Fortbildung für Kinder und pädagogische Fachkräfte soll Kompetenz schaffen
Wenn Kinder fragen, wo im Winter der Schnee bleibt oder warum der See hinter der Kita fast ausgetrocknet ist, dann suchen Pädagoginnen und Pädagogen oft nach der richtigen Antwort. Wo sollen sie anfangen? Wie können sie mit Kindern über den Klimawandel sprechen, ohne sie zu überfordern? Hier setzt die Fortbildung der Stiftung Kinder forschen an. Sie soll Pädagoginnen und Pädagogen einen Einstieg ins Thema bieten und zeigen, dass Veränderungen im Kleinen und direkt in ihren Einrichtungen beginnen können.
Über den Klimawandel sprechen
Die Frage, wie pädagogische Fachkräfte mit Kindern über den Klimawandel sprechen können, greift die Fortbildung auf. Sie soll sich am Alltag der Kinder orientieren. Dies erklärt die Stiftung anhand eines Beispiels: „Wenn Kinder merken, dass es dem Hund im Sommer zu warm ist, Vögel kein Futter finden oder ihr Lieblingsbaum seine Blätter verliert, machen sie sich oft Sorgen und wollen helfen.“ Die Pädagoginnen und Pädagogen sollen lernen, die Gefühle der Kinder aufzugreifen und gemeinsam mit ihnen Klimaschutz zu gestalten. Sie erfahren auch, wie sie in ihren Einrichtungen besser mit Starkregen und Hitze umgehen können, und was sie für ihre pädagogische Arbeit aus der Tierwelt lernen können.
Kitas zu Lernorten für nachhaltiges Handeln machen
Die neue Fortbildung ist ein weiterer Schritt, mit dem die Stiftung Kinder forschen dazu beitragen will, dass Kitas, Horte und Grundschulen zu Orten werden, an denen Kinder Antworten auf ihre Fragen finden und auf künftige Herausforderungen vorbereitet werden. „Was macht der Schneehase ohne Schnee? Klimawandel begreifen, gemeinsam handeln“ ist im Rahmen des Projekts Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) entstanden, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Ziel des Projekts ist es, Kitas, Horte und Grundschulen dabei zu unterstützen, zu Lernorten für nachhaltiges Handeln zu werden. Denn wo beginnt die Zukunft, wenn nicht in der Kita? Unter stkf.site/fortbildung-klimawandel finden Pädagoginnen und Pädagogen mehr Infos zur neuen Fortbildung und Buchung.
Quelle: Mitteilung Stiftung Kinder forschen
Fortbildung als Persönlichkeitsbildung
geschrieben von Redakteur | März 4, 2024
Ein berechtigter Anspruch, der nur schwer einzulösen ist:
Bei den meisten Fortbildungsseminaren ist zu lesen, dass auch eine Verbesserung der Professionalität und eine Stärkung der Identität beabsichtigt sind. Das ist nur schwer einzulösen. Wie dies wirklich gelingen kann, beschreibt Prof. Dr. Armin Krenz in seinem Artikel.
Einleitung
Die Forderung, dass Fort- und Weiterbildung sowohl zum unverzichtbaren Bestandteil der beruflichen Arbeit gehört als auch ein notwendiges Element für qualifizierte Tätigkeit ist, trifft bei Erzieherinnen und Trägern weitgehend auf Zustimmung. Viele lösen diesen Anspruch auch ein und suchen sich Fortbildungsveranstaltungen aus, die sie besuchen möchten: kurz-, mittel- und langfristige Angebote, ausgerichtet auf annehmbare Bedingungen und ausgewählt hinsichtlich spezifischer Fragestellungen, von denen angenommen wird, dass sie für die Arbeit nutzbar gebraucht werden können, um den Anforderungen besser gerecht zu werden und den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Einrichtung noch besser erfüllen zu können.
