenverkehr, so dass es nicht zu Unfällen kommt.“/ „Projekt Buchstabensalat: wie aus einzelnen Buchstaben ein Wort wird.“/ „Projekt kleine Forscher erkunden die Umgebung“/ „Projekt: Wir basteln mit Salzteig“/ „Projekt Schneekugel“/ „Projekt gesunde Ernährung“/ „Projekt zuckerfreies Essen und Trinken“/ „Projekt Fasching – wer oder was ich immer schon sein wollte“/ „Projekt saubere Umwelt – warum Mülltrennung und Müllvermeidung für uns Menschen und die ganze Welt so wichtig ist“/ „Projekt recycelte Kunst“/ „Projekt Helfer in der Not: Feuerwehr und Polizei“/ „Projekt warum es Weihnachten gibt“/ „Projekt: Jeder Mensch ist anders als der andere und jeder Mensch ist etwas ganz Besonderes“/ „Projekt: Kinder unterstützen ein Hilfsprojekt.“/ „Projekt: Die vier Elemente, die alle Menschen zum Leben brauchen – Wasser, Luft, Erde und Feuer.“

Diese Übersicht, die einen kleinen Ausschnitt aus der Vielzahl der gegebenen Antworten wiedergibt, mag genügen, um weitere Überlegungen zur Projektarbeit in Kindertageseinrichtungen vorzunehmen.

Die Begriffsbezeichnungen „Projektarbeit“ bzw. „Projekt“ werden inflationär benutzt

Es fällt auf, dass nahezu alle geplanten Vorhaben, die bundesweit in vielen Kindertageseinrichtungen durchgeführt werden, mit der Bezeichnung „Projekt“ bzw. „Projektarbeit“ versehen werden. Vor einigen Jahren stand der Begriff >Thema< im Mittelpunkt und es scheint so, als sei dieses Wort durch den Begriff >Projekt< ausgetauscht worden, so als gäbe es keinen Unterschied. Auch werden in vielen Fachschulen und Fachakademien für Sozialpädagogik die Begriffe nicht in ihrem ursprünglichen Bedeutungswert differenziert betrachtet und entsprechend ihrem genauen Bedeutungsgehalt genutzt. Doch ist es aus einer fachlichen Berechtigung tatsächlich möglich, eine Gleichstellung der beiden Begriffe vorzunehmen?

Dieser Frage soll an dieser Stelle einmal ebenso wie dem möglichen Hintergrund für diese undifferenzierte Begriffsauswechselung nachgegangen werden. Dafür ist zunächst ein Bezug zur ‚Bildungsarbeit in Kindertagesstätten’ herzustellen. >Bildung in der elementarpädagogischen Praxis< wird in den Bildungsrichtlinien aller 16 Bundesländer zwar stets mit dem Hinweis auf den Aufbau bzw. die Unterstützung einer Selbstbildung des Kindes bei einer notwendigen Partizipation versehen, gleichzeitig sind aber die unterschiedlichen Bildungsbereiche – getrennt voneinander – aufgegliedert/systematisiert und zu festgeschriebenen „Bildungsprogrammen“ zusammengetragen/länderspezifisch verabschiedet worden.

Ebenso wird in einem überwiegenden Anteil aller Fachschulen/Fachakademien für Sozialpädagogik der althergebrachte Kanon einer >zielführenden, exakt aufgeschlüsselten Didaktik mit einer entsprechend zugeordneten Methodik< – wenn auch in einem neuen Gewand mit neuen Begriffen – fortgeführt, so dass künftige Erzieher:innen sowohl im Unterricht als auch in der Aufgabenstellung für deren Praktika immer wieder aufs Neue lernen, themenorientierte bzw. kompetenzbenannte Themen bzw. Bildungsfelder als Angebote den Kindern vorzugeben.

