Wozu soll eine eigene Handschrift heute noch gut sein?

Während früher viel mit der Hand geschrieben wurde, wird heute viel getippt – Wozu also noch zum Stift greifen?

Kennen Sie das? Kleine Kinder im Kinderwagen, die auf einem Tablet wischen, Sprachnachrichten auf dem Handy und Programme, die Sprache in geschriebenen Text umwandeln. All dies könnten Anzeichen sein, dass eine Handschrift in Zukunft überflüssig sein könnte. Dann lernen Kinder in der Schule nur noch lesen und tippen. Da die Unterrichtszeit immer dichter, der Lehrkräftemangel zu noch volleren Klassen führen wird und die Eltern kaum Zeit zum Unterstützen haben, ist es doch nur sinnvoll, jeden nutzlosen Inhalt in der Schule abzubauen.

„Unnütze“ Lerninhalte?

Also unterrichten wir kein Schreiben mehr mit der Hand. Ähnlich wie in einigen englischen Schulen, in denen analoge Uhren entfernt wurden[1], da die Schüler und Schülerinnen diese nicht mehr gut lesen konnten und es ja digitale gibt, die viel einfacher zu lesen sind.

Warum noch Plus und Minus rechnen lernen? Dafür gibt es doch Taschenrechner. Auch hier resignieren schon einige Lehrkräfte, da die meisten Grundschüler:innen ein Mobiltelefon mit Taschenrechnerfunktion in der Tasche haben. Warum also die lieben Kleinen mit „unnützem“ Üben beschäftigen?

Ist das so? Ist das unnütz? Ist es unnütz eine leserliche Handschrift zu entwickeln?

Schreiben als Hilfsmittel

Ein schönes Video dazu finden Sie auf www.hs-tutorials.eu[2].                                                   

Hier zeigt sich sehr schön, dass wir eine gute Handschrift brauchen, um unsere Gedanken und Ideen festzuhalten. Im Film sieht man junge Menschen, die Haftzettelchen mit handschriftlichen Notizen aufkleben und sich austauschen. Wir wissen nicht, ob es sich um Auszubildende oder Studierende handelt. Der Austausch ist entscheidend.

Dies ist keineswegs der einzige Grund für das Schreiben mit der Hand. In seinem Buch „Das Neue Lernen heißt Verstehen“[3] beschreibt der Hirnforscher und Neurologe Henning Beck wie Gelerntes im Gehirn angedockt wird. Auf S.55 beschreibt er, dass handschriftliche Zusammenfassungen gegenüber mitgetippten Inhalten im Vorteil sind. Der Lernende muss die Inhalte verstehen und für sich in die wichtigsten Daten unterteilen, eine Skizze oder unterstrichene Inhalte helfen dem Auge dabei sich zu orientieren und dem Gehirn die Verknüpfungen herzustellen. Aber auch die Form des Papiers und die räumliche Darstellung auf diesem hilft dabei. Kein Wunder also, dass ein Programm wie GoodNotes uns vorgaukelt, wir würden auf einem Blatt schreiben, obwohl es sich um ein Tablet handelt. Sie kennen das Programm noch nicht? Probieren Sie es mal aus.

Die Handschrift kann dort sogar in Text umgewandelt werden. Aber fleißige Schreiber von Lerninhalten werden zustimmen, dass Inhalte optisch viel besser wahrgenommen werden kann, wenn sie mit der eigenen Hand geschrieben sind. Die getippten Informationen sind zu einförmig und zeigen sich nicht individuell genug, um gut in unserem Kopf verankert zu werden.

Zeit für eine verbundene Schrift  

Doch kommen wir noch mal auf den zeitlichen Aspekt zurück. In der Grundschule wird meist ab der zweiten Klasse eine neue verbundene Handschrift erlernt. Die Idee dabei ist, aus der verbundenen Schrift später eine Handschrift zu entwickeln. Um also in der Sekundarstufe gut leserlich und vor allem schnell schreiben zu können, braucht es hier enorme Übungszeit, um aus der verbundenen Schrift die eigene Handschrift zu entwickeln. Wird die eigene Handschrift jedoch zu früh eingesetzt, wird sogar geahndet, wenn Kinder hier nicht der Ausgangsschrift entsprechend formgerecht schreiben. Dieser Umweg ist nicht zwingend nötig[4] und angesichts der vielen Aufgaben in der Grundschule äußerst fragwürdig.

