Ganztag an Grundschulen stärkt Motivation, Selbstständigkeit und Schulalltag

Neue Studie zeigt: Kinder im Ganztag sind zufriedener, mobben seltener, lesen mehr und brauchen weniger elterliche Hilfe

Kinder, die eine Ganztagsschule besuchen, profitieren nicht nur schulisch, sondern auch sozial und emotional. Eine aktuelle Untersuchung von Larissa Zierow (ifo Institut, Hochschule Reutlingen) und Arnim Seidlitz (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) zeigt, dass Ganztagsangebote in der Grundschule zu einem besseren Schulklima beitragen, die Selbstständigkeit fördern und die Lernmotivation steigern.

Mehr Freude an der Schule – weniger Mobbing

Die Studie belegt, dass Kinder im Ganztag zufriedener mit ihrer Schule sind und seltener Mobbing erfahren. Der längere gemeinsame Alltag schafft Gelegenheiten, Freundschaften zu pflegen, Konflikte frühzeitig zu klären und Vertrauen zwischen Kindern und Lehrkräften aufzubauen. Das wirkt sich positiv auf das Schulklima aus und kann dazu beitragen, dass Kinder lieber zur Schule gehen und sich stärker zugehörig fühlen.

Lesen statt Nachsitzen

Auch das Lern- und Freizeitverhalten verändert sich im Ganztag deutlich. Kinder verbringen weniger Zeit mit Hausaufgaben und nutzen freie Zeiten häufiger zum Lesen oder für kreative Aktivitäten. Das entlastet Familien und stärkt die Eigenverantwortung der Kinder. Zudem berichten sie, dass sie weniger Unterstützung von ihren Eltern benötigen – ein Zeichen wachsender Selbstständigkeit.

Deutschnoten steigen – Mathe bleibt stabil

Die Auswertungen zeigen, dass sich die Deutschnoten im Schnitt verbessern, während in Mathematik keine signifikanten Veränderungen beobachtet wurden. Standardisierte Testergebnisse deuten darauf hin, dass Ganztagsschulen vor allem dann wirksam sind, wenn ihre Angebote pädagogisch gut gestaltet und auf die Bedürfnisse der Kinder abgestimmt sind.

Bildungsungleichheiten bleiben – Qualität entscheidet

Die Hoffnung, Ganztagsangebote könnten soziale Bildungsunterschiede automatisch ausgleichen, hat sich in der Studie jedoch nicht bestätigt. Kinder aus weniger privilegierten Familien profitieren nicht systematisch stärker oder schwächer vom Ganztag als andere.

Das bedeutet: Der Ganztag allein gleicht keine Startnachteile aus – es kommt auf die Qualität der Angebote an. Entscheidend ist, wie Schulen ihre Zeit nutzen: ob sie Räume für individuelle Förderung schaffen, gemeinsames Lernen ermöglichen und Kindern unabhängig von ihrer Herkunft gleiche Chancen eröffnen.

Pädagogischer Mehrwert statt bloßer Betreuung

Die Forschenden sehen im Ganztag großes Potenzial, wenn er mehr ist als eine verlängerte Aufbewahrung nach dem Unterricht. Gut konzipierte Nachmittagsangebote können Selbstvertrauen, Teamfähigkeit und Lernfreude stärken – Kompetenzen, die weit über Noten hinausgehen.

Dass der Ganztag gleichzeitig die Chancen auf den späteren Besuch eines Gymnasiums leicht erhöht, ist ein zusätzlicher Effekt. Im Mittelpunkt stehen jedoch die positiven Veränderungen im Alltag der Kinder: mehr Freude am Lernen, mehr Selbstständigkeit und ein gesünderes Miteinander in der Schule.