Insofern wundert es nicht, dass aus komplex vernetzten Bildungsbereichen Fachschwerpunkte werden, die in Teilangeboten den Kindern nahegebracht werden. Dazu holen die Mitarbeiter:innen die Kinder zusammen, geben Informationen ein oder Fragen vor und die Kinder „dürfen“ auf diese Weise lernen, dass sie sich mit bestimmten Aufgabenstellungen beschäftigen sollen. Darüber hinaus werden Lernbereiche und Alltagssituationen der Kinder fein säuberlich in Arbeits-, Lern-, Spiel- und Freizeitfelder aufgeteilt: von dann bis dann wird gespielt, von dann bis dann geforscht, von dann bis dann sich bewegt und von dann bis dann gegessen, geschlafen…

Doch damit hört die zunehmende, thematisch gegliederte Funktionalisierung eines ursprünglich lebendigen Kinderlebens nicht auf: aus dem vielfältigen, in Kindern durch ein genetisch vorhandenes und damit vorhandenes Forschungsinteresse werden erwachsenengeplante und -gesteuerte Themenangebote fein säuberlich strukturiert und fächerspezifisch geordnet – getreu dem Motto: Bildung geschieht in einem aufgeteilten Fächerkanon und dies geschieht in vorgeplanten Teilschritten!

Statt im Leben der Kinder – sowohl im Innenbereich als auch im Außenbereich – deren Interessen und Fragen aufzugreifen, deren Neugierde aufzunehmen und in individuell konzipierte Projekte einzubinden, die ungezählten Alltagsphänomene aufzugreifen und zu untersuchen, werden immer wieder extra arrangierte, thematisch festgelegte Räume und Zeiten vorgegeben, was letztlich darin gipfelt, dass es möglich ist, sich als Kindertageseinrichtung mit der Auszeichnung „Haus der kleinen Forscher“ der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dazu sei eine Anmerkung erlaubt: JEDES Kind ist ein Forscher, zu allen Zeiten und an allen Orten. Nur dann, wenn den Kindern diese ursprüngliche, intrinsisch angelegte Motivation als Forscher:in – die Welt zu entdecken – oder ihnendiesedurch Bindungsirritationen/ fehlende Beziehungsnähe/ normative Vorgaben oder interessenferne Angebote genommen wird, können Kinder das Interesse verlieren, Weltentdecker:in zu sein. Jede Kindertageseinrichtung hat die Bildungsaufgabe, eine forschende Institution zu sein: und dazu bedarf es keiner extra ausgewiesenen Auszeichnung.

Fazit: Die Selbstbildung der Kinder wurde und wird immer stärker zu einer belehrenden (=beleerenden) Bildungspädagogik degradiert und funktionalisiert, zumal nicht das Handeln und Fühlen der Kinder im Mittelpunkt der Pädagogik steht sondern die Bildungsarbeit mit  zeitlich fraktionierten Themenangeboten bestimmt wird. Und da es ab und zu kleinere Bündelungen im Sinne von Themenzusammenstellungen an einem oder einigen wenigen, aufeinander folgenden Tagen gab bzw. gibt, wurde diese Zusammenstellung als ein Projekt bezeichnet. Dieser Begriff selbst entstand ursprünglich im Rahmen der Entwicklung des Situationsansatzes bzw. des Situationsorientierten Ansatzes und wurde vollkommen anders verstanden.

Was zeichnet nun ein ‚Projekt’ im Gegensatz zu einem ‚Thema’ aus?   

Im Sinne einer nachhaltigen Bildung wird auf der Grundlage basaler Erkenntnisse aus den Feldern der Bildungsforschung, der Entwicklungs- und Lernpsychologie sowie der Neurobiologie von drei Grundsätzen ausgegangen: 1.) Der Beschäftigungsschwerpunkt des Kindes muss für das Kind bedeutsam sein, ganz im Sinne eines Selbstverständnisses: „Damit kann ich etwas anfangen, weil es mich in meinem jetzigen Leben berührt.“; 2.) Dieser „Beschäftigungsschwerpunkt“ muss einen aktuellen, realen Bezug zur Lebenswelt des Kindes besitzen, ganz im Sinne seines Selbstverständnisses: „Das kenne ich und das, was wir tun, kann ich gebrauchen/ zu Hause fortsetzen / in meinem jetzigen Leben aufgreifen und umsetzen“; 3.) Das Kind muss den starken Wunsch, ja das tiefe Bedürfnis haben, eine Beziehung zur elementarpädagogischen Fachkraft herstellen zu wollen, um mit ihr eine Art Bündnis– und Bindungsvernetzung einzugehen, mehr oder weniger fortlaufend bis hin zur selbstständigen, teilweise sogar alleinigen Weiterarbeit innerhalb des Projekts oder auch außerhalb der Einrichtung. Insofern werden schon an dieser Stelle ganz bedeutsame Unterschiede zu einem Thema deutlich:

