Warum Kinder in Anwesenheit ihrer Eltern mutiger sind

Neue Studie über die Auswirkungen der Anwesenheit von Eltern auf die Reaktionen des Gehirns ihrer Kinder

Um gut durchs Leben zu kommen, müssen wir lernen, was sicher und was gefährlich ist. Eltern spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie helfen ihren Kindern, mit Angst umzugehen und neue, möglicherweise beängstigende Dinge auszuprobieren. Studien an Tieren haben bereits bewiesen, dass die Anwesenheit der Eltern ihre Kinder darin unterstützt, besser mit Angst umgehen zu können. Die zeigt sich vor allem in zwei Bereichen des Gehirns:

  1. Amygdala oder Mandelkern: Sie ist Teil des limbischen Systems und spielt eine wichtige Rolle bei der emotionalen Beurteilung und Wiedererkennung von Situationen sowie bei der Gefahrenanalyse. Sie ist so etwas wie unser emotionales Gedächtnis.
  2. Medialer präfrontaler Cortex (mPFC): Er ist ein Teil des Fontallappens und damit der Gehirnrinde. Dieser Teil hilft, unsere Gefühle und Reaktionen zu kontrollieren und zu regulieren.

Versuchsaufbau

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der University of California-Riverside versuchten nun herauszufinden, ob Eltern ähnliche Einflüsse auf die Amygdala und den mPFC ihrer Kinder haben, wenn diese Angst lernen – genau wie es bei Tieren beobachtet wurde. Dazu haben sie 48 Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 17 Jahren beobachtet. Die Kinder sollten eine Aufgabe erfüllen, bei der sie lernen sollten, Angst mit bestimmten Signalen zu verbinden. Diese Aufgabe wurde einmal mit einem Elternteil an ihrer Seite und einmal ohne die Anwesenheit des Elternteils gestellt. Während dieser Aufgabe wurden die Gehirnaktivitäten der Kinder mithilfe von Bildgebungsverfahren (wie MRT) gemessen.

Dabei zeigte sich folgendes:

  • Wenn die Kinder ein unangenehmes Geräusch hörten (ein Signal für Gefahr), war die Aktivität in der Amygdala geringer, wenn ein Elternteil bei ihnen war. Das zeigt, dass die Anwesenheit der Eltern den Kindern half, weniger stark auf das Geräusch zu reagieren.
  • Als die Kinder lernten, dass bestimmte Signale (wie ein Ton oder ein Licht) mit etwas Unangenehmem verbunden waren, war die Aktivität im mPFC geringer, wenn ein Elternteil bei ihnen war. Dies deutet darauf hin, dass die Eltern die Art und Weise beeinflussten, wie die Kinder Angst lernen und verarbeiten.

Diese Studie legt nahe, dass Eltern eine beruhigende Wirkung auf ihre Kinder haben können, selbst auf neuronaler Ebene. Wenn Eltern anwesend sind, reagieren die Gehirne ihrer Kinder weniger stark auf beängstigende Reize. Das zeigt, wie wichtig die Rolle der Eltern im Umgang ihrer Kinder mit Angst ist. Diese „Pufferfunktion“ der Eltern erklärt, warum Kinder in der Nähe ihrer Eltern oft mutiger und weniger ängstlich sind.

Quelle: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/desc.13505




Perfektionistischen Eltern droht der Burnout

Forscher der Ohio State University sehen fatalen Druck von Gesellschaft und sozialen Medien

Eltern, die sich bemühen, ihre Kinder perfekt zu erziehen, müssen damit rechnen, einen Burnout zu erleiden. Das zeigt eine Studie von Forschern der Ohio State University. Sie basiert auf einer Umfrage unter 700 Eltern. 57 Prozent leiden bereits unter einem Burnout. Die Bemühungen, perfekte Eltern zu sein, sind nicht nur unrealistisch, sondern auch schädlich für Eltern und ihre Kinder, warnen die Forscher.

Chronische Überforderung

Die Gesellschaft übt den Experten nach einen immensen Druck auf Eltern aus, „perfekt“ zu sein. In ihrem Streben, dieses unrealistische Ziel zu erreichen, können sie einen elterlichen Burnout erleben. Dieser tritt auf, wenn der chronische Stress die Fähigkeit der Eltern überfordert, mit allen Situationen fertig zu werden und effektiv zu funktionieren.

Der elterliche Burnout hängt stark mit internen und externen Erwartungen zusammen, einschließlich der Selbsteinschätzung, ob man sich für ein gutes Elternteil hält, der wahrgenommenen Beurteilung durch andere, der Zeit zum Spielen mit den Kindern, der Beziehung zum Ehepartner und der Sauberkeit im Haus. Darüber hinaus zeigt die Studie, dass eine geringere Belastung durch strukturierte außerschulische Aktivitäten und mehr Zeit zum freien Spiel mit den Kindern psychische Gesundheitsprobleme bei Kindern wie Angst und Depression lindern könnten.

Treibsatz psychische Leiden

Noch schlimmer wird es, wenn Kinder unter psychischen Störungen leiden. Das verschärft das Burnout-Problem bei den Eltern, was oft dazu führt, dass sie ihre Kinder häufiger beschimpfen, kritisieren, anschreien oder sogar schlagen. Forscherin Kate Gawlik gibt den sozialen Medien einen guten Teil der Schuld an den Leiden der Eltern. „Wenn man Eltern auf Instagram beobachtet, frage ich mich immer: Wie schaffen sie es, immer alles im Griff zu haben, während ich es nicht habe?“

Mittlerweile hat die vierfache Mutter es im Griff. Dabei half ihr ein Ratschlag von Bernadette Melnyk, Assistenzprofessorin für Pädiatrie und Psychologie: „Positive Erziehung bedeutet, dass man seinen Kindern viel Liebe und Wärme schenkt, ihnen aber auch Struktur und Orientierung im Leben gibt. Man bringt ihnen behutsam die Konsequenzen von Verhaltensweisen bei. Ein positives Elternteil zu werden, ist ein viel besseres Ziel als zu versuchen, perfekt zu sein“, so Melnyk.

Ann Arbor/pressetext




Elternschaft verleiht dem Gehirn Superkräfte

Dr. Julia Zwank, Professorin für Business Psychology und Expertin für Entwicklungspsychologie: „Die Natur baut unser Gehirn buchstäblich um, um uns auf unsere Rolle als Fürsorgende für ein schutzbedürftiges Wesen vorzubereiten“

„Mamaaaaa?? Hast du den Musiktest unterschrieben, die Brotzeit eingepackt, Maria gefragt, ob sie zum Spielen kommen kann und WO ist eigentlich mein Dings???“ Wer zum Henker soll all diese Dinge und noch 20.000 weitere auf dem Schirm haben und dazu solch unspezifische Fragen kompetent beantworten? Überraschung: Mama kann! Weil Mama gefühlt mehrere Personen in einer ist, ein Hirn hat wie ein Elefant und überhaupt die Beste ist. Genau wie Papa. Der ist ja sowieso Superman. Oder?

