Zeit für ein kindgerechtes Deutschland

30 Jahre UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland – 50 Jahre Deutsches Kinderhilfswerk

Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert zum Jahresbeginn Bund, Länder und Kommunen auf, anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Inkrafttretens der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland die Kinderrechte in diesem Jahr stärker in den Fokus zu nehmen. Dazu muss Kinderpolitik in Deutschland verstärkt als Querschnittsaufgabe verankert werden. Gerade in Fragen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen werden Kinderrechte in Deutschland vielfach missachtet. Das gilt angesichts der anhaltend hohen Kinderarmutsquote auch für den Bereich der sozialen Sicherheit.

Gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen

„Die praktische Durchsetzung von Kinderrechten ist eine Frage von gesetzlichen Rahmenbedingungen, aber ebenso abhängig von einer Grundhaltung unserer Gesellschaft Kindern gegenüber. Wir brauchen die gesamte Gesellschaft, damit Deutschland ein kinderfreundliches Land wird. Zwischen der Zielsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und ihrer Verwirklichung klafft eine zu große Lücke. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung sieht eine Reihe von Maßnahmen vor, die die Situation von Kindern und ihren Familien verbessern können. Dazu zählen vor allem die Einführung einer Kindergrundsicherung, die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz und die Absenkung des Wahlalters bei Bundestags- und Europawahlen auf 16 Jahre. Jetzt gilt es, diese Vorhaben möglichst schnell auf den Weg zu bringen“, betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Kinder sind eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten

Die Arbeit des Deutschen Kinderhilfswerkes zeigt, dass in der öffentlichen Wahrnehmung Kinder noch nicht durchgängig als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten wahrgenommen werden. Aber auch im Alltag von Familien sowie in der täglichen Praxis von Schulen, Verwaltungen und Politik muss der Bewusstseinswandel schneller voranschreiten. Schon die Diskussion in den letzten Jahren um eine Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz hat gezeigt, wie wichtig es ist, die allgemeine Öffentlichkeit mit den Kinderrechten vertrauter zu machen.

Aktiver Einsatz für die Belange der Kinder

„Wir sollten uns aktiv für die Belange und Bedürfnisse von Kindern einsetzen und so die Basis für eine gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands schaffen, die dem demografischen Wandel Rechnung trägt und die Rechte von Kindern konsequent in den Blick nimmt. Denn Kinder sind nicht einfach nur unsere Zukunft, sondern vor allem sind sie ein existenzieller Bestandteil des Hier und Jetzt. Auch wenn seit Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland vor fast 30 Jahren eine Reihe von Verbesserungen erreicht werden konnten, müssen wir in der Gesamtschau der deutschen Gesellschaft eine anhaltende Ausblendung und Verdrängung von Kinderinteressen attestieren. Gerade die vergangenen Pandemie-Monate haben gezeigt, welch geringen Stellenwert die Belange junger Menschen an vielen Stellen hierzulande haben“, so Krüger weiter.

Zwei Jubiläen mit einem Ziel

„Umso wichtiger ist es nun den Blick auf die Kinderrechte zu richten. Und das mit zwei runden Jubiläen. Wir werden in diesem Jahr nicht nur den 30. Jahrestag des Inkrafttretens der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland feiern, sondern auch den 50. Geburtstag des Deutschen Kinderhilfswerkes. Dazu sind unter dem Motto „Für ein kindgerechtes Deutschland” zahlreiche Aktionen und Maßnahmen geplant, beispielsweise ein Kinder- und Jugendgipfel in Berlin, ein neues Gesprächsformat unter dem Titel „Jugend trifft Politik“, eine Studie zur Kinderfreundlichkeit in Deutschland oder der Kinderreport des Deutschen Kinderhilfswerkes zum Thema Generationengerechtigkeit. Aber natürlich werden auch der Weltspieltag, der Weltkindertag und der Internationale Tag der Kinderrechte wichtige Wegmarken in diesem Jahr setzen“, sagt Thomas Krüger.

Weitere Infos unter  www.dkhw.de.




Koalitionsvertrag: Klares Bekenntnis zur Inklusion, zu Kinderrechten und zur Bildung

Der Vertrag schafft Hoffnung auf eine verbesserte Familien- und Bildungspolitik

Klar ist auch schon, welche Parteien, welches Ministerium erhalten. Das Bundesfamilienministerium wird eine Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen übernehmen. Für die FDP übernimmt Bettina Stark-Watzinger das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

DKHW und DKSB begrüßen den Koaltitionsvertrag

Das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) und der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) sehen in dem Koalitionsvertrag eine gute Grundlage für eine modernere und sozialere Kinder- und Familienpolitik. Es sind vor allem vier Ziele, die von beiden Kinderschutzorganisationen begrüßt werden:

  1. die Einführung der Kindergrundsicherung
  2. die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz
  3. die Senkung des Wahlalters
  4. die Modernisierung des Familienrechts

Kindergrundsicherung

„Die Kindergrundsicherung, die der Kinderschutzbund schon seit Jahren fordert, soll noch in dieser Legislaturperiode eingeführt werden. Damit schafft der Koalitionsvertrag gute Voraussetzungen, um die Kinderarmut in Deutschland spürbar zu senken. „Die vereinbarten Eckpunkte werden im Zusammenwirken mit dem erhöhten Mindestlohn vor allem viele ‚Aufstocker‘-Familien aus dem Hartz-IV-Bezug herausholen. Das wird zur Chancengerechtigkeit vieler Kinder beitragen“, sagt Heinz Hilgers, der Präsident des Kinderschutzbunds.

Kinderrechte ins Grundgesetz

„Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz auf der Tagesordnung der nächsten Bundesregierung steht. Dies ist ein unverzichtbarer Baustein, um kindgerechtere Lebensverhältnisse und bessere Entwicklungschancen für alle Kinder zu schaffen, ihre Rechtsposition deutlich zu stärken und Kinder an den sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen. Mit der Aufnahme der Kinderrechte im Grundgesetz im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention besteht die große Chance, langfristig eine tragfähige Grundlage für ein kinder- und familienfreundlicheres Land zu schaffen. Hier erwarten wir von der Ampel-Koalition, dass im Gesetzgebungsverfahren eine breite Beteiligung der Zivilgesellschaft stattfindet, damit in den letzten Jahren erarbeiteten fachlichen Standards angemessen Berücksichtigung finden“, erklärt Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Herabsetzung des Wahlalters

Beide Organisationen begrüßen auch die Herabsetzung des Wahlalters für Bundestags- und Europawahlen auf 16 Jahre. Dies sei ein wichtiger und notwendiger Schritt, um die Demokratie langfristig zu erhalten. Schließlich müsse die junge Generation die Demokratie gegen alle Angriffe von innen und außen verteidigen.

