Ein ganzer Monat „Kinderrechte-Spezial“ auf kindersache.de
geschrieben von Redakteur | September 7, 2022
Deutsches Kinderhilfswerk zu den Themen Frieden und Teilhabe
Das Deutsche Kinderhilfswerk feiert den Weltkindertag am 20. September digital mit einem großen „Kinderrechte-Spezial“ für Kinder in ganz Deutschland. Ab sofort dreht sich auf www.kindersache.de/weltkindertag alles um die Themen Frieden und Teilhabe. Denn Kinder und Jugendliche leben gegenwärtig in einer so noch nie dagewesen Situation: Die Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie wirken bei vielen Kindern bis heute nach. Nachrichten über den Ukraine-Krieg bestimmen ihren Alltag. Die Klimakrise hat gravierende Auswirkungen auf die Zukunft von Heranwachsenden und künftigen Generationen.
Kinder erfahren mehr über ihre Rechte
Im Aktionsmonat September können Kinder auf kindersache.de mehr über ihre Rechte erfahren, thematische Unterhaltungsangebote wahrnehmen oder selbst aktiv und kreativ werden. Der Fokus liegt dabei auf der Schaffung von partizipativen Momenten und Lebensweltorientierung, um Kinderrechte nicht nur abstrakt zu erklären, sondern erlebbar zu machen.
Inhaltlicher Schwerpunkt ist das Thema „Frieden“
Inhaltlicher Schwerpunkt dieses „Monats der Kinderrechte“ ist das Thema Frieden. Denn auch die Kinder in Deutschland erleben die Auswirkungen des Ukraine-Krieges direkt in ihrem Lebensumfeld. Das schürt Ängste und wirft viele Fragen bei den Kindern auf: Sie wollen wissen, inwiefern der Krieg auch sie selbst betrifft, wie sie akut Geflüchteten helfen und wie sie sich für Frieden engagieren können. Sie sehen, wie die Kinderrechte von geflüchteten Kindern oftmals missachtet werden, obwohl diesen nach der UN-Kinderrechtskonvention ein besonderer Schutz zusteht. Kindersache.de versucht hier zielgruppengerecht die Ängste ernst zu nehmen, Fragen zu beantworten und die Kinder zu befähigen, sich selbst zu engagieren.
Kinderrechte dürfen nicht nachrangig behandelt werden
„Viel zu lange haben die Kinderrechte in Deutschland nur eine nachrangige Rolle gespielt, obwohl sie ein maßgeblicher Grundstein für eine zukunftsfähige Gesellschaftspolitik sind. Die Interessen von Kindern und Jugendlichen müssen deswegen endlich konsequent aufgegriffen werden. Dazu möchten wir mit unserem ‚Kinderrechte-Spezial‘ auf kindersache.de beitragen. Alle Kinder und Jugendlichen können so beim Weltkindertag mitfeiern, egal, wo sie gerade sind, und das den ganzen September hindurch“, betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.
Gemeinsam für Kinderrechte
Mit dem Motto des diesjährigen Weltkindertags „Gemeinsam für Kinderrechte“ rufen das Deutsche Kinderhilfswerk und UNICEF Deutschland sowohl Bund, Länder und Kommunen als auch die gesamte Gesellschaft auf, die Rechte von Kindern konsequenter in den Blick zu nehmen. Aus Sicht der Kinderrechtsorganisationen muss das gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen geschehen. Nur so kann es gelingen, die in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschriebenen Kinderrechte umzusetzen und damit ein kinderfreundlicheres Land zu schaffen. Die Bedürfnisse von Kindern müssen im Alltag berücksichtigt werden und Kinder bei Angelegenheiten, die sie selbst betreffen, mitbestimmen können.
UNICEF Schweiz und Liechtenstein und das UN Global Compact Netzwerk Schweiz und Liechtenstein veröffentlichen Studie
Kinderarbeit, die Sicherheit von Produkten und Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Kindern in Geschäftslokalitäten und Veranstaltungen – dies sind die Kinderrechtsthemen, welche für die teilnehmenden Unternehmen der eben veröffentlichten Studie von UNICEF Schweiz und Liechtenstein und dem UN Global Compact Netzwerk Schweiz und Liechtenstein besonders relevant sind.
Was wissen Unternehmen über Kinderrechte?
UNICEF Schweiz und Liechtenstein und das UN Global Compact Netzwerk Schweiz und Liechtenstein haben eben die Studie «Addressing Children’s Rights in Business – An Assessment from Switzerland and Liechtenstein» veröffentlicht. Diese Grundlagenstudie untersuchte, welche Kenntnisse Unternehmen hinsichtlich der Kinderrechte haben, wie Kinderrechte in ihren täglichen Aktivitäten und unternehmenseigenen Richtlinien berücksichtigt und verankert sind, und welchen Herausforderungen Unternehmen bezüglich Kinderrechten gegenüberstehen. Darüber hinaus soll die Studie eine Grundlage für die künftige Arbeit von Unternehmen, der Zivilgesellschaft, der Politik sowie der Verwaltung im Bereich Unternehmensverantwortung für Kinderrechte schaffen.
Reduktion auf Bekämfpung von Kinderarbeit
Die aktuelle Studie verdeutlicht die vielfältigen Auswirkungen von Unternehmen auf Kinder und ihre Rechte – sowohl in ihren Lieferketten wie auch in ihren eigenen Geschäftstätigkeiten in der Schweiz und in Liechtenstein. Besonders auffällig ist, dass sich Unternehmen der Breite der Kinderrechtsthemen, die für sie möglicherweise relevant sind, meist nicht bewusst sind. Vielmehr reduzieren sie Kinderrechte in der Wertschöpfungskette auf die Bekämpfung von Kinderarbeit.