Pünktlich zum Vatertag und dem anstehenden Muttertag gehen wir mit Dr. Julia Zwank, Professorin für Business Psychology und Expertin für Entwicklungspsychologie, spannenden Fragen zur Elternschaft auf den Grund.

Man sagt, Mütter haben einfach alles im Kopf. Ist das ein Vorurteil oder stimmt das?

„Wenn wir das Gehirn einer Mutter und das Gehirn einer kinderlosen Frau im Gehirnscan ansehen, können wir recht gut erkennen, wer von beiden wer ist. Ist das nicht faszinierend? Die Veränderungen im Gehirn, die mit der Elternschaft einhergehen, sind die bedeutendsten im gesamten Erwachsenenleben und können mit den Veränderungen während der Pubertät verglichen werden.

Die Natur baut unser Gehirn buchstäblich um, um uns auf unsere Rolle als Fürsorgende für ein schutzbedürftiges Wesen vorzubereiten. Schon in der Schwangerschaft sehen wir zum Beispiel, dass die graue Hirnsubstanz in bestimmten Arealen ab- und in anderen Arealen zunimmt, was sich nach der Geburt weiter fortsetzt. Eltern haben im Vergleich zu Nicht-Eltern stärkere neuronale Netzwerke, die zum Beispiel mit einer erhöhten Wachsamkeit für Bedrohungen verbunden sind. Diese Veränderungen im Gehirn sind so deutlich, dass ein Computeralgorithmus anhand der neuroanatomischen Veränderungen sogar treffsicher voraussagen kann, ob eine Frau Mutter ist oder nicht.

Diese intensiven Veränderungen finden während eines relativ kurzen Zeitraums statt. Mit der Geburt eines Kindes wird auch eine Mutter geboren, die danach eine andere Frau ist als zuvor – mit einem neu verdrahteten Gehirn.“

Wann beginnt die Anpassung des Gehirns auf den Elternschafts-Modus?

„Der Prozess beginnt während der Schwangerschaft und setzt sich über die Geburt hinaus fort. Studien zeigen, dass sich in Momenten der Nähe zwischen Babys und ihren Eltern ihre körperlichen Funktionen synchronisieren. Dies geschieht immer dann, wenn wir gemeinsam glücklich sind, wenn wir einander in die Augen sehen und gemeinsame Freude empfinden. Ein Beispiel hierfür ist die Mutter, die liebevoll das Baby auf dem Wickeltisch anlächelt oder der Vater, der mit dem Baby auf dem Arm tanzt oder begeistert „Kuckuck“ spielt – immer und immer wieder.

Diese Synchronisation unterstützt nicht nur die Entwicklung des Gehirns, sondern lässt auch die körperlichen Funktionen reifen. Zwischen Eltern und Kind existieren verschiedene Ebenen der Koordination: Die Herzrhythmen von Mutter oder Vater und Kind passen sich zum Beispiel in Millisekunden an, was auf eine tiefe körperliche Verbundenheit hinweist und die Entwicklung des Organismus des Kindes sowie seiner körperlichen Funktionen unterstützt. In diesen Momenten schlagen die Herzen wahrhaftig „im gleichen Takt“. Eltern und Babys weisen einen ähnlichen Spiegel von Oxytocin, dem „Liebeshormon“, auf, was ihre Bindung weiter stärkt. Sogar die Gehirnwellen scheinen sich in diesen Momenten der Nähe anzugleichen.

Diese Synchronität unterstützt dann die kindliche Entwicklung grundlegend und hilft dem Stresssystem, nach und nach zu reifen. Wenn wir nun weiterdenken, beeinflusst sie auch die Fähigkeit des Kindes, eines Tages selbst zu liebevollen und einfühlsamen Eltern für die nächste Generation zu werden. Das zeigt, wie wichtig echte Nähe für die Gehirnentwicklung des Kindes ist – und für die der Eltern.“

Haben das alle Mütter? Und wie ist es um Väter bestellt? Verändern sich auch Männerhirne während Schwangerschaften oder mit der Ankunft des neuen Erdenbürgers?

„Den Anstoß für diesen Umbau des Gehirns gibt die Schwangerschaft mit ihren hormonellen Feuerwerken. Doch Gehirnveränderungen treten nicht nur bei Müttern auf. Wir sehen sie auch bei Vätern, bei Adoptiveltern und bei engsten Bezugspersonen. Hier kommt es auf die Qualität der Interaktion an. Denn die Verhaltensweisen, die diese Synchronisierung zwischen Erwachsenem und Kind und damit die Gehirnentwicklung bei Eltern und Kind fördern, haben alle eines gemeinsam: Sie treten bei Verbindung und in positiven sozialen Interaktionen auf. Nähe, Augenkontakt und sanfte Berührungen. Eltern, die ihre Babys halten, tragen, für sie singen und mit ihnen kuscheln. Eltern, die sensibel und aufmerksam auf das Weinen ihrer Babys reagieren. Eltern, die die innere Welt ihrer Babys mit Neugier beobachten. Es sind diese liebevollen und achtsamen Interaktionen, die nicht nur die Bindung zwischen Eltern und Kind stärken, sondern auch die Grundlage für eine gesunde Entwicklung des kindlichen und elterlichen Gehirns bilden.“

Was können jene Eltern mit neuem Gehirn denn dann besser als andere?

„Es entwickelt sich dadurch eine Art Netzwerk im Gehirn, das manche Forschende sogar als „globales Elternnetzwerk“ bezeichnen. Das sorgt dafür, dass Eltern sich auf ihre Babys einstellen können und ihre Bedürfnisse lesen lernen. Viele Eltern beginnen, plötzlich alle potenziellen Gefahren im Alltag zu sehen – die scharfe Kante, das hohe Gerüst, die zu große Traube, die das Kind verschlucken könnte. Das ist die Wachsamkeit und die Sensibilität, die in einem Elternhirn erhöht ist. Oder denken wir an Mamas und Papas, die die unterschiedlichen Laute ihres Kindes unterscheiden können, wissen, wann es Hunger hat, müde ist oder auf den Arm genommen werden will. Oder Eltern, die nachts um 2 Uhr stundenlang ihr Neugeborenes schaukeln, auch wenn sie selbst völlig übermüdet sind. Das Elterngehirn ist wie eine Art Superkraft, mit der uns die Natur ausstattet. Mit der wir das Überleben eines kleinen, hilflosen Wesens sichern können.“

Wir sind also eine gewisse Zeit lang aufmerksamer, leistungsfähiger, ausdauernder und kommen zudem mit weniger Schlaf aus. Begibt sich das Hirn irgendwann wieder auf Werkseinstellung oder bleibt es ein Leben lang ein Eltern-Hirn?

