Mehrheit der Bevölkerung kritisiert unzureichendes Engagement gegen Kinderarmut

Kinderreport 2023 des Deutschen Kinderhilfswerkes

Große Teile der Bevölkerung in Deutschland stellen Staat und Gesellschaft laut einer Umfrage für den Kinderreport 2023 des Deutschen Kinderhilfswerkes ein schlechtes Zeugnis bei der Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland aus. Lediglich 7 Prozent der Erwachsenen und 5 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind der Meinung, dass sehr viel zur Reduzierung der Kinderarmut getan wird. 72 Prozent der Erwachsenen und 61 Prozent der Kinder und Jugendlichen finden, dass eher wenig bzw. sehr wenig zur Reduzierung der Kinderarmut getan wird. Neben diesem unzureichenden Engagement sind nach Ansicht einer Mehrheit der Befragten zu niedrige Einkommen von Eltern sowie eine zu geringe Unterstützung für Alleinerziehende die wichtigsten Auslöser für Kinderarmut in Deutschland.

Bei der Frage, wie die Kinderarmut in Deutschland bekämpft werden sollte, unterstützt ein Großteil der Bevölkerung eine grundlegende Veränderung politischer Rahmenbedingungen. Dazu gehören die Unterstützung von einkommensschwachen Familien mit Lehrmittelfreiheit, kostenfreie Beteiligungsmöglichkeiten an Bildung, Kultur und Sport, kostenlose Ganztagsbetreuungen und kostenfreies Essen in Schulen und Kitas sowie mehr günstiger Wohnraum.

Große Zustimmung erfährt auch die Forderung, in Schulen und Kitas mehr Fachkräfte und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter einzusetzen. Auch bei der Frage der Finanzierung dieser Maßnahmen gibt es eine große Übereinstimmung unter den Befragten: Knapp zwei Drittel der Erwachsenen wären bereit, mehr Steuern zu bezahlen, wenn damit das Problem der Kinderarmut in Deutschland wirksam bekämpft würde. Das sind die zentralen Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter Erwachsenen sowie einer ergänzenden Kinder- und Jugendbefragung des Sozial- und Politikforschungsinstituts Kantar Public im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes für den Kinderreport 2023, den der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes, Thomas Krüger, Bundesfamilienministerin Lisa Paus, und der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann, in Berlin vorstellten.

„Der Kinderreport 2023 des Deutschen Kinderhilfswerkes zeigt glasklar auf, dass die Menschen in unserem Land Staat und Gesellschaft in der Pflicht sehen, mehr als bisher gegen die Kinderarmut in Deutschland zu unternehmen. Hier braucht es ein Gesamtkonzept, das mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet ist und umfassende Reformen bündelt. Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sind ebenso zu berücksichtigen, wie Familien- und Bildungspolitik, Gesundheits- und Sozialpolitik sowie Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaupolitik. Es braucht höhere Löhne, mehr Unterstützung für Alleinerziehende, mehr Investitionen in Schulen und Kitas, mehr bezahlbaren Wohnraum und letztlich auch höhere und leichter zugängliche Sozialleistungen“, betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.

„Kinderarmut ist Familienarmut. Die Kindergrundsicherung ist das wichtigste sozialpolitische Vorhaben, um die finanzielle Situation von Familien zu verbessern. Gleichzeitig ist die Kindergrundsicherung eingebettet in ein breites Netz verschiedenster Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut. Mit dem gestern beschlossenen Nationalen Aktionsplan ,Neue Chancen für Kinder in Deutschland‘ führen Bund, Länder, Kommunen und Zivilgesellschaft diese Maßnahmen zusammen und entwickeln sie gemeinsam weiter. So holen wir von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffene Kinder und Jugendliche in die Mitte der Gesellschaft“, sagt Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

„Das Deutsche Kinderhilfswerk setzt sich gemeinsam mit Bundesfamilienministerin Paus für die Einführung einer Kindergrundsicherung ein. Diese wird sich schlussendlich daran messen lassen müssen, ob das soziokulturelle Existenzminimum eigenständig bemessen wird, die realen Bedarfe von Kindern tatsächlich abdeckt und sie damit vor Armut schützt. Wir brauchen bei der Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland endlich ein klares Signal aller an die junge Generation, dass der gesellschaftliche Skandal der Kinderarmut entschieden angegangen wird. Immer neue Höchststände bei den Kinderarmutszahlen zeigen den dringenden Handlungsbedarf und auch die Notwendigkeit, hier zügig mehr finanzielle Mittel als bisher zur Verfügung zu stellen. Mit einer reinen Zusammenfassung der bisherigen Unterstützungsleistungen kommen wir bei der Bekämpfung der Kinderarmut nicht den entscheidenden Schritt voran, den es dringend braucht“, so Thomas Krüger.

Ausgewählte Ergebnisse der repräsentativen Umfrage für den Kinderreport 2023 im Einzelnen:

Bewertung der Aktivitäten von Staat und Gesellschaft zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland

Lediglich 7 Prozent der Erwachsenen sind der Ansicht, dass „sehr viel“ zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland getan wird, für 15 Prozent wird „eher viel“ getan. Die befragten Kinder und Jugendlichen kommen zu ähnlichen Einschätzungen: Für nur 5 Prozent der Befragten wird „sehr viel“, und für 22 Prozent „eher viel“ von Staat und Gesellschaft getan, um die Kinderarmut zu bekämpfen.

