Bildung in der Kindertagesstätte

Kinder sind von Anfang an von sich aus aktiv und entwickeln sich aus sich selbst heraus

Kinder sind von Anfang an von sich aus aktiv, wollen die Welt (in sich und ums sich herum) entdecken, erkunden, Zusammenhänge begreifen und sie entwickeln sich in einer anregungs- sowie facettenreichen Umgebung und einer beziehungsorientierten Pädagogik aus sich selbst heraus. Sie sind dabei von einer großen Neugierde getrieben, ihr eigenes Leben und ihre Existenz in eine Beziehung zu ihrem erlebten Umfeld zu setzen, um ihren eigenen Wert zu entdecken sowie ihren ganz persönlichen Platz zu erkunden. Dabei wählen sie selbst – aufgrund ihrer biographischen Eindrücke und entwicklungspsychologisch geprägten Merkmale – in selektiver Form aus, was ihnen bedeutsam und wichtig erscheint, um sich den intrinsisch vorhandenen Wahrnehmungsschwerpunkten aktiv und interessiert zuzuwenden.

Alle Bildungsprozesse ergeben sich aus sinnstiftenden Fragen, die sich das Kind immer wieder stellt: wer bin ich, was kann ich, was habe ich an Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, zu wem gehöre ich, wer sind die anderen und was pas­siert gerade jetzt um mich herum? lnsofern geschieht Bildung stets am besten und mit einem hohen Nachhaltigkeitswert in aktiv beteiligten und bindungsorientierten Interaktions- und Kommunikationsprozessen!

Die Einschränkung der Selbstaktivität führt zum Abbau der Selbstbildungskräfte

Die intraindividuelle Individualität des Kindes, die es verbietet, von einem „idealtypischen Durchschnittskind“ zu sprechen, sorgt dabei stets für einen ganz persönlichen Entwicklungsverlauf, der je nach Sättigung der unterschiedlichen seelisch-sozialen und körperlichen Grundbedürfnisse einen mehr oder weniger aktiv gestalteten Entwicklungsverlauf nimmt. In dem Maße, in dem nun dem Kind seine Selbstaktivität sowie seine subjektiv geprägte Wahrnehmungsorientierung genommen wird, kommt es immer stärker zu einer Einschränkung und zum Abbau seiner Selbstbildungskräfte, was wiederum für eine nachhaltige Bildungsentwicklung kontraproduktiv ist. Janusz Korczak, der große Arztpädagoge, trat stets für die Rechte des Kindes ein und kam in diesem Zusammenhang zu folgendem Schluss: „Ein Kind ist kein Lotterielos, um den ersten Preis zu gewinnen“.

Ein radikaler Perspektivwechsel ist notwenig

Um aus dem Dilemma einer zunehmend verplanten „Bildungskindheit“ und einer dogmatisierten Elementarpädagogik herauszukommen, bedarf es eines radikalen Perspektivwechsels, um Kindern eine Bildung aus erster Hand (Prof. Dr. Gerd Schäfer) zu gewährleisten:

  1. Erwachsene müssen sich von dem derzeit weit verbreiteten Bild verabschieden, Kinder seien schon in den ersten fünf oder sechs Lebensjahren zu einem Schulkind bzw. möglichst gut entwickelten Jungerwachsenen zu perfektionieren, wodurch zukunftsorientierte Erwartungen an Kinder zur Gegenwart erklärt werden;
  2. Erwachsene müssen die ersten sechs Lebensjahre von Kindern als einen eigenständigen Entwicklungszeitraum einer Kindheit begreifen, der durch entwicklungspsychologische Besonderheiten gekennzeichnet ist und daraus entsprechend die gesamte Arbeit abgeleitet werden muss;
  3. Kinder brauchen eine Lernumgebung im Innen- und Außenbereich, in der sie handgreiflich, unmittelbar, aktiv, mit allen Sinnen, innerlich beteiligt und engagiert Erfahrungen machen können, die ihnen helfen, das Leben selbstständig, unabhängig und sozial beteiligt zu spüren und selbstaktiv zu gestalten. Gleichzeitig muss dabei dem Spiel ein entsprechend großer Raum zugestanden werden.
  4. Kinder brauchen keine künstlichen, von Erwachsenen arrangierte Welten, die sie bespaßen bzw. belehren und von ihren ureigenen intrinsischen Handlungsinteressen immer weiter wegführen.
  5. Erwachsene müssen Kindern vielfältige, alltagsbedeutsame Herausforderungen zutrauen, die Kinder mit Mut und Engagement, Lebendigkeit und Stolz, Risikobereitschaften und Leistungserlebnissen ausfüllen können. Dazu ist eine risikobereite Einstellung der Fachkräfte ebenso notwendig wie eine Umgebung (innerhalb und außerhalb der Kindertagesstätte), in der viele unsinnige und überflüssige Sicherheitsvorschriften außer Kraft gesetzt werden müssen. (Anmerkung: An dieser Stelle bietet es sich an, dass KindheitspädagogInnen einmal eine Bestandsaufnahme vorhandener Sicherheitsvorschriften machen und sich dafür einsetzen, dass unsinnige Regelungen aufgehoben werden!).
  6. Träger und Gesetzgeber sind in dem Zusammenhang ebenfalls aufgefordert, entsprechende Sicherheitsvorschriften und Richtlinien zu entkernen, um den Kindern und zugleich den elementarpädagogischen Fachkräften wieder die Freiheit zu schenken, die für ein entdeckendes Erfahrungslernen unumgänglich ist.
  7. Erwachsene müssen mit Kindern leben, mit Kindern fühlen, mit ihnen planen, mit ihnen spielen und mit ihnen die Welt entdecken (und nicht am Kind bzw. für das Kind planen, Vorhaben vorstrukturieren, Vorgedachtes anbieten).
  8. Erwachsene müssen sich der Perspektive der Kinder zuwenden und damit aufhören, Kinder in die Perspektive der Erwachsenen zu zerren.
  9. Kinder brauchen weniger eine didaktische Vielfalt an Programmen als vielmehr feste Bezugspersonen, die sich selbst als entscheidenden didaktischen Mittelpunkt begreifen; sie brauchen zuverlässige Bindungserfahrungen und damit engagierte, lebendige, staunende, mitfühlende, wissende, handlungsaktive, mutige, risikobereite, zuverlässige Menschen um sich herum und keine besserwissenden RollenträgerInnen, die immer noch meinen, Belehrungen der Kinder mache Kinder klug.
  10. Erwachsene müssen sich als Bildungsvorbilder verstehen, weil es die Facetten ihrer eige­nen Sprache, ihr Sprechen, ihre vielfältigen lnteressensschwerpunkte, ihre unersättliche Neugierde, ihre vielen Lebens- und Umfeldfragen, ihre unterschiedlichsten Aktivitäten, ihre Gefühlskompetenzen, ihr eigener Forscherdrang, ihre ausgeprägte Lernfreude und ihre hohe Motivation zum Beruf sind, die Kinder fasziniert und die Kinder sich zu ihnen regelrecht hingezogen fühlen.
  11. Bildungsarbeit ergibt sich aus den Lebensthemen der Kinder und dabei ist es die Aufgabe der Fachkräfte, das sich bildende Kind zu begleiten.
  12. Weil Kinder ihr Leben und ihr Umfeld ganzheitlich verstehen, müssen alle Lernerfahrungen für Kinder auch entwicklungsvernetzt möglich sein.

Konsequenzen aus dem Diskussionsbeitrag der Deutschen UNESCO-Kommission

Diese Konsequenzen ergeben sich nicht zuletzt aus dem klar formulierten Diskussionsbeitrag der Deutschen UNESCO-Kommission (2010) zu einer nachhaltigen Bildung im Kindergarten, in dem die wesentlichen Elemente einer zeitgemäßen Elementarpädagogik angemahnt werden (Stichworte: Situations-, Handlungs- und Partizipationsorientierung, Orientierung an Ganzheitlichkeit, Selbstorganisation, Kooperation; Kindergartenpädagogik respektiert den geschützten Raum der Kindheit; Schaffung eines Bezugs zur realen Lebenswelt; Einbettung der Sprachförderung in die Lebenswelt des Kindes; Schutz vor einer Überfrachtung mit den von Erwachsenen verantworteten Problemen nicht-nachhaltiger Entwicklungen).

Kinder leben durch Erlebnisse und lernen aus bedeutsamen Erfahrungen

Kinder leben durch Erlebnisse und lernen aus bedeutsamen Erfahrungen, die „unter die Haut gehen“. Sie lernen nicht durch ein vorgesetztes Kopfkino, das mehr und mehr einem Stopfkopf gleichkommt. Erinnert sei in dem Zusammenhang an Maria Montessori, die die Forderung aufstellte: „Die Aufgabe der Umgebung ist es nicht, das Kind zu formen, sondern ihm zu erlauben, sich zu offenbaren.“ Damit ist per se eine Aufteilung der Bildungskompetenzen und Bildungsfelder /-fächer – wie in vielen Bildungs- und Orientierungsrichtlinien dargestellt und ausgeführt sowie in vielen Einrichtungen stundenplanmäßig angeboten und abgearbeitet – in keiner Weise zielführend und für eine bindungsorientierte Selbstbildungspraxis ausgeschlossen. Auch wenn in nahezu allen Bildungsprogrammen die Aussage enthalten ist, dass jeder Bildungsbereich nicht als isoliertes Förderfeld genutzt werden darf /sollte, sieht die Praxis der Bildungsvermittlung in vielen Kindertagesstätten so aus, dass wie in einer Schule die Bildungsbereiche getrennt voneinander aufgenommen und in Übungen/Lernangeboten dargereicht werden.

Armin Krenz, Prof. h.c. Dr. h.c., Jg. 1952, hat über 40 Jahre als Wissenschaftsdozent mit den Schwerpunkten ‚Entwicklungspsychologie der ersten 7 Lebensjahre & Qualität in der Elementarpädagogik’ in Deutschland, Moskau und Bukarest gelehrt und (über)regionale Seminare durchgeführt. Er ist Begründer des ‚Situationsorientierten Ansatzes’.

cover-krenz-pp

Diesen Beitrag haben wir aus:

Armin Krenz
Elementarpädagogische Grundsätze auf den Punkt gebracht
20 PowerPoint Präsentationen als Grundlage für Teambesprechungen, Fortbildungsveranstaltungen und Fachberatungen
344 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 978-96304-613-1
29,95 €

Die PowerPointPräsentationen und Seminarunterlagen von Prof. Armin Krenz haben sich in zahlreichen Vorträgen und Weiterbildungen bewährt. Sie vermitteln kurz und prägnant das Wesentliche für die pädagogische Praxis und stützen sich dabei auf neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Mit seinem Buch unterstützt er pädagogische Fachkräfte dabei aktuelles Wissen in die Praxis umzusetzen.




Social Web stört die Entwicklung des Gehirns

Facebook, Instagram, Snapchat – Kinder und Jugendliche reagieren zunehmend überempfindlich

Die Gehirne von Kindern und Jugendlichen, die soziale Medien intensiv nutzen, entwickeln sich anders als die von Altersgenossen, die sparsamer damit umgehen. Das hat eine Langzeitstudie von Forschern der University of Northern Carolina mit 169 Probanden ergeben, die Mittelschulen in diesem US-Bundesstaat besuchen. Zu Beginn der Untersuchung wurden die Teilnehmer gefragt, wie oft sie die beliebten Plattformen Facebook, Instagram und Snapchat nutzen. Ihre Antworten reichten von weniger als einmal bis mehr als 20 Mal am Tag.

Zwanghafte Nutzung nimmt zu

Innerhalb von drei Jahren haben die Forscher mithilfe eines MRT die Aktivitäten der Gehirne während bestimmter Aktivitäten auf den jeweiligen Plattformen aufgezeichnet, bei denen die Teilnehmer soziales Feedback von Gleichaltrigen erwarteten. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder, die häufiger soziale Medien nutzen, auf Feedback von Gleichaltrigen überempfindlich reagieren“, sagt Forschungsleiterin Eva Telzer. Diese erhöhte Sensibilität für soziales Feedback könne die künftige zwanghafte Nutzung sozialer Medien fördern, befürchtet auch Kollegin Maria Maza.

„Die meisten Jugendlichen beginnen mit der Nutzung von sozialen Medien in einer der wichtigsten Phasen der Entwicklung des Gehirns“, sagt Co-Autor Mitch Prinstein, der auch als Chief Science Officer für die American Psychological Association tätig ist. „Unsere Forschung zeigt, dass die Überprüfung des Verhaltens im Social Web langfristige und wichtige Konsequenzen für die neuronale Entwicklung von Jugendlichen haben könnte, was für Eltern und politische Entscheidungsträger entscheidend ist, wenn sie die Vorteile und potenziellen Schäden, die mit der Nutzung der Medien verbunden sind, abwägen.“

Das Gros der Kinder ist gefährdet

Aus früheren Untersuchungen geht hervor, dass 78 Prozent der 13- bis 17-Jährigen sich mindestens stündlich mit ihren Plattformen beschäftigen. 35 Prozent nutzen mindestens eine der fünf wichtigsten Social-Media-Plattformen fast ständig. „Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass das wiederholte Überprüfen von Social Media bei Zwölf- bis 13-Jährigen über einen Zeitraum von drei Jahren die Entwicklung ihrer Gehirne beeinträchtigen kann“, verdeutlicht Telzer abschließend.