Während wir früher noch die Lateinische Ausgangsschrift (LA) gelernt haben, in der heute wohl keiner mehr schreibt, hat man in den vergangenen Jahrzehnten auch im Zuge der Wiedervereinigung vereinfachtere Formen (VA= Vereinfachte Ausgangsschrift und SAS = Schulausgangsschrift) hinzugefügt. Hier scheiden sich die Geister, bis hin zum massiven Festhalten an der Schrift, die man selbst erlernt hat und als Kulturgut einschätzt.

Auch für mich gehört die LA zu einem sich mir fest ins Gehirn eingebrannten Teil meiner Grundschulzeit, zumal meine Grundschullehrerin in gestochener Schrift diese an die Tafel zaubern konnte. Aber ist sie deshalb ein zu bewahrendes Kulturgut?

Halten wir fest: Wir brauchen auch in der Zukunft eine Handschrift! Diese hilft uns Inhalte gut strukturiert auf Papier zu bringen. Dies ist dringend nötig, um Inhalte zu erlernen und zu verstehen. Es darf somit nicht passieren, dass die Handschrift in der Grundschule nicht den Stellenwert bekommt, den sie braucht und alle unpädagogischen Äußerungen müssen somit in ihre Schranken gewiesen werden. (Übrigens muss auch die analoge Uhr und das Plus- und Minusrechnen erlernt werden, denn es geht hier um das Verstehen und damit die Erweiterung von Strukturen. Diese Misere wäre dann ein anderes Mal Thema.)

Wie schreiben wir wirklich?

Die wissenschaftliche Expertise[5] zeigt, dass das Erlernen einer festgelegten verbundenen Schrift auch hinderlich sein kann. Kaum ein Schüler oder eine Schülerin schreibt nach der Grundschule noch in der erlernten Schulausgangsschrift. Viel eher ähnelt die Schrift der meisten Probanden der zuerst erlernten Druckschrift. Ein Umweg über eine extra Schreibschrift ist somit nicht zwingend nötig und müsste unter dem Blick auf den zeitlichen Aufwand eigentlich eingestellt werden. Zumal es mit der Grundschrift des Grundschulverbandes[6] eine hervorragende Alternative mit bestens vorbereitetem Material gibt. Der Fall, dass gleich die verbundene Schrift erlernt wird, scheint auch zu existieren, wie mir meine Kollegin erzählte. Sie sowie ihre SchülerInnen bemängeln allerdings die Flexibilität ihrer Handschrift. Mag dieser Fall eher selten sein, zeigt er aber, dass eine verbundene Schrift auch eine Einschränkung darstellen kann. Das sieht man auch immer wieder bei SchülerInnen, die noch in der Sekundarstufe I und II in einer eher unleserlich verbundenen Schrift schreiben.

Was schon in der Kita hilft!

Kommen wir noch mal auf die Entlastung der Lehrkräfte zu sprechen. Im Grundschulbereich helfen die Erfahrungen, die Kinder im vorschulischen Bereich gemacht haben, ohne dort schon „schulisch“ auf das Schreiben vorbereitet zu werden.

Dabei ist es mehr als wichtig, dass die Bewegungsmöglichkeiten äußerst vielfältig und regelmäßig sind und auch in der Natur stattfinden. Beim Schreiben ist nicht nur die Hand beteiligt, wie viele denken, sondern der ganze Körper ist gefragt. Das Zusammenspiel aller Muskeln ist von Bedeutung und so sind Erfahrungen im Balancieren, die die Körperspannung unterstützen, ebenso wichtig wie die Fähigkeit, konzentriert an einer Sache bleiben zu können. Diese Fähigkeit wird durch konzentriertes auch freies Spielen vorbereitet, das nicht permanent durch ein von außen aufgesetztes Programm unterbrochen wird.

Dies zeigt, dass wir immer ganzheitlich an die benötigten Kompetenzen herangehen müssen. Die immer wieder verkürzten Sichtweisen auf das Lernen und das Vorziehen von schulischen Inhalten in die Kitas ist auch bei der Handschrift äußerst kontraproduktiv. So kann durch massive Stifthalteübungen die Freude am Malen und Schreiben frühzeitig im Keim erstickt werden. Unwissenheit über Lernstrukturen führt dann leider zu voreiligem Handeln und oft zur Idee, schulische Inhalte „vorzuziehen“, ohne eine gute Basis geschaffen zu haben. Wer hier Unterstützung sucht, findet bei Charmen Liebertz „Spiele zum ganzheitlichen Lernen“[7] Anregungen, die sowohl in der Kita wie auch in der Grundschule gut unterstützen.

