Wie die Pandemie Grundschulkinder belastet

Bildungsforscher:innen der Bergischen Universität Wuppertal stellen erhöhte Aggressivität, Zukunftsängste und mangelhaftes soziales Lernen fest

Wie geht es Kindern nach zwei Jahren Corona? Dieser Frage gingen Bildungsforscher:innen der Bergischen Universität Wuppertal nach. In der ersten Jahreshälfte 2022 befragten sie deshalb in Kooperation mit einem Schulamtsbezirk in Köln zahlreiche Eltern, Lehrkräfte, Kinder und Schulleitungen über die aktuelle Situation in den Grundschulen. Das Ergebnis: Die vergangenen zwei Pandemie-Jahre haben deutliche Spuren hinterlassen.

„Ausgangslage für die Studie war die hohe Anzahl an Problemen, die viele Lehrkräfte während der Corona-Pandemie bei Kindern festgestellt haben“, erklärt Prof. Dr. Christian Huber vom Arbeitsbereich für Rehabilitationswissenschaften mit dem Förderschwerpunkt Emotional-Soziale Entwicklung an der Bergischen Universität. Gemeint sind zum einen sogenannte externalisierende Auffälligkeiten – also etwa Unterrichtsstörungen, Konflikte und Hyperaktivität – aber auch internalisierende Verhaltensprobleme, wie sozialer Rückzug und Angst. Und auch die Lehrkräfte selber fühlten sich überfordert und hätten vor allem das Problem, dass sie die inhaltlichen Rückstände nach den Lockdowns – wie etwa Lesen, Schreiben, Rechnen – nicht aufholen können.

Auffälligkeiten und Belastungen sorgen für schwierige Lernatmosphäre

Um die aktuelle Situation genauer zu analysieren, befragte das Team um Prof. Christian Huber über 1200 Grundschulkinder, rund 1150 Eltern, fast 150 Lehrkräfte und 22 Schulleitungen aus insgesamt 30 Grundschulen im Schulamtsbezirk 3 in Köln.

Dabei stellte sich heraus,

  • dass Kinder selbst eine stark erhöhte Aggressivität bei sich selbst wahrnehmen, was laut den Forscher*innen eher ungewöhnlich ist,
  • dass diese Aggressivität insbesondere bei Kindern feststellbar ist, die auch starke Zukunftsängste im Zuge der Corona-Pandemie entwickelt haben,
  • dass Kinder der dritten und vierten Klassen im Schnitt deutlich in ihrem sozialen Lernen, insbesondere bei der sozial-kognitiven Verarbeitung, zurückliegen, weil sie in der Coronazeit viele soziale Lernerfahrungen nicht machen konnten.

Neben der gesteigerten Aggressivität waren auch Ängste und depressive Symptome bei den Kindern erhöht. „Viele Grundschulkinder sitzen somit in einem Zustand in den Klassenzimmern, in dem inhaltliches Lernen nur schwer möglich sein dürfte“, so Christian Huber.

Die Studie ergab aber auch, dass etwa 30 Prozent der Lehrkräfte stark oder auch sehr stark belastet sind, etwa 10 Prozent so stark, dass man befürchten muss, dass sie perspektivisch ausfallen könnten.

„Die Ergebnisse sind insofern interessant, weil sie unter anderem zeigen, wie stark die Pandemie – und auch die Situation in der Ukraine – viele Kinder noch beschäftigt und wie stark insbesondere coronabedingte Sorgen mit extern- und internalisierenden Verhaltensproblemen zusammenhängen“, sagt Huber.

Gemeinsame Aufbereitung und soziale Kontakte jetzt besonders wichtig

Aus ihren Ergebnissen konnten die Forscher:innen einige Empfehlungen ableiten, wie die Situation für Kinder, Familien und Eltern jetzt aufbereitet werden und der Stress im System reduziert werden könnte. So sind zum Beispiel viele Kinder mit der Aufbereitung der Corona-Pandemie und der Kriegsereignisse alleine. „Die Aufbereitung dieser Erlebnisse sollte in den Familien, Schule und Ganztag Vorrang vor dem Aufholen des verpassten Lernstoffs haben – sonst werden sich die Verhaltensprobleme auch im kommenden Schuljahr nicht oder nur sehr langsam reduzieren“, schätzt der Professor.