„Aktuelle Langzeituntersuchungen weisen darauf hin, dass diese strukturellen und funktionalen Veränderungen bestehen bleiben.“

Welche Rolle spielen die Papas?

„Lange wurde geglaubt, ein Kind bräuchte „nur eine liebevolle Mutter“. Doch das ist weit gefehlt. Der Einfluss des Vaters ist größer, als viele denken. Kinder, die mit liebevollen Vätern aufwachsen, brechen deutlich seltener die Schule ab oder landen im Gefängnis als Kinder, deren Vater abwesend ist und die kein anderes männliches Vorbild haben. Wenn Kinder enge Beziehungen zu Vaterfiguren haben, sind sie seltener in riskante Verhaltensweisen involviert und in der Pubertät deutlich weniger aggressiv oder kriminell. Als Erwachsene haben sie deutlich häufiger gut bezahlte Jobs und gesunde, stabile Beziehungen. Außerdem haben sie schon im Alter von drei Jahren tendenziell höhere IQ-Testergebnisse und leiden im Laufe ihres Lebens weniger an psychischen Problemen.

Nachdenklich macht mich jedoch immer wieder der Einfluss eines Vaters, wenn er zurückweisend ist. Eine groß angelegte Studie in mehreren Ländern hat gezeigt, dass Kinder, die von ihrem Vater zurückgewiesen werden, signifikant ängstlicher, unsicherer, aggressiver gegenüber anderen und feindseliger sind als Kinder, die einen liebevollen Vater erfahren. Ganz spannend ist, dass ein zurückweisender Vater einen viel größeren negativen Einfluss hat als eine zurückweisende Mutter.“

Was heißt denn „liebevoll“? Und ab wann ist ein Vater ein aktiver Vater?

Hier geht es vor allem um gemeinsam verbrachte Zeit, wobei die Qualität der Zeit jedoch wichtiger ist als die Quantität. Gemeinsames Fernsehen hilft hier zum Beispiel noch nicht viel. Es zählen gemeinsame Erfahrungen, Erlebnisse, bei denen positive Emotionen entstehen. Studien zeigen, dass Väter, die mit ihren Kindern zusammenleben und an wichtigen Ereignissen teilnehmen, einen weitaus größeren positiven Einfluss als Väter haben, die viel unterwegs sind oder woanders wohnen.

Kann ein Vater auch erst später entscheiden, aktiv am Leben der Kinder teilzunehmen und dann immer noch für den positiven Effekt sorgen oder ist der Zug ab einem bestimmten Kindesalter irgendwann abgefahren?

„Die ersten Lebensjahre sind durchaus die prägendsten. Doch selbst, wenn der Zug schon losgefahren ist, können wir immer noch hinterhersprinten und einsteigen. Zu spät ist es nie. Unser Gehirn ist plastisch, sprich: Es verändert sich, je nachdem, welche Erfahrungen wir machen. In egal welcher Familienkonstellation profitieren die Kinder von zugewandten und engagierten Erwachsenen – und Erwachsene ja auch von ihren Kindern, die ihre Gehirne zu Höchstleistungen antreiben und ihnen ganz erstaunliche Extra-Skills verleihen, von denen diese wiederum ihr ganzes Leben profitieren. Mit der Geburt wird nicht nur ein Baby geboren, sondern auch zwei Elternteile.“

Wir halten fest: Mama und Papa SIND Superhelden. Müssen sie sein, weil sie wissenschaftlich nachweisbare Superkräfte haben. Und je engagierter sie in ihrer Rolle sind, desto ausgeprägter die Superkraft. In diesem Sinne: Einen schönen Vater- bzw. Muttertag, den habt ihr euch verdient, ihr Superheld:innen!

Katja Narkprasert, SRH Fernhochschule




Warum Eltern ihren Babys vorsingen sollten

Spiellieder prägen die Sprachfähigkeiten von Kleinkindern

Eltern singen ihren Babys oft Wiegenlieder oder fröhliche Spiellieder vor. Doch wie reagieren Babys auf diese alltäglichen Gesänge – und welche Rolle spielen sie für die kindliche Entwicklung? Diesen Fragen ist ein Forschungsteam der Universität Wien in Zusammenarbeit mit der University of East London in einer aktuellen Studie nachgegangen. Das Fazit: Welche Lieder Eltern mit ihren Kleinen singen und wie Babys auf unterschiedliche Rhythmen reagieren, hängt mit der späteren Sprachentwicklung der Kinder zusammen. Die Studie erscheint aktuell im Fachjournal Developmental Cognitive Neuroscience.

Vom Instinkt zur bewussten Aktion

Musik spielt eine tiefgreifende Rolle im menschlichen Alltag – und das schon von ganz früh. Weltweit singen Eltern instinktiv für ihre Babys in vielerlei alltäglichen Situationen, etwa beim Wickeln oder Spielen. Dabei wollen sie ihre Kleinen beruhigen, deren Aufmerksamkeit gewinnen oder einfach gemeinsam Spaß haben. Forscherinnen und Forscher aus dem Wiener Kinderstudien Labor der Universität Wien haben sich nun gefragt, wie junge Säuglinge auf unterschiedliche, von der Mutter vorgesungene Rhythmen reagieren und welche Folgen die Wahrnehmung und Verarbeitung dieser Rhythmen für die Sprachentwicklung hat. 

Musik motiviert

Die akustischen Merkmale von Kinderliedern variieren abhängig von ihrem Verwendungszweck: Spiellieder zeichnen sich durch eine höhere Rhythmik, ein schnelleres Tempo und höhere Tonhöhen aus. Sie sind zudem musikalisch vielfältiger und komplexer als Schlaflieder. Letztere sind durch ein langsames Tempo, tiefere Tonhöhen und weniger musikalische Variation gekennzeichnet, um Babys zu beruhigen und beim Einschlafen zu helfen. In einer neuen Studie haben Mütter ihren sieben Monate alten Babys zwei bekannte Kinderlieder vorgesungen – ein Schlaflied („Schlaf, Kindlein schlaf“) und ein Spiellied („Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann“).

Bei den Säuglingen wurde dabei die Gehirnaktivität mittels Elektroenzephalographie (EEG) gemessen. Zusätzlich wurden die rhythmischen Bewegungen (etwa wippen oder strampeln) der Babys beobachtet. Als diese Kinder 20 Monate alt waren, wurden die Eltern mittels Fragebogen über den Wortschatz ihrer Kleinkinder befragt.