Weiterentwicklung der Jugendstrategie

„Auch die beabsichtige Weiterentwicklung der Jugendstrategie der Bundesregierung mit einem Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung ist zu begrüßen. Kinder- und Jugendbeteiligung ist in Deutschland nach wie vor ein Flickenteppich. Unabhängig vom Ort des Aufwachsens muss es allen Kindern und Jugendlichen möglich sein, ihr Recht auf Beteiligung wahrzunehmen. Ein Nationaler Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung muss die Erfahrungen aus Bund, Ländern und Kommunen in den Austausch bringen und konkrete Projekte und Maßnahmen entwickeln und umsetzen. Dabei sollte nicht vergessen werden, die Verwaltung in Ländern und Kommunen fit für das Thema Kinder- und Jugendbeteiligung zu machen“, sagt Lütkes.

Kinder- und Jugendhilfe

„Wir vermissen im Koalitionsvertrag konkrete Aussagen zur Stärkung des Kinder- und Jugendhilfesystems als Ganzes. Schon vor der Corona-Pandemie war die Kinder- und Jugendhilfe vielerorts am Rande ihrer Leistungsfähigkeit. Länder und Kommunen haben es bislang nicht geschafft, die notwendigen Strukturen beispielsweise der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ausreichend zu finanzieren. In einem Koalitionsvertrag, der sich Zukunftsfähigkeit zum Ziel setzt, hätte deshalb auch die nachhaltige Stärkung des Kinder- und Jugendhilfesystems ganz nach vorne gehört.“

Bildungsförderung auf allen Ebenen

Insgesamt enthält der Koalitionsvertrag auch im Bildungsbereich viele interessante und hoffentlich auch umsetzbare Bekenntnisse. Hier einige Beispiele:

Klares Bekenntnis zur Inklusion

„Wir wollen allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft beste Bildungschancen bieten, Teilhabe und Aufstieg ermöglichen und durch inklusive Bildung sichern. Dazu stärken wir die frühkindliche Bildung, legen den Digitalpakt 2.0 auf und machen das BAföG elternunabhängiger und bauen es für die Förderung der beruflichen Weiterbildung aus. Kinder verdienen beste Bildung. Jedes Kind soll die gleichen Chancen haben. Diese. Chancengleichheit ist aber noch lange nicht Realität. Wir wollen mehr Kinder aus der Armut holen, werden mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen und konzentrieren uns auf die, die am meisten Unterstützung brauchen.“

Bildungsausgaben

„Gemeinsam mit den Ländern werden wir die öffentlichen Bildungsausgaben deutlich steigern und dafür sorgen, dass die Unterstützung dauerhaft dort ankommt, wo sie am dringendsten gebraucht wird. Mit einer Stärkung der frühkindlichen Bildung, besseren Startchancen in sozial benachteiligten Schulen, einem Digitalpakt 2.0 und einem grundlegend reformierten BAföG legen wir den Grundstein für ein Jahrzehnt der Bildungschancen.“

Bildungszusammenarbeit

„Wir streben eine engere, zielgenauere und verbindliche Kooperation aller Ebenen an (Kooperationsgebot). Die örtliche Umsetzungskraft der Schulträger, die Kultushoheit der Länder und das unterstützende Potenzial des Bundes wollen wir dafür zu neuer Stärke vereinen und eine neue Kultur in der Bildungszusammenarbeit begründen.“

Gleiche Chancen

„Wir wollen gemeinsam darauf hinwirken, dass jedes Kind die gleiche Chance auf Entwicklung und Verwirklichung hat.“

Zusammenarbeit mit Bundesländern

„Gemeinsam mit den Ländern wollen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, gemeinsam gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen und Qualität, Leistungsfähigkeit und Weiterentwicklung des Bildungswesens zu stärken. Soweit erforderlich, bieten wir Gespräche über eine Grundgesetzänderung an.“

Qualitätsentwicklungsgesetz für Kitas

„Wir werden das Gute-Kita-Gesetz auf der Grundlage der Ergebnisse des Monitorings und der Evaluation fortsetzen und bis Ende der Legislaturperiode gemeinsam mit den Ländern in ein Qualitätsentwicklungsgesetz mit bundesweiten Standards überführen.“

Ganztag

„Wir werden den Ausbau der Ganztagsangebote mit einem besonderen Augenmerk auf die Qualität weiter unterstützen. Mit Ländern und Kommunen werden wir uns über die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbildung und -betreuung und der qualitativen Weiterentwicklung verständigen und unter Berücksichtigung der länderspezifischen Ausprägungen einen gemeinsamen Qualitätsrahmen entwickeln.“

Bildungschancen

„Mit dem neuen Programm ,Startchancen‘ wollen wir Kindern und Jugendlichen bessere Bildungschancen unabhängig von der sozialen Lage ihrer Eltern ermöglichen.“

„Wir wollen Länder und Kommunen dauerhaft bei der Digitalisierung des Bildungswesens unterstützen. Den Mittelabruf beim Digitalpakt Schule werden wir beschleunigen und entbürokratisieren.“

Lehrerbildung

„Bund und Länder richten eine gemeinsame Koordinierungsstelle Lehrkräftefortbildung ein, die bundesweit Fort- und Weiterbildungsangebote vernetzt, die Qualifikation von Schulleitungen unterstützt, den Austausch ermöglicht sowie die arbeitsteilige Erstellung von Fortbildungsmaterialien organisiert und fördert.“

Fachkräfte

„Gemeinsam mit den Ländern und allen relevanten Akteuren entwickeln wir eine Gesamtstrategie, um den Fachkräftebedarf für Erziehungsberufe zu sichern und streben einen bundeseinheitlichen Rahmen für die Ausbildung an. Sie soll vergütet und generell schulgeldfrei sein.

Mit hochwertigen Qualitätsstandards in der Kindertagesbetreuung, sorgen wir für attraktive Arbeitsbedingungen. Wir wollen die praxisintegrierte Ausbildung ausbauen, horizontale und vertikale Karrierewege sowie hochwertige Fortbildungsmaßnahmen fördern und Quereinstieg erleichtern. Umschulungen werden wir auch im dritten Ausbildungsjahr vollständig fördern.“

Den ganzen Koalitionsvertrag finden Sie hier:




Zum Tag der Kinderrechte

DKHW: Großer Handlungsbedarf bei Kinderrechten in der digitalen Welt

Einen großen Handlungsbedarf im Bereich der digitalen Welt zeigt nach Ansicht des Deutschen Kinderhilfswerks auch der General Comment des UN-Kinderrechteausschusses auf [„General comment No. 25 (2021) on children’s rights in relation to the digital environment“], der unter dem Titel „Allgemeine Bemerkung Nr. 25 (2021) über die Rechte der Kinder im digitalen Umfeld“ in deutscher Fassung veröffentlicht wird. So müsse vor allen Dingen das im Frühjahr beschlossene Jugendschutzgesetz konsequent umgesetzt und der Digitalpakt Schule zügig realisiert werden.

