Warum Kinder mit den Fingern zählen sollten – was Forschung heute weiß

Fingerzählen unterstützt das kindliche Zahlverständnis – und eröffnet einen natürlichen Zugang zur Mathematik

„Nicht mit den Fingern!“ – dieser Satz begegnet vielen Kindern schon in der ersten Klasse. Dabei zeigt die aktuelle Forschung, dass Fingerzählen ein zentraler Baustein im frühen Mathematiklernen ist. Die kognitive Entwicklungspsychologin Prof. Catherine Thevenot und ihre Kollegin Justine Dupont-Boime untersuchen seit Jahren, wie Kinder Zahlen verstehen und welche Rolle der eigene Körper dabei spielt. Ihre Forschungsarbeiten, vorgestellt im Magazin Cerveau & Psycho, zeigen eindrucksvoll, wie eng Fingerwahrnehmung und mathematisches Denken miteinander verknüpft sind.

Die Wissenschaftlerinnen arbeiten am Laboratoire du Cerveau et du Développement Cognitif (LABCD), einer Forschungseinheit, die sich mit der Entwicklung numerischer Fähigkeiten bei Kleinkindern beschäftigt. Dabei interessiert sie besonders, wie Kinder Finger als Werkzeug nutzen, um Mengen zu begreifen und einfache Rechenaufgaben zu lösen – eine Strategie, die weit natürlicher ist, als viele Erwachsene vermuten.

Wie Finger und Zahlen im Kopf zusammengehören

Einen besonders eindrucksvollen Hinweis auf diese Verbindung liefert ein Fall aus dem Jahr 1964: Ein elfjähriges Mädchen, das ohne Unterarme geboren wurde, berichtete, dass es „an seinen Fingern“ zählen könne – obwohl diese gar nicht existierten. Sie legte ihre imaginären Hände auf den Tisch und erfühlte beim Rechnen jeden einzelnen Finger. Wissenschaftlich spricht man hier von digitaler Gnosie, der Fähigkeit, die eigenen Finger mental präzise wahrzunehmen. Genau diese Fähigkeit, so zeigen zahlreiche Studien, hängt eng mit den späteren mathematischen Leistungen zusammen.

Kinder, deren Fingergnosie besonders ausgeprägt ist, haben nicht nur ein besseres Gefühl für Mengen, sondern schneiden auch in Mathematiktests langfristig überdurchschnittlich ab. In Experimenten mit Vorschulkindern zeigte sich, dass jene, die mit geschlossenen Augen genau benennen konnten, welcher Finger sanft berührt wurde, ein Jahr und sogar drei Jahre später deutlich besser rechneten als ihre Altersgenossen. Die Finger dienen gewissermaßen als körperliche Landkarte für Zahlen – ein intuitives System, auf das Kinder zurückgreifen, lange bevor sie abstrakte Symbole sicher beherrschen.

Warum Fingerzählen den Einstieg erleichtert

Die Erklärung dafür ist erstaunlich klar: Kinder, die ihre Finger gut spüren und nutzen, können Zahlen leichter mit bestimmten Fingerstellungen verknüpfen. Die Zahl 4 hat plötzlich eine Form, die man anfassen kann; die Zahl 7 entsteht aus fünf Fingern der einen und zwei Fingern der anderen Hand. Rechnen wird damit nicht zu einer abstrakten Pflichtaufgabe, sondern zu einer körperlich erfahrbaren Handlung.

Kinder mit schwächerer Fingergnosie greifen seltener auf dieses körperliche Zahlengedächtnis zurück. Genau diese Kinder haben oft größere Schwierigkeiten, Mengen zu vergleichen oder einfache Additionen zu lösen – ein Unterschied, der sich später im Mathematikunterricht deutlich bemerkbar machen kann.

Die Klügsten beginnen als Erste damit

Besonders spannend ist, dass Thevenot und Dupont-Boime in ihren Studien nicht etwa jene Kinder häufiger beim Fingerzählen beobachteten, die unsicher sind oder Unterstützung brauchen. Im Gegenteil: Es waren gerade die leistungsstärksten Kinder, die früh und selbstbewusst auf ihre Finger als Hilfsmittel zurückgriffen. In Versuchen mit versteckter Kamera arbeiteten die klügsten Fünf- und Sechsjährigen am häufigsten mit ihren Fingern, wenn sie einfache Additionen lösen sollten.