Quelle: Wolfgang Kempkens/pressetext.com




„Das Spiel ist der Nährboden für alle bedeutsamen Entwicklungsvorgänge“

Ein Interview mit Prof. Dr. Armin Krenz über das Spiel(en) und seine Bedeutung für die Entwicklung des Menschen

Keinem Menschen ist die Spielfähigkeit in die Wiege gelegt. Auch diese muss er erst entwickeln. Ist das geschehen, beginnt er, sich die Welt spielend zu erschließen – und das Spiel begleitet ihn ein Leben lang. Wer seine Spielfähigkeit nicht aufbauen kann, der weist in allen Kompetenzfeldern Defizite auf. Was das Spiel für den Menschen bedeutet, wie wir Spielfähigkeit entwickeln, wie wir Kinder dabei begleiten und welche Chancen uns das Spiel bietet, erklärt Prof. Dr. Armin Krenz im Interview.

Du bist vor ein paar Monaten 70 Jahre alt geworden. Das Spielen hast du in all der Zeit nicht verlernt. Wann hast Du das letzte Mal gespielt und was war das?

Auch wenn ich mich inzwischen im 71. Lebensjahr befinde, gehört das Spiel(en) immer noch zum festen Bestandteil meines privaten Lebens und meiner beruflichen Tätigkeit. So ist es beispielsweise üblich, dass bei Familienbesuchen nahezu immer ein Teil der Zusammenkünfte mit Spielaktivitäten ausgefüllt sind.

Bei Qualitätsuntersuchungen oder Supervisionscoachings in Kindertageseinrichtungen trete ich dann mit Kindern in Spielhandlungen ein, wenn ich mitbekomme, dass elementarpädagogische Fachkräfte dem Spiel(en) der Kinder eine untergeordnete Rolle zusprechen und lieber „nur“ dem Spiel der Kinder zuschauen, ohne selbst diesen aktiven Mitspielimpuls zu spüren. Leider muss ich das in den vergangenen Jahren zunehmend zur Kenntnis nehmen.

Wie heißt es doch in einer Aussage von Augustinus Aurelius, dem einstigen Bischof von Hippo, der auch als Philosoph ganz wundervolle Gedanken zu Papier gebracht hat, so treffend: „In Dir muss brennen, was Du entzünden willst“. Dieses Feuer habe ich schon als Kind spüren und in meiner Freizeit sowie im Elternhaus ausleben dürfen, wodurch sich wundervolle, spannende und aufregende Bilder in meinem Gedächtnis eingebrannt haben – und das mit einer nachhaltigen Wirkung.

Bei der unüberschaubaren Menge an Gesellschaftsspielen fällt es mir hingegen schwer, immer eine Entscheidung für ein bestimmtes Spiel zu fällen, zumal es gleichzeitig so viele, wunderbare Spiele gibt. Zuletzt habe ich mich vor ganz kurzer Zeit im Rahmen eines Supervisionscoachings in neun Kindertageseinrichtungen in viele verschiedene Tanz-, Bewegungs- und Regelspielaktionen hineinbegeben, verbunden mit den Fragen der Kinder, als ich mich aus den Spielen herauslösen musste: „Wann kommst Du wieder?“ „Spielen wir nachher weiter?“

In Dir muss brennen, was Du entzünden willst!

Augustinus Aurelius (354 – 430)

Kinder suchen immer wieder Spielerlebnisse – so wie ich auch. Und ganz aktuell habe ich auch ein „Kinder- Reim- Geschichten- Ausmalbuch“ mit dem Titel „Vom Warzenschwein und anderen Tieren“ publiziert und dabei mit Worten, ausgedachten und imaginären Tiergeschichten gespielt.

Der deutsche Aktionskünstler Joseph Heinrich Beuys (1921 – 1986) und Professor an der Kunstakademie Düsseldorf hat einmal gesagt: „Lass dich fallen – Lerne Schlangen zu beobachten – Pflanze unmögliche Gärten – Lade jemanden Gefährlichen zum Tee ein – Mache kleine Gesten – Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit – Freue dich auf Träume – Weine bei Kinofilmen – Schaukel so hoch du kannst – Tu Dinge aus Liebe – Mach eine Menge Nickerchen – Gib Geld weiter – Mach es jetzt – Glaube an Zauberei – Lache eine Menge – Nimm Kinder ernst – Bade im Mondlicht – Lies jeden Tag – Stelle dir vor, du bist verzaubert – Höre alten Leuten zu – Freue dich – Lass die Angst fallen – Unterhalte das Kind in dir – Umarme Bäume – Schreibe Briefe – Lebe“. So gibt es auch ungezählte Möglichkeiten, den Alltag mit Spielfantasien auszufüllen und auszuleben!


Armin Krenz/Christian Kämpf
Vom Warzenschwein und anderen Tieren
Vorlesen, Malen, Philosophieren: ein Bilder- und Geschichtenbuch. Reime und Tierbilder zum Ausmalen
für Kinder ab 4 Jahren
Hardcover, 36 Seiten, DIN A 4
ISBN 978-3-910295-00-1
15 €


Was hältst Du von dem Zitat „We don’t stop playing because we grow old; we grow old because we stop playing.”?

Diesem Zitat von George Bernard Shaw, dem irischen Dramatiker, Satiriker und Politiker, kann ich sowohl aus fachwissenschaftlicher Sicht als auch aus meiner eigenen biographischen Rückschau in vollem Maße zustimmen, denn einerseits sind es die in unserem Gehirn abgespeicherten „Bilder“ aus der sehr frühen und frühen Kindheit, die unsere Gehirn- und damit unsere Persönlichkeitsstruktur in einer ganz entscheidenden Weise prägen. Andererseits ist es die weitere Lebensgestaltung, die uns zu dem Menschen werden lässt, der wir dann werden. Unsere gesamte Wahrnehmung, die daraus folgende Situationseinschätzung und der daraus abgeleitete Handlungsimpuls werden durch unsere Gefühlswelt beeinflusst. Zudem haben „Spielaktive Menschen“ eine entspanntere Sichtweise auf die Welt, ohne dabei eine weniger ernsthafte Situationseinschätzung zu besitzen.

We don’t stop playing because we grow old;
we grow old because we stop playing.

George Bernard Shaw

Als meine Frau und ich noch vor unserem Eintritt in den offiziellen Ruhestand beruflich sehr eingespannt waren, haben wir uns beispielsweise immer wieder mit guten Freunden übers Wochenende ein Ferienhaus in Dänemark angemietet, um gut zwei Tage lang ein gemeinsames Spielewochenende zu verbringen. Jedes Paar brachte ein neues Spiel mit – und so erweiterte sich für alle das Spielespektrum um ein Vielfaches.

Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit wir von einem Spiel sprechen können?

Es gibt – je nach der spezifischen Ausrichtung der Pädagogik bzw. der Psychologie – nicht nur eine einzige Definition zum „Spiel“ zumal dieses Wort zunächst kein wissenschaftlicher Begriff ist. Gleichwohl gibt es einige übereinstimmende, sich als deckungsgleich erweisende Beschreibungskriterien, die vorhanden sein müss(t)en, um von einer Spielhandlung sprechen zu können:

  1. Ein „Spiel“ ist eine aktive Geschehnis-Einheit, in der es für die (mit)spielenden Personen einen „Handlungsfreiraum“ gibt, in dem sie sich ohne Not, Sorge oder Angst sprachlich und/ oder motorisch ausdrücken können.
  2. Jedes Spiel beruht auf einer „freiwilligen Teilnahme“, in dem die mitspielenden Personen eigene Ideen und Vorhaben umsetzen können.
  3. Ein Spiel ist nur dann ein Spiel, wenn es weitestgehend „zweckfrei“ ist, so dass in erster Linie der „Spielgedanke“ im Vordergrund steht und nicht ein starr vorgegebenes Ziel, das in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort zu erreichen ist.
  4. Die Mitspielerinnen müssen dem Spielgedanken/dem Spielimpuls/dem Spielverlauf einen Sinn zuordnen können, von dem sie den Eindruck haben, dass sie einerseits das betreffende Spiel mit Spannung gestalten und ausfüllen, gleichzeitig in dem Spiel aber auch Entspannungsmomente erleben, so dass das so genannte „rhythmische Prinzip’ zum Tragen kommt: ein wellenförmiger Wechsel von Spannung und Entspannung.
  5. Spiele müssen verschiedene Möglichkeiten zulassen, Veränderungen vornehmen zu können, die dann beispielsweise in einer gemeinsamen Absprache übernommen werden.
  6. Spielerische, experimentelle Handlungen können sich nur dann zu einem Spiel entwickeln, wenn eine intrinsische Motivation, die ausschlaggebend für eine Spielfaszination sowie eine vertiefende Spielvertiefung ausschlaggebend ist, vorhanden ist.
  7. Wenn die Beschäftigungszeit als eine erfüllte, zufriedenstellende, intensiv berührende Zeit erlebt wird, hat das Spiel seinen Wert zum Ausdruck gebracht.

Welche Bedeutung hat das Spiel mit Blick auf die Evolution? Warum ist es so wichtig, dass wir spielen?

Spielen, das wissen wir aus vielen Forschungsuntersuchungen, ist keine angeborene Tätigkeit, die dem Menschen in die Wiege gelegt und damit für den Lebensweg mitgegeben wird. Diese Tatsache ist von einer außergewöhnlich großen Bedeutung, zum Beispiel wenn es darum geht, einerseits den hohen Wert des Spielens für die förderliche Entwicklung eines Menschen im Auge zu haben und andererseits nicht annehmen zu dürfen, dass das Spiel „von ganz alleine“ entsteht.
Was dem Menschen angeboren ist, ist seine „Neugierde“, die Welt um sich herum zu entdecken und zu erkunden und gleichzeitig den eigenen Bedeutungswert in der Welt bzw. für die Welt in Erfahrung zu bringen. Und hierbei ist es notwendig, dass es im unmittelbaren Umfeld des Menschen Personen gibt, die sich auf die Neugierde des Kindes einlassen und seine seelischen Grundbedürfnisse sättigen, so dass aus diesem dialogen Zusammenspiel eine Einheit entsteht, die sich durch ein lebendiges Kommunikations- und Interaktionsgeschehen in unterschiedlichen Formen als Spiel ausdrücken.

Spielen, das wissen wir aus vielen Forschungsuntersuchungen, ist keine angeborene Tätigkeit, die dem Menschen in die Wiege gelegt und damit für den Lebensweg mitgegeben wird.

Erfolgt also im Rahmen der vorhandenen Neugierde kein aktives, zugewandtes und durch Wertschätzung geprägtes Kommunikations- und Interaktionsverhalten, verringert sich einerseits die Neugierde im Hinblick auf das Umfeld und eigene Entwicklungsmöglichkeiten und andererseits können sich dadurch auch keine Spielfreude, kein Spielinteresse und keine Spielmotivation entwickeln, was wiederum gleichzeitig die Lernmotivation, die Lernfreude sowie das Lerninteresse deckelt.

Diese Tatsache ist leider vielen Erwachsenen unbekannt: Würden sie diese Vernetzung kennen, würden sie mit großer Wahrscheinlichkeit dem Spiel(en) eine größere Wertigkeit beimessen. Dr. Jan van Gils, (seinerzeit ‚President of the International Council for Children’s Play’), hat es 2005 in seinem Vortrag auf dem Weltkongress der International Play Association wie folgt auf den Punkt gebracht: „Allzu oft wird das Spiel als ein Zeitvertreib betrachtet, um Kinder ruhig zu halten, bis sie erwachsen sind. Allzu oft wird das Spiel auch als Bildungswerkzeug angesehen. Aber nur selten ist man sich der Tatsache bewusst, dass Kinder bei dem Spielen für das Leben lernen.“

Zusammenfassend lässt sich sagen: der evolutionäre Bedeutungswert liegt demnach darin zu begreifen, dass das Spiel als Nährboden für alle bedeutsamen Entwicklungsvorgänge, für den Erwerb ganz bestimmter kognitiver, motorischer, sozialer und emotionaler Fertigkeiten dienlich ist und damit gleichzeitig einen sehr hohen Bedeutungswert für die eigene Persönlichkeitsentwicklung besitzt.

Allzu oft wird das Spiel als ein Zeitvertreib betrachtet, um Kinder ruhig zu halten, bis sie erwachsen sind. Allzu oft wird das Spiel auch als Bildungswerkzeug angesehen. Aber nur selten ist man sich der Tatsache bewusst, dass Kinder bei dem Spielen für das Leben lernen

Dr. Jan van Gils

Hat es denn negative Folgen, wenn wir nicht spielen, sprich, würdest Du dem Spielen eine ähnliche Bedeutung zuschreiben wie gesunder, ausgewogener Ernährung oder Bewegung?

Ungezählte, wissenschaftlich fundierte Untersuchungsergebnisse haben immer wieder bestätigt, dass Kinder, denen es verwehrt war, eine Spielfähigkeit aufzubauen, in allen vier Kompetenzfeldern (im emotionalen, sozialen, kognitiven und motorischen Bereich) deutliche Einschränkungen aufwiesen.