Zum anderen vollziehe sich soziales Lernen bei Kindern meist im Umgang mit Gleichaltrigen. Dies war in der Pandemiezeit aber nicht oder nur erschwert möglich. „Alle sozialen Erfahrungen in Schule, Sport und Freizeit sind jetzt wichtig. Die Rolle von Eltern und Schulen ist dabei, Konflikte regelmäßig zu besprechen und Konfliktlösungen mit den Kindern zu erarbeiten“, weiß Christian Huber. Zusätzlich können auch Sozialtrainings und Elterncoachings ein Teil der Lösung sein. Hier müssen jetzt alle Kräfte einer Schulregion gebündelt und niederschwellige Angebote geschaffen werden.

Denise Haberger Pressestelle/Bergische Universität Wuppertal




GEW: „Gleiche Bezahlung auch für Grundschullehrkräfte!“

Bildungsgewerkschaft legt zum Equal Pay Day Studie zur Arbeitsbelastung der Lehrkräfte vor

Mit Blick auf mehrere wichtige Landtagswahlen mahnt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die gleiche Bezahlung aller Lehrkräfte für gleichwertige Arbeit an. Die Bildungsgewerkschaft untermauerte ihre Forderung mit neuen arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen: „Grundschullehrkräfte leisten genauso viel wie andere Lehrkräfte. Es gibt keine Basis für ihre schlechtere Bezahlung, die immer noch in acht Bundesländern Praxis ist“, sagte Frauke Gützkow, GEW-Vorstandsmitglied für Frauenpolitik, mit Blick auf den Equal Pay Day (EPD) am Montag. Sie machte sich dafür stark, alle voll ausgebildeten verbeamteten Lehrkräfte nach der Besoldungsgruppe A13 und alle angestellten nach der Entgeltgruppe E13 zu bezahlen – unabhängig von der Schulform, an der sie arbeiten. „Die schlechtere Bezahlung trifft insbesondere Frauen. An Grundschulen sind neun von zehn Lehrkräften Frauen“, betonte Gützkow. „Doch auch an Sekundarschulen werden Lehrkräfte in zu vielen Ländern noch nach A12/E11 bezahlt. Auch an diesen Schulformen arbeiten mehr Frauen als Männer.“

Mit Kompetenz und Einfühlungsvermögen

„Im schulischen Alltag bewältigen Grundschullehrkräfte auffallend hohe Anforderungen und Belastungen, vor allem mit Blick auf ihr Wissen und Können sowie auf psychosoziale Herausforderungen. Die Arbeit der Lehrkräfte an Grundschulen wird oft unterbrochen, deshalb müssen sie hoch konzentriert arbeiten“, stellte Gützkow die Ergebnisse einer repräsentativen arbeitswissenschaftlichen Studie zur Vergleichbarkeit der Arbeitsplätze an allgemeinbildenden Schulen vor. Sie arbeiteten häufig in Teams, benötigten stets viel Einfühlungsvermögen und bewältigten in erheblichem Maße belastende psychosoziale Anforderungen. Ebenfalls stark belastet seien die Lehrkräfte an Schulen, die alle allgemeinbildenden Schulabschlüsse vergeben. „Außer hohen psychosozialen Belastungen fallen bei ihnen vor allem die Anforderungen an ihre Verantwortung für die Jugendlichen an der Schwelle zu Ausbildung und Beruf ins Gewicht“, erklärte das GEW-Vorstandsmitglied.