Schlaflieder und Spiellieder

Durch moderne Analyseverfahren konnten die Forscherinnen und Forscher zeigen, dass es möglich ist, anhand der Gehirnaktivität der Babys die neurale Verarbeitung beider Arten von Liedern zu beobachten. Dazu Studienerstautorin Trinh Nguyen: „Unsere Ergebnisse zeigten, dass es den Babys leichter fiel, das Schlaflied mit ihrer Gehirnaktivität zu ,tracken’“. Damit ist gemeint, dass die Gehirnwellen den Klang des Gesangs widerspiegeln. Das liegt wahrscheinlich am langsamen Tempo und den einfachen Strukturen des Liedes.

Mehr rhythmische Bewegungen zeigten die Säuglinge allerdings während des Spiellieds.“ Die etwas komplexeren musikalischen Strukturen der Spiellieder könnten anregender sein und die Kinder dadurch motivieren, sich mehr zur Musik zu bewegen. Spannenderweise wirkte sich aber nur das neuronale Tracking in Kombination mit rhythmischen Bewegungen beim Spiellied positiv auf die Größe des Wortschatzes der Kinder im Alter von 20 Monaten aus.

Auf das Lied kommt es an

Die Studie legt nahe, dass die Art und Weise, wie Babys auf unterschiedliche Lieder reagieren, mit ihrer späteren sprachlichen Entwicklung zusammenhängen könnte. Dies eröffnet Möglichkeiten für weitere vertiefende Forschung, um die Mechanismen und genauen Zusammenhänge zwischen musikalischer Wahrnehmung und Sprachentwicklung besser zu verstehen. In weiterführenden Studien untersucht das Forschungsteam zum Beispiel, welche musikalischen Elemente (Tonhöhe, Tempo, Klangfarbe) für Babys besonders anregend sind.

Die Erkenntnisse könnten für die Entwicklung von Interventionsprogrammen hilfreich sein, die die musikalische Interaktion zwischen Eltern und Babys gezielt fördern. Dies könnte von der Frühförderung bis zum Kindergarten und darüber hinaus reichen, um die kognitive und sprachliche Entwicklung von Kindern zu unterstützen.

Originalpublikation:

Trinh Nguyen, Susanne Reisner, Anja Lueger, Sam V. Wass, Stefanie Höhl, & Gabriela Markova: Sing to me, baby: Infants show neural tracking and rhythmic movements to live and dynamic maternal singing. In: Developmental Cognitive Neuroscience, 2023.
DOI: 10.1016/j.dcn.2023.101313

Theresa Bittermann, Universität Wien




Schweizer Jugendliche verfügen über ein hohes Maß an sozialen Ressourcen

mediennutzung

Jugendliche in der Schweiz erleben ihre Eltern als unterstützend und fühlen sich gut integriert

Ein Großteil der Jugendlichen in der Schweiz erlebt ihre Eltern als unterstützend und fühlt sich unter Gleichaltrigen gut integriert, zeigt der neue JAMESfocus-Bericht der ZHAW und Swisscom. Es zeigen sich Zusammenhänge mit der Mediennutzung: Jugendliche, die viel elterliche Unterstützung erfahren, verbringen weniger Zeit im Internet und werden seltener mit Sexting oder sexueller Belästigung konfrontiert.

Das Jugendalter ist durch besonders viele Entwicklungsaufgaben geprägt. Dazu gehört auch das Erlernen eines selbstbestimmten, kompetenten und bereichernden Umgangs mit Medien. In dieser anspruchsvollen Lebensphase spielen familiäre und soziale Ressourcen eine wichtige Rolle, indem sie eine positive Entwicklung unterstützen. Jugendliche in der Schweiz verfügen durchschnittlich über ein hohes Mass an sozialen und familiären Ressourcen. Dies zeigt der neue JAMESfocus-Bericht der ZHAW und Swisscom.

Kein Mangel an sozialen und familiären Ressourcen

Ein Großteil der Jugendlichen schätzt die elterliche Unterstützung als hoch ein. Und erlebt in der Erziehung ein hohes Maß an Kommunikationsbereitschaft und aktiver Lenkung seitens der Eltern. Auch fühlen sich die meisten gut integriert, sowohl in der Schule als auch innerhalb ihres sozialen Umfeldes. Über die verschiedenen soziodemografischen Unterschiede hinweg sind familiäre und soziale Ressourcen relativ gleichmäßig verteilt. Allerdings schätzen Jugendliche ohne Schweizer Pass die elterliche Unterstützung signifikant tiefer ein und fühlen sich weniger gut integriert. «Für Eltern mit Migrationshintergrund ist es vermutlich schwieriger, ihr Kind bei gewissen Themen zu unterstützen, da sie die Lebenswelt der Jugendlichen sowie das Schul- und Berufsbildungssystem in der Schweiz weniger gut kennen», erläutert Gregor Waller, Co-Leiter der Fachgruppe Medienpsychologie. «Aufgrund sprachlicher und kultureller Unterschiede fällt es möglicherweise auch den Jugendlichen schwerer, sich zu integrieren oder sie sind mit Vorurteilen und Ausgrenzung konfrontiert.»

Elterliche Unterstützung geht mit tieferer Internetnutzungszeit einher

Ein Zusammenhang zeigt sich zwischen der wahrgenommenen Unterstützung durch die Eltern und der Internetnutzungszeit: Ein höheres Ausmaß an wahrgenommener elterlicher Unterstützung geht mit einer tieferen wöchentlichen Internetnutzungszeit einher. Bezüglich der Handy- und Gamezeit gilt dies jedoch nicht. «Anzunehmen ist, dass eine wechselseitige Beziehung zwischen der Nutzungszeit und elterlicher Unterstützung besteht: eine schlechte Eltern-Kind-Beziehung verstärkt eine exzessive Internetnutzung, gleichzeitig kann sich eine intensive Internetnutzung negativ auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirken», erklärt ZHAW-Medienpsychologin Jael Bernath. «Jugendliche, die eine sehr intensive Internetnutzung aufweisen, haben möglicherweise vermehrt Konflikte mit ihren Eltern, was die Beziehung belasten kann.»

Wer allein gelassen wird, riskiert mehr

Grundsätzlich haben digitale Medien bei der sexuellen Entwicklung von Jugendlichen an Bedeutung gewonnen. Sie bieten Möglichkeiten, erste romantische oder intime Kontakte auszuleben, die eigene sexuelle Identität zu erkunden und eine selbstbestimmte Sexualität zu entwickeln. Gleichzeitig ergeben sich im digitalen Raum aber auch Risiken für Grenzverletzungen und Fehlverhalten.

