Der Intelligenzquotient verändert sich im Laufe der Zeit

Eine Metastudie zeigt, dass ein einmal gemessener IQ auf Dauer nicht lebenslang aussagekräftig sein muss

Wie Forschende der Universität Trier und der University of Texas herausfanden, stellen Intelligenzmessungen bei Kleinkindern nur eine Momentaufnahme dar. Auch im Kindergartenalter haben sie nur für einen begrenzten Zeitraum Aussagekraft. Im Anschluss steigt die Halbwertszeit von Intelligenzmessungen kontinuierlich. Einen bei Erwachsenen gemessenen Intelligenzquotienten bezeichnen die Forschenden als „hochgradig stabil“. Das bedeutet, dass eine Messung für etwa fünf Jahre eine sehr hohe Gültigkeit, aber auch noch darüber hinaus eine substanzielle Stabilität und Gültigkeit hat.

Längsschnittstudien mit insgesamt 87.408 Teilnehmenden

„Dass Intelligenztestergebnisse nicht über das ganze Leben hinweg hochstabil sind, ist bereits länger bekannt. Wir konnten mit unserer Studie nun aber eine einzigartig präzise Einschätzung darüber abgeben, wie es mit der Stabilität im Detail aussieht und insbesondere, wie das Alter bei der Testung mit der Stabilität zusammenhängt“, sagt Dr. Moritz Breit, Hochbegabtenforscher im Fach Psychologie der Universität Trier.

Gemeinsam mit Dr. Vsevolod Scherrer, Prof. Dr. Elliot M. Tucker Drob und Prof. Dr. Franzis Preckel hat er Daten aus 205 Längsschnittstudien mit insgesamt 87.408 Teilnehmenden analysiert. Seine Erkenntnisse fasst das Team in einem Aufsatz zusammen, der kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift „Psychological Bulletin“ veröffentlicht wurde.

Intelligenztests bei Kindern in zeitlichen Abständen wiederholen

„Intelligenztests bei Kindern werden oft durchgeführt, um Entscheidungen über Platzierungen im Bildungssystem oder über Förderumgebungen zu treffen. Sie entscheiden zum Beispiel mit darüber, ob ein Kind eine Förderschule besuchen oder frühzeitig eingeschult werden soll, was große Auswirkungen auf das weitere Leben haben kann“, erklärt Dr. Moritz Breit. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Intelligenztests bei Kindern in gewissen zeitlichen Abständen wiederholt werden sollten, um zu überprüfen, ob das Kind noch in der richtigen Förderumgebung ist. Im frühen Kindesalter und auch noch im Grundschulalter kann man sich nicht langfristig auf eine einzelne Testung verlassen.“

Vielfältige Entwicklungen verlaufen unterschiedlich

Doch warum sind Intelligenzmessungen bei Kindern nur für einen eingeschränkten Zeitraum aussagekräftig? Intelligenz setzt sich aus vielen unterschiedlichen Fähigkeiten zusammen, die vor allem im Kindes- und Jugendalter stark ansteigen. Dabei entwickeln sich nicht nur die unterschiedlichen Fähigkeiten unterschiedlich schnell, sondern auch die verschiedenen Kinder. In jungen Jahren finden damit vielfältige Entwicklungen statt, die bei unterschiedlichen Kindern unterschiedlich verlaufen können. Kinder entwickeln beispielsweise ihre motorischen oder sprachlichen Fähigkeiten unterschiedlich schnell. Auch wenn Intelligenztests spezifisch auf die jeweilige Altersgruppe abgestimmt sind, kann ein Testergebnis durch einen zum Zeitpunkt der Testung im Vergleich zu anderen Kindern verzögerten Entwicklungsstand beeinflusst sein, der dann in der weiteren Entwicklung wieder aufgeholt wird.

Ab dem Erwachsenenalter stabil

Im Erwachsenenalter scheinen viele Fähigkeiten ein Plateau erreicht zu haben. Daher spielen hier unterschiedlich schnelle kognitive Entwicklungen keine größere Rolle mehr. Zum anderen leben die meisten Erwachsenen auch in eher konstanten Umwelten oder suchen sich solche aus, die zu ihren Fähigkeiten passen, so dass auch hier durch den Einfluss der Umwelt eine gewisse Stabilität gegeben ist.