Beispielsweise zeigen spielkompetenzeingeschränkte Kinder – auch in ihrem späteren Leben – im emotionalen Bereich größere Schwierigkeiten im Verarbeiten von Enttäuschungen, eine geringere Toleranz bei Frustrationen, einen stärker ausgeprägten Pessimismus sowie weniger tiefgehende Freudeerlebnisse.

Im sozialen Bereich haben spielkompetenzeingeschränkte Personen eine höhere Vorurteilsbildung, eine geringere Kooperationsbereitschaft, eine höhere Gewaltbereitschaft bzw. ein stark eingeschränktes Selbstbewusstsein sowie eine geringer ausgeprägte Hilfsbereitschaft.


Armin Krenz
Elementarpädagogische Grundsätze auf den Punkt gebracht
Kita-Basiswissen für Erzieherinnen und Erzieher. 20 Fact-Sheets für Fortbildungen, Beratungsgespräche und zur Prüfungsvorbereitung
336 Seiten, zahlreiche Abbildungen
ISBN 978-3-96304-613-1
29,95 €


Im kognitiven Bereich ist ein vernetztes Denken eingeschränkt. Diesen Kindern fällt die Kontrolle eigener Handlungen deutlich schwerer (gemeint sind hier vor allem die Handlungsfelder Selbstkontrolle und Selbstdisziplin) und die Konzentrationsfertigkeit ist deutlich gesenkt im Vergleich mit spielkompetenten Personen.

Im motorischen Bereich sind vor allem die Selbstwirksamkeitsüberzeugung, die Vielfaltnutzung von Selbstaktivitäten, eine differenzierte Feinmotorik und die motorische Reaktionsfertigkeit gering ausgeprägt.

Was eine ausgewogene Ernährung für den Körper an Wohlbefinden mit sich bringt, bewirkt eine vorhandene Spielfähigkeit für den gesamten psycho-sozialen, motorischen und kognitiven Bereich.

Was bewirkt spielen, was macht das Spielen mit uns als Mensch?

Spielen setzt frei flottierende Gedanken und damit spontan entstehende Handlungsideen in Gang. Es ermöglicht in erlebten Außenspannungen ein Gefühl von Freiheit, wodurch der Mensch aus Stresssituationen herausfinden kann und in der Lage ist, abzuschalten, die unmittelbare Vergangenheit oder vorherrschend besitzergreifende Gegenwartserlebnisse beiseite zu stellen, was wiederum zu einer emotional-kognitiven BALANCE führt.

Dabei entdeckt der Mensch die Vielschichtigkeiten und Mehrdeutigkeiten von Situationen, die dabei helfen, aus eindimensionalen Einschätzungen herauszufinden und aus einem erlebten Entspannungsfreiraum Dinge neu betrachten zu können. Vor allem eröffnet sich der Mensch dabei den Weg für eine Selbstexploration: die Auseinandersetzung mit sich selbst, seine eigenen Gedankenwegenund Gedankenstrukturmuster, ohne die Sichtweise fokussiert auf die Außenwelt zu richten sondern zu erkunden, was dazu beigetragen hat, dass sich Situationen so entwickelt haben wie sie sind und wie sie auch anders gestaltet werden können.

Gerade der „spielende Mensch“ eröffnet sich durch die eigene Spielfreude sowie ein weitumfassendes Spielinteresse einen lebenslangen Bildungsweg, auf dem immer wieder neue Bildungsprozesse entstehen können und uns Menschen daran hindern, Lebenswege stets gleichartig, gleichförmig‚ normal und variationsfrei zu gestalten.

Gerade der „spielende Mensch“ eröffnet sich durch die eigene Spielfreude sowie ein weitumfassendes Spielinteresse einen lebenslangen Bildungsweg, auf dem immer wieder neue Bildungsprozesse entstehen können und uns Menschen daran hindern, Lebenswege stets gleichartig, gleichförmig‚ normal und variationsfrei zu gestalten.

Der Maler Vincent Willem van Gogh hat sich einmal so geäußert: „Die Normalität ist eine gepflasterte Straße. Man kann gut darauf gehen – doch es wachsen keine Bäume auf ihr.“ Und wenn wir nun aus psychoanalytischer Sicht den Baum als ein ‚lebendiges Wachstumsfeld der eigenen Person’ verstehen, dann wird deutlich: ohne das Spielen steckt der Mensch in seiner Entwicklung fest, lebt aus Wiederholungen, die nicht selten entwicklungshinderlich sind, weil keine neuen und damit innovativen Handlungsimpulse entstehen können.  

Die Normalität ist eine gepflasterte Straße. Man kann gut darauf gehen – doch es wachsen keine Bäume auf ihr.

Vincent Willem van Gogh

Wann wird aus einem Spiel Ernst?

Ein Spiel ist immer eine ernste Angelegenheit, zumal Einzelspielerinnen und -spieler als auch jede mitspielende Person ihre angedachten Überlegungen in die jeweils aktuelle Spielhandlung einbringen wollen. So hat Prof. Hans Scheuerl, ein Pionier im Feld der Spieleforschung, schon vor einigen Jahrzehnten den Satz geprägt: „Das Spiel ist der Beruf des Kindes.“ Und damit umfasst das Spiel grundsätzlich alle Facetten, die auch in fast jedem Beruf zum Tragen kommen: Anstrengung an den Tag legen, Versuch und Irrtum auszuhalten, Belastbarkeit aushalten, Innovationsgedanken umsetzen, Zufriedenheit erleben, Konflikte mit sich und anderen austragen, Selbstdisziplin auf sich nehmen, Enttäuschungen ertragen, uneindeutige Situationen für sich oder mit anderen klären, Aggressionen in lösungsorientierte Schritte umwandeln usw.

Das Spiel ist der Beruf des Kindes.

Prof. Hans Scheuerl

Ist Humor eine Sonderform des Spiels?

Humor ist keine Sonderform des Spiels sondern eine lebensbedeutsame Verhaltensweise des Menschen, um bei Missgeschicken oder in schwierigen Lebenssituationen eine Gelassenheit an den Tag zu legen, die die Situation – zumindest für einen Augenblick – entschärft und die es dem Menschen möglich macht, sich selbst und andere nicht immer allzu ernst zu nehmen.

Humorlose Menschen sind häufig nur sehr schwer zu ertragen, zumal wenn alleine der reinen Kognition eine permanente A-Priorität beigemessen wird. Hier scheint ganz besonders eine „Herzensbildung“ von Nöten zu sein, in der auch der Humor einen festen Platz besitzt. Joachim Ringelnatz, Schriftsteller, Maler und Kabarettist, sagte einmal: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.“

So genannte Helikopter-Eltern oder auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bzw. Lehrkräfte, die sich zu Unrecht als Pädagogen bezeichnen, Vorstandspersonen oder (sozial)politische Funktionsträger:innen ohne Humor versuchen ihr privates und berufliches Selbstverständnis häufig nur aus kognitiv gefällten Entscheidungen abzuleiten, wobei emotional-soziale Aspekte unberücksichtigt bleiben. Damit sind nicht selten inhumane und rein funktional gesteuerte Vorgaben die Folge – und das mit häufig dramatischen Folgen für das Umfeld. 

Die Bedeutung des Spiels für Kinder, für die Entwicklung der Kinder. Worauf sollten die Eltern achten? Wie regt man Kinder zum Spielen ideal an?

Johann Heinrich Pestalozzi, ein Schweizer Pädagoge und zugleich ein Schul- und Sozialreformer hat folgenden Satz geprägt: „Erziehung ist Liebe und Vorbild. Sonst Nichts!“ und einer der bedeutendsten Reformpädagogen des vergangenen Jahrhunderts, Dr. Janusz Korczak, dessen Todestag sich 2022 zum 80. Mal jährt, vertrat sein pädagogisches Grundverständnis mit der Aussage: „Du kannst den anderen nur soweit bringen, wie Du selbst gekommen bist.“ In diesen beiden Zitaten liegt meine Antwort auf Ihre Frage: es gilt,

  • (a) immer wieder selbst in ein aktives, lebendiges und innerlich motiviertes Spielverhalten einzutauchen und damit ein Spielvorbild zu sein;
  • (b) für sich selbst regelmäßige Zeiträume zum Spiel einzuplanen, um mit den eigenen Kindern und auch mit befreundeten Personen zu spielen;
  • (c) einen möglichst ausreichenden Spielplatz für Kinder zu schaffen und dabei weder die Spielform vorzugeben noch Spielzeiten unnötig zu unterbrechen;
  • (d) dem Spiel seinen hohen Bedeutungswert im Hinblick auf seine „Lernauswirkungen“ zuzugestehen, denn das ‚Spiel ist keine Spielerei’;
  • (e) dafür zu sorgen, dass das Kinderzimmer keinem Spielwarengeschäft ähnelt – auch beim Spielzeug muss es Begrenzungen geben, zumal Spielmittelüberflutungen entwicklungshinderliche Auswirkungen auf Kinder haben und eine so genannte ‚Konsumverwahrlosung’ die Folge ist;
  • (f) dem Spiel der Kinder Aufmerksamkeit und Interesse zu widmen;
  • (g) sich von der Spielfreude der Kinder anstecken zu lassen, ihre Spielmotivation aufzunehmen und in sich wirken zu lassen. Die beste Anregung zum Spielen liegt immer noch in der spielerischen Vorbildfunktion, und wenn die Bindung zwischen Kindern und dem/ den Erwachsenen stimmig sind, dauert es nicht lang, bis Kinder sich als Mitspieler/ zur Mitspielerin ins Spielgeschehen einbringen.

Wichtig: es muss echt und authentisch sein!

Wie unterscheidet sich das Kinderspiel von dem des Erwachsenen?

Kinder bevorzugen – je nach Alter – ganz unterschiedliche Spielformen. Bei Kleinkindern sind es zunächst die Fingerspiele, das Bauspiel, Entdeckungs- und Wahrnehmungsspiele sowie das Konstruktionsspiel. Es folgen die vielfältigen Produktionsspiele zum Gestalten, Bewegungs- und Musik-/Tanzspiele bis hin zu Sozialregelspielen, Aggressionsspiele zum Austoben, Rollenspiele und das freie Spiel, Theater- und Märchenspiele. Die Fülle innerhalb dieser Spielformen ist unerschöpflich und so gehört auch die Literaturgattung mit dem Schwerpunkt „Spiel“ mit zu den umfangreichsten Themenfeldern.

Erwachsene bevorzugen in den meisten Fällen entweder Spiele in digitaler Form, wo auch das Spieleangebot unfassbar umfangreich ist oder sie lassen sich auf Tisch-, Karten- und Brettspiele, Outdoorspiele, Strategiespiele oder gruppendynamische Interaktionsspiele ein, deren Angebote jedes Jahr in die Höhe schießen. Hier lohnt es sich, einmal Gast auf der jährlichen Spielwarenmesse zu sein! Manche Spielformen entsprechen aber auch denen der Kinder: Hier denke ich beispielsweise an das Theaterspiel, an so genannte Entdeckungsspiele (dazu zählt auch das Geocaching) oder an Konstruktionsspiele.

Was sollten denn Erwachsene spielen?

Zunächst: Erwachsene sollten (!) gar nicht spielen – vielmehr entspringt der Spielgedanke einem eigenen Spielwunsch, sich auf ein Spielgeschehen einlassen zu wollen: als Einzelspieler, als Mitspieler in einer Gruppe, als Spielpartner des Kindes und das in einer jeweils bevorzugten Spielform. So gilt es zunächst, vielfältige Spielformen kennenzulernen und dabei das Gespür für die Spielform zu entdecken, zu der man sich in besonderem Maße hingezogen fühlt. Empfehlenswert ist auch der Besuch von Spielwarengeschäften, um sich durch fachkundiges Personal ausgiebig beraten zu lassen. Egal, für welches Spiel sich die erwachsene Person entscheidet: Entscheidend ist,  d a s s  spielunerfahrene Personen die Faszination des Spiels für sich entdecken und sich in den Sog einer erlebten Spielfreude hineinziehen lassen.

Egal, für welches Spiel sich die erwachsene Person entscheidet: Entscheidend ist, dass spielunerfahrene Personen die Faszination des Spiels für sich entdecken und sich in den Sog einer erlebten Spielfreude hineinziehen lassen.

Innovation und Zukunft: wie wichtig ist hier das Spiel? Wie wichtig ist die Fähigkeit, sich spielerisch an etwas annähern zu können?

Wenn durch eine auf- und ausgebaute Spielfähigkeit, verbunden mit basalen und lebensbestimmenden Kompetenzen, angeeignet durch die frühen Kindheitsjahre und die Pflege dieser vielschichtigen Merkmale außergewöhnliche Fertigkeiten entstehen, so kann und muss das Spiel als ein hochbedeutsamer Innovationsfaktor eingestuft werden, der durch nichts zu ersetzen ist. Gerade in einer Zeit, in der wir alle vor sehr schwierigen, vielleicht sogar auf den ersten Blick kaum lösbaren Aufgaben stehen, ist es von großer Bedeutung, mit den im Spiel erworbenen Basiskompetenzen kreative Problemlösungsmöglichkeiten zu entdecken. Ob im Kleinen oder in großen, übergeordneten Aufgabenfeldern.