Ein höheres Ausmaß an wahrgenommener elterlicher Unterstützung geht laut dem Bericht mit weniger Erfahrungen mit Sexting, Internetbekanntschaften und sexueller Belästigung einher. «Jugendliche zeigen also weniger potenziell riskantes Verhalten im Bereich der intimen und sexuellen Kommunikation, wenn sie die Beziehung zu ihren Eltern als unterstützend wahrnehmen», erklärt Jael Bernath. Jugendliche bewegen sich möglicherweise sicherer auf diesem Grat zwischen Chancen und Risiken, wenn sie auch bei Unsicherheiten oder negativen Erfahrungen im digitalen Raum auf ihre Eltern zugehen können.

Selbstbewusstsein schützt gegen sozialen Druck

Eine gute Eltern-Kind-Beziehung wird mit einem höheren Selbstbewusstsein in Verbindung gebracht. Was Jugendlichen zu mehr Sicherheit im Umgang mit den eigenen Grenzen verhelfen kann. Jugendliche, die sichere, vertrauensvolle und von gegenseitigem Verständnis geprägte Beziehungs- und Bindungserfahrungen zu Hause machen, dürften auch Beziehungen zu Gleichaltrigen nach diesen Prinzipien gestalten. Zudem sind sie möglicherweise weniger anfällig für sozialen Druck, welcher zu einem risikoreicheren Verhalten im digitalen Raum führen kann.

Der neue JAMESfocus-Bericht unterstreicht laut Michael In Albon, Jugendmedienschutz-Beauftragter bei Swisscom, dass Eltern eine zentrale Rolle bei der Medienerziehung spielen, obwohl sie sich durch die rasante Entwicklung mitunter überfordert fühlen. «Die Ergebnisse bestärken uns in der Überzeugung, dass wir einen wertvollen Beitrag leisten können, wenn wir Schulen und Eltern in ihrer Begleiter-Rolle unterstützen.»

Sechs Tipps zur Unterstützung Jugendlicher bei der Entwicklung eines selbstbestimmten und kompetenten Medienumgangs

  1. Maßvoll mit Handy, Games und dem Internet umgehen zu lernen, ist wichtig. Helfen Sie Kindern und Jugendlichen, ihre individuelle Balance zu finden.
  2. Medien erfüllen vielfältige Zwecke. Sinnvoll genutzt können Sie dabei helfen, die Herausforderungen der Jugendjahre zu meistern.
  3. Eine tragfähige Eltern-Kind-Beziehung bleibt zentral, auch wenn der Einfluss der Gleichaltrigen wichtiger wird. Interessieren Sie sich weiterhin für die Aktivitäten Ihrer Kinder sowohl online als auch offline und haben Sie ein offenes Ohr.
  4. Machen Sie aus Sexualität und Intimität kein Tabuthema, so stehen Sie den Heranwachsenden als Rückfallebene zur Verfügung, wenn sie etwas Belastendes erleben sollten. Erfahrungen mit pornografischen Inhalten und sexueller Onlinekommunikation sind kaum zu umgehen.
  5. Gut in der Schule integriert zu sein, unterstützt die Entwicklung eines maßvollen und kompetenten Medienumgangs, gerade auch dann, wenn Sie als Eltern einen geringeren Einsatz leisten können, als sie vielleicht möchten. Bringen Sie der Schule und ihrer Integrationsarbeit Ihre Wertschätzung entgegen.
  6. Tragen Sie zu eine positiven Klassenklima bei. Dem Ausgrenzen und Mobben einzelner Schülerinnen und Schüler online und offline lässt sich vorbeugen, indem alle gut in den Klassenverband eingebunden werden.

JAMES-Studie und JAMESfocus-Bericht

Seit 2010 werden in der JAMES-Studie von der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften im Auftrag von Swisscom alle zwei Jahre über 1000 Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren in den drei großen Sprachregionen der Schweiz zu ihrem Medienverhalten befragt. Die JAMESfocus-Reihe nutzt die Daten der JAMES-Studie und analysiert vertieft weitere Aspekte. Die Datenerhebung für die vorliegenden Ergebnisse fand im April und Mai 2022 statt. In diesem Jahr erscheint nebst diesem Bericht ein Themendossier zur ökologischen Nachhaltigkeit der Nutzung von Smartphones. Bereits erschienen ist ein Bericht zu Influencerinnen und Influencern und positiv gefärbten Inhalten auf sozialen Netzwerken.

Hier finden Sie die Studie zum Download als PDF:

Quelle: Pressemitteilung ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften




Hilfe rund um Kinder mit lebensbedrohlichen Krankheiten

fragoscar

Frag-Oskar.de ist mit seinem Sorgentelefon rund um die Uhr für alle Betroffenen da

Hilfe bei Schicksalsschlägen und schwierigen Situationen, die durch unheilbare Krankheiten bei Kindern und Eltern oder gar deren Tod entstanden sind, bietet Frag-Oskar.de. Das Oskar-Sorgentelefon ist unter der kostenlosen Nummer 0800 8888 4711 täglich rund um die Uhr erreichbar. Hier finden Betroffene, Betreuende, trauernde Familien, aber auch Fachleute, die in ihrem Beruf mit Kindern und Jugendlichen an ihre Grenzen gekommen sind, fachlichen Rat und Unterstützung – auf Wunsch auch anonym.

Das Oskar-Sorgentelefon bietet Informationen, emotionale Entlastung, Begleitung, Stärkung und Unterstützung in Krisensituationen, Hilfe bei der Durchsetzung von sozialrechtlichen Ansprüchen, Vermittlung von Hilfsangeboten vor Ort mittels der Oscar Datenbank und Raum für Austausch und Vernetzung.

Frag-Oskar.de ist Ansprechpartner für:

  • Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die schwerst- oder lebensverkürzend erkrankt sind und ihre Familien
  • alle Menschen, die mit schwerstkranken Kindern und Jugendlichen zu tun haben – auch als Freundin, Nachbar, Betreuer ist man betroffen
  • Familien, in denen ein Elternteil, schwer oder unheilbar erkrankt ist
  • Mütter, Väter und Geschwister, die um ein Kind trauern – unabhängig davon, wie alt das Kind war oder wie viele Jahre der Abschied zurückliegt
  • Eltern, die ihr Kind in der Schwangerschaft verloren haben.
  • Therapeutinnen und Therapeuten
  • Fachkräfte aus Medizin und Pflege sowie dem psychosozialen und pädagogischen Bereich

Das Oskar-Expertenteam besteht aus ausgebildeten und erfahrenen Fachkräften aus dem psychosozialen, pflegerischen oder pädagogischen Bereich. Neben dem Oskar-Sorgentelefon gibt es

Oskar-Sorgenmail: https://mail.frag-oskar.de für vertrauliche Schreiben im Webportal
Oskar-Meet & Talk für Online-Treffen zum Austausch mit anderen Familien, Fachleuten und Peer-Beratern. Termine und Anmeldung: www.frag-oskar.de
Oskar-Sprechstunden-Sozialrecht unter der Telefonnummer 0800 8888 4712. Sozialberatung für Betroffene und Fachleute. In Kooperation mit einem Rechtsanwalt bietet Frag-Oskar donnerstags eine offene Sprechstunde von 19 bis 21 Uhr.