Kinderrechte gelten auch im digitalen Raum

„Der General Comment zeigt auf, dass alle Kinderrechte auch im digitalen Raum gelten. Kinder haben ein Recht auf Zugang zum Internet und auf Teilhabe an digitalen Angeboten. Dabei sind sie vor Gewalt und Ausbeutung ebenso zu schützen wie ihre Daten und ihre Privatsphäre. Die Mahnung des UN-Kinderrechteausschusses zu mehr Investitionen in technologische Infrastruktur der Schulen und Fortbildungen von Lehrkräften muss Ansporn für Bund, Länder und Kommunen sein, den Digitalpakt Schule zügiger als bisher umzusetzen. Die Ausstattung mit technischen Geräten darf aber keine Einbahnstraße sein. So fordern die Vereinten Nationen Medienbildung für alle Schülerinnen und Schüler, sodass Kinder und Jugendliche die Potenziale des digitalen Raums für sich und ihre Rechte nutzen können. Auch ist es unerlässlich, die technische Ausstattung mit individuellen Schulkonzepten zu verbinden, die sich an der Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen orientieren und Medien pädagogisch-didaktisch einsetzen. Nur so kann ein zeitgemäßes Unterrichts- und Schulkonzept entstehen, das auch nach der Corona-Pandemie dringend benötigt wird“, betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Auch die Anbieter sind gefordert

„Bei aller Verpflichtung des Staates durch die Vereinten Nationen können sich die Anbieter aber nicht zurücklehnen. Es liegt ganz wesentlich auch in ihrer Verantwortung für Kinder sowohl attraktive als auch sichere digitale Umgebungen zu schaffen. Sie können durch datenschützende und Privatsphäre achtende Gestaltung ihrer Angebote maßgeblich dazu beitragen, dass Kinder weniger Cybergrooming und Hass ausgesetzt sind oder sie um ihr Taschengeld gebracht werden. Gemeinsam sollten Regierungen und Anbieter sowie Kinder und die Zivilgesellschaft dafür wirken, das Internet zu einem besseren Ort für eine weiter zusammenrückende Weltgemeinschaft zu machen“, so Krüger weiter.

Gemeinsam Verantwortung tragen

„Staat und Medienanbieter, Eltern und Fachkräfte, sie alle tragen gemeinsam die Verantwortung, dass sich Kinder im digitalen Raum sicher bewegen können. Alle Angebote, die von Kindern genutzt werden, müssen deshalb mit kindgerechten Informationen und Anleitungen versehen werden, Inhaltsmoderationen sowie Hilfemechanismen sind vorzuhalten, Alters- und Inhaltskennzeichen sollen die Orientierung über Medienangebote und damit verbundene Risiken befördern. Diese hohen Standards dürfen nicht aufgeweicht werden“, so Thomas Krüger.
Weitere Infos: www.dkhw.de/kinderrechte-digitale-welt 




Stoppt Kinderrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen!

Appell von Kinder- und Menschenrechtsorganisationen

Die Menschen im Grenzgebiet in Belarus müssen umgehend Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren in Europa erhalten. Statt Abschottung und rechtswidrigen Push-Backs fordern die 28 unterzeichnenden Organisationen, zu denen auch der Paritätische Gesamtverband gehört, einen sofortigen und verbesserten Zugang zum Grenzgebiet für humanitäre Organisationen, um die betroffenen Geflüchteten versorgen zu können. Hier der appell der Organisationen:

Kinderrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen stoppen – Evakuierung jetzt!

In den Wäldern an der polnisch-belarussischen Grenze harren gegenwärtig geflüchtete Menschen, unter ihnen Kinder und Familien, unter unmenschlichen humanitären Bedingungen aus. Ihre Kinder- und Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Sie leiden unter Unterkühlung, Hunger und Erschöpfung. Sie fliehen vor Verfolgung in der Heimat, Gewalt und Perspektivlosigkeit und suchen Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren.

An der polnisch-belarussischen Grenze, aber auch an der bosnisch-kroatischen Grenze, reagieren die EU und ihre Mitgliedsstaaten mit Abweisung, illegalen Pushbacks und dem Bau neuer Zäune.

Kinder und Familien dürfen nicht zum Opfer regionaler Macht- und europäischer Abschottungspolitik werden. Die unterzeichnenden Organisationen fordern die bestehende und künftige Bundesregierung auf, sofort tätig zu werden, um das Leid der Kinder und Familien an den europäischen Land-Außengrenzen zu lindern. Die Spirale der Gewalt sowie die lebensgefährliche Kälte und Unterversorgung, denen die Kinder insbesondere in Belarus ausgesetzt sind, dürfen nicht ignoriert, ihre Rechte nicht für Machtpolitik kompromittiert werden.

Menschenunwürdige und kindeswohlgefährdende Unterbringungs- und Versorgungssituation

An der Außengrenze der EU in Belarus findet vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit eine humanitäre Krise statt, die sich angesichts des beginnenden Winters noch drastisch zuspitzen wird.

An der Grenze zu Polen campieren Tausende Menschen obdachlos in einem Waldgebiet trotz der stetig fallenden Temperaturen. Der Zugang zu sanitären Anlagen, Lebensmitteln oder medizinischer Versorgung ist faktisch nicht vorhanden und wird nur durch das Engagement der Zivilgesellschaft und engagierter Bürgerinnen ermöglicht.

Die betroffenen Geflüchteten, unter ihnen viele Kinder und Jugendliche, befinden sich in einer ausweglosen Situation: Sie können nicht in die EU einreisen und gleichzeitig ist ihnen der Weg durch Belarus versperrt.

Auch in Bosnien und Herzegowina kommt es immer wieder dazu, dass Menschen, unter ihnen auch Kinder, bei Minusgraden in selbstgebauten Camps vor der Grenze ausharren in der Hoffnung, endlich in die EU zu gelangen.