krenz

Projekte

  • richten sich auf das Alltagsgeschehen, auf Alltagserlebnisse der Kinder und sprechen sie damit in ihrer konkreten Lebenssituation an, zumal Kinder sich und ihre Welt um sie herum nur als ‚interessant’ empfinden, wenn sie während ihrer Tätigkeiten eine Verbindung mit ihrer Lebensnähe herstellen können;
  • sind damit stets gegenwartsorientiert – im Unterschied zu einer thematischen Schwerpunktsetzung, die bei genauerer Betrachtung eine defizitäre Sichtweise des Kindes an den Tag legt, geht es doch bei einem Themenangebot in erster Linie darum, Kinder in bestimmten, noch nicht so gut entwickelten Kompetenzfeldern auf die Zukunft fixiert zu fördern. Projekte haben das Selbstverständnis, entwicklungsbegleitend zu agieren und nicht zukunftsorientierte Visionen/ Erwartungen von außen – wie beispielsweise der Grundschule oder durch Elternerwartungen – zu erfüllen.
  • ergeben sich aus Alltagsbeobachtungen und leiten sich auf der Grundlage von Beobachtungsergebnissen ab: womit beschäftigen sich die Kinder derzeit, womit setzen sie sich gerade auseinander, woran haben sie ein verstärktes Interesse und welcher Schwerpunkt sollte daher unbedingt aufgegriffen und vertieft werden?
  • ziehen sich in der Regel über einige Wochen oder mehrere Monate hin; sie sind keine Angebotseintagsfliegen sondern ermöglichen es den Kindern, mit Zeit und Ruhe, einem innerem Engagement und in einer zuverlässigen Begleitung der Fachkräfte in ein Projekt einzutauchen: vertiefend, handelnd, fragend, suchend, interessengeleitet…
  • haben nur dann einen hohen Bedeutungswert für Kinder, wenn sie ‚ihre’ Entwicklungsbegleiter:innen als zuverlässig, innerlich motiviert, lebendig, gleichsam neugierig und so weit wie möglich kontinuierlich anwesend erleben können, was natürlich in kontinuierlich bestehenden Gruppen bzw. in stammgruppenübergreifenden Zusammentreffen am besten umzusetzen ist. Das klassische Konzept des ‚Offenen Kindergartens’ mit den täglich wechselnden Angeboten  in den dafür vorgegebenen Funktionsräumen und einer ständig neu zusammengesetzten Gruppe lässt eine Projektarbeit kaum bis gar nicht zu. (Anmerkung: Gruppendynamisch betrachtet ergeben sich dadurch ständig neue Rollenzuweisungen, was bei verunsicherten Kindern zu einer Überforderungssituation und Irritationen führt. Daher wird bei der Umsetzung dieses pädagogischen Konzepts auch so gut wie ausschließlich nur mit Themenangeboten gearbeitet.
  • verlangen nach Fachkräften, die sich in einer ständigen Reflexionsbereitschaft befinden, ihre Bedeutsamkeit für die Kinder hinterfragen, die eigenen Beziehungsqualitäten hinterfragen und dafür sorgen, dass ihre Kommunikations- und Interaktionskultur kindorientierte Verhaltensmerkmale besitzen.
  • ergeben sich aus einem gemeinsam entdeckenden Lernen, bei dem die Projektschwerpunkte den Kindern die Möglichkeit bieten, diese mit allen Sinnen und aus den unterschiedlichsten Perspektiven zu erfassen und dabei die einzelnen Vorhaben zwar gemeinsam abgesprochen und durchgeführt werden, gleichzeitig aber keine vorher festgelegten Ziele in einer ganz bestimmten Zeit erreicht werden sollen/ müssen. Eine Projektarbeit ist daher stets für neue Gedanken- und Handlungsimpulse der Kinder offen, so dass von einem prozessualen Vorgang die Rede ist.