In ihren eigenen Geschäftsprinzipien spielen zudem Produktsicherheit und die Sicherheit von Kindern in den eigenen Geschäftseinrichtungen und Veranstaltungen eine wichtige Rolle. Darüber hinaus machen die meisten untersuchten Unternehmen keine Verbindung zu weiteren kinderrechtsrelevanten Engagements, wie etwa im Umweltbereich oder zur Familienfreundlichkeit. Viele Unternehmen engagieren sich philanthropisch in mehreren Bereichen, die Kinderrechte tangieren, wie Bildung oder Gesundheitsversorgung.
Impulse für Unternehmen schaffen
Die Wichtigkeit von verbindlichen Gesetzgebungen, welche die Kinderrechte umfassend berücksichtigen, wurde gleich an mehreren Stellen in der Studie hervorgehoben. Neue Gesetze zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht schärfen das Bewusstsein von Unternehmen für Kinderrechte und schaffen Impulse für Unternehmen, sich verstärkt mit Kinderrechten auseinanderzusetzen. Gesetze schaffen für Unternehmen aber auch Rechtssicherheit mit verbindlichen Vorgaben, die sich gegen innen und nach aussen richten.
Die Studie wurde vom Geneva Center for Business and Human Rights und dem Centre for Children’s Rights Studies der Universität Genf verfasst. Die Resultate basieren auf einer Desk-Analyse von öffentlich zugänglichen Dokumenten von 60 Unternehmen, einer Online-Umfrage mit 54 teilnehmenden Unternehmen sowie 15 Vertiefungsinterviews.
Kinderrechte-Online-Workshops von September bis Dezember
geschrieben von Redakteur | September 7, 2022
Fortbildungen zum Jahresthema „Familien und Kindertagesbetreuung als sichere Orte für Kinder“
Für die Chancen und Rechte der Kinder setzt sich auch die Deutsche Liga für das Kind ein. Beim Jahresthema 2022 geht es um „Familien und Kindertagesbetreuung als sichere Orte für Kinder“. Dazu veranstaltet die Liga die „Online-Live-Workshopreihe plus! Kinderrechte“. Im Mittelpunkt stehen dabei aktueller Input und fachlicher Austausch. Von September bis Dezember 2022 werden die Geschäftsführerin der Liga, Bianka Pergande, sowie sechs Referentinnen und Referenten aus dem interdisziplinären Vorstand der Deutschen Liga für das Kind die plus! Kinderrechte-Online-Workshops gestalten:
14.09.2022 Die Kita als sicherer Ort für Kinder. Grenzverletzendes Verhalten von Fachkräften verhindern. Bianka Pergande (Geschäftsführerin der Deutschen Liga für das Kind)
21.09.2022 Eltern für Kinderrechte begeistern. Kinderrechtsbasierte Erziehungs- und Bildungspartnerschaft. Prof. Dr. Jörg Maywald (Kinderrechtsexperte, Honorarprofessor an der Fachhochschule Potsdam),
05.10.2022 Impulskontrolle und Emotionsregulation in der frühen Kindheit stärken. Von der interpersonalen zur Selbstregulation. Prof. Dr. Jeanette Roos (Professorin für Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg),
26.10.2022 und 14.12.2022 Hier fühl‘ ich mich wohl! Wohlbefinden von jungen Kindern erkennen und stärken. Prof. Dr. Susanne Viernickel (Professorin für Pädagogik der frühen Kindheit an der Universität Leipzig,
02.11.2022 Gemeinsam stark für Kinder mit besonderem Förderbedarf. Am Kindeswohl orientierte Zusammenarbeit von Fachkräften, Eltern und Therapeuten. Dr. med. Thomas Fischbach (Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte BVKJ e.V.),
16.11.2022 Zwischen sexueller Bildung und Schutz vor Missbrauch. Sexualpädagogik in der Kita. Prof. Dr. Jörg Maywald, Kinderrechtsexperte und Honorarprofessor an der Fachhochschule Potsdam,
23.11.2022 Die Kita als sicherer Ort für Kinder. Grenzverletzendes Verhalten von Fachkräften verhindern. Bianka Pergande, Geschäftsführerin der Deutschen Liga für das Kind,
30.11.2022 Kooperation von Frühen Hilfen, Kitas und Familienzentren – Warum wir sie brauchen und wie sie gelingen kann. Prof. Dr. Sabine Walper (Direktorin des Deutschen Jugendinstituts),
07.12.2022 Seelische Gesundheit geflüchteter Kinder. mit Dr. med. Areej Zindler (Leiterin der Flüchtlingsambulanz am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf).
Quelle: Information der Deutschen Liga für das Kind
Das Maß liegt im Menschen und nicht in den Dingen
geschrieben von Redakteur | September 7, 2022
Mit Janusz Korczak das Recht des Kindes auf Achtung pflegen und die Professionalität der pädagogischen Fachkräfte vertiefen
Mit dem polnischen Arzt und Reformpädagogen Janusz Korczak (1978-1942) ist die Pädagogik neu zu vermessen. Denn das Maß liegt im Menschen und nicht in den Dingen: Das Recht des Kindes auf Achtung ist sein erstes und unbestreitbares Recht.
Korczak ist einer der wenigen Lehrer der Menschheit, der seine humanistische Botschaft aussprach und mit seinem Leben bestätigte. Er stellt Grundfragen an die Persönlichkeit der Erzieherinnen und Erzieher. Seiner weit gespannten und in das Leben eingebundenen Pädagogik ging es um die Praxis und nicht um das Ansammeln von Wissen mit blank geputzten Begriffen. Seine Gedanken führen uns zu existentiellen Grenzthemen, zu Themen über Leben und Tod.
