Vier Jahre, um Kinderarmut zu beseitigen

Breites Bündnis fordert: Kinderarmut muss zentrale Rolle in den Koalitionsverhandlungen spielen

Das Bündnis fordert von der nächsten Bundesregierung Armut von Kindern und Jugendlichen nicht länger hinzunehmen und entschlossene Maßnahmen im Koalitionsvertrag zu verankern. Dazu zählen eine grundlegende Reform der Leistungen für Kinder, Jugendliche und ihre Familien, die Sicherstellung sozialer Infrastruktur sowie ihre umfassende Beteiligung. Ebenso brauchen Kinder und Jugendliche eine intensive Begleitung zurück in ihren Kita- und Schulalltag und psycho-soziale Unterstützung bei der Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie. Die Erklärung haben u.a. das Deutsche Kinderhilfswerk, der Arbeiter Samariter Bund, die Arbeiterwohlfahrt, der Deutsche Caritasverband, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Diakonie Deutschland, die Nationale Armutskonferenz und das Zukunftsforum Familie unterzeichnet.

Eine Schande für die Gesellschaft

„Jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen, für eine der reichsten Industrienationen der Welt ist das nichts weniger als eine Schande. Um das strukturelle Problem der Kinderarmut zu lösen, brauchen wir eine bedarfsgerechte Kindergrundsicherung, die den bestehenden Familienlastenausgleich ablöst, bestehende kindbezogene Leistungen transparent bündelt und das soziokulturelle Existenzminimum von Kindern bedarfsgerecht gewährleistet, und zwar unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Familie, der Familienform und dem bisherigen Unterstützungssystem“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Die Bekämpfung der Armut von Kindern und Jugendlichen erfährt in der Bevölkerung sowie parteiübergreifend breite Zustimmung und muss in der nun beginnenden 20. Legislaturperiode eine zentrale Rolle spielen. Alle Kinder und Jugendlichen haben ein Recht auf ein gutes Aufwachsen!

Die Gemeinsame Erklärung basiert auf vier Grundsätzen:

1. Armut ist kein Versagen der Einzelnen!

Armut von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien muss als strukturelles Problem begriffen, kommuniziert und behandelt werden. Arme Familien haben nicht selbst schuld an ihrer Lage, sondern ihre Situation ist die Folge von gesellschaftlichem Ausschluss.

2. Alle Kinder und Jugendlichen haben Anspruch auf gleichwertige Lebensverhältnisse!

Bund, Länder und Kommunen müssen ein Gesamtkonzept vorlegen, wie kommunale Infrastruktur für Kinder und Jugendliche bedarfsgerecht gestaltet und finanziert werden kann. Dazu gehören bezahlbare Wohnungen, qualitativ hochwertige und armutssensible Angebote der Bildung, Betreuung, Erziehung und Begleitung, eine bedarfsorientierte, integrierte Schul-, Gesundheits-, Sozial- und Jugendhilfeplanung, die Absicherung von Mobilität für alle und eine gute gesundheitliche Versorgung.

3. Jedes Kind ist gleich viel wert!

Bei der Ermittlung der Regelbedarfe für Grundsicherungsleistungen bedarf es einer einheitlichen, transparenten, konsequent sach- und realitätsgerechten Ermittlung und Umsetzung des kindlichen Existenzminimums für alle Rechtsbereiche. Dieses Existenzminimum muss auskömmlich sein, Teilhabe für jene Kinder und Jugendlichen ermöglichen, deren Eltern sie nicht gewährleisten können, und niedrigschwellig in Anspruch genommen werden können.

4. Unterstützung muss dort ankommen, wo sie gebraucht wird!

Der „Ratschlag Kinderarmut“ fordert, Angebote und Leistungen zur Unterstützung armer Kinder, Jugendlicher und Familien so auszugestalten, dass sie niedrigschwellig zur Verfügung stehen und leicht in Anspruch genommen werden können. Finanzielle Leistungen sollten unbürokratisch und möglichst automatisch ausbezahlt werden.