Soziales und kooperatives Lernen

Kinder müssen „leben lernen“. Auch dazu ist die Schule da. Insofern hat sich das Berufsbild des Lehrers in den vergangenen Jahren gewandelt. Es geht nicht mehr nur um Wissensvermittlung. Lehrer unterstützen Schüler heute auch bei der Sozialisation und vermitteln gezielt Werte. Dazu fehlen bisher meist die Materialien zur Vorbereitung auf den Unterricht. Die Reihe „Gemeinsam leben lernen“ schafft Abhilfe. Im ersten Band werden die Grundlagen erklärt und es geht darum, wie Kinder lernen, partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Sämtliche praktischen Materialien für eine ausführliche fächerübergreifende Projektreihe sind hier enthalten. 

Hennig/Feige/Peschel
So gelingt Zusammenarbeit – Die fünf Häuser partnerschaftlichen Lernens 
Broschur / 272 Seiten
ISBN: 9783963046025
25 Euro


In der Hälfte der Bundesländer ist die Gleichstellung bereits umgesetzt

Mit ihrem Engagement für eine bessere Bezahlung der Grundschullehrkräfte sowie der Lehrerinnen und Lehrer in der Sekundarstufe I habe die GEW, so Gützkow, in den vergangenen Jahren viel erreicht. „In der Hälfte der Bundesländer ist die Gleichstellung der Grundschullehrkräfte umgesetzt“, betonte sie. „Ohne den Druck der GEW und ihrer Mitglieder wäre das nicht möglich gewesen.“ Zu den Bundesländern, die hinterherhinken, gehöre Nordrhein-Westfalen (NRW). In dem Bundesland arbeiteten fast 20 Prozent aller in Deutschland beschäftigten Lehrkräfte. Mit Blick auf die Landtagswahlen im Mai kündigte die Gewerkschafterin einen heißen Wahlkampf an: „Die Politik muss sich an die Landesverfassung halten und endlich das Besoldungsrecht der Beamtinnen und Beamten ändern.“ Gützkow erinnerte daran, dass ein juristisches Gutachten bereits vor Jahren für NRW zu dem Schluss kam: „Die unterschiedliche Eingruppierung verschiedener Lehrkräftegruppen ist aus verfassungs- und beamtenrechtlicher Perspektive nicht in Ordnung.“ In Niedersachsen werde im September gewählt. „Auch hier werden wir die überfällige Gleichbehandlung an Grund- und Sekundarschulen mit den anderen Schulformen aufs Tapet heben“, kündigte das GEW-Vorstandsmitglied an.

Weitere Informationen zur arbeitswissenschaftlichen Studie

Index für gleichwertige Arbeit: Zum EPD veröffentlichte die GEW eine arbeitswissenschaftliche Studie zur Vergleichbarkeit der Arbeitsplätze an allgemeinbildenden Schulen. In der Untersuchung und mithilfe eines anerkannten Verfahrens zur Gleichwertigkeit von Tätigkeiten gaben rund 15.000 Lehrkräfte aus allen Bundesländern (ohne Mecklenburg-Vorpommern) Antworten auf Fragen zu ihren Arbeitszeiten, Anforderungen und Belastungen. Das Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung (INES) mit Sitz in Berlin hat diese repräsentative Lehrkräftebefragung 2021 unter GEW-Mitgliedern durchgeführt.

Gleiches Geld für gleichwertige Arbeit

Für Grundschullehrkräfte gilt die Bezahlung nach Besoldungsgruppe A13 (Beamtinnen und Beamte)/ Entgeltgruppe E13 (Angestellte) in Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Sachsen und Thüringen. Niedersachen zahlt A12 plus Zulage für Lehrkräfte an Grundschulen und in der Sekundarstufe I. Für Lehrkräfte der Sekundarstufe I wird in Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach A13/E13 gezahlt. In Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und dem Saarland ist dies teilweise umgesetzt. In NRW wird nur nach A12/E11 gezahlt. Weitere Informationen: A13: Stand der Dinge.

Hier finden Sie weitere Informationen zum Equal Pay Day.