Sind Lern-Apps die Lösung?

Auch Lern-Apps können in einer zu frühen Phase eher hinderlich sein, weil sie künstlich Bewegung unterbinden und Kinder im grundlegenden Kompetenzerwerb einschränken. Da Kinder sich von Bildschirmen sehr angezogen fühlen, scheint es dann, als würden sie in Ruhe etwas erlernen, doch da zum einen damit die Bewegungszeit drastisch eingeschränkt wird und zum anderen die haptischen Erfahrungen fehlen, zeigt sich schon jetzt in den Grundschulen, dass die Apps nicht durchweg den gewünschten und versprochenen Effekt erbringen[8].

Das mag auch daran liegen, dass die Lösungen bei Apps oft eher mechanisch erlangt werden können. Gibt es zwei Antwortmöglichkeiten, hat man eben eine 50:50 Chance und auch bei vier Lösungen tippen die SchülerInnen eben einfach mal so lange auf die Lösungen bis dann z.B. „grün“ leuchtet. Exaktes Lesen und Überlegen wird damit nicht geschult. Der Lerneffekt ist schwer zu messen und in der Lernphase somit nicht immer hilfreich, sondern eher in der Festigungsphase, wenn zuvor schon gelernt wurde. Hier müssen Lehrkräfte und Eltern die Lernende gut im Blick behalten und begleiten, also Zeit investieren.

Zudem sind Tablets auch mit Stiften beim Schreiben nicht immer haptisch genug. Aus diesem Grund hat Lamy gerade ein Schreibgerät entwickelt, dass hier Abhilfe schaffen kann. Stellt sich nur die Frage, warum Papier und Stift oder Tafel und Griffel nicht gut genug sind. Die sind und bleiben nämlich ein wirklich haptisches Erlebnis.

Die Milieuunterschiede

Interessanterweise sind es meist Eltern einer gehobenen bildungsnahen Mittelschicht, die ihren Kindern hier viele Erfahrungen vermitteln und die Mobiltelefone und Tablets noch zurückhalten, wie meine Beobachtung zeigt. Leider wird sich dadurch die Schere vermutlich noch weiter auseinanderschieben und dann werden Kinder, deren Eltern es mit den Apps gut meinten, in großem Maße in den Grundschulen beim Schrifterwerb Probleme haben.

Dieses Missverständnis wird dann wieder zum Anlass genommen, die Handschrift in Frage zu stellen. Doch genau damit beißt sich die Katze in den Schwanz, denn die Schülerschaft, die eine Handschrift als Hilfsmittel für das Lernen erlernt hat, wird diese auch gut in der Sekundarstufe nutzen können, während die anderen nicht mithalten können, da die Handschrift zu langsam oder zu unleserlich und damit fehleranfälliger ist.

Rechtschreibung

Kommen wir auch noch kurz auf die Frage der Rechtschreibung zu sprechen, denn auch diese Fähigkeit gehört zur hilfreichen und benötigten Handschrift.

Wenn Handschrift noch nicht automatisiert ist, dann benötigt der Akt des Schreibens viel Konzentration und lässt nicht genug Raum für Überlegungen zur Rechtschreibung, zudem wenn es hier auch noch Schwierigkeiten im Erwerb gibt.

Somit würde der Verzicht auf eine künstlich verbundene Schrift auch hier mehr Raum schaffen, um mit gutem Rechtschreibunterricht genutzt zu werden. Allerdings sollte auch hier klar sein, dass eine Rechtschreibentwicklung weit über die Grundschulzeit hinaus erlernt wird und somit mit der Handschrift verbunden immer weiter verfeinert werden muss.

Fazit: Auf eine Handschrift dürfen wir nicht verzichten und auch die digitale Nutzung verschiedener Geräte, ist kein Argument dagegen. Auf die langwierig einzuübenden Verbundschriften kann man verzichten und mit den Schülern und Schülerinnen die Zeit besser nutzen. Die Vorbereitung für eine gelingende Handschrift ist im vorschulischen Bereich ganzheitlich und nicht mit vorgezogenen schulischen Inhalten erledigt. Daher sollten wir Zeit schaffen und durch sinnvolle Angebote wie z.B. Brieffreundschaften oder geschriebenen Botschaften an liebe Menschen Freude am Schreiben (und Lesen) vermitteln!