Durch Nachdenken über Korczaks Leben und Werk können pädagogische Fachkräfte ihre Haltung, ihr Denken, Fühlen und Wollen prüfen, weiterentwickeln und ihre Professionalität vertiefen.
Korczaks Waisenhaus Dom Sierot in der Krochmalna Straße in Warschau, ca. 1935
Charta der Kinderrechte
Bereits 1919 formulierte Korczak seine Charta der Kinderrechte: „Ich fordere die Magna Charta Libertatis (die Große Charta der Freiheiten) als ein Grundgesetz für das Kind. Vielleicht gibt es noch andere – aber diese drei Grundrechte habe ich herausgefunden:
„1. Das Recht des Kindes auf seinen Tod“ = dem Kind die Ausformung seines Lebens zutrauen. „2. Das Recht des Kindes auf seinen heutigen Tag“ = die Gegenwart des Kindes achten, die nicht einer ungewissen Zukunft geopfert werden darf. „3. Das Recht des Kindes, so zu sein, wie es ist“ = dem Kind sein Kindsein ermöglichen.
(Bild: Itzchak Belfer, Maler des Holocast (1924 – 2021): Kind im Waisenhaus)
Den drei Grundrechten stellte er ein oberstes Prinzip voran: „Das Recht des Kindes auf Achtung. Es ist das erste und unbestreitbare Recht des Kindes, seine Gedanken auszusprechen und aktiven Anteil an unseren Überlegungen und Urteilen über seine Person zu nehmen. Wenn wir ihm Achtung und Vertrauen entgegenbringen und wenn es selbst Vertrauen hat und sich ausspricht, wozu es das Recht hat – wird es weniger Zweifel und Fehler geben“ (Korczak 1978, S. 40 f.). Seine Gedanken gingen in die UN-Behindertenrechtskonvention ein, die seit März 2009 in den Bundesländern in Kraft getreten ist.
Das Recht auf Achtung lebte Korczak bis zuletzt
Als die Nazis Polen besetzten wurde in Warschau ein Ghetto errichtet, in das auch Korczak, seine Kinder und Mitarbeiter:innen einzogen. Ihm wurden Angebote zu seiner Rettung gemacht. Er schlug sie aus. Sein Mitarbeiter und Freund und Sekretär Igor Newerly berichtet: Bei seinem letzten Besuch bei ihm im Ghetto hätte Korczak mit ihm gehen können, denn er hatte einen gefälschten Passierschein, den er ihm geben wollte. Korczak lehnte ab. Mehr noch, er war überrascht. „Er hatte ganz einfach nicht von mir erwartet, dass ich ihm einen so nichtswürdigen Vorschlag unterbreiten werde – die Kinder angesichts des Todes im Stich zu lassen.“ (Newerly in Korczak 1978, S. 32)
Korczaks Ghetto-Tagebuch entnehmen wir: „Das Waisenhaus, ein Bienenstock, ein Ameisenhaufen. Nein. Unser Haus ist jetzt ein Altersheim… Die Gespräche der Kinder am Morgen, das Ergebnis ihrer Temperaturmessungen. Wie viel Fieber habe ich, wieviel du? Wer fühlt sich schlechter? Wie hat jeder die Nacht verbracht?“ (Korczak 1992, S. 98)
Trotz Krankheit, Hunger und Elend versucht der Seelenarzt Korczak den Kindern noch einen Rest unbekümmerten Lebens zu erhalten. Er ist für sie Vater, Mutter und Spielgefährte, er scherzt mit ihnen, fabuliert Märchen und organisiert ein Konzert. Als Symbol gestalten die Kinder gemeinsam die Fahne aus Korczaks Kinderbuch „König Hänschen I.“: Kastanienblüten auf grünen Grund und auf der anderen Seite ein blauer Judenstern auf weißem Grund.
Im Juli 1942 beginnt die systematische Judenvernichtung. Am 4. August 1942 vermerkt Korczak in seinem Tagebuch:
„Ich wünsche niemanden etwas Böses. Ich kann das nicht. Ich weiß nicht, wie man das macht.“
(Korczak 1992, S. 119)
Am 5. August 1942 müssen Korczak, seine 200 Kinder und Mitarbeiterin Frau Stefa das Ghetto verlassen. Ein Junge trägt die Fahne „König Hänschen I.“, die Fahne der Hoffnung. Sie begleitet den Kinderzug durch Warschau. „So viele Jahre beharrlicher Wanderschaft, um den Kindern die Sonne in die Hand zu geben, wie kann ich sie alleine lassen? Die Kinder leben in ständiger Unsicherheit, in Angst.“ (Tagebucheintrag am 1. August 1942; Korczak 1992, S. 116)
Das Lachen des Kindes als Anker für eine achtsame und liebende Haltung
Der feinfühlende Arzt hatte das Geschehen reflektiert und gewandelt – ohne die Wirklichkeit auszublenden. Seine Pädagogik öffnet, ist schöpferisch, nimmt das Kind und seine Umwelt so wahr, wie sie nun einmal sind. Sie wandelt das Gegebene, also das, was wahrgenommen wird, unter den Bedingungen der Gegenwart zum Guten – ohne Illusionen.