Den vollständigen Text der Erklärung „Vier Jahre Zeit, um Kinderarmut endgültig zu beseitigen!“, alle unterzeichnenden Organisationen und Einzelpersonen sowie weitere Informationen zur Kampagne finden Sie unter https://www.nationale-armutskonferenz.de/category/kinderarmut/.




Trotz Arbeit von Armut bedroht

Das Armutsrisiko von Alleinerziehenden verharrt auf hohem Niveau 

Das Risiko, in Armut zu leben, ist für alleinerziehende Familien in Deutschland von allen Familienformen am höchsten: 43 Prozent der Ein-Eltern-Familien gelten als einkommensarm, während es bei den Paarfamilien mit einem Kind neun Prozent, mit zwei Kindern elf Prozent und mit drei Kindern 31 Prozent sind. Frauen sind in besonderer Weise davon betroffen. Denn 88 Prozent der Alleinerziehenden sind Mütter.

Der Anteil der Alleinerziehenden, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II beziehen, ist seit 2015 zurückgegangen: in den westdeutschen Bundesländern von 36 auf 34 Prozent, im Osten sogar von 43 auf 33 Prozent. Das deutet darauf hin, dass politische Anstrengungen – wie die Reformen von Unterhaltsvorschuss und Kinderzuschlag – dazu beigetragen haben, alleinerziehende Familien aus dem SGB II-Bezug zu lösen.

Trotzdem ist ihr Anteil unter den SGB II-Haushalten mit 34 Prozent fast fünfmal höher als bei Paarfamilien mit Kindern (sieben Prozent). Wie die neue Studie „Alleinerziehende weiter unter Druck“ von Anne Lenze (Hochschule Darmstadt) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zeigt, ist das Risiko der Einkommensarmut für alleinerziehende Familien nicht gesunken, sondern verharrt auf hohem Niveau.

Meist erwerbstätig

Das höhere Armutsrisiko alleinerziehender Familien ist dabei nicht auf mangelnde Erwerbstätigkeit zurückzuführen. So gehen alleinerziehende Mütter häufiger einer Beschäftigung nach als andere Mütter und arbeiten öfter in Vollzeit. Zudem üben auch 40 Prozent der Alleinerziehenden im SGB II-Bezug eine Erwerbstätigkeit aus – häufiger als der Durchschnitt der Leistungsempfängerinnen und -empfänger.

 „Alleinerziehende leisten im Alltag enorm viel und erfahren dafür zu wenig Anerkennung. Oftmals sorgen sie allein für ihre Kinder und gehen zusätzlich einer Erwerbstätigkeit nach. Trotzdem reicht das Einkommen häufig nicht aus. Arm trotz Arbeit – damit darf sich unsere Gesellschaft nicht abfinden“, sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Dräger zufolge ist das Armutsrisiko alleinerziehender Eltern die größte Belastung für die Zukunftsperspektiven ihrer Kinder: 45 Prozent aller Kinder im SGB II-Bezug leben in einer alleinerziehenden Familie. 

Nochmals höhere Belastungen durch Corona

Nach Drägers Einschätzung haben alleinerziehende Familien die Folgen der Covid-19-Pandemie in besonderer Weise zu spüren bekommen. Denn häufig arbeiten Alleinerziehende im Niedriglohnbereich und in systemrelevanten Berufen, und leben in beengten Wohnungen. Durch geschlossene Schulen, Kitas und Vereine fehlten den Eltern Entlastungsangebote in der Betreuung und den Kindern die wichtigen sozialen Kontakte. „Die Corona-Auswirkungen setzen Alleinerziehende nochmals höheren Belastungen aus und bringen sie an die Grenzen ihrer Gesundheit. Es muss mehr getan werden, um alleinerziehende Familien zu entlasten, finanziell zu unterstützen und damit auch den Kindern zu helfen“, so Dräger.

Zur Vermeidung von Kinderarmut empfiehlt die Bertelsmann Stiftung die Einführung eines Teilhabegeldes, das finanzielle Leistungen für Kinder bündelt, einfach zu beantragen ist und gerade Alleinerziehende erreicht. Die Politik sollte außerdem die Mehrbedarfe von getrennten Familien empirisch erfassen und absichern. Das betrifft zum Beispiel zusätzliche Anschaffungs- oder Wohnkosten, wenn Kinder in zwei Haushalten leben.