  • bieten Kindern immer wieder die Möglichkeit, sich in den eigenen Ressourcen und Kompetenzfeldern besser kennenzulernen. Dabei unterstützen die elementarpädagogischen Fachkräfte als Planungsbegleiter:innen und Impulsgeber:innen alle Möglichkeiten des Kindes, in Prozesse der Selbstexploration einzutauchen: und das nicht nur in kognitiver, sondern vor allem in einer emotional-sozialen Sichtweise.
  • umfassen im Gegensatz zu Themen in diesem einen Projekt die ganze Vielfalt didaktischer Möglichkeiten, die innerhalb der Kindertagesstätte möglich sind, sich mit dem Projektschwerpunktzu beschäftigen: z.B. durch handwerkliche Tätigkeiten mit allerlei Werkzeug („Basteln“ kann man später noch im hohen Alter im Seniorenstift) , Musik, Liedern und Tanz, situationsbezogene Märchen, das Betrachten von situationsbezogenen Bilderbüchern, Vorlesen von situationsbezogenen Geschichten/ Texten, Umsetzen von Spielideen, philosophisch geführte Gesprächsrunden bis hin zur Möglichkeit, entstandene Ideen in Kunst- und Malausdrucksmöglichkeiten umzusetzen.
  • finden aber auch nach Möglichkeit außerhalb der Kindertageseinrichtung statt- durch gemeinsame Unternehmungen im Umfeld der Kita, sozialräumliche Erkundungen oder durch eine Kooperationspflege (Besuche) mit gemeinwesenorientierten Einrichtungen.
  • nehmen den Auftrag einer partizipatorisch geprägten Pädagogik sehr ernst. Hier „dürfen“ Kinder nicht nur an der Zusammenstellung des Speiseplans oder bei ‚normalen’ Entscheidungsfindungen ihr Votum abgeben sondern sie sind von Anfang an an allen Planungen beteiligt. So wie in einer Kinderkonferenz hat jedes Kind das Recht, seine Ideen einzugeben, seine Bedenken zu äußern, seine Einwürfe zu machen oder Veränderungsvorschläge vorzubringen.
  • entstehen mit den Kindern! Hier wird nicht wie bei einem themenorientierten Angebot den Kindern in der Form das Angebotsvorhaben vorgesetzt, indem schon alle für das betreffende Angebot benötigten Materialien von der Fachkraft fein säuberlich auf dem Tisch ausgebreitet sind bzw. der Raum vorbereitet wurde, so dass sich die Kinder nur – wie bei einem Buffet – bedienen können/ sollen. In einem Projekt wird zu Beginn überlegt und abgesprochen, welche Werkmaterialen gebraucht werden, wie sie zu besorgen sind, was für die Durchführung benötigt wird und bis wann was vorhanden sein muss. Kinder sind auch hier die Akteure und sie lernen auf diese Weise, dass das Leben durch Anstrengungsbereitschaft geprägt ist. Angebote führen zu einer schleichenden Konsumorientierung mit einer zunehmenden Erwartungshaltung. Dem setzt eine Projektarbeit ein Riegel vor.
  • sind so konzipiert, dass während der verschiedenen Handlungsaktivitäten möglichst alle neun Entwicklungsfelder  (Kognition, Emotionen, Soziabilität, Fein- und Grobmotorik, Sprache, Fantasie, Kreativität, Denken, Motivation) gleichzeitig angesprochen werden und nicht wie bei einem Thema jeweils ein ausgewähltes Entwicklungsfeld isoliert und als Themenschwerpunkt zum ‚Förderschwerpunkt’ erklärt wird.
Projektarbeit
(Abb.1: Grundlegende Merkmale, durch die ein Projekt gekennzeichnet ist)

Schaut man sich nun die ganz zu Anfang zitierten, so genannten ‚Projekte’ an, so wird aus einer fachlichen Betrachtung deutlich, dass es sich dabei um Themen gehandelt hat.