Bei vielen Anbietern von Fortbildungsseminaren ist – entweder direkt oder indirekt – zu lesen, dass es einerseits um die Verbesserung der Professionalität, andererseits um die Stärkung der Identität geht. Beide Begriffe – Professionalität und Identität – werden zu Kernaussagen erklärt, die unbestritten ihren Stellenwert und ihre Bedeutung in der Pädagogik besitzen. Allerdings ist es notwendig, sie in Beziehung zu Anforderungen zu setzen, die sich auf die Fortbildungseinrichtung, auf die Fortbilder und Teilnehmerinnen beziehen. Und hier wird schon eines deutlich: Identität und Professionalität können sich bei den Teilnehmerinnen nur dort entwickeln, wo gleichzeitig alle drei Bereiche stimmig sind bzw. aktiv in Richtung einer Stimmigkeit entwickelt werden, weil sie sich gegenseitig bedingen:
Anspruch und Voraussetzungen
Fortbildung als eine effektive Möglichkeit, Persönlichkeitsbildung und Arbeitsfeldorientierung in Zusammenhang zu bringen und in Einklang miteinander zu verbinden, ist eine gute Chance dafür, dass einerseits Teilnehmerinnen für sich als Person profitieren und andererseits erfahrene Erkenntnisse und erlebte Erfahrungen nun in ihr Arbeitsfeld übertragen (können). Sicherlich wird jede Person, die das liest, zustimmend nicken, weil dies einleuchtend erscheint und stimmig ist. Doch leider liegt in den „einfachen Aussagen “ oftmals das Problem der realen Umsetzung. So einfach wie das hier aufgestellte dialektische Verhältnis von Person und Arbeit theoretisch ist, so schwer ist es, dies in der Fortbildung herzustellen, weil Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um dies während der Fortbildungsarbeit als „Übungsfeld der Realität“ zu erleben.
Wenn Fortbildung damit den Anspruch erfüllt, Realität in die entsprechende Veranstaltung hineinzuholen, dann bedeutet dies zunächst, dass Fortbildung immer Arbeit und Bemühen, aktive Beschäftigung und Suche ist, sowohl auf Seiten der Referenten als auch auf Seiten der Teilnehmerinnen. Fortbildung als Persönlichkeitsbildung auf beiden Seiten heißt, die eigene professionelle Rolle in Frage zu stellen und sich auf den Weg einer Verunsicherung zu begeben, auf Grenzen zu stoßen, sich mit diesen Grenzen konstruktiv auseinander zu setzen und sie produktiv zu nutzen.
Gruppenpädagogische Forschungsergebnisse zeigen allerdings, dass gerade hierbei immer die Gefahr besteht, dass einzelne Teilnehmerinnen bzw. starre Referenten den eigenen Schmerz erlebter Grenzen nicht aushalten können und in Rollen verfallen, die eine vermeintliche Sicherheit vermitteln. Wenn dies geschieht, sind Machtkämpfe und Rollenkonflikte vorprogrammiert und führen dazu, dass alte Verhaltensmuster begonnene Lernprozesse unterbrechen, behindern, zerstören oder gänzlich vernichten.
Der Anspruch von Persönlichkeitsbildung in der Fortbildung kann nur dort eingelöst werden, wo sich gerade auch der Anspruch an eine „ganzheitliche Pädagogik“ in den vielen Begegnungen von Seminarteilnehmerinnen und Referenten real zeigt und dabei weder bestimmte Inhalte, noch bestimmte Fragen ausgeklammert noch gezeigte Verhaltensweisen von einzelnen Personen negiert, verworfen oder gar bestimmte Personen ausgegrenzt werden. Wäre dies der Fall, so hätte beispielsweise der Anspruch „ganzheitlichen Lernens” seine Berechtigung verloren. Persönlichkeitsbildung kann nur dort geschehen, wo Teilnehmerinnen/Referenten auch
Fehler machen dürfen,
Suchende sind,
für andere unannehmbare Äußerungen von sich geben,
ungewohnte Verhaltensweisen, die vielleicht der eigenen Wertewelt entgegenstehen, zeigen,
Fortbildung als „von außen nach innen geholte Realität“ schafft damit die Möglichkeit, am konkreten Beispiel – hier und jetzt – zu arbeiten. Dies gelingt allerdings nur, wenn die Teilnehmerinnen ebenso aktiv an der Lösung eines Problems mitarbeiten wie die Referenten bereit sind, sich als Suchende auf das Problem einzulassen. Dies wird zusätzlich um so besser gelingen, je annehmbarer die Bedingungen der Fortbildungseinrichtung sind.
Erzieherinnen wollen Methoden, wollen Medien, wollen
Wegbeschreibungen und Rezepte. Ist denn das
Naturgegebene, Eingegebene, so fremd, das Einfachste,
das Schwerste und das Naheliegende so fern?