Weiterer Handlungsbedarf entsteht aus dem häufigen Ausfall von Unterhaltszahlungen, die nur in etwa einem Viertel der Fälle in Höhe des Mindestunterhalts ankommen. Um alleinerziehende Mütter und Väter zu entlasten, schlägt die Bertelsmann Stiftung vor, die Unterhaltsansprüche auf den Staat zu übertragen, damit dieser sie einfordern kann. Außerdem sollte das Unterhaltsrecht stärker die innerfamiliäre Aufgabenteilung vor der Trennung berücksichtigen. Denn es sind überwiegend die Mütter, die ihre Arbeitszeit zugunsten der Kinderbetreuung reduzieren. Im Falle einer Trennung drohen ihnen somit empfindliche Einbußen beim Lebenserwerbseinkommen.

„Leidtragende sind vor allem die Kinder“

In diesem Zusammenhang meldet sich auch das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) zu Wort. Dieses plädiert für eine verstärkte Förderung von Alleinerziehenden und ihren Kindern, um die Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen. „Die heute von der Bertelsmann Stiftung vorgelegte Studie zeigt, dass Alleinerziehende und ihre Kinder weiterhin besonders stark von Armut betroffen sind. Die Leidtragenden sind vor allem die Kinder. Um hier Abhilfe zu schaffen, muss in erster Linie gewährleistet sein, dass Alleinerziehende ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder durch eigene Erwerbstätigkeit sicherstellen können. Hierzu braucht es armutsfeste Löhne und bezahlbaren Wohnraum ebenso wie ausreichende und flexible Kinderbetreuungsmöglichkeiten sowie eine stärkere Unterstützung von Alleinerziehenden bei Weiterbildungen oder dem Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Und da, wo der Staat finanziell einspringen muss, um den Lebensunterhalt zu gewährleisten, braucht es kurzfristig höhere Hartz-IV-Regelsätze“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des DKHW.

Infrastruktur für Alleinerziehende

Um den Armutskreislauf zu durchbrechen, braucht es neben der materiellen Absicherung, aber auch die entsprechende Infrastruktur für Alleinerziehende und ihre Kinder. Hier ist Bildung ein wesentlicher Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe und für den chancengerechten Zugang zu einer angemessenen beruflichen Entwicklung. In Deutschland hängt der Bildungserfolg von Kindern jedoch nach wie vor sehr stark von den Eltern und ihren Möglichkeiten ab. Bildung beginnt dabei nicht erst in der Schule. Nach Ansicht des Deutschen Kinderhilfswerkes muss bereits im Bereich der frühkindlichen Bildung ein wesentlicher Fokus liegen. Neben einem Ganztagsangebot und flexiblen Öffnungszeiten, die insbesondere für Alleinerziehende von zentraler Bedeutung sind, brauchen wir für die Sicherung der Rechte von allen Kindern, gleich welcher Herkunft, eine qualitativ hochwertige Bildung, Erziehung und Betreuung sowie ein Qualitätsmanagement in der Kindertagesbetreuung, das auch den gestiegenen Anforderungen und Erwartungen an das Fachpersonal Rechnung trägt.

Neuauflage der Social-Media-Kampagne #StopptKinderarmut

Die schwierige Lage alleinerziehender Familien nimmt die Bertelsmann Stiftung zum Anlass, um an die Social-Media-Initiative #StopptKinderarmut anzuknüpfen, die bislang 1,1 Millionen Abrufe auf Youtube erzielt hat. Parallel zur Veröffentlichung der aktuellen Studie machen bekannte Persönlichkeiten aus Medien, Kultur und Sport – darunter Hatice Schmidt, Leeroy Matata und Henry Maske – mit Beiträgen in den sozialen Netzwerken auf die fatalen Auswirkungen von Kinderarmut für die Betroffenen aufmerksam. 