Diese Kinder fanden aber auch schneller wieder zu abstrakteren Rechenwegen. Das deutet auf ein natürliches Entwicklungsfenster hin, in dem Fingerzählen besonders sinnvoll ist – ungefähr um das sechste Lebensjahr herum. Danach entwickeln Kinder automatisch Strategien, bei denen sie Zahlen auswendig abrufen oder Mengen rein mental vergleichen können.

Warum Fingerzählen im Unterricht mehr Raum haben darf

Trotz der klaren Befunde gilt Fingerzählen in vielen Klassenzimmern als überholt oder peinlich. Manche Kinder verstecken ihre Hände unter dem Tisch, um nicht aufzufallen, oder fragen verlegen nach Erlaubnis. Dabei sprechen sowohl entwicklungspsychologische als auch neuroanatomische Erkenntnisse dafür, diese natürliche Strategie zu unterstützen.

Bildgebende Studien zeigen, dass sich Gehirnareale für Fingerwahrnehmung und Zahlenverarbeitung überlappen. Wird die Aktivität dieser Regionen künstlich gestört, beeinträchtigt dies sowohl die Fähigkeit, Finger zu spüren, als auch die Fähigkeit, Zahlen zu vergleichen. Das Gehirn arbeitet hier also in einem gemeinsamen Netzwerk – ein Netzwerk, das Kinder intuitiv nutzen, wenn sie an ihren Fingern abzählen.

In historischen Quellen zeigt sich zudem, dass das Fingerzählen jahrhundertelang elementarer Bestandteil mathematischer Bildung war. Arithmetikbücher galten erst dann als vollständig, wenn sie das Rechnen mit den Fingern erklärten. Die enge Beziehung zwischen Zahl und Körper war selbstverständlich – und verlor sich erst mit der zunehmenden Schulabstraktion.

Wie man Kinder beim Fingerzählen begleitet

Das Forschungsteam arbeitet inzwischen an einem Lernprogramm für Kinder, die diese hilfreiche Strategie nicht von selbst verwenden. Dabei lernen Kinder zunächst, Mengen eindeutig mit bestimmten Fingerstellungen zu verbinden, später werden diese Muster automatisiert. Im nächsten Schritt üben sie, zwei Zahlen über Fingerbilder zu einer Summe zusammenzuführen – etwa indem sie 3 auf einer Hand und 5 auf der anderen zeigen. Schließlich entwickeln sie Strategien, bei denen sie von der größeren Zahl ausgehen und nur die kleinere über die Finger ergänzen.

Diese Vorgehensweise zeigt, wie eng körperliche Erfahrung und mathematisches Denken miteinander verflochten sind. Wenn Kinder ihre Finger nutzen dürfen, entsteht ein natürlicher Zugang zu Zahlen, der ihnen eine stabile Grundlage für alle weiteren Lernschritte bietet. Gerade in einer Welt, in der Mathematik in nahezu allen Lebensbereichen eine Rolle spielt, lohnt es sich besonders, diese körpernahe Form des Lernens ernst zu nehmen und zu unterstützen.




Wie Pappbilderbücher die Lesefreude von Anfang an fördern

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Schon Babys und Kleinkinder lesen mit allen Sinnen: Sie sehen, hören, fühlen und begreifen ihre Welt. Pappbilderbücher unterstützen die natürliche Lesefähigkeit – wenn sie entwicklungsgerecht gestaltet sind und an die Lebenswelt der Kleinsten anknüpfen

Kein Mensch wird der These widersprechen, dass schon  das neugeborene Kind außer zu schlafen und Milch zu trinken, nichts anderes tut, als zu lesen. Natürlich kann es noch keine Buchstaben und Wörter entziffern, aber es beobachtet und erfasst ganz genau, was um es herum geschieht. Diese Aneignung findet auf allen Ebenen der Sinneswahrnehmungen statt und ist eine grundlegende Form von Lesen.