M. Vera Fischer
Das oben genannte Zitat verlangt eine Antwort und sie muss lauten: ja! Weil ungünstige Arbeitsbedingungen, eine entpolitisierte Sicht von Pädagogik, unaufgearbeitete Erfahrungen aus der Fachschulzeit und in vielen Fällen ein eingeschränktes Selbstwertgefühl das Naheliegende in weite Ferne rücken lassen: die Auseinandersetzung mit sich selbst. Nur so kann Fortbildung den Anspruch realisieren, bei den Teilnehmerinnen auch eine Persönlichkeitsbildung zu initiieren bzw. zu unterstützen. Welch ein Drama wäre es, einerseits selbst den Anspruch an Persönlichkeitsbildung zu benennen, andererseits sich so zu verhalten, dass in Situationen von Auseinandersetzung und Konfrontation alte Verhaltensmuster zum Tragen kommen, nach dem Motto:
hier das Recht (bei mir), dort das Unrecht (beim anderen); hier das Gute, dort das Schlechte; hier das Richtige, dort das Falsche; hier das Opfer, dort der Täter; hier die schuldlose Person, dort der Schuldige.
Persönlichkeitsbildung in der Fortbildung kann nur dort geschehen, wo gerade diese Muster thematisiert und aktiv aufgegriffen werden, wo sie nicht negiert, sondern bewusst angesprochen werden, um neue Möglichkeiten des Umgangs zu erleben und damit den Anspruch von Ganzheitlichkeit einzulösen.
Das bedeutet aber weiterhin, sich mit den eigenen lebensbiographischen Daten auseinander zu setzen, mit den eigenen Werten und Normen, den eigenen Kriterien von Richtigkeit und den eigenen Ansprüchen an sich und andere Menschen, ohne mit dem Finger auf andere zu zeigen, ohne vermeintlich Schuldige ins Abseits zu drängen und vor allem ohne Menschen mit anderen Haltungen zu etikettieren.
Ganz im Sinne von Martin Buber, der dazu Folgendes schreibt:
Werde unmittelbar!
Du, eingetan in die Schalen, in die dich Gesellschaft,
Staat, Kirche, Schule, Wirtschaft öffentliche Meinung
und dein eigener Hochmut gesteckt haben, Mittelbarer
unter Mittelbaren, durchbrich die Schalen, werde
unmittelbar!
Identität als Meilenstein in der Persönlichkeitsbildung kann also nur dort erfahren werden, wo die Teilnehmerinnen und Referenten mit ihren unterschiedlichen Sozialisationserfahrungen bereit sind, sich auf einen langen und anstrengenden Lernprozess einzulassen (und nicht verfrüht auf Lernergebnisse ausgerichtet sind), Schmerzen und Unsicherheiten ertragen (und nicht die Schuld für erlebte Schmerzen anderen zuweisen), persönliche Erfahrungen ins Seminargeschehen einbringen (und nicht durch Schweigen glänzen), krisenhafte Ereignisse als Lernchance ansehen (und sich nicht durch Trennung davonstehlen), Persönlichkeitsstrukturen bezüglich der eigenen Person ansehen (und nicht über andere Menschen Bewertungen aussprechen), Übertragungen aus der eigenen Lebensbiographie als solche identifizieren (und nicht an der Aufrechterhaltung des so genannten blinden Flecks arbeiten), eigene Werte als Individualwerte anerkennen (und sie nicht zum allgemeingültigen Wert, verbindlich für alle anderen, erklären) sowie sich und anderen immer wieder die Möglichkeit geben, ins Gespräch zu kommen (mit den entsprechenden Personen zu reden, anstatt über sie herzuziehen).
Ein Wachstumsprozess im Feld der Persönlichkeitsbildung wird immer mit „Haken und Ösen“ versehen sein – er ist schwer zu gehen und kompliziert zu entdecken. Aber wie ist es anders möglich, Kinder in ihrer Einmaligkeit zu unterstützen, ihre Andersartigkeit zu akzeptieren, ihre Selbstständigkeit zu fördern und ihre Selbstbestimmung zu bejahen, wenn es den Teilnehmerinnen in Fortbildungsveranstaltungen nicht gelingt, diese Ziele zunächst für sich selbst zu realisieren?