Gründe für Kinderarmut

83 Prozent der Erwachsenen („Trifft voll und ganz zu“ und „Trifft eher zu“) und sogar 93 Prozent der Kinder und Jugendlichen erachten zu geringe Einkommen als Hauptgrund für Kinderarmut. Dass von Armut betroffene Kinder weniger Chancen auf einen guten Bildungsabschluss haben und sich Armut dadurch fortsetzt, meinen 81 Prozent der Erwachsenen, bei den Kinder und Jugendlichen sind es 68 Prozent. Mangelnde Unterstützung von Alleinerziehenden, beispielsweise finanziell oder durch Kinderbetreuung, sehen 78 Prozent der Erwachsenen als wichtigen Grund für die Kinderarmut an, bei den Kindern und Jugendlichen sogar 80 Prozent.

Maßnahmen gegen Kinderarmut

Als Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland werden von den Kindern und Jugendlichen besonders kostenlose Bücher und Lehrmittel in der Schule (96 Prozent), mehr Fachkräfte sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Schulen und Kitas, die sich um benachteiligte Kinder kümmern (92 Prozent) sowie politische Maßnahmen für günstigen Wohnraum (91 Prozent) und mehr Unterstützung von benachteiligten Kindern und Jugendlichen in Kitas und Schulen (91 Prozent) favorisiert.

Aber auch kostenfreies Essen in Schule und Kita (90 Prozent), kostenlose Ganztagsbetreuung in Schulen und Kitas (89 Prozent) sowie mehr Unterstützung und Informationen, wenn Familien staatliche Hilfen benötigen (89 Prozent), werden als wirksame mögliche Unterstützungen bewertet. Das gilt auch für eine Erhöhung des Kindergeldes (88 Prozent), kostenlosen Eintritt für Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen (87 Prozent), mehr Familienzentren, die Kindern, Eltern und Familien leicht zugängliche Unterstützung und Förderung bieten (86 Prozent) sowie mehr Angebote, wie man die eigene Gesundheit und die der Familie stärken kann (83 Prozent).

Von den Erwachsenen werden vor allem kostenlose Bücher und Lehrmittel in der Schule (95 Prozent), gezielte Förderprogramme für benachteiligte Kinder und Jugendliche in Kitas und Schulen (94 Prozent), mehr Fachkräfte sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Schulen und Kitas, die sich um benachteiligte Kinder kümmern (93 Prozent), mehr Angebote zur Förderung der physischen und psychischen Gesundheit (91 Prozent) und der Auf- und Ausbau von Familienzentren, die Kindern, Eltern und Familien leicht zugängliche Unterstützung und Förderung anbieten (90 Prozent), gefordert.

Favorisiert werden auch mehr politische Maßnahmen für günstigen Wohnraum und sozial gemischte Wohnquartiere (88 Prozent), eine kostenlose Ganztagsbetreuung in Schulen und Kitas (88 Prozent), kostenloser Zugang zu Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen (88 Prozent) sowie kostenloses Frühstück und Mittagessen in Kitas und Schulen (87 Prozent). Von großen Mehrheiten werden außerdem der Ausbau der Unterstützung durch Familienhilfen (86 Prozent) sowie mehr Beratung und Unterstützung bei der Inanspruchnahme staatlicher Leistungen (84 Prozent) als wirksame Maßnahmen bewertet.

Erhöhung von Steuern zur Bekämpfung der Kinderarmut

62 Prozent der befragten Erwachsenen wären bereit, mehr Steuern zu zahlen, wenn damit das Problem der Kinderarmut in Deutschland wirkungsvoll bekämpft werden könnte, bei den befragten Kindern und Jugendlichen beträgt dieser Wert lediglich 10 Prozent.

Mehr Mitbestimmung für Kinder und Jugendliche

Die Erwachsenen messen einer Erweiterung der Mitbestimmungsrechte („sehr wichtig“ und „wichtig“) insbesondere in Sport-, Kultur- und Freizeitvereinen (82 Prozent), in der Familie (80 Prozent) und in der Schule (79 Prozent) eine große Wichtigkeit bei. Kinder und Jugendliche wünschen sich vor allem mehr Mitsprache im schulischen Bereich und im familiären Umfeld (91 bzw. 90 Prozent), aber auch in Sport-, Kultur- und Freizeitvereinen (81 Prozent) sowie in Deutschland insgesamt (80 Prozent).

Für den Kinderreport 2023 des Deutschen Kinderhilfswerkes führte das Sozial- und Politikforschungsinstitut Kantar Public zwei Umfragen in Deutschland durch, eine unter Kindern und Jugendlichen (10- bis 17-Jährige) und eine unter Erwachsenen (ab 18-Jährige). Befragt wurden insgesamt 1.693 Personen, davon 682 Kinder und Jugendliche sowie 1.011 Erwachsene. Die Befragungen der Kinder und Jugendlichen erfolgte altersgerecht online unter Nutzung eines Access-Panels, die Erwachsenen wurden mittels computergestützter Telefoninterviews befragt. Alle Fragen wurden Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen gleichermaßen gestellt, allerdings wurde den Kindern und Jugendlichen ein Fragebogen mit Formulierungen vorgelegt, die der Altersgruppe angepasst worden waren.

Der Kinderreport 2023 des Deutschen Kinderhilfswerkes, die Fragen und Ergebnisse der Umfrage für den Kinderreport 2023 sowie eine Zusammenfassung des Kinderreports 2023 können unter www.dkhw.de/Kinderreport2023 heruntergeladen werden.