Das Kind begreift Schritt für Schritt seine Umwelt

Das Baby riecht die Nahrungsquelle, die Muttermilch und ist schon nach wenigen Tagen Lebenszeit in der Lage, die eigene Mutter mit dem Geschmack der begehrten Milch in Verbindung zu bringen. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass das 72 Stunden alte Kind durch Mimik und sogar durch Verweigerung alternativer Milch auf der einen einzigen zu ihm gehörenden Milch mit ihrem für dieses Kind unverwechselbaren Geschmack besteht. Glücklicherweise ist das Kindchen bestechlich und kann zum Milchersatz verführt werden, wenn auch in der Regel unter gehörigem Protest.

Dass es seine Mutter ebenso durch den Geruch, wie auch akustisch erkennen kann, ist eine grandios komplexe Leistung des Gehirns. Man weiß, dass das Kind schon während der Schwangerschaft das Sprechen der Mutter aufgenommen hat und nun jenseits der Fruchtwasserblase die Satzmelodie und den Sprachrhythmus der Mutter als vertraut erkennt, wenngleich es die Bedeutung der Wörter noch nicht kennt, sondern erst lernen muss.

Ebenso verhält es sich mit dem Aussehen der ersten Bezugspersonen. Die kitzelnden Haare der Mutter beim Stillen werden mit dem Klang der Stimme, dem Duft ihrer Haut verbunden, desgleichen der kratzende nicht frisch rasierte Vater, mit seinem ebenfalls unverwechselbaren Geruch und seinem Tonfall. Das alles ergibt ein Bild, das als Basis festgeschrieben sein wird im Gedächtnis eines sich entwickelnden Menschen. Der Säugling ist dabei ständig in Bewegung und begreift Schritt für Schritt seine Menschen und seine Umwelt. Das Ertasten, das Sehen, das Hören, das Fühlen und Schmecken sind also unverzichtbare Grundformen des Lesens.

Entwicklung findet sowohl analog, als auch systematisch statt

All diese ersten Erfahrungen werden einzeln aufgenommen und gleichzeitig im Gehirn mit seinen reichen Verzweigungen eingeordnet. Welterfahrung ist also ein systemisches Geschehen, das die Ordnung und Kategorisierung der unterschiedlichen Bereiche bestätigt. Das alles geschieht durch ein sich Erlesen der einzelnen Phänomene, an denen sich inhaltlich genau bestimmte Begriffe bilden, die dann zu Sätzen oder ersten kleinen Erzählungen werden.

Alle Informationen werden über die Sinnesorgane ins Gehirn transportiert

Wie ein großer Baum, der durch die Wurzeln über den Stamm alle lebenswichtigen Nährstoffe in die Äste und einzelnen Zweige transportiert, so werden beim Menschen alle Informationen über die Sinnesorgane ins Gehirn transportiert, wo sich durch  ständiges Wiederholen und Überprüfen die zu Begriffen gewordenen Eindrücke an ihrem Platz im Gehirn eingeschrieben werden. Es ist absolut faszinierend, wie Kinder mit der im Laufe der ersten zwei Jahre gewonnenen und ausgebildeten Sprache immer wieder die Richtigkeit ihrer Erkenntnisse bekunden. Sie erzählen in Dreiwortsätzen oder auch schon mit komplexen Formulierungen kleine Geschichten und beweisen damit gerne, was sie alles schon begriffen haben. Diese Übersetzung von Phänomenen und Erlebnissen in Begriffe und Erzählungen ist ein Prozess der Analogie als Grundlage für die Entstehung von systemischen Zusammenhängen.

Erste Bücher müssen für das kleine Kind lesbar sein und sollten die Lebenswelt des Kindes widerspiegeln

Weil die Fähigkeit, mit Gegenständen sorgfältig umzugehen, noch nicht abschließend ausgebildet ist, braucht das ganz kleine Kind Bücher, die so stabil sind, dass sie die hunderte Male, die sie gelesen werden wollen, überstehen können. Dicke Pappseiten so zum Buch gebunden, dass das geöffnete Buch auch wirklich offen liegen bleibt, ist deshalb die ideale Form. Diese Bücher müssen auch essbar sein, denn alles muss durch Lutschen und Knabbern in seiner Funktion getestet werden. Der Buchmarkt bietet diesbezüglich ein unüberschaubares Angebot und genau hier liegt ein Problem. Eltern, die ihr Kind in seiner Entwicklung unterstützen und fördern wollen, sind gerne bereit, viele dieser ersten Bilderbücher zu erwerben und vorzulesen. Zu viele Bücher im Kinderzimmer können allerdings leicht zur Überflutung werden und bloßes Vorlesen ist  in dieser Entwicklungsphase nicht für die Ausbildung von Selbstbewusstsein geeignet, denn das noch so kleine Kind will bereits selber lesen. Es will sogar richtig lesen.