Fortbildung als Persönlichkeitsbildung provoziert Widerstände, gerade bei Fragen von „Macht und Ohnmacht“, „Sexualität“, „Nähe und Distanz“, „Offenheit und Grenzen “. Weil dies so ist, wird sich zeigen, inwieweit die offene Diskussion mit allen Beteiligten in der Fortbildung und die grundsätzliche Auseinandersetzung wirklich mit Achtung vor dem anderen, Wertschätzung der Person, Toleranz zu anderen Haltungen und Respekt vor dem Menschen geführt wird; gerade dann, wenn unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen und dadurch eigene Werte ins Wanken kommen.
„Das Leben jedes Menschen ist ein Weg zu sich selber hin, der Versuch eines Weges, die Andeutung eines Pfades. Kein Mensch ist jemals ganz und gar er selbst gewesen; jeder strebt dennoch, es zu werden, einer dumpf, einer lichter (…). Mancher wird niemals Mensch, bleibt Frosch, bleibt Eidechse, bleibt Ameise. Mancher ist oben Mensch und unten Fisch. Aber jeder ist ein Wurf der Natur nach dem Menschen hin“ (Hermann Hesse, Demian, 1965, S. 10f.).
Hesse spricht hier klare Worte, nicht um zu beleidigen, sondern um deutlich zu machen, was war und ist. Dinge werden beim Namen genannt, ohne zu beschönigen, ohne zu verwässern. Persönlichkeitsbildung umfasst damit auch Selbsterfahrung, in der es darum geht, sensibler für eigene Denkmuster und Handlungsschienen zu werden, Konflikte als Wachstumspotentiale zu begreifen und Geschehnisse vor allem in Sinnzusammenhängen zu sehen.
Persönlichkeitsbildung kann nur dort geschehen, wo eine systemische Sicht Einzug halten kann. Dies ist gerade bei Konflikten in der Fortbildung in höchstem Maße notwendig. Konflikte haben immer vielschichtige Gründe, wobei ein benannter Konfliktgrund in fast allen Fällen nicht nur einsichtig (also völlig verkürzt) und damit falsch gesehen wird, sondern es werden auch Gründe und Auslöser für Konflikte vertauscht. Dabei hat die Praxis gezeigt, dass gerade Referenten mit starren Verhaltensmustern, die unbeirrt (und blind) an unreflektierten Wegen festhalten, die Dynamik emotionalisierter Machtkämpfe forcieren, Teilnehmerinnen (unbewusst) massiv manipulieren und aus der Erklärung eines pseudo-solidarischen Verhaltens heraus Fronten schaffen, die destruktive Auswirkungen auf den Seminarverlauf haben. Persönlichkeitsbildung in der Fortbildung geschieht dann nur noch in Abhängigkeit von den Referenten, wobei diese Interaktionsstruktur weder eingesehen noch verändert werden kann/wird.
Hier gilt es, sich langsam ganz dezidierten Situationsanalysen zu nähern, mit Offenheit für alle und in ständiger Besinnung auf die eigene Person. Schließlich ist Persönlichkeitsbildung die Voraussetzung für soziale und fachliche Kompetenz, die dann in einer wirklich identischen und professionalisierten Handlungskompetenz mündet. Nur: Solange es Referenten in der Fortbildung gibt, die gesprochene und geforderte Werte nicht selbst leben, und solange es Teilnehmerinnen gibt, die glauben, sich selbst dadurch zu erhöhen, indem sie erfahrene Dinge in der Fortbildung zum Schaden anderer einsetzen, solange bleibt Persönlichkeitsbildung auf der Strecke. Fortbildung unter dem Aspekt von Persönlichkeitsbildung ist notwendiger denn je; und dabei „brauchen wir keine neue Theorie, sondern ein neues Umgehen mit den bisherigen Ergebnissen” (R. D. Laing).
Berufseid für Erzieherinnen?
Kinder leben in einer Welt der Konsumausrichtung, in einer Zeit der Eile und Hektik, in einem Geflecht zunehmender Erwartungen und in einer Welt der Erwachsenen, die zahlreiche Unternehmungen starten, eine „Kinderkultur“ einzurichten. Dies mit dem Ergebnis, dass Kinder als Konsumenten umworben, als angehende Schüler schon in der Kindergartenzeit gefördert und als zukünftige Erwachsene gezielt geprägt werden. Dabei bleibt das Kind-Sein immer häufiger auf der Strecke.
