„MACHMAMIT! Finde, was deins ist“ – Kampagne Kulturelle Bildung 2023

mach-mit

Beteiligungsaufruf für interaktive bundesweite Karte mit Orten Kultureller Bildung

Unter dem Motto „MACHMAMIT! – Finde, was deins ist“ setzt die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) zusammen mit ihren Mitgliedern und dem Flächennetzwerk Kulturelle Bildung die Kampagne Kulturelle Bildung 2023 um, damit die vielfältigen Angebote und Orte Kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche besser sichtbar werden.

Herzstück der Kampagne Kulturelle Bildung 2023 ist eine digitale Karte auf der Website www.machmamit.de.

Zielsetzung ist, erstmalig bundesweit alle Orte der Kulturellen Bildung darzustellen, damit Kinder und Jugendliche nahegelegene Einrichtungen in ihrem Wohnort leichter auffinden und sich aktiv über lokale Angebote informieren können.

Die Kampagne ruft hierzu Kunst- und Musikschulen, Kulturzentren und -vereine, Museen und Bibliotheken, Opernhäuser und Theater, (offene) Jugendzentren, Initiativen sowie Einrichtungen des sozialen Bereiches zur Beteiligung auf. Mit einem Eintrag in der Karte können öffentliche Bibliotheken und andere interessierte Akteure aufzeigen, dass sie Orte Kultureller Bildung sind und junge Menschen bei ihnen Unterstützung für ihre Ideen und ihre Kreativität finden.

Weitere Informationen

Kampagnenseite „MACHMAMIT! – Finde, was deins ist“

Eintragsformular für die interaktive Karte für Orte Kultureller Bildung

Hintergrundinformationen, Fortbildungsangebote und begleitende Veranstaltungen

Quelle: Pressemitteilung Regierungspräsidium Karlsruhe




Keinen Bock auf Arbeit? Dann werden Sie doch Lehrer!

Baden-Württembergs Kampagne zur Gewinnung neuer Lehrkräfte fällt vor allem negativ auf

„GELANDET UND GAR KEINEN BOCK AUF ARBEIT MORGEN? HURRAAA! MACH WAS DIR SPAß MACHT UND WERDE LEHRER*IN.“, steht am Stuttgarter Flughafen in großen Lettern auf einem Plakat der Landesregierung Baden-Württemberg zu lesen. Auf der Website des Kultusministeriums im sogenannten „Ländle“ gibt es dann unter https://www.lehrer-in-bw.de/ einen „Quick-Check“, mit dem sich herausfinden lässt, wie die Angesprochenen möglichst schnell in den Schuldienst eintreten können. Auch für Menschen ohne Berufsausbildung gibt es einige tolle Angebote: „NIIICE! DU KÖNNTEST VERTRETUNGSLEHRKRAFT ODER UNTERSTÜTZUNGSLEHRKRAFT WERDEN ODER GEFLÜCHTETE UND NEU ZUGEWANDERTE KINDER UND JUGENDLICHE UNTERRICHTEN. – JETZT BEWERBEN“, steht hier zu lesen.

Hauptsache auffallen

Laut Spiegel online erklärt ein Sprecher des Kultusministeriums in Baden-Württemberg zur Kampagne, dass man schließlich auffallen müsse. Die Slogans seien bewusst so gewählt worden, um Aufmerksamkeit zu erregen. „Man muss schließlich auffallen, und das tun etwa die Plakate. Das ist gut, und es funktioniert auch.“

Selbstverständlich wirft die Aussage in solch einem Zusammenhang die Frage nach dem Bewusstsein der gesamten Landesregierung im so genannten „Ländle“ auf, deren grüner Ministerpräsident (Foto), der Lehrersohn Winfried Kretschmann, selbst gelernter Gymnasiallehrer ist, aber eben schon lange nicht mehr unterrichtet hat.

Der Grundschulverband, der für die Interessen der Schülerinnen und Schüler eintritt, hat dazu eine Stellungnahme publiziert:

Das sitzt. „Da schlägt sie einem knallhart ins Gesicht, eine mangelnde Wertschätzung gegenüber Lehrerinnen und Lehrern, die gerade in Zeiten des massiven und lang anhaltenden Lehrkräftemangels täglich bis an ihre Grenzen und oft auch darüber hinaus gehen.

Ja, der Grundschulverband teilt uneingeschränkt die Sorge des Kultusministeriums im Hinblick auf die Mangelmisere. Und unterstützt den Ansatz, dass alles getan werden muss, um diesen Missstand zu beheben. Wirklich alles?

Berappelt man sich, nachdem es einem erst einmal die Sprache verschlagen hat ob dieser fragwürdigen Äußerungen der Werbekampagne, dann scheint es dringend geboten, zwei zentrale Fragen aufzuwerfen:

  1. Wer fühlt sich von dieser Kampagne angesprochen?
  2. Sind damit die Lehrkräfte angesprochen, die Grundschulkinder brauchen, die ihrerseits das Recht auf eine allseitige und grundlegende Bildung haben?

Bereits im Verteidigungsmodus angekommen, führt das Kultusministerium an, es hätten sich schon nach wenigen Tagen 8000 Interessierte auf die Kampagne hin gemeldet.

„Keinen Bock auf Arbeit morgen?“ Wollen wir ernsthaft Menschen an unseren Schulen wissen, die „keinen Bock auf Arbeit“ haben? Neben aller notwendigen pädagogischen und fachlichen Qualifizierung von Quer- und Direkteinsteigerinnen und -einsteigern kommt es zuvorderst auf die Haltung und Einstellung an, mit der die Aufgabe, den Bildungs- und Erziehungsauftrag für Kinder zu erfüllen, angegangen wird. Die Haltung, die mit den Plakaten der Kampagne angesprochen wird, kann und darf es ganz sicher nicht sein! Kinder – zumal im Nachgang zu Corona – brauchen Menschen und Lehrkräfte, die sich nach Kräften zugewandt und umfänglich um ihre allseitige Bildung und Erziehung bemühen. Das ist kein „Job“, den man im Schmalspurmodus nebenher erledigt!

Ja, es braucht die Anstrengung aller, die im Bildungssystem Verantwortung tragen, Möglichkeiten zu suchen, den Lehrkräftemangel zumindest abzusoften (behoben werden kann er mit allen bereits angedachten und noch folgenden Maßnahmen sehr wahrscheinlich ohnehin nicht). An dieser Suche beteiligt sich der Grundschulverband auch gerne weiterhin.

Und nein – so geht‘s nicht! Hier schließt sich der Grundschulverband der Kritik der anderen Verbände uneingeschränkt an. Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an edgar.bohn@gsv-bw.de.“

Anmerkung der Redaktion

Zum Vorgehen der grün-schwarzen Landesregierung ließe sich sehr viel sagen. Bietet sie doch einen tiefen Einblick in die Gemütslage dieser Politikerinnen und Politiker, vor allem der grünen Kultusministerin Theress Schopper (Foto). Immerhin sind der Landesregierung zwei Dinge gelungen. 1. Sie fällt auf. 2. Sie hat richtig gegendert. Ansonsten hat sie mit Ihrer Missachtung gegenüber Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften einen echten Skandal produziert, der vor allem einen enormen Dilettantismus im Bereich Bildung und Bildungspolitik offenbart.

Einerseits leistet sich „The Länd“ noch immer ein aufwendiges Lehrerstudium, in dem anders als in anderen Bundesländern, ein Referendar aufgrund der subjektiven Entscheidung zweier Prüfer an einem einzigen Tag durch eine Lehrprobe der Zugang zum Lehrerberuf verweigert werden kann. Andererseits bedarf es wohl aus Sicht dieser Landesregierung kaum einer Qualifikation, um Kinder zu unterrichten. Gerade bei Kindern, die eben zugewandert sind, scheint der Bedarf an Qualifikation besonders niedrig zu sein. Dabei bräuchten doch gerade die Schwächsten im Bildungssystem, eine besondere Aufmerksamkeit durch unsere Gesellschaft.