Gewalt und illegale Rückschiebungen von Kindern an den Außengrenzen

Die unterzeichnenden Organisationen sind extrem besorgt hinsichtlich des europa- und völkerrechtswidrigen Vorgehens der EU-Mitgliedstaaten Kroatien und Polen bei Grenzübertritten. Gewaltsame Pushbacks, wie sie von Kroatien seit Jahren straflos praktiziert werden, sind auch in Polen zur gut dokumentierten Praxis des Grenzschutzes geworden. Menschen werden im Grenzgebiet aufgespürt und ohne individuelle Prüfung ihres Asylgesuchs oder ihrer Einreisegründe unter Zwang vor die europäischen Außengrenzen zurückgebracht. Einmal mehr zeigt sich: Werden Gewalt und europa- und völkerrechtswidrige Rückschiebungen nicht geahndet und sanktioniert, avancieren sie durch stillschweigende Zustimmung zu regulären Mitteln des Grenzmanagements an den europäischen Außengrenzen.

Verschiedene Berichte belegen Gewaltanwendung und illegale Rückschiebungen durch sowohl polnische als auch kroatische Grenzbeamte. So haben Menschenrechtsorganisationen bereits im August 2021 illegale Kollektivausweisungen an der polnischen Grenze öffentlich dokumentiert.

Auch an der bosnisch-kroatischen Grenze finden schon seit langem nachweislich rechtswidrige Rückschiebungen durch kroatische Sicherheitsbehörden statt, welche von Gewalt, Erniedrigung und Entwendung von Eigentum begleitet werden. Auch Kinder sind von Pushbacks betroffen.

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex sieht dabei tatenlos zu und schreitet bei Menschenrechtsverletzungen nicht ein. Der Winter hat in den Grenzregionen Polens und Kroatiens bereits begonnen. Sinkende Temperaturen, teils unter null Grad, verschlechtern die lebensgefährliche Situation für Kinder und Familien noch weiter dramatisch. Ihnen muss unverzüglich geholfen, ihre Rechte umgehend respektiert werden.

Die unterzeichnenden Organisationen fordern die Bundesregierung auf:

  • Sofortige Evakuierung – legale Zugangswege schaffen

Die Bundesregierung und die EU-Kommission müssen die betroffenen Menschen, allen voran Kinder und Familien, aus den entsprechenden Regionen evakuieren und auf die EU-Staaten umverteilen. Dies bedarf eines Ad-hoc-Evakuierungsmechanismus, wie er im Ansatz bei der Aufnahme von den griechischen Inseln angewendet wurde. Um mittelfristig die Situation an den EU-Außengrenzen zu verbessern, müssen in Ergänzung zum individuellen Asylverfahren Resettlement- und humanitäre Aufnahmeprogramme sowie andere legale Zugangswege ausgebaut und die Hürden für Familienzusammenführungen gesenkt werden.

  • Stopp der Push-Backs – Zugang zum Asylverfahren

Die Praxis der Push-Backs muss sofort unterbunden und der Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren sichergestellt werden. Mitgliedstaaten, die sich dem verweigern, müssen sanktioniert werden. Um Menschenrechtsverletzungen aufzudecken, muss das Grenzmanagement der EU-Mitgliedstaaten von einem transparenten, unabhängigen und effektiven Monitoringmechanismus begleitet werden. Konsequente Schulungen zu Kinder- und Menschenrechten können zudem rechtswidriges Vorgehen einzelner Grenzbeamt:innen verhindern.

  • Unterstützung der Menschen vor Ort – Zugang von Hilfsorganisationen

Den betroffenen Menschen, insbesondere Kindern und Familien, in den Grenzregionen müssen umgehend ein festes Dach über dem Kopf, eine regelmäßige Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung sowie Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährt werden. Humanitäre Organisationen sowie Menschen- und Kinderrechtsorganisationen müssen zudem umgehend umfassenden Zugang zu den betroffenen Menschen in den Grenzregionen erhalten. In diesem Sinne fordern wir die Bundesregierung auf, sofort aktiv zu werden und Unterstützung zu leisten, und zwar sowohl in Form von direkter humanitärer Hilfe für die Betroffenen vor Ort als auch durch ihren Einsatz für eine nachhaltige Lösung auf EU-Ebene.

Folgende Organisationen haben den Appell unterzeichnet:

Amadeu Antonio Stiftung, Amnesty International Deutschland e.V., Arbeitsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), Ärzte ohne Grenzen e.V., AWO Bundesverband, Brot für die Welt e.V., Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Der Paritätische Gesamtverband, Deutsche Jugend in Europa Bundesverband e.V., Deutsches Kinderhilfswerk e.V., Diakonie Deutschland, ECPAT Deutschland e.V., Equal Rights Beyond Borders, International Rescue Committee, Jesuitenflüchtlingsdienst, Jugendliche ohne Grenzen, JUMEN – Juristische Menschenrechtsarbeit in Deutschland e.V., National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN – Kinderrechtskonvention, OUTLAW.die Stiftung, Plan International, PRO ASYL, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV), Save the Children Deutschland e.V., Seebrücke – Schafft Sichere Häfen!, SOLWODI Deutschland e.V., SOS-Kinderdorf e.V., terre des hommes Deutschland e.V., World Vision Deutschland e.V.




Neue Studie zu Kita-Qualität erschienen

Bei der Beteiligung von Kindern im Krippen-Alltag gibt es Verbesserungsbedarf

Die Essensituation in vielen Kinderkrippen scheint eine schwierige Situation zu sein, wenn es um Demokratie und die Partizipation geht. Laut der eben erschienenen Studie „Beteiligung von Kindern im Kita-Alltag“ (BiKA). Während etwa in drei Viertel der Fälle die Kinder beim Spielen den Ort selbst aussuchen dürfen, ist das bei Essen nur in jeder dritten Kita erlaubt. In lediglich 27 Prozent der Krippen haben alle Kinder die Wahl, was auf ihren Teller kommt. In 24 Prozent der beobachteten Mittagessen-Situationen entscheiden nicht alle Kinder, ob sie etwas essen oder nicht. Und in knapp der Hälfte der Essenssituationen können nicht alle Kinder entscheiden, wie viel sie essen und trinken möchten. In fast ebenso vielen Situationen wird einfach (zu-)gefüttert, obwohl zu beobachten ist, dass die Kinder in der Lage sind, Besteck zu handhaben.

Vom Recht auf Partizipation

Sicher weiß jeder, der schon einmal an einer Essenssituation in einer Kinderkrippe teilgenommen hat, dass dies einen der großen Herausforderungen in der täglichen pädagogischen Arbeit ist. Andererseits gibt es gerade hier, aber auch in einigen anderen Situationen viel Verbesserungsbedarf, wenn es um das Kinderrecht auf Partizipation geht. Bei der Studie BiKA ging es eben genau um dieses Recht und um die Qualität in der Kindertagesbetreuung mit dem Schwerpunkt auf die Beteiligung von Kleinkindern.