Das bedeutet, dass die Bilder, die es auf diesen wunderbaren Pappseiten findet, so gezeichnet und gemalt sein müssen, dass sie das Bild als Abbildung des Abgebildeten verstehen können. Es ist eine große Kunst, Gegenstände, aber auch die Mimik und Gestik von Lebewesen so zu malen, dass sie diese Notwendigkeit erfüllen. Der moderne Buchmarkt, der mit seiner Massenproduktion und der Möglichkeit mit digital erstellten Bildern billige Endprodukte drucken zu können, und auch die postmoderne Egozentrik vieler KünsterInnen, die sich vor allem selbst verwirklichen wollen und nicht darauf achten, dass sie Bücher für kleine Kinder mit ihren spezifischen Bedürfnissen machen. Beides ist eher schädlich für das, was Leseförderung von Anfang an ausmacht. Die begeisterten Jubeläußerungen der kleinsten Kinder, die richtig gelesen haben, könnten aber durchaus auch alle Erwachsenen, die das erleben davon überzeugen, dass ihre Kinder „altmodische‘‘ Bücher brauchen.

Welche Bücher brauchen Kinder als Grundlage für ihre Lesekompetenz

Schon im Krabbelalter interessieren sich Kinder für Bücher, wenn sie sich von ihnen angesprochen fühlen. Ein dicker grau gefüllter Kreis mit einem Haken dran stellt nicht zwingend einen Elefanten dar, sondern ist eine Totalabstraktion, die bestenfalls für kunstinteressierte Erwachsene gemeint sein kann. Auch wenn das Wort „Elefant‘“ unter diesem Zeichen steht, ist es für das Kind eine große Verwirrung, ja sogar eine Lüge, auf jeden Fall aber eine falsche Information. Sogar ein noch so realistisch einzeln abgebildeter Elefant ist nur dann interessant, wenn das Kind schon mal im Zoo durch das Tröten und Posaunen dieser Tiere auf sie  aufmerksam geworden ist. Bücher mit solchen Illustrationen sind eher als Kontraproduktiv zur Leseförderung einzuordnen.

Viel interessanter sind für das Kind Abbildungen von Tassen, Tellern, Löffeln, Fläschchen, Bananen, Äpfeln und eben all der Dinge, die es aus seiner Umgebung kennt. Sie müssen so gezeichnet sein, dass man das Material der glänzenden gusseisernen Pfanne und das bruzzelnde Spiegelei darin genau erkennen kann, dass man die Banane zu fühlen glaubt und am liebsten schälen und essen möchte. Vor allem aber ist wichtig zu bedenken, dass Kinder ganz andere Dinge und Leute interessant finden, als Erwachsene sich das vorstellen.

Viel vertrauter als ein Elefant ist also eine Fliege, ein Schmetterling, ein Vogel, eine Katze, ein Hund, oder ein Huhn, das aber erst dann, wenn es auch ein Ei gelegt hat, oder als Familie mit Hahn und vielen kleinen Küken angetroffen werden kann. In den allerersten Büchern dürfen diese Lebewesen eine ganze Seite für sich beanspruchen und können so immer wieder besucht und bewundert werden – was für ein Wunder: ein sonst bellender, springender, lustiger Hund sitzt hier ganz artig und wartet darauf gestreichelt zu werden.

Und obwohl diese Pappseiten immer und immer wieder untersucht werden, ob sie nicht doch plötzlich lebendige Spielfreunde entlassen, entwickelt sich das Kind in rasender Geschwindigkeit. Bald braucht es, noch immer auf fester Pappgrundlage, tatsächlich schon erste Handlungsabläufe. Das Futterhäuschen im Winter bietet Platz für an- und abfliegende Vögel, da wird in den Körnern gepickt und gesungen. Wichtig ist auch hier, dass die einzelnen Tiere korrekt in ihrem Kontext vorgestellt werden. Wenn von einer Blaumeise die Rede ist, dann sollte nicht der blaue Hintergrund gemeint sein, sondern ihr unverwechselbares Aussehen, das sich von Kohlmeisen unterscheidet.