Es sind gerade die Fantasie, die Kreativität und innovative Visionen, die viele Spiele provozieren und deren Einsatz uns Menschen zwingt, Neues zu entdecken, auszuprobieren und auszuwerten, um sich selbst und für andere sowie die nachfolgende Generation ein zukünftiges Leben zu ermöglichen

Einseitige Problembetrachtungen, die Fortsetzung gewohnter/gewöhnlicher und gleichzeitig nicht nachhaltiger Lösungswege führen in der Regel nur zu einer Problemverschiebung. Es sind gerade die Fantasie, die Kreativität und innovative Visionen, die viele Spiele provozieren und deren Einsatz uns Menschen zwingt, Neues zu entdecken, auszuprobieren und auszuwerten, um sich selbst und für andere sowie die nachfolgende Generation ein zukünftiges Leben zu ermöglichen. Hier passt ein Zitat, das vielen Autorinnen und Autoren zugeordnet wird: Marie von Ebner-Eschenbach bzw. Oliver Cromwell bzw. Philip Rosenthal: „Wer aufhört, besser sein zu wollen als er ist, hört auf, gut zu sein.“ Und da bieten die vielfältige Spielformen und Spielarten unüberschaubare Möglichkeiten, ins „Spiel des Lebens“ einzutauchen, um durch Selbsterfahrung und Selbstentwicklung Potenziale zu entdecken, die bisher als eine ‚unbekannte Variante’ leblos in uns schlummerten.  

Was lässt sich beim Blick auf das Spiel über den Charakter oder die Eigenschaften eines Spielers ableiten? Spieltypen?

Laut Richard Bartle, der sich Ende des letzten Jahrhunderts mit der Klassifizierung möglicher ‚Spielertypen’ beschäftigt hat und dazu das Verhalten von Spielerinnen und Spielern untersuchte, kam zu dem Schluss, dass es vier klassische Spielertypen gibt:

A) Killers (Mörder/ Kämpfer) – ihr Bedürfnis ist es, immer zu gewinnen und gleichzeitig sind sie auch motiviert, Mitspielerinnen und Mitspieler am Gewinnen zu hindern. Sie versprechen sich dadurch Macht und Anerkennung, durch die sie sich stark fühlen (fühlen möchten!).
B) Der Archiever (Macher/ Erfolgssammler) möchte möglichst viele Ziele erreichen, möglichst viele Punkte sammeln, um ein aktuelles Ziel erfolgreich abschließen und um sich dann auf die nächste Aufgabe kümmern zu können. Er freut sich über seine erreichten Leistungen, die ihn wiederum anspornen, weiterzumachen und neue Herausforderungen anzunehmen.
C) Dem Socializer (Geselliger) ist die Gesellschaft der Mitspielerinnen und -spielern besonders wichtig und so genießt er eine gute Umgangskultur, den Austausch mit den anderen und hilft auch anderen, wenn diese einer Hilfe bedürfen. Ihm kommt es im primären Sinne nicht aufs Gewinnen an. Ihm bedeutet die Gemeinschaft und das Gemeinschaftserlebnis mehr als ein Gewinner aus dem Spiel aufzutreten.
D) Und schließlich gibt es den Explorer (Erkunder), der mit einer ausgeprägten Neugierde viel Neues im Spiel entdecken will, die ganze Palette der Spielmöglichkeiten erfassen möchte, der auch versucht, unattraktive Spielideen in attraktive Spielhandlungen zu wandeln und dem es nicht im Spiel um einen Zuwachs an Macht und Anerkennung geht, sondern für ihn vor allem der Forschergedanke (was ist wie möglich?) im Vordergrund steht.

So ist das Verhalten aller Spielerinnen und Spieler ein Spiegelbild ihrer Persönlichkeit. Dabei ist es spannend, sich selbst einem Spielertypen zuzuordnen und sich gleichzeitig durch andere zuordnen zu lassen.

Spielen Frauen anders als Männer? Wenn ja, wie äußert sich das?

Diese Frage kann nicht mit einem klaren ‚ja oder nein’ beantwortet werden. So gibt es auf der einen Seite Evolutionsforscher, die die These vertreten, dass es aufgrund der Evolution in der Form deutliche Unterschiede gibt, dass Frauen ein Spiel eher als ein „soziales Ereignis“ betrachten/wertschätzen und Männer lieber als „winner“ denn als „looser“ erleben wollen und das Interesse der Männer auch entsprechend darauf ausgerichtet ist, beim Spiel als „Gewinner“ herauszugehen.

Sozialpsychologen vertreten die Ansicht, dass mögliche Unterschiede im Spielverhalten einen biographischen Hintergrund haben und durch frühkindliche Rollenklischees geprägt werden. Bislang vorliegende Studien zeigen, dass Frauen eher (gleichwohl nicht ausschließlich!) dem Sozialgeschehen im Spiel einen höheren Bedeutungswert beimessen als Männer und diese wiederum in einem signifikant stärkeren Maße eine Spielhandlung als Gewinner beenden wollen.

Doch vielfältige, jahrelange, persönliche Erfahrungen haben auch das Gegenteil hervorgebracht. So ist es an der Zeit, durch Selbststeuerungsvorhaben dafür zu sorgen, dass das Spiel für alle – Jungen und Mädchen, Frauen und Männer – immer wieder zu einem wunderbaren Sozialereignis werden kann, in dem Gewinnerinnen und Verliererinnen jederzeit fair miteinander umgehen, Gewinnertypen auch das Verlieren ertragen können und Verliererinnen alle Kräfte mobilisieren können, durch neu entwickelte Strategien gleichhäufig ins Gewinnerinnenfeld zu gelangen. Und das selbstverständlich unabhängig vom Geschlecht! 

So ist es an der Zeit, durch Selbststeuerungsvorhaben dafür zu sorgen, dass das Spiel für alle – Jungen und Mädchen, Frauen und Männer – immer wieder zu einem wunderbaren Sozialereignis werden kann, in dem Gewinnerinnen und Verliererinnen jederzeit fair miteinander umgehen, Gewinnertypen auch das Verlieren ertragen können und Verliererinnen alle Kräfte mobilisieren können, durch neu entwickelte Strategien gleichhäufig ins Gewinnerinnenfeld zu gelangen. Und das selbstverständlich unabhängig vom Geschlecht!            

Gilt Leistungssport, etwa ‚Profi-Fußball’, noch als Spiel?

Der Leistungssport kann aus wissenschaftlicher Sicht und den zugrundeliegenden Kriterien für ein „Spiel“ sicherlich nicht als Spiel bezeichnet werden – ob im Profi-Fußball noch bei anderen, sportlichen Events, Meisterschaften oder Wettkämpfen, zumal einerseits das Gewinnen, ein Bessersein als alle anderen im Vordergrund steht und andererseits Prämien unterschiedlicher Art einen zusätzlichen Gewinnanreiz bieten sowie Erwartungen von außen einen Druck auf Spielerinnen und Spieler ausüben. Hier wurde und wird das Spiel „funktionalisiert“ – mit vielerlei Zwecken angereichert und dabei bleibt selbst bei einer gewissen, großzügigen Betrachtung oftmals noch nicht einmal ein ‚spielerischer Restansatz’ übrig.

Das beginnt nicht selten schon beim Kinder-/Jugendfußball, wo viele Eltern ihre eigenen Kinder anfeuern, eine gute oder noch bessere Leistung als gerade gezeigt zu erbringen oder gegnerische Spielerinnen durch Beschimpfungen diskreditieren. Schon die „Spiele in Rom“ waren öffentliche Veranstaltungen in Form von Wagenrennen, Theater- und Schauwettkämpfen, Gladiatorenkämpfen, Tierhetzen bis zu Hinrichtungen, die „das Volk amüsieren sollten“ und als „Spiele“ bezeichnet wurden. Auch wenn sich Inhalte bzw. Schwerpunkte mit der Zeit verändert haben, bleiben Ausgangsstrukturen gleich. Mit einem „Spiel“ im originären Sinne gibt es hierbei keine Deckungsgleichheiten.

Wir finden unsere größten Chancen und Gelegenheiten zu wachsen jenseits unserer Bequemlichkeitsbremse.

Neale Donald Walsch

Der Kulturhistoriker Johan Huizinga hat einmal gesagt: „Um wirklich zu spielen, muss der Mensch, solange er spielt, wieder Kind sein.“ Dieser Rollentausch fällt vielen Erwachsenen, leider auch zunehmend pädagogischen Fachkräften, immer schwerer. Doch gleichzeitig ist dies der einzige zielführende Weg, der zu Innovationen und kreativen Problemlösungen führt. Greifen wir daher am besten auf ein Zitat von Neale Donald Walsch zurück. Er vertritt folgende Ansicht, die im Übrigen auch durch persönlichkeitspsychologische Erkenntnisse unterstützt wird: „Wir finden unsere größten Chancen und Gelegenheiten zu wachsen jenseits unserer Bequemlichkeitsbremse.“ Und an anderer Stelle sagt Walsch: „Hingehen in das, was Unbehagen bereitet, veranlasst letztlich Wachstum und die Erfahrung, wer und was ich bin.“ Dabei gibt es nichts Einfacheres, als in unterschiedliche Spielgeschehnisse einzutauchen, um sich zu entdecken und zu reflektieren, aus den Erkenntnissen Konsequenzen zu ziehen und sich dann auf Entwicklungsprozesse einzulassen, die jeden Menschen immer wieder in ein Staunen versetzen.   

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz, Honorarprofessor/Wissenschaftsdozent
für Entwicklungspsychologie & Elementarpädagogik mit (inter)nationalen
Lehr-, Forschungs- und Vortragsaufträgen – im (Un)Ruhestand – Fachbuchautor




Warum draußen spielen für Kinder wichtig ist

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung über das Spielen und ds Spielen im Freien

Vor allem im Sommer wollen Kinder eines: Draußen spielen! Spielen ist für Kinder ein Grundbedürfnis – es ist der kindliche Zugang zur Welt. Körperliche und geistige Fähigkeiten werden dabei entwickelt und neue, wertvolle Erfahrungen gesammelt.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) informiert unter https://www.kindergesundheit-info.de, warum das Spielen für Kinder so wichtig ist, wie Spielräume draußen gestaltet werden können und worauf Eltern achten sollten, um Unfallrisiken zu minimieren.

Das BZgA-Informationsportal https://www.klima-mensch-gesundheit.de gibt Eltern Tipps, wie sie ihren Nachwuchs am besten vor Hitze und UV-Strahlung schützen können.

Drei Fragen an Prof. Dr. Martin Dietrich, Kommissarischer Direktor der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA):

Warum ist Spielen so wichtig für Kinder?

Das Gehirn des Kindes ist bei der Geburt noch nicht vollständig ausgereift. Vor allem während der ersten Lebensjahre bilden sich wichtige Nervenbahnen und deren Verschaltungen erst noch aus. Beim Spielen machen Kinder vielfältige Erfahrungen – je komplexer und häufiger diese sind, desto besser unterstützen sie die kindliche

Gehirnentwicklung. Das Spielen ist auch für die körperliche Entwicklung des Kindes wichtig, denn durch die Bewegung werden die motorischen Fähigkeiten, das Gleichgewichtssystem und die Koordination geschult. Zudem lernen die Kinder sich selbst besser kennen, beispielsweise was sie interessiert und wie sie mit Gefühlen umgehen können, und entwickeln darüber hinaus soziale Kompetenzen im gemeinsamen Spiel.

Wie können Eltern das Spielen ihrer Kinder unterstützen?

Kinder möchten frei und selbstbestimmt spielen. Sie sind von Natur aus neugierig, spontan und experimentierfreudig. Deshalb möchten sie beim Spielen möglichst wenig von Erwachsenen vorgegeben oder strukturiert bekommen. Eltern können und sollen dennoch Anregungen geben. Durch Impulse und die Möglichkeit vielseitiger Erfahrungen können sie ihre Kinder darin unterstützen, neu erworbenen Fähigkeiten zu üben. Dies gilt besonders auch für Kinder, die wegen einer Erkrankung oder Behinderung spezielle Unterstützung benötigen. Aber auch hier sollte das freie Spiel den größten Anteil im Tagesablauf der Kinder einnehmen. Wichtig ist, nicht enttäuscht zu sein, wenn das Kind anders spielt, als die Eltern sich das vorstellen. Es hat seine ganz eigenen Vorstellungen und das Beste ist, dem Kind den möglichen Freiraum zu geben.


Methoden und Anregungen für Gruppenleiter:innen

Sich im Spiel kennenlernen, mit Spielen den Einstieg in relevante Themen finden, über das Spiel zum Gespräch kommen, durch das Spiel Gruppenprozesse erleben und mit Spielen den Abschied gemeinsam gestalten. Spielen bietet viele Möglichkeiten für die Arbeit mit Gruppen. Die Autorin stellt eine große Anzahl von Spielen und Methoden für die Gruppenarbeit vor und zeigt, wie man unterschiedliche Themen aufgreifen und im Spiel bearbeiten kann. Den Gruppenleiter:innen werden Methoden und Anregungen für einen didaktisch sinnvollen Aufbau von Spielen an die Hand gegeben.