Neudefinition des kindlichen Existenzminimums endlich angehen!

kinderarmut

Breites Bündnis kritisiert Untätigkeit von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Kampf gegen Kinderarmut

Die Kindergrundsicherung wird sich schlussendlich daran messen lassen müssen, ob sie in der Leistungshöhe das soziokulturelle Existenzminimum der Kinder tatsächlich abdeckt und sie damit vor Armut schützt. So heißt es in einem gemeinsamen Aufruf von 28 Sozial-, Wohlfahrts-, Verbraucher- und Kinderschutzverbänden sowie Jugendorganisationen und Gewerkschaften. Mit Ausnahme einiger deskriptiv-unverbindlicher Papiere seien jedoch keinerlei Bemühungen des Arbeitsministeriums erkennbar, seiner Verpflichtung nachzukommen, das kindliche Existenzminimum neu zu definieren. Weiter mahnen die Verbände in einem gemeinsamen Appell: Es wäre nicht hinnehmbar, wenn die für die Kindergrundsicherung entscheidende Frage des ,Was und wieviel braucht ein Kind‘ auf die lange Bank geschoben und das Projekt damit zum Scheitern gebracht würde.

Die Kindergrundsicherung muss jetzt auf den Weg gebracht werden

Die Kindergrundsicherung müsse so ausgestaltet sein, dass sie die Armutszahlen spürbar senke. Und sich damit an den tatsächlichen Bedarfen der Kinder und Jugendlichen orientiere, heißt es in dem Appell. Dazu gehöre es einerseits, die materielle Absicherung von Kindern und ihren Familien in den Blick zu nehmen. Andererseits aber auch ihre ausreichende Versorgung in den Bereichen Gesundheit, Mobilität, Freizeit und soziale Teilhabe sicherzustellen. Entsprechend dringend solle nun auch eine an den tatsächlichen Bedarfen von Kindern ausgerichtete Neubemessung des kindlichen Existenzminimums erfolgen.

Wir brauchen bei der Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland endlich ein klares Signal an die junge Generation, dass der gesellschaftliche Skandal der Kinderarmut entschieden angegangen wird. Immer neue Höchststände bei den Kinderarmutszahlen zeigen den dringenden Handlungsbedarf. Und auch die Notwendigkeit, hier zügig mehr finanzielle Mittel als bisher zur Verfügung zu stellen. Mit einer reinen Zusammenfassung der bisherigen Unterstützungsleistungen kommen wir bei der Bekämpfung der Kinderarmut nicht den entscheidenden Schritt voran, den es dringend braucht. Das betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Kinderarmut ist in Deutschland weit verbreitet und hat zuletzt ein neues Rekordhoch erreicht:

Mehr als jedes fünfte Kind wächst hierzulande in Armut auf. Das Bündnis drängt vor diesem Hintergrund auf ein Ende des Stillstands bei den notwendigen Arbeiten für eine armutsfeste Kindergrundsicherung. In dem gemeinsamen Aufruf heißt es dazu: Wir fordern Bundesarbeitsminister Heil auf, unverzüglich die notwendigen Arbeiten an einer sach- und bedarfsgerechten Definition des kindlichen Existenzminimums und zur Berechnung des existenzsichernden Zusatzbetrages in der Kindergrundsicherung aufzunehmen. Und hierbei die Expertise von Wohlfahrts-, Sozial- und Fachverbänden einzubeziehen.

Der Aufruf wird unterstützt von: Arbeiter-Samariter-Bund, Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe, Bund der Jugendfarmen und Aktivspielplätze, Bundesforum Männer, Bundesverband für Kindertagespflege, Der Paritätische Gesamtverband, Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie, Deutscher Bundesjugendring, Deutscher Kinderschutzbund, Deutsches Jugendherbergswerk, Deutsches Kinderhilfswerk, Diakonie Deutschland, foodwatch Deutschland, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Grüne Jugend, Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen, pro familia, Sanktionsfrei, Save the Children, SOS Kinderdorf, SOVD Sozialverband Deutschland, Tafel Deutschland, Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Verband berufstätiger Mütter, Verband bi-nationaler Familien und Partnerschaften, Volkssolidarität Bundesverband, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, Zukunftsforum Familie

Quelle: Deutsches Kinderhilfswerk e.V. PRESSEMITTEILUNG




Jedes fünfte Kind in Deutschland ist armutsgefährdet

Damit sich an der Kinder- und Jugendarmut etwas ändert, ist die Kindergrundsicherung nötig

Kinder- und Jugendarmut bleibt ein ungelöstes Problem in Deutschland. Mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene ist von Armut bedroht. In absoluten Zahlen bedeutet das: Knapp 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche sowie 1,55 Millionen junge Erwachsene im Alter von 18 bis 25 Jahren galten 2021 als armutsgefährdet. Das geht aus dem neuen Factsheet „Kinder- und Jugendarmut in Deutschland“ der Bertelsmann Stiftung hervor. „Wer als junger Mensch in Armut aufwächst, leidet täglich unter Mangel, Verzicht und Scham und hat zugleich deutlich schlechtere Zukunftsaussichten. Das ist sowohl für die Betroffenen selbst als auch für die Gesellschaft als Ganzes untragbar. Die derzeitigen Krisen und Preissteigerungen verschärfen das Problem. Daher muss die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kindergrundsicherung jetzt schnellstmöglich und im benötigten Umfang beschließen“, sagt Anette Stein, Director Bildung und Next Generation bei der Bertelsmann Stiftung.