Das Gedächtnis gleicht Sedimentgestein

Leider sind solche Fehler nicht selten in schnell und unwissend gemachten Büchern zu finden. Kinder stört das sehr, denn sie sind ausgesprochen ehrlich und wollen, dass alle Leute den richtigen Namen haben, schließlich nehmen sie sie mit in ihr ganzes Leben. Gedächtnis muss man sich vorstellen wie Sedimentgestein. Alles was ganz unten liegt, geht nie mehr verloren. Es wird sicher überdeckt von vielen Schichten immer neuer Daten, Informationen, Geschichten. Noch im hohen Alter lieben Greise es, Verstexte aus ihren allerersten Bilderbüchern zu zitieren. Vielleicht sollten auch deshalb die ersten Bücher freundliche, auf Verstehen ausgerichtete Inhalte vermitteln. Auf jeden Fall ist es wichtig, ohne Zweideutigkeiten in Bild und Wort für Kinder davon zu erzählen, was sie lieben können.

Erste Bildergeschichten für die Entwicklung der Sprachvielfalt

Von Dreiwortsätzen war schon die Rede. Nun braucht das Kind einen nächsten Schritt. Nach einzelnen Abbildungen müssen nun erste Bildergeschichten die Entwicklung der Sprachvielfalt locken. Es geht jetzt nicht mehr nur darum, dass ein kleiner Bär in einem Zug sitzt, sondern um die unterschiedlichen Möglichkeiten, sich fortzubewegen, angesaust zu kommen. Das wird nun durchgespielt: man kann Fahrrad oder Roller fahren, den Leiterwagen ziehen, hüpfen, rennen, auf Stelzen gehen, man muss tanken, zurückwinken und stolpern und so viel mehr. Kinder wollen auch gerne helfen: beim Kochen, beim Putzen, beim Wäsche aufhängen, beim Blumengießen.

Dabei kann es zu verschiedenen Pannen kommen:

man kann hinfallen, etwas fallen lassen, etwas kaputt machen, die Tomatensuppe überkochen lassen usw. All diese Beschäftigungen sind Kindern bestens bekannt, und sie in einem Buch zu finden, ist sehr interessant. Großes Vergnügen bereitet es Bekanntes und aufregend ist es Neues zu entdecken. Wichtig ist dabei nur, dass Neues in vertraute Zusammenhänge eingebettet ist.


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Aus: Helmut Spanner: Erste Wörter – Erste Sätze, spielen und lernen, 978-3-910295-02-5

Eine große Doppelseite zum Thema „Fleißige Handwerker“ erzählt in Bildern, dass man mit dem Bagger Steine transportieren kann; das kann man auch mit dem Lastwagen tun; aber ein Gebäude zu mauern, das hat man im Zweifel noch nicht selber gemacht. Auf jeden Fall braucht man nun Gesprächspartner, die mitlesen und viel davon erzählen können, wie sich die Bilder zu kleinen Geschichten ausbauen lassen. Sinnvoll ist es, Motive aus vorhergehenden in weiterführenden Büchern zu finden. Wenn also auf Doppelseiten verschiedene Räume einer Wohnung, wie Küche, Badezimmer, Kinderzimmer usw. mit ihren Utensilien vorgestellt wurden, dann ist es herrlich, in einem neuen Buch Spiel- und Tätigkeitsszenen in ebendiesen Zimmern mit ersten kleine Versen begleitet, vorzufinden.

Und schon braucht das Kind weitere Bücher, die nun nicht mehr zwingend dicke Pappseiten brauchen. Idealerweise schließen sie aber mit ihren Inhalten an das bisher Entdeckte an und legen damit eine Leiter, auf der das begeistert lesende Kind nun immer weiter nach oben klettert, bis es irgendwann Bücher auch ohne Bilder zur Hand nehmen wird im Vertrauen darauf, dass es darin wunderbare Welten für sich entdecken wird. Wer als ganz kleines Kind die richtigen Pappbilderbücher angeboten bekommt, wird Bücher niemals als etwas Fremdes empfinden, sondern ganz selbstverständlich in allen weiteren Entwicklungsphasen gerne danach greifen.