Moritz Breit: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Intelligenztestergebnisse besonders im Kindesalter noch größeren Veränderungen unterliegen können und erst ab dem Jugend- oder Erwachsenenalter ausreichend stabil und längerfristig gültig sind. Dies spiegelt die mittlerweile etablierte Erkenntnis, dass Intelligenz und Intelligenzentwicklung nicht nur durch genetische Faktoren, sondern auch durch Umwelteinflüsse und die komplexe Wechselwirkung zwischen beiden bestimmt wird.“

Peter Kuntz, Universität Trier




Hochbegabt – Damit die Klügsten nicht die Dummen sind

Hochbegabung rechtzeitig zu erkennen und die Kinder entsprechend zu fördern ist eine große Herausforderung für „Entwicklungs-Partnerschaften“. Aber auch eine große Chance.

Nach der Unendlichkeit gefragt, hat Albert Einstein einst geantwortet, dass wohl das Universum und die menschliche Dummheit unendlich seien. Nur bezüglich des Universums sei er sich nicht ganz so sicher. Einstein war ein Genie, ein Hochbegabter also. Ähnlich wie er leiden auch heute viele Hochbegabte unter der Dummheit und den Vorurteilen ihrer Umgebung. Sie gelten gerne als Produkt überehrgeiziger Eltern, die sie zu Sonderlingen mit sozialen Problemen erzogen hätten. Natürlich ist das Unsinn. Typisch hochbegabt gibt es nicht. Leider fällt eine Hochbegabung aber oft erst dann auf, wenn es zu Auffälligkeiten im Alltag kommt.

Da ist etwa der sechsjährige Jannik, der sich unterfordert fühlt und die Klasse stört oder die achtjährige Jasmin, die lieber mit älteren Kindern spielt und keine Freunde an der Schule hat. Max ist an der Grundschule ein hervorragender Schüler. Für ihn ist alles zu leicht und er überspringt eine Klasse. An der weiterführenden kommen dann die Probleme. Max erhält zunehmend schlechte Zensuren. Er mag nicht lernen und fühlt sich dumm. Max hat nie gelernt sich zu konzentrieren und zu lernen.

Wie lässt sich aber eine Hochbegabung rechtzeitig erkennen? In ihrem Buch „Hochbegabt – und trotzdem glücklich“ erklären die Psychologen Herbert Horsch, Götz Müller und Hermann Josef Spicher: „Hochbegabte Kinder haben eine sehr gute Auffassungsgabe, besitzen ein ,Elefanten-Gedächtnis’ und können gut Querverbindungen zwischen verschiedenen Sachverhalten herstellen … Wenn sich ein Kind dadurch auszeichnet, dass es viele Sachen im Kopf behält, sich an Details von Urlaubsreisen und Gesprächen erinnert und in seinen Aussagen verschiedene Aussagen miteinander verknüpft, dann ist das ein Anzeichen für eine hohe intellektuelle Begabung.“

10 Hinweise für Hochbegabung (nach Horsch, Müller und Spicher)

  1. Kann sich schnell und leicht Fakten merken und hat ein ,Elefanten-Gedächtnis’.
  2. Kann gut Sachverhalte und Probleme auseinanderlegen, schlussfolgern, verallgemeinern und Transfer leisten. Erkennt gut Gemeinsamkeiten und Unterschiede und erfasst zugrundeliegende Systematiken und Prinzipien.
  3. Kennt, versteht und spricht viele Wörter, hat eine flüssige Sprache, klaren Ausdruck. und bildet auffallende Satzkonstruktionen. Verwendet ungewöhnliche Ausdrücke.
  4. Wendet sich früh Buchstaben und Zahlen zu. Liest, schreibt und rechnet früh.
  5. Malt und zeichnet auf hohem Niveau, gestaltet aufwändige Gebilde, Details und Besonderheiten.
  6. Ist kreativ, phantasievoll und hat ungewöhnliche Ideen und Lösungswege.
  7. Ist hochaktiv, ermüdet nicht leicht, hat viel Energie und Ausdauer.
  8. Ist immer an Neuem interessiert, fragt viel und will alles wissen.
  9. Will eigene Erfahrungen machen, ausprobieren und seinen eigenen Weg gehen.
  10. Entwickelt sich früh sprachlich und motorisch, durchläuft Entwicklungsphasen schnell oder überspringt sie.