Die Zahl der seelischen und körperlichen Misshandlungen ist gleichbleibend hoch und immer wird nur die Spitze des Eisbergs sichtbar, wenn Kinder unter Erwachsenen zu leiden haben. Welch eine Welt, in der viele Kinder groß werden! Auf der anderen Seite werden Kinder aber auch übersorgt, mit Liebe erdrückt und von den Erwachsenen unselbständig gehalten, sodass es schmerzt zu beobachten, wie aktive Autonomiebestrebungen von Kindern im Keim erstickt werden. Kindesmisshandlungen also auf ganzer Breite!
Doch wohin ich schaue, sehe ich das Gebot,
die Eltern zu respektieren.
Nirgends aber ein Gebot,
das Respekt für das Kind verlangt.
A. Miller
Da erstaunt es nicht, wenn ernstzunehmende Berichte verdeutlichen, dass viele Erwachsene, die nach Thailand fliegen und sich aktiv an der Kinderprostitution beteiligen, sich offensichtlich auch aus den Berufszweigen der Pädagogen, Lehrer und Ärzte rekrutieren. Da erstaunt es nicht, wenn viele Beispiele aus deutschen Kindergärten leider belegen, dass auch innerhalb elementarpädagogischer Einrichtungen Kinderseelen nicht selten durch Wortmisshandlungen Erwachsener Wunden zugefügt werden. Da erstaunt es nicht, wenn Kinder in ihrer Entwicklung, ihrem magischen Denken und ihrer Welt der Fantasie nicht ernstgenommen werden, sodass sie ihre Welt mit Zeit und in Ruhe nicht erleben dürfen.
Da erstaunt es nicht, wenn es Erzieherinnen und andere pädagogische Fachkräfte gibt, die einer Frühförderung im Kindergartenalter – sei es durch einen regelmäßig stattfindenden, wöchentlichen Englischunterricht – neben einer ganzen Reihe anderer Fördermaßnahmen zustimmen und den Leistungsaspekt schon vor der Schule hoch bewerten. Ja, da erstaunt es nicht, wenn ein Kindergartenkind laut weinend im Flur der Einrichtung sitzt und eine Erzieherin, die darauf angesprochen wird, ob sie wisse, warum der kleine Junge so traurig sei, lapidar antwortet, das könne sie nicht sagen, weil das Kind nicht zu ihrer Gruppe gehört.
Vor fast 200 Jahren hat es Jean Paul einmal so formuliert, als er sich mit der frühen Überforderung der Kinder auseinander gesetzt hat:
Wenn man Kinder mit Wissen voll stopft
Was heißt das anderes, als in einem fort einen Acker mit Samen auf Samen voll säen?
Daraus kann wohl ein toter Kornspeicher, aber kein lebendiges Erntefeld werden.
Oder – in einer anderen Gleichung – eure Uhr geht so lange, als ihr sie aufzieht
Und ihr zieht die Kinder ewig auf und lasst sie nicht gehen.
Kinder brauchen gesunde Luft zum Atmen, sie brauchen Platz, um ihren Bewegungsmöglichkeiten Ausdruck zu geben, und sie brauchen Zeit, um sich ganz und gar zu entwickeln. Ihre Impulsivität und Lebensfreude, ihre ungebremste Neugierde und der Wunsch, sich zu verwirklichen, verlangen geradezu danach, dass Erwachsene – auch gerade in Kindergärten – sich verantwortlich fühlen, den Kindern zu helfen, die Welt zu erobern, sodass Kinder sich wohl und aufgehoben fühlen.
Die Freiheit ist dann erlangt,
wenn das Kind sich seinen inneren
Gesetzen nach, den Bedürfnissen seiner
Entwicklung entsprechend, entfalten kann.
Das Kind ist frei,
wenn es von der erdrückenden Energie der Erwachsenen
unabhängig geworden ist.
Ich schlage daher vor, dass Erzieherinnen und andere in der Pädagogik verantwortliche Personen – ähnlich wie Ärzte und Ärztinnen – einen Eid mit Beginn ihrer Berufstätigkeit ablegen, um vor sich, den Kindern und Eltern, den Kolleginnen und der Öffentlichkeit zu dokumentieren, dass sie sich deutlich, klar und kompromisslos als konsequente „Vertreterinnen von Kindern“ verstehen. Dieser Eid würde dann ein fester Bestandteil des Anstellungsvertrages werden und bei Nichtbeachtung arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Mitarbeiterinnen, die diesen Eid verweigern, könnten und dürften nicht im Bereich der Elementarpädagogik tätig werden, denn:
Wer nach der Wahrheit, die er bekennt, nicht lebt, ist
der größte Feind der Wahrheit selbst.