Aufbau und Ablauf eines Projekts

Ein Projekt setzt sich aus vielen, unterschiedlichen Tätigkeitsschwerpunkten und Unternehmungen zusammen, weil auch das Leben nicht eindimensional verläuft sondern ein großer, vernetzter Block aus vielfältigen, miteinander verbundenen Situationen besteht und somit sich auch ein Projekt als ein aktuelles Spiegelbild der Gegenwart darstellt. Insofern berücksichtigt ein Projekt auch vielfältige Bereiche, auf die Kinder ein Erlebnisrecht haben, auch um die Vielfalt des Lebens entdecken und sich damit auseinandersetzen zu können. So sei an dieser Stelle eine Übersicht vorgestellt, in der die unterschiedlichen Erkundungs- und Erlebnisbereiche in einer Projektgestaltung aufgeführt sind und dazu gleichzeitig dienen können, bei einer Projektplanung zu schauen, welche Bereiche tatsächlich berücksichtigt wurden, welche außer acht gelassen wurden und welche in die Projektdurchführung zusätzlich aufgenommen werden sollten.

Projektarbeit-Kreis

Um ein Projekt zu planen und durchzuführen, bedarf es zunächst einer sorgsamen

  • Situationsanalyse (1), um herauszufinden, welche Interessen die meisten Kinder zum Ausdruck bringen. Dabei bieten sich vor allem die von Kindern gewählten und umgesetzten Spielaktionen, ihre Erzählungen, ihre Handlungsbedürfnisse, ihre Malthemen und ihre geäußerten Bedürfnisse an. Natürlich kann dabei nicht davon ausgegangen werden, dass alle Kinder dieselben Ausdrucksformen zeigen. Gleichwohl geht es darum, herauszufinden, ob es einen Interessenschwerpunkt vieler Kinder gibt. Beobachtungen in Kindertageseinrichtungen haben immer wieder gezeigt, dass es solche Bündelungen gibt. Zudem ist es auch möglich, unterschiedliche Schwerpunkte zu einem übergeordneten Bereich zusammenzufassen. Sobald die elementarpädagogische Fachkraft, ausgehend von der Situationsanalyse, eine solche Bündelung feststellen konnte, bittet sie die Kinder, dass sich alle zu einer
  • Situationsbesprechung (2) zusammenzufinden. Hier berichtet sie von ihren Beobachtungen, die sie in der zurückliegenden Zeit gemacht hat, benennt Beispiele (mit einer Zuordnung zu dem jeweiligen Kind) und schlägt dann vor, dass die Kinder ganz viele Ideen einbringen können, damit gemeinsame Überlegungen angestellt werden können, welcher
  • Projektschwerpunkt (3) die nächsten Tage und Wochen das Alltagserleben in der Gruppe bestimmen könnte. Dabei hält die Fachkraft alle von den Kindern geäußerten Ideen und Vorschläge schriftlich fest und ergänzt das Ganze auch durch eigene Ideen, auf die die Kinder nicht kommen konnten (z.B. mögliche Liedideen, Werkvorschläge, Erkundungen im Umfeld der Kindertageseinrichtung, Ausflüge/ Besuche von bestimmten Institutionen, Theaterspiel, Naturerkundungen, Experimente etc.). Nun wird anhand der umfangreich geführten Liste die
  • Planung des Projekts (4) besprochen, wobei die einzelnen Projektaspekte in eine bestimmte Reihenfolge gebracht werden: mit welchem Handlungsvorhaben wollen die Kinder beginnen? Welche Materialien sind dafür erforderlich? Gibt es diese Materialien in der Kindertagesstätte oder haben vielleicht die Eltern die benötigten Dinge zu Hause, die die Kinder mitbringen könnten? Was gibt es darüber hinaus alles an Vorbereitung zu bedenken? Aus diesem Planungsgespräch leitet sich die konkrete Vorbereitung der ersten
  • Handlungsvorhaben (5) ab, so dass schließlich die
  • Umsetzung des Projekts (6) begonnen werden kann. Währenddessen – und das haben immer wieder ungezählte Praxisbeispiele offenbart – kommt es stets zu weiteren Ergänzungsvorschlägen/ Änderungswünschen durch die Kinder, die dann in kurzfristig einberufenen Treffen miteinander besprochen werden. Während der
  • Projektdurchführung führen die elementarpädagogischen Fachkräfte eine Verlaufsdokumentation, in der sie alle wichtigen Ereignisse aufschreibt. Und am Ende einer Woche findet eine Kinderkonferenz statt, in der die Fachkraft den Kindern ihre aufgeschriebenen Beobachtungen vorliest (besondere, zum Ausdruck gekommene Stärken einzelner Kinder, was beispielsweise die Ausdauer, den Mut, soziale Handlungen wie beispielsweise Rücksichtnahme, eine besondere Hilfsbereitschaft, konstruktiv geführte Konfliktgespräche unter den Kindern… betrifft.). Um auch den Eltern eine mögliche Rückmeldung über das, was alles in einer Woche unternommen wurde, zu geben und sie auch fachlich über das Geschehen zu informieren, bietet sich ein schriftlich fixierter Wochenrückblick an, der sich aus der Projektdokumentation (6) ergibt. Das kann beispielsweise so aussehen, dass auf der Hälfte eines Flipchart-Bogens die so genannten ‚Lernmöglichkeiten’ für Kinder aufgeführt wurden.
Plan