Eine wesentliche Kompetenz, die den Machern dieser Kampagne zudem zu fehlen scheint, ist „soziale Kompetenz“. Letztlich ist ihr Handeln aber auch nur das Ergebnis einer über viele Jahrzehnte hinweg kurzsichtigen Bildungspolitik, die es sich bis zum heutigen Tag leistet, an unseren wichtigsten Gütern, den Kindern und ihrer Bildung, zu sparen, um damit unser aller Zukunft zu verspielen. Das muss endlich aufhören.

Gernot Körner




Kitas als Integrationsmotor besser aufstellen

Sachverständigenrat für Integration und Migration empfiehlt bessere Berücksichtigung von Kindern mit Migrationshintergrund

Mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz wurden in der frühkindlichen Bildung auch deutliche Fortschritte erzielt. Unter anderem wurde die Sprachbildung für Kinder mit Zuwanderungsgeschichte in den vergangenen zehn Jahren ausgebaut. Eine Kurzinformation des wissenschaftlichen Stabs des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) zeigt jedoch, dass die Bedarfe zugewanderter Kinder noch nicht hinreichend berücksichtigt werden. Damit die Kita Integrationsmotor wird, müsse laut SVR der Zugang für die Zielgruppe verbessert und Maßnahmen zur Qualitätssicherung gezielter ausgerichtet werden.

Familien mit Zuwanderungsgeschichte können entscheidend von der Förderung durch frühkindliche Bildung profitieren.

Untersuchungen zeigen, dass Kinder, die mit einer anderen Familiensprache und in einer weniger anregenden Lernumwelt aufwachsen, nach einem längeren Kitabesuch etwa mehr sprachliche Kompetenzen entwickelt haben und in der Schuleingangsuntersuchung allgemein eher als schulreif befunden werden, als wenn sie keine oder nur kurz eine Kita besucht haben. Zudem können Eltern, die mit dem deutschen Bildungssystem noch nicht vertraut sind und denen am Wohnort persönliche Netzwerke fehlen, besser beraten werden. Und mit dem Wissen, dass ihre Kinder gut betreut sind, auch ihre eigenen beruflichen Ziele eher verfolgen.

„Kinder, die erst kurz vor der Einschulung systematisch mit der deutschen Sprache vertraut gemacht werden, haben bei Schulbeginn nicht dieselben Startchancen wie andere Kinder. Die Kindertagesbetreuung leistet hier einen ganz entscheidenden Beitrag für die frühzeitige Verringerung von herkunftsbedingten Bildungsungleichheiten. Das ist seit langem schon Konsens. Doch trotz der vielen Maßnahmen, die in den vergangenen zehn Jahren auf den Weg gebracht wurden, sind Kitas nach wie vor nicht ausreichend für den Normalfall Vielfalt aufgestellt“. Das erläutert Dr. Mohini Lokhande, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim SVR. „Die Analyse der auf Bundesebene aufgelegten Programme in der frühkindlichen Bildung zeigt, dass in den vergangenen zehn Jahren in vielen Bereichen Fortschritte erzielt wurden. Gleichzeitig ist aber deutlich geworden, dass nicht alle davon in gleichem Maße profitieren. Vor allem Kinder mit Zuwanderungsgeschichte sind nach wie vor benachteiligt.“

2020 konnten bundesweit vier von zehn Kindern ohne Zuwanderungsgeschichte unter drei Jahren eine Kita besuchen.

Bei den Gleichaltrigen aus zugewanderten Familien waren es nur zwei von zehn. Auch bei den Kindern über drei Jahren gibt es einen deutlichen Unterschied: Während fast jedes Kind ohne Migrationshintergrund eine Kita besucht, sind es in dieser Alterskohorte nur vier von fünf Kindern mit Zuwanderungsgeschichte.

„Ein Vergleich von Bedarfs- und tatsächlichen Betreuungsquoten zeigt, dass Familien mit Zuwanderungsgeschichte zwar ein Interesse an Kinderbetreuungsangeboten haben, dass die Hürden für sie aber höher sind als für andere Familien. So werden Familien mit Zuwanderungsgeschichte von Einrichtungen bei der Platzvergabe teilweise benachteiligt. Eine langjährige Vermutung, die durch eine kürzlich veröffentlichte Studie bestätigt wurde“, so Dr. Lokhande. Hinzu komme: Sozial benachteiligte Eltern, zu denen in Deutschland weiterhin überproportional viele Familien mit Migrationshintergrund gehören, stehen vor dem Problem, dass sie die Kosten für einen Kitaplatz oft nicht aufbringen können und die Formalitäten zur Beantragung kompliziert erscheinen.

Damit Familien mit Zuwanderungsgeschichte an den gesetzlich garantierten Angeboten der frühkindlichen Bildung besser teilhaben können, sollten ihre Bedarfe künftig stärker in den Blick genommen werden.

„Die Nachteile im Zugang sollten abgebaut werden. Solange das bestehende Angebot aber hinter den Bedarfen zurücksteht, könnte überlegt werden, ob die Sprachdiagnostik frühzeitiger stattfindet und Kindern mit Sprachförderbedarf dezidiert eine Förderung in einer Kita angeboten wird“, sagt Dr. Lokhande. Dafür müsste allerdings auch die Qualität der Sprachstandsdiagnostik verbessert werden. Und eine diversitätssensible Haltung in Kindertageseinrichtungen, die Mehrsprachigkeit als Stärke begreift, zum Normalfall werden.

In den vergangenen Jahren wurden hohe Investitionen in den Ausbau, die Qualitätsentwicklung und die Sprachförderung in Kitas getätigt – mit positiver Wirkung. Allerdings profitieren Kitas, die besonders viele Kinder mit Zuwanderungsgeschichte betreuen, unzureichend von der Qualitätsförderung. „Vor allem für Kitas in besonders herausfordernder Lage sollte deshalb – ähnlich wie im Schulbereich – ein dauerhaft angelegtes ‚Startchancen-Programm‘ aufgelegt werden. Die Betreuungseinrichtungen brauchen einen besseren Planungshorizont. Und dazu gehört eben auch ein gesicherter Finanzierungsrahmen, damit sie ihrem Bildungsauftrag gerecht werden können und attraktiv bleiben für qualifizierte pädagogische Fachkräfte“, erläutert SVR-Geschäftsführerin Dr. Cornelia Schu.

Derzeit wird der Fachkräfte-Mangel in diesem Bereich auf etwa 100.000 geschätzt.

Einem so ausgeprägten Bedarf könne nur mit einer beherzten, konzertierten Aktion begegnet werden, fasst Dr. Schu zusammen: „Es gilt, die schon vielfach diskutierten Strategien umzusetzen. Dazu gehört eine praxisorientierte Ausbildung, der Wechsel hin zu multiprofessionellen Teams und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Auch viele Neuzugewanderte sind einschlägig qualifiziert. Es ist daher richtig, dass die Politik Strategien für die Berufsanerkennung, Nachqualifizierung und Einstellung auch geflüchteter Fachkräfte entwickelt. Sie können zu einer weiteren diversitätssensiblen Öffnung der Kitas beitragen.“

Quelle: Information des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR)




Warum sich unsere Kinder viel zu wenig bewegen

Trotz ausgeprägtem Bewegungsdrang bewegen sich unsere Kinder immer weniger

In der Kindheit ist der natürliche Bewegungsdrang am stärksten ausgeprägt. Aber die Kinder unserer Informationsgesellschaft bewegen sich heute nur noch halb so viel wie vor 30 Jahren! Und zwar nicht etwa weil ihr Bewegungswunsch nachgelassen hätte, sondern weil wir nachlässig mit diesem ihrem existentiellen Bedürfnis umgehen. Unsere Umwelt bietet den Kindern immer weniger Freiräume, in denen sie ungestört und ungestraft nach Herzenslust toben und matschen, ihre Kräfte messen, ihre Grenzen spüren, ihre Fein- und Grobmotorik entwickeln und sich spontan auf neue Menschen zu bewegen können.