Julius Rupp
Gleichzeitig würde ein Berufseid – und dieser Aspekt ist meines Erachtens nicht zu unterschätzen – den politisch Verantwortlichen deutlich machen, dass mit dieser berufsethischen Erklärung unangemessene und unverantwortliche Ansprüche an die Elementarpädagogik hinfällig sind.
ln einer Welt, in der Kinder immer mehr zum Spielball von Erwachsenen, zum Konsumgut einer Erwachsenenweit erklärt und zu medienbeeinflussten Objekten werden, wo Kinder und engagierte Erzieherinnen sich vielleicht in der Verbalakrobatik von Politikern wiederfinden, aber nicht zur real wahrgenommenen Persönlichkeit im Netz der Politik gehören, dort, wo Kinder von Institutionen und Verbänden teilweise zur eigenen Profilierung benutzt und in ihrer Individualentwicklung gehandicapt werden, dort ist es mehr denn je nötig, dass Erzieherinnen und andere pädagogische Mitarbeiterinnen endlich ernst machen mit der Forderung, dass Kinder eine reale Lobby erhalten – jeden Tag, praktisch vor Ort, in den Kindergärten, der Politik und Gesellschaft.
Lasst uns die Erde den Kindern übergeben, wenigstens für
e i n e n Tag, wie ein bunt geschmückter Luftballon zum
Spielen, Lieder singend zwischen den Sternen. Lasst uns
die Erde den Kleinen übergeben, wie einen riesigen
Apfel, wie ein warmes Brot, wenigstens für einen Tag
sollen sie satt werden. Lasst uns die Erde den Kindern
übergeben, wenn auch nur für einen Tag soll die Welt die
Freundschaft kennen lernen. Die Kinder werden uns die
Erde wegnehmen, werden unsterbliche Bäume pflanzen.
Nazim Hikmet
Eid der Erzieherinnen und anderer Mitarbeiterinnen in Kindergärten
Ich schwöre, in Verantwortung vor Kindern und ihren Eltern, in Verantwortung vor mir und der Öffentlichkeit, dass ich auf der Grundlage meines Wissens um entwicklungspsychologische Gesetzmäßigkeiten, in Kenntnis heutiger Kindheitsdaten und unter Berücksichtigung der schwersten Arbeit von Kindern, ihrem individuellen Wachsen, jeden Tag
die Wertschätzung und Achtung vor Kindern leben möchte,
den Kindern mit Verständnis und Respekt begegnen möchte,
ihr individuelles Wachstum im Sinne ihrer Individualentwicklung unterstütze,
jedwede Form körperlicher, seelischer oder geistiger Misshandlung ablehne,
Machtausnutzung oder Machtmissbrauch in meinem Erwachsenensein vermeide,
Kinder in ihrer besonderen Einmaligkeit schätzen und
Kinder in ihrer Würde weder direkt noch indirekt verletzen werde.
Dort, wo ich ein Unrecht – innerhalb oder außerhalb des Kindergartens – an Kindern beobachte, werde ich mutig, direkt und offen dafür eintreten, dass Unrecht an Kindern sich zum Recht wandelt. Ich werde Tag für Tag versuchen, Kindern ein „Recht auf diesen Tag” zu gewährleisten, mit ihnen – statt gegen sie – zu fühlen und zu spüren. Ich werde den „eigenen Entwicklungszeitraum Kindheit“ jedem Kind zugestehen und mich mit Erwachsenenratschlägen, moralisierenden Äußerungen oder Lenkungen zurückhalten, um meine eigenen Vorstellungen nicht zu denen der Kinder zu machen.
Ich verpflichte mich daher, kontinuierliche Selbsterfahrung und Supervision der Arbeit wahrzunehmen und mich als eine ständig lernende Person zu begreifen, in der Starrheit zum Fremdwort wird und stattdessen Offenheit, Sensibilität und persönliche, pädagogische und politische Wachheit zum wesentlichen Merkmal meiner Persönlichkeit werden.