Korczaks achtsame und liebende Haltung sieht im „Lachen des Kindes“ ihren Anker:
„Was uns […] innigst mit dem Leben verbindet, ist ein Kinderlachen, strahlend und klar.“
(Korczak-Bulletin 2015, S. 2)
(Bild: Itzchak Belfer: Das Kind in Korczaks Hand geborgen)
Korczaks Gedanken leben weiter
Bis heute bringen Korczak und seine Nachfolger uns nahe, wie wertvoll jedes Kind ist. Wer ihre Bücher liest, spürt etwas von der Zuversicht und dem Mut, die seine Menschlichkeit in schwierigen Zeiten umsetzen. Immer mehr Einrichtungen in der ganzen Welt tragen Korczaks Namen. Menschen verschiedener Länder finden zusammen und studieren seine Pädagogik, die in über 20 Sprachen erschienen ist. Offenbar wächst das Bedürfnis nach Orientierung an Vorbildern in dem Maße, wie das Vertrauen in Institutionen und normative Denkstrukturen, die über Jahrzehnte Stabilität garantierten, brüchig geworden ist. Vor allem junge Menschen und jene, die in pädagogischen Arbeitsfeldern tätig sind, erfahren durch die Begegnung mit Korczak eine motivierende und inspirierende Perspektive.
Jeder kann seinen eigenen Korczak finden
Nach vielen Jahren der Begegnung mit Korczak sagte sein Freund Joseph Arnon: Jeder, der die geheimnisvolle Tiefe dieser Persönlichkeit entdeckt, findet seinen „eigenen Korczak“.
Wie sieht ,mein‘ Korczak aus?
Darauf antworte ich zunächst mit der Praktikantin Irene Reppowa, die in Korczaks Waisenhaus arbeitete und den Holocaust überlebte: Für Reppowa bestand das Lernen darin sich in das Wirken ihres Vorbildes zu versenken. Das half ihr Wege zu finden, die auch bei ausweglos erscheinenden Erziehungsproblem möglich wurden. Sie berichtet: „Ich erinnere mich, dass der Kern der Methode Korczaks darin liegt, den ganzen Umgang mit den Kindern nach den Prinzipien der Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit des Erziehers zu pflegen – Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit ohne jedes Wenn und Aber. […] Das half mir und ermöglichte mir Erfolge in meiner pädagogischen Arbeit“ (Reppowa 2002, S. 8).
Mein Weg für das „Proletariat auf kleinen Füßen“ (Korczak) beginnt mit der heilpädagogischen Praxis 1963. In immer wieder neuen Anläufen begegne ich seinem Werk. Seine Lebensgeschichte spiegelt unterschiedliche Erfahrungen und Formen der Unterdrückung wider: Die Unterdrückung von Kindern durch Erwachsene, diejenige des polnischen Volkes durch die russische und deutsche Fremdherrschaft.
Korczak lehrt mich durch sein Beispiel wie die Individualität des Kindes wahrzunehmen und durch achtsame Haltung zu begleiten ist. Damit widerspreche ich jener modernen Pädagogik, die das Kind nach eigenen Vorstellungen machen will. Der Mensch funktioniert eben nicht wie eine Input-Output-Maschine. Pädagogik ist kein Machen, Pädagogik ist eine Haltung. Mit Korczak ist die Pädagogik neu zu vermessen, denn das Maß liegt im Menschen und nicht in den Dingen. Korczaks Praxis sprengt gewohnte Systeme an die sich viele um den Preis klammern, dass sie sich aus dem eigenen kreativen Denken verabschieden (Näheres in Klein 2018a, 2018b).
In der Begegnung das wirkliche Kind wahrnehmen
Korczak knüpft an alltägliche Erfahrungen an, die er mit dem Kind macht. Sie werden in die pädagogische Urteilsfindung mit hineingenommen. Damit kehrt er der vorherrschenden Theoriegläubigkeit den Rücken und bringt den lebendigen Menschen, mit dem es nun einmal die Erziehung zu tun hat, ins Spiel. Hart zieht er gegen die „verknöcherte Theorie“, d.h. das begrifflich (vor)gefasste Denken zu Felde, wenn er sagt, dass „Anschauungen fremder Menschen sich im eigenen lebendigen Ich brechen müssen“.
Korczak sieht die Perspektive des Kindes und die Perspektive des Erziehers. In seiner Schrift „Wenn ich wieder klein bin“ versetzt er sich in die Situation eines kleinen Jungen und sieht die Gedanken der Erwachsenen aus der Sicht der Kinder, und die Gedanken der Kinder sieht er aus der Sicht der Erwachsenen. Er erkennt: „Ein Erzieher, der nicht einpaukt, sondern etwas freilegt, der […] nicht diktiert, sondern anfragt, der erlebt mit dem Kind manchen bewegenden Augenblick; und er wird manchmal mit Tränen in den Augen den Kampf zwischen Engel und Satan miterleben, bis der lichte Engel den Sieg davonträgt“ (Korczak 1973, S. 35 f.).
Die pädagogische Kompetenz
Die gemeinsam erlebte Situation bietet Korczak die Chance, sich selbst und das Kind so wahrzunehmen, als wäre die Intention des Kindes die eigene und umgekehrt. Lernprozesse zwischen Erwachsenen und Kindern verlaufen hier nicht einseitig. Kind und Erwachsener lernen in der Begegnung voneinander. Aber der Erzieher muss das Kind erst ‘sehen‘ und seine Perspektive in die Überlegungen hineinnehmen.
Wir erkennen: Korczak hat das erzieherische Verhältnis radikal verändert und können von einer „kopernikanischen Wende“ in der Pädagogik sprechen. Er hat die Perspektive der Pädagogik revolutioniert und sich der „Macht über die Kinder konsequent entledigt“ (Bartosch 2017, S. 20). Hier taucht gleich die Frage auf, ob Korczak im herkömmlichen Sinne noch Pädagoge ist, denn er erkennt bald die eigenen Grenzen des Wissens über die Kinder und findet keinen archimedischen Punkt von dem aus er die Erziehung beurteilen kann. Vielmehr steht er mit seiner Theorie mitten im Prozess der Erziehung und erfährt aus dem Zusammensein mit den Kindern die Methoden, die ihnen Selbstwirksamkeit und Selbstgestaltung ihrer Entwicklung ermöglichen.
