Einsamkeit junger Menschen – ein Warnsignal für Pädagogik und Demokratie

Neue Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt: Wer sich einsam fühlt, verliert Vertrauen in Gesellschaft und Mitgestaltung

Einsamkeit ist für viele junge Menschen in Deutschland Teil ihres Alltags. Doch was bedeutet das für ihre Haltung zur Demokratie, für ihr gesellschaftliches Engagement – und für ihr Vertrauen in die eigene Gestaltungsfähigkeit? Eine repräsentative Studie der Bertelsmann Stiftung hat 2.532 junge Menschen zwischen 16 und 30 Jahren befragt. Die Ergebnisse sind besorgniserregend – nicht nur für die Politik, sondern auch für pädagogische Fachkräfte, die junge Menschen in ihrer Entwicklung begleiten. Und weil diese Studie in der Öffentlichkeit nur wenig Beachtung findet, haben wir uns entschlossen, die wichtigsten Eckdaten zu publizieren, auch wenn die Zielgruppe nicht ganz unsere ist.

Fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) gab an, sich moderat oder stark einsam zu fühlen. Bei jenen, die unter starker Einsamkeit leiden, zeigt sich eine klare Tendenz: Sie sind unzufriedener mit demokratischen Strukturen, glauben seltener daran, etwas bewirken zu können, und fühlen sich deutlich weniger gehört. 60 Prozent der stark Einsamen glauben nicht, dass ihr Engagement etwas verändern kann. Bei jungen Menschen ohne Einsamkeitserfahrungen liegt dieser Anteil bei 42 Prozent.

Verlust von Vertrauen und politischer Wirksamkeit

Auch das Vertrauen in demokratische Institutionen ist bei den einsamen Befragten deutlich schwächer ausgeprägt. 63 Prozent von ihnen äußern Unzufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland. Zum Vergleich: Bei den nicht einsamen jungen Menschen liegt dieser Wert bei 41 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich auf lokaler Ebene: Über die Hälfte der stark Einsamen glaubt nicht daran, in ihrem direkten Umfeld – etwa in der Stadt oder Gemeinde – etwas verändern zu können.

Diese Daten werfen ein Schlaglicht auf die langfristigen Folgen von sozialer Isolation: Wer sich dauerhaft nicht zugehörig fühlt, zieht sich nicht nur sozial, sondern auch politisch zurück. In der Altersgruppe der 16- bis 30-Jährigen ist das besonders bedeutsam – denn sie befinden sich in einer entscheidenden Phase der Identitätsbildung und der Suche nach gesellschaftlicher Verortung.

Gefühl der Ausgrenzung trotz politischem Interesse

Die Studie zeigt deutlich, dass Einsamkeit nicht mit Desinteresse gleichzusetzen ist. Viele einsame junge Menschen interessieren sich sehr wohl für politische Themen – fühlen sich aber von politischen Entscheidungsträger:innen nicht repräsentiert. Rund die Hälfte der stark Einsamen gibt an, dass ihre Werte und Überzeugungen auf Bundesebene nicht vertreten werden. Zudem äußern 76 Prozent von ihnen das Gefühl, dass ihre Sorgen nicht ernst genommen werden – ein spürbarer Unterschied zu den 61 Prozent unter den nicht einsamen Befragten.

Für Fachkräfte in Schule und Pädagogik bedeutet das: Einsamkeit ist kein individuelles Randthema, sondern ein Indikator für gesellschaftliche Entfremdung. Sie kann jungen Menschen das Gefühl nehmen, Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein – auch in Bildungs- und Lernkontexten.

Gemeinschaft erleben – Zugehörigkeit stärken

Gleichzeitig machen die Studienergebnisse Hoffnung: Das Gefühl von Anerkennung und sozialer Einbindung wirkt wie ein Schutzfaktor – und kann junge Menschen motivieren, sich aktiv einzubringen. Wer sich gesehen und wertgeschätzt fühlt, ist eher bereit, Verantwortung zu übernehmen. Politisches oder soziales Engagement wird so zur Brücke aus der Isolation – wenn es auf echte Beteiligung trifft.

Gerade im Kontext von Schule, Jugendarbeit und außerschulischer Bildung sind diese Erkenntnisse relevant: Wo junge Menschen Räume der Begegnung und des Austauschs erleben, wo sie sich ernst genommen fühlen und ihre Stimmen zählen, wächst auch ihr Vertrauen in das Gemeinsame – in Schule, Gesellschaft und Demokratie.