Vor allem in Großstädten ist der Erfahrungs- und Bewegungsraum von Kindern Mangelware geworden.

Auf den wenigen freien Grundstücken, wo Kinder noch etwas entdecken und erkunden könnten, machen sich zunehmend Büro- und Gewerbegebiete breit. Und die oftmals unattraktiven Spielplätze können Großstadtkinder nur unter großen Gefahren allein aufsuchen. Sie sind auf Erwachsene angewiesen, um Spielplätze sicher zu erreichen und dort geschützt zu spielen. Und wann sie ihren Spiel- und Bewegungsdrang ausleben können, hängt zunehmend vom Zeitplan der Eltern ab.

Die Folge ist, dass immer mehr Kinder zum „Spiel-doch-was-in-deinem-Zimmer“ verdonnert werden.

Aber auch hier sieht es in punkto Bewegungsfreiraum nicht rosig aus: Große Wohnungen sind teuer, kleine Wohnungen oft ungünstig geschnitten, das Kinderzimmer ist eng und vollgestellt, das Elternschlafzimmer dagegen hell und geräumig. Und wenn das Kind auf dem wenigen verbliebenen Platz im Zimmer mal freudig mit dem Seilchen hüpft, dann folgt bald die Ermahnung: „Denk an die Nachbarn!“ Kinder, die viel drinnen spielen, sind in ihrer sozialen Entwicklung benachteiligt. Sie können keine spontanen Bekanntschaften machen oder eigenständig neue Freundschaften schließen. Stattdessen müssen Spielkameraden nach Hause bestellt werden.

Aber nicht nur im Elternhaus, auch in Kindergärten und Schulen ist wenig Platz für Bewegung.

Die Außenflächen sind klein, oftmals zubetoniert, die Gruppen- und Klassenräume beengt. Viele Pädagogen begegnen dem natürlichen Bewegungsdrang der Kinder mit Disziplinregeln. Aber dies kann nicht die Lösung sein, denn Bewegungsmangel ist folgenreich!

Immer mehr Kinder fallen durch Haltungsschwäche, Übergewicht und Konditionsschwäche auf.

Einverstanden, wir wollen keine Generation von Spitzensportlern ausbilden, aber rückwärts oder auf einer Linie laufen, das sollten unsere Kinder schon noch können! Warum? Weil dies Ausdruck eines gut entwickelten Gleichgewichtssinns ist. Ohne ihn wären wir nicht in der Lage, aufrecht zu gehen, uns im Raum zu orientieren und unsere innere Balance zu finden. Wir gerieten aus dem Lot!

Bewegungsmangel schürt auch Aggressionen.

Die Gewalttätigkeiten nehmen unter Kindern stetig zu. Kein Wunder, in engen Kinderzimmern und Gruppenräumen staut sich die natürliche Bewegungsenergie. Geballt und unkontrolliert bricht sie aus: Bei Konflikten wird nicht mehr lange gefackelt, man schlägt einfach zu! Aus nervösen Zappelphilippen werden dann kleine ‚Rambos‘, die um jeden Preis ihre angestauten Kräfte messen wollen.

Kinder brauchen eine bewegte Kindheit.

Sie brauchen ausreichend Freiraum, um vielfältige Primärerfahrungen zu sammeln. Ihre gesunde ganzheitliche Entwicklung hängt davon ab, wie viel Körpererfahrungen sie machen. Denn schließlich trainiert Bewegung nicht nur die Muskulatur, sondern auch Geist und Psyche! Sie vermittelt Raum- und Zeiterfahrungen, die für die intellektuelle Entwicklung bedeutsam sind. In der Bewegung lernen Kinder, ihren Körper im Raum und innerhalb der Gruppe zu koordinieren, sich selbst und andere einzuschätzen. Alle Kinder machen durch Bewegung ihre ersten Erfahrungen mit sich und ihrem Lebensraum. Sie greifen nach ihren Fingern und Füßen und nach den ersten Gegenständen, krabbeln vor- und rückwärts, bis sie gehen, hüpfen und laufen können. Schritt für Schritt erschließen sie sich Raum und Zeit, Chancen und Grenzen, die verlockende Welt des Neuen, des Lernens.

Kinder brauchen also zu Hause, im Kindergarten und in der Schule viel Platz und Zeit für Bewegung! Denn Bewegung ist Leben, ist das Tor zur Welt des Lernens. Bewegung ist ein wesentlicher Bestandteil zur ganzheitlichen Entwicklungsförderung!

Bewegung bedeutet:

  • Überschüssige Energie abbauen
  • Sauerstoff tanken
  • Mit sich und anderen ins Gleichgewicht kommen
  • Raum und Lage erfahren
  • Aggressionen abbauen

Spiele für mehr Bewegung:

 Die kleinen Springteufel

Welches Kind spielt nicht gerne den kleinen ‚Springteufel‘, der auf Kommando in die Höhe schnellt? Zunächst machen sich die Kinder auf ihrem Stuhl ganz klein, so als säßen sie in einem ‚Spielkästchen‘, das heißt, sie ziehen die Beine an, runden den Rücken ab, beugen den Kopf nach unten und sind ganz still. Wenn sie das vereinbarte Signal – z. B. einen Buchstaben, eine Zahl, ein Wort oder Geräusch – hören, schnellen sie mit erhobenen Armen hoch und strecken und dehnen ganz genüsslich ihren Körper. Dann nehmen sie wieder ihre Ausgangsposition ein.

Tipp

Es können auch mehrere Kinder eine kleine ‚Springteufel-Gruppe‘ bilden, indem sie sich zunächst an den Händen festhalten und dann auf Signal gemeinsam die Arme hochstrecken.

Alter: ab 3 bis 6 Jahre, Sozialform: Einzelspiel, Material: Stühle

Die Raum-Roboter kommen!

Jeweils drei Kinder bilden eine Gruppe. Zwei Kinder, die zu Robotern erklärt werden, stellen sich Rücken an Rücken. Aufgabe des dritten Kindes ist es, die beiden Roboter durch den Raum zu dirigieren, indem es die Schultern der Roboter antippt. Berührt es die rechte Schulter eines Roboters so bewegt er sich rechts gehend durch den Raum und zwar solange bis er ein weiteres Tastsignal erhält. Wird er an der linken Schulter berührt, so geht er links herum durch den Raum. Werden beide Schultern gleichzeitig angetippt, so geht der Roboter geradeaus. Ein leichtes Antippen des Kopfes bedeutet: Stop, bitte stehen bleiben.

Ziel des Spieles ist es, beide Roboter so durch den Raum zu steuern, dass sie sich irgendwann gegenüber stehen und sich freundlich mit Handschlag begrüßen. Nun kann ein Rollentausch erfolgen.

Tipp

Nutzen Sie die Freude der Kinder, Roboter nachzuahmen. Denn bei diesem Spiel sammeln sie wertvolle Raum-Zeit-Erfahrungen.