Hintergrund der Studie

Für die Untersuchung wurden Daten der National Educational Panel Study (NEPS) mit Informationen aus dem Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) verknüpft. Dieses Programm stellte zwischen 2003 und 2009 rund vier Milliarden Euro bereit, um den Ausbau von Ganztagsangeboten in Deutschland zu fördern. Der Anteil der Grundschulkinder mit Ganztagsplätzen ist seither stark gestiegen.




Gericht stoppt „Immun-Smoothie“ für Kinder: Foodwatch setzt sich durch

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Das Landgericht Karlsruhe erklärt die Bezeichnung eines Kinder-Quetschies als „Immun-Smoothie“ für irreführend. Foodwatch begrüßt das Urteil als wichtigen Sieg gegen Gesundheitswerbung, die Eltern täuscht.

Foodwatch gewinnt Klage gegen dm

Die Verbraucherorganisation Foodwatch hat vor dem Landgericht Karlsruhe einen wichtigen Erfolg erzielt: Die Drogeriekette dm darf ihr Kinderprodukt nicht länger als „Immun-Smoothie“ bewerben. Das Gericht entschied, dass die Bezeichnung gegen die europäische Health-Claims-Verordnung verstößt.

Der Begriff erwecke den falschen Eindruck, das Produkt könne das Immunsystem stärken. Laut Richter handelt es sich um eine gesundheitsbezogene Angabe, die nicht auf der EU-Liste zugelassener Health Claims steht – und damit unzulässig ist.

Irreführung von Eltern und Kindern

„Wer Fruchtpüree mit Vitaminzusatz und zehn Prozent Zucker als ‚Immun-Smoothie‘ verkauft, führt Eltern in die Irre – und zieht ihnen obendrein das Geld aus der Tasche. Das ist nicht nur dreist, sondern schlicht illegal“, erklärte Rauna Bindewald von Foodwatch.

Das Produkt, ein Quetschie aus Fruchtpüree mit zugesetzten Vitaminen, enthält trotz der Aufschrift „ohne Zuckerzusatz“ rund zehn Prozent Fruchtzucker. Damit ist es für Kinder ebenso kritisch wie herkömmlicher Haushaltszucker und erreicht im Nutri-Score nur die Bewertung D.

Zudem kritisiert Foodwatch, dass dm das Produkt in der Nähe von Nahrungsergänzungsmitteln platzierte und so gezielt einen gesunden Eindruck erweckte.

Hintergrund: Was die Health-Claims-Verordnung schützt

Die europäische Health-Claims-Verordnung regelt, welche gesundheitsbezogenen Aussagen erlaubt sind. Zulässig sind nur Angaben, die zuvor ein wissenschaftliches Prüfverfahren bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) durchlaufen haben.

So darf beispielsweise der Hinweis, dass Vitamin D „zu einer normalen Funktion des Immunsystems beiträgt“, verwendet werden. Doch selbst ein solcher Satz darf nicht dazu dienen, ein komplettes Produkt unter dem Etikett „Immun-Smoothie“ zu vermarkten – insbesondere nicht, wenn der Hinweis im Kleingedruckten versteckt wird.

Mehr Fälle von irreführender „Immun-Werbung“

Der „Immun-Smoothie“ ist kein Einzelfall:

  • Das Barnhouse-Kinder-Müsli „Krunchy Immune Plus“ wurde nach einer Abmahnung von Foodwatch vom Markt genommen.
  • Gegen den Saft „BioC Immunkraft“ von Voelkel läuft aktuell noch eine Klage.

Foodwatch hatte in den vergangenen Monaten drei Produkte wegen irreführender Gesundheitsversprechen abgemahnt.

Bedeutung für Eltern und Pädagog:innen

Das Urteil ist ein starkes Signal für alle, die Kinder begleiten: Gesundheitsversprechen auf Lebensmitteln sind oft trügerisch. Gerade Eltern, die bewusst einkaufen wollen, können durch wohlklingende Produktnamen getäuscht werden.