Zusatzinformationen

2019 lebten in Deutschland 1,52 Millionen alleinerziehende Familien mit Kindern unter 18 Jahren. Das sind 19 Prozent aller Familien. Alleinerziehende sind der amtlichen Statistik zufolge Mütter und Väter, die ohne Ehe- oder Lebenspartner:in mit minder- oder volljährigen Kindern in einem Haushalt zusammenleben. Die Zahlen zur Einkommensarmut stammen vom Statistischen Bundesamt und beziehen sich auf das Jahr 2019. Die Daten zum SGB II-Bezug aus dem Jahr 2020 sind bei der Bundesagentur für Arbeit abrufbar. 

Quellen: Pressemitteilung Berstelsmann Stiftung und Deutsches Kinderhilfswerk




„Kindergrundsicherung gehört in jedes Wahlprogramm“

Das Bündnis Kindergrundsicherung legt erweitertes Konzept vor

Das Bündnis Kndergrundsicherung legt sein erweitertes Konzept vor und bekräftigt damit im Bundestagswahljahr die Forderung nach einer bedarfs- und sozial gerechten sowie unbürokratischen Kindergrundsicherung. Die Kinderarmut ist unverändert auf einem zu hohen Niveau, gleichzeitig steht zu befürchten, dass die Pandemie die Lage verschärft. Deshalb macht das Bündnis klar: Ein durchdachtes Konzept einer Kindergrundsicherung ist Maßstab für jedes Wahlprogramm.

Kinderarmut nach wie vor sehr hoch

„Wir haben unser Konzept noch einmal überarbeitet und bringen dieses in die Diskussion ein. Wir gehen von einem realistisch und juristisch einwandfrei berechneten kindlichen Existenzminimum aus, bündeln neben dem Kinderregelsatz, Kindergeld und Kinderzuschlag auch den Kinderfreibetrag, um unbürokratisch jedem Kind Leistungen unmittelbar zur Verfügung zu stellen; verbunden mit einem Sozialfaktor, der mit steigendem Einkommen den Kindergrundsicherungsbetrag linear abschmelzen lässt. Damit ist offengelegt, wie eine Kindergrundsicherung sozial gerecht funktionieren kann“, erklärt dazu Professor Jens M. Schubert, Sprecher des Bündnisses und Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt (AWO).

Bisher haben SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke konkrete Konzepte für eine Kindergrundsicherung vorgelegt, die FDP fordert ein Kinderchancengeld. „Für uns ist der Hintergrund und Auftrag glasklar: Die hohe Kinderarmut in Deutschland muss beendet werden. Deshalb gehört eine sozial gerechte Kindergrundsicherung in jedes Wahlprogramm“, so Schubert.

Weitere Verschärfung durch Pandemie

Das Bündnis befürchtet durch die pandemische Situation eine weitere Verschärfung der Kinderarmut. „Kinder und Jugendliche sind die großen Verlierer dieser Pandemie. Alle mussten auf so viel verzichten, was sonst zu einem unbeschwerten Aufwachsen dazugehört: Vom Kindergeburtstag bis zum Trainieren im Sportverein. Wenn in Deutschland bald wieder mehr Normalität einkehrt, werden aber viele arme Kinder weiterhin auf vieles verzichten müssen, was auch für sie normal sein sollte. Nur weil ihnen das Geld zur Teilhabe fehlt“, so Heinz Hilgers, Bündnis-Koordinator und Präsident des Kinderschutzbundes. „Um Teilhabe für alle Kinder zu gewährleisten, brauchen wir eine Kindergrundsicherung, die ihren Namen auch wirklich verdient. Denn nur so können wir wirklich einen Beitrag zur Verminderung der Kinderarmut leisten“, so Hilgers weiter.

Das Bündnis

Das Bündnis Kindergrundsicherung setzt sich seit 2009 mit einer wachsenden Zahl von Mitgliedsverbänden für einen Systemwechsel in der Kinder- und Familienförderung und für eine monatliche Kindergrundsicherung ein, die die bisherigen Leistungen bündelt und das kindliche Existenzminimum einfach und direkt sichert.

Weitere Informationen zum Bündnis Kindergrundsicherung sowie unser aktualisiertes Konzept finden Sie auf www.kinderarmut-hat-folgen.de.