Alter: ab 5 bis 10 Jahre, Sozialform: Gruppenspiel

Diesen Artikel haben wir aus dem Buch von Dr. Charmaine Liebertz mit dem Titel „Spiele zum ganzheitlichen Lernen“ entnommen. Das Buch ist bei Burckhardthaus-Laetare erschienen.

spiele lernen

Charmaine Liebertz
Spiele zum ganzheitlichen Lernen
Bewegung, Wahrnehmung, Konzentration, Entspannung und Rhythmik in der Kindergruppe

Broschur, 96 Seiten
ISBN: 9783944548166
14,95 €
Mehr dazu auf www.oberstebrink.de




Schlechte Eltern frönen oft digitalen Medien

Studie sieht Zusammenhang mit negativen Erziehungspraktiken wie Nörgeln und Schreien

Eltern, die sich verstärkt digitalen Medien zuwenden, um zu entspannen, versagen öfter bei der Kindererziehung. Wenn sie viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen, vernachlässigen sie nicht nur ihre Familien, sondern greifen auch zunehmend zu negativen Erziehungspraktiken wie Nörgeln oder Schreien. Zu dem Ergebnis kommt eine multinationale Studie der University of Waterloo http://uwaterloo.ca , die den Zusammenhang zwischen digitalem Medienkonsum von Eltern, ihren Erziehungsmethoden und das mentale Wohlbefinden ihrer Sprösslinge analysiert.

Technologie dominiert alles

„Wenn wir in einer Gesellschaft, die voll von Technologie ist, die Familien verstehen wollen, kommt es auf jedes Familienmitglied an“, so Jasmine Zhang, Doktorandin im Fach Klinische Psychologie an der University of Waterloo. Es seien eben nicht immer nur Kinder und Jugendliche, die zu viel Zeit mit digitalen Geräten verbringen würden. „Auch die Eltern greifen aus den verschiedensten Gründen auf diese Medien zurück. Dieses Verhalten kann das Leben ihrer Kinder dramatisch beeinflussen“, erklärt die Wissenschafterin.


Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht

Im Alter zwischen zwei und sieben Jahren stellen Kinder besondere Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeit ihrer Eltern. Hier lernen Sie, wie Sie: die Gefühle ihrer Kinder verstehen und situationsgerecht reagieren. Ihre Kinder so loben, dass es diese unterstützt und nicht hemmt, gemeinsam mit Ihren Kindern Lösungen finden, die Kinder in Konflikten zur Kooperation motivieren, auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern mit Autismus und anderen Wahrnehmungsstörungen eingehen.

Joanna Faber/Julie King
Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht
Taschenbuch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-96304-026-9
24 €


Für ihre Studie hat sie 549 Teilnehmer aus unterschiedlichen Ländern befragt, die alle mindestens zwei Kinder im Alter zwischen fünf und 18 Jahren haben. Diese mussten unter anderem genau angeben, wie viel Zeit sie mit digitalen Medien verbringen, wie sie ihre und die geistige Gesundheit ihres Nachwuchses einschätzen und welche Erziehungspraktiken sie einsetzen. Das Ergebnis zeigt, dass Eltern mit höherem Stresslevel sich öfter vor dem Bildschirm entspannen und dabei nicht selten die Erziehung vernachlässigen. „Sie ziehen sich dann oft zurück, sind nicht für ihre Kinder präsent und setzen negative Erziehungspraktiken ein“, fasst Zhang zusammen.

Nicht nur negative Effekte

Die Forscherin betont allerdings auch, dass nicht gleich der gesamte Medienkonsum in einem negativen Zusammenhang mit den angewandten Erziehungsmethoden gestellt werden kann. Eine Ausnahme sei zum Beispiel die Möglichkeit, über digitale Kanäle soziale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. In einem solchen Fall könnten manchmal auch positive Effekte wie eine Reduktion der Angstlevel und eine geringere Anfälligkeit für Depressionen auftreten, heißt es in der Studie.

„Die Medienlandschaft, die einer Familie zur Verfügung steht, wird immer größer“, meint Dillon Browne, Co-Studienautor an der University of Waterloo. „Da diese Entwicklung immer weiter voranschreitet, ist es umso wichtiger, dass wir uns im Klaren darüber sind, welche Auswirkungen dieses Verhalten auf unser eigenes Wohlbefinden und das unserer Kinder haben kann.“

Markus Steiner/pressetext.redaktion




Emotionale Intelligenz Schritt für Schritt entwickeln

Warum ErzieherInnen und Eltern bei der Entwicklung der sozialen Kompetenzen der Kinder besonders gefordert sind

Jedes Kind bringt bei der Geburt sein unverwechselbares Temperament als emotionale Anlage mit auf die Welt. Es ist das Startpaket für seine lange emotionale Karriere. Schritt für Schritt entwickelt es die Vielfalt seiner emotionalen Fähigkeiten im alltäglichen Umgang mit seinen Eltern, seinen Geschwistern und den vielen Menschen aus seiner Umwelt, und zwar von frühester Kindheit an bis ins hohe Alter.

Nur wer die Herzen bewegt, bewegt die Welt!

Ernst Wiechert

Der emotionale Typus eines Kindes ist also angeboren; die Reifung zu einer emotional intelligenten Persönlichkeit ist jedoch sozial erworben. Erst aufgrund dieser einmaligen Mischung von Anlage und Umwelt entwickelt sich unsere Gefühlszentrale, das limbische System: von den überlebenswichtigen Basisfunktionen hin zu den höher entwickelten Fähigkeiten, die für unser komplexes soziales Miteinander erforderlich sind.

Emotionale Reaktionen sind sozial vermittelt

Da die meisten unserer emotionalen Reaktionen sozial vermittelt und somit individuell sind, gibt es für Eltern und Pädagogen viel zu tun. Denn wir alle müssen von klein auf lernen, unsere angeborenen Gefühle zu steuern, auf diejenigen unserer Mitmenschen zu reagieren und die Wertvorstellungen unserer Kultur zu respektieren. Gefühle bilden sozusagen die Gleise für den Zug des Lebens. Wenn sie in der Kindheit breit und stabil angelegt werden, dann ist ein Entgleisen sehr unwahrscheinlich.

Unsere Kinder brauchen im unsteten Fluss der gesellschaftlichen Veränderungen verlässliche Geländer. Wer glaubt, ein großes Wissensrepertoire allein reiche aus, um ihnen diese Sicherheit zu geben, der übersieht, dass zur Bildung im 21. Jahrhundert vor allem eine Schlüsselqualifikation gehört: emotionale Intelligenz. Ist diese gut ausgeprägt, so geht damit eine positive schulische Entwicklung einher. Umgekehrt bedeutet eine geringe emotionale Kompetenz jedoch einen Risikofaktor für die Schul- und Berufskarriere. Gefühle wirken demnach als Motor der geistigen Entwicklung eines Kindes.


Das Schatzbuch jetzt bei BurckhardtHaus

Viele Jahre lang hat die Pädagogik die emotionale Entwicklung der Kinder dem Zufall überlassen. Das hat traurige Konsequenzen: Etliche Kinder und Jugendliche leiden unter psychischen Erkrankungen wie Essstörungen oder Depressionen. Charmaine Liebertz fordert dazu auf, die Herzensbildung der Kinder zur wichtigsten Aufgabe zu machen. Dazu gibt sie neben gut verständlichen theoretischen Grundlagen über den aktuellen Stand der Hirnforschung auch viele praktische Tipps, stellt Spiele und Übungen zusammen, um die eigenen Emotionen kennen zu lernen, mit ihnen umzugehen, Empathie zu entwickeln und soziale Kompetenz zu erwerben.

Charmaine Liebertz: Das Schatzbuch der Herzensbildung – Grundlagen, Methoden und Spiele zur emotionalen Intelligenz. 200 Seiten, ISBN 978-3-96304-611-7, 20 €


Vernunft und Verstand sind eigebettet in die emotionale Struktur

Jeder Mensch meistert kritische Augenblicke, schwierige Phasen, gefährliche Versuchungen, dauerhafte Belastungen und ungünstige Lebensbedingungen umso besser, je ausgeprägter seine emotionale Intelligenz ist. Er vermag seine eigenen Gefühle und Reaktionen – ebenso wie die anderer – in verschiedenen Situationen einzuschätzen, zu handhaben und zu bewerten.