Getragen wird Frag-Oskar.de vom Bundesverband Kinderhospiz e.V.. Schirmherr des Oskar-Sorgentelefons ist Dieter-Hallervorden.




95 % der pflegenden Eltern fühlen sich überfordert

Neue Studie zur Kinderpflege zu Hause weist auf vielfältige Herausforderungen für Pflegende hin

2021 waren 271.838 Kinder in Deutschland pflegebedürftig ( BMG 2021). Für die Pflege schwerkranker und pflegebedürftiger Kinder bringen pflegende Eltern wöchentlich mehr als 40 Stunden auf – mehr als für einen durchschnittlichen Vollzeitjob in Deutschland. Das zeigt die neue pflege.de-Studie zur Kinderpflege zuhause. 95 Prozent pflegender Eltern fühlen sich zumindest teilweise mit der Pflege ihres Kindes überfordert. Wie die Studie zeigt, hat dies komplexe Gründe. Anlässlich der aktuell immer noch angespannten Situation in Kinderkliniken ist es umso wichtiger, die Aufmerksamkeit auf diese oft unsichtbare gesellschaftliche Gruppe zu richten.

pflege.de-Studie zeigt: Kinderpflege findet bei 92 Prozent zuhause statt und wird hauptsächlich von den Müttern übernommen

Die Pflegesituation von Kindern mit Pflegebedarf ist fast immer gleich: 92 Prozent der Kinder werden in den eigenen vier Wänden der Familie gepflegt. Die Kinderpflege übernehmen hauptsächlich die Mütter: 87 Prozent der Hauptpflegepersonen von pflegebedürftigen Kindern sind Mütter.

Ursache für die Pflegebedürftigkeit bei Kindern: Meist eine Behinderung von Geburt an

Die Gründe für eine Pflegebedürftigkeit bei Kindern sind vielfältig – oft kommen mehrere Faktoren zusammen. Bei 60 Prozent der Kinder aus der pflege.de-Studie ist der Pflegebedarf durch eine Behinderung von Geburt an bzw. eine Erbkrankheit oder einen Gendefekt begründet. 48 Prozent sind aufgrund einer psychischen oder neurologischen Störung oder Erkrankung pflegebedürftig. Eine chronische Erkrankung (23 Prozent) oder eine Krebserkrankung (14 Prozent) werden ebenfalls als Ursachen für die Pflegebedürftigkeit angegeben.

Vollzeitjob Kinderpflege: Eltern pflegen meist mehr als 40 Stunden pro Woche

Der zeitliche Aufwand für pflegende Eltern ist groß: 61 Prozent der Befragten bringen mehr als 40 Stunden wöchentlich für die Pflege ihres Kindes auf. Im Vergleich: Die gewöhnliche Wochenarbeitszeit von Erwerbstätigen in Deutschland beträgt 34,8 Stunden. Kein Wunder, dass 95 Prozent der Befragten angeben, zumindest teilweise mit der Kinderpflege überfordert zu sein.

Hauptbelastungsfaktor in der häuslichen Kinderpflege ist die Bürokratie

Anträge über Anträge: Wer sein Kind zuhause pflegt, muss sich mit einer Vielzahl an Anträgen und Papierkram auseinandersetzen. Für 81 Prozent ist genau das die größte Belastung bei der Kinderpflege – weit mehr als die körperliche Herausforderung, die die Pflege stellt (25 Prozent). Die mentale und emotionale Belastung (78 Prozent) wiegt hingegen fast ebenso schwer wie die Last, die durch den Versuch Familie, Beruf und Pflege zu vereinbaren, entsteht (76 Prozent). 59 Prozent der befragten Eltern wünschen sich deshalb mehr Entlastungsangebote.

Mehr dazu gibt’s im vollständigen Ergebnisbericht – inklusive grafisch aufbereiteter Studienergebnisse, fachlichen Ratschlägen aus der Kindermedizin sowie praktischen Tipps von drei pflegenden Müttern: https://www.pflege.de/pflegende…/pflegebeduerftige-kinder/




Warum die Motivation an Schulen oft nicht gelingt

Worauf Lehrkräfte und Eltern achten sollten, damit sich Kinder entwickeln können

Können Sie sich vorstellen, dass eine Schülerin so etwas sagt? „Wenn ich an die Schule denke, weine ich. Ich habe dort alles gefunden, was ich brauche: Freunde, Familie…“ Sollte das für Sie zum Alltag gehören, brauchen Sie hier nicht weiter zu lesen. Im anderen Fall kann Ihnen dieser Artikel vielleicht ein Stück weiterhelfen.

Die begeisterte Äußerung stammt von einer Schülerin der Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg in Hamburg, die vor einiger Zeit den Deutschen Schulpreis gewonnen hat. Neben ihr ist das in den vergangenen Jahren noch 91 weiteren Schulen gelungen. Und im Vergleich zu anderen Schulen mit den üblichen Schulproblemen sind diese Bildungseinrichtungen nicht bessergestellt.

Die Stadteilschule in Hamburg ist eine öffentliche Gesamtschule mit 1600 Schülerinnen und Schülern in dem wenig privilegierten Stadtteil Dulsberg. Sie ist eine Schwerpunkt Schule für Inklusion und die Kinder und Jugendlichen stammen aus 86 Nationen.

Der Unterschied zu vielen anderen Schulen besteht in einer durchweg motivierten Schülerschaft und dem Kollegium.

Es fängt beim Verständnis von Schule und Bildung an

Woran liegt das und was machen andere Schulen anders? Das fängt schon beim Verständnis von Schule und Bildung an. Für den Schulleiter Björn Lengwenus, an seiner früheren Arbeitsstätte hat er die Schülerinnen und Schüler seiner Abschlussklasse schon mal für eine Currywurst nach Dänemark reisen lassen – ohne Geld und irgendwelche Transportmittel –, ist Bildung „viel mehr als nur Deutsch, Mathe und Englisch“. Der Grundgedanke, der seine Haltung und sein pädagogisches Handeln prägt ist „Schule ist Heimat“. „Die Schule muss spürbar eine herzliche Willkommenskultur haben.“, sagt Eckhard Feige, der viele Jahre lang in Bremen als Schulleiter aktiv war und heute in der Lehrerausbildung tätig ist. „Die Schüler müssen vom ersten Tag an das Gefühl haben, hier komme ich gerne hin. Hier gibt es eine schöne Umgebung und Lehrer, die sich für mich interessieren“.