Alleinerziehende und Familien mit drei und mehr Kindern besonders betroffen

Vertiefende Erkenntnisse zur Armutsgefährdung liefern die amtlichen Daten zu Kindern und Jugendlichen, die Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II erhalten. Demnach lebten im Sommer 2022 rund 1,9 Millionen junge Menschen unter 18 Jahren in Haushalten, die Sozialleistungen beziehen. Die Quote von Kindern und Jugendlichen im SGB II-Bezug betrug in Westdeutschland 13,4 Prozent und in Ostdeutschland 16 Prozent. Ein Blick auf die kommunale Ebene zeigt gravierende Unterschiede: Die Spannbreite lag zwischen drei Prozent im bayerischen Roth und 42 Prozent in Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen. Sowohl die Anzahl als auch der Anteil von Kindern in SGB II-Haushalten sind erstmals seit fünf Jahren deutlich gestiegen. Die Zunahme ist vor allem auf die aus der Ukraine geflüchteten Kinder und Jugendlichen zurückzuführen. Diese haben gemäß der UN-Kinderrechtskonvention allerdings einen ebenso großen Anspruch auf gutes Aufwachsen und Teilhabe an der Gesellschaft. Überdurchschnittlich von Armut betroffen sind junge Menschen in alleinerziehenden Familien sowie in Familien mit drei und mehr Kindern. Die in diesen Fällen sehr aufwändige Sorge- und Betreuungsverantwortung macht es den Eltern oftmals unmöglich, einer umfänglichen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Zudem wirken sich hier fehlende Angebote zur Kinderbetreuung besonders negativ aus. Das größte Armutsrisiko haben Kinder in Mehrkindfamilien mit einem alleinerziehenden Elternteil (86 Prozent).

Junge Erwachsene weisen höchstes Armutsrisiko aller Altersgruppen auf

Auch viele junge Erwachsene sind mit Armut konfrontiert. Laut Factsheet weisen 18- bis 25-Jährige mit 25,5 Prozent sogar das höchste Armutsrisiko aller Altersgruppen auf. Frauen sind dabei stärker betroffen als Männer, junge Menschen in Ostdeutschland häufiger als die in Westdeutschland. SGB II-Leistungen beziehen allerdings nur 7 Prozent dieser Altersgruppe, was auf den ersten Blick überrascht. Das liegt hauptsächlich daran, dass junge Erwachsene für gewöhnlich eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren und viele zum ersten Mal in eine eigene Wohnung ziehen. Hier greifen andere sozialstaatliche Maßnahmen, wie BAföG oder Wohngeld. „Die hohe Armutsbetroffenheit junger Erwachsener weist jedoch darauf hin, dass die verschiedenen Systeme nicht gut zusammenwirken. Ohne Unterstützung durch ihre Eltern wäre es vielen nicht möglich, ihre Existenz zu sichern. Damit hängen die Chancen junger Menschen weiterhin zu stark vom Elternhaus ab“, mahnt Stein.

Kindergrundsicherung wirksam gestalten

Aus Sicht der Bertelsmann Stiftung unterstreichen die Daten die Notwendigkeit, die Bekämpfung der Kinder- und Jugendarmut zur politischen Priorität zu machen. Die angekündigte Kindergrundsicherung wäre dafür ein zentrales Instrument. Doch diese müsse laut Stein so gestaltet sein, dass sie Armut wirksam vermeidet und sich an den tatsächlichen Bedarfen junger Menschen für gutes Aufwachsen, Bildung und Teilhabe orientiert. Die Kindergrundsicherung sollte ihnen eine weitgehend normale Kindheit und Jugend ermöglichen. Dazu ist es erforderlich, junge Menschen zu beteiligen und sie regelmäßig zu ihren Bedarfen zu befragen.

An der Stellschraube Kindergeld zu drehen, helfe laut Stein hingegen nicht weiter, im Gegenteil: „Eine Erhöhung des Kindergeldes ist teuer, vermeidet aber keine Armut, denn es kommt bei Familien im SGBII-Bezug nicht an. Die Kindergrundsicherung muss die Verteilung mit der Gießkanne beenden und gezielt denjenigen helfen, die besonders darauf angewiesen sind.“ Um die Lage speziell der jungen Erwachsenen zu verbessern, sind eine – auch von der Bertelsmann Stiftung empfohlene – Ausbildungsgarantie sowie eine BAföG-Reform unerlässlich. Beide Vorhaben sind ebenfalls im Koalitionsvertrag angekündigt. Zudem ist es wichtig, diese ergänzenden Instrumente mit der Kindergrundsicherung zu einem Leistungspaket zu verzahnen, das Kinder- und Jugendarmut wirksam bekämpft.

 Zusatzinformationen

Den Berechnungen im Factsheet „Kinder- und Jugendarmut“ liegen die beiden gängigen Definitionen im Bereich der Armutsforschung zugrunde: Erstens die Armutsgefährdungsquote, der zufolge Familien als arm gelten, die über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens verfügen. Zweitens die SGBII-Hilfequote, die Aufschlüsse über das Armutsrisiko zum Beispiel nach Wohnort oder Familienform gibt. Zu dieser sozialstaatlichen Armutsdefinition ist anzumerken, dass die Anteile der von Armut betroffenen Personen hier niedriger ausfallen. Denn viele Menschen beziehen zwar ein Einkommen unterhalb der Schwelle zur Armutsgefährdung, beantragen aber aus Unkenntnis oder auch aus Scham keine SGBII-Leistungen. Die Daten für Kinder und Jugendliche im SGBII-Bezug stammen aus der Statistik der Bundesagentur für Arbeit aus dem Juni 2022.