Die Hirnforschung lehrt uns heute, dass Vernunft und Verstand eingebettet sind in die emotionale Struktur des Menschen. Emotionale Reize wirken auf nahezu alle Bereiche der Großhirnrinde, die unsere Wahrnehmung und komplexen Denkabläufe steuert. Das limbische System bewertet und wägt alles, was wir tun, mit unserem emotionalen Erfahrungsschatz ab. Gedanken und Gefühle sind also im neuronalen Netzwerk eng miteinander verknüpft; sie funktionieren als ganzheitliche Einheit.

Den Umgang mit Gefühlen lernen

Wer in seiner Kindheit und Jugend gelernt hat, mit seinen Gefühlen und denen seiner Mitmenschen umzugehen, der vermag sein geistiges Potenzial voll auszuschöpfen, ohne zum Spielball seiner Emotionen zu werden. Kinder und Jugendliche mit hoher emotionaler Intelligenz verfügen über ein stabiles Selbstwertgefühl, über Problemlösungsstrategien, über ein inneres Krisenmanagement, und vor allem kennen sie Alternativen zu Gewalt und Drogen, um sich selbst zu spüren.

Eines ist jedoch besorgniserregend: Immer mehr Kinder beziehen ihre Identität aus der Interaktion mit zahlreichen Medien. Fernab vom realen Leben stattet sie die virtuelle Welt mit der ersehnten Omnipotenz aus und schenkt ihnen Beachtung. In dieser – etwa in Chatrooms oder Spielen erworbenen – künstlichen Identität verbringen sie oftmals mehr Zeit als in ihrer realen.

Pädagogen im Wettkampf mit virtuellen Erziehungsagenten

Im Wettkampf mit den virtuellen Erziehungsagenten, wie Fernsehen oder Computer, müssen wir Pädagogen mehr denn je den Respekt vor der Würde des Menschen, seine Fähigkeit zum Mitleid und seine emotionale Spannbreite im sozialen Miteinander fördern. Wir können uns nicht länger allein hinter den Strategien der Wissensvermittlung verschanzen und in Sachen Herzensbildung ein Ungenügend abliefern, während die Kinder orientierungslos nach starken Vorbildern suchen.

Das vielfältige Orchester der Gefühle braucht einen Dirigenten! Eine unserer wichtigsten Erziehungsaufgaben ist es, das Kind im Laufe seiner emotionalen Entwicklung zu einem kompetenten Dirigenten heranzubilden. Wir Eltern, ErzieherInnen und Lehrkräfte neigen oft dazu, dieses emotionale Wachstum als selbstverständlich, jede kleinste, neue Bewegung oder Wortschöpfung dagegen als Meilenstein in der kindlichen Entwicklung anzusehen.

Diesen Artikel haben wir aus dem Buch von Charmaine Liebertz „Spiele zur Herzensbildung“. Herzensbildung bedeutet, die Entwicklung des Kindes zu einem offenen, stabilen Erwachsenen, der das Leben als ein Miteinander versteht. Emotionale Intelligenz und das Zusammenspiel von Körper, Geist und Emotion sind der Schlüssel zu einem glückenden Leben. Mit zahlreichen leicht umsetzbaren Spielen, hilft Charmaine Liebertz, eigene Emotionen zu entdecken und soziale Kompetenzen aufzubauen und umzusetzen.

Charmaine Liebertz
Spiele zur Herzensbildung
Emotionale Intelligenz und soziales Lernen
80 Seiten, Broschur
ISBN: 978-3-944548-17-3
14,95 €

Dr. Charmaine Liebertz ist Heilpädagogin und Lehrerin. Sie war zehn Jahre lang wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Heilpädagogik an der Universität Köln. Lernen besteht für sie nicht nur aus dem Anhäufen von Fakten, sondern muss im Einklang von Körper, Herz, Geist und Humor geschehen. Dafür setzt sie sich in der Gesellschaft für ganzheitliches Lernen e.V. ein, die sie 1996 gründete.




Die nachhaltige Entwicklung des Kindes braucht professionelle Fachkräfte

Professionalität: Herausforderung und Notwendigkeit, um handlungskompetent zu agieren

Neben den prägenden Einflüssen der Eltern(teile) und dem weitgefächerten soziokulturellen Umfeld des Kindes hat auch die Kindertageseinrichtung mit ihrem individuell-spezifischem Konzept, ihrer Konzeption mit den entsprechend festgelegten Eckdaten, ihren MitarbeiterInnen und deren Haltung/Selbstverständnis/Arbeitsweise einen ganz erheblichen Einfluss auf die nachhaltige Entwicklung des Kindes, das in Abhängigkeit von den genannten Faktoren in entwicklungsförderliche oder –hinderliche Prozesse kommt. Dieser unverrückbaren Tatsache haben sich elementarpädagogische Fachkräfte zu stellen und damit immer wieder auseinanderzusetzen, um persönliche Verantwortung für das zu übernehmen, was um sie herum geschieht. .

Professionalität wird unterschiedlich diskutiert und definiert

Der Begriff „Professionalität“ wird im Berufsfeld der elementarpädagogischen Fachkräfte / Kindheitspädagog/innen seit über 25 Jahren – sicherlich auch durch die Qualitätsoffensive in Gang gesetzt – verstärkt in den Mittelpunkt der Pädagogik gerückt, verbunden mit sehr unterschiedlichen, sich ergänzenden aber auch sehr widersprüchlichen Frage- und Aufgabenstellungen, Ansatzmodellen, Hypothesen und Anforderungen an die Ausbildungsinstitutionen, Fort- und Weiterbildungsinstitute, die Träger sozialpädagogischer Einrichtungen und im Sinne einer Delegation von Erwartungen an die Fachkräfte selbst. Dabei ist es derzeit unmöglich, ein vollkommen einheitliches Bild zur „Professionalität im Beruf“ zu entwerfen, zumal die Betrachtungsweisen in der Theorie und Praxis von sehr unterschiedlichen Ausgangswerten und Sichtweisen ausgehen: mehr oder weniger fachlich, aus unterschiedlichen Haltungsrichtungen und aus sehr unterschiedlichen Absichten!  Dennoch soll an dieser Stelle versucht werden, „Professionalität im Beruf“ anhand von einzelnen, ausgewählten Grundüberlegungen fassbarer zu beschreiben, um den besonderen Wert des „Berufsbildes elementarpädagogischen Fachkräfte/Kindheitspädagog/innen“ und die enorme Bedeutung des elementarpädagogischen Handelns für die Kinder und eine humanistisch orientierte Gesellschaft – in Gegenwart und Zukunft – hervorzuheben.

Der Begriff „Professionalität“ leitet sich aus dem lateinischen Wort >professio< ab, was mit >Bekenntnis, Gewerbe, Beruf< übersetzt werden kann. Professionelles Denken und Handeln ist zweifelsohne ein unverzichtbares Element in jedem verantwortungsvollen Beruf – damit auch in der Elementar-/ Kindheitspädagogik. Professionalität ergibt sich aus der Summe vorhandener Spezialqualifikationen (a), einem wissenschaftlich fundiertes Sonderwissen, das über allgemeine Grundkenntnisse deutlich hinausgeht (b), durch eine tiefe, innere Bindung der Person zum Beruf und den Menschen, mit denen die Fachkräfte in Kontakt stehen – Abgrenzung: Beruf[ung] vs. Job- (c), durch eine entwicklungsförderliche Kommunikations- und Interaktionspraxis (d), eine lösungssuchende Handlungsorientierung auf der Grundlage humanistischer Werte (e) sowie ein gezieltes, fachgerechtes und fundiertes Vorgehen bei Handlungsvollzügen in der beruflichen Alltagsgestaltung (f) – im Gegensatz zu einem willkürlichen, emotional geleitetem Handeln auf der Grundlage unreflektierter und subjektiv festgelegter Maßstäbe.

Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden.

Hermann Hesse

Professionalität und fach-/sachkompetentes Handeln sind untrennbar miteinander verknüpft

Der überaus vielfältige Aufgabenbereich der Fachkräfte und die Menge der beruflichen Herausforderungen ergeben sich aus der ständigen Veränderung einer sich permanent wandelnden Gesellschaft, die ihre Auswirkungen auch in die sozialpädagogischen Einrichtungen hineinträgt und mit denen sich die Fachkräfte sowohl im beruflichen Alltag als auch bezüglich ihrer eigenen Lebenskonzepte und Lebensgestaltung auseinandersetzen müssen! So vielfältig die Ausgangsbedingungen und damit verbundenen Grundlagen für eine professionelle sozialpädagogische Arbeit sind (SGB VIII. Band; die länderspezifischen Kita-Gesetze und Bildungsrichtlinien; die UN-Charta „Rechte des Kindes“; Grundlagen der Entwicklungspsychologie [frühe Lebensjahre] sowie der Neurobiologie; ethnologische und anthropologische Kenntnisse; der Bildungs- und Bindungsforschung; Berufsbild der Kindheitspädagog/innen und deren spezifische Anforderungen), so notwendig ist es auch, diese zu kennen (!) und bejahend zu akzeptieren, dass diese Basisdaten in der praktischen Arbeit berücksichtigt und auch praktisch umgesetzt werden wollen. Dies gelingt nur, wenn aus einem von außen gesetzten >Sollen/ Müssen< ein innerlich bejahendes >Wollen< wird.

Wer immer nur funktioniert, entzieht sich dem Abenteuer des Lebens.

(Armin Müller-Stahl)

Elementare Herausforderungen an ein professionelles Handeln

Die früher häufig gebrauchte Aussage, „ja wenn die Eltern nicht mitarbeiten bzw. entwicklungshinderliche Einflüsse weiter bestehen bleiben, dann können wir als Kita auch nichts gravierend bewirken“, hat seit den bahnbrechenden Ergebnissen der Resilienz- und Genderforschung und dem hohen Bedeutungswert, der sich aus den Erkenntnissen der Bindungsforschung ergibt, keine Berechtigung mehr. So haben alle Kindertageseinrichtungen ganz besondere Querschnittsaufgaben zu erfüllen: a) Unterstützung der Individalentwicklung und der Selbstbildungsprozesse des Kindes, b) Realisierung einer Inklusion von Anfang an, c) Prävention durch eine offensive Ressourcenorientierung im Rahmen der pädagogischen Qualität, d) ein tatsächliches Partizipationserleben in alltäglichen Situationen statt pseudorelevanter Einzel“projekte“ , e) eine humanistisch geprägte Werteorientierung durch Alltagserfahrungen, f) Kooperation im Innen- und Außenbereich in einer konstruktiven Vernetzung mit allen bedeutsamen Personen/ Institutionen. Um diese vielfältigen, fachlich notwendigen und komplexen Aufgaben erfüllen zu können bedarf es ganz bestimmter Kompetenzen, die sich nur durch ein professionelles Handeln ausdrücken können.

Die Welt gehört dem, der in ihr mit Heiterkeit nach hohen Zielen wandert.

(Ralph Waldo Emerson)

Fachlich-personale Kompetenzen, die eine Professionalität ermöglichen

Neben einer hohen Fachkompetenz (auf der Grundlage eines breiten Wissensspektrums), einer innovativen Perspektivübernahme (was ist jetzt und demnächst wirklich not-wenig?) und einem visionären Weitblick (was darf nicht aus dem Auge verloren werden?), einem Interesse an einer nachhaltigen Selbstbildung für sich ganz persönlich, der Kunst einer Selbstmotivation (wie bekomme ich hier und jetzt „die Kuh vom Eis“?), einer mutigen, offensiven und wahrnehmungsoffenen, berufsbegleitenden Selbstreflexion (über eigene, selbst gesetzte Grenzen gehen und sich auf unbekanntes Terrain wagen), einer angemessenen Identifizierung mit der Einrichtung und deren Zielsetzungen, einer Ziel-, Lösungs- und konstruktiven Aufgabenorientierung (thematisieren, ändern statt klagen), einem gerechten und fairen Verhalten (Verabschiedung von eine Sieger-/Verlierermentalität) , einer differenzierten Betrachtung alter und neuer Aufgabenstellungen (was hat fachlich betrachtet und begründet Bestand, was nicht?), einer ständigen Überprüfung eigener Handlungsauswirkungen (welche Folgen hat das eigene Verhalten – für sich selbst und auf andere?), einem Interesse an berufspolitischen Fragestellungen (Mitwirkung bei Professionalitätdebatten), einer realistischen Einschätzung eigener (In)kompetenzen sowie einem Veränderungswillen, Schwächen in Stärken zu wandeln zeigt sich Professionalität immer wieder im Prozess eines entdeckenden Alltaglernens, einem kritischen Hinterfragen von Routinen und Gewohnheiten, wo auch Misserfolge als hilfreiche Erfahrungen betrachten werden. Kollegiale Konkurrenz ist dabei ebenso ein Fremdwort wie Problemverschiebung oder Verantwortungs-/ Schuldelegation, Harmoniebestreben, Starrheit oder Konfliktverstärkung, Veränderungsangst oder Toleranz. So geht es immer wieder darum, Wesentliches von Unwesentlichem, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, über den eigenen „Zaun“ zu schauen, Mitwirkungsrechte umfassend/ mutig zu nutzen und selbstbewusst den täglichen Anforderungen entgegenzugehen.

Das Staunen ist der Anfang der Erkenntnis.

(Platon)

Schwierigkeiten stehen einer geforderten Professionalität nicht selten im Weg

So berechtigt diese Merkmale und Forderungen sind, so schwierig ist es oftmals, diese auch umzusetzen, weil unterschiedliche Hindernisse dabei entgegenwirken (können). Seien es Schwierigkeiten, die auf der individual-personalen Ebene liegen (persönlich geprägte Vorlieben/ Abneigungen/ Vorurteile gegenüber Unbekanntem, eine eingeschränkte Belastbarkeit, Ziellosigkeit durch Unwissen, Persönlichkeitsstörungen unterschiedlicher Art, fehlende/ eingeschränkte Berufsmotivation, festgefahrene Routinemuster, Theoriefeindlichkeit, …) oder durch einen überhöhten Erwartungsdruck bzw. unberechtigte, öffentliche Anspruchshaltungen an die Gestaltung der Alltagspädagogik (durch Eltern, Grundschulen, Kinderärzte, Fachberater/innen …), bei dem der Eindruck entsteht, alle wollen auf die Arbeit ihren Einfluss geltend machen. Oder durch ungünstige Rahmenbedingungen, die eine partizipatorische, humanistisch orientierte und fachlich erforderliche Pädagogik stark einschränken bzw. unmöglich machen (eingeschränkte Finanzen, ungünstige Personalbesetzung, fehlende Unterstützung bei Fort-/ Weiter-/ Zusatzausbildungswünschen …), durch immer wieder neue pädagogische Zielsetzungen, deren Berechtigung im Einzelfall genau (!) und sachlich-undogmatisch geprüft werden muss (u.a. Lerntagebücher; die unüberschaubare Fülle an teilisolierten Förderprogrammen im kognitiven, motorischen und sozialen Bereich, zu häufige Entwicklungsberichte; Qualitätsmanagementverfahren, die sich durch die Fülle der Dokumentationen ad absurdum führen; funktionalisierte Portfolios, …), durch bildungspolitische Strömungen, die wie Eintagsfliegen plötzlich den pädagogischen Horizont durchschweben oder durch  bestimmte Dienstanweisungen vom Träger, die in manchen (vielen?) Fällen auch fachlich unberechtigt und kontraproduktiv sind. Schließlich können massive Störungen im Kollegium (ausgelöst oder verursacht durch einzelne KollegInnen) das gesamte Arbeitsklima vergiften und ein professionelles Handeln im Beruf sehr erschweren, zumal dann, wenn keine regelmäßigen Supervisionssitzungen oder Coachings zum festen Bestandteil einer Berufsausübung gehören. Doch die zuvorderst bestehende Grundschwierigkeit in einer praxisrelevanten Professionalität besteht darin, dass pädagogische Forderungen, die elementarpädagogische Fachkräfte zu erfüllen haben, dadurch massiv erschwert werden, wenn Arbeitsvorgaben/ -erwartungen mit selbst erlebten Einschränkungen unvereinbar sind (z.B. eine erwarte Loyalität zum/vom Arbeitgeber vs. Freiheit eigener Entscheidungen, Fremdbestimmungen vs. Selbstbestimmung, Schulorientierung der Elementarpädagogik vs. emotional-soziale Stabilisierung des Selbstwertgefühls der Kinder, Schulung/ Training von Fertigkeiten vs. kindgerechter Aufbau von Fähigkeiten, Bildung aus II. Hand vs. Bildung aus I. Hand, unzureichende Bezahlung der Fachkräfte vs. intrinsisch motivierte Arbeits- und Lernfreude).

Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt. Der andere packt sie kräftig an … und handelt.

(Dante Aligheri)

Professionalität und Identität sind aufs Engste miteinander vernetzt

Pädagogische Zielsetzungen für Kinder können nur dann erreicht werden, wenn dieselben, emanzipatorisch-humanistisch Zielsetzungen für Kinder auch von den Fachkräften in den eigenen, alltäglichen Arbeitserfahrungen praktisch erlebt werden können.

Professionalität und Identität der Person (als Fachkraft) sind aufs Engste miteinander verknüpft und können nicht voneinander losgelöst betrachtet werden. Um sein Gegenüber und seine Lebenswelt zu verstehen setzt Professionalität voraus, zunächst immer wieder (berufsbegleitend) sich selbst zu betrachten, die eigene Persönlichkeit und das aktuelle Handeln in biographischen Zusammenhängen zu verstehen und immer wieder neu gewonnene Erkenntnisse im Sinne der eigenen Entwicklung produktiv zu nutzen. Um Entwicklungs- und Bildungsprozesse anderer zu initiieren und zu begleiten bedarf es einer eigenen Selbstaktivierung und Begleitung eigener Bildungsprozesse.

Professionalität entsteht in einer systematischen Dynamik von innen nach außen.

D.h.: vom Ich zum DU, so wie auch jede Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen nur und ausschließlich von der Personqualität zur pädagogischen Qualität bei einer entwicklungsförderlichen Strukturqualität geschieht. Professionalität entwickelt sich stets durch den Auf-/ Ausbau von

a) Selbstkompetenzen (z.B. durch ein stabiles Selbstwertgefühl, Offenheit gegenüber Neuem, Neugierde auf neues Wissen und neue Erkenntnisse aus den unterschiedlichen, wissenschaftlichen Fachdiziplinen, Selbstmotivation bei Arbeitserfordernissen, Freude an Selbsterfahrung, selbstaktive Erweiterung der eigenen Lernkompetenz, ein hohes Maß an Angstfreiheit, Selbststeuerungskräfte, Konzentration auf Wesentliches, Nutzung von erlebtem Stress als Kraftimpuls für Lösungsorientierungen…)

b) Sachkompetenzen ( z.B. Selbstständigkeit bei der Umsetzung von Arbeitsvorhaben, Lösungsorientierung statt Problemfixierung, Innovationsfreude, kritische Auseinandersetzung mit alltäglichen Anforderungen, Umsetzung des innerlich integrierten Wissens, sach-, methoden- und zielkompetente Umsetzung von notwendigen Erfordernissen, Lernumgebungen erkunden und förderlich-partizipatorisch mitgestalten, Zielsetzungen aufstellen und systematisch umsetzen, Konzepte einer humanistisch-pädagogisch ausgerichteten Qualitätsentwicklung aktiv unterstützen…) 

c) Sozialkompetenzen (z.B. Neugierde auf Menschen, Wahrnehmungsoffenheit im Umgang mit Kindern, Eltern und Kolleg/innen, eine konstruktive Kommunikationskultur, Vorurteilsfreiheit und Akzeptanz einer gesellschaftlichen Vielfalt, Besitz einer fühlenden Empathie, Umsetzung soziokulturell bedeutsamer Werte [statt einer Normorientierung], Konflikt(lösungs)kompetenz, Gruppenprozesse systemisch erfassen und konstruktiv mitgestalten, Inklusion authentisch bejahen, Pflege einer stimmigen Teamarbeit…)

Man muss ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern.

(Ernst Bloch)

Professionalität erfordert ein allseitiges Interesse an Entwicklung!

Wenn Professionalität – wie häufig in verschiedenen Veröffentlichungen und öffentlichen Diskussionen festzustellen ist – primär als „formales Modell“ mit einer „Akademisierung“ gleichgesetzt wird, so greift diese Betrachtung zu kurz! Vielmehr geht es um eine „Qualität von Beruflichkeit“, die sich durch hohe, anspruchsvolle Kompetenzen ausweist. Professionalität wird sich dort entwickeln (können), wo Fachkräfte eine qualitativ hochwertige Ausbildung absolvieren können und permanente Weiterbildung wahrnehmen. Fachkräfte stellen sich zugleich den beruflichen Anforderungen  und erfüllen diese mit Menschlichkeit und gutem, aktuellem Fachwissen. Außerdem bestehen in professionell gestalteten Einrichtungen überwiegend Strukturbedingungen, in denen auch eine Professionalität der Fachkräfte (von Seiten des Trägers/ den Fachberater:innen) wirklich gewünscht ist und darüber hinaus nicht nur ein Lippenbekenntnis von Wissenschaft/ Politik/ ministerieller oder trägerspezifischer Seite bleibt. Last not least haben auch die unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen zu lernen, ihre Erkenntnisse und Forderungen mit der PRAXIS zu verbinden, Träger und alle tarifverantwortlichen Kräfte haben dafür zu sorgen, dass Fachkräfte mit ihrer professionellen Tätigkeit entsprechend ihrer bedeutsamen Arbeit angemessen entlohnt werden und Arbeitsbedingungen vorfinden, die ein professionelles Alltagshandeln erst ermöglichen bzw. erleichtern. PROFESSIONALITÄT ist kein isoliertes Vihiculum, das sich nur auf Kindheitspädagog/innen zubewegt.

Das Anmahnen von entwicklungsförderlichen Bedingungen darf aber nicht zum Alibi auf Seiten der Fachkräfte vorgebracht werden, es könne wegen ungünstiger Bedingungen keine Professionalität aufgebaut/ weiterentwickelt werden. Professionalität verlangt Eigeninitiative, Selbstständigkeit und immer wieder Selbstmotivation sowie die feste Gewissheit, dass eine Professionalitäts(weiter)entwicklung mit eigenen Schritten beginnt und nur durch diese auch ausgebaut/ nachhaltig stabilisiert wird. Nur so. Dazu gehört gerade in dieser sehr diffusen und wirtschaftsgeprägten „Welt der Kleinkindpädagogik“, in der zunehmend wirtschaftsgeleitete Funktionsträger (zumeist Nichtpädagogen) das elementarpädagogische Ruder an sich reißen (wollen) und die Fahrtrichtung vorgeben, eine sich noch stärker zu bildende Lobby an professionellen Kindheitspädagog/innen, die nicht alles mit sich machen lassen sondern in professioneller Manier denen die „Rote Karte“ zeigen, die den Kindern das lebendige Alltagsleben immer mehr zerstören und Kindheitspädagog/innen den Weg einer „Entwicklung von Professionalität“ versperren.      