Über 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche im Hartz-IV-Bezug

Deutsches Kinderhilfswerk: Kinder in Deutschland müssen endlich besser vor Armut geschützt werden

Der prozentuale Anteil der Kinder und Jugendlichen in Hartz-IV-Haushalten bleibt auf einem erschreckend hohen Niveau. Nach aktuellen Berechnungen des Deutschen Kinderhilfswerkes liegt der Anteil der unter 18-Jährigen in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften jetzt bei 33,1 Prozent. Vor fünf Jahren hatte dieser Wert noch bei 32,4 Prozent, im letzten Jahr bei 33,9 Prozent gelegen. Zum Jahresende 2020 waren von 5.596.890 Personen in Bedarfsgemeinschaften 1.854.695 Kinder und Jugendliche. Deshalb ist aus Sicht der Kinderrechtsorganisation dringend eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland und eine bedarfsgerechte Kindergrundsicherung nötig.

Kinder und Jugendliche besonders von Armut bedroht

„Die von der Bunderegierung in der Corona-Pandemie bisher auf den Weg gebrachten finanziellen Unterstützungsleistungen für Familien mit Kindern sind ein Schritt in die richtige Richtung, damit nicht noch mehr Kinder auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind. Den Status Quo an dieser Stelle zu halten, reicht aber nicht aus. Jeder dritte Hartz-IV-Empfänger ist ein Kind, obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland nur bei rund 16 Prozent liegt. Damit sind Kinder und Jugendliche mit ihren Familien in besonderem Maße von Armut betroffen. Auch deshalb hat jüngst die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten zu größeren Anstrengungen im Kampf gegen Kinderarmut gedrängt. Auch in Deutschland gehören die Förderung armer Familien und ihrer Kinder sowie unbürokratische Zugänge zu armutsvermeidenden Leistungen auf der Prioritätenliste ganz nach oben. Mittelfristig kann die Lösung nur sein, die gesellschaftliche Teilhabe jedes Kindes eigenständig und unabhängig von der Hartz-IV-Gesetzgebung abzusichern“, betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Pauschaler Mehrbedarfszuschlag in Höhe von 100 Euro

Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert für die Dauer der Corona-Krise einen pauschalen Mehrbedarfszuschlag in der Grundsicherung von 100 Euro pro Kopf und Monat. Denn es entstehen durch die Corona-Pandemie zusätzliche Bedarfe durch wegfallende Schul- und Kitaessen, Preissteigerungen bei Obst und Gemüse, Mehrausgaben für Hygieneartikel und Masken oder Spielzeug und Bücher für Kinder im Lockdown.

Unabhängig von den finanziellen Belastungen durch die Corona-Pandemie tritt das Deutsche Kinderhilfswerk für die Einführung einer bedarfsgerechten Kindergrundsicherung nach dem Modell des Bündnisses KINDERGRUNDSICHERUNG ein, die den bestehenden Familienlastenausgleich ablöst, bestehende kindbezogene Leistungen bündelt und das soziokulturelle Existenzminimum von Kindern unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Familie, der Familienform und dem bisherigen Unterstützungssystem bedarfsgerecht gewährleistet. Die Kindergrundsicherung ist eine nachhaltige Lösung, die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen eigenständig und unabhängig von der Hartz-IV-Gesetzgebung absichert.




Die Bildungschancen hängen weiter von der sozialen Herkunft ab

Der neue Datenreport 2021 – ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland:

Eben ist der Datenreport 2021 erschienen. Er ist der Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Die Ergebnisse sind ernüchternd. Mehr Menschen sind von Armut bedroht und immer mehr geraten dauerhaft in Armut. Das betrifft auch die Kinder. Denn wer arm ist, hat auch schlechtere Chancen.

Einmal arm, immer arm?

Wer in Deutschland einmal unter die Armutsgrenze rutscht, bleibt immer öfter länger arm. So beträgt der Anteil dauerhaft von Armut bedrohter Menschen an allen Armen 44 Prozent – und ist damit mehr als doppelt so hoch wie noch 1998. Zudem droht die Corona-Pandemie die finanzielle Situation benachteiligter Gruppen zu verschärfen: Auch wenn höhere Einkommensgruppen im ersten Lockdown häufiger Einkommenseinbußen hatten, kämpften neben Selbstständigen besonders Menschen mit niedrigen Einkommen, Geringqualifizierte und Alleinerziehende mit finanziellen Schwierigkeiten.