Für Pädagog:innen ist der Fall ein Beispiel, wie wichtig Ernährungsbildung und ein kritischer Blick auf Werbung sind. Denn hinter bunten Verpackungen und Gesundheitsclaims steckt nicht immer ein gesundes Produkt.

Rechtslage und Ausblick

Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe ist noch nicht rechtskräftig. dm kann bis Mitte September 2025 Berufung einlegen. Foodwatch kündigte an, auch in Zukunft genau hinzusehen und unzulässige Gesundheitsversprechen aufzudecken.

Weiterführende Informationen:

Quelle: Foodwatch (Pressemitteilung, 20. August 2025)




Verbal oder Zahl? – Schulzeugnisse verändern den Blick von Eltern

Neue BiB-Studie zeigt: Klare Noten statt blumiger Worte fördern das Engagement von Eltern

Sommerzeit ist Zeugniszeit – für viele Familien ein emotionaler Moment, der nicht nur Rückblick, sondern auch Weichenstellung für die Zukunft bedeutet. Passend zum Schuljahresende hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) eine neue Studie veröffentlicht, die beleuchtet, wie Schulzeugnisse das elterliche Verständnis für die Leistungen ihrer Kinder beeinflussen – und wie sich dies auf das Bildungsengagement zuhause auswirkt.

Eltern schätzen Leistungen oft zu positiv ein

Das zentrale Ergebnis: Viele Eltern überschätzen die schulischen Fähigkeiten ihrer Kinder, besonders in Deutsch, Mathematik und den Naturwissenschaften. Dies gilt vor allem in Haushalten mit niedriger formaler Bildung oder Migrationshintergrund. Die Forscherinnen der Studie, Elena Ziege und Ariel Kalil, warnen: Diese Fehleinschätzungen können dazu führen, dass Kinder nicht in dem Maße gefördert werden, wie es ihrem tatsächlichen Lernstand entspricht.

Format entscheidet: Noten wirken besser als Texte

Doch das muss nicht so bleiben. Wie die Untersuchung zeigt, können Schulzeugnisse diese Wahrnehmung wirksam korrigieren – vorausgesetzt, sie sind klar und verständlich. Dabei spielt das Format der Leistungsrückmeldung eine entscheidende Rolle: Während schriftliche Lernstandsbeschreibungen – wie sie in vielen Grundschulen für die ersten Jahrgangsstufen üblich sind – oft nicht richtig gedeutet werden, führen klare numerische Noten oder Gespräche mit Lehrkräften deutlich häufiger zu einer aktiveren Unterstützung der Kinder durch die Eltern.

Mehr Engagement durch bessere Information

„Väter und Mütter, die präzise Informationen zum Leistungsstand erhalten, lesen häufiger mit ihren Kindern oder spielen gezielter mit ihnen – insbesondere, wenn es sich um das erste Zeugnis handelt“, fasst Bildungsforscherin Elena Ziege zusammen. Besonders bedeutsam sei dies für Kinder aus sozial benachteiligten Haushalten. Hier könne eine frühzeitige, transparente Rückmeldung über die Schulleistungen ein Schlüssel sein, um Bildungspotenziale besser zu nutzen.

Frühe Rückmeldung als Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit

Die Datenbasis der Studie stammt aus dem Nationalen Bildungspanel (NEPS) und bezieht sich auf das erste Grundschuljahr. Die Autorinnen empfehlen, bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auf klar strukturierte Rückmeldungen zu setzen – idealerweise in Form von Noten oder standardisierten Einschätzungen, ergänzt durch persönliche Gespräche. Denn: Gut informierte Eltern sind besser in der Lage, ihre Kinder beim Lernen zu begleiten.