Hier wird der Erwachsene in der Begegnung mit dem wirklichen Kind konfrontiert und muss auf seine ‘Lebensfragen‘ antworten. Gemeint sind nicht nur praktische Lösungswege. Vielmehr geht es um Grundfragen des Kindes: Wirst du für mich einstehen? Bist du ein verlässlicher Mensch? Kann ich dir vertrauen?
…und so beginnt auch Prof. Dr. Ferdinand Klein bei seinem eigenen Werdegang als Heilpädagoge und beim Kinderarzt und Pädagogen Janusz Korczak, um sich dem Begriff und der Aufgabe des Heil- und Sonderpädagogen zu nähern. Zudem bietet das Buch vielfältige Fallbeispiele, konkrete Tipps und Hilfestellungen zum Umgang mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen, praxisgerecht, leicht verständlich und direkt umsetzbar.
Korczak bemühte sich über das Einfühlen in die Kinder hinauszugelangen und wie Kinder zu fühlen. Er war fähig, sich mit hoher Sicherheit in die Gefühlswelt und Sinnzusammenhänge der Kinder zu versenken. Seine einfühlende Praxis geht über das sonst übliche Verstehen hinaus und wendet sich den inneren Entwürfen des Kindes (Bedürfnissen, Motiven, Phantasien, Interessen, Neigungen und Wünschen) und den sachlich begründeten Kausalitäten (Notwendigkeiten, Ordnungen, Regeln, Pflichten und Aufgaben) zu.
Seine Pädagogik der Achtung erkennt: Kein Kind darf auf feste Ziele hin entworfen und festgelegt werden. Kein Mensch darf es für seine Zwecke „kneten oder ummodeln“ (Korczak). Er hat vielmehr das – noch verborgene oder verdrängte – Gute im Kind fühlend freizulegen und ihm so die Chance der Selbstannahme in der Gegenwart zu geben.
Für den Psychoanalytiker und -therapeuten Arno Gruen, der die Strukturen der Macht analysiert hat, ist die Frage nach dem Mitgefühl die Frage nach dem Menschsein schlechthin. Gruen nimmt Korczak als Menschen wahr, der eine feinfühlige Hellsichtigkeit für den Schmerz entwickelt hat: „Seine Verzweiflung über das, was Menschen einander zufügen, führte bei ihm zu einem äußerst mitfühlenden Herz ohne Selbstmitleid“. Korczak hat Misserfolge nicht demoralisiert. Er erkannte, „dass die einzig wahre Kraft aus erlebtem Schmerz emporsteigt. […] Nur indem ein Kind bei seinem eigenen Schmerz bleiben kann und der Erwachsene es darin begleitet, […] kann es die Kraft aufbauen Mensch zu sein. Es sind die Kinder selber, die uns den Weg hin zum Menschlichen zeigen können“ (Gruen 2003, S. 8).
Fazit:
Die sich bildende pädagogische Fachkraft kann Korczaks Pädagogik auf sich wirken und zum Orientierungsmaßstab für ihre Haltung, ihr Fühlen und Wollen, Denken und Handeln werden lassen. Sie kann erkennen, dass sich in ihrer Person das Handlungswissen (Theorie) und die Praxismethoden (Praxis) vereinigen. Und sie kann den Atem und den Herzschlag des Kindes spüren, hören und sehen – und sich durch diese ästhetische (sinnliche) Erfahrungen im Dialog mit dem Kind weiterbilden. Ihre Professionalität ist nie abgeschlossen. Jedes Kind gibt ihr neue Rätsel auf. Darin liegt der immer wieder neue Anreiz, sich mit Kindern auf eine nie endende Entdeckungsreise zu begeben.
Literaturhinweise
Bartosch, U. (2017). Natur-Gott-Mensch. In: Steiger, S./Maluga, A./Bartosch, U. (Hrsg.): Der Blick ins Freie. Bad Heilbrunn, Klinkhardt, S. 12-27 Gruen, A. (2003): Wie man ein Kind lieben soll. In publik-forum, journal Nr. 6 Klein, F. (2018a): Mit Janusz Korczak Inklusion gestalten. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht Klein, F. (2018b): Inklusive Erziehung in Krippe, Kita und Grundschule. Heilpädagogische Grundlagen und praktische Tipps im Geiste Janusz Korczaks. München. BurckhardtHaus Korczak-Bulletin (2015) Korczak, J. (1973): Wenn ich wieder klein bin. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht Korczak, J. (1978): Wie man ein Kind lieben soll. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht Korczak, J. (!992) Tagebuch aus dem Warschauer Ghetto 1942. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht Reppowa, I. (2002): Sein Glanz fiel auch auf dies besondere Haus. In: Korczak-Bulletin, Heft 2, S. 8-9
Der Autor
Univ. Prof. em. Dr. Dr. et Prof. h.c. Ferdinand Klein
Ferdinand Klein arbeitete 14 Jahre in heilpädagogischen Praxisfeldern, war an den Hochschulen in Würzburg, Mainz und Reutlingen tätig. Von 1992 bis 1994 wirkte er als Aufbaudirektor des Instituts für Rehabilitationspädagogik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Nach Emeritierung (1997) war er Gastprofessor an der Comenius-Universität Bratislava und seit 2005 an der Gusztáv-Bárczi-Fakultät für Heilpädagogik der Eötvös-Loránd-Universität Budapest, die sein wissenschaftliches Werk und seine Verdienste um den Ost-West-Dialog mit der Verleihung eines „Doctor et Professor honoris causa“ würdigte. 2019 wurde ihm für sein sozial- und heilpädagogisches Wirken das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.