Quelle: Pressemitteilung Bertelsmann Stiftung




Kinderhilfswerk fordert deutliche Erhöhungen bei den Bürgergeld-Regelsätzen

Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann: Infrastruktur und monetäre Leistungen müssen ineinandergreifen

Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert deutliche Nachbesserungen bei den ab Januar geltenden Bürgergeld-Regelsätzen für Kinder und Jugendliche. „Bei der Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland können wir nicht auf die Kindergrundsicherung, die im Jahr 2025 kommen soll, warten. Wir brauchen jetzt eine signifikante Erhöhung der Transferleistungen, ohne die es bei der Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland einen drastischen Rückschlag geben wird. Trotz der ab Januar vorgesehenen Verbesserungen bei den Regelsätzen wird das Geld in vielen Familien vorne und hinten nicht reichen. An dieser Stelle sollten mehr finanzielle Mittel in die Hand genommen werden, um allen Kindern und Jugendlichen ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen. Dabei müssen soziale Infrastruktur und monetäre Leistungen ineinandergreifen. Nur so kann das strukturelle Problem der Kinderarmut in Deutschland umfassend beseitigt werden“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Wichtigstes Instrument ist eine Kindergrundsicherung

„Das wichtigste Instrument dafür ist eine Kindergrundsicherung. Wir freuen uns, dass dieses Projekt ganz oben auf der Agenda von Bundesfamilienministerin Paus steht und sind gespannt auf die für nächsten Monat angekündigten Eckpunkte. Das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben muss Referenz der Eckpunkte sein. Wir sehen derzeit, dass viele Familien die Inflation und die Energiekrise mit unfassbarer Wucht treffen. Dadurch geraten Familien mit geringem Einkommen an oder sogar über die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten, viele sind finanziell am Ende. Deshalb braucht es eine gezielte Förderung armer Familien und ihrer Kinder sowie unbürokratische Zugänge zu armutsvermeidenden Leistungen“, so Hofmann weiter.

Erstellung einer Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Kinderarmut

Wichtig ist aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes die Erstellung einer Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland, die mit einer umfassenden Kinder- und Jugendbeteiligung an diesem Prozess einhergehen muss und einen ressortübergreifenden Ansatz braucht. Dieser muss neben monetären Leistungen auch ein starkes Augenmerk auf infrastrukturelle Bedingungen zur Unterstützung von Familien und ihren Kindern legen. Die Kinderarmut in Deutschland kann aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes nur dann effizient und nachhaltig bekämpft werden, wenn alle Maßnahmen zu diesem Zweck in einem Gesamtkonzept verknüpft und mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Die Erarbeitung des Nationales Aktionsplans im Rahmen der von Deutschland mitbeschlossenen EU-Kindergarantie kann hierfür einen guten Ansatz bieten.




Mehrkindfamilien brauchen Fairness statt Stigmatisierung

Die Kinderarmut zeigt sich besonders bei Mehrkindfamilien, dabei leisten sie Enormes für die Gesellschaft

Wer in Deutschland in einer Familie mit mehreren Kindern lebt, ist häufiger von Armut betroffen, als das in Haushalten mit weniger Kindern der Fall ist. Fast ein Drittel (32 Prozent) aller Familien mit drei oder mehr Kindern gilt als einkommensarm, knapp 18 Prozent beziehen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II. Der Blick auf die Länderebene unterstreicht diesen Befund: Über alle Bundesländer hinweg haben Paarfamilien mit drei und mehr Kindern ein fast dreimal so hohes Armutsrisiko wie Paarfamilien mit zwei Kindern.

Bremer Mehrkindfamilien haben es besonders schwer

Am häufigsten sind Mehrkindfamilien in Bremen (63 Prozent) von Armut betroffen, in Bayern ist das Risiko am geringsten (22 Prozent). Besonders schwierig ist die Lage für alleinerziehende Familien mit drei und mehr Kindern: Über 86 Prozent von ihnen sind auf Sozialtransfers angewiesen.

Wie aus der neuen Studie „Mehrkindfamilien gerecht werden“ der Bertelsmann Stiftung ebenfalls hervorgeht, sind Kinder aus kinderreichen Familien besonders häufig von Armut betroffen: Mit 46 Prozent lebt fast die Hälfte aller Kinder in Mehrkindfamilien im SGB II-Bezug.

Insgesamt 1,3 Millionen Mehrkindfamilien in Deutschland

In den insgesamt 1,3 Millionen Mehrkindfamilien in Deutschland – das entspricht etwa jeder sechsten Familie – stehen die Eltern in besonderer Weise vor der Herausforderung, Beruf und Kinderbetreuung miteinander zu vereinbaren. Die Erwerbstätigkeit beider Elternteile nimmt mit steigender Kinderzahl ab; in Familien mit drei und mehr Kindern liegt sie deutlich niedriger als bei Eltern mit einem oder zwei Kindern.

Insgesamt ist in Mehrkindfamilien häufiger als in anderen Familien der Vater Hauptverdiener, während die Mutter dazu verdient. Die Mütter wenden im Durchschnitt aber auch pro Tag rund doppelt so viel Zeit für die Kinderbetreuung auf wie die Väter. Erst mit zunehmendem Alter der Kinder weiten Mütter – wie in an- deren Familien auch – ihre Erwerbsbeteiligung aus.

Zudem zeigen die Daten, dass rund 70 Prozent der Mütter von drei und mehr Kindern gut bis sehr gut ausgebildet sind. Das wider- legt das Klischee, Eltern von Mehrkindfamilien hätten überwiegend einen niedrigen Bildungs- stand.