Die mächtigste Kraft der Welt ist eine Idee, deren Zeit gekommen ist.  

(Victor Hugo)   

Literaturhinweise

von Balluseck, Hilde (Hrsg.): Professionalisierung der Frühpädagogik. Perspektiven, Entwicklungen, Herausforderungen. Verlag Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hills 2008

Krenz, Armin: Grundlagen der Elementarpädagogik. Unverzichtbare Eckwerte für eine professionell gestaltete Frühpädagogik. Burckhardthaus-Laetare Verlag, München 2014

Krenz, Armin: Elementarpädagogik und Professionalität. Lebens- und Konfliktraum Kindergarten: Grundsätze zur Qualitätsverbesserung in Kindertagesstätten. Burckhardthaus-Laetare Verlag, München 2013

Krenz, Armin: Elementarpädagogik aktuell. Die Entwicklung des Kindes professionell begleiten. Burckhardthaus-Laetare Verlag, München 2013

Krenz, Armin (Hrsg.): Psychologie für Erzieherinnen und Erzieher. Cornelsen Verlag, 3. Aufl. 2016 (Kapitel I: Die Erzieherin im psychologischen Kontext;/ Kapitel IV: Psychologie als persönlicher Gewinn)

Rudow, Bernd: Beruf Erzieherin/ Erzieher – mehr als Spielen und Basteln. Arbeits- und organisationspsychologische Aspekte. Münster 2017

Prof. h.c. Dr. h.c. Armin Krenz, Honorarprofessor a.D. , Wissenschaftsdozent für Entwicklungspsychologie und Entwicklungspädagogik




Skizzen einer demokratischen Erziehung nach Janusz Korczak

Demokratielernen mit Geschichten und Organisation der Lebensgemeinschaft

Für Kinder schrieb Janusz Korczak Geschichten zur Selbsterprobung. Die Geschichten – „Wenn ich wieder klein bin“, „Jack handelt für alle“, „König Hänschen der Erste“, „König Hänschen auf der einsamen Insel“, „Der Bankrott des kleinen Jack“ oder „Kaitus, der Zauberer“ – ermöglichen dem einzelnen Kind seine Vorstellungen zu erweitern und Fantasie zu entwickeln, Alternativen zur Wirklichkeit durchzuspielen, zu gehorchen (nicht weil es Angst hat, sondern weil es selbst Ordnung haben will), Identifikationen vorzunehmen, sich zu wandeln und seine Hoffnungen zu stärken.

Visionen von einer Welt ohne Krieg

So erfindet Korczak mit König Hänschen einen Kinderkönig, also ein Kind, das Macht und Verantwortung hat, aber dennoch Kind bleibt. Das Kind kann seine Unerfahrenheit und Ohnmacht erkennen und die Macht der Großen durchschauen, ihre Grenzen und Schwierigkeiten wahrnehmen. Es kann erkennen, dass Macht und Verantwortung zwei Seiten einer Medaille sind.

Das Kind erfährt, wie sich König Hänschen mit den Unzulänglichkeiten, die in der Welt herrschen, auseinandersetzen muss: Mit Ministern, die ihn belügen, oder mit seinem Freund Fritz, der sich bestechen lässt. Aber es erfährt auch, wie es die Welt zum Guten wenden und Schritte auf dem Weg zu einer gerechteren Welt tun kann. Und es erfährt, wie sich König Hänschens Einstellung zum Krieg ändert, welchen Lernprozess er von der Kriegs- zur Friedensbereitschaft durchmacht. Die Geschichten zeigen auch Visionen von einer Welt, in der es keinen Krieg mehr geben muss.

Aufgaben, die ein Kind erfüllen kann

In Korczaks Geschichten für Kinder gibt es keinen machtvollen Sieger wie in vielen Kinderbüchern. Mächtig zu sein befriedigt ja nur ein augenblickliches Lustbedürfnis. Geschieht dies nicht, dann greift Frustration um sich, die wohl die größte Quelle der Aggression ist.

Wir finden in Korczaks Geschichten nicht Forderungen um jeden Preis, sondern Aufgaben, die ein Kind erfüllen kann. König Hänschen zeigt Aufgaben und risikoreiche Wege zu ihrer Bewältigung, denen jedes Kind sich gewachsen fühlen kann. Freilich ist der gute König am Ende ein trauriger König auf der einsamen Insel. Offenbar ist es in unserer Welt so eingerichtet, dass ein Mensch, der Gutes tut, zunächst einsamer sein wird als andere. Er wird aber von denen geachtet, die für eine gerechtere Welt eintreten.

Überwinden, ermöglichen und sensibilisieren

Korczaks Geschichten sind ein bedeutsames Erziehungsmittel gerade in Kindertageseinrichtungen, die Kinder von Flüchtlingen und Kinder mit Behinderung besuchen. Die Geschichten halten den Zielsetzungen der neuen Kinder- und Jugendliteratur stand: Sie überwinden Fixierungen auf Autoritäten, ermöglichen Kritikfähigkeit, sensibilisieren für eigene und fremde Interessen. Sie tragen zur Entwicklung eines Realitätsbewusstseins bei, das eine illusionistische und pessimistische Weltsicht überwindet.

Korczak hat in seinen Geschichten die Gegensätze nicht in einer Synthese aufgehoben, sie oszillieren vielmehr und halten das Denken in Bewegung. Die Geschichten laden zum Mitdenken ein, bei dem keiner den Anderen zu vereinnahmen braucht und jeder kann sich als Teil des Ganzen fühlen: Kinder und Erwachsene, Studierende und Lehrende.

Organisation der Lebensgemeinschaft

Korczak strukturiert im Waisenhaus die Organisation der demokratischen Erziehungsgemeinschaft, bei der das Kind ein gleichwertiger, gleichwürdiger und gleichberechtigter Partner ist. Da aber der Erzieher durch seine Erfahrungen gegenüber dem Kind einen Vorsprung hat, ist er verpflichtet die Perspektive des Kindes und gleichzeitig die eigene zu achten. Bei diesem achtsamen Dialog geht es darum, dem Kind seinen eigenen Gestaltungswillen in der nach republikanischen Regeln geordneten Gemeinschaft zu ermöglichen.

Korczaks breit gefächertes Konzept der demokratischen Erziehung enthält ein pädagogisches System: Für Kinder entwickelt Korczak differenzierte Spielregeln für die Selbstverwaltung mit wenig bestrafenden Paragraphen. Mit ihnen erprobt er Spielregeln in der Kinderrepublik. Das Kindergericht der Erziehungsgemeinschaft ist um ein Höchstmaß an Gerechtigkeit bemüht und orientiert sich am Grundsatz des Verzeihens. Die selbst zu verantwortende Verwaltung ermöglicht den Kindern ihre gemeinsamen Angelegenheiten zu erkennen und zu definieren, Regeln und Formen des gegenseitigen Einvernehmens zu erfinden. Durch diese Selbstverwaltungsstruktur in der „kleinen Kinderrepublik“ können sich Kinder selbst disziplinieren und „mehr Demokratie wagen“.

Ferdinand Klein

Hier geht es zu einem weiteren Artikel von Prof. Ferdiand Klein zu Korczaks Pädagogik.

Mehr über Janusz Korczak und Inklusive Erziehung von Prof. Ferdinand Klein

Inklusive Erziehung in der Krippe, Kita und Grundschule
Heilpädagogische Grundlagen und praktische Tipps im Geiste Janusz Korczaks
168 Seiten, Softcover
ISBN: 978-3-963046-01-8
19,95 €