[1] https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/grossbritannien-lehrer-diskutieren-ueber-die-abschaffung-analoger-uhren-a-1206027.html

[2] Im Schreibmotorik Institut finden Sie weitreichende Informationen und viele Filme zur Unterstützung. www.schreibmotorik-institut.com

[3] Beck, Henning (2021): Das Neue Lernen heißt Verstehen. Ullstein

[4] Marquardt, C. im Gespräch mit Erika Brinkmann: Aus der Forschung: Unzufrieden mit der Handschrift der Kinder – Ursachen und Abhilfen. In: Beiträge zur Reform der Grundschule (Bd.142), Grundschrift – Kinder entwickeln ihre Handschrift. S. 45ff

[5] Brügelmann, H.: Empirische Studien zum Schreiben mit der Hand. In: Beiträge zur Reform der Grundschule (Bd.142), Grundschrift – Kinder entwickeln ihre Handschrift. S. 66ff

[6] Siehe https://grundschulverband.de/grundschrift/

[7] Liebertz, Charmain (2014): Spiele zum ganzheitlichen Lernen. Bewegung, Wahrnehmung, Konzentration, Entspannung und Rhythmik in der Kindergruppe. BurckhardtHaus-Laetare

[8] https://spielen-und-lernen.online/praxis/ist-die-stiftung-lesen-fuer-die-schlechten-lesekompetenzen-mitverantwortlich/

Daniela Körner




Massive Probleme beim Handschreiben nach Corona

Ergebnisse der Studie STEP 2022 – 850 Lehrkräfte befragt

Nachdem über 70 Prozent der Lehrkräfte bei ihren Schülerinnen und Schülern größere Probleme beim Handschreiben feststellen, sehen das Schreibmotorik Institut und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) die Notwendigkeit, das Schreiben von Hand über alle Klassenstufen hinweg gezielter zu fördern.

An der STEP-Studie 2022 („Studie über die Entwicklung, Probleme und Interventionen zum Thema Handschreiben“) zum Schuljahr 2020/21 haben rund 850 Lehrkräfte aus dem Primar- und Sekundarbereich teilgenommen. Die Online-Umfrage des Schreibmotorik Instituts in Kooperation mit dem Verband Bildung und Erziehung (VBE) wurde nach 2015 und 2019 zum dritten Mal deutschlandweit durchgeführt.

„Das Ergebnis ist alarmierend“, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des VBE. „Kinder und Jugendliche, die schon vorher Schreibschwierigkeiten hatten, wurden in der Pandemie weiter abgehängt. Eine Ursache hierfür ist die personelle Unterdeckung, unter der Schulen seit Jahren leiden. Dies betrifft verstärkt die Grundschulen. Die notwendige individuelle Förderung, die auch im Schulgesetz verankert ist, kann deshalb nicht mehr geleistet werden.“

Lehrkräfte unzufrieden mit Schreibleistungen

Fast ein Drittel der Lehrkräfte im Primarbereich und sogar gut die Hälfte der Lehrkräfte im Sekundarbereich sind mit den Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler beim Handschreiben unzufrieden. Im vergangenen Schuljahr fand der Umfrage zufolge mit 48 Prozent knapp die Hälfte der Stunden als Distanz- oder Wechselunterricht statt. Anfang November 2020 wurde wegen der Corona-Pandemie das Leben in Deutschland ein zweites Mal weitgehend heruntergefahren. Erst ab Ende April 2021 wurden die Maßnahmen gelockert, was jedoch nur bedingt für die Schulen galt.

„Einen besonders starken Rückgang der Handschreibfertigkeiten gibt es infolge der Pandemie bei den Jungen, von denen ohnehin die Hälfte Probleme mit dem Handschreiben hat“, erläutert Marianela Diaz Meyer, Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts, die Ergebnisse der Studie. Hier machten drei Viertel der Lehrkräfte einen leichten oder sogar starken Einbruch der Leistung aus. Bei den Mädchen, von denen sich ein Drittel mit dem Schreiben von Hand schwertut, sehen 56 Prozent der Befragten eine leichte bis starke Verschlechterung. Aber auch bei denjenigen, die bislang durch gute Leistungen beim Handschreiben glänzten, sieht jede vierte Lehrkraft eine negative Entwicklung.