Leseförderung geht so ganz organisch den Weg der Freude und Bereicherung.  Die Bücher selbst sind es dann, die für Leser zum Leben gehören.

Einige Empfehlungen von unverzichtbar wichtigen Titeln:

Rotraud Susamme Berner:

Loes Botman:

Eric Cale:



Helmut Spanner:


Gabriele Hoffmann, Diplom-Pädagogin und Entwicklungspsychologin, sammelt seit 1968 professionelle Erfahrungen mit Kinderbüchern als Buchhändlerin, Inhaberin „Leanders Leseladen” (1980-2014), Rezensentin (u.a. im „Buchmarkt”, „Harry und Pooh bei Libri” 2000-2013, Kataloge „Leanders Lieblinge” Kleinkind, Grundschule, Jugendliche). Sie hat etliche Vorträge und Fortbildungsseminare für Erzieherinnen, Schulen, Buchhändlerinnen, Autor*innen und Verlage gehalten. 2004 gründete sie LeseLeben e.V. zur Förderung der Sprach- und Lesekultur mit inzwischen über 200 Video- Buchempfehlungen. (Mehr dazu unter: https://www.leseleben.de/)




Kinder denken früher logisch, als wir dachten

Neue Studie zeigt: Schon Vierjährige können Probleme systematisch lösen

Kinder können schon im Vorschulalter erstaunlich logisch denken – und damit frühzeitig komplexe Probleme lösen. Zu diesem Schluss kommt ein Forschungsteam der University of California, Berkeley, das die Denkstrategien von 123 Kindern zwischen vier und zehn Jahren untersucht hat. Anders als die klassische Entwicklungspsychologie bisher annahm, zeigte sich: Bereits Vierjährige sind in der Lage, logisch zu planen und systematische Lösungen zu entwickeln – ganz ohne Versuch und Irrtum.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder tatsächlich viel früher in der Lage sind, spontan logische Strategien zu entwickeln, wenn die Umstände dies erfordern“, erklärt die Entwicklungspsychologin Celeste Kidd, Mitautorin der Studie.

Wenn Logik hinter dem Chaos steckt

Was auf den ersten Blick nach kindlichem Chaos aussieht – ausgeräumte Schubladen, verstreute Bauklötze oder umgekippte Taschen – kann in Wahrheit Ausdruck einer erstaunlichen Denkleistung sein. Die Forschenden wollten herausfinden, wie Kinder Probleme lösen, wenn reines Ausprobieren („Trial and Error“) nicht hilft.

In ihrem Experiment spielten die Kinder ein Computerspiel: Hinter einer Wand waren Fantasiewesen versteckt, deren Turnschuhe sichtbar herausragten. Aufgabe war es, die Wesen nach ihrer Körpergröße zu ordnen – also von klein nach groß. Da die Kinder die Figuren selbst nicht sehen konnten, mussten sie aus Hinweisen auf die richtige Reihenfolge schließen.

Vierjährige nutzen Strategien wie kleine Informatiker

Das Ergebnis überraschte selbst die Forschenden: Mehr als die Hälfte der Kinder – darunter viele Vierjährige – entwickelte systematische Strategien, um das Problem zu lösen. Manche sortierten nach logischen Mustern, die an bekannte Informatik-Algorithmen erinnerten.

„Diese Kinder haben im Prinzip eigene Sortierregeln erfunden“, sagt Kidd. „Sie konnten das Ziel nicht sehen, aber sie haben Wege gefunden, das Problem Schritt für Schritt zu strukturieren.“ Damit widerspricht die Studie einer seit über 60 Jahren gültigen Annahme des berühmten Psychologen Jean Piaget, der glaubte, dass Kinder erst ab etwa sieben Jahren logisch denken können.