Kinderarmut durch Unterstützung von Mehrkindfamilien bekämpfen

„Da die Betreuung und Erziehung von drei und mehr Kindern viel Zeit kostet, können Eltern ihre Erwerbstätigkeit kaum ausweiten, sondern müssen sie meistens sogar reduzieren“, so Anette Stein, Direktorin des Programms Bildung und Next Generation der Bertelsmann Stiftung. Für viele Familien stelle das angesichts der fehlenden Betreuungsmöglichkeiten und steigenden Lebensmittelkosten eine immer größere Herausforderung dar. „Die soziale Situation von Mehrkindfamilien muss viel stärker ins Blickfeld rücken – vor allem auch deshalb, um die Kinderarmut in Deutschland entschlossen zu bekämpfen“, appelliert die Expertin.

Um ein besseres Verständnis für die Lebenswirklichkeit und die Bedarfe von Mehrkindfamilien zugewinnen, haben Sabine Andresen, Professorin für Familienforschung an der Goethe-Universität Frankfurt, und ihr Team 20 von ihnen ausführlich befragt. Dabei wurde deutlich, dass die Sorge um finanzielle Engpässe als auch um ausreichend bezahlbaren Wohnraum Mehrkindfamilien ständig begleitet. Zudem beklagen sie Benachteiligungen im Alltag, da zum Beispiel Familientickets im öffentlichen Personennahverkehr, im Schwimmbad oder im Zoo häufig auf die klassische Zwei-Kind-Familie ausgerichtet sind. Eine zusätzliche Belastung stellen Vorurteile und Stigmatisierungen dar, denen sich Mehrkindfamilien häufig ausgesetzt sehen.

„Mehrkindfamilien sind mit vielen Vorurteilen konfrontiert“

„Mehrkindfamilien sind mit vielen Vorurteilen konfrontiert; übersehen werden dabei ihre enormen Leistungen für die Gesellschaft“, betont Sabine Andresen. „Wer drei Kinder oder mehr großzieht, sorgt im Umkehrschluss dafür, dass der Generationenvertrag unserer solidarisch organisierten Sozialversicherungssysteme funktioniert. Ohne die Care-Arbeit der Eltern, vor allem der Mütter, die dafür häufig auf die eigene Karriere und damit ausreichende Altersvorsorge verzichten, wäre das nicht möglich. Schon deshalb schulden wir diesen Familien eine gezielte Unterstützung, mehr Wertschätzung sowie die Überwindung von Klischees.“

Um Kindern in Mehrkindfamilien ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen und ihnen bessere Chancen auf Bildung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu eröffnen, plädiert die Bertelsmann Stiftung weiterhin mit Nachdruck für die Einführung einer Kindergrundsicherung, wie sie im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Hierauf hätte jedes Kind Anspruch, unabhängig von der Familienform und der Zahl der Geschwister. Wichtig ist, dass damit die tatsächlichen, altersgerechten Bedarfe von Kindern und Jugendlichen gedeckt werden.

Schnelle und unbürokratische Entlastungen sind gefragt

Kurzfristig sind angesichts der rasant steigenden Verbraucherpreise zudem schnelle und unbürokratische Entlastungen gerade für kinderreiche Familien vonnöten. Bei Angeboten und Vergünstigungen für Familien in Bereichen wie Mobilität, Freizeit, Sport und Kultur müssen die speziellen Bedürfnisse dieser Familienform stärker mitgedacht werden.

Erleichterungen bedarf es auch in der Betreuung und Erziehung. Neben einem Ausbau der Angebote in der Kindertagesbetreuung sollte die Care-Arbeit von Müttern und Vätern – in allen Familienformen – gesellschaftlich stärker anerkannt und gerechter zwischen den Geschlechtern aufgeteilt werden.

Langfristig wäre Mehrkindfamilien damit geholfen, wenn sich Politik, Wissenschaft und Gesellschaft von der Norm der Zwei-Kind-Familie lösen würden. Denn Mehrkindfamilien sind vielfältig, was bei politischen Maßnahmen ebenso wie in der öffentlichen Wahrnehmung sowie in der Forschung konsequent berücksichtigt werden sollte.

Zusatzinformationen

Für die empirischen Angaben zu Mehrkindfamilien in Deutschland wurden überwiegend Daten des Statistischen Bundesamtes aus dem Mikrozensus sowie der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2021 herangezogen. Für die qualitative Studie von Prof. Sabine Andresen und ihrem Team der Goethe-Universität Frankfurt wurden im Jahr 2020 Interviews mit 20 Mehrkindfamilien geführt und mit der Methode der Qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.

Hier finden Sie das pdf der Studie:




Trauriger Befund für Kitas und die Entwicklungschancen der Kinder

Neue Studie des Paritätischen illustriert die extrem angespannte Situation in Deutschlands Kitas

Der aktuelle Kita-Bericht des Paritätischen Gesamtverbandes, der auf einer Befragung von über 1000 Kindertageseinrichtungen aus dem gesamten Bundesgebiet basiert, illustriert die höchst angespannte Situation in Deutschlands Kitas: Arbeitsbelastung und Rahmenbedingungen während der Pandemie sowie vielerorts unzureichende Personalschlüssel und teilweise mangelhafte Ausstattung erschweren es, den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden und führen zu einer hohen Unzufriedenheit bei den pädagogischen Fachkräften. Nach der Studie verhindert der anhaltend hohe Fachkräftemangel bundesweit in jeder zweiten Kindertageseinrichtung, dass Kapazitäten vollständig ausgeschöpft werden. Der Paritätische fordert angesichts der alarmierenden Befunde konzertierte Anstrengungen aller politischen Ebenen zur Qualitätsentwicklung und Fachkräftegewinnung.