Durchführung der Studie

Mit Fokus auf die Jüngsten wurden im Krippenbereich per Video aufgezeichnete Situationen analysiert und die pädagogischen Fachkräfte und Eltern zu ihren Erlebnissen, Erfahrungen und Einschätzungen befragt. Die videografierten und näher untersuchten Szenen sind Schlüsselsituationen im Kita-Alltag: Spielsituationen, dialogische Buchbetrachtungen und das gemeinsame Essen. Die Studie wurde durch Prof. Dr. Frauke Hildebrandt (Fachhochschule Potsdam) und Prof. Dr. Catherine Walter-Laager (Universität Graz gemeinsam mit der PädQUIS gGmbH) geleitet und durch das BMFSFJ gefördert. 

„Die Partizipationsqualität ist unzureichend“

Bianka Pergande, neue Geschäftsführerin der Deutschen Liga für das Kind, hat die empirische Studie 2018 bis 2020 aufseiten der Fachhochschule Potsdam koordiniert: „Die BiKA-Studie mit videografiebasierten Untersuchungen in 89 Kindertagesstätten hat eine Forschungslücke für den U3-Bereich geschlossen. Die Untersuchungsergebnisse geben zu denken, denn die Möglichkeiten von Kindern zur Selbst- und Mitbestimmung sind insgesamt nicht zufriedenstellend, und die Partizipationsqualität insbesondere in der täglich wiederkehrenden Essenssituation ist unzureichend.“ 

Einige der zentralen Erkenntnisse der Studie sind:

  • Die Wahrung des Kinderrechts auf Partizipation geht einher mit der Wahrung des Kinderrechts auf Schutz.
  • Eigene Partizipationserfahrungen von Fachkräften und Eltern bezogen auf das Essen werden in die Erziehungsziele übernommen.
  • Eine pessimistische Einstellung zu Partizipation von Fachkräften spiegelt sich in nahezu allen Bereichen der Gestaltung der partizipativen Umgebung wider.
  • Weniger strukturierte Situationen bieten Kindern mehr Selbstbestimmung, Partizipationsmöglichkeiten und Selbstwirksamkeitsgelegenheiten als stärker strukturierte Situationen. In den Schlüsselsituationen Spielen und Buchbetrachtung können Kinder häufiger selbstbestimmt agieren oder mitbestimmen. Beim Essen dagegen dominieren durchorganisierte Abläufe, die die Partizipation der Kinder zum Teil stark limitieren. 
  • Assistenzhandlungen sind häufig mindestens teilweise unangemessen, insbesondere in der Essenssituation. 
  • Direktive Handlungsanweisungen und grenzüberschreitender Körperkontakt gehören für viele Kinder zum Kita-Alltag.
  • Fachkräfte halten sich an Regeln, die auch für die Kinder gelten, diskriminieren oder beschämen Kinder kaum selbst, dulden teilweise jedoch Ausgrenzung und Diskriminierung unter Kindern.
  • Der Fachkraft-Kind-Schlüssel steht in keinem Zusammenhang mit realisierten Partizipationsgelegenheiten sowie dem partizipationshemmenden Verhalten der Fachkräfte, jedoch mit der sprachlichen Interaktionsqualität.

Zu den Handlungsempfehlungen der Forschungsgruppe gehören: 

  • Die partizipative Fachkraft-Kind-Interaktion in alltäglichen Situationen von Krippen muss verbessert werden.
  • Partizipation einschränkendes Verhalten muss klar definiert werden, Gegenstand von ständiger Team- und Personalentwicklung sein und im Alltag von Kitas minimiert werden.
  • Die hochstrukturierte und täglich wiederholte Schlüsselsituation Essen muss unmittelbar qualitativ verbessert werden.
  • Partizipation muss bewusst inklusiv gestaltet werden.
  • Biografiearbeit und Reflexion der eigenen Haltung zu Partizipation bei pädagogischen Fachkräften sind zu stärken.
  • Die Mitbestimmung von Familien bei der Gestaltung des Alltags in der Krippe muss verbessert werden. 

Weiterführende Informationen sind auf dem Web-Portal des BMFSFJ Frühe Chancen veröffentlicht. Dort steht auch der Abschlussbericht der Forschungsstudie als Kurz- und Langfassung zum Download zur Verfügung: https://www.fruehe-chancen.de/aktuelles/beteiligung-ist-ein-kinderrecht/

Quelle: BiKA und Pressemitteilung Deutsche Liga für das Kind




Fördermittel für Kinder-Kulturprojekte in den Sommerferien zu vergeben

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Jetzt kurzfristig für „Kultur macht stark“-Sommer bewerben

Ab sofort sind Bewerbungen für zusätzliche Kinder-Kulturprojekte im Rahmen des Förderprogrammes „It‘s your Party-cipation“ des Deutschen Kinderhilfswerkes möglich. Als Partner im Programm „Kultur macht stark“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung fördert die Kinderrechtsorganisation mit dem Zusatzformat „Sommer der Kinderrechte“ verstärkt Ferienangebote. Gefördert werden drei-, fünf- oder siebentägige außerschulische Projekte, die sich an Kinder und Jugendliche im Alter von drei bis 17 Jahren richten. Der Fokus liegt auf Kindern und Jugendlichen aus sozial oder finanziell benachteiligten Familien, deren Zugang zu kultureller Bildung aufgrund der Corona-Pandemie in den vergangenen Monaten zusätzlich erschwert wurde.

Kulturell-künstlerische Auseinandersetzung mit Kinderrechten

Die Fördersumme der Workshops richtet sich nach Anzahl der Teilnehmenden (mindestens fünf und maximal 15 Personen) sowie der Workshoptage und liegt zwischen 1.500 und 8.000 Euro. Die Bearbeitungszeit bis zum Projektstart liegt bei zwei bis drei Wochen.

Ziel des „Sommers der Kinderrechte“ ist es, dass sich Kinder und Jugendliche kulturell-künstlerisch mit ihren Rechten auseinandersetzen und sich aktiv an den Projekten beteiligen können. Die kulturellen Bildungsangebote sollen die Teilnehmenden befähigen, für ihre Interessen einzustehen und sie in ihrer Persönlichkeit stärken.

Auch überregionale Einrichtungen können teilnehmen

Die Workshops schließen mit einer Projektpräsentation, die sich an ein möglichst breites Publikum richtet, ab. Anders als bisher können überregionale Einrichtungen mit zwei lokalen Partnern ein Bündnis bilden. Darüber hinaus können bereits aktive Bündnisse erfolgreiche Projekte erneut umsetzen und diese einem größeren Teilnehmendenkreis zugänglich machen.