Was sich so selbstverständlich anhört, ist vielerorts Mangelware. Angefangen bei heruntergekommenen Treppenhäusern, kaputten Heizungen, stinkenden Toiletten und kahlen Räumen bis hin zu Lehrkräften, die der Meinung sind, immer die falschen Schüler zu haben. Ein schönes Beispiel dafür bietet etwa die Stadt Freiburg im Breisgau. Hier sollen aktuell rund 3,3 Millionen Euro in die Überwachung von Park + Ride Parkplätzen investiert werden. Aber Geld für die dringende Sanierung der maroden Schultoiletten hat man hier nicht genug. Seltsame Prioritäten.

Das Lernumfeld trägt zur Motivation bei

Selbstverständlich trägt das Lernumfeld, in dem sich Schülerinnen und Schüler den ganzen Tag aufhalten, erheblich zur Motivation bei. „So eine Schule als Ganzes vom Gebäude bis zum Personal muss irgendwie eine positive Ausstrahlung haben.“ erklärt Feige. „Ja, hier ist es toll, hier möchte ich sein. Es ist wichtig, dass ein Klassenraum ein angenehmes Aussehen und eine Struktur hat, damit sich die Kinder zurechtfinden. Kinder brauchen Struktur und gleichzeitig die Möglichkeit für Kreatives.“ Feige beklagt auch, dass das viele Kolleginnen und Kollegen nicht sähen. Da gäbe es dann Stuhlreihen und kahle Wände. Anders sieht es etwa im Hamburger Stadtteil Barmbek aus, auf dessen Schulhof Lengwenus einst gegen viele Widerstände einen Klassenraum in einen Baum bauen ließ.

Auf die Haltung kommt es an

Und schon sind wir wieder bei der Person des Lehrers. Seit Jahren tobt die Diskussion um die Haltung der Lehrkräfte gegenüber den Kindern und Jugendlichen. Wenn wir die Situation einer Schulklasse mit der einer Fußballmannschaft vergleichen, zeigt sich das besonders deutlich. Ulf Häfelinger, bis vor kurzem Mentaltrainer des FC RB Salzburg bringt es auf den Punkt, wenn er danach fragt, ob sich die Lehrkraft von ihrer Klasse distanziert oder sich als Teil des Teams sieht, um Erfolg und Misserfolg zu teilen.

„Wichtiger als ein guter Fachdidaktiker zu sein, ist die Fähigkeit eine gute soziale und vertrauensvolle Beziehung zu den Kindern aufzubauen.“, sagt Feige. „Man kann in zwei Fächern wunderbar ausgebildet sein. Wenn man dann aber in den Fächern 35 Jahre lang an den Kindern vorbei unterrichtet, hat man nichts erreicht, außer, dass man gut verdient hat.“ Lehrkräfte, die den Wert eines Menschen nach dessen Noten und Wohlverhalten beurteilen, sollten nach Meinung aller Fachleute längst Geschichte sein. Die Realität ist zu oft noch eine andere. Edgar Bohn, ebenfalls langjähriger Schulleiter und Vorsitzender des Grundschulverbandes kennt viele dieser Beispiele. So erzählt er etwa von einer Kollegin, die bei „schwierigen Schülern“ grundsätzlich Verhaltensauffälligkeiten diagnostizierte. Genauso weiß er aber auch von anderen Lehrpersönlichkeiten zu berichten.

Sorgen und Nöte auch bei den Lehrkräften

„Als Lehrer muss ich es bemerken, wenn ein Schüler nicht mehr mitkommt. Ich habe irgendwann mal festgestellt, dass viele meiner Schüler meine Fragen nicht richtig verstanden haben. Dann bin ich dazu übergegangen, bei Fragen, auf die nur wenig Reaktionen kamen, jene Schüler zu bitten, aufzustehen, die meine Fragen verstanden hatten. Diese bat ich zu erklären, was ich gefragt habe. Mit der Zeit standen so immer mehr Schüler auf. Manchmal dauerte es sehr lange, bis alle standen. Da musste ich meine Fragen präzisieren und habe gelernt, die Fragen richtig zu stellen,“ sagt Bohn.

Bohn kennt viele Sorgen seiner Kolleginnen und Kollegen. Der Kampf mit dem Regierungspräsidium, auf sich alleine gestellt zu sein bei teilweise enormen Herausforderungen, ein Berg von Überstunden aufgrund des Lehrkräftemangels, sind nur drei von den vielen, die er nennt. Er wünscht sich eine Behörde, die mehr unterstützt als zu kontrollieren, Vorgaben zu machen und zu verwalten. Gruppen von Kolleginnen und Kollegen, die sich gegenseitig im Unterricht besuchen, und miteinander darüber diskutieren, mehr Fortbildungsbereitschaft, mehr Freiräume für die Schulen und eine klare Vision von Schule, die auf die modernen Erkenntnisse der Wissenschaft baut. Der Grundschulverband hat natürlich eine (www.grundschulverband.de).

Wie kann ich ein Angebot machen, das Interesse weckt?

Aber was ist mit der Motivation der Schülerinnen und Schüler selbst? Häfelinger erklärt, dass er keinen Menschen wirklich motivieren könne, weil diese eigentlich schon motiviert seien. Wenn es hier einen Einbruch gebe, müsse man nach den Ursachen dafür suchen. So sieht es auch Bohn. „Die Fragestellung lautet nicht ,Wie kann ich jemanden motivieren?‘ Sondern die Fragestellung lautet ,Wie kann ich ein Angebot machen, das Interesse weckt?‘“

Mitte der achtziger Jahre entwickelten die beiden Psychologen Edward L. Deci und Richard Ryan ihre Selbstbestimmungstheorie. Ausschlaggebend für die Motivation eines Menschen sind danach Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit. Auch wenn diese Theorie heute allgemein anerkannt ist, ist die Realität meist anders.

Soziale Eingebundenheit

Über die Bedeutung der sozialen Eingebundenheit, also eine gute Verbindung zu den Lehrkräften und zu den Mitschülern zu haben, sich willkommen zu fühlen und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu haben, ist hier bereits einiges angeklungen. Aber wie sieht es mit der Autonomie aus. Aus der Entwicklungspsychologie wissen wird, wie entscheidend das Gefühl der Autonomie schon von frühen Kindesbeinen an für die Entwicklung ist. Das Grundproblem sieht Bohn darin, wenn die Lehrkraft die Schulstunde so vordenkt, wie sie zu laufen hat, damit am Ende genau das herauskommt, was sie sich am Anfang vorgestellt hat. Mit der Autonomie ist es dann nicht mehr weit her. Um davon weg zu kommen, empfiehlt Bohn mehr Projektunterricht, in dem die Kinder und Jugendlichen auf sich gestellt oder in Gruppen mit Unterstützung der Lehrkräfte zu eigenen Ergebnissen kommen. Häfelinger empfiehlt ein Wegkommen vom 45-Minuten-Takt, damit Lehrkräfte und Schüler genügend Zeit haben. Feige, der Gymnasiallehrer und gleichzeitig Sonderpädagoge ist, betont die Notwendigkeit zu individuellen Förderung und einem differenzierten Unterricht.