Dieser von der elementarpädagogischen Fachkraft ausgefüllte Bogen kann dann – nachdem  mindestens ein Beispiel in jeder Kategorie eingetragen wurde – am ersten Tag der kommenden Woche von außen an der Gruppentüre angebracht werden: in großer, gut lesbarer Schrift, wenn notwendig und möglich bei überhaupt nicht deutsch sprechenden Familien auch in deren Landessprache. Dazu gibt es im Internet vollkommen einfache Übersetzungsprogramme! Ganz zum Schluss eines Projekts erfolgt gemeinsam mit den Kindern ein

  • Projektabschluss (7), der sich beispielsweise in einem gemeinsamen Fest manifestiert und zu dem ggf. auch alle extern beteiligten Personen oder die Eltern herzlich eingeladen werden. Im Kreis der Mitarbeiter:innen findet schließlich eine Projektreflexion in Form einer
  • Evaluation (8) statt, um zu prüfen, was besonders gut verlaufen ist, was vielleicht noch besser gewesen wäre und ob es Erkenntnisse gibt, die für weitere Projektplanungen unbedingt beachtet werden sollten.    

Projekte greifen aktuelle, emotional-soziale Welteindrücke der Kinder auf

Wie schon erwähnt, orientiert sich der mit Kindern festgelegte Projektschwerpunkt einerseits an den Beobachtungsergebnissen und andererseits anden von Kindern geäußerten Schwerpunkten und ihren Interessen. Gleichzeitig beziehen sich die Projektschwerpunkte auf die aktuelle Lebenssituation der meisten Kinder, auf ihre biographischen Lebenseindrücke und deren Bedeutungswerte für ihr Erleben.

