Angst ist Teil des Aufwachsens – entscheidend ist der Umgang damit

Ein Interview mit Dr. Reid Wilson und Lynn Lyons über Ängste von Kindern, elterliche Muster und Wege in ein mutigeres Leben

Ein heller Herbstnachmittag in New Hampshire. Am großen Tisch in der Praxis von Lynn Lyons stapeln sich Notizen, Fachbücher und Spielmaterialien. Neben ihr sitzt Dr. Reid Wilson, Direktor des Anxiety Disorder Treatment Center in North Carolina, international bekannt für seine Arbeit im Bereich der Angststörungen. Millionen Menschen kennen ihn durch Auftritte in Sendungen wie The Oprah Winfrey Show oder Good Morning America, seine Website anxieties.com ist für viele Betroffene eine erste Anlaufstelle. Für seine Arbeit erhielt er höchste Auszeichnungen von der Anxiety and Depression Association of America und der internationalen OCD Foundation.

Lynn Lyons wiederum arbeitet seit rund 30 Jahren als Psychotherapeutin in Concord, New Hampshire. Ihr besonderes Anliegen ist es, generationenübergreifende Angstmuster in Familien zu durchbrechen. Sie leitet Workshops für Eltern, Schulen und Fachkräfte – bekannt für ihre humorvolle, praxisnahe Art, Ängste in konkrete Handlungsschritte zu übersetzen.

Beide haben gemeinsam das Buch „Anxious Kids, Anxious Parents“ geschrieben, das in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Mein ängstliches Kind“ erschienen ist.

Wenn Eltern die Angst verstärken

Ich frage die beiden, wie eng die Ängste von Eltern und Kindern zusammenhängen. Reid Wilson antwortet nachdenklich: „Natürlich gibt es genetische Risikofaktoren, wie ein bestimmtes Temperament. Aber entscheidend ist auch, wie Eltern auf die Welt reagieren. Wenn sie ständig Gefahren betonen, Schwierigkeiten haben, loszulassen oder selbst von Ängsten getrieben sind, übernehmen Kinder diese Sichtweise.“ Eltern wollten ihr Kind schützen – doch oft verhindere das, dass Kinder lernen, Belastungen auszuhalten und Resilienz zu entwickeln.

Lynn Lyons ergänzt: „Manchmal bemerken Eltern gar nicht, wie sehr sie selbst von Sorgen geprägt sind. Da hilft es, Freunde oder Familienmitglieder um Feedback zu bitten. Oder sogar die Kinder selbst – die sind oft sehr ehrlich und sagen klar, wer in der Familie sich am meisten sorgt.“

Den Blick auf Angst verändern

Wie lässt sich dieser Kreislauf durchbrechen? Wilson lehnt sich vor: „Das Ziel ist nicht, Angst wegzuschaffen, sondern Kindern zu helfen, Unsicherheit zu tolerieren. Wir sagen Eltern oft: Wenn dein Kind beim Erlernen von etwas Neuem Unbehagen spürt, ist das ein gutes Zeichen. Es bedeutet, dass es wächst.“ Kurzfristige Beruhigung oder das Ausweichen vor Angst bringe Erleichterung, aber langfristig verstärke es das Problem.

„Der größte Fehler ist, den Regeln der Angst zu folgen“, betont Lyons. „Angst macht Vorschriften – und Eltern beugen sich oft. Aber nur wenn man diese Regeln durchbricht, kann sich etwas ändern.“

Die 7-Stufen-Methode

Ein zentrales Element des Buches ist die 7-Stufen-Methode, mit der Kinder lernen, sich schrittweise ihren Ängsten zu stellen. Viele Eltern befürchten, dass diese Methode zusätzlichen Druck erzeugt. Wilson beruhigt: „Die eigentliche Belastung ist, wenn die Angst den Alltag bestimmt. Die ersten Schritte kosten Mühe, aber bald erleben Familien Entlastung. Denn viel anstrengender ist es, ständig den Forderungen der Angst nachzugeben.“

Lyons hebt hervor, was Eltern dafür brauchen: „Beständigkeit und Konsequenz sind entscheidend. Kinder testen Grenzen, wenn neue Erwartungen gestellt werden. Eltern müssen lernen, standhaft zu bleiben – freundlich, fürsorglich, aber konsequent.“ Perfektion sei nicht nötig, wohl aber ruhige Beharrlichkeit. Ein unterstützendes Netzwerk aus Familie oder Freunden könne zusätzlich helfen.

Wann professionelle Hilfe wichtig wird

Doch was tun, wenn die Angst zu groß wird? Lyons: „Eine gute Richtlinie ist, die eigene Belastung zu beobachten. Wenn Eltern merken, dass sie selbst überfordert sind, ist es Zeit für Unterstützung. Das ist keine Schwäche, sondern gesund. In meiner Praxis behandle ich Kinder nie ohne die Eltern – nur wenn die Familie als Ganzes unterstützt wird, können Veränderungen dauerhaft sein.“

Manche Störungen, so Reid Wilson, erfordern ohnehin professionelle Hilfe: „Zwangsstörungen sind schwer zu erkennen und zu behandeln – da können Fachleute wirklich einen Unterschied machen.“
Wenn Kinder blockieren

Nicht selten verweigern Kinder jede Kooperation. „Das bedeutet nicht, dass Eltern versagt haben“, erklärt Wilson. „Widerstand ist normal. Am meisten hilft es, wenn Eltern ihre eigenen Muster ändern – statt Druck auf das Kind auszuüben.“

Und was, wenn die Beziehung zwischen Eltern und Kind so angespannt ist, dass es kaum möglich scheint? „Dann können auch andere Betreuungspersonen einspringen“, sagt Lyons. „Großeltern, Onkel, Tanten – jeder fürsorgliche Erwachsene kann hilfreich sein. Aber die Hauptbezugsperson bleibt der Schlüssel zum Erfolg.“

Ein Satz für den Mut

Zum Ende unseres Gesprächs frage ich die beiden, welchen Satz sie Eltern mitgeben würden. Reid Wilson lächelt und sagt:

„Ich weiß, dass das schwer und unangenehm ist, aber gemeinsam werden wir nicht zulassen, dass die Angst diese Familie weiterhin beherrscht.“

Ein Buch, das Hoffnung macht

„Mein ängstliches Kind“ ist mehr als ein Ratgeber. Es ist das Ergebnis jahrzehntelanger klinischer Erfahrung von zwei Fachleuten, die Eltern, Kindern und Fachkräften praktische Werkzeuge an die Hand geben wollen. Wilson und Lyons zeigen, wie man mit Mut, Konsequenz und Humor die Macht der Angst bricht – und Kindern die Chance eröffnet, Erfahrungen zu machen, die sie stark und selbstbewusst machen.

Gernot Körner




Mit einem klugen Buch gegen lähmende Ängste bei Kindern

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„Mein ängstliches Kind“ – ein praxisnaher Ratgeber für Eltern und pädagogische Fachkräfte, der Ängste ernst nimmt und zeigt, wie Kinder sie überwinden können

Ängste bei Kindern sind weit verbreitet – und völlig normal. Angst schützt, warnt und mobilisiert. Doch wenn sie überhandnimmt, kann sie Kinder in ihrer Entwicklung hemmen und Familien stark belasten. Das Buch „Mein ängstliches Kind“ von Dr. Reid Wilson und Lynn Lyons ist ein wissenschaftlich fundierter und praxisorientierter Ratgeber, der zeigt, wie Eltern und Fachkräfte kindliche Ängste verstehen und wirksam begleiten können.

Es richtet sich an Mütter, Väter, Erzieher*innen, Lehrer*innen und Therapeut*innen und überzeugt durch verständlich erklärte Psychologie, alltagsnahe Beispiele und konkrete Handlungsanleitungen.

Angst verstehen statt vermeiden – der Perspektivwechsel

Eine besondere Stärke dieses Buches ist der fundierte Blick auf die Ursachen von Angst. Die Autor*innen erklären, wie Ängste entstehen, wie sie sich körperlich äußern und warum sie oft nicht durch Vermeidung, sondern durch mutiges Handeln überwunden werden können.

Wilson und Lyons stützen sich dabei auf jahrzehntelange therapeutische Erfahrung und wissenschaftliche Forschung, um Eltern und pädagogischen Fachkräften eine handlungsorientierte und leicht umsetzbare Methode an die Hand zu geben. Dabei regen sie auch zur Selbstreflexion an – denn Ängste werden oft unbewusst vorgelebt.

Der Schlüssel: Eltern aktiv einbeziehen

Ein zentrales Merkmal von „Mein ängstliches Kind“ ist die konsequente Einbindung von Eltern und anderen Bezugspersonen. Die Autor*innen betonen, dass Ängstlichkeit teils genetisch veranlagt sein kann, ihr Verlauf aber entscheidend durch das Verhalten der Erwachsenen beeinflusst wird.

Zahlreiche Fallbeispiele zeigen, wie Eltern ihre eigenen Sorgen erkennen, hinterfragen und neue, stärkende Strategien entwickeln können. Die klare Botschaft: Kinder brauchen Vertrauen, Ermutigung und einen optimistischen Blick auf die Welt – „Du schaffst das“ statt „Pass auf, sonst passiert etwas“.

Wer Kindern alle Hürden aus dem Weg räumt, nimmt ihnen die Chance, Selbstwirksamkeit zu erleben. Das Buch motiviert daher, realistische Herausforderungen zuzulassen – begleitet von Sicherheit, Zuwendung und einem klaren Aktionsplan für Eltern und Kinder.

Die 7-Schritte-Methode gegen kindliche Ängste

Im Mittelpunkt steht die vielfach erprobte 7-Schritte-Methode, mit der Kinder lernen, Ängste schrittweise zu bewältigen:

  1. Ziele klären – Mach dir bewusst, was du erreichen willst.
  2. Erfolge nutzen – Denke an frühere Erlebnisse, die dir helfen können.
  3. Sorgen einplanen – Rechne mit ihnen, statt überrascht zu sein.
  4. Mit der Angst sprechen – Damit sie nicht die Kontrolle übernimmt.
  5. Neue Situationen angehen – Auch wenn Unsicherheit mitschwingt.
  6. Unbehagen zulassen – Freiwillig und bewusst.
  7. Atmung einsetzen – Um sich zu beruhigen und zu stabilisieren.
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Ein besonderer Bonus: Der Zugang zu einem ergänzenden PDF mit „Casey’s Guide“ für Kinder und Jugendliche (8 bis 15 Jahre). Darin erklärt die fiktive 14-jährige Casey kindgerecht, wie sie gelernt hat, Ängste zu verstehen und zu überwinden. Jüngere Kinder werden zusätzlich durch die Figur des kleinen Bruders Elliot angesprochen.

Ein unverzichtbarer Begleiter für Eltern und Fachkräfte

„Mein ängstliches Kind“ ist mehr als ein klassischer Erziehungsratgeber. Es ist ein Mutmacher, ein Werkzeugkasten und ein praxisnaher Leitfaden, um Ängste bei Kindern nachhaltig zu bewältigen.

Wer nicht nur Symptome lindern, sondern echte Veränderung ermöglichen möchte, findet hier fundiertes Wissen, leicht umsetzbare Strategien und eine wertvolle Unterstützung für den Alltag mit Kindern.

Anja Lusch/Gernot Körner

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Wilson, Dr. Reid, Lyons, Lynn
Mein ängstliches Kind.

In 7 Schritten den Sorgenkreislauf durchbrechen und mutige, unabhängige Kinder erziehen. Die bewährte Methode der Angst-Experten. Inklusive Downloadlink zu „Casey’s Guide“ für Kinder und Jugendliche
1. Aufl. Oktober 2023, Klappenbroschur
13,5 x 21,5 cm, 238 S.
ISBN-978-3-86374-697-1
€22,00




Webinar zum professionellen Umgang mit Kinderängsten

Zoom Webinar mit Dipl.-Päd. Thomas Rupf für pädagogische Fachkräfte aus Kita, Hort, Grundschule und Tagespflegepersonen

Kinder können große Ängste haben – größer und öfter als wir glauben. Oft fällt es schwer, diese Ängste zu erkennen, Ursachen zu durchschauen und effektiv gegenzusteuern. Man möchte den Kindern schnell helfen, fühlt sich aber oft ratlos. Hinzu kommen dann auch Ängste der Eltern um ihre Kinder, viele sorgen sich so sehr um ihr eigenes Kind, dass sie schnell die Ursache dieser Ängste im Kindergarten vermuten. In dieser Weiterbildung geht es darum, Ängsten gelassener zu begegnen und Lösungen zu finden, die Kindern und Eltern gleichermaßen helfen.

▪ Angst, Furcht und Phobie
▪ Erziehungsbedingte Ängste
▪ Entwicklungsbedingte Ängste
▪ Übertragung von Ängsten – Eltern und Kind
▪ Allgemeiner Umgang mit Ängsten

Zielgruppe

Pädagogische Fachkräfte aus Kita, Hort und Grundschule und Tagespflegepersonen

Termin

08.01.2025 von 9:00 bis 12:00 Uhr
Das Seminar wird als Web-Seminar am PC / Tablet oder Handy durchgeführt. Weitere Informationen zum Zugang, Ablauf und Organisation erhalten nach Ihrer Anmeldung

Referent

Herr Dipl.-Päd. Thomas Rupf
Dozent an der Christian-Albrecht-Universität Kiel, Familienhilfe und praktische Erziehungshilfe im Jugendamt Bad Segeberg, Kinderpsychiatrische Praxis in Grevesmühlen, Verhaltenstraining für Kinder & Erziehungsberatung in der Mutter&Kind Klinik in Grömitz, seit 2012 Referententätigkeit im gesamten Bundesgebiet – Arbeitsschwerpunkte: Verhaltensauffälligkeiten von Kindern, pädagogisch-therapeutisches Gesprächsverhalten, Humor in der Erziehung

Preis/Teilnehmer

63,– €
Diese Maßnahme ist gemäß § 4 Nr. 21 a) bb) UStG von der Umsatzsteuer befreit
Sie erhalten nach dem Webinar eine Teilnahmebestätigung über vier Übungseinheiten.

Anmeldung:

Buchen Sie Ihre Fortbildung direkt und einfach online. www.BB-Ankum.de




Wie Bücher helfen, Ängste zu thematisieren und aufzulösen

Leander Seminar Live am 15. Mai 2021 um 16 Uhr

Ein Gespenst unterm Bett, ein haariges Monster in der Kloschüssel, ein Wolf hinter der Tür.
Kinderängste haben viele Formen. Manche Ängste sind diffus, andere greifbarer. „Lass mich nicht allein, Papa!“ ruft die kleine Mia, obwohl Papa nur kurz den Müll rausbringen will. – Wie wir diesen Ängsten begegnen können, ist Thema dea nächsten Leander LIVE Seminars am 15. Mai 2021.

Kinder. Ängste und Bücher

Wie können Bücher dabei helfen, Ängste zu thematisieren und aufzulösen? Darum geht es am 15. Mai um 16 Uhr mit der Diplom-Pädagogin und Kinderbuchexpertin Gabriele Hoffmann und dem Philosophen Dr. Bernhard Petermann von LeseLeben e.V live auf Facebook. Moderiert wird die Sendung von Dr. Tina Lauer (Autorin, Schreibcoach und Kulturberaterin).

LeseLeben e.V.

Der gemeinnützige Verein LeseLeben setzt sich für die Förderung der Sprach- und Lese-Kultur bei Kindern und Jugendlichen ein. Insbesondere durch Empfehlung geeigneter Kinder- und Jugendbücher, aber auch entsprechender Fortbildungs-Veranstaltungen für Eltern, Erzieher*innen, Lehrer*innen, Autor*innen, Illustrator*innen und Verlage. Leseleben e.V. finanziert sich ausschließlich über Spenden.

Das Team

Hauptakteurin Gabriele Hoffmann ist Dipl. Pädagogin und unterstützt seit mehr als 50 Jahren die Vermittlung von Kinder- und Jugendliteratur. 34 Jahre lang leitete sie ihre eigene Kinderbuchhandlung „Leanders Leseladen“ in Mannheim und Heidelberg. In mehr als 3.500 Vorträgen und Seminaren gab sie ihr professionelles Wissen über Kriterien für sinnvolle und gute Kinderbücher an Erzieher*innen, Lehrer*innen, Therapeut*innen, Eltern und Buchhändler*innen weiter.

Unterstützt wird Gabriele Hoffmann von Dr. Bernhard Petermann, der mehr als 40 Jahre als Lehrer und Hochschullehrer im Fach Philosophie tätig war. Sein Schwerpunkt lag dabei auf Sprachverstehen und Leseförderung. Zudem veröffentlichte er eigene Bilderbücher.

Dr. Tina Lauer moderiert seit 2012 mit Herz und Leidenschaft kulturelle Veranstaltungen von Städten und Gemeinden – und seit 2020 Online-Seminare. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin, Schreibcoach und Kulturberaterin ist sie aber vor allem eines: Mutter. Ihr Familienleben wirft täglich Fragen zur „richtigen“ Erziehung auf.

Hier geht es zum Facebook-Seminar.