Aus jahrzehntelanger Lehrerfahrung weiß er selbst, wie schwierig das ist, aber auch wie wertvoll. Chancen sieht er dabei vor allem in einer verbesserten Lehrerausbildung mit Bezug zur Inklusion und im vermehrten Einsatz von Sozial- und Sonderpädagogen im Schulbetrieb. Und schließlich setzt er erheblich stärker auf die Entwicklung sozialer Fähigkeiten und die Mitwirkung der Kinder und Jugendlichen an der Schule. Dazu hat er jüngst ein Buch für Lehrkräfte mit dem Titel „Gemeinsinn in der Klasse schaffen“ geschrieben, das in diesen Tagen erscheint. Wenn es tatsächlich gelingt, dass sich mehr Menschen die Gefühle von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit haben, werden sie auch ihr Leben in die Hand nehmen und gestalten. Damit wäre eigentlich alles erreicht.

Wir dürfen die Eltern nicht vergessen

Wenn wir aber über Motivation reden, dürfen wir die Eltern nicht vergessen. Was können sie tun, damit ihre Jüngsten mit am Ball bleiben. Das Gespräch über Noten ist sicher nur dann gefragt, wenn die Kinder damit Probleme haben. Feige erinnert sich, dass er mit seinen Kindern genau zwei Mal über Noten gesprochen hat: „in der vierten Klasse und in der achten, als es gerade schwierig wurde.“ Dabei können Eltern ihre Kinder tatsächlich gut unterstützen, aber eben anders, als es sich viele oft vorstellen.

Eltern können die Schulleistungen und Motivation ihrer Kinder stärken, indem sie eine positive Erwartungshaltung vermitteln und sich an Aktivitäten der Schule beteiligen. Eine aktive Rolle beim Lernen zu Hause wirkt sich dagegen nur geringfügig aus und kann im Fall der Hausaufgabenkontrolle sogar schaden. Das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor ein paar Monaten mit der größten Forschungssynthese der Technischen Universität München (TUM) zum Einfluss der Eltern nachgewiesen. Dabei sind vor allem fünf Dinge wichtig:

  1. Eltern sollten sich am Lernen zu Hause beteiligen. Das verbessert zwar die Schulleitungen nicht, motiviert aber. Kinder entwickeln eine positivere Einstellung zum Lernen, wenn sie ermutigt werden, selbstständig zu arbeiten, zum Beispiel eigene Lösungswege auszuprobieren.
  2. Gute Leistungen können Eltern begünstigen, wenn sie zu Hause eine Umgebung schaffen, die zum Lernen geeignet ist. Hilfe bei den Hausaufgaben kann sich jedoch negativ auswirken, wenn sie sich darin erschöpft, die Kinder und Jugendlichen zu kontrollieren. Dies ist vor allem bei Schülerinnen und Schülern mittleren Alters der Fall.
  3. Eltern sollten Regeln festlegen, wann und wo die Aufgaben erledigt werden, Hilfestellungen anbieten und Feedback zur Genauigkeit der Bearbeitung geben.
  4. Eltern sollten ihren Kindern eine positive Erwartungshaltung zur Bildung vermitteln. Indem Eltern mit ihren Kindern über mögliche Leistungen, Schulabschlüsse oder Berufswege sprechen, indem sie Lernstrategien diskutieren oder Lob und Kritik möglichst differenziert auf einzelne Schularbeiten beziehen, können sie positiv darauf einwirken, was sich die Kinder in den einzelnen Fächern selbst zutrauen und inwieweit sie sich in der Schule engagieren. Dieser Effekt nimmt mit dem Alter der Jugendlichen zu. Weniger wirkungsvoll sind dagegen Diskussionen über die Bedeutung von Bildung im Allgemeinen.
  5. Offenbar hilft es auch, wenn sich Eltern an der Schule engagieren.

„Die Ergebnisse zeigen, dass die Beteiligung der Eltern die Leistung und Motivation der Schülerinnen und Schüler über alle Altersstufen hinweg und unabhängig vom sozioökonomischen Status stärken kann“, sagt die Studienleiterin Doris Holzberger, Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung. „Umso wichtiger ist eine gute und dauerhafte Zusammenarbeit zwischen Schulen und Eltern. Wenn Lehrerinnen und Lehrer die Väter und Mütter erreichen, können sie auch außerhalb des Unterrichts Kinder fördern, bei denen eine positiv wirkende Rolle der Eltern nicht selbstverständlich ist.“

Auch Eltern müssen Anregung geben

Feige ergänzt: „Eltern sollten versuchen, eine Vertrauensperson für ihre Kinder zu sein. Das hört sich so selbstverständlich an, ist es aber nicht. Wenn Kinder sich aufgehoben und sich gesehen und gehört fühlen und dadurch wirklich Vertrauen entsteht, können Eltern auch eine große Rolle dabei spielen, Kinder für alles Mögliche zu begeistern. Das ist nicht für alle selbstverständlich. Wir hören immer wieder, dass die Eltern keine Zeit für ihre Kinder haben oder wenn sie Zeit haben, diese nicht von Aufmerksamkeit, Interesse oder Wertschätzung geprägt ist.

Eltern sollten in der Lage sein, den Kindern Anregungen zu geben, die sie neugierig machen auf das, was sie umgibt. Neugierde wecken ist ansteckend. Ich habe ganz viele Kinder und Familien in meiner Amtszeit an der Schule erlebt, die sehr Reizarm aufgewachsen sind. Und die hatten unglaubliche Defizite.“

Und hier gilt es dann wieder, die Eltern zu unterstützten. Denn Armut, soziale Ungleichheit und der Mangel an Elternbildung führen nachweislich zu weniger Motivation und schlechterer Schulleistung.

Lange ließe sich noch über das Thema schreiben. Ganze Bibliotheken sind voll davon. Das größte Problem dürfte sein, dass wider besseres Wissen, Kinder in ihrer Entwicklung noch immer deutlich eingeengt und nicht in ihrer Entwicklung gefördert werden. Wie es anders geht, lässt sich an vielen positiven Beispielen ablesen. Einige finden sich auf der Website des Deutschen Schulpreises. Eines steht aber fest: Zu Anfang ihrer Schullaufbahn sind Kinder immer motiviert und bereit zur Kooperation.

Gernot Körner