Ungleichheit und Ungerechtigkeit

Die Ungleichheit der Einkommen schlägt sich auch in den Einstellungen der Bevölkerung nieder. Niedrige Einkommen werden überwiegend als ungerecht bewertet. Gleichzeitig hält nur knapp jeder zweite Beschäftigte den eigenen Bruttolohn für gerecht. Diese Befunde zu den Lebensverhältnissen liefert der neue Datenreport 2021 – ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Fachleute aus amtlicher Statistik und Sozialforschung haben darin Zahlen und Fakten zu wichtigen Lebensbereichen zusammengestellt.

Mehr Menschen sind dauerhaft von Armut bedroht

2018 lebte in Deutschland fast jeder Sechste (15,8 %) unterhalb der Armutsrisikoschwelle. Diese lag 2018 bei 1 040 Euro monatlich für einen Ein-Personen-Haushalt. Bei einem Ein-Elternhaushalt mit einem Kind (unter 14 Jahre) bei rund 1 352 Euro. Der Anteil ist im Vergleich zum Vorjahr (17,3 %) leicht gesunken, das Armutsrisiko liegt aber deutlich über dem Niveau Ende der 1990er-Jahre (knapp 11 %).

Auch verfestigen sich die Armutsrisiken. Wer einmal unter die Armutsgrenze rutscht, verbleibt immer länger in diesem Einkommensbereich: Von den Personen, die im Jahr 2018 unter die Armutsrisikoschwelle fielen, waren 88 % bereits in den vier Jahren zuvor (2014 bis 2017) zumindest einmal von Armut bedroht.

Die Hälfte davon (44 %) befand sich in diesem Zeitraum vier Jahre durchgehend in diesem niedrigen Einkommenssegment. Damit hat sich der Anteil der dauerhaft von Armut bedrohten Personen an allen Armen in den vergangenen zwanzig Jahren mehr als verdoppelt: 1998 betrug er noch 20 %. Das Risiko, in Armut zu leben, ist besonders hoch für Alleinerziehende (41 %), Menschen mit Hauptschulabschluss und ohne Berufsabschluss (35 %) und Menschen mit Migrationshintergrund (29 %).

Nur jeder Zweite findet den eigenen Bruttolohn gerecht

Das hohe Ausmaß sozialer Ungleichheit schlägt sich auch in den Einstellungen und Wahrnehmungen der Menschen nieder. Nur knapp die Hälfte der Bevölkerung sieht das eigene (Brutto-)Einkommen als gerecht an. Vor allem niedrige Einkommen werden als ungerecht wahrgenommen. Sehr hoch ist auch der Anteil derjenigen, die sich dafür aussprechen, dass sich der Staat für den Abbau von Einkommensunterschieden engagieren soll. Das befürworten in Westdeutschland mittlerweile fast drei Viertel der Menschen (2002 war es noch weniger als die Hälfte), in Ostdeutschland sind es rund 80 %.

Corona: Finanziell trifft es Geringqualifizierte, Alleinerziehende, Selbstständige und Zugewanderte  

Große Unterschiede zeigen sich bei den finanziellen Auswirkungen der Corona-Pandemie. So berichteten für Ende März bis Anfang Juli 2020 17 % der an- und ungelernten Arbeiterinnen und Arbeiter und knapp 14 % der einfachen Angestellten von finanziellen Schwierigkeiten. Bei Bezieherinnen und Beziehern von Niedrigeinkommen war es fast jeder Fünfte. Bei den Facharbeiter-, Meister- und qualifizierten Angestelltenberufen fielen die Anteile mit rund 9 % deutlich niedriger aus. Am häufigsten waren Alleinerziehende (25 %) und Selbstständige (20 %) von finanziellen Problemen im Zuge der Pandemie betroffen. Auch Menschen, die nach Deutschland zugewandert sind, berichteten mit 15 % fast doppelt so häufig von finanziellen Schwierigkeiten wie Menschen ohne Migrationshintergrund (8 %).