Eine intensivere Förderung empfohlen

Neun von zehn Lehrkräften (89 Prozent) empfehlen deshalb, die Schreibfertigkeiten mehr zu fördern – über alle Klassenstufen hinweg. Dieses Resultat der Umfrage stützt die Forderung von Diaz Meyer, eine Stunde pro Woche ins Handschreiben zu investieren. Forschungsergebnisse des Schreibmotorik Instituts mit Erstklässlern haben gezeigt, dass Kinder damit ermüdungsfreier und schneller schreiben können. In weiterführenden Schulen kann laut STEP-Studie nicht einmal die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler länger als eine halbe Stunde ohne Verkrampfungen oder Ermüdung schreiben. Expertin Diaz Meyer: „Wer nicht flüssig und in einer gewissen Geschwindigkeit schreiben kann, kann dem Unterricht auch oft nicht mehr richtig folgen und fällt in seinen Leistungen zurück.“ Dem stimmt der VBE-Bundesvorsitzende Beckmann zu: „Wir sehen dadurch eine ganze Reihe Probleme auf betroffene Kinder und Jugendliche zukommen. Handschreiben hat einen großen Einfluss auf den Lernprozess in Gänze und damit auf die gesamte Bildungsbiografie.“

„Schwierigkeiten bei der Schreibstruktur, im Tempo des Handschreibens sowie bei der Leserlichkeit sind die drei Hauptprobleme, die sich nach Angaben der Lehrkräfte durch den Distanz- und Wechselunterricht verstärkt haben“, erläutert Diaz Meyer weiter. Wie es um die Schreibstruktur bestellt ist, hat eine Lehrerin in der Befragung drastisch veranschaulicht. Sie habe Schülerinnen und Schülern nach dem Homeschooling erst wieder beibringen müssen, „dass man vom linken bis zum rechten Rand schreibt und weder in der Mitte des Papiers anfängt noch über den rechten Rand hinausschreibt.“ Die fehlende Schreibstruktur bemängelten insgesamt 76 Prozent der Lehrkräfte als häufig oder sehr häufig, zu langsames Schreiben 71 Prozent. Über die Unleserlichkeit der Handschrift ihrer Schülerinnen und Schüler klagten 65 Prozent.

Zu wenig Bewegung

„Kinder und Jugendliche bewegen sich immer weniger. Das ist ein wichtiger Grund für den deutlichen Leistungsabfall beim Handschreiben“, sagt Marianela Diaz Meyer. „Viele Aktivitäten, die die Motorik fördern, konnten in den vergangenen beiden Jahren nicht stattfinden. Zudem fehlt zuhause oft der Platz, sich kreativ zu entfalten“, ergänzt Beckmann. „Da wundert es nicht, dass während der Pandemie zuhause mehr Zeit vor Displays und Bildschirmen verbracht wurde.“ Jede zweite Lehrkraft attestiert Schülerinnen und Schülern einen häufigen Medienkonsum, 30 Prozent einen sehr häufigen.

„Der Einsatz digitaler Medien wird für die Zukunft des Lernens allerdings immer wichtiger. Das hat die Pandemie gezeigt“, sagt Beckmann. „Aber noch melden uns die Lehrkräfte zurück, dass die technischen Möglichkeiten die Vorteile von Stift und Papier beim Schreiben mit der Hand nicht ersetzen können.“ Stift und Papier sind für 97 Prozent der Lehrkräfte der Primarstufe und für 98 Prozent der Sekundarstufe die bevorzugten Schreibmedien.

Problematischer Lehrkräftemangel

Die Vorteile handschriftlicher Bewegungen gegenüber dem Tippen erklärt Diaz Meyer so: „Kaum etwas hat auf die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen einen derart großen Einfluss wie das Schreiben von Hand, weil dabei mehr als 30 Muskeln und 15 Gelenke koordiniert werden müssen. Dies aktiviert zwölf verschiedene Areale im Gehirn: von der Wahrnehmung über die Verarbeitung von Informationen bis hin zur motorischen Ausführung.“ Neurowissenschaftler hätten bei Gehirnscans entdeckt, dass beim Tippen viel weniger Hirnaktivität registriert wird, weil es sich dabei um die immer gleiche Bewegung handelt, egal ob man ein A oder S tippt.