Arbeitsschwerpunkte: Ethische Fragen, Forschungsmethoden, Reformpädagogik, Korczakpädagogik, Waldorfpädagogik, Früh- und Elementarpädagogik.
Kinderhilfswerk publiziert Arbeitshilfe zu Kinderrechten für Richterinnen und Richter
geschrieben von Redakteur | September 7, 2022
DKHW: Kinderrechte müssen im Justizsystem flächendeckend umgesetzt werden
Eine Sammlung von Praxisbeispielen zur Umsetzung einer kindgerechten Justiz in den Bundesländern sowie eine Handreichung für Richterinnen und Richter als Arbeitshilfe zur Ausgestaltung einer kindgerechten Justiz im Familiengerichts- und Strafverfahren hat das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) eben veröffentlicht.
Auf dem Weg zur kindgerechten Justiz
Die Publikation „Auf dem Weg zur kindgerechten Justiz. Ein erster Blick in die gute Praxis der Bundesländer“ stellt Maßnahmen und Projekte einzelner Gerichte und Bundesländer zur Umsetzung der Kinderrechte in Gerichtsverfahren vor. Damit macht sie zum einen den sehr unterschiedlichen Umsetzungsstand einer kindgerechten Justiz in den Bundesländern sichtbar und soll zum anderen die Landesjustizministerien, aber auch einzelne Gerichte zur Adaption erfolgreicher Maßnahmen anregen.
„Verfahren entsprechen oft nicht den menschenrechtlichen Anforderungen“
„Gerichtliche Verfahren, sei es im Bereich des Straf- oder Familienrechts, sind für die betroffenen Kinder und Jugendlichen häufig schwer verständlich, belastend und haben nicht selten existentielle und höchstpersönliche Fragen zum Gegenstand. Zugleich zeigen zahlreiche Studien auf, dass ihre Situation in behördlichen und gerichtlichen Verfahren in Deutschland oftmals weder den internationalen menschenrechtlichen Anforderungen noch den Leitlinien des Europarates für eine kindgerechte Justiz entspricht. Obwohl Verfahren ihre Interessen betreffen und die Entscheidungen weitreichende Folgen für ihr Leben haben, werden Kinder häufig nicht kindgerecht beteiligt und angehört. Dabei bestehen zudem große regionale Unterschiede. Es darf aber nicht von den Verfahrensbeteiligten oder dem Gericht im Einzelfall abhängen, ob die Rechte des Kindes im Verfahren umgesetzt werden. Deshalb brauchen wir in Deutschland eine flächendeckende Stärkung der Kinderrechte im Justizsystem.“ So erklärt Anne Lütkes, Vizepräsidentin des DKHW, den Umstand, der zur Veröffentlichung der Arbeitshilfe geführt hat.
Kinderrechte in Verhandlungen besser erkennen
Die „Handreichung für Richter*innen – Arbeitshilfe zur Ausgestaltung einer kindgerechten Justiz im Familiengerichts- und Strafverfahren“ soll Richterinnen und Richter dabei unterstützen, die Kinderrechte in gerichtlichen Verfahren als solche besser zu erkennen und die gesetzlichen Möglichkeiten zu ihrer Umsetzung umfassend auszuschöpfen. Dabei stehen besonders die Verbesserung der Qualität der Anhörungen sowie der Vernehmungen von Kindern und Jugendlichen, der Zugang und die Beteiligung am Recht und die Stärkung interdisziplinärer Kooperationen im Vordergrund.
Empfehlungen in die Alltagspraxis integrieren
Der Qualifikation von Richterinnen und Richtern im Umgang mit Kindern kommt in einem kindgerechten Justizsystem eine besondere Bedeutung zu. Wie Kinder ein gerichtliches Verfahren wahrnehmen, hängt maßgeblich davon ab, wie die sie anhörenden Richterinnen und Richter ihnen begegnen. Um passgenau an der gängigen gerichtlichen Praxis anzuknüpfen, wurden die dargestellten Empfehlungen ausschließlich von Expertinnen und Experten aus der Praxis und Wissenschaft zusammengetragen. Dadurch wird gewährleistet, dass die Empfehlungen sich niedrigschwellig in die tägliche praktische Arbeit von Richterinnen und Richter integrieren lassen.
Möglichkeiten aufgrund von Handlungsunsicherheiten oft nicht ausgeschöpft
„Aus der Zusammenarbeit und Konsultationsprozessen mit relevanten Akteuren der Zielgruppe, vor allem Richterinnen und Richtern, wissen wir, dass bei ihnen ein besonderes Interesse an interdisziplinären Kenntnissen im Umgang mit Kindern besteht. Eine hohe Arbeitsauslastung, mangelnde Ressourcen und fehlende Fortbildungsplätze erlauben es allerdings nicht immer, im gewünschten Maß an Qualifikationsmaßnahmen teilnehmen zu können. Zudem werden in der Praxis die gesetzlichen Möglichkeiten häufig aufgrund von Handlungsunsicherheiten beteiligter Akteure nicht ausgeschöpft.