Ungleiche Bildungschancen – vor und nach Corona

Nach wie vor hängen in Deutschland Bildungschancen stark von der sozialen Herkunft ab. Zwei von drei Kindern an Gymnasien haben Eltern, die selbst Abitur haben. Aber nur 8 % der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten haben Eltern, die als höchsten Schulabschluss einen Hauptschulabschluss oder gar keinen allgemeinbildenden Schulabschluss besitzen.

In der Corona-Krise zeigt sich einmal mehr, dass auch materielle Voraussetzungen Bildungschancen beeinflussen. Augenfällig ist dies beim Zugang zu digitalen Unterrichtsformaten, für die es Computer und Tablets braucht. Familien mit höherem Einkommen besitzen im Durchschnitt mehr Endgeräte, während Familien mit niedrigen Einkommen oft nicht für jedes Kind einen Computer haben. So standen Familien mit hohem monatlichem Haushaltsnettoeinkommen (5 000 bis unter 18 000 Euro) Anfang 2020 im Durchschnitt vier PCs zur Verfügung. In der untersten Einkommensgruppe (unter 2 000 Euro) waren es durchschnittlich zwei Geräte.

Chancengleichheit bei der Bildung betrifft auch das Geschlechterverhältnis. Frauen holen auf, sind aber an der Spitze immer noch unterrepräsentiert. In den letzten zehn Jahren ist der Anteil der Professorinnen von 18 auf 26 % gestiegen. Doch mit 21 % ist nur jede fünfte der am höchsten besoldeten Professuren (C4 und W3) mit einer Frau besetzt. Der Anteil liegt damit immer noch traditionell auf niedrigem Niveau.

Corona: Homeoffice nutzen vor allem Besserverdienende

Während bis vor einem Jahr Homeoffice ein Randphänomen war und nur 5 % überwiegend von zuhause aus gearbeitet haben, waren es während des ersten Lockdowns 23 %. Bezogen auf diejenigen, die weiterhin beschäftigt und zum Beispiel nicht in Kurzarbeit waren, lag der Homeoffice-Anteil sogar bei knapp 30 %. Einiges spricht dafür, dass Homeoffice infolge der Erfahrungen während der Corona-Krise eine neue Normalität für viele wird.

Allerdings sind die sozialen Unterschiede bei der Nutzung von Homeoffice enorm. Das liegt daran, dass einige Berufe nicht für Homeoffice geeignet sind – anders als typische Büroberufe wie Marketing oder Finanzdienstleistungen. Besonders selten arbeiteten Menschen in Berufen im unteren Drittel der Einkommensverteilung im ersten Lockdown von zuhause aus. So betrug in rund der Hälfte dieser Berufe der Homeoffice-Anteil weniger als 6 %. Ganz anders zeigt sich das Bild bei Berufen im oberen Einkommensdrittel: Fast zwei Drittel dieser Berufsgruppen hatten einen Homeoffice-Anteil von 20 % und mehr.

Anhaltende Geschlechterungleichheit

Auch wenn Elternzeit für Väter heute recht verbreitet ist, werden noch immer 90 % der Elternzeitmonate von Müttern genommen. Zudem arbeiten viele Mütter in Teilzeit. Diese Arbeitsteilung hat Auswirkungen auf die finanzielle und berufliche Situation von Müttern. So stagniert beispielsweise das Berufsprestige und damit die Karriere von zweifachen Müttern nach ihrer Familiengründung nahezu gänzlich. Dagegen gewinnen kinderlose Frauen sowie Männer und Väter vom Berufseinstieg bis zum 45. Lebensjahr im Schnitt etwa 4 Prestigepunkte.

Dass viele Frauen und Männer nach der Familiengründung in alte Rollenmuster zurückfallen, liegt auch an gesellschaftlichen Normen: Fast 60 % der Personen im Familienalter zwischen 24 bis 43 Jahren denken, die Gesellschaft spreche einer vollzeiterwerbstätigen Mutter mit einem zweijährigen Kind ab, eine „gute Mutter“ zu sein. Demgegenüber stimmen aber nur 17 % der Befragten selbst dieser Aussage zu. Die wahrgenommene gesellschaftliche Norm bildet also möglicherweise etwas anderes ab als die tatsächlichen Einstellungen in der Gesellschaft.