Weitere Informationen zur Antragstellung und zu den Förderbedingungen finden Sie unter https://www.kinderrechte.de/kinderrechtebildung/kultur-macht-stark/neues-format-sommer-der-kinderrechte/ und auf der Programmwebseite von „It`s your Party-cipation“ unter www.kinderrechte.de/kulturmachtstark.




„Kinderrechte müssen immer und überall Maßstab sein“

Deutsches Kinderhilfswerk stellt massive Defizite in vielen Einrichtungen fest:

Das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) beklagt deutliche Defizite in der Verankerung von Kinderrechten in den rechtlichen und programmatischen Rahmengebungen für den schulischen Hort- und Ganztagsbereich. Das betrifft aus Sicht der Kinderrechtsorganisation auch weitere zentrale Aspekte ganzheitlicher Demokratiebildung, wie Partizipation, Inklusion und Schutz vor Diskriminierung.

Eine dazu vorgelegte Analyse des DKHW der Schul- und Kitagesetze sowie Bildungs- und Rahmenlehrpläne zeigt auf, dass es im Bundesländervergleich eine große Heterogenität insbesondere hinsichtlich des Stellenwerts von Kinderrechten und Demokratiebildung gibt. So fehlen einheitliche Vorgaben und ein verbindlicher Orientierungsrahmen für die pädagogische Praxis in Hort und Ganztag. Ein besonders großer Bedarf zeigt sich an der Schnittstelle zwischen Schulen und Kindertageseinrichtungen. Hier ist vor allem die Kultusministerkonferenz gefordert, gemeinsam mit dem Bundesfamilienministerium und in Zusammenarbeit mit den in diesem Bereich tätigen Organisationen und Verbänden stimmige Konzepte zur Beseitigung der Defizite vorzulegen.

Kinderrechte nach Gutdünken zugestanden

„Kinderrechte dürfen nicht nach Gutdünken zugestanden werden, sondern müssen immer und überall der Maßstab sein, wenn es um die Interessen von Kindern und Jugendlichen geht. Das gilt sowohl für den schulischen Bereich als auch für außerschulische Angebote. Deshalb brauchen wir eine verbindliche und wirksame Festschreibung der Kinderrechte in allen gesetzlichen und programmatischen Vorgaben. Der bisherige Flickenteppich in diesem Bereich muss durch eine einheitliche Rahmengebung beendet werden. Der 16. Kinder- und Jugendbericht bezeichnet den Hort- und Ganztagsbereich im Hinblick auf demokratische Bildung als, unterschätzten Raum‘. Diesen Raum gilt es für eine ganzheitliche Demokratiebildung vor allem mit Kinderrechten zu füllen. Demokratieförderung darf nicht erst dann beginnen, wenn Kinder und Jugendliche kurz vor der Teilnahme an ihren ersten Wahlen stehen. Demokratie muss als Alltag für Kinder erlebbar sein, schon für die Kleinsten. Wir dürfen aber auch nicht alles, was die Schulen selbst nicht schaffen, auf den Hortbereich abwälzen. Hier gilt es eine vernünftige Balance zu finden“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des DKHW.

Verankerung der UN-Kinderrechtskonvention gefordert

Das DKHW fordert deshalb die Verankerung der in der UN-Kinderrechtskonvention normierten Kinderrechte in den rechtlichen Rahmengebungen für Hort und Ganztag in allen Bundesländern. Hier braucht es kinderrechtebasierte und bundeseinheitlich verbindliche Qualitätsstandards für den Hort und Ganztagsbereich. Zudem ist eine flächendeckende Verankerung von Kinderrechte- und Demokratiebildung in der Aus- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte notwendig.

Außerdem plädiert das Deutsche Kinderhilfswerk für die Entwicklung von auf den Hort- und Ganztagsbereich zugeschnittenen Konzepten, Methoden und Materialien zur Verankerung und Umsetzung ganzheitlicher Demokratie- und Kinderrechtebildung sowie für die Bereitstellung von fachlicher Information, Beratung, Fortbildung und Vernetzung.

Informationen zur Unterstützung von Demokratiebildung

Umfangreiche Informationen zur Unterstützung der Demokratiebildung in Kita, Hort und Ganztag bietet die Website www.kompetenznetzwerk-deki.de. Auf dieser Seite präsentiert das im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ geförderte Kompetenznetzwerk „Demokratiebildung im Kindesalter“ sich und seine Arbeit im Online-Bereich. Auf der Website finden die Besucherinnen und Besucher umfangreiche Informationen, Empfehlungen und praxisbezogene Tipps rund um das Thema Demokratiebildung im frühkindlichen und Primarbildungsbereich. Verantwortlich für die Website sind das Deutsche Kinderhilfswerk und das Institut für den Situationsansatz (ISTA) als Träger des Kompetenznetzwerkes. Dieses wird unter dem offiziellen Fördertitel „Kompetenznetzwerk Frühkindliche Bildung und Bildung in der Primarstufe“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

Die Analyse des Deutschen Kinderhilfswerkes zu den rechtlichen und programmatischen Rahmengebungen im schulischen Hort- und Ganztagsbereich findet sich unter www.kompetenznetzwerk-deki.de/feldanalyse.




Demokratische Erziehung sollte dem Leitbild von Korczaks „Grundgesetz für das Kind“ folgen

Inklusion als gelebte Haltung, situationsorientierte Hilfe, Führung und Begleitung

Mit Janusz Korczaks „Grundgesetz für das Kind“ ist die inklusive Pädagogik neu zu vermessen. Denn das Maß liegt im Menschen und nicht in den Dingen. Gefragt ist besonders die Früh- oder auch Elementarpädagogik: Denn sie legt den Grundstein für eine menschengerechte demokratische Erziehung und Bildung. Korczaks Erziehungskunst steht als Angebot. Jedes Kind gibt der pädagogischen Fachkraft neue Rätsel auf. Darin liegt der immer wieder neue Anreiz, sich mit Kindern auf eine nie endende Entdeckungsreise zu begeben.

Im Grundgesetz für das Kind gründet Korczaks Pädagogik der Achtung

Die im Jahre 2006 verabschiedete UN-Charta der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, kurz UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), ist mit der großen Hoffnung verbunden, dass das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der Menschlichkeit werden kann. Nach dem Untergang der Humanität im 20. Jahrhundert, wird nun das Jahrhundert der Humanisierung ausgerufen und entschieden darauf hingewiesen, dass Menschen mit Behinderungen „einen bedeutsamen Beitrag zur Humanisierung der Menschheit leisten“ (Krenz/Klein 2012, S. 49 ff.).