Quellenhinweis:

Ziege, Elena & Kalil, Ariel (2025): How Information Affects Parents‘ Beliefs and Behavior: Evidence from First-Time Report Cards for German School Children
Veröffentlichung beim Becker Friedman Institute, University of Chicago
Link zur Studie

Quelle: Dr. Christian Fiedler, Pressestelle, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)




Neugier macht Kinder stark und verbindet Familien

Warum der natürliche Entdeckergeist so wichtig ist und wie Eltern und pädagogische Fachkräfte ihn schützen können

Kinder sind von Natur aus neugierig. Sie stellen Fragen, entdecken ständig Neues, experimentieren, beobachten – und lassen nicht locker, bis sie eine Antwort haben. Diese unermüdliche Suche nach Sinn, Zusammenhang und Neuem ist keine bloße Phase, sondern ein grundlegender Motor für Entwicklung, Lernen und Beziehung.

„Neugier ist eine psychologische Superkraft“, sagt der Psychologe Jonathan Schooler von der University of California, Santa Barbara. Studien zeigen: Wer sich neugierig mit der Welt verbindet, lebt zufriedener, kreativer – oft gesünder und länger.

Neugier kann man nicht lehren – aber man kann sie verlieren

Während Kinder mit einem natürlichen Entdeckergeist auf die Welt kommen, wird dieser oft ungewollt eingeschränkt. Überstrukturierte Tagesabläufe, frühzeitige Leistungsanforderungen oder ständige Ablenkung durch digitale Medien können die kindliche Neugier Stück für Stück zurückdrängen. Wer immer nur gesagt bekommt, was richtig ist, lernt irgendwann, nicht mehr selbst zu fragen.

Deshalb ist es für Eltern, Großeltern und pädagogische Fachkräfte so wichtig, Räume offen zu halten, in denen Kinder fragen, ausprobieren, beobachten und staunen dürfen. Denn Neugier braucht vor allem eines: Freiheit.

Wenn Eltern selbst neugierig bleiben

Doch auch Erwachsene profitieren, wenn sie sich gemeinsam mit Kindern auf Entdeckungsreise begeben. Eine fragende Haltung – Warum ist das so?, Was könnte dahinterstecken? – wirkt nicht nur ansteckend, sondern stärkt auch das Miteinander in der Familie.

Psychologin Madeleine Gross, ebenfalls von der UC Santa Barbara, betont: „Neugier bedeutet nicht, ständig neue Reize zu suchen, sondern das Alltägliche wieder mit offenen Augen zu sehen.“ Genau das können Kinder den Erwachsenen zeigen – wenn diese bereit sind, mit ihnen gemeinsam hinzuschauen.

Kleine Anregungen für mehr Neugier im Familienalltag

– Lasst Kinder selbst entdecken, statt sofort alles zu erklären
– Stellt Fragen, auch wenn ihr die Antwort kennt – und hört gemeinsam nach
– Probiert zusammen etwas Neues aus: ein fremdes Gericht, eine unbekannte Pflanze, ein anderer Weg zum Spielplatz
– Schafft Momente ohne Ablenkung – kein Bildschirm, kein Plan, nur Neugier

Neugier ist keine Fähigkeit, die man lehren muss – aber eine Haltung, die man bewahren sollte. Wer sie schützt, fördert nicht nur das Lernen der Kinder, sondern bereichert das Familienleben insgesamt.

Quelle: pressetext.com und University of California, Santa Barbara – Department of Psychological & Brain Sciences




Bürgergeld-Studie: Eltern verzichten auf Essen, um Kinder zu versorgen

Mehr als die Hälfte der Eltern im Bürgergeldbezug berichten von regelmäßigen Entbehrungen. Die aktuelle Studie des Vereins Sanktionsfrei stellt grundlegende Fragen zur sozialen Sicherung – und zur Wahrung der Menschenwürde

„Ich esse nicht, damit meine Tochter satt wird.“ Solche Aussagen prägen das Bild, das eine neue Studie des Vereins Sanktionsfrei zur Lebensrealität von Bürgergeldbeziehenden in Deutschland zeichnet. Die Online-Befragung von 1.014 Betroffenen offenbart: Für viele Familien reicht der aktuelle Regelsatz von 563 Euro nicht aus, um die grundlegenden Bedürfnisse zu decken.