Hintergrund

Der Datenreport wird herausgegeben vom Statistischen Bundesamt (Destatis), dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in Zusammenarbeit mit dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP). Er erscheint als Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).

Bezugsquellen:

Der Datenreport steht im Internetangebot des Statistischen Bundesamtes (www.destatis.de/datenreport), des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (www.wzb.eu/datenreport) und der Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de/datenreport2021) kostenfrei als Download zur Verfügung.

Die Buchausgabe ist ab April 2021 bei der Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de/shop) für 4,50 Euro erhältlich.

Quelle: Pressemitteilung destatis




Bundespräsident Steinmeier fordert mehr Chancengleichheit

Bildungsungerechtigkeit beginne schon in der Kita:

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier beklagt im Bereich Bildung die Chancenungleichheit in Deutschland. Diese beginne bereits in der Kita, sagte Steinmeier bei einer Veranstaltung der Wochenzeitung „Die Zeit“. Die Bundesrepublik habe hier noch Nachholbedarf. Steinmeier verweist in diesem Zusammenhang auf die besondere Lage von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund. Zugleich forderte Steinmeier für ein Umdenken bei der Berufsfindung. Chancengleichheit sei in einer Gesellschaft dann gegeben, wenn es nicht als Unglück gelte, dass Kinder aus Akademikerfamilien eine Berufsausbildung machten. Diese sei heute anspruchsvoll genug, meinte Steinmeier.

Das Deutsche Kinderhilfswerk e.V., Deutsche Kinderschutzbund und viele weitere Verbände beklagen diesen Missstand nun schon seit vielen Jahren. Immer wieder fordert sie auch, die Rechte der Kinder im Grundgesetz zu verankern, wozu auch das Recht auf Bildung gehört.

Und in einem irrt unser Bundespräsident doch gewaltig. Die Chancenungleichheit beginnt nicht erst in der Kita, sondern schon bei der Geburt.

Immerhin ist nach der Grafik von Statista mittlerweile mehr als jedes fünfte Kind von Armut bedroht.




Deutsches Kinderhilfswerk: Hartz-IV-Mithaftung von Kindern komplett abschaffen

Nach Schätzungen des Deutschen Kinderhilfswerks (DKHW) sind derzeit 5.000 Kinder und Jugendliche von Hartz-IV-Sanktionen betroffen. Zwar sind das deutlich weniger als im Vorjahr. Dennoch treffen die Betroffenen die Kürzungen besonders hart. Das DKHW fordert deshalb, die Hartz-IV-Mithaftung von Kindern für ihre Eltern zu beenden. Konkret bedeutet dies, die Hartz-IV-Sanktionen für Familien mit Kindern komplett abzuschaffen.

Derzeit sind von den knapp sechs Millionen Menschen in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften rund 32 Prozent Kinder und Jugendliche. „Je länger Kinder in Armut aufwachsen und unter Teilhabe- und Bildungsverlusten leiden, desto weitreichender sind die Langzeitfolgen für ihre Entwicklung und beruflichen Perspektiven. Demgegenüber brauchen wir nicht nur die Ausstattung von Kindern mit dem Allernötigsten, sondern für alle Kinder muss gesellschaftliche Teilhabe ausreichend möglich sein.  Kinderarmut darf nicht kleingeredet, sondern sie muss durch konkrete politische Maßnahmen beseitigt werden. Das Deutsche Kinderhilfswerk tritt daher für die Einführung einer bedarfsgerechten Kindergrundsicherung nach dem Modell des Bündnisses KINDERGRUNDSICHERUNG ein, die den bestehenden Familienlastenausgleich ablöst, bestehende kindbezogene Leistungen bündelt und das soziokulturelle Existenzminimum von Kindern unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Familie, der Familienform und dem bisherigen Unterstützungssystem bedarfsgerecht gewährleistet.“, heißt es in der Presseerklärung des Hilfswerks. Die Kindergrundsicherung sei eine nachhaltige Lösung, die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen eigenständig und unabhängig von der Hartz-IV-Gesetzgebung absichere.

Quelle: Pressemitteilung DKHW