Die Konvention gibt uns einen Spiegel in die Hand, jeden Menschen zu achten, sich für ihn wirklich zu interessieren und ihm bei seiner Entwicklung beizustehen, ihm soweit zu helfen, bis er das werden kann, was in ihm keimhaft angelegt ist: Aus eigener Initiative seine Entwicklung selbst in die Hand nehmen und gestalten. Danach sehnt sich in der Tiefe seines Herzens jeder Mensch. Das erkannte der feinfühlende polnische Arzt, Pädagoge und Schriftsteller Janusz Korczak, der mit seinen 200 Heimkindern am 5. August 1942 in das Vernichtungslager Treblinka ging. Er lehnte alle Versuche zu seiner Rettung ab. Denn er wollte die Kinder nicht allein lassen.

Die Kinderrechte nach Korczak

Bereits 1919 formulierte Korczak Kinderrechte: „Ich fordere die Magna Charta Libertatis (die große Charta der Freiheiten; Anm. F. K.) als ein Grundgesetz für das Kind. Vielleicht gibt es noch andere – aber diese drei Grundrechte habe ich herausgefunden:

1. „Das Recht des Kindes auf seinen Tod“ = dem Kind die Ausformung seines Lebens zutrauen.
2. „Das Recht des Kindes auf seinen heutigen Tag“ = die Gegenwart des Kindes achten, die nicht einer ungewissen Zukunft geopfert werden darf.
3. „Das Recht des Kindes, so zu sein, wie es ist“ = dem Kind sein Kindsein erlauben und ermöglichen (Klein 2018, S. 70 f.).

Mit diesem Grundgesetz für das Kind wird erstmals in der Geschichte der Erziehung die Respektierung von Kinderrechten gefordert.

Das erste Grundrecht kann irritieren. Korczak stellt das Leben mit seinen Gefährdungen und Risiken in die Eigenverantwortung des Kindes. Doch durch Angst und Überfürsorge werden ihm die Möglichkeiten vorenthalten am eigenen Leib seine Erfahrungen zu sammeln und zu ordnen. Eine pädagogische Fachkraft, die hingegen dieses Grundrecht achtet und dem Kind auf sein eigenes Risiko hin seine Erfahrungen ermöglicht, gibt die fordernde Zukunftsorientierung auf und hat die Gegenwart des Kindes im Blick, seine Individualität hier und heute. Es kennt weder Vergangenheit noch Zukunft, es freut sich der Gegenwart.  Mit Korczak erhält die pädagogische Verantwortung gerade deswegen einen neuen Akzent, weil die pädagogische Fachkraft die Gegenwart für das Kind einfühlsam und gründlich zu gestalten hat.

Jeder Versuch eines einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern.

Friedrich Dürrenmatt

Den drei Grundrechten stellt Korczak ein oberstes Prinzip voran: „Das Recht des Kindes auf Achtung. Es ist das erste und unbestreitbare Recht des Kindes, seine Gedanken auszusprechen und aktiven Anteil an unseren Überlegungen und Urteilen über seine Person zu nehmen. Wenn wir ihm Achtung und Vertrauen entgegenbringen und wenn es selbst Vertrauen hat und sich ausspricht, wozu es das Recht hat, – wird es weniger Zweifel und Fehler geben.“ (Korczak 1978, S. 40 f.).

Fazit: Korczaks Kinderrechte haben einen wesentlichen Einfluss auf die UN-Behindertenrechtskonvention. Dieses Behindertengrundrecht ist für alle Beteiligten ein einfühlsamer Lernprozess – für behinderte und nichtbehinderte Kinder, für Eltern, Erzieher und alle Bürger: Inklusion ist gelebte Demokratie, ein demokratischer Begriff und eine demokratische Notwendigkeit.

Rechtskonvention, ein verbindlicher Handlungsrahmen

Die Rechtskonvention stellt Inklusion als umfassende kulturelle Herausforderung ins Zentrum der weltweiten öffentlichen und fachlichen Diskussion. Sie will für alle Bürger ein Leitbild moderner Sozialpolitik und ein verbindlicher Handlungsrahmen für die Praxis sein. Sie spricht von der Verpflichtung in allen Bereichen und bei allen Mitgliedern der Gesellschaft ein Bewusstsein für die Rechte und Würde behinderter Menschen zu schaffen, diskriminierende Praktiken und Vorurteile abzubauen.

In Artikel 26 der Konvention heißt es: „Die Vertragsstaaten treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, […] um Menschen mit Behinderungen in die Lage zu versetzen, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit, umfassende körperliche, geistige, soziale und berufliche Fähigkeiten sowie die volle Einbeziehung in alle Aspekte des Lebens und die volle Teilhabe an allen Aspekten des Lebens zu erreichen und zu bewahren. Die deutschsprachige Übersetzung finden Sie hier.

Die Konvention wird seit März 2009 in deutsches Recht umgesetzt. Sie

  • geht davon aus, dass Behinderung ein soziales Phänomen ist, das aus einstellungs- und umweltbedingten Barrieren resultiert; dadurch wird seine volle gesellschaftliche Teilhabe verhindert oder beeinträchtigt.
  • würdigt Behinderung als Teil der Vielfalt menschlichen Lebens.
  • will Teilhabe stärken und Ausgrenzungen verhindern.
  • versteht die gemeinsame Erziehung von behinderten und nichtbehinderten Kindern von der frühen Kindheit an als Menschenrecht – und nicht als Wohltätigkeit.

Alle Menschen haben das Recht auf gemeinsame Erziehung und Bildung

Alle Menschen mit Behinderungen haben nun von Anfang an einen Rechtsanspruch auf gemeinsame Erziehung und (Aus-)Bildung sowie gesellschaftliche Teilhabe ohne Diskriminierung und Marginalisierung. Ihre volle gesellschaftliche Teilhabe ist ein einklagbares Recht.

Diese uneingeschränkte Anerkennung und Achtung der Würde jedes Menschen und die daraus folgende Gleichheit der Verschiedenen sind im beginnenden 21. Jahrhundert ein zentrales ethisches Prinzip geworden. Das Prinzip kann als Antwort auf extrem demütigende Erfahrungen vieler Menschen in zurückliegenden Jahrhunderten, besonderes im 20. Jahrhundert und damit als Ergebnis eines Bildungsprozesses der westlichen Demokratien verstanden werden. Das Recht ist die Basis für unser Zusammenleben. Es schützt die unantastbare Würde des Menschen.

Das Bewusstsein der gleichen Würde jedes Menschen hat sich durchgesetzt. Es erfordert eine Vertiefung und Erweiterung der frühpädagogischen Professionalität. Wie kann die (Früh-)Pädagogik in Wissenschaft, Forschung und Praxis dieser Aufgabe entsprechen? (Klein 2018, S. 14 ff.)