So wird etwa die richterliche Videovernehmung von Minderjährigen, die Opfer von schwerwiegenden Gewalt- und Sexualstraftaten geworden sind, bei den meisten Gerichten immer noch nicht eingesetzt oder nur unzureichend ausgeführt. Hier müssen Bund und Länder geeignete Rahmenbedingungen dafür schaffen, um Richterinnen und Richter bei der Gestaltung kindgerechter Verfahren zu unterstützen. Dazu gehört neben einem breiten, qualitativ hochwertigen und interdisziplinären Fortbildungsangebot vor allem auch eine angepasste Personalbedarfsplanung. Auch hier besteht großer Handlungsbedarf“, sagt Lütkes.
Zum Download der Handreichung und der Publikation
Die „Handreichung für Richter*innen – Arbeitshilfe zur Ausgestaltung einer kindgerechten Justiz im Familiengerichts- und Strafverfahren“ und die Publikation „Auf dem Weg zur kindgerechten Justiz. Ein Blick in die gute Praxis der Bundesländer“ können unter www.dkhw.de/kindgerechtejustiz heruntergeladen werden. Ein Kernforderungspapier des Deutschen Kinderhilfswerkes zur kindgerechten Justiz findet sich unter https://www.dkhw.de/kernforderungen/kindgerechte-justiz.
Quelle: Pressemitteilung des Deutschen Kinderhilfswerkes
Broschüre der EKD: Kinder schützen und stark machen
geschrieben von Redakteur | September 7, 2022
Kostenlose Publikation bietet auch Hintergrundinformationen und Tipps für Eltern zu Kinderrechten und deren Umsetzung
Kinder sind Menschen mit eigenen Bedürfnissen und Interessen, die Beachtung und Schutz verdienen. Ihre Rechte wurden 1989 in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen festgeschrieben. Dennoch stellte der UN-Kinderrechtsauschuss wiederholt fest, dass diese Rechte auch in Deutschland nicht ernsthaft genug umgesetzt werden. Durch die Corona-Krise haben sich Kinderarmut, mangelnde Teilhabemöglichkeiten und Bildungsungerechtigkeit sogar noch zugespitzt. Mit einer eben veröffentlichten Broschüre will die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) auf die Umsetzung von Kinderrechten aufmerksam machen und gibt Tipps für eine gelingende Umsetzung. Dabei geht es vor allem darum, Kinder besser zu schützen und zu stärken.
Kindern zu ihrem Recht verhelfen
„In der Corona-Pandemie haben sich viele bereits vorhandene Probleme drastisch verschärft“, so die für Menschenrechtsfragen zuständige EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber. „Deshalb gilt mehr denn je, Kindern und Jugendlichen zu ihrem Recht zu verhelfen, sie zu schützen und stark zu machen. Denn es ist ihre Zukunft, die von Erwachsenen allzu oft aufs Spiel gesetzt oder preisgegeben wird“.
Umso mehr seien Erwachsene zu verantwortungsvollem Handeln aufgerufen: „Als Christinnen und Christen sind wir überzeugt, dass die Menschenwürde, die Gott uns allen schenkt, uns in den Gesichtern, den Bedürfnissen und Fragen der Kleinsten unverstellt begegnet“, so Bosse-Huber.
Selbstverständlich auch passende Bibelzitate und liturgische Impulse
Die Broschüre der EKD fasst verständlich und übersichtlich zusammen, welche Rechte Kinder haben. Unter anderem werden Themen wie Bildungsgerechtigkeit, Freizeit oder Mitspracherecht von Kindern behandelt. Die Texte machen auf die entsprechenden Kinderrechte aufmerksam und geben Hintergrundinformationen und Tipps für Eltern. Passende Bibelzitate und liturgische Impulse regen an, das Thema Kinderrechte auch im Gottesdienst oder in der Gemeindearbeit zu thematisieren.
Studie empfiehlt flächendeckende Etablierung von Beauftragten für Kinderrechte
geschrieben von Redakteur | September 7, 2022
Studie empfiehlt flächendeckende Etablierung von Beauftragten für Kinderrechte
Eine im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes (DKHW) erstellte Expertise spricht sich für die Etablierung von Ombudspersonen bzw. Beauftragten für Kinderrechte auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene aus. Als Ausgangspunkt dient eine vergleichende Untersuchung von Ombudspersonen und vergleichbaren Stellen auf europäischer Ebene.
Aufgaben der teilweise neu zu schaffenden Stellen wären neben der Bekanntmachung der Kinderrechte vor allem die Interessenvertretung von Kindern in Politik und Gesellschaft, das Monitoring der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention, die Förderung der Beteiligung und Partizipation von Kindern sowie die Bearbeitung von Beschwerden von Einzelnen und Gruppen.
Eine einzelne Beauftragtenstelle reicht nicht aus
Die Expertise stellt zudem fest, dass eine einzelne Beauftragtenstelle, beispielsweise auf der Bundesebene, diese unterschiedlichen notwendigen Aufgaben nicht befriedigend umsetzen könne. Vielmehr müsse ein Netzwerk von Beauftragten auf kommunaler, Länder- und Bundesebene entwickelt werden, die miteinander kooperieren, sich inhaltlich abstimmen und eine gemeinsame Strategie zur Förderung der Kinderrechte entwickeln und umsetzen. Ausgangspunkt der Expertise ist eine vergleichende Untersuchung von Ombudspersonen und vergleichbaren Stellen auf europäischer Ebene.
Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten
„Die Studie weist eindrucksvoll den Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten für ein Netz an Beauftragten für Kinderrechte nach. Die zu bearbeitenden Aufgabenfelder sind klar definiert und umreißen den Auftrag an die Politik auf allen Ebenen tätig zu werden und entsprechende Stellen einzurichten“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes. „Für uns als Kinderrechtsorganisation steht die Umsetzung der Kinderrechte und der sich damit verbindenden Aufgaben im Zentrum. Dabei können die auf den unterschiedlichen politischen Ebenen angesiedelten Beauftragten hinsichtlich ihrer Aktivitäten sinnvolle Schwerpunkte setzen: Einzelfallarbeit beispielsweise wäre auf der kommunalen Ebene zu verorten, während die Landes- und Bundesebene die Gesetzgebung begleiten würde“, so Hofmann weiter.