Was das für Pädagogik und Eltern bedeutet

Die Forschenden sehen ihre Ergebnisse als wichtigen Impuls für frühe MINT-Bildung (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Wenn Kinder schon im Vorschulalter fähig sind, logische Zusammenhänge zu verstehen, sollten sie früher mit passenden Herausforderungen in Kontakt kommen – etwa durch Spiele, die planvolles Denken unterstützen.

Auch Eltern können profitieren: Wenn das Kind wieder einmal Unordnung schafft, lohnt sich vielleicht ein neuer Blick darauf. „Man sollte sich klarmachen, dass Kinder oft genau dann lernen, wenn sie scheinbar Chaos anrichten“, so Kidd. „Das Durcheinander ist manchmal ein Zeichen dafür, dass sie aktiv nach einer Lösung suchen.“

Mehr zur Studie

Die vollständige Untersuchung „Children spontaneously discover efficient solutions to a difficult sorting task“ von Celeste Kidd et al. ist als Preprint verfügbar unter:
👉 https://escholarship.org/content/qt7tj838s0




„Sich für Qualität in der frühen Bildung stark machen!“

Bündnis für Kita-Qualität richtet Appell an Beteiligte der Koalitionsverhandlungen

Investitionen in die heranwachsende Generation legen den Grundstein für eine bessere Zukunft. Eine gute und bedarfsgerechte Kindertagesbetreuung stärkt die Gesellschaft. „Eine neue Bundesregierung muss sich für Qualität in der frühen Bildung stark machen und die dafür notwendigen Finanzmittel dauerhaft zusichern und ausbauen – auch nach 2026“, fordert daher das Kita-Qualitätsbündnis aus Arbeiterwohlfahrt (AWO), Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Verband Katholischer Tageseinrichtungen (KTK) – Bundesverband in einem gemeinsamen Appell an die Beteiligten der Koalitionsverhandlungen, der von einer Vielzahl von weiteren Organisationen unterzeichnet wurde.

Maike Finnern, GEW-Vorsitzende: „Bildung von Anfang an ist der Schlüssel zu einer gerechten und inklusiven Gesellschaft. Eine neue Bundesregierung muss schnell handeln, denn wir brauchen dringend bundesweit gute Rahmenbedingungen in der frühkindlichen Bildung und die dafür notwendigen Finanzmittel. Hier muss der Bund Verantwortung übernehmen und sich für die frühe Bildung stark machen.“

Marvin Deversi, Vorstand im AWO-Bundesverband: „Als Bündnis halten wir an unseren bekannten Forderungen wie etwa einem angemessenen Personalschlüssel, dem Anspruch auf Fort- und Weiterbildung und dem Anspruch auf Fachberatung fest. Wir wissen genau: Das Kita-System ist bereits hochkompetent, es braucht aber dringend passgenaue Unterstützung vom Bund. Die allseits bekannten Schwachstellen müssen jetzt in Angriff genommen werden.“

Mirja Wolfs, Vorsitzende des KTK-Bundesverbandes: „Es ist ein wichtiges Signal, dass die Verhandelnden gerechte und gleiche Bildungschancen für alle Kinder als Ziel benannt und die gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen für die Kitas betont haben. Entscheidend wird nun sein, dass diesen Worten Taten folgen. Wir werden die Umsetzung der zugesagten Maßnahmen in den nächsten vier Jahren intensiv verfolgen und die Verantwortlichen daran messen.“

Info: Die Bereitschaft zu einer Kooperation haben Bund und Länder in der vergangenen Legislaturperiode im gemeinsamen „Letter of Intent zwischen der Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ vom 27. März 2024 klar festgehalten. Darin heißt es: „In gemeinsamer Verantwortung von Bund und Ländern werden wir den gemeinsam begonnenen Prozess zur Weiterentwicklung der Qualität in den Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege nahtlos weiterführen.“

Seit mehr als zehn Jahren setzt sich das Bündnis für Kita-Qualität aus AWO, GEW und KTK-Bundesverband für mehr Qualität in der Kindertagesbetreuung ein. Kernforderungen sind bundesweit verbindliche Standards, u.a. gute Personalschlüssel, Leitungsfreistellung sowie mehr Zeit für Fort- und Weiterbildung, Fachberatung und die Berücksichtigung der mittelbaren pädagogischen Arbeitszeit.

Quelle: Pressemitteilung AWO, GEW, KTK