Heike Baum
Spiel ist mehr als Spaß – Spiele und Methoden für die Gruppenarbeit
Taschenbuch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-944548-18-0
7,95 €


Wie kann das Spielen im Freien gestaltet werden?

Spielplätze und Parks sind gut geeignet, damit Kinder sich austoben und an der frischen Luft bewegen können. Auch Ausflüge zu einem See oder in den Wald sind eine schöne Gelegenheit zum Spielen. Wenn die Zeit nicht reicht, kann auch der Gang zum Supermarkt genutzt werden: Ein Weg, der beispielsweise durch einen Park führt, gibt dem Kind die Möglichkeit, auf eine Bank zu klettern, auf Mauern zu balancieren und über Pfützen zu springen – das stärkt Mut und Selbstvertrauen. An Hitzetagen sollten Eltern darauf achten, Babys und Kleinkinder weder der Sonne noch intensiver Mittagshitze auszusetzen. Auch ausreichendes Trinken ist sehr wichtig.

Allgemeine Infos:

Draußen spielen …

… ist gesund

Spielen ist als kindliches Grundbedürfnis für die Entwicklung genauso wichtig wie Schlafen, Essen und Trinken. Beim Spielen sammelt ein Kind grundlegende Erfahrungen, macht sich mit der Welt vertraut und beginnt, sie zu begreifen. Kinder lernen im Spiel. Sie suchen sich die Anregungen, die sie gerade für ihre Entwicklung brauchen, und lernen die Welt kennen.

Sie machen sich mit alltäglichen Gegenständen vertraut, finden heraus, wie Dinge funktionieren, und üben ihre motorischen und geistigen Fähigkeiten.

… fördert in allen Bereichen

Grundlegende Fertigkeiten und Kenntnisse werden durch das Spielen geübt und gefestigt. Selbstwertgefühl, Selbstbestätigung, Denk- und Merkfähigkeit und Kreativität entwickeln sich, Verantwortung für sich selbst und andere wird übernommen. Das Einhalten von Regeln und Aushalten von Enttäuschung und Misserfolg wird erprobt und das Einfühlungsvermögen geschult.

… wird im Garten zum Abenteuer

Wenn Sie einen Garten haben, lässt sich dieser wunderbar zum Spielen, Lernen und Bewegen nutzen: Das Kind kann im Garten helfen. Beim Ernten, Mähen und Gärtnern geben kleine Handreichungen Kindern enorme Bestätigung. Im Sommer kann ein Zelt aufgestellt werden, das das Kind als „eigenes kleines Haus“ entdecken kann.

… geht auch in der Stadt

Auch Stadtkinder, die keinen eigenen Garten haben, brauchen das Spielen im Freien. Parks und Spielplätze sind beliebte Anlaufstellen, aber auch Seen, Schwimmbäder, ein Wald oder ein Bach können wertvolle Anregungen und Spielmöglichkeiten bieten. Ein eigener

Blumenkasten auf der Fensterbank gibt Kindern die Möglichkeit, einen eigenen kleinen „Kräutergarten“ anzulegen und die Pflanzen zu beobachten.

Darauf sollte man achten:

• Ein Kind braucht Freiräume und muss auch mal etwas wagen dürfen. Eltern sollten daher nicht bei der kleinsten Gefahr herbeistürzen oder ihr Kind ständig vor möglichen Gefahren warnen. Es muss also zwischen Freiraum und Grenzen abgewogen werden, sodass das Kind lernt, Risiken selber einzuschätzen.

• Allerdings sollte der eigene Garten auf mögliche Gefahrenquellen hin untersucht werden: Giftige Pflanzen, morsche Bäume, Draht und Gartengeräte können für ein Kind gefährlich werden. Hier gilt es, zu überprüfen, wo Vorsichtsmaßnahmen nötig sind. Gewächse wie Eisenhut oder Tollkirsche sollten entfernt werden, Gartenteiche

und Wassertonnen so geschützt sein, dass ein Kind nicht hineinklettern kann. Auch Gartengeräte sollten nicht frei herumliegen und von Eltern mit gebührender Vorsicht benutzt werden, denn so lernen Kinder schnell, dass es sich nicht um Spielzeug handelt.

• Die Gefahr von Wasser wird meist unterschätzt. An Pools oder anderen Schwimmgelegenheiten, Badeseen oder Wasserläufen dürfen Kinder nur unter Aufsicht spielen, erst recht, wenn sie noch keine geübten Schwimmer sind. Insbesondere Kleinkinder im Alter von ein bis vier Jahren sollten auch im Planschbecken oder im kleinen Bach auf keinen Fall unbeaufsichtigt gelassen werden.

• Sonnenschutz ist ein Muss: In den ersten zwölf Lebensmonaten sollte ein Kind keiner direkten Sonnenausstrahlung ausgesetzt sein und muss daher durch Schattenplätze und sonnengerechte Kleidung geschützt werden. Darüber hinaus sollten Kinder auch nach dem ersten Lebensjahr möglichst wenig direkte Sonnenbestrahlung abbekommen und ausreichend geschützt sein.

• Der Lärm von Menschen, die man gern hat, wird leichter ertragen als der Lärm von Unbekannten – versuchen Sie also, sich mit den Nachbarn in ihrer unmittelbaren Umgebung gut zu stellen, sodass diese entspannt reagieren, wenn es beim Spielen mal lauter wird.

Quelle: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung




Kinder brauchen ZEIT für ihre Ent-wicklung

Ein Plädoyer zur notwendigen Entschleunigung des Kita-Alltags

Schon seit vielen Jahren beklagen Kindheitsforscher, ganzheitlich orientierte Kinderärzte sowie zeitorientierte und wachsame elementarpädagogische Fachkräfte den Umstand, dass Kindern immer weniger Zeit zur Verfügung gestellt wird, um eigenen Interessen in Ruhe nachgehen zu können, eigene Vorhaben ungestört umzusetzen oder auch Zeiten zu genießen, ohne etwas Großartiges im Sinne einer bewegungsaktiven Handlung zu unternehmen. Das betrifft sowohl viele Kinder in ihrem Elternhaus als auch in zunehmendem Maße in von ihnen besuchten Kindertageseinrichtungen. Ein Blick in eine Reihe von Kindertageseinrichtungen macht dies deutlich, indem es festgelegte (starre) Tagesablaufstrukturen, fest verankerte Wochentagaktivitäten und ausgefüllte Tagespläne gibt, die den Aufenthalt der Kinder takten.

Kindheit braucht Zeit

Die Gründe für den Raub von Kinderzeiten sind vielfältig. Sicherlich haben sich einerseits die Lebensbedingungen und -umstände vieler Eltern und der elementarpädagogischen Fachkräfte – nicht zuletzt durch eigene biographische Erfahrungen in einer zunehmend immer stärker technisierten und sich im Wandel befindlichen Welt – verändert und beschleunigt. Andererseits hat die überaus starke und rasante Aufwertung des Begriffs der „frühkindlichen Bildung“ mit all ihren vielen Förderfacetten ebenfalls dazu beigetragen, dass sich in der Gestaltung der Elementarpädagogik Vieles, Grundlegendes verändert hat. Und das nicht nur zum Vorteil/ Wohl von Kindern. Gleichzeitig wurde bzw. wird dadurch allerdings der eigene Entwicklungszeitraum Kindheit zunehmend, teilweise vollkommen funktionalisiert, so dass das Zeitempfinden bei Kindern verkümmert, weil außengesteuerte Zeitrhythmen und Zeitmuster den Alltag der Kinder bestimmen. 

Zeit bewusst genießen und wahrnehmen

Zeit ist eines der 16 seelischen Grundbedürfnisse des Kindes (vgl. Krenz 2013). Sie ist eine äußerst wichtige Ressource, die dem Kind die Möglichkeit gibt, sich selbst als eine individuelle, unverwechselbare Person kennenzulernen und ebenso eigene Fähigkeiten wahrzunehmen als auch fehlende/ hinderliche Fertigkeiten zu bemerken, Beziehungen zu anderen Menschen, der Natur, zu Tieren und Gegenständen herzustellen und aufzubauen, Beziehungsqualitäten einschätzen zu können und zu differenzieren, Zu- und Abneigungen zu entwickeln, innewohnende Gefühle zu spüren und auszudrücken, besondere Interessen zu bemerken und diesen nachgehen zu können, persönliche Stärken und Schwächen tiefer gehend zu erkunden, individuell geprägte Stärken zu stärken und Chancen zu ergreifen, Schwächen zu schwächen, die eigene Selbstständigkeit auszubauen, mit der Zeit soziale Kompetenzen aufzubauen und somit einen sicheren Platz in seiner Lebenswelt zu entdecken, in der sich das Kind gut aufgehoben und wertschätzend behandelt fühlt.

Zeit- und Raumdiebe

Eine große Reihe von „Auffälligkeiten“ bei Kindern (wie z. B. regressive, aggressive, gewalttätige Ausdrucksweisen wie auch psychosomatische Erkrankungen) sind häufig eine Folge aus den drei großen entwicklungshinderlichen Bedingungsfeldern im Alltagsleben von Kindern. Erscheinungsformen eines irritierten Verhaltens bei Kindern zeigen sich aufgrund hauptsächlich folgender Zeit- und Raumdiebe:

–      Zerrissener Kinderzeiten

–      Eingeengter Kinderwelten/Kinderräume

–      Zerteilten Kinderlebens

Darin sind sich viele (inter)national tätige und forschende ErziehungswissenschaftlerInnen und Entwicklungspsycholog:innen aufgrund einer systemischen Betrachtung heutiger Kindheiten, kindeigener Ausdrucksformen und vorgegebener Entwicklungsbedingungen einig. Kurzum auf den Punkt gebracht bedeutet dies:


Was Kinder wirklich brauchen

In einer Zeit wirtschaftlicher und technologischer Wandlungen, veränderter Situationen des Wohnens und Zusammenlebens, in der mediale Konsumorientierung bereits das frühkindliche Leben mitprägt, sollten wir einmal einen Schritt zurücktreten und – ohne uns den modernen Möglichkeiten zu verweigern – darüber nachdenken, was unsere Kinder, seien es eigene oder im pädagogischen Rahmen anvertraute, zu einer positiven Selbstentwicklung wirklich brauchen.

Armin Krenz
Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik – Kinder sehen, verstehen und entwicklungsunterstützend handeln
Klappenbroschur, 200 Seiten
Burckhardthaus Verlag
ISBN: 978-3-944548-02-9
24,95 €


Erwachsene bieten Kindern immer mehr und immer häufiger Räume an, die in ihrer Gestaltung auf eine bestimmte Funktionalität ausgerichtet sind, Kindern werden Tätigkeiten von Erwachsenen – mit festen Erwartungsvorstellungen ausgestattet –vorgegeben, die Kinder möglichst zu erfüllen haben und dabei wird das Ganze in vorher festgelegten Zeiteinheiten eingebettet, in denen sich das Kind dem vorgesetzten Angebot zuzuwenden hat. Erfahrungsräume werden arrangiert, künstliche Situationen, die mit dem Alltagserleben des Kindes teilweise oder gar nichts zu tun haben, hergestellt (= Konfrontation mit einer Wirklichkeit aus 2. Hand), um Leistungen des Kindes mit zuvor erfassten Lernzielen in eine Übereinstimmung zu bringen.

Zeit: ein fortwährendes Thema

Schon im Jahre 1990 erschien in der Zeitschrift PSYCHOLOGIE HEUTE ein Artikel von Helga Zeiher unter dem Titel „Kindheit: organisiert und isoliert“ (Heft 2/1990), „DIE ZEIT“ berichtete vom „Ende der Kindheit“ (19.04.2000, Nr. 17) und in der Zeitung „Die Woche“ lautete die Überschrift eines lesenswerten Beitrags „Kaputte Kindheit“ (03.01.1997, Nr. 2). Schon vor über 2 ½ Jahrzehnten mussten sich also Eltern, ErzieherInnen und PolitikerInnen die Frage nach dem „Recht des Kindes auf den heutigen Tag“ von Janusz Korczak stellen und für Veränderungen sorgen. Der bekannteösterreichische Lehrer und Schriftsteller Ernst Ferstl hat offensichtlich leider Recht, wenn er meint: „Wir brauchen viele Jahre bis wir verstehen, wie kostbar Augenblicke sein können“. (Ferstl, E.: Kurz und fündig. Gedanken mit Tiefgang, 1995)

Anstatt sich den tatsächlichen Entstehungsbedingungen des erwartungswidrigen Verhaltens bei Kindern zuzuwenden, diese fachkompetent und differenziert zu identifizieren und nachhaltige, entwicklungsförderliche Bedingungen in Gang zu setzen, werden Kinder im Sinne eines medizinischen Modells klassifiziert und mit Begriffsetikettierungen bewertet, um sie als veränderungswürdig in Maßnahmen zu bringen, die bei ihnen eine Verhaltensänderung bewirken soll. Strukturelle, externe, institutionsbedingte, personale Ursachen werden dabei häufig ausgeblendet, so dass das Kind als Symptomträger in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt wird.