Schlechte Ausstattung für Kitas in benachteiligten Sozialräumen

Erstmals untersucht wurde mit der Studie auch der Zusammenhang mit der sozialräumlichen Lage der Kindertageseinrichtungen. Der Befund: Unabhängig von der Pandemie fehlt es insbesondere für Kitas in benachteiligten Sozialräumen an gezielter Unterstützung. „Die Fachkräfte vor Ort leisten Tag für Tag Enormes unter vielerorts wirklich schweren Bedingungen. Gerade dort, wo viele Kinder in Armut aufwachsen oder auf besondere Unterstützung angewiesen sind, klagen auch die Kitas über schlechtere Ausstattung. Hier braucht es dringend gezielte und bessere Unterstützung”, fordert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Viele Kitas können den Bedürfnissen der Kinder nicht gerecht werden

Insgesamt gehen 60 Prozent der Teilnehmenden an der Befragung davon aus, dass sie mit dem gegenwärtigen Personalschlüssel den Bedürfnissen der Kinder nicht gerecht werden können. Kindertageseinrichtungen in benachteiligten Sozialräumen sind davon besonders betroffen. Defizite belegt der Bericht dabei unter anderem im Bereich der Sprachförderung: Je höher die sozialräumliche Benachteiligung, desto größer ist die Zahl der Kinder mit Unterstützungsbedarf bei der sprachlichen Bildung. Gleichzeitig könne dieser Bedarf mit dem gegenwärtigen Personalschlüssel überwiegend nicht gedeckt werden.

Strukturelle Defizite beim Personalschlüssel und der Kita-Finanzierung

Strukturelle Defizite werden nicht nur bei den Personal-Schlüsseln, sondern auch im Bereich der Kita-Finanzierung ausgemacht. Neu- und Ersatzanschaffungen seien kaum selbstverständlich. Mehr als ein Drittel der Teilnehmenden gibt zudem an, dass die vorgesehenen Finanzmittel nicht ausreichen, um die Kinder mit einer ausgewogenen Ernährung zu versorgen. „Die Befunde des Kita-Berichts sind erschütternd. Es ist schon ein Armutszeugnis, wenn es uns in diesem reichen Land nicht gelingt, jedem Kind eine gesunde Mahlzeit, bestmögliche Förderung in der individuellen Entwicklung und eine möglichst unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen”, so Schneider.

Zur Studie:

Der Kita-Bericht des Paritätischen erscheint inzwischen zum zweiten Mal. Die Studie gibt detaillierte Einblicke zum Stand der Qualitätsentwicklung und der praktischen Umsetzung des so genannten Gute-Kita-Gesetzes. Die Umfrage wurde gemeinsam mit Wissenschaftler*innen der Universität Osnabrück ausgewertet. Defizite wurden in allen Handlungsfeldern der frühen Bildung, Erziehung und Betreuung festgestellt. Insgesamt haben 1.171 Personen aus unterschiedlichen Kindertageseinrichtungen vollständig teilgenommen. Damit erfasst die Umfrage ein Fünftel aller Paritätischen Kindertageseinrichtungen in Deutschland. Die Teilnehmenden an der Umfrage kommen aus dem gesamten Bundesgebiet.

Hier geht es zur Studie




Lisa Paus: „Kinderarmut ist eine Schande, mit der wir uns nicht abfinden dürfen“

Familienministerin Paus und EU Kommissar Schmit starten Aktionsplan „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“

Kinderarmut bekämpfen, frühkindliche Bildung und Betreuung verbessern, Eltern stärken – das sind die Vorhaben, mit denen sich Bundesfamilienministerin Lisa Paus für eine gute und sichere Zukunft von Kindern einsetzen will. Dazu startete sie in Berlin gemeinsam mit dem EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, Nicolas Schmit, den Nationalen Aktionsplan „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“ mit einer Kick-Off-Veranstaltung.

Perspektiven benachteiligter Kinder spürbar verbessern

Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „Jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut bedroht oder betroffen. Das ist für ein so reiches Land wie Deutschland eine Schande, mit der wir uns nicht abfinden dürfen. Um Kinder und ihre Familien wirksam zu unterstützen, haben wir heute den Nationalen Aktionsplan ‚Neue Chancen für Kinder in Deutschland‘ gestartet. Mit dem Aktionsplan wollen wir die Zusammenarbeit mit allen Akteurinnen und Akteuren stärken, um die Perspektiven für benachteiligte Kinder spürbar zu verbessern. Wir wollen betroffene Familien aber noch mehr fördern: durch die Einführung der Kindergrundsicherung, einer 14-tägigen Partnerschaftsfreistellung nach der Geburt und von Qualitätsstandards in der Kindertagesbetreuung, Verbesserungen beim Elterngeld und ein neues ESF Plus-Programm zur Unterstützung von Eltern.“

Mit dem Nationalen Aktionsplan „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“ setzt Deutschland die 2021 verabschiedete Ratsempfehlung zur Einführung einer Europäischen Kindergarantie um. Danach soll jedem Kind in Europa der Zugang zu Erziehung, Betreuung, Bildung, Gesundheit, Ernährung und Wohnraum garantiert werden.