An dieser Stelle erlaube ich mir, zunächst ein besonderes Projekt, das in einer Kindertagesstätte in Sachsen-Anhalt durchgeführt wurde, vorzustellen. Dort fiel der Erzieherin auf, dass viele Kinder damit begannen, sie nach einem bestimmten Gebäudekomplex zu fragen, an dem sie stets auf ihrem Weg zur Kindertagesstätte vorbeikamen. Es war ein ehemaliges Konzentrationslager aus der Nazi-Zeit, das nun als Gedenkstätte von Besucher:innen aus nah und fern aufgesucht werden konnte. Die Erzieherin berichtete also von einer Zeit, als es in Deutschland einen Krieg gab (so wie jetzt in dem Land der Ukraine) und dass dort Menschen eingesperrt wurden, die der damalige Staatsführer als Feinde bezeichnet hat. Die Kinder fragten viel nach, warum immer Menschen mit Blumensträußen diesen Ort aufsuchten, was die dort eingesperrten Menschen denn Schlimmes getan hätten, ob sie immer genug zu essen bekommen haben und ob sie auch ihre Haustiere, Hunde und Katzen, dorthin mitbringen durften. Je mehr die Erzieherin auf die Fragen der Kinder einging, desto größer war der Wunsch, auch einmal diesen Gebäudekomplex zu besuchen. Die Erzieherin überlegte eine längere Zeit, ob und wie sie diesem großen Interesse der Kinder gerecht werden konnte und leitete das Interesse der Kinder auf die Behauptung, dass sie bestimmt sehr traurig wären, wenn man nicht mehr dort wohnen bleiben dürfte, wo man bisher gewohnt hat und dann mit ganz, ganz vielen Menschen zusammenleben müsste, die man gar nicht kennt. Und schon begannen die Kinder von ihren traurigen Momenten zu erzählen, wenn beispielsweise ihre Geschwister häufig anfingen zu streiten oder weil die Oma/ der Opa sehr krank sei usw. Daraus ergab sich recht schnell ein Projektschwerpunkt „traurig sein ist gar nicht schön! Schöner ist es, wenn man fröhlich/ glücklich ist.“ Im Rahmen dieses Projekts, was über 7 Monate lief, haben die Kinder sehr viele Schwerpunkte zum Vertiefungsfeld „Trauer und Glück erleben“ vertiefend bearbeitet und auf benachbarte Gebiete, die alle von Kindern vorgeschlagen wurden (z.B. Besuch in einem Altenheim mit kleinen, mitgebrachten Geschenken/ Besuch eines Friedhofes und einer Kirche/ Planung und Übernahme eines Gießdienstes für die Pflanzen vor dem Kindergarten, damit diese bei großer Hitze nicht traurig sein müssen, wenn sie bei großem Durst nicht gewässert werden würden/ Rollenspiel „Beerdigung“ und „Krankenhaus“… Dann haben die Kinder mit der Erzieherin viele ‚philosophische“ Gespräche über den Tod (und was danach passiert) geführt, haben einmal auf der Straße Menschen gefragt, ob sie schon einmal traurig waren und warum und ob/ warum sie schon einmal richtig glücklich gewesen sind. Es wurden Bilder zum Schwerpunkt „traurige Menschen, Tiere und Pflanzen“ gemalt, Bilderbücher mit dem Themenschwerpunkt „Abschied, Tod und Trauer“ angeschaut – und Vieles mehr – und erst dann (!) wurde ein Besuch im Vorhof des Konzentrationslagers unternommen, wo die Kinder auch einen großen Blumenstrauß in die Gedenkstätte brachten. (Anmerkung: es versteht sich von selbst, dass die Erzieherin den Kindern keine Fakten zu den Gräueltaten berichteten!) Wichtig: Hier hat es die Erzieherin in ganz hervorragender Weise verstanden, die Kinder sehr achtsam und langsam mit einer Lebensrealität in Verbindung zu bringen, die normalerweise in dieser Form nicht aufgenommen werden würde, obgleich es ein Interessenschwerpunkt der Kinder war. Wäre dieser Schwerpunkt nicht aufgenommen worden, wäre es ein Indiz dafür gewesen, dass die elementarpädagogische Fachkraft hier ihre Schwierigkeit im Umgang mit dieser Lebensfrage gehabt hätte und ihr Problem zu dem der Kinder gemacht worden wäre, indem sie dieses >Thema< als ein mögliches, entstehendes Projekt nicht weiter verfolgt hätte.      