Das heißt zwar zunächst wenig, sollte dennoch genügend Anlass bieten, einen spezialisierten Psychologen aufzusuchen, der standardisierte IQ-Tests durchführt.  Ab einem IQ von 130 gilt der Mensch als hochbegabt. Das trifft etwa auf zwei Prozent unserer Bevölkerung zu. Die Tests sind wichtig:

  1. Weil es zur Identitätsfindung eines Kindes gehört, zu wissen, was mit ihm los ist.
  2. Weil der falsche Erziehungs- und Bildungsweg zu nachhaltigen Problemen führt.
  3. Weil jedes Kind das Recht auf individuelle Förderung hat. Zwar entwickelt sich Hochbegabung aus den Genen. Was daraus entsteht, hängt von der Umgebung ab.

Für diese und vor allem für die Eltern stellen hochbegabte Kinder eine ordentliche Herausforderung dar.

Die siebenjährige Milena will immer alles wissen. Als sie beim Einkaufen einen Einbeinigen sieht, fragt sie ihre Mutter: „Wieso hat der nur ein Bein?“ Die Mutter erklärt, dass dem Mann vermutlich aus gesundheitlichen Gründen das Bein abgenommen wurde. Jetzt will Milena selbstverständlich wissen, was das für eine Krankheit sein kann. Als die Mutter dann von einer knochenzerstörenden Krankheit berichtet, ist Milena zunächst zufrieden, möchte dann aber genau wissen, was der Arzt mit dem Bein macht. Milena überlegt, kombiniert und sobald sie etwas unlogisch findet, hakt sie nach. Was so anstrengend sein kann, ist der Forschergeist, der in späteren Jahren zu hervorragenden Innovationen für die ganze Gesellschaft führen kann. Leider gibt es für Hochbegabte aber nur unzureichend Fördermöglichkeiten.

International zurück

Für den Hochbegabtenforscher Prof. Albert Ziegler ist es geradezu bedrückend wie wenig hierzulande für die Förderung Hochbegabter geschieht. „Wir hängen international weit hinterher“, erklärt der Professor, der auch als Generalsekretär die internationale Begabungsforschervereinigung leitet.  Dabei müsse jedes Kind, Förderung entsprechend seiner individuellen Fähigkeiten erhalten. Das gelte für weniger begabte Kinder wie für hochbegabte. „Wir verlieren jeden Tag Möglichkeiten. Wir müssten schon im Kindergarten stärker fördern.“

Tatsächlich entwickeln derzeit viele Einrichtungen Konzepte zur Förderung Hochbegabter. Die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK) stellt auf www.dghk.de entsprechende Links zur Verfügung. Die Würzburger Kindertagesstätte St. Stephan etwa hat sich unter dem Motto „Kleine Kinder – große Begabung“ dem Thema verschrieben. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Kunst, Musik und Philosophie sowie in der Hinführung der Kinder zu demokratischem Handeln. „Hochbegabte werden bei uns nicht nur in der kognitiven Entwicklung gefördert, sondern es findet immer Bildung der gesamten Persönlichkeit statt. Wir geben Kindern Raum, in selbstinitiierten Projekten zu lernen, Gleichgesinnte kennenzulernen, ihre Kreativität zu entfalten, ihren Wissensdurst zu stillen und sich als Mitglied einer Gruppe zu erleben“, heißt es hier.

Perfekt also für eine ganzheitliche Entwicklung. Denn Begabung ist keineswegs nur auf geistiges Potenzial bezogen, sondern auch auf  sportliche, musische oder künstlerische Leistungen.

Anregungen für Erziehungsteams

Dennoch stehen bei Hochbegabung in erster Linie die intellektuellen Fähigkeiten im Mittelpunkt. „Ein hochbegabtes Kind bringt optimale Voraussetzungen mit, Informationen aufzunehmen, zu ordnen und zu verstehen, sinnvolle Schlüsse daraus zu ziehen und angemessen zu handeln. Zudem ist das hochbegabte Kind in der Lage, schneller und mehr zu lernen und dieses Wissen sinnvoll umzusetzen“, schreiben Horsch, Müller und Spicher.

Sie halten in Ihrem Buch eine ganze Reihe Anregungen und Empfehlungen für ganze Erziehungs- und Bildungsteams bereit. Denn auch hier gilt: Erziehung und Bildung sind nicht individuelle, sondern gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Gerade bei hochbegabten Kindern sollten Eltern, Erzieherinnen, Lehrer und Therapeuten zusammenwirken. In dieser „Entwicklungs-Partnerschaft“ kommt den Eltern besondere Bedeutung zu. Sie sind Anlaufstelle, Koordinatoren und Träger von Informationen für das ganze Team.

Aus ihrer langjährigen Erfahrung in der Hochbegabtenförderung ermuntern die drei Psychologen Eltern herauszufinden, ob Ihr Kind mehr Anforderung braucht. Falls es so ist sollten die Eltern jedoch kein tägliches Fortbildungsprogramm buchen.

Fördern durch fordern

Sie sollten sich mehr der Förderung durch Fordern und dem Bereitstellen von Möglichkeiten widmen. Sachbücher, Literatur, Familien- und Knobelspiele, Theater-, Zoo-, Museums- und Kinobesuche sind meist deutlich effektiver als private Unterrichtsstunden. Die Stärken des Kindes und nicht die Defizite stehen dabei im Vordergrund. Für Kinder ist es wichtig, sich gerade in den Bereichen zu entfalten, in denen sie sehr gute Veranlagungen haben. Hier können sie ihre Leistungsfähigkeit erforschen. Das Erleben der eigenen Stärken unterstützt das Kind auch darin, im Fall von Problemen, eigene Lösungen zu finden. Weiter raten sie zu folgendem:

  1. Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen: Sprechen Sie mit Ihrem Kind über freudige und traurige Ereignisse und wie Menschen aussehen, die unglücklich oder glücklich sind. Fördern Sie die Empathie Ihres Kindes, dass es lernt, sich in andere hineinzuversetzen. Das ist die Grundlage, sich angemessen verhalten zu können.
  2. Vertrauen Sie auf die Fähigkeiten ihre Kindes: Fordern Sie es, aber trauen Sie ihm zu, dass es selbst Probleme löst und sich entwickelt. Ist eine Hürde zu groß, wird es Sie rufen.
  3. Entwicklungsrisiken beachten – Entwicklungsanreize geben: Zu geringe Anforderungen in der Grundschule können zur Demotivation führen und in der weiterführenden Schule dann zu Lernproblemen. Auch hochbegabte Kinder brauchen Orientierung. Fordern und fördern Sie ihr Kind, damit es sich entsprechend seiner Fähigkeiten anstrengen kann und sein  Potenzial ausschöpft.

Die Basis schaffen

In der Arbeit mit hochbegabten Jugendlichen mit Problemen haben Horsch, Müller und Spicher festgestellt, dass diese oftmals das Lernen nicht gelernt haben. Es fehlt einfach die Basis. Das zeigt, dass frühes Fördern hauptsächlich späteren Problemen vorbeugt.

In einer Bildungsszene, die zwar schleppend aber doch konstant unter dem Stichwort der Inklusion die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Menschen auch als Chance anerkennt, sollten Hochbegabte künftig weniger auf Vorurteile stoßen. Denn, so Ziegler: „Hochbegabung ist die schönste Eigenschaft, die man haben kann.“

Gernot Körner

Buchtipp:

Herbert Horsch, Götz Müller und Dr. Hermann Fischer sind international anerkannte Experten auf dem Gebiet der Hochbegabung. Mit ihrem Buch Hochbegabt – und trotzdem glücklich wollen sie helfen, eine Hochbegabung zu erkennen, sie sinnvoll zu nutzen, mögliche Probleme zu vermeiden und bereits vorhandene zu lösen. Sie wenden sich dabei nicht nur an Familien, sondern auch an Lehrer, Erzieherinnen und Therapeuten. Viele anschauliche Fallbeispiele schildern die unterschiedlichen Situationen und Probleme hochbegabter Kinder. Darüber hinaus gibt es ein Kapitel, das sich direkt an die Kinder wendet.
Oberstebrink 2012, 432 Seiten, 24,90 Euro.

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