Der Bundesvorsitzende des Bildungsverbandes, Udo Beckmann, nimmt beim Thema Handschreiben die Politik in die Verantwortung: „Die Probleme sind hausgemacht. Wir leiden seit Jahren an Lehrkräftemangel in den Schulen. Die Situation hat sich in den vergangenen Monaten durch Corona deutlich verschärft. Zudem müssen aktuell weit über 100.000 ukrainische Kinder und Jugendliche in den Unterricht integriert werden. Die Politik muss sich ehrlich machen und den Schulen, aber auch der Gesellschaft offen und transparent vermitteln, was unter den gegebenen Bedingungen leistbar ist und was nicht. Wie können wir dem Thema Handschreiben auch im Unterricht einen angemessenen Stellenwert einräumen? Trotz dieser enormen Arbeitsbelastung haben viele Lehrkräfte an der zeitintensiven Befragung teilgenommen. Das unterstreicht die Bedeutung, die dem Schreiben mit der Hand zugemessen wird.“




Schreibschrift: Studie belegt besseren Lernerfolg

Handschriftliches Üben ist offenbar wirkungsvoller als Eintippen oder visuelle Video-Anschauung

Die Schreibschrift hilft, bestimmte Fähigkeiten sehr viel schneller und deutlich besser zu erlernen als das Lernen des gleichen Gegenstands über Tippen oder das Ansehen von Videos. Zu diesem Ergebnis ist eine Studie der Johns Hopkins University (JHU) https://jhu.edu gekommen. Laut Seniorautorin Brenda Rapp gehe es darum, ob es Vorteile der Handschrift in Bezug auf Lesen, Rechtschreibung und Verstehen im Vergleich zu anderen Lernmethoden gibt. Dies sei definitiv der Fall.

Schreiben, tippen, sehen

Rapp und der leitende Wissenschaftler Robert Wiley führten ein Experiment durch, bei dem 42 Personen das arabische Alphabet beigebracht wurde. Die Studienteilnehmer wurden in drei Gruppen aufgeteilt: Schreibende, Tippende und jene, die sich ein Video ansahen. Zunächst lernten alle die Buchstaben nacheinander durch das Anschauen von Videos kennen, in denen diese begleitet von Benennungen und Tönen aufgeschrieben wurden. Nachdem jeder Buchstabe vorgestellt worden war, versuchten die drei Gruppen das, was sie gerade gesehen und gehört hatten, auf verschiedene Art und Weise zu lernen. Bei der Video-Gruppe schien ein Buchstabe auf dem Bildschirm auf und die Testpersonen mussten sagen, ob es der gleiche war, den sie gerade gesehen hatten. Die Tipp-Gruppe musste den Buchstaben auf der Tastatur finden. Die Schreibenden mussten den Buchstaben mit Stift und Papier handschriftlich kopieren.

Ergebnisse sind eindeutig

Nach sechs Sitzungen schließlich konnten alle Teilnehmer die Buchstaben erkennen und machten bei Tests nur noch wenige Fehler. Die Schreibgruppe erreichte diesen Kenntnisstand jedoch rascher als die anderen zwei Gruppen. Bei einigen Schreib-Teilnehmern reichten nur zwei Sitzungen dafür. In einem nächsten Schritt wollten die Forscher herausfinden, ob und in welchem Maß die Gruppen ihr neues Wissen verallgemeinern bzw. in einem anderen Kontext anwenden konnten. Hierbei ging es darum, ob sie dabei die Buchstaben nicht nur erkennen, sondern auch mit ihnen schreiben konnten, mit ihnen neue Wörter bilden oder ihnen bislang unbekannte Wörter lesen konnten? Die Schreibgruppe schnitt auch in allen diesen Bereichen entscheidend besser ab.

Schreiben vereint Wissen

Die Schreibgruppe erreichte besser und eher die Fähigkeiten, die für ein Expertenniveau bei Lesen und Buchstabieren für Erwachsene notwendig sind. Laut Wiley und Rapp verstärkt das Schreiben mit der Hand die visuellen und auditiven Lektionen. Der Vorteil hat nichts mit Schreibkunst zu tun. Es ist der einfache Akt des Schreibens mit der Hand, der eine Wahrnehmungs- und Bewegungserfahrung ermöglicht, die zusammenführt, was über die Buchstaben gelernt wurde (z.B. Form, Klang und Bewegungsplan). Die Folge sind ein umfassenderes Wissen und ein besserer Lernerfolg.

Obwohl die Teilnehmer der Studie Erwachsene waren, gehen Wiley und Rapp davon aus, dass ihre Ergebnisse genauso für Kinder gelten. Diese Studienergebnisse haben Auswirkungen auf die Klassenzimmer, in denen Stifte und Hefte in den letzten Jahren zu Gunsten von Tablets und Laptops in den Hintergrund geraten sind. Das Unterrichten der Schreibschrift hat gleichzeitig immer mehr abgenommen. Die Forschungsergebnisse wurden in „Psychological Science“ veröffentlicht.

Quelle: Moritz Bergmann/pressetext.redaktion