Hier geht es zum Einsamkeitsbarometer




Einsamkeit bei Kindern: Schon Fünfjährige fühlen sich häufig allein

Neue Daten des Deutschen Jugendinstituts zeigen: Auch Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren erleben Einsamkeit – und das häufiger als bislang angenommen.

Einsamkeit beginnt oft früher, als viele denken. Laut aktuellen Auswertungen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) fühlt sich mehr als jedes fünfte Kind im Kindergarten- oder Grundschulalter zumindest gelegentlich einsam. Die Daten stammen aus dem Survey „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ (AID:A), der im Jahr 2023 über 2.100 Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren befragte.

In persönlichen, kindgerecht gestalteten Interviews berichteten 17 Prozent der Kinder, dass sie sich in der Woche vor der Befragung manchmal allein gefühlt hätten. Weitere fünf Prozent gaben an, dieses Gefühl häufig oder ganz oft zu haben. Damit zeigt sich: Einsamkeit ist nicht nur ein Thema für Jugendliche oder ältere Erwachsene, sondern betrifft bereits viele Kinder in der Grundschule.

Familiäre Veränderungen erhöhen das Risiko

Die Auswertungen zeigen deutliche Unterschiede je nach familiärer Lebensform. Kinder aus Trennungs- oder Stieffamilien berichten besonders häufig von Einsamkeit. Während 22 Prozent der Kinder aus sogenannten Kernfamilien von Einsamkeitserfahrungen berichten, steigt dieser Anteil bei Kindern, die bei nur einem Elternteil leben, auf 28 Prozent. In Stieffamilien liegt er sogar bei 34 Prozent.

„Eine elterliche Trennung bedeutet für Kinder eine tiefgreifende Veränderung ihrer Lebenswelt“, erklärt Dr. Alexandra Langmeyer, die gemeinsam mit Dr. Christine Entleitner-Phleps die Daten analysiert hat. „Das kann sich negativ auf ihr Wohlbefinden auswirken und Einsamkeit begünstigen.“

Materielle Belastung wirkt sich spürbar aus

Auch die wirtschaftliche Situation im Elternhaus spielt eine Rolle. Kinder, die in Haushalten mit materiellen Einschränkungen leben – also in jenen Familien, die sich notwendige und für den üblichen Lebensstandard charakteristische Ausgaben nicht oder kaum leisten können – berichten bis zu 29 Prozent über Einsamkeit. In Familien ohne solche Einschränkungen liegt der Anteil bei 21 Prozent.

„Wenn Teilhabechancen fehlen und die Stimmung in der Familie durch Geldsorgen belastet ist, kann sich das auf die soziale und emotionale Entwicklung von Kindern auswirken“, so die Studienautorinnen.

Auffälliges Verhalten und Einsamkeit: ein wechselseitiger Zusammenhang?

Die Auswertung zeigt außerdem einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Verhaltensauffälligkeiten. Kinder, die von ihren Eltern im SDQ (Strengths and Difficulties Questionnaire) als auffällig eingeschätzt wurden, fühlen sich deutlich häufiger einsam als Kinder mit unauffälligem Verhalten. 25 Prozent der auffällig eingeschätzten Kinder berichten von gelegentlicher Einsamkeit, neun Prozent sogar von häufigem Alleinsein. Zum Vergleich: Bei Kindern mit unauffälligem Verhalten liegen die Werte bei 17 beziehungsweise fünf Prozent.

Ob Einsamkeit eher Folge oder Ursache von Verhaltensproblemen ist, bleibt offen. „Mit den vorliegenden Daten lassen sich keine eindeutigen Rückschlüsse ziehen“, erklärt Langmeyer. Sie und Entleitner-Phleps plädieren für längsschnittliche Studien, die den Lebensverlauf von Kindern über einen längeren Zeitraum begleiten, um solche Fragen klären zu können.

Hintergrund: AID:A-Survey und Aktionswoche gegen Einsamkeit

Die Daten stammen aus dem Survey „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ (AID:A), den das DJI regelmäßig durchführt. Die Veröffentlichung der Ergebnisse erfolgte im Rahmen der Aktionswoche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend initiiert wurde. Sie zielt darauf ab, Einsamkeit als gesamtgesellschaftliches Thema sichtbar zu machen – auch in frühen Lebensphasen.

Kontakt:
Dr. Alexandra Langmeyer
Leitung der DJI-Fachgruppe „Lebenslagen und Lebenswelten von Kindern“
E-Mail: langmeyer@dji.de