Inklusive Erziehung von Anfang an

Das Menschenrechtsverständnis der UN-BRK achtet das Kind als Subjekt und Akteur seiner Entwicklung, ebenso seine Grundbedürfnisse und Grundbedarfe, seine Individualität und Sozialität; unterstützt (begleitet, leitet, führt) den Willen des Kindes zur Eigenaktivität, sein Selbstwirksamwerden, sein sich entwickelndes Verantwortungsbewusstsein für das eigene Recht, für das Recht des anderen Menschen und seine wachsende Selbstbestimmung in sozialer Abhängigkeit.

Die Rechtstexte machen keine Aussagen über die gesellschaftliche Wirklichkeit, enthalten aber verbindliche Normen, an denen die Wirklichkeit der inklusiven Kindertageseinrichtung gemessen werden kann. Aus dem, was ist, soll durch handelnde Menschen das werden, was sein soll. Diese Spannung zwischen Realität und Idealität ist eine bewegende Kraft des republikanischen Rechtsstaats, die Inklusion ohne moralische Überhöhung als Realvision zu sehen hat. Inwieweit die Entwicklung sich dem Ziel annähert und vor allem, ob es wirklich erreicht werden kann, bleibt eine offene Frage. Ihre Beantwortung hängt von vielen Faktoren ab, die nicht allein in der Hand der pädagogischen und therapeutischen Fachkräfte liegen. Doch durch professionelle Selbstdarstellung der Kita in der Öffentlichkeit kann vieles erreicht werden.

Kinder geben ermutigende Beispiele für eine inklusive Lernkultur

Auf dem Weg zur inklusiven Erziehung von Beginn an können Kinder heterogene Gruppen Mut machen: Im Umgang miteinander nehmen sie die Unterschiede als gegeben an, entwickeln Neugierde füreinander und wollen einander helfen. Kinder mit Beeinträchtigungen der Wahrnehmung, der Bewegung, des Denkens (der kognitiven Entwicklung) oder des Verhaltens können wie selbstverständlich in der Gruppe lernen.

Neurobiologische Forschungen zeigen, dass bereits Säuglinge Urformen der Sympathie empfinden. Bald beginnen sie zwischen ‘guten‘ und ‘bösen‘ Taten zu unterscheiden. Gut ist, anderen zu helfen und böse, anderen zu schaden. Schon einjährige Kinder helfen ohne vorherige Übung fremden Erwachsenen: Sie heben beispielsweise heruntergefallene Gegenstände auf, wenn die Person, die diese aufheben will, nicht heranreicht.

Therapeutische Erziehung

Mit Prof. Gerhard Neuhäuser und Prof. Ferdinand Klein berichten ein Arzt und ein Pädagoge gemeinsam von langjährigen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Anhand zahlreicher Fallbeispiele wird deutlich, wie Kinder durch therapeutische Erziehung Gerechtigkeit, Gleichwertigkeit und Gleichwürdigkeit von Beginn an erleben und wie sie von der Entwicklungsunterstützung persönlich profitieren können. Das Buch enthält viele Anregungen für ein kindgemäßes pädagogisches Handeln. 

Neuhäuser/Klein: Therapeutische Erziehung, 192 Seiten, ISBN: 978-3-96304-605-6, Burckhardthaus 2019

Kleine Kinder spüren also die Gefühle und Absichten bei anderen Menschen und sind fähig, Mitgefühl und Mitleid zu erleben. Sie pflegen mit ihren veranlagten Kräften eine Willkommenskultur, bei der die Unterschiede im Wollen, Wissen und Können von herausragender Bedeutung sind: Die Unterschiede fördern ihre Kommunikation, weil sie ein angeborenes Grundverständnis für soziale Situationen haben und anderen Menschen helfen wollen (Klein 2018, S. 113 f.).

Kinder wollen miteinander selbstwirksam tätig sein

Auf diese sozio-emotionale Grundfähigkeit des Kindes baut der Perspektivwechsel auf, der für die inklusive Lernkultur bedeutsam ist: Wenn Kinder mit Behinderungen wie selbstverständlich in der Gruppe sind, dann sind die Herausforderungen und Anregungen zum Perspektivwechsel groß.

Kinder wollen miteinander selbstwirksam tätig sein, aus eigener Kraft ihre Lebenswelt erfahren und gestalten. Ihr veranlagtes Bedürfnis ist in der hochtechnisierten Welt gefragter denn je. Ihrem Ur-Bedürfnis ist in Projekten, Erlebnis- und Handlungsfeldern zu entsprechen. Kinder mit und ohne Behinderung können gemeinsam in Spiel- und Lernsituationen ihre Alltagserfahrungen machen und ordnen und auf diese Weise ihre persönliche Identität aus eigener Kraft aufbauen.

Fazit: Geboten ist Inklusion als gelebte Haltung, als situationsorientierte Hilfe, Führung und Begleitung, was ohne (selbst)kritisches Nachdenken der pädagogischen Fachkraft nicht möglich ist. Darauf macht uns der international bekannte Kindheitspädagoge Armin Krenz nachdrücklich aufmerksam. Sein „Situationsorientierter Ansatz“ (Krenz 2021) ist tief im Humanismus der Reformpädagogik von Janusz Korczak verwurzelt, er wird im heilpädagogischen Buch „Inklusive Erziehung in Krippe, Kita und Grundschule“ von Ferdinand Klein (2018) und im heilpädagogisch-ärztlichen Buch von Gerhard Neuhäuser und Ferdinand Klein „Therapeutische Erziehung“ (2019) näher ausgeführt.

Literatur

Gruen, A. (2003): Wie man ein Kind lieben soll. In: publik-forum, journal nr. 6

Klein, F. (2018): Inklusive Erziehung in Krippe, Kita und Grundschule. Heilpädagogische Grundlagen und praktische Tipps im Geiste Janusz Korczaks. München, BurckhardtHaus

Korczak-Bulletin (2015): 24. Jg., Ausgabe September, S. 2

Korczak, J. (1973): Wenn ich wieder klein bin. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht

Korczak, J. (1978): Wie man ein Kind lieben soll. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht

Krenz, A. (2021): Der Situationsorientierte Ansatz – auf einem Blick. 2. Auflage, München, BurckhardtHaus

Krenz, A./Klein, F. (2012): Bildung durch Bindung. Frühpädagogik: inklusiv und beziehungsorientiert. 2. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen

Neuhäuser, G./Klein, F. (2019): Therapeutische Erziehung. Resiliente Erziehung in Familie, Krippe, Kita und Grundschule. München, BurckhardtHaus

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