72 Prozent der Befragten geben an, dass dieser Betrag für ein menschenwürdiges Leben nicht genügt. Besonders Eltern geraten dabei unter Druck: 54 Prozent verzichten regelmäßig auf Mahlzeiten, damit ihre Kinder genug zu essen haben. Auch Schulmaterial, Kleidung, Mobilität oder Teilhabe am sozialen Leben bleiben häufig unerreichbar.

Eine Mutter berichtet: „Manchmal muss ich mein Kind vom Kindergarten zuhause lassen, weil ich mir das Tanken nicht leisten kann. Ausflüge sind nie drin, Kleidung gibt’s nur gebraucht. Es ist grausam.“

Grundgesetz und Realität: Die Menschenwürde als Maßstab

Artikel 1 des Grundgesetzes verpflichtet den Staat, die Würde jedes Menschen zu achten und zu schützen. Daraus leitet sich auch das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ab – ein Grundsatz, den das Bundesverfassungsgericht wiederholt betont hat.

Doch die Ergebnisse der Studie werfen Zweifel auf, ob das Bürgergeld in seiner aktuellen Ausgestaltung diesem Anspruch gerecht wird. Wenn Eltern regelmäßig hungern, Schulalltag zur finanziellen Belastung wird und Kinder ausgegrenzt sind, ist die Menschenwürde zumindest gefährdet – systematisch und nicht nur im Einzelfall.

„Diese Stimme im Kopf ist immer präsent: Wie soll es morgen weitergehen?“, schildert Thomas Wasilewski, Bürgergeldbezieher und Vater von zwei Kindern. „Es ist unerträglich zu erleben, wie meine Söhne leiden, weil ihnen das Allernötigste fehlt.“

Zur Methodik: Repräsentative Datenlage

Die Studie wurde vom Institut Verian im Auftrag des Vereins Sanktionsfrei im Mai 2025 durchgeführt. Befragt wurden 1.014 Bürgergeldempfänger*innen zwischen 18 und 67 Jahren über ein Online-Access-Panel. Durch eine abschließende soziodemografische Gewichtung auf Basis amtlicher Daten erlaubt die Untersuchung belastbare Aussagen über die Gesamtheit der Bürgergeldbeziehenden in Deutschland.

Wunsch nach Teilhabe – aber geringe Perspektiven

Trotz der angespannten Lage ist die Motivation hoch: 74 Prozent der Befragten möchten den Bürgergeldbezug hinter sich lassen. Doch nur 26 Prozent glauben, dass ihnen dies in absehbarer Zeit gelingen wird. Die Ursachen sind vielfältig: gesundheitliche Einschränkungen, fehlende Kinderbetreuung, mangelnde Qualifizierungsangebote und strukturelle Probleme auf dem Arbeitsmarkt.

Eine Befragte schreibt: „Ich bemühe mich seit Jahren aktiv um Arbeit. Aber ich bin alleinerziehend, habe keine Betreuung und niemand stellt mich ein.“ Ein anderer ergänzt: „Unser Bürgergeld wurde um 170 Euro gekürzt, weil die Miete angeblich zu hoch ist – obwohl es in Leipzig keinen bezahlbaren Wohnraum gibt.“

Die Rolle der Jobcenter wird dabei ambivalent gesehen: Während einige Unterstützungsangebote wahrgenommen werden, überwiegt bei vielen der Eindruck von Druck und Kontrolle statt Hilfe und Förderung.

Stigmatisierung und Angst vor Verschärfungen

42 Prozent der Befragten schämen sich für ihren Bürgergeldbezug. Nur 12 Prozent fühlen sich gesellschaftlich zugehörig. Noch gravierender: 72 Prozent fürchten sich vor weiteren Leistungskürzungen – insbesondere vor einem vollständigen Leistungsentzug, wie er in politischen Debatten wieder verstärkt diskutiert wird.