Prof. Dr. Klaus-Peter Brinkhoff hat das Thema „Kindheiten in der heutigen Zeit“ in seinem Beitrag „Kindsein ist kein Kinderspiel“ (in Mansel 1996, 25-59) mit zutreffenden Begriffen sehr deutlich auf den Punkt gebracht, wenn er unter anderem von einer abgefederten „Airbag-Kindheit“, einer gnadenlosen „Konsum-Kindheit“, einer beherrschenden „Medien-Kindheit“, einer mit allen Weltereignissen konfrontierten „Erste-Reihe-Kindheit“, einer früh angelegten „Karriere-Kindheit“, einer funktionsgestalteten „Insel-Kindheit“, einer künstlich angebotenen „Entsinnlichten Kindheit“, einer durch den Verlust der Kindheit geprägten „Gefährdete Kindheit“ und schließlich einer „Ungewissen Kindheit“ spricht. In allem ist ein roter Faden zu erkennen, der sich durch diese Begriffs-Kindheiten zieht: Kindern fehlt ihre Zeit, um mit Ruhe und in unstrukturierten Räumen eigene Erfahrungen zu sammeln, unbelastet von Erwachsenenproblemen und nicht mit fremdbestimmenden Vorgabestrukturen überfrachtet.  

Von Kindern lernen

Kinder benötigen ihr eigenes, für sie selbst noch nicht begreif- und erfassbares Zeitmaß (Jean Piaget), in/ nach dem sie ihre Wahrnehmungen und Beobachtungen nach subjektiven Bedürfnissen ausrichten und fokussieren dürfen, um sich mit ihrer selbstmotivierten Konzentration und intrinsisch gelenkter Aufmerksamkeit ihrem eigenen Attraktivitätsobjekt -handeln zuwenden können. Überall dort, wo solche Wahrnehmungsprozesse im Kind unterbrochen oder gar unterbunden werden, bleibt im Kind eine unfertige, unbearbeitete Situation vorhanden und sorgt im weiteren Verlauf für halbherzige oder nicht vorhandene Aufmerksamkeit auf das neue Wahrnehmungsobjekt. NeurowissenschaftlerInnen stellen bei Kindern eine zunehmende Anhäufung von Stresshormonen (= biochemische Botenstoffe) durch besondere Belastungen fest, indem bei eher kurzzeitigen Belastungserlebnissen so genannte Katecholamine (Adrenalin + Noradrenalin) und bei dauerhaften Belastungen so genannte Glukokortikoide in der Nebenniere gebildet und freigesetzt werden. Über die weitere Vermittlung des Corticotropin-releasing Hormons wird Adrenocorticotropin freigesetzt, das wiederum die Synthese und Ausschüttung des Glukokortikoids Cortisol aus der Nebennierenrinde stimuliert. So entsteht im Kind der folgende Gefühlsimpuls: Flucht oder Kampf, Desinteresse bzw. Abwendung vom Angebot oder Auflehnung/ aggressive Abneigung gegen das, was das Kind um sich herum erlebt. ZEIT und RAUM würde eine solche verfahrene Situation erst gar nicht aufkommen oder sich zuspitzen lassen. (Ellneby, Y, Kinder unter Stress, 2001 / Carter, R., Das Gehirn, 2009)

Fragen, die daher im Sinne einer tatsächlichen Kindorientierung immer dringlicher im Sinne einer zeitgebenden Entwicklungsunterstützung angezeigt sind und in den Vordergrund gerückt werden müssen, lauten wie folgt: Was braucht das Kind an Unterstützung im Hinblick auf seine Interessen und Bedürfnisse? Welche aktive Begleitung braucht das Kind, um seine subjektiv ausgerichtete Neugierde ausdrücken und handelnd ausprobieren zu können? Womit kann dem Kind geholfen werden, um seine innewohnenden Ressortkompetenzen zu entdecken und diese handlungsaktiv in Erfahrung zu bringen?

Lernen heißt:  Alte Erfahrungen neu durchdenken. (Willy Möbius)

Um aus einer entwicklungsfeindlichen Beschleunigungspädagogik herauszufinden und zu einer entschleunigen Entwicklungsbegleitung der Kinder zu gelangen bedarf es vor allem folgender Umkehrschritte:

  1. Entsprechend der UN-Charta „Rechte des Kindes“ ist das Wohl des Kindes vorrangig vor allen anderen Gesichtpunkten zu berücksichtigen (Art. 3;1), einschließlich des Rechts auf Ruhe und Freizeit, Spiel und … Ruhe (Art. 31;1).
  2. Insofern darf auch das Thema Partizipation weder als ein zusätzlicher, funktional gestalteter Programmpunkt in die Bildungslandschaft aufgenommen sondern stattdessen muss Partizipation von Anfang an in die Alltagspädagogik als permanenter Bestandteil einer demokratischen Pädagogik integriert werden.
  3. Die Pädagogik muss erkennen, dass Kinder die Lehrmeister für alle pädagogischen Fachkräfte sowie die Ausgestaltung der Pädagogik und damit nicht Lehrprogramme der Ausgangspunkt für Lernprozesse sind.
  4. Die Grundlagen für eine kindorientierte und zugleich professionell gestaltete Elementarpädagogik sind aus den Erkenntnissen entwicklungspsychologischer Gesetzmäßigkeiten, der Bindungs- und Bildungsforschung abzuleiten und müssen damit modernistische Tendenzen in ihre Schranken verweisen.
  5. Es muss endlich zur Kenntnis genommen werden, dass Kindheiten ein eigener Entwicklungszeitraum mit eigenen Merkmalen ist und besondere Erfordernissen notwendig macht.
  6. Die Elementarpädagogik muss sich wieder als eigenständige Fachdisziplin verstehen und aus der Einverleibung durch die Schulpädagogik lösen.
  7. „Bildung“ muss als ein Prozess der Selbstbildung des Kindes verstanden werden – das erfordert eine völlige Ablösung von teilisolierten und nicht nachhaltigen Förderprogrammen.
  8. Wenn sich die elementarpädagogischen Fachkräfte als aktive Entwicklungsbegleiter/innen des Kindes verstehen, erübrigt sich auch das Wort „Förderung“, das eine „Bildung aus 2. Hand“ immer wieder auf’s Neue aktualisiert und das Kind weiterhin in Beschlag nehmen würde.      

Literatur:

Bertram, Hans (Hrsg.): Reiche, kluge, glückliche Kinder? Der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland. Beltz Juventa 2013

Bergmann, Wolfgang: Lasst eure Kinder in Ruhe! Kösel Verlag,  2011

Bergmann, Wolfgang: Das Drama des modernen Kindes, Beltz Verlag, 2006

Bühler-Niederberger, Doris: Lebensphase Kindheit. Beltz Juventa Verlag,  2011

Krenz, Armin: Kinder brauchen Seelenproviant. 6. Auflage, Kösel 2019

Krenz, Armin: Entwicklungsorientierte Elementarpädagogik. Kinder sehen, verstehen und entwicklungsunterstützend handeln. Burckhardthaus-Laetare, Körner Medien UG 2014

Renz-Polster, Herbert: Menschenkinder. Artgerechte Erziehung – was unser Nachwuchs wirklich braucht. 2. Auflage. Kösel 2016

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz, Honorarprofessor i.R., Wissenschaftsdozent für Entwicklungspsychologie und Elementarpädagogik




Emotionale Intelligenz Schritt für Schritt entwickeln

Warum ErzieherInnen und Eltern bei der Entwicklung der sozialen Kompetenzen der Kinder besonders gefordert sind

Jedes Kind bringt bei der Geburt sein unverwechselbares Temperament als emotionale Anlage mit auf die Welt. Es ist das Startpaket für seine lange emotionale Karriere. Schritt für Schritt entwickelt es die Vielfalt seiner emotionalen Fähigkeiten im alltäglichen Umgang mit seinen Eltern, seinen Geschwistern und den vielen Menschen aus seiner Umwelt, und zwar von frühester Kindheit an bis ins hohe Alter.

Nur wer die Herzen bewegt, bewegt die Welt!

Ernst Wiechert

Der emotionale Typus eines Kindes ist also angeboren; die Reifung zu einer emotional intelligenten Persönlichkeit ist jedoch sozial erworben. Erst aufgrund dieser einmaligen Mischung von Anlage und Umwelt entwickelt sich unsere Gefühlszentrale, das limbische System: von den überlebenswichtigen Basisfunktionen hin zu den höher entwickelten Fähigkeiten, die für unser komplexes soziales Miteinander erforderlich sind.

Emotionale Reaktionen sind sozial vermittelt

Da die meisten unserer emotionalen Reaktionen sozial vermittelt und somit individuell sind, gibt es für Eltern und Pädagogen viel zu tun. Denn wir alle müssen von klein auf lernen, unsere angeborenen Gefühle zu steuern, auf diejenigen unserer Mitmenschen zu reagieren und die Wertvorstellungen unserer Kultur zu respektieren. Gefühle bilden sozusagen die Gleise für den Zug des Lebens. Wenn sie in der Kindheit breit und stabil angelegt werden, dann ist ein Entgleisen sehr unwahrscheinlich.

Unsere Kinder brauchen im unsteten Fluss der gesellschaftlichen Veränderungen verlässliche Geländer. Wer glaubt, ein großes Wissensrepertoire allein reiche aus, um ihnen diese Sicherheit zu geben, der übersieht, dass zur Bildung im 21. Jahrhundert vor allem eine Schlüsselqualifikation gehört: emotionale Intelligenz. Ist diese gut ausgeprägt, so geht damit eine positive schulische Entwicklung einher. Umgekehrt bedeutet eine geringe emotionale Kompetenz jedoch einen Risikofaktor für die Schul- und Berufskarriere. Gefühle wirken demnach als Motor der geistigen Entwicklung eines Kindes.


Das Schatzbuch jetzt bei BurckhardtHaus

Viele Jahre lang hat die Pädagogik die emotionale Entwicklung der Kinder dem Zufall überlassen. Das hat traurige Konsequenzen: Etliche Kinder und Jugendliche leiden unter psychischen Erkrankungen wie Essstörungen oder Depressionen. Charmaine Liebertz fordert dazu auf, die Herzensbildung der Kinder zur wichtigsten Aufgabe zu machen. Dazu gibt sie neben gut verständlichen theoretischen Grundlagen über den aktuellen Stand der Hirnforschung auch viele praktische Tipps, stellt Spiele und Übungen zusammen, um die eigenen Emotionen kennen zu lernen, mit ihnen umzugehen, Empathie zu entwickeln und soziale Kompetenz zu erwerben.

Charmaine Liebertz: Das Schatzbuch der Herzensbildung – Grundlagen, Methoden und Spiele zur emotionalen Intelligenz. 200 Seiten, ISBN 978-3-96304-611-7, 20 €


Vernunft und Verstand sind eigebettet in die emotionale Struktur

Jeder Mensch meistert kritische Augenblicke, schwierige Phasen, gefährliche Versuchungen, dauerhafte Belastungen und ungünstige Lebensbedingungen umso besser, je ausgeprägter seine emotionale Intelligenz ist. Er vermag seine eigenen Gefühle und Reaktionen – ebenso wie die anderer – in verschiedenen Situationen einzuschätzen, zu handhaben und zu bewerten.

Die Hirnforschung lehrt uns heute, dass Vernunft und Verstand eingebettet sind in die emotionale Struktur des Menschen. Emotionale Reize wirken auf nahezu alle Bereiche der Großhirnrinde, die unsere Wahrnehmung und komplexen Denkabläufe steuert. Das limbische System bewertet und wägt alles, was wir tun, mit unserem emotionalen Erfahrungsschatz ab. Gedanken und Gefühle sind also im neuronalen Netzwerk eng miteinander verknüpft; sie funktionieren als ganzheitliche Einheit.

Den Umgang mit Gefühlen lernen

Wer in seiner Kindheit und Jugend gelernt hat, mit seinen Gefühlen und denen seiner Mitmenschen umzugehen, der vermag sein geistiges Potenzial voll auszuschöpfen, ohne zum Spielball seiner Emotionen zu werden. Kinder und Jugendliche mit hoher emotionaler Intelligenz verfügen über ein stabiles Selbstwertgefühl, über Problemlösungsstrategien, über ein inneres Krisenmanagement, und vor allem kennen sie Alternativen zu Gewalt und Drogen, um sich selbst zu spüren.

Eines ist jedoch besorgniserregend: Immer mehr Kinder beziehen ihre Identität aus der Interaktion mit zahlreichen Medien. Fernab vom realen Leben stattet sie die virtuelle Welt mit der ersehnten Omnipotenz aus und schenkt ihnen Beachtung. In dieser – etwa in Chatrooms oder Spielen erworbenen – künstlichen Identität verbringen sie oftmals mehr Zeit als in ihrer realen.

Pädagogen im Wettkampf mit virtuellen Erziehungsagenten

Im Wettkampf mit den virtuellen Erziehungsagenten, wie Fernsehen oder Computer, müssen wir Pädagogen mehr denn je den Respekt vor der Würde des Menschen, seine Fähigkeit zum Mitleid und seine emotionale Spannbreite im sozialen Miteinander fördern. Wir können uns nicht länger allein hinter den Strategien der Wissensvermittlung verschanzen und in Sachen Herzensbildung ein Ungenügend abliefern, während die Kinder orientierungslos nach starken Vorbildern suchen.