Häufige Praxisprojekte setzen sich beispielsweise mit folgenden Schwerpunkten auseinander. Dabei stehen die Projektbezeichnungen als Überschrift stellvertretend für die vielen Einzelvorhaben/ -aktivitäten, die sich aus der gemeinsamen Vorhabensammlung ergeben:

  • Ängste haben – Ängste überwinden: was Angst macht und wie man wieder die Angst verlieren/ besiegen kann;
  • Mut macht stark: sich etwas trauen hilft dabei, immer fröhlicher zu werden;
  • Wie Traurigkeiten entstehen und wie man wieder glücklicher werden kann;
  • Freundschaften tun gut und Streitigkeiten machen einsam:
    warum es so wichtig ist, Freundinnen und Freunde zu haben;
  • Da muss auch mal der Ärger raus – wie Ärger wieder zur Ruhe kommt;
  • Krieg macht Angst – Frieden macht zufrieden;
  • Warum man unzufrieden ist und wie man für Zufriedenheit sorgen kann;
  • Ich bin ich und du bist du! Jedes Kind ist anders – was jeder kann und was an ihm besonders ist;
  • Wir Menschen sind ein Teil der Natur – was wir alle zu einer besseren Welt beitragen können;
  • Freude ist etwas Schönes: womit wir uns selbst und anderen Freude bereiten können;
  • Menschen, Pflanzen und Tiere in Not: Kleine Helfer:innen bewirken viel.

Abschlussgedanken

Wenn die vielzitierte und in vielen Konzeptionen enthaltene Aussage >Wir holen die Kinder ab, wo sie stehen’ tatsächlich zutreffen soll, ist es dringend angezeigt, dass sich Kindertageseinrichtungen von ihren ungezählten ‚Themenangeboten’ verabschieden. Diese sind in der Regel belehrende, primär kognitiv, sozial oder motorisch ausgerichtete Einzelangebote, um Teilleistungsförderungen bei Kindern zu erreichen. Dabei sind die Themen durch Außenerwartungen (wie von vielen Grundschulen oder Elternhäusern) initiiert, auf zukünftige Ziele programmiert, einem in Bildungsplänen aufgeführten Bildungskanon entnommen und durch elementarpädagogische Fachkräfte umgesetzt. Was daher vonnöten ist, zeigt sich auf folgenden Ebenen:

  1. Ausbildungsstätten für Erzieher:innen sollten auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse in den Wissenschaftsfeldern der Lern- und Entwicklungspsychologie, der Neurobiologie sowie der Bildungswissenschaft von ihrer traditionsgeprägten Vorgehensweise Abschied nehmen, zukünftigen Erzieher:innen immer wieder aufs Neue einzuimpfen, die funktionsgeprägte und teilleistungsorientierte Lernzieltaxonomie als Grundlage der pädagogischen Angebotspädagogik anzuwenden. Hier ist eine Kehrtwende, hin zu einer kindorientierten Projektarbeit, dringend notwendig, um auch den wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden.
  2. Elementarpädagogische Fachkräfte haben ebenfalls die Aufgabe, wieder zu einer verstärkten Kindorientierung zurückzufinden, um gemeinsam mit Kindern – von Anfang an – spannende, lebendige, interessengeleitete und vor allem ganzheitlich vernetzte Projekte zu entwickeln, zu gestalten und prozessorientiert durchzuführen. Dazu bedarf es auf Seiten der elementarpädagogischen Fachkräfte einer ausgeprägten Neugier und eine intrinsisch gespürte Motivation, Pädagogik neu zu denken. Erzieher:innen, die sich in der Vergangenheit auf eine solche Projektarbeit eingelassen haben, berichten immer wieder mit sehr viel Freude, wie sich die Arbeit deutlich lebendiger, konstruktiver, spannender und entwicklungsförderlicher für Kinder  u n d  sie selbst weiterentwickelt hat und sie sich nicht mehr wie Domteur:innen vorkamen sondern zu einem stabilisierenden Teil eines Ganzen werden konnten. Wenn Kinder die >Akteure ihrer eigenen Entwicklung< werden sollen, ausgestattet mit einem hohen Maß an Selbstständigkeit, Autonomie, Selbststeuerungskompetenz, sozialer Verantwortung und Selbstbildungsinteresse, dann muss ihnen auch die Möglichkeit geboten werden, aus ihrer bisherigen Rollenzuweisung als ‚Reakteur:innen’ herauszukommen. Und genau dazu sind Projekte in ganz besonderem Maße geeignet.

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz

Literaturhinweise: