Mehrheit der Bevölkerung kritisiert unzureichendes Engagement gegen Kinderarmut
Kinderreport 2023 des Deutschen Kinderhilfswerkes
Große Teile der Bevölkerung in Deutschland stellen Staat und Gesellschaft laut einer Umfrage für den Kinderreport 2023 des Deutschen Kinderhilfswerkes ein schlechtes Zeugnis bei der Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland aus. Lediglich 7 Prozent der Erwachsenen und 5 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind der Meinung, dass sehr viel zur Reduzierung der Kinderarmut getan wird. 72 Prozent der Erwachsenen und 61 Prozent der Kinder und Jugendlichen finden, dass eher wenig bzw. sehr wenig zur Reduzierung der Kinderarmut getan wird. Neben diesem unzureichenden Engagement sind nach Ansicht einer Mehrheit der Befragten zu niedrige Einkommen von Eltern sowie eine zu geringe Unterstützung für Alleinerziehende die wichtigsten Auslöser für Kinderarmut in Deutschland.
Bei der Frage, wie die Kinderarmut in Deutschland bekämpft werden sollte, unterstützt ein Großteil der Bevölkerung eine grundlegende Veränderung politischer Rahmenbedingungen. Dazu gehören die Unterstützung von einkommensschwachen Familien mit Lehrmittelfreiheit, kostenfreie Beteiligungsmöglichkeiten an Bildung, Kultur und Sport, kostenlose Ganztagsbetreuungen und kostenfreies Essen in Schulen und Kitas sowie mehr günstiger Wohnraum.
Große Zustimmung erfährt auch die Forderung, in Schulen und Kitas mehr Fachkräfte und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter einzusetzen. Auch bei der Frage der Finanzierung dieser Maßnahmen gibt es eine große Übereinstimmung unter den Befragten: Knapp zwei Drittel der Erwachsenen wären bereit, mehr Steuern zu bezahlen, wenn damit das Problem der Kinderarmut in Deutschland wirksam bekämpft würde. Das sind die zentralen Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter Erwachsenen sowie einer ergänzenden Kinder- und Jugendbefragung des Sozial- und Politikforschungsinstituts Kantar Public im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes für den Kinderreport 2023, den der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes, Thomas Krüger, Bundesfamilienministerin Lisa Paus, und der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann, in Berlin vorstellten.
„Der Kinderreport 2023 des Deutschen Kinderhilfswerkes zeigt glasklar auf, dass die Menschen in unserem Land Staat und Gesellschaft in der Pflicht sehen, mehr als bisher gegen die Kinderarmut in Deutschland zu unternehmen. Hier braucht es ein Gesamtkonzept, das mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet ist und umfassende Reformen bündelt. Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sind ebenso zu berücksichtigen, wie Familien- und Bildungspolitik, Gesundheits- und Sozialpolitik sowie Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaupolitik. Es braucht höhere Löhne, mehr Unterstützung für Alleinerziehende, mehr Investitionen in Schulen und Kitas, mehr bezahlbaren Wohnraum und letztlich auch höhere und leichter zugängliche Sozialleistungen“, betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.
„Kinderarmut ist Familienarmut. Die Kindergrundsicherung ist das wichtigste sozialpolitische Vorhaben, um die finanzielle Situation von Familien zu verbessern. Gleichzeitig ist die Kindergrundsicherung eingebettet in ein breites Netz verschiedenster Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut. Mit dem gestern beschlossenen Nationalen Aktionsplan ,Neue Chancen für Kinder in Deutschland‘ führen Bund, Länder, Kommunen und Zivilgesellschaft diese Maßnahmen zusammen und entwickeln sie gemeinsam weiter. So holen wir von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffene Kinder und Jugendliche in die Mitte der Gesellschaft“, sagt Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
„Das Deutsche Kinderhilfswerk setzt sich gemeinsam mit Bundesfamilienministerin Paus für die Einführung einer Kindergrundsicherung ein. Diese wird sich schlussendlich daran messen lassen müssen, ob das soziokulturelle Existenzminimum eigenständig bemessen wird, die realen Bedarfe von Kindern tatsächlich abdeckt und sie damit vor Armut schützt. Wir brauchen bei der Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland endlich ein klares Signal aller an die junge Generation, dass der gesellschaftliche Skandal der Kinderarmut entschieden angegangen wird. Immer neue Höchststände bei den Kinderarmutszahlen zeigen den dringenden Handlungsbedarf und auch die Notwendigkeit, hier zügig mehr finanzielle Mittel als bisher zur Verfügung zu stellen. Mit einer reinen Zusammenfassung der bisherigen Unterstützungsleistungen kommen wir bei der Bekämpfung der Kinderarmut nicht den entscheidenden Schritt voran, den es dringend braucht“, so Thomas Krüger.
Ausgewählte Ergebnisse der repräsentativen Umfrage für den Kinderreport 2023 im Einzelnen:
Bewertung der Aktivitäten von Staat und Gesellschaft zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland
Lediglich 7 Prozent der Erwachsenen sind der Ansicht, dass „sehr viel“ zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland getan wird, für 15 Prozent wird „eher viel“ getan. Die befragten Kinder und Jugendlichen kommen zu ähnlichen Einschätzungen: Für nur 5 Prozent der Befragten wird „sehr viel“, und für 22 Prozent „eher viel“ von Staat und Gesellschaft getan, um die Kinderarmut zu bekämpfen.
Gründe für Kinderarmut
83 Prozent der Erwachsenen („Trifft voll und ganz zu“ und „Trifft eher zu“) und sogar 93 Prozent der Kinder und Jugendlichen erachten zu geringe Einkommen als Hauptgrund für Kinderarmut. Dass von Armut betroffene Kinder weniger Chancen auf einen guten Bildungsabschluss haben und sich Armut dadurch fortsetzt, meinen 81 Prozent der Erwachsenen, bei den Kinder und Jugendlichen sind es 68 Prozent. Mangelnde Unterstützung von Alleinerziehenden, beispielsweise finanziell oder durch Kinderbetreuung, sehen 78 Prozent der Erwachsenen als wichtigen Grund für die Kinderarmut an, bei den Kindern und Jugendlichen sogar 80 Prozent.
Maßnahmen gegen Kinderarmut
Als Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland werden von den Kindern und Jugendlichen besonders kostenlose Bücher und Lehrmittel in der Schule (96 Prozent), mehr Fachkräfte sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Schulen und Kitas, die sich um benachteiligte Kinder kümmern (92 Prozent) sowie politische Maßnahmen für günstigen Wohnraum (91 Prozent) und mehr Unterstützung von benachteiligten Kindern und Jugendlichen in Kitas und Schulen (91 Prozent) favorisiert.
Aber auch kostenfreies Essen in Schule und Kita (90 Prozent), kostenlose Ganztagsbetreuung in Schulen und Kitas (89 Prozent) sowie mehr Unterstützung und Informationen, wenn Familien staatliche Hilfen benötigen (89 Prozent), werden als wirksame mögliche Unterstützungen bewertet. Das gilt auch für eine Erhöhung des Kindergeldes (88 Prozent), kostenlosen Eintritt für Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen (87 Prozent), mehr Familienzentren, die Kindern, Eltern und Familien leicht zugängliche Unterstützung und Förderung bieten (86 Prozent) sowie mehr Angebote, wie man die eigene Gesundheit und die der Familie stärken kann (83 Prozent).
Von den Erwachsenen werden vor allem kostenlose Bücher und Lehrmittel in der Schule (95 Prozent), gezielte Förderprogramme für benachteiligte Kinder und Jugendliche in Kitas und Schulen (94 Prozent), mehr Fachkräfte sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Schulen und Kitas, die sich um benachteiligte Kinder kümmern (93 Prozent), mehr Angebote zur Förderung der physischen und psychischen Gesundheit (91 Prozent) und der Auf- und Ausbau von Familienzentren, die Kindern, Eltern und Familien leicht zugängliche Unterstützung und Förderung anbieten (90 Prozent), gefordert.
Favorisiert werden auch mehr politische Maßnahmen für günstigen Wohnraum und sozial gemischte Wohnquartiere (88 Prozent), eine kostenlose Ganztagsbetreuung in Schulen und Kitas (88 Prozent), kostenloser Zugang zu Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen (88 Prozent) sowie kostenloses Frühstück und Mittagessen in Kitas und Schulen (87 Prozent). Von großen Mehrheiten werden außerdem der Ausbau der Unterstützung durch Familienhilfen (86 Prozent) sowie mehr Beratung und Unterstützung bei der Inanspruchnahme staatlicher Leistungen (84 Prozent) als wirksame Maßnahmen bewertet.
Erhöhung von Steuern zur Bekämpfung der Kinderarmut
62 Prozent der befragten Erwachsenen wären bereit, mehr Steuern zu zahlen, wenn damit das Problem der Kinderarmut in Deutschland wirkungsvoll bekämpft werden könnte, bei den befragten Kindern und Jugendlichen beträgt dieser Wert lediglich 10 Prozent.
Mehr Mitbestimmung für Kinder und Jugendliche
Die Erwachsenen messen einer Erweiterung der Mitbestimmungsrechte („sehr wichtig“ und „wichtig“) insbesondere in Sport-, Kultur- und Freizeitvereinen (82 Prozent), in der Familie (80 Prozent) und in der Schule (79 Prozent) eine große Wichtigkeit bei. Kinder und Jugendliche wünschen sich vor allem mehr Mitsprache im schulischen Bereich und im familiären Umfeld (91 bzw. 90 Prozent), aber auch in Sport-, Kultur- und Freizeitvereinen (81 Prozent) sowie in Deutschland insgesamt (80 Prozent).
Für den Kinderreport 2023 des Deutschen Kinderhilfswerkes führte das Sozial- und Politikforschungsinstitut Kantar Public zwei Umfragen in Deutschland durch, eine unter Kindern und Jugendlichen (10- bis 17-Jährige) und eine unter Erwachsenen (ab 18-Jährige). Befragt wurden insgesamt 1.693 Personen, davon 682 Kinder und Jugendliche sowie 1.011 Erwachsene. Die Befragungen der Kinder und Jugendlichen erfolgte altersgerecht online unter Nutzung eines Access-Panels, die Erwachsenen wurden mittels computergestützter Telefoninterviews befragt. Alle Fragen wurden Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen gleichermaßen gestellt, allerdings wurde den Kindern und Jugendlichen ein Fragebogen mit Formulierungen vorgelegt, die der Altersgruppe angepasst worden waren.
Der Kinderreport 2023 des Deutschen Kinderhilfswerkes, die Fragen und Ergebnisse der Umfrage für den Kinderreport 2023 sowie eine Zusammenfassung des Kinderreports 2023 können unter www.dkhw.de/Kinderreport2023 heruntergeladen werden.