Ein Befragter beschreibt die möglichen Folgen so: „Ein kompletter Entzug der Leistungen würde bedeuten, dass ich entweder Miete oder Essen zahlen kann – beides nicht. Ich wäre obdachlos.“ Ein anderer sagt: „Wie soll ich mich um Arbeit bemühen, wenn ich nicht weiß, ob ich morgen noch eine Wohnung habe?“

Ökonomische Bewertung: Kürzungen als Risiko für alle

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnt vor einer falschen Richtung in der Sozialpolitik: „Das Bürgergeld muss so ausgestaltet sein, dass es Teilhabe ermöglicht. Eine Kürzung ist kontraproduktiv – nicht nur für Betroffene, sondern auch für Wirtschaft und Gesellschaft.“ Er plädiert für Investitionen in Bildung, Stabilität und Förderung statt Sanktionen: Nur so könne die Integration in den Arbeitsmarkt nachhaltig gelingen.

Forderungen an die Politik: Menschenwürde praktisch umsetzen

Der Verein Sanktionsfrei fordert auf Basis der Studienergebnisse:

  • einen bedarfsdeckenden Regelsatz von mindestens 813 Euro,
  • die vollständige Abschaffung von Sanktionen,
  • Qualifizierung und Weiterbildung statt Vermittlungsdruck.

Die zentrale Frage, so der Verein, müsse lauten: Wie gelingt es, den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Menschenwürde auch im Alltag von Familien im Bürgergeldbezug zu gewährleisten? Zur Studie: www.sanktionsfrei.de/studie25

Quelle: Pressemitteilung Sanktionsfrei e.V.




Elternbegleitung kommt bei den Eltern an

Wissenschaftliche Untersuchung der EHB zu kommunalen Präventionsnetzwerken für Familien.

Im Rahmen des ESF Plus-Programms „ElternChanceN“, gefördert durch das Bundesfamilienministerium, wurden seit 2022 über 2.000 niedrigschwellige Angebote wie Elterncafés und alltagsnahe Beratung umgesetzt. In der jetzt veröffentlichten mehrsprachigen Befragung von 1.243 Eltern zeigten sich über 90 Prozent der Eltern zufrieden. 95 Prozent würden die Elternbegleitung weiterempfehlen. Gerade Familien in besonderen Lebenslagen profitieren von den niedrigschwelligen Angeboten. Ein Großteil der Eltern ist der Ansicht, dass die Angebote den Alltag erleichtern (89,8 Prozent) und dabei helfen, Kinder besser zu fördern (86,6 Prozent).

Studie „Eltern im Blickpunkt“

Die am 27. November durch das Bundesfamilienministerium herausgegebene wissenschaftliche Studie „Eltern im Blickpunkt“ wurde vom an der EHB angesiedelten Kompetenzteam durchgeführt, das die Wirkung der präventiven Angebote untersucht. Dabei zeigt sich, dass Elternbegleiter:innen als zuverlässige Partner:innen im Alltag eine wichtige Stabilisierungs- und Orientierungsfunktion für Familien einnehmen.

„Die Ergebnisse der Studie belegen, dass niedrigschwellige Angebote wie die Elternbegleitung für Familien in ganz unterschiedlichen Lebenslagen wichtig sind. Mit dem Programm ElternChanceN wird genau dort angesetzt, wo Unterstützung im Alltag benötigt wird“, erklärt Projektleiterin Prof.in Dr. Julia Lepperhoff. „Unsere Aufgabe ist es, die Arbeit der Elternbegleiter:innen wissenschaftlich zu begleiten und Empfehlungen für die langfristige Integration solcher Ansätze in die kommunale Infrastruktur zu geben. Denn nur so können nachhaltig positive Effekte für Familien und ihre Kinder erzielt werden.“

Stärkung lokaler Netzwerke durch Regionalkonferenzen

Ein weiterer Fokus liegt auf der nachhaltigen Verankerung der Elternbegleitung auf kommunaler Ebene. Im November fanden drei Regionalkonferenzen statt, bei denen Fachkräfte des ElternChanceN-Programms und des bundesweiten „Netzwerks Elternbegleitung“ sich vernetzten und über eine verbesserte Sichtbarkeit von Elternbegleitung im kommunalen Raum austauschten. Diese Konferenzen gaben auch wichtige Impulse für eine stärkere Vernetzung mit den insgesamt 15.000 qualifizierten Elternbegleiter:innen.