Das vielfältige Orchester der Gefühle braucht einen Dirigenten! Eine unserer wichtigsten Erziehungsaufgaben ist es, das Kind im Laufe seiner emotionalen Entwicklung zu einem kompetenten Dirigenten heranzubilden. Wir Eltern, ErzieherInnen und Lehrkräfte neigen oft dazu, dieses emotionale Wachstum als selbstverständlich, jede kleinste, neue Bewegung oder Wortschöpfung dagegen als Meilenstein in der kindlichen Entwicklung anzusehen.

Diesen Artikel haben wir aus dem Buch von Charmaine Liebertz „Spiele zur Herzensbildung“. Herzensbildung bedeutet, die Entwicklung des Kindes zu einem offenen, stabilen Erwachsenen, der das Leben als ein Miteinander versteht. Emotionale Intelligenz und das Zusammenspiel von Körper, Geist und Emotion sind der Schlüssel zu einem glückenden Leben. Mit zahlreichen leicht umsetzbaren Spielen, hilft Charmaine Liebertz, eigene Emotionen zu entdecken und soziale Kompetenzen aufzubauen und umzusetzen.

Charmaine Liebertz
Spiele zur Herzensbildung
Emotionale Intelligenz und soziales Lernen
80 Seiten, Broschur
ISBN: 978-3-944548-17-3
14,95 €

Dr. Charmaine Liebertz ist Heilpädagogin und Lehrerin. Sie war zehn Jahre lang wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Heilpädagogik an der Universität Köln. Lernen besteht für sie nicht nur aus dem Anhäufen von Fakten, sondern muss im Einklang von Körper, Herz, Geist und Humor geschehen. Dafür setzt sie sich in der Gesellschaft für ganzheitliches Lernen e.V. ein, die sie 1996 gründete.




Die nachhaltige Entwicklung des Kindes braucht professionelle Fachkräfte

Professionalität: Herausforderung und Notwendigkeit, um handlungskompetent zu agieren

Neben den prägenden Einflüssen der Eltern(teile) und dem weitgefächerten soziokulturellen Umfeld des Kindes hat auch die Kindertageseinrichtung mit ihrem individuell-spezifischem Konzept, ihrer Konzeption mit den entsprechend festgelegten Eckdaten, ihren MitarbeiterInnen und deren Haltung/Selbstverständnis/Arbeitsweise einen ganz erheblichen Einfluss auf die nachhaltige Entwicklung des Kindes, das in Abhängigkeit von den genannten Faktoren in entwicklungsförderliche oder –hinderliche Prozesse kommt. Dieser unverrückbaren Tatsache haben sich elementarpädagogische Fachkräfte zu stellen und damit immer wieder auseinanderzusetzen, um persönliche Verantwortung für das zu übernehmen, was um sie herum geschieht. .

Professionalität wird unterschiedlich diskutiert und definiert

Der Begriff „Professionalität“ wird im Berufsfeld der elementarpädagogischen Fachkräfte / Kindheitspädagog/innen seit über 25 Jahren – sicherlich auch durch die Qualitätsoffensive in Gang gesetzt – verstärkt in den Mittelpunkt der Pädagogik gerückt, verbunden mit sehr unterschiedlichen, sich ergänzenden aber auch sehr widersprüchlichen Frage- und Aufgabenstellungen, Ansatzmodellen, Hypothesen und Anforderungen an die Ausbildungsinstitutionen, Fort- und Weiterbildungsinstitute, die Träger sozialpädagogischer Einrichtungen und im Sinne einer Delegation von Erwartungen an die Fachkräfte selbst. Dabei ist es derzeit unmöglich, ein vollkommen einheitliches Bild zur „Professionalität im Beruf“ zu entwerfen, zumal die Betrachtungsweisen in der Theorie und Praxis von sehr unterschiedlichen Ausgangswerten und Sichtweisen ausgehen: mehr oder weniger fachlich, aus unterschiedlichen Haltungsrichtungen und aus sehr unterschiedlichen Absichten!  Dennoch soll an dieser Stelle versucht werden, „Professionalität im Beruf“ anhand von einzelnen, ausgewählten Grundüberlegungen fassbarer zu beschreiben, um den besonderen Wert des „Berufsbildes elementarpädagogischen Fachkräfte/Kindheitspädagog/innen“ und die enorme Bedeutung des elementarpädagogischen Handelns für die Kinder und eine humanistisch orientierte Gesellschaft – in Gegenwart und Zukunft – hervorzuheben.

Der Begriff „Professionalität“ leitet sich aus dem lateinischen Wort >professio< ab, was mit >Bekenntnis, Gewerbe, Beruf< übersetzt werden kann. Professionelles Denken und Handeln ist zweifelsohne ein unverzichtbares Element in jedem verantwortungsvollen Beruf – damit auch in der Elementar-/ Kindheitspädagogik. Professionalität ergibt sich aus der Summe vorhandener Spezialqualifikationen (a), einem wissenschaftlich fundiertes Sonderwissen, das über allgemeine Grundkenntnisse deutlich hinausgeht (b), durch eine tiefe, innere Bindung der Person zum Beruf und den Menschen, mit denen die Fachkräfte in Kontakt stehen – Abgrenzung: Beruf[ung] vs. Job- (c), durch eine entwicklungsförderliche Kommunikations- und Interaktionspraxis (d), eine lösungssuchende Handlungsorientierung auf der Grundlage humanistischer Werte (e) sowie ein gezieltes, fachgerechtes und fundiertes Vorgehen bei Handlungsvollzügen in der beruflichen Alltagsgestaltung (f) – im Gegensatz zu einem willkürlichen, emotional geleitetem Handeln auf der Grundlage unreflektierter und subjektiv festgelegter Maßstäbe.

Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden.

Hermann Hesse

Professionalität und fach-/sachkompetentes Handeln sind untrennbar miteinander verknüpft

Der überaus vielfältige Aufgabenbereich der Fachkräfte und die Menge der beruflichen Herausforderungen ergeben sich aus der ständigen Veränderung einer sich permanent wandelnden Gesellschaft, die ihre Auswirkungen auch in die sozialpädagogischen Einrichtungen hineinträgt und mit denen sich die Fachkräfte sowohl im beruflichen Alltag als auch bezüglich ihrer eigenen Lebenskonzepte und Lebensgestaltung auseinandersetzen müssen! So vielfältig die Ausgangsbedingungen und damit verbundenen Grundlagen für eine professionelle sozialpädagogische Arbeit sind (SGB VIII. Band; die länderspezifischen Kita-Gesetze und Bildungsrichtlinien; die UN-Charta „Rechte des Kindes“; Grundlagen der Entwicklungspsychologie [frühe Lebensjahre] sowie der Neurobiologie; ethnologische und anthropologische Kenntnisse; der Bildungs- und Bindungsforschung; Berufsbild der Kindheitspädagog/innen und deren spezifische Anforderungen), so notwendig ist es auch, diese zu kennen (!) und bejahend zu akzeptieren, dass diese Basisdaten in der praktischen Arbeit berücksichtigt und auch praktisch umgesetzt werden wollen. Dies gelingt nur, wenn aus einem von außen gesetzten >Sollen/ Müssen< ein innerlich bejahendes >Wollen< wird.

Wer immer nur funktioniert, entzieht sich dem Abenteuer des Lebens.

(Armin Müller-Stahl)

Elementare Herausforderungen an ein professionelles Handeln

Die früher häufig gebrauchte Aussage, „ja wenn die Eltern nicht mitarbeiten bzw. entwicklungshinderliche Einflüsse weiter bestehen bleiben, dann können wir als Kita auch nichts gravierend bewirken“, hat seit den bahnbrechenden Ergebnissen der Resilienz- und Genderforschung und dem hohen Bedeutungswert, der sich aus den Erkenntnissen der Bindungsforschung ergibt, keine Berechtigung mehr. So haben alle Kindertageseinrichtungen ganz besondere Querschnittsaufgaben zu erfüllen: a) Unterstützung der Individalentwicklung und der Selbstbildungsprozesse des Kindes, b) Realisierung einer Inklusion von Anfang an, c) Prävention durch eine offensive Ressourcenorientierung im Rahmen der pädagogischen Qualität, d) ein tatsächliches Partizipationserleben in alltäglichen Situationen statt pseudorelevanter Einzel“projekte“ , e) eine humanistisch geprägte Werteorientierung durch Alltagserfahrungen, f) Kooperation im Innen- und Außenbereich in einer konstruktiven Vernetzung mit allen bedeutsamen Personen/ Institutionen. Um diese vielfältigen, fachlich notwendigen und komplexen Aufgaben erfüllen zu können bedarf es ganz bestimmter Kompetenzen, die sich nur durch ein professionelles Handeln ausdrücken können.

Die Welt gehört dem, der in ihr mit Heiterkeit nach hohen Zielen wandert.

(Ralph Waldo Emerson)

Fachlich-personale Kompetenzen, die eine Professionalität ermöglichen

Neben einer hohen Fachkompetenz (auf der Grundlage eines breiten Wissensspektrums), einer innovativen Perspektivübernahme (was ist jetzt und demnächst wirklich not-wenig?) und einem visionären Weitblick (was darf nicht aus dem Auge verloren werden?), einem Interesse an einer nachhaltigen Selbstbildung für sich ganz persönlich, der Kunst einer Selbstmotivation (wie bekomme ich hier und jetzt „die Kuh vom Eis“?), einer mutigen, offensiven und wahrnehmungsoffenen, berufsbegleitenden Selbstreflexion (über eigene, selbst gesetzte Grenzen gehen und sich auf unbekanntes Terrain wagen), einer angemessenen Identifizierung mit der Einrichtung und deren Zielsetzungen, einer Ziel-, Lösungs- und konstruktiven Aufgabenorientierung (thematisieren, ändern statt klagen), einem gerechten und fairen Verhalten (Verabschiedung von eine Sieger-/Verlierermentalität) , einer differenzierten Betrachtung alter und neuer Aufgabenstellungen (was hat fachlich betrachtet und begründet Bestand, was nicht?), einer ständigen Überprüfung eigener Handlungsauswirkungen (welche Folgen hat das eigene Verhalten – für sich selbst und auf andere?), einem Interesse an berufspolitischen Fragestellungen (Mitwirkung bei Professionalitätdebatten), einer realistischen Einschätzung eigener (In)kompetenzen sowie einem Veränderungswillen, Schwächen in Stärken zu wandeln zeigt sich Professionalität immer wieder im Prozess eines entdeckenden Alltaglernens, einem kritischen Hinterfragen von Routinen und Gewohnheiten, wo auch Misserfolge als hilfreiche Erfahrungen betrachten werden. Kollegiale Konkurrenz ist dabei ebenso ein Fremdwort wie Problemverschiebung oder Verantwortungs-/ Schuldelegation, Harmoniebestreben, Starrheit oder Konfliktverstärkung, Veränderungsangst oder Toleranz. So geht es immer wieder darum, Wesentliches von Unwesentlichem, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, über den eigenen „Zaun“ zu schauen, Mitwirkungsrechte umfassend/ mutig zu nutzen und selbstbewusst den täglichen Anforderungen entgegenzugehen.

Das Staunen ist der Anfang der Erkenntnis.

(Platon)

Schwierigkeiten stehen einer geforderten Professionalität nicht selten im Weg

So berechtigt diese Merkmale und Forderungen sind, so schwierig ist es oftmals, diese auch umzusetzen, weil unterschiedliche Hindernisse dabei entgegenwirken (können). Seien es Schwierigkeiten, die auf der individual-personalen Ebene liegen (persönlich geprägte Vorlieben/ Abneigungen/ Vorurteile gegenüber Unbekanntem, eine eingeschränkte Belastbarkeit, Ziellosigkeit durch Unwissen, Persönlichkeitsstörungen unterschiedlicher Art, fehlende/ eingeschränkte Berufsmotivation, festgefahrene Routinemuster, Theoriefeindlichkeit, …) oder durch einen überhöhten Erwartungsdruck bzw. unberechtigte, öffentliche Anspruchshaltungen an die Gestaltung der Alltagspädagogik (durch Eltern, Grundschulen, Kinderärzte, Fachberater/innen …), bei dem der Eindruck entsteht, alle wollen auf die Arbeit ihren Einfluss geltend machen. Oder durch ungünstige Rahmenbedingungen, die eine partizipatorische, humanistisch orientierte und fachlich erforderliche Pädagogik stark einschränken bzw. unmöglich machen (eingeschränkte Finanzen, ungünstige Personalbesetzung, fehlende Unterstützung bei Fort-/ Weiter-/ Zusatzausbildungswünschen …), durch immer wieder neue pädagogische Zielsetzungen, deren Berechtigung im Einzelfall genau (!) und sachlich-undogmatisch geprüft werden muss (u.a. Lerntagebücher; die unüberschaubare Fülle an teilisolierten Förderprogrammen im kognitiven, motorischen und sozialen Bereich, zu häufige Entwicklungsberichte; Qualitätsmanagementverfahren, die sich durch die Fülle der Dokumentationen ad absurdum führen; funktionalisierte Portfolios, …), durch bildungspolitische Strömungen, die wie Eintagsfliegen plötzlich den pädagogischen Horizont durchschweben oder durch  bestimmte Dienstanweisungen vom Träger, die in manchen (vielen?) Fällen auch fachlich unberechtigt und kontraproduktiv sind. Schließlich können massive Störungen im Kollegium (ausgelöst oder verursacht durch einzelne KollegInnen) das gesamte Arbeitsklima vergiften und ein professionelles Handeln im Beruf sehr erschweren, zumal dann, wenn keine regelmäßigen Supervisionssitzungen oder Coachings zum festen Bestandteil einer Berufsausübung gehören. Doch die zuvorderst bestehende Grundschwierigkeit in einer praxisrelevanten Professionalität besteht darin, dass pädagogische Forderungen, die elementarpädagogische Fachkräfte zu erfüllen haben, dadurch massiv erschwert werden, wenn Arbeitsvorgaben/ -erwartungen mit selbst erlebten Einschränkungen unvereinbar sind (z.B. eine erwarte Loyalität zum/vom Arbeitgeber vs. Freiheit eigener Entscheidungen, Fremdbestimmungen vs. Selbstbestimmung, Schulorientierung der Elementarpädagogik vs. emotional-soziale Stabilisierung des Selbstwertgefühls der Kinder, Schulung/ Training von Fertigkeiten vs. kindgerechter Aufbau von Fähigkeiten, Bildung aus II. Hand vs. Bildung aus I. Hand, unzureichende Bezahlung der Fachkräfte vs. intrinsisch motivierte Arbeits- und Lernfreude).

Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt. Der andere packt sie kräftig an … und handelt.

(Dante Aligheri)

Professionalität und Identität sind aufs Engste miteinander vernetzt

Pädagogische Zielsetzungen für Kinder können nur dann erreicht werden, wenn dieselben, emanzipatorisch-humanistisch Zielsetzungen für Kinder auch von den Fachkräften in den eigenen, alltäglichen Arbeitserfahrungen praktisch erlebt werden können.

Professionalität und Identität der Person (als Fachkraft) sind aufs Engste miteinander verknüpft und können nicht voneinander losgelöst betrachtet werden. Um sein Gegenüber und seine Lebenswelt zu verstehen setzt Professionalität voraus, zunächst immer wieder (berufsbegleitend) sich selbst zu betrachten, die eigene Persönlichkeit und das aktuelle Handeln in biographischen Zusammenhängen zu verstehen und immer wieder neu gewonnene Erkenntnisse im Sinne der eigenen Entwicklung produktiv zu nutzen. Um Entwicklungs- und Bildungsprozesse anderer zu initiieren und zu begleiten bedarf es einer eigenen Selbstaktivierung und Begleitung eigener Bildungsprozesse.

Professionalität entsteht in einer systematischen Dynamik von innen nach außen.

D.h.: vom Ich zum DU, so wie auch jede Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen nur und ausschließlich von der Personqualität zur pädagogischen Qualität bei einer entwicklungsförderlichen Strukturqualität geschieht. Professionalität entwickelt sich stets durch den Auf-/ Ausbau von

a) Selbstkompetenzen (z.B. durch ein stabiles Selbstwertgefühl, Offenheit gegenüber Neuem, Neugierde auf neues Wissen und neue Erkenntnisse aus den unterschiedlichen, wissenschaftlichen Fachdiziplinen, Selbstmotivation bei Arbeitserfordernissen, Freude an Selbsterfahrung, selbstaktive Erweiterung der eigenen Lernkompetenz, ein hohes Maß an Angstfreiheit, Selbststeuerungskräfte, Konzentration auf Wesentliches, Nutzung von erlebtem Stress als Kraftimpuls für Lösungsorientierungen…)

b) Sachkompetenzen ( z.B. Selbstständigkeit bei der Umsetzung von Arbeitsvorhaben, Lösungsorientierung statt Problemfixierung, Innovationsfreude, kritische Auseinandersetzung mit alltäglichen Anforderungen, Umsetzung des innerlich integrierten Wissens, sach-, methoden- und zielkompetente Umsetzung von notwendigen Erfordernissen, Lernumgebungen erkunden und förderlich-partizipatorisch mitgestalten, Zielsetzungen aufstellen und systematisch umsetzen, Konzepte einer humanistisch-pädagogisch ausgerichteten Qualitätsentwicklung aktiv unterstützen…) 

c) Sozialkompetenzen (z.B. Neugierde auf Menschen, Wahrnehmungsoffenheit im Umgang mit Kindern, Eltern und Kolleg/innen, eine konstruktive Kommunikationskultur, Vorurteilsfreiheit und Akzeptanz einer gesellschaftlichen Vielfalt, Besitz einer fühlenden Empathie, Umsetzung soziokulturell bedeutsamer Werte [statt einer Normorientierung], Konflikt(lösungs)kompetenz, Gruppenprozesse systemisch erfassen und konstruktiv mitgestalten, Inklusion authentisch bejahen, Pflege einer stimmigen Teamarbeit…)

Man muss ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern.

(Ernst Bloch)

Professionalität erfordert ein allseitiges Interesse an Entwicklung!

Wenn Professionalität – wie häufig in verschiedenen Veröffentlichungen und öffentlichen Diskussionen festzustellen ist – primär als „formales Modell“ mit einer „Akademisierung“ gleichgesetzt wird, so greift diese Betrachtung zu kurz! Vielmehr geht es um eine „Qualität von Beruflichkeit“, die sich durch hohe, anspruchsvolle Kompetenzen ausweist. Professionalität wird sich dort entwickeln (können), wo Fachkräfte eine qualitativ hochwertige Ausbildung absolvieren können und permanente Weiterbildung wahrnehmen. Fachkräfte stellen sich zugleich den beruflichen Anforderungen  und erfüllen diese mit Menschlichkeit und gutem, aktuellem Fachwissen. Außerdem bestehen in professionell gestalteten Einrichtungen überwiegend Strukturbedingungen, in denen auch eine Professionalität der Fachkräfte (von Seiten des Trägers/ den Fachberater:innen) wirklich gewünscht ist und darüber hinaus nicht nur ein Lippenbekenntnis von Wissenschaft/ Politik/ ministerieller oder trägerspezifischer Seite bleibt. Last not least haben auch die unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen zu lernen, ihre Erkenntnisse und Forderungen mit der PRAXIS zu verbinden, Träger und alle tarifverantwortlichen Kräfte haben dafür zu sorgen, dass Fachkräfte mit ihrer professionellen Tätigkeit entsprechend ihrer bedeutsamen Arbeit angemessen entlohnt werden und Arbeitsbedingungen vorfinden, die ein professionelles Alltagshandeln erst ermöglichen bzw. erleichtern. PROFESSIONALITÄT ist kein isoliertes Vihiculum, das sich nur auf Kindheitspädagog/innen zubewegt.

Das Anmahnen von entwicklungsförderlichen Bedingungen darf aber nicht zum Alibi auf Seiten der Fachkräfte vorgebracht werden, es könne wegen ungünstiger Bedingungen keine Professionalität aufgebaut/ weiterentwickelt werden. Professionalität verlangt Eigeninitiative, Selbstständigkeit und immer wieder Selbstmotivation sowie die feste Gewissheit, dass eine Professionalitäts(weiter)entwicklung mit eigenen Schritten beginnt und nur durch diese auch ausgebaut/ nachhaltig stabilisiert wird. Nur so. Dazu gehört gerade in dieser sehr diffusen und wirtschaftsgeprägten „Welt der Kleinkindpädagogik“, in der zunehmend wirtschaftsgeleitete Funktionsträger (zumeist Nichtpädagogen) das elementarpädagogische Ruder an sich reißen (wollen) und die Fahrtrichtung vorgeben, eine sich noch stärker zu bildende Lobby an professionellen Kindheitspädagog/innen, die nicht alles mit sich machen lassen sondern in professioneller Manier denen die „Rote Karte“ zeigen, die den Kindern das lebendige Alltagsleben immer mehr zerstören und Kindheitspädagog/innen den Weg einer „Entwicklung von Professionalität“ versperren.      

Die mächtigste Kraft der Welt ist eine Idee, deren Zeit gekommen ist.  

(Victor Hugo)   

Literaturhinweise

von Balluseck, Hilde (Hrsg.): Professionalisierung der Frühpädagogik. Perspektiven, Entwicklungen, Herausforderungen. Verlag Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hills 2008

Krenz, Armin: Grundlagen der Elementarpädagogik. Unverzichtbare Eckwerte für eine professionell gestaltete Frühpädagogik. Burckhardthaus-Laetare Verlag, München 2014

Krenz, Armin: Elementarpädagogik und Professionalität. Lebens- und Konfliktraum Kindergarten: Grundsätze zur Qualitätsverbesserung in Kindertagesstätten. Burckhardthaus-Laetare Verlag, München 2013

Krenz, Armin: Elementarpädagogik aktuell. Die Entwicklung des Kindes professionell begleiten. Burckhardthaus-Laetare Verlag, München 2013

Krenz, Armin (Hrsg.): Psychologie für Erzieherinnen und Erzieher. Cornelsen Verlag, 3. Aufl. 2016 (Kapitel I: Die Erzieherin im psychologischen Kontext;/ Kapitel IV: Psychologie als persönlicher Gewinn)

Rudow, Bernd: Beruf Erzieherin/ Erzieher – mehr als Spielen und Basteln. Arbeits- und organisationspsychologische Aspekte. Münster 2017

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz, Honorarprofessor a.D. , Wissenschaftsdozent für Entwicklungspsychologie und Entwicklungspädagogik




Die Psyche der Mutter ist für die Entwicklung des Kindes wichtig

Internationale Studie belegt: Bei Problemen im Elternhaus wirken bereits geringe Veränderungen

Laut Studienleiter Gustaf Gredebäck von der Uppsala University http://uu.se/en und dem Uppsala Child and Baby Lab http://bit.ly/30LlcmU reichen bereits sehr geringe Veränderungen aus, um diese Wechselwirkung zu durchbrechen, damit Kinder zur normalen Entwicklungsstufe zurückkehren.

Bhutan, Türkei, Schweden

Von vielen Menschen umgeben zu sein und in einer Gemeinschaft zu leben, sind in allen drei Ländern die wichtigsten Faktoren für Hilfe an Kindern. Gredebäck nach gewinnt ein Kind statistisch ein ganzes Jahr seiner kognitiven Entwicklung, wenn sich die psychische Gesundheit der Mutter um vier Prozent verbessert. Die Forschung wurde mittels Interviews und experimenteller Studien vor Ort in Bhutan, der Türkei und Schweden durchgeführt.

In Schweden und Bhutan nahmen 120 Familien mit neun bis zehn Monate alten Säuglingen daran teil. In der Türkei gehörten 100 Familien, die aus Aleppo in Syrien geflohen waren, zu den Studienteilnehmern. Sie hatten Kinder zwischen sechs und 18 Jahren. In Schweden waren Familien mit kleinen Kindern die primären Teilnehmer der vom Uppsala Child and Baby Lab durchgeführten Forschungsarbeit. In Bhutan wurden die Daten in Zusammenarbeit mit der Faculty of Nursing and Public Health und der Khesar Gyalpo University of Medical Sciences of Bhutan gesammelt. In der Türkei wurden die Untersuchungen mit Unterstützung von Forschern des Department of Peace and Conflict Research der Uppsala University durchgeführt.

Intelligenz nicht beeinträchtigt

Ein gemeinsames Ergebnis für die Familien in allen drei Ländern war, dass mehrere der kognitiven Fähigkeiten der Kinder durch die psychische Gesundheit der Mütter beeinflusst wurden. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um eine Flüchtlingsfamilie in Syrien oder eine Familie in einem sicheren Umfeld in Schweden handelte. Die Kindesintelligenz blieb gleich.

Vielmehr waren die Aufmerksamkeit, das soziale Verständnis und die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, beeinträchtigt. Die individuellen Rahmenbedingungen der Mutter können die Lage noch verschlechtern. Die Auswirkungen auf das Kind sind größer, wenn die Mutter über ein geringes Bildungsniveau verfügt, die soziale Unterstützung gering ist, wenn sich die Mutter sich diskriminiert fühlt und der soziale Status gesunken war.

Bessere Unterstützung gefordert

Es gibt jedoch klare Maßnahmen, die eine Gesellschaft ergreifen kann, um die Situation einer Mutter und ihr Wohlbefinden zu verbessern und so die Auswirkungen auf das Kind zu verringern, heißt es. Unterstützung durch den Partner, eine große Familie oder ein großes soziales Netzwerk und dass die Gesellschaft sich zusammentut und die Mutter unterstützt.

„Alle diese Kulturen verfügen über Aspekte, die positiv sind. In Schweden gibt es individualistische Umfelder. Wir verfügen zum Beispiel über mehr Geschlechtergerechtigkeit. Die Möglichkeit einer Elternzeit kann erleichternd sein. Gleichzeitig haben wir nur wenige natürliche Versammlungsorte für Verwandte und soziale Situationen. Das ist in den Gruppen in den anderen Ländern viel stärker. In Bhutan hilft zum Beispiel das aktive religiöse Leben ziemlich viel. Dort gibt es eine starke Verbindung zur Religion und viele Menschen nehmen mehrmals in der Woche an religiösen Treffen teil. Das bringt eine Routine für regelmäßige Treffen mit anderen Menschen und eine umfangreiche soziale Unterstützung“, so Gredebäck. Die Forschungsergebnisse wurden in „Developmental Science“ veröffentlicht.

Moritz Bergmann/pressetext.com