Wird es Junge oder Mädchen? Doch mehr als Zufall

Große US-Analyse zeigt: Das Geschlecht eines Kindes ist nicht bei allen Familien gleich zufällig – Alter der Mutter und genetische Einflüsse könnten mitentscheiden

Viele Eltern kennen das: In manchen Familien gibt es fast nur Töchter, in anderen fast ausschließlich Söhne. Was bislang meist als Laune der Natur oder Zufall galt, bekommt durch eine neue, groß angelegte US-Studie einen neuen Erklärungsansatz. Forschende analysierten die Geburten von über 58.000 Frauen mit insgesamt mehr als 146.000 Schwangerschaften und fanden Hinweise darauf, dass das Geschlecht eines Kindes innerhalb einzelner Familien nicht völlig zufällig verteilt ist.

Großfamilien unterscheiden sich von Kleinfamilien

Im Gegensatz zur gängigen Lehrbuchmeinung, wonach das Geschlecht bei der Zeugung einem einfachen Münzwurf ähnelt, zeigte sich ein anderes Bild: Während bei kleinen Familien das Verhältnis von Jungen und Mädchen noch ausgeglichen erscheint, häufen sich in größeren Familien gleichgeschlechtliche Kindergruppen. So lag etwa bei Familien mit drei Söhnen die Wahrscheinlichkeit für einen vierten Jungen bei rund 61 Prozent – ein deutlicher Ausschlag in Richtung Geschlechtswiederholung, den man mit reinem Zufall kaum erklären kann.

Was beeinflusst das Geschlecht eines Kindes?

Ein besonders interessanter Faktor ist dabei das Alter der Mutter bei der ersten Geburt. Frauen, die ihr erstes Kind mit 28 Jahren oder später bekommen, haben laut der Studie ein leicht erhöhtes Risiko, ausschließlich Jungen oder ausschließlich Mädchen zu bekommen. Woran das liegt, ist bislang nicht eindeutig geklärt. Vermutet wird, dass physiologische Veränderungen im Lauf der fruchtbaren Lebensphase – wie etwa der Hormonspiegel, die Länge des Menstruationszyklus oder der vaginale pH-Wert – eine Rolle spielen könnten. Diese könnten jeweils die Überlebensfähigkeit der männlichen oder weiblichen Spermien leicht beeinflussen.

Zusätzlich wurden auch genetische Faktoren untersucht. Dabei identifizierten die Forschenden zwei Genvarianten, die mit einer geschlechtsspezifischen Nachkommenschaft in Verbindung stehen: Frauen mit einer bestimmten Variante im NSUN6-Gen hatten häufiger ausschließlich Töchter, während eine andere Variante in der Nähe des Gens TSHZ1 mit der Geburt ausschließlich männlicher Kinder verknüpft war. Diese genetischen Merkmale scheinen unabhängig vom Alter der Mutter zu wirken und könnten tiefere biologische Mechanismen widerspiegeln, die bisher kaum erforscht sind.

Wie wurde geforscht?

Die Ergebnisse stammen aus zwei der größten Langzeitstudien der USA – der Nurses’ Health Study II und III. Untersucht wurden Frauen, die mindestens zwei lebende Kinder zur Welt gebracht hatten. Die Forschenden verglichen die tatsächliche Geschlechterverteilung innerhalb von Familien mit theoretischen Zufallsmodellen. Dabei zeigte sich, dass ein sogenanntes Beta-Binomial-Modell – das von individuell leicht variierenden Wahrscheinlichkeiten für Jungen oder Mädchen ausgeht – deutlich besser zu den Daten passte als das klassische Zufallsmodell.

Besonders aufschlussreich war die Betrachtung, bei der die jeweils letzte Geburt ausgeklammert wurde. Damit sollte der Einfluss bewusster Familienplanung – also der Wunsch nach einem bestimmten Geschlechtermix – reduziert werden. Selbst unter dieser Voraussetzung zeigte sich, dass manche Frauen eine signifikante Tendenz zu gleichgeschlechtlichen Kindern hatten.

Was bedeutet das für Eltern mit Kinderwunsch?

Für werdende Eltern ist vor allem eine Erkenntnis spannend: Das Babygeschlecht ist in vielen Fällen durchaus zufällig – aber eben nicht immer. Wer bereits zwei oder drei Kinder desselben Geschlechts hat, sollte sich bewusst sein, dass die Wahrscheinlichkeit für ein weiteres Kind mit dem gleichen Geschlecht leicht erhöht sein kann. Statistisch gesehen werfen diese Eltern also nicht mehr mit einer „neutralen Münze“, sondern mit einer, die ein wenig „vorgewichtet“ ist.

Das bedeutet nicht, dass gezielte Einflussnahme möglich ist – aber es zeigt, dass individuelle biologische oder genetische Voraussetzungen mitspielen. Für Paare mit starkem Kinderwunsch nach „beiden Geschlechtern“ mag diese Erkenntnis hilfreich sein – ebenso wie für all jene, die sich von der Natur überraschen lassen wollen.

Die Studie ist bei ScienceAdvances erschienen: https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adu7402

Gernot Körner