Langfristige Unterstützung für Familien

Das ESF Plus-Programm „ElternChanceN“, das bis 2028 mit 45 Millionen Euro gefördert wird, bildet eine solide Basis, um Elternbegleitung flächendeckend und nachhaltig zu etablieren. Die wissenschaftliche Begleitung durch die EHB trägt wesentlich dazu bei, die Qualität und Wirkung dieser familienunterstützenden Maßnahmen sichtbar zu machen und weiterzuentwickeln.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof.in Dr. Julia Lepperhoff, Professur für Sozialpolitik, Leitung Kompetenzteam „Frühe Bildung in der Familie“

Originalpublikation:

Link zur Studie:
https://www.eh-berlin.de/fileadmin/Redaktion/2_PDF/PRESSE/Pressemeldungen/eltern-im-blickpunkt-elternbefragung-elternchancen-data.pdf

Weitere Informationen:

https://www.eh-berlin.de/forschung/forschungsprojekte/kompetenzteam-fruehe-bildung

Sibylle Baluschek, Evangelische Hochschule Berlin




Warum Kinder in Anwesenheit ihrer Eltern mutiger sind

Neue Studie über die Auswirkungen der Anwesenheit von Eltern auf die Reaktionen des Gehirns ihrer Kinder

Um gut durchs Leben zu kommen, müssen wir lernen, was sicher und was gefährlich ist. Eltern spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie helfen ihren Kindern, mit Angst umzugehen und neue, möglicherweise beängstigende Dinge auszuprobieren. Studien an Tieren haben bereits bewiesen, dass die Anwesenheit der Eltern ihre Kinder darin unterstützt, besser mit Angst umgehen zu können. Die zeigt sich vor allem in zwei Bereichen des Gehirns:

  1. Amygdala oder Mandelkern: Sie ist Teil des limbischen Systems und spielt eine wichtige Rolle bei der emotionalen Beurteilung und Wiedererkennung von Situationen sowie bei der Gefahrenanalyse. Sie ist so etwas wie unser emotionales Gedächtnis.
  2. Medialer präfrontaler Cortex (mPFC): Er ist ein Teil des Fontallappens und damit der Gehirnrinde. Dieser Teil hilft, unsere Gefühle und Reaktionen zu kontrollieren und zu regulieren.

Versuchsaufbau

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der University of California-Riverside versuchten nun herauszufinden, ob Eltern ähnliche Einflüsse auf die Amygdala und den mPFC ihrer Kinder haben, wenn diese Angst lernen – genau wie es bei Tieren beobachtet wurde. Dazu haben sie 48 Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 17 Jahren beobachtet. Die Kinder sollten eine Aufgabe erfüllen, bei der sie lernen sollten, Angst mit bestimmten Signalen zu verbinden. Diese Aufgabe wurde einmal mit einem Elternteil an ihrer Seite und einmal ohne die Anwesenheit des Elternteils gestellt. Während dieser Aufgabe wurden die Gehirnaktivitäten der Kinder mithilfe von Bildgebungsverfahren (wie MRT) gemessen.