Good-practice-Erfahrungen und Wissen sicherstellen
„Aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes sollten Ombudsstellen auf der Landesebene den Informationsfluss unter den Kommunen, Good-practice-Erfahrungen und Wissen sicherstellen, gemeinsame Positionierungen erarbeiten und dessen Transfer gewährleisten. Ähnliches gilt für eine entsprechende Stelle auf Bundesebene, für die unterschiedliche Konstruktionen denkbar wären, etwa analog dem Unabhängigen Beauftragten gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern, unter Einbeziehung der Kinderkommission des Deutschen Bundestages oder mit Verantwortung bei Servicestellen zivilgesellschaftlicher Träger“, sagt Hofmann.
Gesetzliche Absicherung der Stelle erforderlich
Die Untersuchung für das Deutsche Kinderhilfswerk kommt weiterhin zu dem Ergebnis, dass Ombudspersonen oder Beauftragte nicht nur eine symbolische Funktion erfüllen, sondern ihre Aktivitäten substanziell umzusetzen seien. Dafür wären eine gesetzliche Absicherung der Stelle, ihrer Aufgaben und des Verfahrens zur Berufung erforderlich. Zudem sei auf inhaltliche Unabhängigkeit, Weisungsfreiheit sowie eine hinreichende personelle und finanzielle Ausstattung zu achten. Sowohl bei der Ausgestaltung als auch an der Strategieentwicklung seien Kinder und Jugendliche zu beteiligen. Denn der oder die Beauftragte verfüge nicht qua Amt über die „richtige“ Einschätzung der Kinder- und Jugendinteressen, befinde sich aber in der Position, die erforderlichen Perspektiven zusammenzubringen und diese an die richtigen Stellen in Politik und Verwaltung zu adressieren.
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Die Erstellung der Expertise „Ombudspersonen und vergleichbare Stellen im europäischen Vergleich – ein Ausblick für Deutschland“ durch Prof. Dr. Ulrike Urban-Stahl von der Freien Universität Berlin und Dr. Thomas Meysen vom SOCLES International Centre for Socio-Legal Studies erfolgte im Rahmen eines Projekts der Koordinierungsstelle Kinderrechte des Deutschen Kinderhilfswerkes. Die Koordinierungsstelle Kinderrechte begleitet die Umsetzung der Europaratsstrategie für die Rechte des Kindes und die EU-Kinderrechtsstrategie. Sie wird gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Die Expertise kann unterhttps://dkhw.de/studie-ombudsstellen heruntergeladen werden.
Start der Anmeldephase zum Kinder- und Jugendgipfel 2022 des Deutschen Kinderhilfswerkes
Das Deutsche Kinderhilfswerk ruft zu Bewerbungen für den Kinder- und Jugendgipfel 2022 auf. Beim Kinder- und Jugendgipfel lernen Kinder und Jugendliche anhand von selbst gewählten aktuellen und gesellschaftlich relevanten Themen ihre Rechte kennen und erhalten eine Plattform, um diese mit konkreten politischen Forderungen zu verbinden. Der Gipfel wird vom Deutschen Kinderhilfswerk in Kooperation mit dem Education Innovation Lab und dem Kinder- und Jugendfreizeitzentrum Wuhlheide Berlin (FEZ) durchgeführt. Hintergrund des Kinder- und Jugendgipfels sind zwei Jubiläen: der 30. Jahrestag des Inkrafttretens der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland und der 50. Geburtstag des Deutschen Kinderhilfswerkes.
Für Schulklassen, Jugendgruppen und alle interessierten Kinder und Jugendlichen
Zum Programm für Schulklassen, Jugendgruppen und alle interessierten Kinder und Jugendlichen von zehn bis 17 Jahren (bei jüngeren Teilnehmenden sollte eine intensivere Begleitung eingeplant werden) gehört der kostenlose Online-Workshop „Unsere Forderungen!“ mit verschiedenen Modulen, die ab dem 5. April2022 begonnen werden können. Nach Durchlaufen der digitalen Phase des Gipfels haben die Teilnehmenden die Chance, zum analogen Kinder- und Jugendgipfel im September 2022 nach Berlin eingeladen zu werden, sich bundesweit zu vernetzen, kreativ an ihren Forderungen weiterzuarbeiten und diese mit Politikerinnen und Politikern zu diskutieren.
Deutschland wird bei Kinderrechten oft eigenen Ansprüchen nicht gerecht
„Deutschland wird bei den Kinderrechten oftmals seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Viele Kinder und Jugendliche werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Das haben die Kinder und Jugendlichen in der Corona-Pandemie schmerzlich erfahren müssen. Hier wurde deutlich, dass die Kinder und Jugendlichen in der öffentlichen Debatte zu selten einbezogen und ihre Sichtweisen und Bedürfnisse in der Folge häufig ignoriert werden. Man diskutiert über sie, aber nicht mit ihnen. Das möchten wir mit dem Kinder- und Jugendgipfel ändern. Denn wir brauchen für die junge Generation nachhaltige Strukturen, damit sie ihre Rechte wahrnehmen können“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes.
Der Kinder- und Jugendgipfel 2022 des Deutschen Kinderhilfswerkes wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Weitere Infos zum Kinder- und Jugendgipfel 2022 unter www.dkhw.de/Gipfel2022.