Ambitionierte Ziele im Kampf gegen Armut

Nicolas Schmit, EU Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte:
„Die Kindergarantie ist eine wesentliche Antwort darauf, wie die EU die Kinderarmut reduzieren will, denn EU und Mitgliedstaaten haben sich auf ambitionierte Ziele im Kampf gegen die Armut verständigt: Die Anzahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen soll bis 2030 EU-weit um 15 Millionen gesenkt werden. Darunter sollen mindestens 5 Millionen Kinder sein. Der Europäische Sozialfonds Plus wird hierbei eine wesentliche Anschubfinanzierung in vielen Mitgliedstaaten leisten.“

Damit jedes Kind in Deutschland Zugang zu den Ressourcen bekommt, die für sein Wohlergehen und seine Entwicklung notwendig sind, soll der Nationale Aktionsplan auch die Kooperation und Vernetzung der relevanten Akteurinnen und Akteure auf allen Ebenen sicherstellen. Zur Steuerung dieses Prozesses ernannte Ministerin Paus die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ekin Deligöz, zur Nationalen Kinderchancen-Koordinatorin.

Steuerungsgruppe zum Aktionsplan

Die Parlamentarische Staatssekretärin und Kinderchancen-Koordinatorin Ekin Deligöz:

„Wir wollen den Aktionsplan zum Erfolg machen – in enger Zusammenarbeit mit den anderen Bundesministerien, den Bundesländern, Kommunen, Nichtregierungsorganisationen und mit der Zivilgesellschaft in Deutschland und Europa. Ganz wichtig ist mir dabei der Dialog mit den Kindern und Jugendlichen selbst, die wir sehr stark einbinden wollen.Nur wenn wir unsere Kräfte bündeln, werden wir eine faire materielle und soziale Teilhabe für alle Kinder und Jugendlichen erreichen.“

Deligöz verabredete mit der anwesenden Staatssekretärin beim Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Silvia Bender, und dem Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales, Dr. Rolf Schmachtenberg, die Zusammenarbeit in einer Steuerungsgruppe zum Aktionsplan.

An der fachöffentlichen Kick-Off-Veranstaltung nahmen rund 200 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Fachpraxis und Zivilgesellschaft teil. Zehn Kinder und Jugendliche konnten ihre Eindrücke und Wünsche an die Politik adressieren. In acht Fachforen zu den unterschiedlichen Themen des Nationalen Aktionsplans wurden Handlungsempfehlungen für den Aktionsplan erarbeitet.

Quelle: Pressemitteilung Bundesfamilienministerium




Bündnis Kindergrundsicherung fordert einen echten Systemwechsel

Ausführliche Stellungnahme stellt klare Anforderungen zur Ausgestaltung

Die Kindergrundsicherung sei eine grundlegende Reform. Die Umsetzung müsse sich an den großen Zielen Bekämpfung der Kinderarmut und Stärkung von Familien messen lassen, heißt es in einer Mitteilung des Bündnisses Kindergrundsicherung. Eine Beteiligung aller relevanter Akteure am Vorbereitungs- und Umsetzungsprozess müsse gewährleistet sein.

Klare Eckpunkte

Das Bündnis habe zu den konkreten Eckpunkten einer Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP, eine ausführliche Stellungnahme erarbeitet und fordere einen echten Systemwechsel in der Familienförderung.

„Mit der Kindergrundsicherung steht eine große Reform an. Jetzt besteht endlich die Chance, Kinderarmut wirksam abzubauen und die Familienförderung gerechter zu machen. Diese Ziele müssen auch bei der anstehenden Umsetzung im Blick bleiben. Denn weiterhin wächst mehr als jedes fünfte Kind in Armut auf. Es reicht nicht mehr aus, an kleinen Stellschrauben zu drehen. Wir haben die klare Erwartung, dass es bei der Umsetzung einen starken politischen Willen für eine große Reform gibt. Der aktuell diskutierte Sofortzuschlag kann dabei nur eine Übergangslösung sein, bei der Höhe und dem Kreis der Anspruchsberechtigten muss aber noch kurzfristig nachgesteuert werden. Alle armutsbetroffenen Kinder müssen jetzt schon mit einer substanziellen Unterstützung erreicht werden!“, so Michael Groß, Präsident des AWO Bundesverbandes und Bündnissprecher.

Kinder tatsächlich aus der Armut holen!

In seiner Stellungnahme betont das Bündnis, dass die Kindergrundsicherung so ausgestaltet sein muss, dass sie Kinder tatsächlich aus der Armut holt, viele Leistungen bündelt sowie gleichzeitig automatisch und unbürokratisch jedes Kind erreicht.

„Kinderarmut bekämpft man auch mit Geld. Deshalb wird es auch maßgeblich von der Höhe der Kindergrundsicherung abhängen, ob sie Kinder aus der Armut holt. Die im Ampel-Koalitionsvertrag verankerte Neuberechnung des kindlichen Existenzminiums ist daher entscheidend. Die kindlichen Bedarfe müssen besser abgedeckt werden als bisher. Ich rate der Bundesregierung sehr, im jetzt anstehenden Vorbereitungsprozess zur Umsetzung einer Kindergrundsicherung auf die Kompetenz der zivilgesellschaftlichen Akteure zurückzugreifen. Die Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums darf nicht nach Kassenlage erfolgen“, so Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes und Bündnis-Koordinator.

Weitere Informationen finden Sie hier.

https://kinderarmut-hat-folgen.de/wp-content/uploads/2023/05/Mythen-zur-Kindergrundsicherung.pdf