Dabei zeigte sich folgendes:

  • Wenn die Kinder ein unangenehmes Geräusch hörten (ein Signal für Gefahr), war die Aktivität in der Amygdala geringer, wenn ein Elternteil bei ihnen war. Das zeigt, dass die Anwesenheit der Eltern den Kindern half, weniger stark auf das Geräusch zu reagieren.
  • Als die Kinder lernten, dass bestimmte Signale (wie ein Ton oder ein Licht) mit etwas Unangenehmem verbunden waren, war die Aktivität im mPFC geringer, wenn ein Elternteil bei ihnen war. Dies deutet darauf hin, dass die Eltern die Art und Weise beeinflussten, wie die Kinder Angst lernen und verarbeiten.

Diese Studie legt nahe, dass Eltern eine beruhigende Wirkung auf ihre Kinder haben können, selbst auf neuronaler Ebene. Wenn Eltern anwesend sind, reagieren die Gehirne ihrer Kinder weniger stark auf beängstigende Reize. Das zeigt, wie wichtig die Rolle der Eltern im Umgang ihrer Kinder mit Angst ist. Diese „Pufferfunktion“ der Eltern erklärt, warum Kinder in der Nähe ihrer Eltern oft mutiger und weniger ängstlich sind.

Quelle: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/desc.13505




Perfektionistischen Eltern droht der Burnout

Forscher der Ohio State University sehen fatalen Druck von Gesellschaft und sozialen Medien

Eltern, die sich bemühen, ihre Kinder perfekt zu erziehen, müssen damit rechnen, einen Burnout zu erleiden. Das zeigt eine Studie von Forschern der Ohio State University. Sie basiert auf einer Umfrage unter 700 Eltern. 57 Prozent leiden bereits unter einem Burnout. Die Bemühungen, perfekte Eltern zu sein, sind nicht nur unrealistisch, sondern auch schädlich für Eltern und ihre Kinder, warnen die Forscher.

Chronische Überforderung

Die Gesellschaft übt den Experten nach einen immensen Druck auf Eltern aus, „perfekt“ zu sein. In ihrem Streben, dieses unrealistische Ziel zu erreichen, können sie einen elterlichen Burnout erleben. Dieser tritt auf, wenn der chronische Stress die Fähigkeit der Eltern überfordert, mit allen Situationen fertig zu werden und effektiv zu funktionieren.

Der elterliche Burnout hängt stark mit internen und externen Erwartungen zusammen, einschließlich der Selbsteinschätzung, ob man sich für ein gutes Elternteil hält, der wahrgenommenen Beurteilung durch andere, der Zeit zum Spielen mit den Kindern, der Beziehung zum Ehepartner und der Sauberkeit im Haus. Darüber hinaus zeigt die Studie, dass eine geringere Belastung durch strukturierte außerschulische Aktivitäten und mehr Zeit zum freien Spiel mit den Kindern psychische Gesundheitsprobleme bei Kindern wie Angst und Depression lindern könnten.

Treibsatz psychische Leiden

Noch schlimmer wird es, wenn Kinder unter psychischen Störungen leiden. Das verschärft das Burnout-Problem bei den Eltern, was oft dazu führt, dass sie ihre Kinder häufiger beschimpfen, kritisieren, anschreien oder sogar schlagen. Forscherin Kate Gawlik gibt den sozialen Medien einen guten Teil der Schuld an den Leiden der Eltern. „Wenn man Eltern auf Instagram beobachtet, frage ich mich immer: Wie schaffen sie es, immer alles im Griff zu haben, während ich es nicht habe?“

Mittlerweile hat die vierfache Mutter es im Griff. Dabei half ihr ein Ratschlag von Bernadette Melnyk, Assistenzprofessorin für Pädiatrie und Psychologie: „Positive Erziehung bedeutet, dass man seinen Kindern viel Liebe und Wärme schenkt, ihnen aber auch Struktur und Orientierung im Leben gibt. Man bringt ihnen behutsam die Konsequenzen von Verhaltensweisen bei. Ein positives Elternteil zu werden, ist ein viel besseres Ziel als zu versuchen, perfekt zu sein“, so Melnyk.

Ann Arbor/pressetext